I. Einleitung
Seit Rachel Carson auf den „stummen Frühling“ aufmerksam machte, sind die umweltpolitischen Hiobs-Botschaften nicht mehr verstummt. Doch Rachel Carson wurde ebensowenig gehört wie andere früh empfindsam Gewordene.
Der erste Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ sorgte dann allerdings für weltweite Unruhe, die durch Herbert Gruhls „geplünderten Planeten“ eine beträchtliche nationale Steigerung erfuhr. Die sich anschließenden „Weltmodelle“ ernteten dagegen bereits weit weniger Interesse, obwohl sie keineswegs weniger eindringlich ausfielen, aber jene Präzisierung und Differenzierung boten, deren Fehlen es den Kritikern des Meadows-Berichts so einfach zu machen schien
Größte Aufmerksamkeit erlangte dann die „Inventarisierung der Zukunft“ durch den Bericht „Global 2000“, den der Präsident der Vereinigten Staaten in Auftrag gegeben hatte Da Carter sein Wahl-Amt bald verlor, sein Nachfolger Reagan aber geradezu diametrale Prioritäten setzte war das Interesse an dieser einzigartigen Untersuchung bald wieder verblaßt
Die Gefährdung der natürlichen Lebens-wie Produktionsbedingungen ist in der Folge durch vielfältige wissenschaftliche (Einzel-) Untersuchungen nicht nur immer eindringlicher belegt worden, vielmehr wurde die Bedrohlichkeit nun auch unmittelbar erlebbar; diese direkte persönliche Betroffenheit hat allmählich zu einem Einstellungswandel bei sehr vielen Menschen geführt, die sich auf verschiedene Weisen zu wehren begannen
Da auch die gruppenpluralistisch organisierte Demokratie der Zustimmung des Titular-Souveräns bedarf, vermochten sich die von unterschiedlichen (Gruppen-) Interessen geleiteten -und deshalb oft widerstrebenden -Parteien nun nicht mehr völlig zu verweigern; sie mußten sich dieser neuen -um-weltpolitischen -Herausforderung wenigstens durch entsprechende Programme stellen schon weil auf dem parlamentarischen Parkett „grüne Konkurrenz“ auftrat, die den Topos Ökologie zur politischen Blüte trieb.
II. Frühe umweltpolitische Ansätze
Zu beinahe allen Zeiten wurden Maßnahmen zum Schutz der Natur durchgeführt. Allerdings wechselten die Auffassungen über das jeweils Richtige und Notwendige
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges richteten sich die Interessen beinahe ausschließlich auf die (Re-) Konstruktion des Wirtschaftssystems, das sich bald als über die Maßen effizient erweisen sollte. Zu diesem Wiederaufbau paßten „rau-chende Schlote“, der Schutz der Umwelt fand dagegen kaum Protagonisten. Zu dem kleinen Kreis Vorausschauender zählten die aus Bundes-und Landespolitikern zusammengesetzte „Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Wirtschaftsweise“, die bereits 1952 „Grundsätze einer ökologiegerechten Politik“ zur Diskussion stellte,. sowie der „Deutsche Rat für Landespflege“, der Anfang der sechziger Jahre die „Grüne Charta von Mainau“ präsentierte, die Fernwirkungen auf die Umweltpolitik der siebziger Jahre ausübte.
Erste politische Konturen gewann das Thema Umwelt, als die SPD im Wahlkampf 1961 den „blauen Himmel über der Ruhr“ propagierte -dafür aber nur Spott erntete -und 1962 in Nordrhein-Westfalen das erste Immissionsschutzgesetz erließ. Bayern richtete dann 1970 ein eigenes Ministerium für Raumordnung und Umweltfragen ein -das erste Umweltministerium in Europa. Doch erst zu Beginn der siebziger Jahre wurde Umweltpolitik zu einem salonfähigen Thema, weil sich die Warnsignale ebenso verstärkten wie die internationalen Anstöße -vor allem aus den USA und Japan -sowie durch die Vorbereitungen zur Umwelt-Konferenz der Vereinten Nationen (UNCHE) 1972 in Stockholm. Dabei hatte die Koalition aus CDU/CSU und SPD erst 1967 das sogenannte Stabilitätsgesetz verabschiedet, das noch ganz im Zeichen wirtschaftlichen Wachstums stand, an die ökologischen Probleme dagegen keinen einzigen Gedanken verschwendete.
III. Umweltpolitik als politisch relevantes Thema
Die Koalition aus SPD und F. D. P., die 1969 die Regierungsgeschäfte übernahm, betrachtete die Etablierung der Umweltpolitik als einen wichtigen Teil jener Politik innerer Reformen, der sie sich erklärtermaßen verschrieben hatte.
Die Umweltpolitik der sozial-liberalen Regierung ist zwar nicht gerade „vom Himmel gefallen“, sie war in dem auf den Weg gebrachten Maß aber auch nicht zu erwarten, weil es weder bedeutende gesellschaftliche Akteure gab, die die Berücksichtigung der Umwelt bei politischen Entscheidungen nachdrücklich forderten, also kein (wahl) politischer Druck bestand, noch akute Katastrophen diese Politik zwingend notwendig machten. Man kann also davon ausgehen, daß die Regierung das Thema Umweltschutz relativ früh als genuin eigene Leistung auf die politische Agenda setzte -ein bemerkenswerter Vorgang.
Die seither betriebene Politik wird im folgenden in Phasen gegliedert, die mehr oder minder einheitlich dargestellt werden. Es kommt zwar zu gelegentlichen Abweichungen bei der zeitlichen Einteilung, und auch die Beurteilung der einzelnen Phasen wird unterschiedlich akzentuiert, über die grundlegenden Einschätzungen herrscht jedoch weitgehender Konsens. 1. Die Latenz-Phase (bis 1969)
Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) rechnete in seinem ersten „Umweltgutachten 1974“ die schon geschilderten umweltpolitischen Ansätze (Ziff. 2.) zur Latenz-Phase. Dazu werden auch die konkreten Schutzmaßnahmen gezählt die der Gesetzgeber veranlaßte, um insbesondere die Sicherstellung der Ressource Wasser zu gewährleisten, deren qualitative wie vor allem quantitative Grenzen am schnellsten spürbar wurden.
Diese Maßnahmen, die von BDI und DIHT forciert worden waren, orientierten sich an der Aufrechterhaltung und Sicherung der Produktionsbedingungen für die Verbraucher des Rohstoffs Wasser, hatten also weniger ökologische als vielmehr ökonomische Funktion, die zu gewährleisten der Staat verpflichtet wird 2. Die Initiations-Phase (1969-1974)
Die Übernahme der Regierung durch die Koalition aus SPD und F D P. ist als Beginn einer systematischen Umweltpolitik anzusehen. Die bisherigen umweltrelevanten Einzelaufgaben wurden zu dem eigenständigen Politikbereich „Umweltpolitik“ gebündelt und im „Umweltprogramm“ (1971) umfassend entwickelt.
Unklar bleibt, wie es zum plötzlichen Durchbruch der Thematik kam, die weder im Wahlkampf noch in der Regierungserklärung Willy Brandts eine Rolle gespielt hatte. Am ehesten trägt die Vermutung, daß die F D P. sich der Umwelt annahm, um sich gegenüber den Wählern, innerhalb der Regierung, aber auch innerparteilich mit einem Reform-Thema zu profilieren.
Die Regierung legte in kürzester Zeit die Grundlagen einer Umweltpolitik, die ohne Vorbild waren und vorbildlich blieben. Sie begann mit einem „Sofortprogramm“ (September 1970), dem im Oktober 1971 ein vollständig ausgearbeitetes „Umweltprogramm“ folgte, das -in der Fassung von 1976 -noch heute die Richtlinien der Umweltpolitik vorgibt; danach gelten das Vorsorge-, Verursacher-und Kooperationsprinzip als instrumenteile Handlungsgrundsätze Dazu wurden die legislativen Kompetenzen geändert. Durch Verfassungsänderung übernahm der Bund 1972 die konkurrierende Gesetzgebung im Bereich der Abfallbeseitigung, der Luftreinhaltung und der Lärm-bekämpfung.
Die administrativen Voraussetzungen wurden durch die Berufung des „Rates von Sachverständigen für Umweltfragen“ (1972) sowie die Errichtung des „Umweltbundesamtes“ (1974) verstärkt, die die wissenschaftliche Politikberatung unterstützen. Der Umweltschutz erhielt jedoch noch kein eigenes Ressort, sondern wurde beim Innenministerium angesiedelt.
Das weite Spektrum umweltpolitischer Maßnahmen aus legislativen Kompetenzänderungen, exekutiv-institutionellen Einrichtungen und konkreten gesetzgeberischen Akten die in kaum mehr als einer Legislaturperiode realisiert wurden, läßt die gesellschaftsreformerische Euphorie spüren, die unter sehr günstigen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen stattfand.
Eine der wesentlichen Vorbedingungen für die erfolgreiche Initiation der Umweltpolitik lag in der Bereitschaft der Wirtschaft und ihrer Spitzenverbände, dieses Vorhaben zu fördern, weil sie darin ihre eigenen Interessen erkannten und zugleich die Erwartung bestand, daß sich die Kosten für den Umweltschutz aus zusätzlichen Wachstumsgewinnen finanzieren lassen würden
Die Initiations-Phase ist dadurch gekennzeichnet, daß erstmals die thematischen, methodischen und institutionellen Grundlagen zur Schaffung eines eigenständigen Politikbereichs Umweltpolitik prinzipiell und systematisch gelegt wurden. Die konkreten politischen Maßnahmen des Gesetzgebers haben sich allerdings an überkommenen Mustern rechtlicher Regelungen und Strukturen orientiert, anstatt ein innovatives, auf die spezifischen Bedürfnisse des Umweltschutzes zugeschnittenes Konzept zu erarbeiten. Umweltpolitik und Um-weltrecht vermochten deshalb bloß auf bereits eingetretene Schädigungen bzw. akute Bedrohungen zu reagieren. Der Zugang zu den Umweltproblemen blieb segmentiert, auf die einzelnen Medien ausgerichtet; es ging primär um Entsorgung und Wiederherstellung annehmbarer Umweltbedingungen, um Schadensbegrenzung -es war eben erst die Phase der Initiation, nicht schon der Meisterschaft. 3. Die depressive Phase (1974-1978)
Der umweltpolitische Aufbruch war getragen von der Vorstellung der Plan-und Machbarkeit gesellschaftlichen Wandels, ermöglicht durch die wirtschaftliche Entwicklung, für die durch das Stabilitätsgesetz das keynesianische Instrumentarium antizyklischer Konjunkturpolitik bereitgestellt worden war.
Wie illusionär diese Vorstellung war, zeigte sich, als die OPEC im Herbst 1973 (und dann wieder 1979/80) die Preise für Rohöl drastisch erhöhte. Die Weltwirtschaft stürzte in eine tiefe Krise, und seither ist das Management von Krisen an die Stelle aktiv gestaltender Politik getreten. Die ökonomische Entwicklung stagnierte, die sozialen Probleme verstärkten sich, und die Umwelt(politik) hatte darunter zu leiden.
Die Tragik dieses Vorgangs liegt darin, daß seine ökologische Relevanz nicht erkannt wurde. Zwar ist das Wachstum des Energieverbrauchs seither vom Wachstum des Sozialprodukts abgekoppelt worden, aber die Chance des Ausstiegs aus der Verschwendung fossiler Energieressourcen und des Einstiegs in eine Politik regenerativer Energieträger, der die gegenwärtige Luft-und Klimaproblematik hätte verhindern, wenigstens reduzieren können, wurde vergeben. Statt dessen setzte die Politik auf den Ausbau der Atomenergie, die den Energiehunger zu stillen versprach, um so die kommenden Probleme anzuheizen.
Angesichts der verbreiteten Krisenstimmung lud Kanzler Schmidt Vertreter der Industrie, der Gewerkschaften und der für den technischen Umweltschutz zuständigen Bundesministerien zu einer Klausurtagung auf Schloß Gymnich am 3. Juni 1975 ein. Industrie und Gewerkschaften brachten gemeinsam vor, daß durch eine restriktive Um weltpolitik ein „riesiger Investitionsstau“ entstehe, die Energieversorgung gefährdet sei und durch die allgemeine Überforderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit weitere Arbeitsplätze bedroht würden.
Diese Gespräche führten zu einem Moratorium der Art, daß die Umweltpolitik zwar weitergeführt werden solle, die Wirtschaftsentwicklung dadurch aber nicht behindert werden dürfe; die ökonomischen Interessen erhielten dadurch gegenüber den ökologischen Notwendigkeiten wieder eindeutigen Vorrang Nach dieser revidierten Prioritätensetzung wurden bereits vorbereitete Gesetze zwar noch verabschiedet zwischen 1975 und 1978 aber keine neuen umweltpolitischen Gesetzesvorhaben mehr auf den Weg gebracht.
Zu diesen externen Einflüssen traten nun auch interne Störungen. Die Länder übten Widerstand gegen den Ausbau der Bundeskompetenzen beim Wasserschutz-und Naturschutzrecht, innerhalb der Bundesregierung wurden ressortspezifische Interessen stärker betont und in der F D P. erlangte der rechtsliberale Wirtschaftsflügel größeren Einfluß; zudem wurde die Aufmerksamkeit des für die Umweltpolitik zuständigen Innenministers durch den Terrorismus weitgehend absorbiert.
War der Umweltschutz in der Initiationsphase in der Offensive, so ist er im Gegenzyklus in die Defensive gedrängt worden; die ökologischen Erfordernisse hatten der Dominanz wirtschaftlicher und gewerkschaftlicher Interessen zu weichen. Umweltschutz sollte nur dann noch praktiziert werden, wenn dadurch nicht die sozioökonomischen Interessen beeinträchtigt würden. Aus diesem Junktim bildete sich die Kontroverse Ökologie gegen Ökonomie, die nun die Diskussion beherrschte. In dieser Zeit ist das gesellschaftliche (Protest-) Potential gegen die gefahrengeneigte technologische Umweltzerstörung angewachsen, weil die politischen Parteien den umweltpolitischen Diskurs noch immer scheuten 4. Die Phase der Politisierung (1978-1982)
Um die wirtschaftliche Entwicklung stand es auch in diesem Abschnitt nicht sonderlich gut. Dennoch vermochte sich die Umweltpolitik zu konsolidieren und sogar erste Ansätze einer Ökologisierung an-zunehmen. Der Grund für die Erholung der Umweltpolitik gegen Ende der sozialliberalen Koalition ist in der zunehmenden gesellschaftlichen Politisierung zu sehen. Seit Beginn der siebziger Jahre hatte sich eine Vielzahl von Bürgerinitiativen gebildet, die sich immer mehr auf die. Abwehr der als Bedrohung empfundenen Atomkraftwerke konzentrierten, sich dann aber zu einer breiten ökosozialen Bewegung weiterentwickelten. Daraus gingen grüne, bunte und alternative Listen mit umweltpolitischen Schwerpunkten hervor die sich 1980 zur grünen Partei zusammenschlossen, deren Programm als genuin ökologisch gekennzeichnet werden konnte
Die politischen Koordinaten hatten sich deutlich verschoben. Umweltpolitik sollte nicht mehr das exklusive Metier von Regierungen, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften sein, sondern eine generelle Aufgabe, an der größere Teile der Gesellschaft beteiligt sein wollten -die Umweltprobleme hatten über die veröffentlichte Meinung Zugang zu einer breiteren Öffentlichkeit gefunden; darauf deuten jedenfalls die Ergebnisse der Meinungsbefragungen und bald auch die veränderten Wählerpräferenzen hin Die etablierten Parteien gerieten dadurch in Zugzwang und reagierten mit der Formulierung deutlich umweltbezogener Programme.
Von der Bewußtseinsänderung der Bevölkerung profitierten die im Innenministerium aktiven Umweltpolitiker, deren Position durch die wahl-wirksame Stärkung des „ökologischen Protestes“ wieder höheren Stellenwert erlangte. Das Bundes-innenministerium (BMI) erteilte dem Umweltbundesamt (UBA) 1978 den Auftrag zum Entwurf eines Ökologieprogrammes, das den technischmedialen Umweltschutz auf eine breitere, die ökologischen Vernetzungen und die Belastungsgrenzen des Naturhaushalts stärker berücksichtigende Grundlage stellen und sich am Vorsorgeprinzip orientieren sollte. Damit sollte die Grundlage einer „ökologischen Wende“ (Staatssekretär G. Hartkopf) geschaffen und zugleich die Kompetenzen anderer Ressorts in die Verantwortung des BMI gelegt werden.
Inzwischen konnte und wollte auch die SPD das Feld der Umweltpolitik nicht mehr dem kleinen Koalitionspartner allein überlassen. Helmut Schmidt, der sich in Gymnich erstmals ausführlicher mit Umweltpolitik befaßt haben soll, emp fing 1979 die Umweltverbände zum Gespräch, allerdings noch ohne greifbare Ergebnisse. Aber schon Anfang 1980 verkündete er, daß Ökonomie und Ökologie keinen prinzipiellen Gegensatz bilden, sondern sich sinnvoll ergänzen müssen.
Dieser Auffassung vermochte sich auch die Wirtschaft nicht mehr völlig zu verschließen, weil inzwischen belegt war, daß durch Umweltschutz keineswegs nur Kosten verursacht, sondern im Gegenzug auch konjunkturpolitisch erwünschte Innovationen und Investitionen forciert werden konnten. Auch die Mehrzahl der Gewerkschaften unterstützten in dieser Zeit die Umweltpolitik der Regierung. Der pauschale Vorwurf eines prinzipiellen Gegensatzes von Ökonomie und Ökologie war hinfällig geworden und wird seither differenzierter behandelt, aber allen besseren Einsichten zum Trotz immer wieder vorgebracht.
In diesem politisierten Klima konnten auch wieder wichtige Gesetze verabschiedet werden doch der angesichts der gewandelten Rahmenbedingungen eröffnete Handlungsspielraum wurde nicht wirklich genutzt Statt die Möglichkeiten auszuschöpfen, setzte das BMI verstärkt auf -teilweise auch erfolgreiche -Verhandlungslösungen, brachte Überlegungen zum Einsatz ökonomischer Instrumente -vor allem Umweltnutzungszertifikate -ins Spiel und eröffnete die -inzwischen sehr erfolgreiche -Aktion „Umweltzeichen“.
Dieser letzte Abschnitt der sozial-liberalen Koalition bildet die wohl spannungsreichste Phase bundesrepublikanischer Umweltpolitik. Durch die Orientierung auf einen „postmaterialistischen Wertewandel“ hatten sich die politischen Kräfte-verhältnisse deutlich verschoben. Gesellschaftliche Gruppierungen forderten und erlangten einerseits Einfluß auf politökonomische Entscheidungen durch die Radikalisierung des ökologischen Protestes in der Form einer Negativ-Koalition gegen Atom-Anlagen, andererseits durch die Fundamental-Oppositionen der jungen grünen Partei(en).
Die Regierung hatte sich nun nicht nur mit internen Kompetenzschwierigkeiten zwischen den verschiedenen Ressorts auseinanderzusetzen, sondern auch mit externen Kontrahenten: der Wirtschaft, den Gewerkschaften, zunehmend mehr mit den Verwaltungsgerichten und schließlich mit den öko-logisch orientierten Kräften, die auf einem parlamentarischen „Spielbein“ standen und mit einem außerparlamentarischen „Standbein“ spielten.
Diese neuartige Konstellation, mit der sich die Politik wie die Wirtschaft aus pragmatischen Gründen auseinandersetzen mußten, weil sich die Genehmigungsverfahren aufgrund des gesellschaftlichen Protestes und der gerichtlichen Entscheidungen als immer langwieriger, teurer und unsicherer erwiesen, hätte offensive umweltpolitische Optionen eröffnen können. Die Politik begnügte sich aber mit dem Versuch, die Legitimation der Umweltpolitik durch lediglich angekündigte Offensiven zu erhalten weil sie die exekutive Administration nicht mit der Rückendeckung und den Ressourcen ausstattete, derer sie zur Durchsetzung einer „ökologischen Wende“ bedurft hätte 5. Resümee der sozialliberalen Umweltpolitik Hervorzuheben an der Umweltpolitik der SPD/F. D P. -Koalition von 1969 bis 1982 ist vor allem die Initiationsleistung der Regierung, die von intuitiven Impulsen weit stärker beeinflußt war als von drängenden Notwendigkeiten; insoweit läßt sich von einem Glücksfall sprechen. Die sozialliberale Koalition hat den Versuch unternommen, Umweltpolitik systematisch zu entwerfen und planvoll umzusetzen. Das Bemühen, Umweltpolitik erstmals als ein hinsichtlich der Ziele und Mittel geschlossenes Politikfeld zu konzipieren, kann als weitgehend gelungen angesehen werden. Dieser Ansatz hat die nachfolgenden Phasen überdauert und gilt noch heute als Referenzstandard, wenngleich in der jüngeren sozialwissenschaftlichen Diskussion Aspekte erörtert werden, die weit darüber hinausweisen
Als weniger gelungen muß dagegen der Einsatz der Instrumente und Institutionen einschließlich der Durchführung und Kontrolle zur Erreichung der umweltpolitischen Zielsetzungen angesehen werden. Obwohl sich die Umweltbedingungen in mancher Hinsicht -etwa bei der Qualität von Luft und Wasser -verbesserten, haben sich die Probleme insgesamt eher verschärft Maßgebend für den fehlenden Erfolg dürfte sein, daß es nicht ausreicht, Ziele zu formulieren und entsprechende Instrumente zur Verfügung zu stellen; vielmehr ist zum Erfolg neben den richtigen Erkenntnissen auch der politische Wille erforderlich, der sich auch durch Widerstände nicht beirren läßt. Dieser Befund ist vielleicht insoweit etwas zu relativieren, als sich die Umweltzerstörungen mit ihren sämtlichen Folgewirkungen nur sehr allmählich in ihrer ganzen bedrohlichen Schärfe herauskristallisieren
IV. Umweltpolitik als Herausforderung
Die Ära der sozialliberalen Regierung ging 1982 so überraschend zu Ende, wie sie 1969 entstanden war. Der Grund für die Aufkündigung der Koalition durch die F D P. ist aber nicht etwa in der Umweltpolitik zu suchen, denn damit waren die Liberalen, denen ein beträchtlicher Teil der um-weltpolitischen Entwicklungen zuzuschreiben ist, gut gefahren, sondern in der Wirtschaftspolitik bzw.der Staatsverschuldung, mit der sich der erstarkte wirtschaftsliberale Flügel unzufrieden zeigte.
Die CDU/CSU-F. D. P. -Regierung ist bekanntlich mit dem Anspruch angetreten, eine „Wende“ vollziehen zu wollen, und nicht wenige Beobachter argwöhnten, daß dies gerade die Umweltpolitik betreffen könnte, vor allem weil zum mit der Umwelt betrauten Innenminister der als sehr konservativ eingeschätzte Friedrich Zimmermann (CSU) berufen wurde. 1. Die Phase der Kontinuität (1983-1986)
Zur allgemeinen Überraschung hat Zimmermann die bisherige Umweltpolitik nicht nur weitergeführt, sondern die progressiven Beschlüsse der sozialliberalen Koalition (vom 1. September 1982) sowie die von ihr ausgearbeiteten (Schubladen-) Entwürfe strengerer Umweltgesetze und Verordnungen rasch umgesetzt und teilweise sogar noch verschärft. Zimmermann dürfte schneller als andere Unionspolitiker die Wählerwirksamkeit des Umweltschutzes auch für das konservative Klientel erkannt haben, und er teilte darüber hinaus die Ansicht seines Vorgängers Baum, daß Umweltschutz Arbeitsplätze schaffe und nicht vernichte
Die zu Beginn der achtziger Jahre beginnende Redynamisierung der Umweltpolitik wurde nach dem Regierungswechsel also kontinuierlich fortgesetzt. In den späten achtziger Jahren kam es sogar zu einer Hoch-Zeit der Umweltpolitik, die Deutschland im internationalen Vergleich zu einer Spitzenstellung in wichtigen Teilbereichen führte Zugleich urteilte der SRU aber, daß das Vertrauen der Bevölkerung in die Problemlösungskapazität von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zunehmend geringer werde
Die Bevölkerung hat offenbar sensibler als die Politik registriert, daß die ökologische Unverbindlichkeit, die in den Anfängen mehrheitlich noch hingenommen wurde, sich inzwischen zu einer Herausforderung entwickelt hatte, die die Weichen in die Zukunft stellt.
Die beginnenden achtziger Jahre waren durch immer neue ökologische Horrormeldungen gekennzeichnet, unter denen das vor allem durch Luftverschmutzungen verursachte Waldsterben eine besondere Rolle spielte. Als eine der ersten Amtshandlungen verabschiedete die konservativ-liberale Regierung eine Großfeuerungsanlagen-Verordnung (1983), die die europaweit strengsten Begrenzungen der Emission von Luftschadstoffen verfügte, sowie weitere Maßnahmen die teilweise ebenfalls die Luftbelastungen verminderten.
Die durch die rüde Gangart zeitweilig gestörte Beziehung zwischen Koalition und Wirtschaft verbesserte sich rasch, als die Regierung ankündete, der wachsenden Umweltverschmutzung durch marktkonforme Instrumente zu begegnen; sie war schließlich angetreten, um den planerischen Dirigismus der Sozialliberalen durch marktwirtschaftliche Elemente abzubauen.
Die Regierung kam der Wirtschaft auch dadurch entgegen, daß sie die Umweltpolitik stärker in den internationalen Rahmen einzubinden versprach. Einerseits war schon lange klargeworden, daß viele Umweltprobleme nur durch global wirksame Vereinbarungen zu lösen sind, andererseits lassen sich dadurch ökonomische Wettbewerbsverzerrungen vermindern, und schließlich verbessern sich die Chancen für den Export von Umwelttechnologien, an denen intensiv gearbeitet wird.
Die Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft, die sich seit dem 1. Umweltprogramm (1973) in immer weitere Bereiche vorwagte war von der Bundesrepublik anfangs gebremst worden. Nun übernahm sie oftmals Schrittmacherfunktion, vor allem in den Bereichen, in denen der nationale Handlungsdruck -zum Beispiel beim Waldsterben -besonders groß war
Die Umweltpolitik der konservativ-liberalen Regierung unterscheidet sich von der vorausgegangenen Politik bei aller prinzipiellen Kontinuität in verschiedener Hinsicht. Der Innenminister hat es verstanden, gegenüber der Wirtschaft ein Klima herzustellen, das sich so freundlich und kooperativ gestaltete wie nie zuvor Die ökonomischen Interessen rückten wieder in den Vordergrund; die Kalküle der fünfziger Jahre, die am Ressourcen-und Entsorgungsmanagement orientiert waren, führten zu einem besorgniserregend hohen Stand der Umweltbelastungen, bei einer allerdings ebenfalls sehr stark entwickelten -regulativen -Interventionskapazität des Staates die er zur -lediglich reaktiven -Begrenzung bereits eingetretener Schäden nutzte wobei die Luftreinhalte-und die Abfallpolitik eine -positive -Ausnahme bilden 2. Die Phase des Übergangs (1986-1987)
Am 26. April 1986 ereignete sich im Atomkraftwerk von Tschernobyl eine Kernschmelze, von der die Behörden der Bundesrepublik unvorbereitet getroffen wurden. „Angesichts des sich einstellenden Wirrwarrs widersprüchlicher Aussagen und Kompetenzen war für den einzelnen Bürger nicht erkennbar, welche Instanz fachkundig war und ihm seriöse Ratschläge geben konnte.“ In großen Teilen der Bevölkerung artikulierte sich die Forderung nach dem (sofortigen) Ausstieg aus der Atomenergie, der sich nach den Grünen nun auch die SPD anschloß. Zugleich wuchs erneut die Bedeutung der Anti-AKW-Bewegung, die durch verläßliche Informationen über die jeweils aktuellen Strahlenbelastungen hervortrat.
Da sich auf eine Atomkatastrophe dieses Ausmaßes sachlich angemessen nicht reagieren läßt, agierte die Bundesregierung und richtete bereits am 5. Juni 1986 das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) ein. Dadurch ist es ihr gelungen, die Diskussion über die Folgen von Tschernobyl einzudämmen und zugleich Handlungskompetenz zu demonstrieren, denn die Konzentration der umweltpolitischen Zuständigkeiten in einem eigenen Ministerium war schon lange gefordert worden.
Das BMU wurde ohne besondere Vollmachten, als ein beliebiges Ressort neben den anderen konzipiert; die besondere Bedeutung, die dem Umweltschutz als Herausforderung von größter Brisanz zuzumessen ist, blieb unberücksichtigt. Der Umweltminister erhielt weder die Zuständigkeit für alle umweltrelevanten Bereiche aus den anderen Ressorts (Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft) noch ein Vetorecht gegenüber Entscheidungen anderer Ministerien eingeräumt, wie sie dem Finanz-, Justiz-und Innenminister zustehen (vgl. § 26 GOBReg). Der Notwendigkeit, Umweltpolitik ökologiegerecht als Querschnittsaufgabe institutioneil zu verankern, vermag das BMU deshalb nicht gerecht zu werden.
Dem BMU wurden einige Behörden (UBA, BfN, BfS) nachgeordnet und zwei weitgehend unabhängige politikberatende Gremien (SRU, BNL) zur Seite gestellt Wichtiger als diese Institutionen dürfte aber die Einrichtung des Umweltausschusses im Bundestag gewesen sein, der eigene Kompetenz entwickeln und Einfluß auf die Regierung wie die Öffentlichkeit nehmen konnte, auch weil die Opposition stärker eingebunden wurde. Eindrucksvolle Beispiele dafür bilden die vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommissionen, die durch ihre Arbeiten über die nationale Verantwortung für globale Umweltprobleme große Anerkennung finden.
Die Schwerpunkte des BMU lagen zunächst naturgemäß beim Strahlenschutz; das Ergebnis dieser Bemühungen war das Strahlenschutzvorsorgegesetz (1986), das das Informations-und Entscheidungsverfahren strafft und die Definitionsmacht über Höchstwerte etc. auf den Umweltminister überträgt sowie eine Vielzahl von Verordnungen, durch die das Gefährdungspotential der deutschen Atomkraftwerke etwas relativiert worden sein dürfte.Da der erste Umweltminister, Walter Wallmann, in verschiedenen Angelegenheiten ungeschickt und unsachgemäß entschieden hatte, folgte ihm bereits im Mai 1987 mit Klaus Töpfer -mittlerweile aus dem Amt geschieden -ein ausgewiesener Experte, dessen sachliche Kompetenz in der Fachwelt wie der Öffentlichkeit respektiert wurde. 3. Die Phase der Präzisierung (1987-1990)
Die durch Töpfer eingeleitete Präzisierung um-weltpolitischer Maßnahmen hat Erfolge vorzuweisen, die zu teilweise erheblichen Wirkungsverbesserungen führten und der konservativ-liberalen Regierung im Ausland höhere Reputation ein-trugen als im Inland
Die umweltpolitischen Leistungen der CDU/CSU-F. D. P. -Regierung im Bereich der Umweltqualitätsverbesserungen, der Emissionsminderungen und des Einsatzes emissionsmindernder Techniken rechtfertigen eine Einordnung im europäischen und internationalen Spitzenfeld. Kein anderes europäisches Land hat so große Kapazitäten zur Senkung von SO 2-und NOx-Emissionen aufgebaut, alle europäischen Länder zusammengenommen haben nicht so viele schadstoffarme Pkw mit Katalysator, der Anteil an unverbleitem Benzin ist höher als anderswo, die Emissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe zählen in der Regel zu den strengsten (Abfallverbrennung, Schwefelanteile in Heizund Dieselöl), die Dünnsäureverklappung auf hoher See wurde 1989 eingestellt.
Auch im weltweiten Vergleich zählt die Bundesrepublik zu den progressiven Staaten. Eine Spitzenstellung nimmt sie im Bereich der Abwasser-reinigung ein, die Grenzwerte für Dioxin aus Abfallverbrennungs-Anlagen setzen die Maßstäbe für diese Technik, und aufgrund der FCKW-Halon-Verbotsverordnung haben sich die deutschen Unternehmen verpflichtet, spätestens bis 1995 die Herstellung zu beenden. Die Bundesrepublik will bis zum Jahr 2005 den Ausstoß der klimawirksamen Kohlendioxide um 25 bis 30 Prozent und die NOx-Emissionen bis 1998 um 30 Prozent reduzieren; bei der Erforschung erneuerbarer Energieträger liegt sie nach den USA und Japan an der Welt-spitze -und diese positive Bilanz ließe sich gewiß noch weiterführen
Diesen unbestreitbaren Erfolgen steht allerdings ein teilweise eklatantes Versagen gegenüber; das gilt für die sogenannten Altlasten, den Müll, das Grundwasser, die Bodenbelastungen, den Natur-und Landschaftsschutz, das Arten-und Waldsterben, verkehrsbedingte Belastungen sowie den gesamten Bereich der Atomenergie, es gilt aber auch für fehlende Umweltdaten, die unzureichende Ausgestaltung der EG-Richtlinie über Umweltverträglichkeitsprüfungen, die reduzierten Mitwirkungsrechte der Öffentlichkeit sowie insbesondere für das Fehlen eines sektorübergreifenden, in sich abgestimmten Umweltschutzkonzeptes Auch diese Negativbilanz ließe sich noch fortführen. 4. Die Phase des Zweifels (seit 1990)
Die Weltwirtschaft ist in den späten achtziger Jahren in eine tiefe Konjunkturkrise gestürzt, die die Bundesrepublik wegen des Beitritts der ehemaligen DDR (am 3. Oktober 1990) mit Verzögerung erreichte. Die „Herstellung gleichartiger Lebensverhältnisse“ in den fünf neuen Bundesländern erforderte einen außergewöhnlichen Mitteleinsatz, der zu einem beträchtlichen Teil als Investivkapital von der Wirtschaft aufgebracht werden sollte. Eine doppelte Belastung der Wirtschaft durch den „Aufschwung Ost“ und zusätzliche Ausgaben für den Umweltschutz erschien der Bundesregierung inopportun, zumal in einer rezessiven Wirtschaftsphase mit gravierenden sozialen Folgen in den alten wie vor allem in den neuen Bundesländern. „In der Diskussion um den Wirtschaftsstandort Deutschland wird zum Teil offen ein Abbau der Umweltpolitik gefordert“, registriert der Umweltrat
Dieser Rückfall in überwunden geglaubte Gewohnheiten wurde dadurch verstärkt, daß die bisherige Umweltpolitik zwar beträchtliche Erfolge vorzuweisen vermag, daß die Umweltprobleme sich zugleich aber beträchtlich verschärft haben. Trotz der notwendigen Präzisierungen der inhaltlichen Regelungstiefe umweltrechtlicher Normen ist an der Umweltfront keine Entwarnung eingetreten, eher schon eine Verschärfung. Dieses scheinbare Paradoxon verdeutlicht die Grenzen der bisherigen umweltpolitischen Orientierungen, deren Instrumentarium seit den frühen Anfängen allenfalls graduell modernisiert wurde.Schon 1974 hat Manfred O. Hinz die Frage gestellt, wer den Müll der Müllentsorger entsorge Diese Frage stellt sich als Kehrseite des Erfolgs einer mechanisch betriebenen Politik heute auch dem Umweltminister. „Es ist ja bedenkenswert, daß gerade unsere erfolgreiche Politik in der Luftreinhaltung und im Gewässerschutz zum vermehrten Anfall von problematischen Abfällen geführt hat“ diese und ähnliche Äußerungen indizieren die Frustration, vor allem aber Zweifel, ob der eingeschlagene umweltpolitische Weg nicht am Ziel vorbeiführt. „Dramatische Waldschäden, Tschernobyl, Sandoz, Robbensterben und übermäßiges Algenwachstum in der Nordsee: Das sind spektakuläre Indizien für die ökologische Krise, in der wir uns befinden ... Auf manchen Gebieten ... stehen wir eigentlich erst am Anfang.“
Die Umweltpolitik der Präzisierung hat die Zweifel an der Sinnhaftigkeit immer detaillierterer Eingriffe in immer geringere Probleme bei gleichzeitig wachsendem wirtschaftlichen Widerstand genährt, der wahlpolitisch motivierte Unterstützung findet. Obwohl Töpfer nicht müde wird -im Chor vielfältiger Stimmen -, den Einsatz ökonomischer Instrumente zu empfehlen, vermag er sich doch weder gegenüber der Wirtschaft noch der Regierungskoalition durchzusetzen, obwohl sich gerade diese Forderung seit langer Zeit in den Programmen aller an der Regierung beteiligten Parteien findet; die Annahme, daß „der Umweltminister die internationale Umweltpolitik als Vehikel zur Überwindung von Blockaden im eigenen Land benützt“ ist deshalb nicht von der Hand zu weisen.
Vor diesem Hintergrund scheint es erfolgversprechender, das nationale Engagement zu reduzieren und sich verstärkt den europäischen und internationalen Verhandlungen zuzuwenden, weil angesichts der bedrohlichen globalen ökologischen Interdependenzen selbst mustergültige nationale Fortschritte nur Teil einer erfolgversprechenden Strategie sein können. „Je größer die Erfolge im Umweltschutz, desto mehr brauchen wir grenzüberschreitende Umweltpartnerschaft. Mehr und mehr sind wir in der Situation, in der Umwelt-schutzmaßnahmen bei uns nur noch ganz geringe Fortschritte ermöglichen, während dasselbe Geld -bei Nachbarn eingesetzt -erhebliche Verbesserungen der Umwelt -auch bei uns -erbringt.“
Der wichtigste Nachbar war zweifellos die vormalige DDR, mit der sich die (alte) Bundesrepublik am 1. Juli 1990 durch Staatsvertrag in eine Umweltunion begeben hatte, wodurch auf deren Gebiet Bundesrecht in Kraft trat; diese Verpflichtung wurde durch den Einigungsvertrag bestätigt
Da die Umwelt im Beitrittsgebiet katastrophal zugerichtet worden war, erwiesen sich umweltpolitische Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung wie auch als Vorbedingung einer Reindustrialisierung der zur Privatisierung anstehenden ostdeutschen Wirtschaft als dringend notwendig. Zugleich mußte die Zusammenarbeit mit dem mittelosteuropäischen Raum intensiviert werden, der durch seine exportorientierte Wasser-und Luftverschmutzungspolitik mögliche Erfolge zunichte zu machen drohte.
Da die globalen Umweltprobleme immer stärker in den Vordergrund drängten, konzentrierte sich die deutsche Umweltpolitik auf die internationale Zusammenarbeit, die sich besonders eignet, um bei der eigenen Bevölkerung einen Teil des Vertrauens zurückzugewinnen, das durch die nationale Umweltpolitik verspielt worden war 72 Prozent der Befragten in West-und Ostdeutschland halten die bestehenden Umweltschutzgesetze für unzureichend, und sogar knapp 90 Prozent der Bürger sind der Meinung, daß die Einhaltung der Gesetze nicht genügend überwacht werde
Auf dem internationalen Parkett hat die Bundesrepublik ihre Rolle gut gespielt, auch wenn sie nicht mehr tonangebend ist. Töpfer selbst spricht nur noch davon, daß sich der Stand, den wir im Umweltschutz erreicht haben, im internationalen Maßstab „sehen lassen“ kann Die Bundesrepublik hat durch ihre eigene Politik einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung der Weltklimakonvention geleistet und die EU angeregt, vergleichbare Maßnahmen in die Wege zu leiten. Allerdings ist der Druck bereits sehr hoch, weil selbst bei größten Anstrengungen Klimaänderungen unvermeidbar sind, so daß daran gedacht werden muß, „Strategien und Maßnahmen zur Verminderung von klimabedingten Schäden zu entwickeln -so beispielsweise in den Bereichen Küstenschutz, Landwirtschaft, Naturschutz, Bodenschutz, Gewässerschutz und Schutz von Siedlungen“
Das Problem der bundesrepublikanischen Umweltpolitik besteht darin, daß sie sich aus dem tradierten umweltpolitischen bzw. genereller dem grundlegenden politökonomischen Muster nur unzureichend zu lösen vermag. Trotz einiger Ansätze zu einer ursachenorientierten, ressourcen-und umweltschonenden Vorsorgepolitik betreibt sie im wesentlichen noch immer eine medial orientierte Nachsorgepolitik, die auf technische, problemverlagernde Lösungen setzt, statt Umweltpolitik in eine ökologische Konzeption umzusetzen.
Der Umweltrat hat in seinem jüngsten Gutachten unmißverständlich klargemacht, daß es „ein per se konfliktfreies Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie nicht geben kann“, und da die Trage-kapazität der ökologischen Systeme den letztlich limitierenden Faktor bildet, sind die bisherigen Wachstums-und Fortschrittsvorstellungen nicht länger haltbar. Daraus muß sich die Einsicht in die Notwendigkeit herleiten, „daß ökonomische, soziale und ökologische Entwicklung nicht voneinander abgespalten und gegeneinander ausgespielt werden dürfen“, sondern als immer wieder herzustellende notwendige Einheit zu betrachten sind, und zwar auf globaler Ebene. Damit sind die Eckpfeiler des Konzepts einer „nachhaltigen Entwicklung“ (sustainability) markiert, die das Gutachten als „Umweltpolitik der Zukunft“ einfordert. Durch die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) im Juni 1992 in Rio de Janeiro ist dies „als wegweisende Programmatik für die Bewältigung der gemeinsamen Zukunft der Menschheit für die internationale Völkergemeinschaft verbindlich geworden“
Diese Forderung richtet sich aber nicht etwa allein an die Umweltpolitik, sondern vielmehr an die Politik insgesamt, darüber hinaus natürlich an die Wirtschaftsakteure, vor allem aber an die Bevölkerung, die letztlich über ihre „gemeinsame Zukunft“ entscheidet.
V. Ausblick
Zusammenfassend soll in folgenden Zitaten die Brisanz der Lage noch einmal veranschaulicht werden: -„Von einer wirkungsvollen Umweltpolitik sind wir noch weit entfernt, sowohl in Deutschland als auch in der EU oder gar international. Das ist sehr bedauerlich, denn zu einer Umweltpolitik, die den (oben genannten) Ansprüchen gerecht wird, gibt es nur zwei Alternativen, die beide nicht wünschenswert sind: die Ökodiktatur als sozusagen letzte Notbremse oder der ökologische und damit auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Untergang zumindest großer Erdregionen und ihrer Bewohner.“ -„Würde aber unser heutiges industrielles Technologieraster mit dem damit einhergehenden Ressourcenverbrauch und den Emissionen auf alle Nationen übertragen, so hätten wir zweifellos den globalen Kollaps vorprogrammiert. Das menschliche Leben auf diesem Planeten steht auf dem Spiel.“ -„Das Schicksal der Menschheit wird davon abhängen, ob es ihr gelingt, sich zu einer Entwicklungsstrategie durchzuringen, die der wechselseitigen Abhängigkeit dieser drei Entwicklungskomponenten, der ökonomischen, der sozialen und der ökologischen, gerecht wird.“
Die Umweltpolitik hat in einem Vierteljahrhundert Entwicklungen vollzogen, für die alle anderen grundlegenden Politikbestimmungen -Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat -sehr viel längere Zeiträume benötigten. Trotz des vorgelegten Tempos hat sich die Lage der Umwelt nur geringfügig verbessert; unter Berücksichtigung unserer heutigen Kenntnisse, vor allem über die interdependenten globalen ökologischen Entwicklungen, muß man sogar eine Verschlechterung befürchten. Dieses Wissen könnte ein Grund sein, den Mut zu verlieren. Allerdings haben die Vereinten Nationen mit großem Nachdruck ein Zeichen zur gemeinsamen Verantwortung für die globale Zukunft gesetzt. Der schmale Pfad der „nachhaltigen Entwicklung“ läßt sich allerdings nur beschreiten, wenn möglichst viele Menschen individuelle Umweltverantwortung übernehmen. Nur dadurch läßt sich auch der bangen Frage des Umweltrates begegnen, daß nicht sicher sei, „ob die parlamentarisch-pluralistische Demokratie geeignet ist, die Wahrnehmung von ökologischer Langzeitverantwortung, auch für künftige Generationen, zu gewährleisten“