I. Zur Funktion des Föderalismus
Zwar war und ist die Europäische Union in aller Munde und auch ihre Umweltpolitik ist schon oftmals diskutiert worden, doch nur selten unter einem föderalistischen Aspekt Uns scheint aber gerade hier ein wesentlicher Ansatzpunkt zu liegen. Angesichts der selbst in einem föderalen Staat wie der Bundesrepublik begrenzten Bedeutung der Regionen (Länder) und des schleichenden Abbaus föderaler Strukturen gerät die Bedeutung, die Föderalismus für ein funktionierendes Gemeinwesen haben kann, zusehends in Vergessenheit. Wir wollen deshalb zunächst zwei Punkte heraus-greifen, um die grundsätzliche Tragweite des Folgenden zu verdeutlichen.
Der Prozeß der europäischen Einigung ist im Kern ein von Kalkül und Ratio bestimmtes Phänomen, wogegen die „Nation“ wesentlich auf Emotionen und Gefühlen beruht. Guy Kirsch bemerkt daher zu Recht, die Europäische Gemeinschaft (bzw. Europäische Union) sei in gewissem Ausmaße ein „Überstaat“, keineswegs aber eine „Supranation“ und schon gar nicht ein „Supranationaler Staat“, wie Thomas Straubhaar jüngst etwas voreilig meinte Die Herausbildung eines solchen „suprastate“ hat zwangsweise zur Folge, daß die Nationalstaaten Teile ihrer Kompetenz und Souveränität aufgeben müssen; das wiederum hat zur Konsequenz, daß diese Änderung auch den Nationalstaat an sich (mit der Betonung auf national) in Mitleidenschaft zieht. Denn nur solange, wie der nationale Staat in seinen Funktionen glaubwürdig und funktionsfähig war, wurde er auch als Nationalstaat akzeptiert. Weshalb sollte wohl jemand -wie es Kirsch eingängig formuliert hat -ein deutscher Patriot sein, wenn es nicht notwendig ist, ein deutscher Staatsbürger zu sein?
Diese (funktionale und emotionale) Lücke, welche die Schwächung des nationalen Staates hinterläßt, eröffnet prinzipiell zwei Möglichkeiten der Reaktion: sich bewußt zu werden, daß der Nationalstaat oft ein Kunstgebilde war, und alte, kohäsive Gruppenbildungen neu zu entdecken -als Mecklenburger, Lombarden oder Bretonen -oder diese Bewußtwerdung zu verdrängen und zum Chauvinisten zu werden. Beide Reaktionsformen sind in Europa allgegenwärtig, und das in politischen Reden häufig vernommene Wort „unser aller Vaterland“ ist auch als Versuch zu sehen, beide Reaktionsformen auf einer mittleren Ebene zu halten: Chauvinismus, gerade in Deutschland, würde (wird) von außen mit großer Aufmerksamkeit registriert und würde die Stellung der nationalen Politiker international schwächen, die ständig mit der (vorwurfsvollen) Frage konfrontiert wären, was sie denn zu tun gedenken zur Sicherung von Verläßlichkeit und Berechenbarkeit. Das uns besonders interessierende Phänomen des aufkommenden Regionalismus (Kirsch: „regionale Plurifizierung“) ist für die nationalen Regierungen auf Dauer nicht minder brisant, es ist aber das einzig erfolgreich scheinende Muster des europäischen Einigungsprozesses: europäische „Unifikation“ bei regionaler „Plurifikation“ -oder die Versöhnung von emotionaler Wärme der Region mit dem kalten, rationalen Kalkül von Europa.
Neben dieser Identifikationsfunktion kann der Föderalismus noch in einem weiteren Sinne von Nutzen sein -man könnte hier von seiner Wettbewerbsfunktion reden. Nach F. A. von Hayek ist Wettbewerb ein „Such-und Entdeckungsverfahren“ So grundsätzlich gesehen ist Wettbewerb demnach eine universelle und dynamische Ordnungstechnik in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft: In der Wirtschaft ist diese Ordnungstechnik der marktwirtschaftliche Wettbewerb, in der Politik der politische Wettbewerb -und der Föderalismus als Wettbewerbskonzept somit (unter anderem) ein „Entdeckungsverfahren für institutioneile Neuerungen“ Anders ausgedrückt: Wettbewerb in der Marktwirtschaft und Föderalismus in der freiheitlichen Demokratie sind ähnliche Konzepte und in ihren jeweiligen Bereichen funktionale Äquivalente; beide Konzepte sehen im Konsumenten und Wahlbürger den Souverän in Markt und Politik, und der Wettbewerb der Institutionen dient (per Experimentieren und Imitieren) dazu, dezentrales Wissen und dezentrale Präferenzen zu aktivieren und zur Geltung zu bringen, letztlich mit dem Ziel der optimalen Befriedigung der Bedürfnisse der Individuen mit privaten und öffentlichen Gütern in der Zeit. Eines dieser öffentlichen Güter ist die Umwelt, und die bisherigen Überlegungen bilden nun die Basis für eine Fokussierung auf die Umweltpolitik. Umweltpolitik ist zwar eine moderne, jedoch vom Charakter her geradezu „klassische“ Allokationspolitik, an der sich die Leistungen des Föderalismus exemplarisch demonstrieren lassen.
II. Umweltföderalismus in Europa
Eine historische Analyse der EG-Verträge offenbart, daß Umweltschutz kein originäres Feld gemeinschaftlicher Kompetenz darstellt -ganz im Gegenteil: Nur eine extensive Interpretation des EWG-Vertrages erlaubte überhaupt, Anfang der siebziger Jahre mit der neuen Politik zu beginnen Motiviert wurde der Start durch wirtschaftliche Interessen: Einheitliche Produkt-und Produktionsstandards sollten eine Gefährdung des Gemeinsamen Marktes durch unterschiedliche Umweltschutznormen verhindern Allmählich, insbesondere seit den achtziger Jahren, erhielt die gemeinschaftliche Umweltpolitik aber ein eigenständiges Gesicht und dehnte sich auf immer weitere Bereiche aus. Als Kompromiß zwischen dem Bedürfnis der Nationalstaaten nach weitgehender Eigenständigkeit und der zunehmenden Kompetenzverlagerung auf die EG wurde schon frühzeitig der Grundsatz der „geeigneten Aktionsebene“ eingeführt
Mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) und den Beschlüssen von Maastricht änderte sich die Situation dann grundlegend -zumindest optisch. Unbestreitbar ist die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für eine EU-Umweltpolitik, der neue Titel XVI -Umwelt -des EG-Vertrages. In bezug auf die faktischen Veränderungen sind die Ansichten aber durchaus geteilt: Während einige von einem großem Fortschritt hinsichtlich der Bedeutung der EEA für die EU-Umweltpolitik sprechen, sehen andere nur marginale Änderungen Ebenso geteilt sind die Ansichten über die Maastrichter Beschlüsse. Die tatsächliche Bedeutung der Vertragsänderungen hängt angesichts der unklaren Formulierung vieler Paragraphen von ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof bzw. durch die politischen Entscheidungsträger ab.
Doch nicht nur einige für den Umweltschutz wichtige Paragraphen werfen dieses Problem auf, auch die grundsätzliche Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen EU und Nationalstaaten bleibt zunächst offen. Statt des Prinzips der geeigneten Aktionsebene soll in Zukunft das (rigidere) Subsidiaritätsprinzip gelten: „In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.“ *G*erichtlich ist eine solche Formulierung natürlich nicht oder nur schwer nachprüfbar. Die Frage, ob es zu weiterer Zentralisierung der Umweltpolitik auf EU-Ebene kommen wird, läßt sich weder mit Hilfe des neuen Prinzips noch mit Hilfe der einzelnen umweltrelevanten Artikel eindeutig beantworten. Die neuen Verträge sind in dieser Frage vielmehr ausgesprochen ambivalent. Vermutet man aufgrund der Einfügung eines neuen Titels „Umwelt“ eine zunehmende Zentralisierung, so steht dem die Betonung des Subsidiaritätsprinzips gegenüber. Erwartet man infolge der vielen Ausnahmeregelungen eine Dezentralisierung, dann stellt sich dem der neue Abstimmungsmodus im Umweltbereich entgegen: Infolge der Beschlußfassung mittels qualifizierter Mehrheit kann der einzelne Staat seine abweichenden umweltpolitischen Vorstellungen nicht mehrdurch ein Veto verteidigen. Der rechtliche Kontext allein (insofern unterscheidet sich die Situation heute dann auch nicht von der Situation vor Verabschiedung der beiden Vertragswerke) erlaubt mithin keine Antwort auf die Frage künftiger Brüsseler Kompetenzen in der Umweltpolitik. Deshalb muß auf anderen Wegen versucht werden, Aufschluß über die zukünftige Entwicklung zu erhalten.
Zum einen ist zu fragen, welche Motive bis zur Verabschiedung der EEA für die Ausdehnung der gemeinschaftlichen Tätigkeit verantwortlich waren. Dabei zeigt sich, daß wirtschaftliche Erwägungen der oben genannten Art (Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen, Handelshemmnisse durch unterschiedliche Produkt-und Produktionsstandards) zwar für die Entstehung, nicht aber für die extreme Erweiterung der gemeinschaftlichen Umweltpolitik eine hinreichende Begründung darstellen Vielmehr kommen andere Ursachen hierfür in Betracht, so u. a. das Bedürfnis der stärker umweltbelasteten und zahlungskräftigeren Staaten, ihre Standards überall einzuführen (gegen finanzielle Zugeständnisse), oder die Möglichkeit für die Regierungen der Mitgliedstaaten, durch eine gemeinschaftliche Regelung gewisse Politikfelder der Kontrolle durch die nationalen Parlamente oder die Regionen (Länder) zu entziehen und somit ihre eigene Macht auszudehnen Da es keinen Grund gibt, weshalb solche oder ähnliche Motive in Zukunft an Bedeutung verlieren sollten, ist aus dieser Sicht eine weitere Zentralisierung wahrscheinlich.
Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man bei der Betrachtung der Entwicklung seit der Einführung der EEA. Die Zahl der umweltpolitischen Rechtsakte ist rapide angestiegen, anstatt, wie infolge des Subsidiaritätsprinzips zu erwarten wäre, zurückzugehen Überlegungen wie die einer „grünen EU-Polizei“ oder auch die Einrichtung einer „Europäischen Umweltagentur“ deuten in die gleiche Richtung Wirft man schließlich einen Blick auf die von der EU selbst angestellten Prognosen, so wie sie im Kommissionsvorschlag für das Fünfte Umwelt-Aktionsprogramm geäußert werden, so kann man sich der Illusion einer zurückhaltenden Vorgehensweise seitens Brüssel nicht mehr hingeben. Die Aufzählung aller Politikbereiche, für die sich Brüssel verantwortlich fühlt (z. B. städtische Umwelt), und die Hervorhebung der eigenen Rolle (z. B. bei Produktnormen oder auch bei der Festlegung von Emissionsgrenzwerten) bekräftigen die Vermutung, daß von einer Rücknahme der bestehenden Zentralisierung oder auch nur einem Verharren auf dem Status quo nicht auszugehen ist.
Aller Voraussicht nach werden nicht nur die nationalen Parlamente von dieser Entwicklung betroffen sein, mehr noch ist mit einem Bedeutungsverlust der Regionen zu rechnen. So verwundert es auch nicht, daß sich gerade von dieser Seite langsam Widerstand bemerkbar macht. Kommunen und Regionen (wie auch teils die nationalen Parlamente) fragen sich zunehmend, welche Rolle ihnen noch von der Union zugestanden wird. Als Antwort erhalten sie das „Konzept der gemeinsamen Verantwortung“ das vordergründig ihre Position betont, gleichzeitig aber das Subsidiaritätsprinzip verwässert.
Nun wäre eine Ausweitung der EU-Kompetenzen auf dem Gebiet des Umweltschutzes unproblematisch, wenn es sinnvolle Argumente dafür gäbe bzw. wenn die Gründe, die für einen dezentralen Ansatz sprechen, eindeutig weniger Gewicht hätten. Dies ist aber kaum der Fall: Zunächst einmal kann eine Vielzahl von Gründen für eine dezentrale und gegen eine zentrale Umweltpolitik angeführt werden. Ein dezentrales Vorgehen bewirkt, wie eingangs skizziert, einen Wettbewerb zwischen den Regionen und Nationen in der Union, der tendenziell innovative und flexible Politik fördert Für Bewohner und Unternehmer bietet sich dazu die Möglichkeit, die interregionale Arbitrage auszunutzen. Regionale oder kommunale Umweltpolitik schafft darüber hinaus Partizipationsmöglichkeiten für den einzelnen sie kann sich den lokalen ökologischen, kulturellen und geographischen Gegebenheiten besser anpassen und sie ist auch von Bedeutung im bestehenden, funktionie-renden Zusammenspiel der Verwaltungsstrukturen vor Ort -eine Zentralisierung eines Politik-bereiches, hier: der Umweltpolitik, wird oftmals andere Bereiche hemmen
So offensichtlich die Vorteile einer Dezentralisierung sind, so deutlich sind die Nachteile einer Zentralisierung: erhöhte Kosten und unnötige Uniformität. Fraglich ist schließlich, ob von einer Wirtschaftsgemeinschaft ein ausreichendes Verständnis für die Lösung umweltpolitischer Probleme erwartet werden darf Fällt es alles in allem nicht schwer, gute Argumente für eine dezentrale Entscheidungsstruktur zu finden, dann bedarf es schon einer sehr präzisen Rechtfertigung, weshalb trotzdem an einem Kurs fortschreitender Zentralisierung festgehalten wird.
Ein mögliches Argument, die Gefahr, daß es zwischen den dezentralen Behörden zu einem Wettbewerb um Kapitalattrahierung zu Lasten der Umweltstandards kommen könnte, wurde in Modellbetrachtungen bereits mehrfach widerlegt Solange keine „spillovers“ (grenzüberschreitende Umweltverschmutzung) vorliegen, ist vielmehr davon auszugehen, daß dezentrale Behörden viel eher in der Lage sind, das optimale Umweltniveau zu bestimmen und zu erreichen als zentrale Behörden; „spillovers“ hingegen führen tendenziell zu einer Unterversorgung mit dem Gut Umwelt.
Bei dezentraler Kompetenzaufteilung läßt sich dieses Problem nur bedingt umgehen. Verhandlungslösungen (gegebenenfalls Kompensationszahlungen) werfen eine Reihe von Schwierigkeiten auf; so werden beispielsweise alle Seiten daran interessiert sein, ihre aus den Immissionsschäden oder der Emissionsvermeidung resultierenden Kosten hochzuspielen. Auch ist aus allgemeinpolitischen Erwägungen schwer vorstellbar, daß es in der EU zu Kompensationszahlungen der betroffenen an die emittierenden Regionen für Reduktionsleistungen kommen wird. Lösungen auf dem Wege des internationalen Haftungsrechts sind wegen der hohen Transaktionskosten und der oft unmöglichen Bestimmung des genauen Schadensverursachers nur begrenzt praktikabel. Der Verwirk-lichung von „fiscal equivalence“ schließlich stehen nicht minder gravierende Probleme im Wege (Abgrenzung des Betroffenenkreises, Anzahl der notwendigen neuen Institutionen usw.). Auf der anderen Seite stellt auch eine Zentralisierung der Kompetenzen nicht unbedingt einen idealen Ausweg dar; die dabei auftretenden Ineffizienzen mögen die Ineffizienzen dezentraler Umweltpolitik sogar überwiegen. Ein gemischter Ansatz, wie er sich durch Diffusionsnormen bietet (Festlegung und Überwachung der Qualität der Umweltmedien bei Passieren der Grenzen), mag in gewissen Fällen deshalb noch die beste Lösung darstellen Als weiteres potentielles Argument für eine zentralisierte Umweltpolitik muß die Frage schwer abbaubarer Schadstoffe erörtert werden. Der Gedanke, daß in das Entscheidungskalkül der dezentralen Behörden Langzeitschäden nur bedingt einfließen, weil die Nachkommen wahrscheinlich in anderen Regionen wohnen werden, kann eine Zentralisierung auf EU-Ebene jedoch nicht rechtfertigen; lediglich eine nationale Umweltpolitik kann so begründet werden. Die Tendenz zur Kapitalisierung der zukünftigen Schäden in den Bodenpreisen entkräftet darüber hinaus diese Argumentation Allerdings bedarf es zu einer auch im zeitlichen Ablauf effizienten Politik einer sehr weitgehenden Informationsbasis, die die Möglichkeiten dezentraler Verwaltungseinheiten oftmals überfordern dürfte. Zentrale Informationsleistungen sind hier aber als ausreichend anzusehen. Eine zentralisierte Umweltpolitik läuft demgegenüber gerade bei nur langfristig abbaubaren Schadstoffen Gefahr, die Situation einseitig auszunutzen: Die Mehrheit der Bevölkerung profitiert -solange die „spillovers“ nicht zu groß sind -, während die Minderheit (in der betroffenen Region) nicht einmal über ihre Schäden informiert ist (wird) Ein Argument, das gerade in der Bundesrepublik sehr häufig angeführt wird, um umweltpolitische Entscheidungen auf EU-Ebene zu rechtfertigen, ist die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen (insbesondere infolge unterschiedlich rigider Produktionsstandards) Dabei wird geflissentlich übersehen, daß Umwelt nichts anderes ist als ein immobiler Ausstattungsfaktor (wie auch Boden oder zum Teil Arbeit). Insofern gibt es keinen Grund, weshalb nicht auch für das Gut Umwelt die Preise differieren sollten. Erst auf diese Weise schließlich wird die Ausnutzung komparativer Standortvorteile innerhalb der Union möglich; gleiche Preise würden einer ineffizienten Allokation des Gutes Umwelt nur Vorschub leisten. Davon abgesehen wäre, insbesondere im Fall von Auflagen, nicht einmal der selbstgestellte Anspruch von Gleichbehandlung gewährleistet, denn die Auswirkungen von Umweltschutzvorschriften auf die Kostensituation einzelner Betriebe hängt stark von Faktoren ab, die von einer gemeinschaftlichen Umweltpolitik nicht beeinflußt werden können. Eine Vereinheitlichung der Anforderungen bewirkt also gerade erst die zu verhindernde Wettbewerbsverzerrung
Auch der Wunsch, Marktsegmentierung zu vermeiden, muß nicht automatisch eine Harmonisierung und Zentralisierung der Umweltpolitik nach sich ziehen. Solange Steuern als umweltpolitisches Instrument gewählt werden, kann in vielen Fällen auf eine homogene Politik verzichtet werden gleiches gilt im Falle von „adds-on“, also wenn Auflagen durch relativ einfach zu bewerkstelligende technische Ergänzungen erfüllt werden können. Bedauerlicherweise steht der Drang Brüssels nach einheitlichen Steuern dem aufgezeigten Weg entgegen. Außerdem finden sich umweltbewußte Staaten (oder Regionen) nach geltendem EU-Recht in ständiger Begründungspflicht für alle Schutzmaßnahmen, die den Handel in irgendeiner Weise tangieren So wird forcierte dezentrale Umweltpolitik unter den gegebenen Umständen zumeist mit einer Klage der Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof rechnen müssen.
Zieht man eine Bilanz der Einwände gegen dezentrale Umweltpolitik, dann entpuppen sich nur wenige als wirklich stichhaltig. Eine grundsätzliche Ablehnung dieses Politikansatzes läßt sich auf keinen Fall rechtfertigen. Insbesondere angesichts der zahlreichen Gründe, die wiederum gegen einen zentralen Ansatz sprechen, bleibt es unverständlich, warum in der Umweltpolitik zunehmend Brüssel entscheiden soll. Die Schlußfolgerung erscheint zwingend, daß statt fortschreitender Zentralisierung erst die Frage zu überdenken wäre, inwieweit, auf welchen Gebieten und wie lange eine solche Zentralisierung sinnvoll ist.
Bei der Beantwortung dieser Fragen ist zunächst zu beachten, daß sich eine institutioneile Ordnung für die Umweltpolitik in Europa nicht auf die Alternative beschränken muß, entweder alle Kompetenzen in die Hände der EU zu überführen, oder sie bei den Nationalstaaten bzw.den Regionen zu belassen. Es kann in vielerlei Hinsicht entsprechend den Notwendigkeiten unterschieden werden. So kann die Regelung einer Materie auf EU-Ebene eine zeitliche Differenzierung für die Mitgliedstaaten beinhalten; sie kann eine nur begrenzte Harmonisierung vorsehen, oder sie kann auch nur einen Teilbereich des Gebietes betreffen -etwa nur Grenzwerte vorgeben, aber die Wahl der Instrumente den Mitgliedstaaten überlassen Ein solches Vorgehen würde von den der Union zugrundeliegenden Verträgen durchaus unterstützt.
Fragt man nun nach ökonomischen Kriterien für die Bestimmung einer optimalen institutioneilen Zuordnung von Verantwortlichkeiten, so kommen vor allem sieben Kostenfaktoren in Betracht Während Verwaltungskosten, Kosten aus „internality“ -Situationen und zu weit gehender Harmonisierung eher für eine dezentrale Ausrichtung sprechen, weisen mit „spillovers“ verbundene Kosten, „economies of scale“ und Kosten aus potentieller Marktsegmentierung tendenziell in die entgegengesetzte Richtung; Verhandlungskosten schließlich variieren eindeutig mit dem zugrunde-liegenden Problem. Eine getrennte Betrachtung erfordert die Frage institutioneller Neuschöpfungen: Die Schaffung neuer Behörden kann zwar in mancherlei Hinsicht Kosten reduzieren, sie ist aber andererseits mit besonderen Nachteilen behaftet, so daß sie nur in Ausnahmefällen eine geeignete Lösung sein dürfte.
Unter Beachtung der verschiedenen Kostenfaktoren, die mit unterschiedlicher institutioneller ZuWeisung verbunden sind, kann dann der Versuch unternommen werden, eine Skizze einer „optimalen“ Kompetenzverteilung für die europäische Umweltpolitik zu zeichnen. Für lokale Luftverschmutzung, stehende Gewässer, Schallschutzmaßnahmen und immobile Schallemissionsquellen, Bodenschutz und Siedlungsabfälle erweist sich regionale oder lokale Zuständigkeit als am effizientesten. EU-Verantwortlichkeit sollte (auf der Basis dieser ausschließlich ökonomischen Faktoren) dagegen im Bereich weiträumiger Luftverschmutzung und globaler Umweltprobleme angestrebt werden. Nationale Befugnisse, teilweise im Verbund mit EU-Kompetenzen, ergeben sich für mobile Emissionsquellen im Bereich der Luftverschmutzung und des Lärms, für Chemieprodukte, für Sondermüll sowie Natur-und Landschaftsschutz. Für Fließgewässer hingegen erscheint die Errichtung eigens dafür kreierter Institutionen empfehlenswert
Im Zusammenhang mit dieser Skizze ist natürlich zu unterstreichen, daß ökonomische Kriterien allein nicht ausreichen, um eine sinnvolle institutionelle Ordnung zu definieren. Da andererseits die Ergebnisse einer Anzahl von politikwissenschaftlichen Studien in dieselbe Richtung weisen, können die erheblichen Diskrepanzen, die zwischen der erwarteten fortschreitenden Zentralisierung umweltpolitischer Kompetenzen und der vorgeschlagenen institutioneilen (Neu-) Ordnung bestehen, nicht einfach übergangen werden, vielmehr sollten einige Lehren gezogen werden wie beispielsweise: -Die Befugnisse der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Umweltschutzes sind teilweise zugunsten der Regionen zu reduzieren. -Die gemeinschaftlichen Kompetenzen sollten auf einige Schwerpunktbereiche, insbesondere bei ausgeprägten „spillovers“ oder erheblichen Kosten durch eventuelle Marktsegmentierung, beschränkt werden. -Dort, wo eine Verantwortlichkeit der Union zu befürworten ist, sollte diese dann aber auch uneingeschränkt in Brüssel liegen; die Kompetenzen der EU müssen deshalb in einigen Bereichen, vor allem bei der Implementierung getroffener Beschlüsse, ausgedehnt werden. -Alle Möglichkeiten differenzierter Umweltpolitik innerhalb der EU müssen prinzipiell offen-stehen, auch ein Europa der „zwei oder mehr Geschwindigkeiten“ darf kein Tabu sein. -Solange Brüssel auch in den unbedeutendsten Fragen von dem Konsens aller (oder der allermeisten) Mitgliedstaaten abhängt, kann dort effiziente Politik nicht betrieben werden. Um zu schnelleren und effektiveren Entscheidungen zu kommen, ist eine Ausdehnung der Befugnisse des Europäischen Parlamentes ebenso in Betracht zu ziehen wie eine Beschlußfassung des Rates mit einfacher Mehrheit. -Eine derartige institutioneile Entflechtung dient nicht zuletzt dem Ziel der Verhinderung der bestehenden Diffusion politischer Ver, antwortung. Momentan fungiert die EU in mancher Hinsicht als Tarnkappe für die Umweltminister der Mitgliedstaaten -die Verantwortung für politische Fehlleistungen wird allzu oft nach Brüssel abgeschoben. Auch aus dieser Sicht verstärkt der bestehende Zentralisierungstrend nur die herrschende Ineffizienz.
III. Fazit
Ein „gesunder“ Föderalismus in der Umweltpolitik, der nicht zuletzt die Rolle der Regionen betont, verbunden mit klarer Kompetenzabgrenzung, ist somit das Resultat dieser Überlegungen. In manchen EU-Ländern wie insbesondere Frankreich oder Italien werden solche Erkenntnisse sicherlich wenig Begeisterung hervorrufen; eine weitere Reduktion der Stellung der deutschen Bundesländer im Prozeß der europäischen Einigung wäre aber kaum vertretbar. Nur sie werden in der Zukunft imstande sein, die notwendige regionale Differenzierung in der Umweltpolitik zu gewährleisten. Demzufolge sollte es das besondere Anliegen der Bundesrepublik sein, eine weitere Zentralisierung der EU-Umweltpolitik zu verhindern.
Eigentlich ist diesen Ergebnissen nicht viel hinzuzufügen, es sei denn -zur Schließung des thematischen Rahmens -von einer breiteren politischen Perspektive her, die erstaunliche Parallelitäten zu der hier primär vertretenen allokationstheoretischen Sichtweise eröffnet. Beginnen wir mit Europa und der weit verbreiteten Europamüdigkeit, so können wir gerade in der Nach-Maastricht-Phase eine besondere Kritikfreudigkeit, eine sich steigernde Intensität des Protestes gegen die etablierten Mechanismen der Behandlung und Um-Setzung des Themas „Europa“ feststellen -die geringe Beteiligung an Europa-Wahlen ist hier noch der harmloseste Ausdruck. Die Bürger in vielen europäischen Ländern scheinen -ganz pointiert gesagt -erkannt zu haben, daß mit Verdrossenheit (gar Verachtung) argwöhnisch betrachtete politische Klassen, demokratisch unlegitimierte, bürger-ferne Techno-und Bürokraten sowie nationale Lobbies und multinationale Konzerne in konzertierter Aktion die endgültige Entmündigung des Bürgers in Europa festschreiben wollen. Ob diese Einschätzung in dieser Form richtig ist oder nicht, kann hier nicht kompetent und endgültig entschieden werden. Allerdings weisen die Trends in der von uns untersuchten Umweltpolitik, die im besonderen Maße auf individuelle Akzeptanz und Verhaltenswirksamkeit angewiesen ist, deutlich in Richtung auf Zentralisierung und Uniformierung -den polaren Gegensatz zu der hier diskutierten Vision der Regionalisierung, Dezentralisierung, Föderalisierung und Subsidiarität.
Welche Geisteshaltung hinter dem Drang zur Zentralisierung und Uniformität steckt, hat der ehemalige Umweltkommissar der EU und zwischenzeitliche Umweltminister Italiens Ripa di Meana einmal in einem Interview -fürwahr dekuvrierend -deutlich gemacht: Dort beschwor er die „Gefahr, die unter dem Deckmantel der Subsidiarität daherkommt“, dies nicht so sehr, weil „der Dreck nicht vor den Grenzen halt macht“ (was ein vernünftiger Grund für variable Föderalisierung wäre), sondern weil nur drei EU-Mitgliedstaaten eine gewisse „Umwelttradition“ aufwiesen, in den anderen Ländern aber eine „große Laxheit“ gegenüber der Umwelt vorherrsche. Und weiter im Originaltext: „Wollten wir die Umweltgesetzgebung renationalisieren, würde man diese neun Länder sich selbst überlassen.“ Deutlicher kann man eigentlich nicht sagen, daß einem die Präferenzen der Bürger, selbst im Heimatland, einigermaßen gleichgültig sind und daß man selbst am besten weiß, was den unwissenden und widerborstigen Bürgern guttut -die perfekte Entmündigung.
Hier feiert natürlich neben einem gehörigen Grad an Überheblichkeit das alte Meritorisierungsargument (der staatliche Eingriff in individuelle Präferenzen) fröhliche Urständ, das sich wissenschaftlich nicht zuletzt deshalb als unhaltbar erwiesen hat, weil alle Defekte, die Meritorisierung begründen könnten, entweder als solche widerlegbar oder aber heilbar wären -wenn man dies wollte. Die probate Art, sich vor Politikern dieser Couleur (die gerade dies nicht im Sinn haben) zu schützen, ist natürlich, sie nicht zu wählen, „so that bad rulers can be got rid of without bloodshed, without violence“, sagt Popper -aber wie schützt man sich vor EU-Bürokraten (der Perversion des civil servant zum uncivil master, wie Churchill einmal sagte), die nicht gewählt oder abgewählt werden können?
Die am Beispiel der Umweltpolitik exemplifizierte Botschaft aus dieser Untersuchung ist klar: Nur durch die Wiedergewinnung der Mündigkeit des einzelnen europäischen Bürgers ist auch die Müdigkeit an Europa zu überwinden -aber die Wiedergewinnung der Mündigkeit, nicht nur auf dem Felde der Umweltpolitik, bedeutet notwendigerweise auch Föderalisierung.