In einer ökonomisch schwierigen Situation, in der die Anpassungsprobleme vieler Unternehmen an eine veränderte Wirtschaftslage ökologische Belange zu verdrängen drohen, hat der vom Bundesminister für Umwelt bestellte Rat von Sachverständigen 1994 sein Umweltgutachten vorgelegt. Dieses Dokument wissenschaftlicher Politikberatung würde wenig Aufmerksamkeit verdienen, erschöpfte es sich in dem Appell, Umweltschutz als integrierten Bestandteil aller politischer Aktivitäten zu betrachten, oder würde es nur einen Katalog von Einzelmaßnahmen zur ökologischen Reparatur technisch-industrieller Schadensfälle enthalten. Was das Gutachten interessant macht, ist die Tatsache, daß es der Notwendigkeit einer ökologischen Modernisierung der Gesellschaft das Leitbild einer „dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung" (Sustainable Development) vorstellt, das sowohl konzeptionell die Umweltpolitik langfristig orientieren kann als auch bereits soweit ausgearbeitet ist, daß es für die Bewältigung konkreter Aufgabenstellungen als operationalisierbar erscheint. Da auf beiden Reflexionsstufen die Umweltethik nicht nur als Stichwortgeber oder philosophisches Beiwerk vorkommt, ist hier auch der eher seltene Fall gegeben, die Relevanz und Anschlußfähigkeit ethischer Prinzipien, Urteilskriterien und Handlungsorientierungen für Probleme der Risikoabschätzung, Güter-und Übelabwägung zu demonstrieren.
Die technisch-industrielle Zivilisation ist für viele kritische Zeitgenossen an einem Wendepunkt angelangt. Seit geraumer Zeit mehren sich die Anzeichen, daß der weitere Lauf der modernen Welt weniger von der Ausbeutung natürlicher Ressourcen bestimmt wird als von der Konfrontation moderner Gesellschaften mit ihren technisch-industriell produzierten Selbstgefährdungen. Die ökologische Krise hat gezeigt, daß das technisch-industrielle Fortschrittsparadigma nicht linear fortgeschrieben werden kann, da es sonst Gefahren hervorbringt, die in demselben Maße steigen, wie es zur erfolgreichen Beherrschung der menschlichen Lebensbedingungen beiträgt.
Es ist ein Stadium der Sozialgeschichte erreicht, „in dem die mit dem bisherigen Weg der Industriegesellschaft erzeugten Gefährdungen ein Über-gewicht erlangen. Damit stellt sich die Frage der Selbstbegrenzung dieser Entwicklung ebenso wie die Aufgabe, die bisher erreichten Standards (an Verantwortlichkeit, Sicherheit, Kontrolle, Schadensbegrenzung und Verteilung von Schadensfolgen) im Hinblick auf die Gefahrenpotentiale neu zu bestimmen“ Allerdings hängt der Erfolg solcher Bemühungen davon ab, daß die Dynamik der in der Moderne entfesselten Produktivkräfte so eingesetzt werden kann, daß es nicht zu einem destruktiven Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur kommt. Zu kurz greifen Ansätze, welche die Sicherung von Fortschritt und Zukunft lediglich als eine politisch-ökonomische Planungs-, Entscheidungs-und Gestaltungsaufgabe darstellen. Eine sich selbst überlassene Technik, Wissenschaft und Wirtschaft kann den erreichten Verfügungsspielraum über die Natur nicht mehr beherrschen. Es gibt offenkundig technisch Unableitbares, ökonomisch Unverrechenbares und politisch Unverfügbares, dessen Mißachtung moderne Gesellschaften um ihre Zukunft bringt. Daher bedarf es eines neuen soziokulturellen Leitbildes, das unter „Fortschritt“ mehr versteht als die eindimensionale Funktions-und Effizienzsteigerung gesellschaftlicher Teilsysteme.
Auf eine solche Neudefinition, die auch politisch verbindliche Zielvorgaben enthält, drängt seit Jahren die umweltethische Diskussion Inzwischen ist diese Diskussion über das Stadium der Begründung von umweltethischen Denkansätzen (z. B. Anthropozentrik, Pathozentrik, Biozentrik) hinausgekommen. Der Schwerpunkt liegt nunmehr auf der Formulierung von Kriterien ökologisch-ethischer Urteilsbildung und Handlungsorientierung (z. B. Umwelt-und Sozialverträglichkeit), die zugleich anschlußfähig sind für die in den Teilsystemen Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Politik anstehenden Erörterungen zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit moderner Gesellschaften Z*ugleich ist eine zunehmende Bereitschaft zum interdisziplinären Diskurs, eine wachsende Aufgeschlossenheit für umweit-und sozialethische Fragestellungen auch auf seiten der Vertreter von Wirtschaft, Technik und Politik feststellbar.
In einer ökonomisch schwierigen Situation, in der die Anpassungsprobleme vieler Unternehmen an eine veränderte Wirtschaftslage ökologische Belange zu verdrängen drohen, hat der vom Bundesminister für Umwelt bestellte Rat von Sachverständigen 1994 sein Umweltgutachten vorgelegt. Dieses Dokument wissenschaftlicher Politikberatung würde wenig Aufmerksamkeit verdienen, erschöpfte es sich in dem Appell, Umweltschutz als integrierten Bestandteil aller politischen Aktivitäten zu betrachten, oder würde es nur einen Katalog von Einzelmaßnahmen zur ökologischen Reparatur technisch-industrieller Schadensfälle enthalten. Was das Gutachten interessant macht, ist die Tatsache, daß es angesichts des Struktur-wandels der Wirtschaft und angesichts der Notwendigkeit einer ökologischen Modernisierung der Gesellschaft ein ökologisch-ökonomisches Leitbild vorstellt, das sowohl konzeptionell die Umweltpolitik langfristig orientieren kann als auch bereits soweit ausgearbeitet ist, daß es für die Bewältigung konkreter Aufgabenstellungen als operationalisierbar erscheint.
I. Dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung
Mit dem Umweltgutachten 1994 hat sich der Um-weltrat der Aufgabe gestellt, ein Konzept der methodischen Grundlagen für die Umsetzung des Leitbildes einer „dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung“ (Sustainable Development) zu erstellen Im Vordergrund steht nicht der Versuch einer flächendeckenden Bestandsaufnahme der Umweltsituation in Deutschland oder die Empfehlung bestimmter Maßnahmen zur Realisierung einzelner umweltpolitischer Vorhaben. Primäres Ziel ist vielmehr die systematische Entwicklung eines integrativen Ansatzes für ein umweltpolitisches Gesamtkonzept. Es geht dem Umweltrat dabei vordringlich um eine Überwindung des Mangels an Grundorientierungen und Bewertungsmaßstäben für einen sachgemäßen Umgang mit der Flut um-weltpolitisch relevanter Daten, Theorien und Postulate. Das Leitbild der „dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung“ steht für einen der Umweltpolitik angebotenen kohärenten Bezugsrahmen zur Beurteilung und Gewichtung ökonomischer, sozialer und ökologischer Erfordernisse sowohl bei konkreten Entscheidungen als auch bei dem langfristigen Projekt einer nicht erst beim Versagen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Regulationsmechanismen einsetzenden Umweltpolitik. Mit diesem Leitbegriff ist die Erkenntnis verbunden, ökonomische, soziale und ökologische Entwicklungen notwendig als eine innere Einheit zu sehen, in der die einzelnen Faktoren weder voneinander abgespalten noch gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Nach Meinung des Umweltrates kann nicht mehr länger an einem Begriff von Fortschritt „als Kultivierung der menschlichen Lebenswelt ohne jede Rücksicht auf die umfassenden Zusammenhänge der diese Lebenswelt tragenden Natur festgehalten werden. Fortschritt und Kultivierung der menschlichen Lebenswelt stehen unter unab-dingbar zu respektierenden Regulativen, die die Natur selbst vorgibt“ (Tz. 22). Gefordert ist daher „die Einbindung der Zivilisationssysteme in das sie tragende Netzwerk der Natur, und damit die dauerhafte Ausrichtung der sich fortschreitend entwickelnden Ökonomien an der Tragekapazität der ökologischen Systeme“ (Tz. 9). Soll die Wirtschaft zukunftsfähig sein, müssen die von ihr zu leistenden Produktionsprozesse in die sie tragenden ökologischen Kreisläufe eingebunden bleiben.
Dieser Ansatz trägt der Tatsache Rechnung, daß die ökologische Risikogesellschaft das Erbe der „klassischen“ Industriegesellschaft angetreten hat. Sie hat den Problemkonstellationen und Herausforderungen der „sozialen Frage“ neue hinzugefügt Bei der sozialen Frage ging es letztlich um ein Verteilungsproblem bzw. um die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen, welche die Sozialverträglichkeit der ökonomischen Entwicklung herstellen sollten. Wegweisend dabei waren ethische Impulse: der Gedanke der personalen Würde aller Menschen und das sich auf ihn gründende Bewußtsein der Solidarität als Bedingung zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit Bei der „ökologischen Frage“ geht es dagegen um eine Problem-konstellation, welche in ihren Herausforderungen und ihren Bewältigungsmöglichkeiten über die soziale Frage hinausgeht bzw. diese umgreift Wenn zu ihrer Bewältigung ethische Parameter einen relevanten Beitrag leisten sollen, müssen sie in ihrem Ansatz und Zuschnitt der Komplexität ihres Gegenstandes gerecht werden. Dies verlangt die Berücksichtigung der „Gesamtvernetzung“ aller Strukturen und Prozesse in der sozialen Lebens-welt des Menschen und seiner natürlichen Umwelt. Rückkopplungsphänomene, wechselseitige Abhängigkeiten, Synergieeffekte zeichnen diese Gesamtvernetzung aus. Auch sozialer Fortschritt wird künftig an dieser Form der Ressourcen-und Umweltorientierung zu messen sein. Für das Sustainability-Konzept gibt die Leistungsfähigkeit naturaler Mechanismen, Prozesse und Strukturen, auf anthropogene und soziogene Veränderungen ausgleichend zu reagieren, die Grenze vor, die eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung der Zivilisation nicht überschreiten darf. Das bedeutet grundsätzlich, daß die Nutzungsrate natürlicher Ressourcen nicht größer sein darf als ihre Regenerationsrate und daß die industrielle Freisetzung von (Schad-) Stoffen nicht größer sein darf als die Aufnahmefähigkeit der Natur.
Mit diesem Grundsatz ist zugleich eine Aufgabe benannt, die nur interdisziplinär, d. h. unter Beteiligung der Natur-und Kulturwissenschaften zu bewältigen ist. Denn „die“ Natur gibt es zum einen nur als eine evolutionäre Größe. Sie repräsentiert keine ein für allemal festgelegte statische Ordnung, sondern ist selbst durch immer neue Entwicklungsschübe und Veränderungen bestimmt. Was sich als „natürliches Gleichgewicht“ präsentiert, resultiert aus konfliktträchtigen Evolutionsprozessen. Und was zum anderen noch als Produkt der „natürlichen Evolution“ erscheint, ist in Wahrheit längst Bestandteil einer „vergesellschafteten“ Natur Am Ende der Moderne ist es technisch-industriellen Gesellschaften erstmals möglich, durch gezielten Eingriff in den genetischen Code die biologische Evolution zu beeinflussen und somit die ursprünglichen Abhängigkeiten zwischen sozio-kultureller und genetisch-biologischer Evolution umzukehren. Natur ist immer weniger etwas von sich aus Bestehendes, sondern erkenntnis-mäßig und praktisch immer mehr das Ergebnis des Zugangs zu ihr, d. h., sie ist kulturell mitkonstituiert. Kultur ist wiederum Teil jener Natur, die sie mitkonstituiert. Konkret: Die biologisch-physikalische Umwelt (Biosphäre) bildet kein Außerhalb der sozialen Lebenswelt (Soziosphäre) mehr. Das Ozonloch über den Polkappen und die Erwärmung der Erdatmosphäre sind „Naturereignisse“, die ihre Ursache nicht in der Natur, sondern in sozioökonomischen Entwicklungen haben. Im Zeitalter der Gentechnologie wird die Unterscheidung zwischen der unabhängig vom Menschen gewordenen „natürlichen“ Natur und der synthetischen, d. h. vom Menschen selbst hergestellten Natur hinfällig. Dieser Umstand hat unmittelbare Konsequenzen für die Frage nach den „natürlichen“ Regulativen einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung. Es ist dabei von einem Verständnis der Natur auszugehen, das diese als soziokulturell mitkonstituiert verstehen läßt. Gleichzeitig müssen moderne Gesellschaften zu einer Wahrnehmung der Natur finden, die integraler Bestandteil ihrer Selbstwahrnehmung ist
II. Ethische Grundlagen umweltgerechten Handelns
Soziale Evolution kann am Ende der Moderne nicht mehr als Emanzipation des Sozialen von den naturwüchsigen Fesseln und Zwängen menschlichen Miteinanders begriffen werden. Es geht nicht nur darum, den Unterschied des Sozialen von der Natur zu bestimmen, sondern auch seine unaufgebbare Beziehung zu ihr zu klären. Die Herausforderung der ökologischen Krise besteht nicht zuletzt darin, bei der Ermittlung der Existenz-bedingungen sozialer Systeme in der vergesellschafteten Natur jene objektiven Voraussetzungen einer gesellschaftlichen Praxis freizulegen, denen zugleich ein vernunftgeleiteter Weg der sozialen Evolution verpflichtet ist. Die Sondierung dieser Regulative markiert eine zentrale Aufgabe ökologischer Ethik, die politische Relevanz entwickeln will. Sie würde ihr eigenes Anspruchsniveau unterbieten, ginge es ihr um die Orientierung sozioökonomischer Prozesse an einer ursprünglichen, von menschlichen Eingriffen unberührten Natur, in der selbsttätige Lebens-und Austauschprozesse ablaufen. Wenn am Ende der Moderne Natur nicht mehr ohne Gesellschaft und Gesellschaft nicht mehr ohne Natur begriffen werden kann, ist dies kaum mehr ein zeit-und sachgemäßer Ansatz. Dies gilt auch für Versuche, die Natur zu remythisieren oder pantheistisch aufzuladen, um ihr auf diesem Weg normative Kraft zuzusprechen Die entscheidende Frage lautet vielmehr, unter welcher Rücksicht es ein Gebot der praktischen Vernunft ist, die Natur als Norm für die Gestaltung des Sozialen anzuerkennen Gesucht ist ein ethischer Ansatz, der bei der Begründung von Handlungsnormen sowohl die naturale Dimension personal-sozialer Existenz im Blick hat, als auch am Primat der Autonomie praktischer Vernunft („Selbstbestimmung“, „Selbstgesetzgebung“) festhält und nicht in ein vormodernes Vernunft-oder Moralverständnis zurückfällt.
Dieser Sachverhalt hat zunächst Konsequenzen für einen adäquaten umweltethischen Sprachgebrauch wie etwa für die Verwendung der Kategorie „Verantwortung“: Im Kontext eines nichtmythischen und nachmetaphysischen Naturverständnisses kann in bezug auf die Umwelt nur mehr von einer Verantwortung für diese Umwelt, nicht jedoch von einer Verantwortung vor ihr gesprochen werden (vgl. Tz. 24). Mit dieser Akzentsetzung ist sodann eine grundsätzliche Option für das weitere Profil einer Umweltethik verknüpft. Der Hinweis auf personale Instanzen, vor denen der Begriff der Verantwortung erst seine ethische Qualität erhalte (Tz. 24), signalisiert zugleich das ökologisch-ethische Paradigma des Gutachtens. Ansatz und Zuschnitt dieses Paradigmas lassen sich am ehesten als „ökologischer Humanismus“ oder „ökologisch aufgeklärte Anthropozentrik“ charakterisieren. Dabei werden die in der bisherigen umweltethischen Diskussion aufgekommenen Einwände und Vorbehalte gegen sin anthropozentrisches Denken keineswegs ausgeblendet, sondern zum Anlaß genommen, es aus seinen unbestreitbaren Engführungen zu befreien. 1. Personalität und ökologische Vernetzung Der anthropozentrisch begründete Anspruch des Ethischen, dessen prominenteste Fassung Immanuel Kants Kategorischer Imperativ darstellt, zielt zwar primär auf den Menschen „als den in seiner unverfügbaren Würde zu sichernden Adressaten dieses Anspruchs. Damit darf aber der Mensch nicht gleichzeitig auch zum einzigen Inhalt der sich daraus für ihn ergebenden moralischen Forderungen gemacht werden“ (Tz. 32). Von ihrer Intention her betreibt eine anthropozentrische Ethik weder eine Desensibilisierung gegenüber außermenschlichem Leben noch eine Degradierung der Natur zum bloßen Material für den Menschen. Die Achtung eines Eigenwertes der Natur, die Forderung nach Empathie angesichts leidender Lebewesen sind durchaus Inhalte, die mit ihrem Ansatz kompatibel sind. Umgekehrt würde der Verzicht auf das Grundanliegen dieses Ethiktyps, d. h. die Sicherung des moralischen Unverfügbarkeitsstatus des Menschen, seine Würde als Person, welches nicht zuletzt auch Fundament einer freiheitlich-demokratischen Sozialordnung ist, ein ethisches und politisches Gut aufs Spiel setzen, das in den ökonomischen und politischen Konflikten der Moderne mühsam errungen wurde. Wenn es zutrifft, daß die soziale Frage kaum anders als durch ein Konzept sozialer Gerechtigkeit zu überwinden ist, das auf dem Respekt personaler Würde und dem Bewußtsein der Solidarität basiert, dann wäre es kein Fortschritt, diese Art von „Anthropozentrik“ preis-zugeben. Wenn es ferner zutrifft, daß die Gerechtigkeits-und sozialpolitische Verteilungsproblematik der sozialen Frage heute eingelassen ist in die umfassendere umweltpolitische Vernetzungsproblematik, dann muß es allerdings auch darum gehen, der Beziehung „Mensch -Natur“ bzw. „Gesellschaft -Natur“ ethisch eigens Rechnung zu tragen. „Natur erweist sich als das die menschliche Existenz Übergreifende. [... ] Die Natur setzt ihre eigenen immer neuen Zwecke, deren Sinn nirgends einfachhin mit denen des Menschen zusammenfällt. Was hier zählt, ist der Verbund der jeweiligen Lebensformen in der Komplexität und im Reichtum ihrer Erscheinungen... In eben diese Natur-wirklichkeit ist menschliches Leben eingebunden. Die Verantwortung des Menschen für die außer-menschliche Natur gründet letztlich in der Einsicht, daß diese Natur in ihrem ebenso gewaltigen wie versehrbaren Potential nur in dem Maße verfügbar bleibt, wie der Mensch respektiert, daß sie nicht darin aufgeht, allein für ihn da zu sein“ (Tz. 33).
Die zentrale Aufgabe besteht in der Rückbindung der menschlichen Kulturwelt in das sie tragende Netzwerk der Natur. Für ein dementsprechendes Denken und Handeln steht die Kategorie der „Retinität“. Dieser vom lateinischen „rete“ (das Netz) abgeleitete Begriff rückt im Umweltgutachten zum umweltethischen Schlüsselprinzip auf: „Will der Mensch seine personale Würde als Vernunftwesen im Umgang mit sich selbst und mit anderen wahren, so kann er der darin implizierten Verantwortung für die Natur nur gerecht werden, wenn er die , Gesamtvernetzung 1 all seiner zivilisatorischen Tätigkeiten und Erzeugnisse mit dieser ihn tragenden Natur zum Prinzip seines Handelns macht“ (Tz. 36). Die Achtung dieses Prinzips stellt eine Grundbedingung für die Zukunftsfähigkeit moderner Gesellschaften dar. 2. Humanverträglichkeit und sozial-ökologische Verträglichkeit Bezogen auf die Gestaltung politischer Willensbildungs-und Entscheidungsprozesse führt die Vernetzungsthematik unmittelbar zur Frage nach der Ausarbeitung weiterer Kriterien zur Beurteilung der Human-bzw. Sozial-und Umweltverträglichkeit konkreter sozioökonomischer Zielsetzungen und Vorhaben. Die geforderte Verantwortung des Menschen für seine natürliche Umwelt wird dort wahrgenommen, wo die Wirkungen menschlichen Handelns sich im Rahmen der Tragekapazität der Natur und ihrer Ökosysteme bewegen. Dabei unterliegt dieses Handeln in einem zweifachen Sinn dem Postulat der Umweltverträglichkeit: Zum einen geht es um die Bedingungen „zur Sicherung der Eigenexistenz und der darin vom Menschen unabhängigen Eigenbedeutung der Natur“ (Tz. 40). Zum anderen gilt es, jene Folgen und Nebenwirkungen abzuschätzen, die menschliches Einwirken auf die Natur für seine eigenen Lebensbedingungen nach sich zieht. Damit ist bereits angedeutet, daß die Forderungen nach umweit-und sozialverträglichem Handeln nicht unabhängig voneinander erörtert werden können. Eingeschlossen in das Postulat der Sozialverträglichkeit ist sowohl die Verantwortung für die Lebenschancen und -rechte künftiger Generationen als auch die ökonomisch-gesellschaftliche Aufgabe, die ökologischen Kosten ökonomischer Innovationen zu ermitteln und mit Blick auf ihre Zumutbarkeit zu diskutieren. Natur darf nicht mehr länger als ein „freies Gut“ betrachtet werden, das im Überfluß vorhanden ist und als beliebig verfügbares Objekt von Technik und Industrie für eine auf maximale Produktion ausgerichtete Wirtschaft zum Nulltarif (aus-) genutzt werden kann
Ein Handeln, das diesen Postulaten gerecht werden will, verlangt nicht nur ein Umdenken, eine Abkehr von der traditionellen „Naturvergessenheit“ der Wirtschaftswissenschaft. Es muß sich auch niederschlagen in „auf Gegensteuerung und Restriktion gerichtete ordnungsrechtliche und preispolitische Maßnahmen“ (Tz. 9). Solche vom Staat gesetzten Rahmenordnungen können jedoch nur Bedingungen betreffen, die „durchgängig gemeinwohl-, also umweit-und sozialrelevanter Natur sind, nicht hingegen solche, die der spezifischen Entfaltung des einzelnen gelten und über deren Angemessenheit dieser allein von sich aus entscheiden muß“ (Tz. 45). Auch und gerade auf der Ebene selbstbestimmten, individuellen Handelns bedarf es eines ethischen Bewußtseins, das der Reduktion von Verantwortung für die soziale Mitwelt und natürliche Umwelt auf eine rein legalistische Position entgegentritt. Wenngleich die Freiheitssphäre des Individuums nicht von außen eingeschränkt werden darf, so ist sie doch auch vom Faktum der ökologischen Vernetzung nicht ausgenommen. Gerade die privaten Haushalte tragen wesentlich zur Verschärfung ökologischer Probleme bei wie z. B. durch Energieverbrauch, Konsumverhalten und Wegwerfmentalität. Nach Ansicht des Umweltrates verbieten sich zwar dirigistische Eingriffe, zumal den Mißbrauchsmöglichkeiten einer durch das Recht geschützten individuellen Freiheit ohne Gefahr der Preisgabe eben dieser Freiheit durch das Recht selbst nicht beizukommen ist. Für um so dringlicher wird aber die Ausbildung eines „Ethos verantworteter Freiheit“ (Tz. 47) erachtet. Die von ihm ausgehende normative Kraft für eine sozial angemessene und umweltverträgliche Gestaltung der menschlichen Lebenswelt wird für ebenso konstitutiv gehalten wie eine entsprechende Fortschreibung der Rechtsordung. Im Hinblick auf die Umsetzung umwelt-ethischer Ansprüche und auf die umweltgerechte Ausrichtung menschlichen Verhaltens sowie die hierzu erforderliche Mobilisierung eines Umweltbewußtseins sind nach Auffassung des Gutachtens somit zwei Handlungsebenen zu unterscheiden: „eine personale und eine strukturelle Ebene. Beide folgen je eigenen Kriterien, beide sind aufeinander bezogen und beide sind im Prinzip unersetzbar“ (Tz. 48). (Vgl. zu diesen grundlegenden Zusammenhängen die folgende Abbildung.) 3. Ethisch handeln zwischen Konflikt und Konsens Mit den bisher skizzierten Grundlagen, Postulaten und Kriterien umweltgerechten Handelns hat eine ökologische Ethik erst Teilziele erreicht. Ob sie tatsächlich verhaltensorientierend sein kann, bemißt sich danach, ob sie bei konkreten Entscheidungsproblemen, die durch Konkurrenz und Konflikt unterschiedlicher Interessen, Wertüberzeugungen etc. geprägt sind, die notwendigen Abwägungsleistungen erbringen kann. Solche Situationen nehmen in komplexen Gesellschaften ständig zu. Aber noch immer scheinen sie vom „Midas-Effekt“ eingeholt zu werden. Der antiken Sage nach wurde König Midas der Wunsch erfüllt, alles solle zu Gold werden, was er berühre. Nach einiger Zeit wurde klar, daß die Erfüllung dieses Wunsches nicht die Maximierung erfolgreichen Strebens nach Reichtum bedeutete, sondern dessen Verkehrung ins Negative. Gold kann man nicht essen. Eine derart kleinformatige, eindimensionale Erfolgskalkulation können sich ökologische Risikogesellschaften nicht leisten. Hier sind nur Kriterien hilfreich, die nicht auf die einlinige Verwirklichung eines einzigen Handlungszwecks abzielen, sondern sich auf die optimale Verknüpfung vielfältiger, miteinander gekoppelter und/oder einander widerstreitender Handlungsmöglichkeiten, Chancen und Risiken beziehen. Wo immer divergente Handlungsziele gegeben sind und negative Nebenwirkungen oder Risiken in Kauf genommen werden müssen, bedarf es eines Verfahrens der Güter-und Übelabwägung. Ein ethischer Risikodiskurs ist dort unumgänglich, wo quantitative Verfahren der Risikoabschätzung nicht mehr ausreichen oder überhaupt nicht mehr greifen. Diese Grenze ist bereits dort erreicht, wo präzisiert werden muß, was im Einzelfall als human-, sozial-oder umweltverträglich zu gelten hat.
Die Operationalisierbarkeit einer Umweltethik hängt wesentlich davon ab, ob sie für ein solches Verfahren entsprechende Regeln anbieten kann. Einen ersten Hinweis erbringt die Reflexion über die verschiedenen Wahrscheinlichkeitsgrade beiGefährdungen, ihr Umfang und ihre Dauer. In zwei Vorzugsregeln gebracht bedeutet dies:
Regel 1: „Unter sonst gleichen Umständen ist eine Handlungsweise, die ein bestimmtes Übel mit geringerer Wahrscheinlichkeit zur Folge hat, einer anderen Handlungsweise vorzuziehen, die das Übel mit größerer Wahrscheinlichkeit verursacht“ (Tz. 52).
Regel 2: „ Unter sonst gleichen Umständen ist bei Übeln, die unvermeidlich sind, das geringere dem größeren und das kürzere dem länger dauernden vorzuziehen“ (Tz. 52).
Bei der Anwendung dieser Vorzugsregeln ist zu berücksichtigen, daß sich Spät-und Nebenfolgen keineswegs immer als statische Größe ergeben, sondern in ihrem Ausmaß und in ihrer Dauer vom Menschen beeinflußt werden können. Dies schafft für ihre ethische Bewertung jeweils neue Ausgangslagen, so daß sich als eine weitere Handlungsmaxime formulieren läßt:
Regel 3: „Ein Handeln, das einem sittlich guten Ziel dienen soll, ist ethisch nur dann gerechtfertigt, wenn die mit ihm verknüpften negativen Nebenwirkungen auf das jeweils geringstmögliche Maß gebracht werden“ (Tz. 54).
Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß das grundsätzliche Entscheidungsproblem auch bei bestmöglicher Befolgung der Übelminimierungsregel nicht zu lösen ist und noch immer gegen eine in Aussicht genommene Maßnahme substantielle Zweifel angemeldet werden. Es stellt sich dann die Frage, nach welchen Maßstäben ein Handeln zu bewerten ist, das mit einem nicht eliminierbaren Bestand an negativen Nebenwirkungen behaftet ist. In diesemFall ist auf eine Übelabwägungsregel Bezug zu nehmen:
Regel 4: „Ein Handeln, das einem sittlich guten Ziel dienen soll, ist ethisch nur gerechtfertigt, wenn die als Nebenfolge eintretenden Übel geringer sind als die Übel, die aus einem Handlungsverzicht erwachsen würden“ (Tz. 54).
Wo immer also eine Maßnahme für notwendig gehalten wird, obwohl gegen sie weiterhin gravierende Vorbehalte geltend gemacht werden, ist nachzuweisen, daß die Schäden und Nachteile, die aus dem Verzicht auf diese Maßnahme entstehen, größer sind als die Nachteile und Risiken, die mit ihrer Realisierung entstehen
Als ein eigenes Problem stellt sich in diesem Kontext die Frage nach der Begründbarkeit und Rechtfertigungsfähigkeit von Entscheidungen, die unter Unsicherheiten zu fällen sind, welche sich trotz aller Bemühungen nicht ausräumen lassen. Derartige Unsicherheiten kann es sowohl hinsichtlich des Ausmaßes der mit der anstehenden Entscheidung gekoppelten möglichen Negativ-folgen geben als auch hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts. In dieser Situation gibt es im Prinzip nur folgende Alternative: Entweder führt die verbleibende Unsicherheit zu einem Handlungsverzicht, oder man setzt den Abwägungsprozeß fort und bleibt sich bewußt, daß die getroffene Entscheidung risikobehaftet ist, was wiederum dazu nötigt, jeden einzelnen Schritt unter den Anspruch der Übelminimierung zu stellen. Im ersten Fall wird das Gebot der Risikovermeidung in einem derart restriktiven Sinn ausgelegt, daß es unter Umständen gar nicht mehr dazu kommt, die mit einem Handlungsverzicht verbundenen negativen Nebenfolgen in das Entscheidungskalkül einfließen zu lassen. Ein solches Vorgehen bedeutet in der Konsequenz, bei einem Handlungsverzicht „womöglich noch größere Gefahren und Risiken billigend in Kauf zu nehmen“ (Tz. 59). Der Grundsatz, bei Handeln unter Unsicherheit dennoch Sicherheit auf dem Weg des Handlungsverzichtes herzustellen, führt eventuell zur Unterlassung innovativer Praxis und verhindert Fortschritte (z. B. in der Medizin), wo sie gerade auch aus ethischen Motiven gefordert sind. Wo man diesem „Tutiorismus“ nicht folgen will, muß „alles Erforderliche getan werden, um sowohl das wahrscheinliche Ausmaß der möglichen Schadensfolgen wie auch die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts so gering wie möglich zu halten“ (Tz. 59). Nach gleichzeitiger Maßgabe der Übelabwägungsregel wäre demgegenüber ein Hand-lungsverzicht nur dann geboten, wenn das Schadensrisiko bei Unterlassung der Maßnahme kleiner wäre als das Risiko negativer Folgen bei Realisierung der Maßnahme. Diese Einschränkung läßt sich noch dahingehend präzisieren, daß ein Handlungsverzicht dann geboten ist, „wenn das sich aus dem Handeln ergebende Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß kleiner ist als das sich aus dem Handlungsverzicht ergebende Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß“ (Tz. 59) Sämtliche Abwägungsmöglichkeiten aber haben dort ihre Grenze, wo jedes Handlungsziel Sinn und Wert verliert. Diese Grenze ist dann erreicht, „wenn die negativen Nebenfolgen, über die es zu erreichen ist, seinen positiven Wert übersteigen“
In einer ökologischen Risikogesellschaft gibt es wohl keine sinnvolle Alternative zu einer Umwelt-ethik, die sich dem komplexen und diffizilen Verfahren der Übelabwägung und Risikominimierung stellt. Nur so werden Entscheidungen und Handlungen möglich, „die sich in der jeweiligen Situation als das je und je Bessere und damit als das Bestmögliche erweisen“ (Tz. 60). Ein solches Konzept kommt an die Anziehungskraft anderer utopisch oder visionär getönter Entwürfe eines intakten Verhältnisses von Mensch und Umwelt nicht heran. Gegenüber Visionen und Utopien setzt es nüchtern auf die rationale Wahl des kleineren Übels -wohl wissend, daß die Risikogesellschaft ohne das größte Glück, aber nicht mit dem größten Übel leben kann. Das Bestmögliche kann zuweilen auch das kleinere Übel sein.
III. Der gesellschaftliche Ort der Umweltethik
Das Umweltgutachten markiert einen wichtigen Schritt bei dem Unternehmen, den Diskurs über die Selbstbegrenzung und den ökologischen Umbau der Industriekultur neu zu vermessen. Mit seinem umweltethischen Ansatz macht es klar, daß die Bestimmung des gesellschaftlich Verantwortbaren auch in ökonomisch schwierigen Zeiten nicht allein an den Sachzwängen oder der Eigen-logik von Ökonomie und Technik auszurichten ist. Sachzwänge sind stets nur das vermeintlich zwangsläufige Resultat vorher gefällter Grundentscheidungen, Zielsetzungen und Wertpräferenzen. Die Vernünftigkeit dieses normativen Kontextes zu überprüfen ist Aufgabe der Ethik. Sie insistiert darauf, daß das funktional Richtige zwar integrales Moment verantwortlichen Handelns ist, sich aber nicht darin erschöpft, sondern auch den weiter ausgreifenden Radius des human-, sozial-und umweltverträglichen Handelns zu berücksichtigen hat. Für die Bestimmung dieser Kriterien und ihrer Anwendung entwickelt das Gutachten lediglich eine Grammatik, die angesichts ihres Grades an Abstraktion und Komplexität anderen umweltethischen Entwürfen, die das dem Menschen und der Natur Zuträgliche inhaltlich bestimmen wollen, an Attraktivität unterlegen ist. Aber gerade dieser scheinbare Nachteil sichert den ethischen Grundsatzüberlegungen des Gutachtens ihre Anschlußfähigkeit bzw. Operationalisierbarkeit in verschiedenen sozio-kulturellen Feldern.
Allein eine sich auf die Grammatik der Handlungskoordinierung beschränkende Umweltethik ist kompatibel mit der Struktur moderner Gesellschaften. Ihre funktionale Differenzierung, arbeitsteilige Komplexität und weltanschauliche Pluralität steht jeder Verhaltensorientierung entgegen, die auf inhaltlich qualifizierte Ziele, Wertvorstellungen oder Handlungsmotive abstellt. Ein solcher gesamtgesellschaftlicher Konsens ist aber immer seltener antreffbar und immer schwieriger herstellbar. Neben der Koordinierung sozialen Handelns über eine einheitliche Wertordnung und Zielhierarchie ist noch eine weitere Integrationsmöglichkeit komplexer Gesellschaften denkbar: eine Koordination über Regeln, über formale Arrangements der Interaktion Hier gelten zwar auch Konsensanforderungen. Diese sind jedoch anders gelagert: Es geht um die allgemeine Zu-Stimmungsfähigkeit von Verfahren, Prozessen und Strukturen, die es gesellschaftlichen Akteuren erlauben, aus unterschiedlichen Motiven zu handeln und unterschiedliche individuelle Ziele zu verfolgen, ohne den Zusammenhalt des Ganzen zu gefährden. Die Moderne ist geradezu definiert durch den Übergang zu dieser Art sozialer Integration, und Koordination: Allgemein anerkannte Handlungsregeln, formale Arrangements der Interaktion ermöglichen sozial erwünschte Handlungsfolgen trotz heterogener individueller Handlungsziele und -motive Dies führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer Abdrängung ethischer Verhaltensorientierungen ins Private. Auch unter den Bedingungen der Moderne kann gesellschaftliche Interaktion durch die ethische Vernunft koordiniert werden. Der primäre Ort der ethischen Vernunft ist hierbei die politisch-ökonomische Rahmenordnung. Sie ist so zu konzipieren, daß ethische Ansprüche nicht gegen die Funktionslogik z. B.der Wirtschaft oder des Rechts durchgesetzt werden müssen, sondern in diese übersetzbar werden Für die gesellschaftliche Durchsetzung umweltethischer Zielvorgaben wäre es darüber hinaus förderlich, wenn gezeigt werden könnte, daß sich umweltethisches Handeln auch als ökonomisch rational erweist Warum soll ein Unternehmen für Produktionsabfälle eine Recyclinganlage bauen, wenn seine Konkurrenten dies nicht tun, damit Kosten sparen und Wettbewerbsvorteile erringen? Mit ethischen Argumenten eine umweltschonende Ökonomie zu fordern hat hier nur Sinn, wenn die allgemeine Befolgung der geforderten Verhaltens-maxime hinreichend gesichert ist. Und das bedeutet für einen ökonomisch denkenden Menschen: daß ihm Handlungsanreize geboten werden, die mit der Logik des Wettbewerbes und des Marktes kompatibel sind. Möglich ist dies am ehesten durch ein entsprechendes Arrangement der wirtschaftlichen Rahmenordnung, wodurch die Gewinnkalküle der konkurrierenden Unternehmen so beeinflußt werden, daß es sich für alle ökonomisch „rechnet“, sich umweltschonend zu verhalten Ökonomie und Technik können nur dann umwelt-und sozialverträgliche Wirkungen hervorbringen, wenn sich ihre Kräfte im Rahmen einer Handlungsordnung entfalten, die ökonomisch-technischen Prozessen vorgeordnet ist. Diesem Sachverhalt trägt das Umweltgutachten weitgehend Rechnung. Allerdings irritiert, daß einerseits von einer strukturellen und personalen Ebene der Umweltethik gesprochen wird, die aufeinander bezogen sind (vgl. Tz. 48), und andererseits auf der personalen Ebene „die eigentliche ethische Herausforderung“ (Tz. 46) geortet wird. Angesichts der Tatsache, daß in komplexen Gesellschaften Individuen in anonyme, unüberschaubare, vernetzte Abläufe und Strukturen eingebunden sind, kann eine Umweltethik nicht mehr einfach auf die Handlungsverantwortung der einzelnen allein abheben, sondern muß zugleich darüber reflektieren, wie eine Gesellschaft im ganzen organisiert sein muß, damit auf der personalen Ebene ein ethisch verantwortetes Handeln nicht von vornherein konterkariert wird. Das Zwei-Ebenen-Modell des Gutachtens blendet dabei den gesellschaftlichen Mesobereich zu sehr aus, obwohl ihm in dieser Frage besondere Bedeutung zukommt. Das Verhalten gesellschaftlicher Akteure und Kollektive (Institutionen, Verbände, Unternehmen, soziale Bewegungen) erfährt keine eigene umweltethische Qualifizierung. Aber gerade in diesem Bereich laufen entscheidende Prozesse ab. Die Konzentration auf einen ethischen Kriterienkatalog für Sozial-und Umweltverträglichkeitsprüfungen qua Regel-ethik läßt den Eindruck entstehen, als seien diese dazu gedacht, unabhängig von gesellschaftlichen Willensbildungs-und Entscheidungsprozessen Maßstäbe für die Akzeptabilität von Risikotechnologien zu liefern. Umwelt-und Sozialverträglichkeitsprüfungen sind jedoch darauf angewiesen, politisch institutionalisiert und hinsichtlich der beteiligten Personen bzw. Gruppen demokratisch legitimiert zu werden. Vielfach bedarf es auch erheblichen politischen Drucks „von unten“, daß bei Raumordnungsverfahren, Festlegungen von Grenzwerten für die Schadstoffbelastung von Nahrungsmitteln, Verkehrsleitplanungen etc. Umwelt-belange eigens berücksichtigt werden. Daß in der Vergangenheit diese Belange auf die gesellschaftliche Tagesordnung gekommen sind, ist weder den etablierten Parteien noch der Weitsicht der Regierenden zuzuschreiben. Es sind Bürgergruppen, Umwelt-und Naturschützer, es ist die ökologische Bewegung gewesen, die diese Themen gegen eine Koalition aus Ignoranz und Abwiegelei durchgesetzt haben. Sie sind entstanden aus ökologischen Betroffenheiten, die in der Lebenswelt von Individuen manifest werden, deren Ursachen aber strukturell bedingt sind.
Eine politische Kultur lebt davon, daß Definitionsmonopole und Handlungskartelle immer wieder aufgebrochen werden. Sie verlangt danach, daß angesichts der Krisen und Pathologien einer Risikogesellschaft der Streit über das provoziert wird, was künftig noch Wohlstand und Fortschritt genannt werden darf. Diesen Streit gesellschaftlich produktiv auszutragen, ist ein wesentliches Ziel fest einzurichtender Sozial-und Umweltverträglichkeitsprüfungen. Sie nähern sich dieser Vorgabe dadurch, daß sie einen Dissens hinsichtlich verschiedener leitender Interessen der gesellschaftlich relevanten Gruppen (z. B. Arbeitgeber, Gewerkschaften, Parteien, Umweltverbände) durch einen Konsens hinsichtlich des Verfahrens und der Regeln zur Konfliktbewältigung überwinden wollen. Bei der Handhabung formaler Regeln sind sie gleichwohl gezwungen, auf jene inhaltlichen Leitbilder von „Lebensqualität“, „Naturschutz“, „sozialer Sicherheit“, „sozialer Gerechtigkeit“ etc. Bezug zu nehmen, die gesellschaftlich im Umlauf und meist auch umstritten sind Expertenwissen kann hier gesellschaftliche Diskurse nicht ersetzen. Auch die moderne Medizin kann uns nicht sagen, wie wir gesund leben können, sondern nur wie wir leben sollen, wenn wir sagen können, was für uns „Gesundheit“ ist. Dies hängt von individuellen wie kollektiven Wertungen ab. Ähnlich verhält es sich mit umweltethischen Standards. Ökologische Risiken „gibt“ es nicht als solche Ihre Wahrnehmung und Einschätzung ist abhängig davon, was in einer Gesellschaft als „schädlich“ oder „zumutbar“ eingestuft wird. Damit ein entsprechendes Umweltwissen, ein umweltethisches Verantwortungsbewußtsein und politischer Veränderungsdruck entstehen kann, bedarf es eines Arrangements gesellschaftlicher Prozesse, das sich an einem Grundgedanken des Umweltgutachtens orientiert, und zwar dem der Vernetzung.
Hans-Joachim Höhn, Dr. theol. habil., geb. 1957; Studium der Philosophie und katholischen Theologie in Frankfurt/M., Rom, Freiburg und Bonn; Promotion 1984 in Freiburg; Habilitation 1989 in Bonn; seit 1991 Professor für Systematische Theologie an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln. Veröffentlichungen u. a.: Kirche und kommunikatives Handeln, Frankfurt/M. 1985; Vernunft -Glaube -Politik. Reflexionsstufen einer christlichen Sozialethik, Paderborn 1990; (Hrsg.) Theologie, die an der Zeit ist, Paderborn 1992; Gegen-Mythen. Religionsproduktive Tendenzen der Gegenwart, Freiburg-Basel-Wien 1994.
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