I. Vorbemerkungen
Die Treuhandanstalt (THA), die eine Zeitlang als das „größte Unternehmen der Welt“ bezeichnet wurde ist eine beispiellose politische Konstruktion. Sie agierte in Berlin und den fünf neuen Bundesländern als eine „für alle sechs ostdeutschen Landesregierungen sehr mächtige Nebenregierung“ Mit ihren Entscheidungen griff sie in vielerlei Hinsicht in den Aufbau der neuen Länder und deren Wirtschaftspolitik ein. Neben der Privatisierung, Sanierung und Abwicklung ihrer Unternehmen hatte die Treuhandanstalt hoheitliche Aufgaben zu erfüllen -z. B. bei der Zuordnung von Kommunalvermögen und in Fragen des Investitionsvorranges. Und nicht zuletzt diente sie der politischen Interessenvermittlung im ökonomischen Transformationsprozeß. Aufgrund ihrer Aufgabenvielfalt und Position im Brennpunkt des ökonomischen Vereinigungsmanagements wurde sie zu einer wichtigen Instanz im Geflecht von Bund, Ländern, Gewerkschaften, Verbänden, Kartellbehörden, Bundesbank und EU-Kommission
Die Sonderstellung, die der Treuhandanstalt hinsichtlich Aufbau und Aufgabenumfang zukam, wirft die Frage auf, inwieweit sie einen Fremdkörper im Regierungssystem der Bundesrepublik darstellte. Tatsächlich wurde sie -so, wie von der letzten noch nicht frei gewählten DDR-Regierung gegründet -als eine „verfehlte Konstruktion“ bezeichnet Manchen galt sie sogar als Nachfolgeeinrichtung des. alten DDR-Regimes -im Westen wegen einer ihr anfangs nachgesagten zentralistischen oder gar „marktfeindlichen“ Stoßrichtung im Osten, weil sie wie eine anonyme Macht in die Arbeits-und Lebensverhältnisse vieler eingriff, ohne als eine legitime politische Entscheidungsinstanz anerkannt zu sein.
II. THA als Kooperationsorgan
Die Treuhandanstalt war nicht nur Teil der Regierung, sondern auch der Wirtschaft. Deshalb kann die Frage nach ihrer politischen Steuerung, Kontrolle und Verantwortungsstruktur nicht auf den engeren Bereich von Regierung und Verwaltung begrenzt bleiben. Die Treuhandanstalt sollte nach ökonomischen Kriterien handeln und politische Erwägungen ausdrücklich zurückstellen Ihre eigentliche Aufgabe bestand darin, das Regelsystem der sozialen Marktwirtschaft, so wie es sich in der Bundesrepublik über 40 Jahre herausgebildet hat, auf die neuen Bundesländer zu übertragen. Der Austausch mit ökonomischen Akteuren -Unternehmen, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften -erscheint daher ebenso wichtig wie die Steuerung und Kontrolle durch die Bundesregierung. Zwischen beiden bestand aber eine gewisse Spannung: Je enger die Führung durch die Regierung ausfiel, desto geringer waren die Spielräume im Umgang mit den übrigen Beteiligten am Aufbau-Ost. Dieses Spannungsverhältnis betrifft auch die Beziehungen von Bund und Ländern. Da sich Entscheidungen der Treuhandanstalt auf die Wirtschaftsstruktur und die Entwicklung des Arbeitsmarktes in den neuen Bundesländern auswirkten, versuchten diese ihren Kontrolleinfluß auszuweiten. Die Berücksichtigung von Länderinteressen, etwa auf dem Weg der Abstimmung von Einzelfragen in Treuhand-Wirtschaftskabinetten, war aber nur möglich, soweit die Bundesregierung ihrer „Behörde“ freie Hand ließ.
Der Erfolg -oder Mißerfolg -der Treuhandanstalt hing von ihrer Fähigkeit ab, mit zahlreichen Beteiligten am Aufbau-Ost zu kooperieren. Bei der Bewertung ökologischer Altlasten brauchte sie zum Beispiel die Unterstützung der Landesumweltministerien. Der betriebliche Interessenausgleich und die Beteiligung an Beschäftigungsmaßnahmen wurden durch die Kooperation mit den Gewerkschaften erleichtert. Infolge dieser vielfältigen Beziehungsstruktur war etwa die sächsische Landesregierung über ein Privatisierungsprojekt in Leipzig besser informiert als der aufsichtsführende Bundesfinanzminister. Ebenso konnten die Gewerkschaften und ihnen nahestehende Betriebsräte den Verlauf betrieblicher Entlassungen und örtliche Auffangmaßnahmen im Einzelfall besser übersehen als das oberste politische Kontrollorgan. Mithin war die Positionierung der Treuhand-anstalt im weiteren politischen System, d. h. in der politisch-ökonomischen Lenkungsstruktur der Bundesrepublik, für den Aufbau-Ost entscheidend.
III. Zwischen Bund und Ländern
Kurz nach der staatsrechtlichen Vereinigung am 3. Oktober 1990 besaß die Treuhandanstalt rd. 8500 Unternehmen mit rd. vier Millionen Beschäftigten in 45000 Betriebsstätten. Bis 1993 war der Gesamtbestand -einschließlich der bis dahin privatisierten Firmen -durch Spaltungsmaßnahmen auf rd. 12300 angewachsen Hinzu kamen vier Millionen Hektar Land, etwa soviel wie die Gesamtfläche von Rheinland-Pfalz Als die Treu-handanstalt in ihrer Berliner Zentrale und 15 Niederlassungen bereits mehrere Tausend Mitarbeiter beschäftigte, waren die Verwaltungen der neuen Bundesländer noch kaum arbeitsfähig Landesregierungen in Ost und West sahen darin die Gefahr der Übervorteilung durch eine mit großen Befugnissen ausgestattete Institution des Bundes. Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hatte schon im Oktober 1990 gefordert, die Aufgaben der Privatisierung und Sanierung von Treuhandunternehmen auf die Länderebene zu verlagern. Eine Auflösung in Länder-Treuhand-anstalten konnten der damalige THA-Präsident, Detlev Karsten Rohwedder, und weitere Vorstandsmitglieder im Einklang mit der Bundesregierung jedoch abwehren. Auch der Unterausschuß Treuhandanstalt des Bundestages testierte nur zwei Monate nach der deutschen Vereinigung demonstrativ den Führungsgremien der Treuhand-anstalt, „im organisatorischen und personellen Bereich hervorragende Arbeit geleistet“ zu haben; eine Dezentralisierung, die über personelle Verstärkungen der Niederlassungen hinausginge, sei daher nicht angebracht
Die Abwehr der Länderforderungen mußte durch sachliche Zugeständnisse und institutionelle Einbindung erkauft werden. Im Herbst 1990 verfügte die Treuhandanstalt bereits über eigene Abteilungen „Beziehungen zum Bund“ und „Länderfragen“. Dort begegnete man der Kritik aus den neuen Bundesländern vornehmlich pragmatischverhandlungsorientiert. Während die neuen Länder mit ihren Forderungen direkt auf die Treuhandanstalt zugingen, agierten die alten z. B. mit Eingaben an die Bundesregierung Der bayerische Wirtschaftsminister Lang stemmte sich als Vorsitzender der Wirtschaftskonferenz der Länder vehement gegen eine schleichende Übertragung von regional-und strukturpolitischen Aufgaben an eine Institution des Bundes. Die Politik der Treuhandanstalt war in dieser Situation darauf gerichtet, die neuen Bundesländer für eine Zusammenarbeit in regional-und strukturpolitischen Fragen zu gewinnen, ohne die Letztentscheidung der Treuhandanstalt aufzugeben Der Präsident der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, hatte schon vor der ersten gemeinsamen Konferenz der Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer am 1. Dezember 1990 in Potsdam dem brandenburgischen Gastgeber Manfred Stolpe regelmäßige und umfassende Informationen sowie Konzessionsbereitschaft in strittigen Fragen zugesagt Wenige Wochen später, am 19. Dezember 1990, erläuterte er auf der Konferenz der Wirtschaftsminister und -Senatoren der neuen und alten Bundesländer in Berlin den Kurs der Treuhand-anstalt. Dort wurden noch bestehende regional-und strukturpolitische Kompetenzkonflikte soweit ausgeräumt, daß Rohwedder erklären konnte, die Treuhand habe „neue Verbündete“ gewonnen Zugleich hatte der THA-Vorstand die Bundesregierung aufgefordert, ihre Tätigkeit durch zusätzliche wirtschaftspolitische Fördermaßnahmen in den neuen Bundesländern zu unterstützen. Hier wird das spätere Politiknetzwerk erkennbar, in dem die Treuhandanstalt eine Vermittlerrolle zwischen Bund und Ländern einnimmt. Ihrer Autonomie ist diese Konstellation meist zugute gekommen, weil sie dort, wo wichtige Entscheidungen nicht schon politisch vorgegeben waren, oft in der Rolle des Tertius gaudens agieren konnte Dezember 1990, erläuterte er auf der Konferenz der Wirtschaftsminister und -Senatoren der neuen und alten Bundesländer in Berlin den Kurs der Treuhand-anstalt. Dort wurden noch bestehende regional-und strukturpolitische Kompetenzkonflikte soweit ausgeräumt, daß Rohwedder erklären konnte, die Treuhand habe „neue Verbündete“ gewonnen 14. Zugleich hatte der THA-Vorstand die Bundesregierung aufgefordert, ihre Tätigkeit durch zusätzliche wirtschaftspolitische Fördermaßnahmen in den neuen Bundesländern zu unterstützen. Hier wird das spätere Politiknetzwerk erkennbar, in dem die Treuhandanstalt eine Vermittlerrolle zwischen Bund und Ländern einnimmt. Ihrer Autonomie ist diese Konstellation meist zugute gekommen, weil sie dort, wo wichtige Entscheidungen nicht schon politisch vorgegeben waren, oft in der Rolle des Tertius gaudens agieren konnte 15.
Die zunächst umstrittene Position der Treuhand-anstalt im föderalen Aufbau wurde mit Verabschiedung der „Grundsätze zur Zusammenarbeit von Bund, neuen Ländern und Treuhandanstaltfür den Aufschwung Ost“ vom 15. März 1991“ geregelt 16. Dort heißt es: „Der Systemumbruch in den neuen Ländern erfordert ungewöhnliche Maßnahmen in einem konzertierten Zusammenwirken von Bund, neuen Ländern und Treuhandanstalt“ (Absatz 1, Satz 1). Weiter wurde die Rolle der Treuhandanstalt als „Dienstleister“ der Länder beim Aufbau sozialverträglicher regionaler Wirtschaftsstrukturen festgeschrieben (Absatz 2, Satz 2). Sie verpflichtete sich, den Ländern im Fall von Stillegungen und Entlassungen alle wichtigen Informationen zur Verfügung zu stellen 17. Hinzu kam, daß die Ministerpräsidenten die Sitze der neuen Länder im Verwaltungsrat selbst einnahmen, wodurch sie ohnehin über die Organisationsentwicklung, das generelle Konzept und großvolumige oder kritische Entscheidungen unterrichtet waren.
Die „Grundsätze zum Aufschwung Ost“ nennen neben dem Verwaltungsrat weitere Schnittstellen zu den neuen Ländern: Treuhand-Wirtschaftskabinette, Beiräte der Niederlassungen sowie unmittelbare Kontakte von Regierungs-und Verwaltungsstellen mit den für die Privatisierung verantwortlichen Unternehmensbereichen.
Treuhand-Wirtschaftskabinette wurden auf Grundlage von Absatz 8 der „Grundsätze“ im April 1991 bei den Landesregierungen der neuen Bundesländer konstituiert. Die Zusammensetzung der Teilnehmer von seiten der Treuhandanstalt und von seiten der Länder variierte nach Tagesordnung und Länderbedürfnissen. So war die sächsische Regierung meist durch Staatssekretäre, die brandenburgische häufig durch den Ministerpräsidenten und die jeweiligen Fachminister vertreten.
In enger Beziehung zu den Wirtschaftskabinetten standen die Monatsgespräche zwischen den Wirtschaftsministerien der Länder und Vertretern der THA-Unternehmensbereiche sowie Branchen-gespräche und Sanierungsgespräche. Zum Teil tagten sie im Anschluß an die Wirtschaftskabinette oder gesondert mit spezieller Zusammensetzung. Die Branchengespräche folgten meist einem einheitlichen Raster. Gegenstand waren: 1. Informationen über Unternehmen, Ausgangslage, Situation, Einschätzung durch den Leitungsausschuß der Treuhandanstalt; 2. Privatisierungsstand und Interessenten; 3. Investitionsvorhaben; 4. Fördermöglichkeiten; 5. das weitere abgestimmte Vorgehen . Zu den Branchengesprächen zählten auch Beratungen mit Abgeordneten und Landtagsausschüssen der neuen Bundesländer. Die Länderabteilungen der Treuhandanstalt waren daran interessiert, durch parlamentarische Vorabinformation die Zahl parlamentarischer Anfragen, zu deren Beantwortung sie von den Regierungen herangezogen wurden, gering zu halten . Unternehmens-auflösungen und Entlassungen erfuhren regelmäßig und zuerst die Landesregierungen im Rahmen eines vertraulichen „Frühwarnsystems“, das ebenfalls aus der Rahmenvereinbarung vom Frühjahr 1991 hervorgegangen war.
IV. Die Rolle der Parlamente
Das Vereinigungsmanagement von Bundesregierung, Treuhandanstalt und Landesregierungen blieb von parlamentarischer Mitwirkung weitgehend unbeeinflußt. Der Einigungsvertrag unterstellte die Treuhandanstalt der Rechts-und Fach-aufsicht des Bundesministers für Finanzen, wobei letztere im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister wahrzunehmen war Auch der Finanz-und Wirtschaftsplan sowie die Jahresrechnung unterlagen bis zum Inkrafttreten des „Treuhand-Kreditaufnahmegesetzes“ allein der Zustimmungspflicht des Bundesfinanzministers.
Der als Unterausschuß des Haushaltsausschusses des Bundestages eingerichtete Treuhandausschuß hatte für die Überwachung und Steuerung der Anstalt geringe Bedeutung. Das lag daran, daß die üblichen Lenkungsmechanismen und Zustimmungsvorbehalte des parlamentarischen Budget-rechtes auf die Treuhandanstalt als bundesunmittelbare rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechtes nicht anwendbar waren bzw. sind Außerdem konnte sich die Treuhandanstalt durch Kapitalmarktanleihen und Privatisierungserlöse eigenständig -am Bundeshaushalt vorbei -refinanzieren. Erst als die im Einigungsvertrag genannte Obergrenze von 25 Milliarden DM erreicht war, mußte durch Gesetz der Kreditrahmen erweitert werden. Im Treuhand-Kreditaufnahmegesetz vom 3. Juli 1992 wird dessen Inanspruchnahme von der Zustimmung des Haushaltsausschusses abhängig gemacht, ohne daß damit ein formelles Mitspracherecht über die Verwendung der Mittel verbunden wäre. Die parlamentarische Programmierung der Treuhandtätigkeit durch den Haushaltsplan war unmöglich, solange die Vereinigungspolitik über kreditfinanzierte Sonderhaushalte abgewikkelt wurde. Da der Bundeshaushalt erst mit Übernahme der Zins-und Tilgungslast aus dem „Erb-lastentilgungsfonds“ direkt beansprucht wird, tritt das parlamentarische Budgetrecht erst ein, nachdem die Ausgaben längst getätigt sind Daraus resultierte eine demokratietheoretisch und verfassungsrechtlich bedenkliche Abkoppelung der Finanzierung des „Aufbaues-Ost“ von parlamentarischer Kontrolle Der Souverän befand sich hier -wie in den meisten Fragen der Vereinigungspolitik -auf der Nebenbühne
Der bis Februar 1993 bestehende Unterausschuß Treuhandanstalt hatte durch seine oftmals affirmative Haltung den Eindruck einer am Parlament vorbei betriebenen Vereinigungspolitik noch verstärkt. Dies mag daran gelegen haben, daß vor allem Abgeordnete der Gruppe „Bündnis 90/Die Grünen“ sehr früh in Stellungnahmen, Anfragen, Entschließungsanträgen und im Juni 1991 sogar mit dem Entwurf eines neuen Treuhandgesetzes massive Vorstöße gegen die Treuhandanstalt unternommen hatten. Forderungen nach einer Organisationsreform, nach mehr parlamentarischen Kontrollen, Entschuldung und Sanierung von Treuhandbetrieben wollte die Ausschußmehrheit keinen Vorschub leisten -zumal das Parlament angesichts seiner schwachen Rechtsposition ohnehin auf das Entgegenkommen der Treuhandanstalt angewiesen war.
1. Informationswünsche von Abgeordneten
Der später ermordete Präsident der Treuhand-anstalt, Detlev Karsten Rohwedder, hatte die Problematik des gegenseitigen Umgangs von Parlament und Treuhandanstalt offenbar vorausgesehen, als er im März 1991 vorschlug, eine ständige Präsenz in Bonn aufzubauen. Das im April 1991 eingerichtete Büro Bonn der Treuhandanstalt sollte im parlamentarischen Raum für die Anliegen der Treuhandanstalt werben und ist insofern durchaus mit den ebenfalls in Bonn ansässigen Niederlassungen der Verbände und Großunternehmen vergleichbar. Es hat in den ersten zwei Jahren etwa 2000 Anfragen, zum großen Teil von Abgeordneten, bearbeitet und mehr als 30 Informationsveranstaltungen abgehalten Das Büro Bonn der Treuhandanstalt ist neben dem Kongreßbüro der amerikanischen „Tennessee Valley Au-thority“ in Washington wohl die einzige „Lobby-organisation“ einer Bundesbehörde am Parlaments-und Regierungssitz. Es geriet allerdings mehr und mehr in die passive Rolle einer Außenstelle zur Befriedigung der zuweilen detaillierten Informationswünsche einzelner Abgeordneter
Zunehmend wandten sich auch Abgeordnete direkt an Abteilungen der Berliner Treuhandzentrale oder an einzelne Niederlassungen. 1993 wurden allein in dem Direktorat „Abwicklung“ 1000 Mann-Tage für die Beantwortung von Anfragen aus Ministerien, Rechnungshof, aber eben auch aus dem Bundestag und den Landtagen veranschlagt Das Direktorat „Kommunalvermögen“ sah sich in ein ständiges Beziehungsgeflecht mit Parlamenten und Verwaltungen eingebunden Überdies war es -zusammen mit den nach dem Vermögenszuordnungsgesetz zuständigen Ober-finanzdirektionen -mehrfach auf Kommunalkonferenzen vertreten, die von den Bundesministerien für Finanzen und Inneres abwechselnd für Landräte und Bürgermeister der neuen Bundesländer veranstaltet werden. Das Direktorat selbst hielt auch eigene Kommunalkonferenzen auf der auf DDR-Zeiten zurückgehenden Bezirksebene ab, um über Verfahren und Stand der Restitution zu berichten. Dabei ging es nicht zuletzt um die konzeptionellen Grundlagen kommunaler Daseinsvorsorge in den neuen Bundesländern. Mit dieser Schnittstelle war die Treuhandanstalt auch am Aufbau der Kommunal-und Landesverwaltungen der neuen Bundesländer beteiligt.
2. Treuhandausschuß des Bundestages
Mit dem Treuhand-Kreditaufnahmegesetz vom 3. Juli 1992 wurde der Kreditrahmen der Treuhandanstalt auf 30 Milliarden DM je Wirtschaftsjahr begrenzt und für seine Ausschöpfung in den Jahren 1993 und 1994 die Einwilligung des Haushaltsausschusses vorgeschrieben. Die parlamentarische Kontrolle der Neuverschuldung bewirkte noch keine präventive Einwirkungsmöglichkeit. Im Februar 1993 wurde ein eigenständiger Treuhandausschuß des Bundestages geschaffen, der die ganze Breite der Treuhandtätigkeit abdeckte. Auf Anfrage wurde er von der Treuhandanstalt über das operative Geschäft, Vertragskontrollen, Sanie rungskonzepte, neue Privatisierungsansätze und über die Ausgabenentwicklung unterrichtet -zum Teil bei parlamentarischen Ortsterminen in Berlin oder an Industriestandorten der neuen Länder.
Am 16. Juni 1993 informierte die Treuhandanstalt den Treuhandausschuß, über den festgelegten Kreditrahmen hinaus weitere acht Milliarden DM auf dem Kapitalmarkt beschaffen und dafür die Einwilligung des Haushaltsausschusses über das Bundesfinanzministerium einholen lassen zu wollen. Der Betrag war in den Verhandlungen über das Föderale Konsolidierungsprogramm -den Solidarpakt zum Aufbau-Ost -zwischen Bund und Ländern ausgehandelt worden und sollte vor allem der Sicherung und Erneuerung industrieller Kerne dienen. Der Haushaltsausschuß des Bundestages bewilligte indessen nur sieben Milliarden DM. Darauf reagierte die Treuhandanstalt mit der Ankündigung, sie müsse ihre Beteiligung an geplanten Beschäftigungsgesellschaften im Bereich der Metall-und Elektroindustrie einschränken. Der Treuhandausschuß war zum Einlenken gezwungen -zumal eine im gleichen Monat vorgelegte Ausgabenrechnung eine enorme Verschlechterung des finanziellen Status gegenüber dem Wirtschaftsplan erkennen ließ.
Mit zunehmender Einbindung waren die Abgeordneten denselben Zielkonflikten ausgesetzt wie die Treuhandanstalt, vor allem dem zwischen Arbeitsplatzerhalt und ökonomischen Modernisierungszwängen. Die verstärkte Sanierung von noch nicht privatisierten Treuhandbetrieben, wie sie im Bundestag sehr früh insbesondere von Abgeordneten der neuen Bundesländer und der SPD gefordert wurde, mußte in den allermeisten Fällen ebenso mit Arbeitskräftefreisetzungen einhergehen wie die Sanierung durch private Investoren. Tatsächlich wurde die Beschäftigungspolitik im Jahr 1993 zum politisch brisantesten Problemfeld der Arbeit der Treuhandanstalt.
V. Einbindung der Gewerkschaften
Die Treuhandanstalt mußte früh erkennen, daß sie viele Aufgaben besser in Kooperation mit Betriebsräten und Gewerkschaften als gegen sie erfüllen konnte. Eine Rahmenvereinbarung über die Ausstattung betrieblicher Sozialpläne wurde im Frühjahr 1991 zum ersten Prüfstein der konfliktreichen Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmer-vertretern und der Treuhandanstalt. Anfangs hatte die Treuhandanstalt Mühe, die Geschäftsführer ihrer Unternehmen von zu großen Zugeständnissen gegenüber den Belegschaften abzuhalten. Wenige Monate nach der Vereinigung mußte man feststellen, daß mit Hilfe westdeutscher Berater betriebliche Kündigungsschutzabkommen und Sozialpläne mit zum Teil abenteuerlichen Abfindungssummen vereinbart worden waren -in einem Fall sollte bis zum Rentenalter das volle Gehalt gesichert werden, in einem anderen wurden Abfindungen von 156000 DM für jeden entlassenen Arbeitnehmer festgelegt, jeweils in der Erwartung, die Treuhandzentrale würde dafür aufkommen Eine einheitliche Regelung über den Interessenausgleich im Kündigungsfall konnte schließlich durch eine erste Rahmenvereinbarung mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Deutschen Angestelltengewerkschaft vom 13. April 1991 getroffen werden. Sie war allerdings erst möglich geworden, nachdem das Bundesfinanzministerium einer Dotierung von Sozialplänen in Höhe von 10 Milliarden Mark zugestimmt hatte.
1. Beschäftigungsgesellschaften
In den „Grundsätzen zur Zusammenarbeit von Bund, neuen Ländern und Treuhandanstalt für den Aufschwung Ost“ vom 15. März 1991 war die Gründung und Dotierung von Trägergesellschaften für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) allein den Ländern und der Bundesanstalt für Arbeit zugewiesen worden Die Regelung war problematisch, weil solche Gesellschaften meist nur in Betriebsgebäuden von Treuhandfirmen Unterkommen konnten, von diesen Gründungshilfe beanspruchten und teilweise Aufräumungs-und Sanierungsarbeiten für sie leisteten und weil im übrigen die Treuhandanstalt durch ihre Entlassungspläne solche Maßnahmen jederzeit auslösen konnte. Mitte 1991 hatte sich der Konflikt um Beschäftigungsgesellschaften zwischen Bund, Treuhandanstalt, Ländern, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden zugespitzt, bis die Treuhandanstalt einem Kompromiß zustimmte, dessen Grundzüge am 1. Juli 1991 im Haus des Bundesverbandes der Arbeitgeberverbände in Köln zwischen ihr und den Tarifparteien beschlossen wurden Der Kompromiß führte zu einer förmlichen Rahmen vereinbarung zwischen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Treuhandanstalt, die am 17. Juli 1991 unterzeichnet wurde und zur Grundlage insbesondere von „Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung“ (ABS-Gesellschaften) werden sollte.
Eine gänzlich neue Perspektive ergab sich aus der Einfügung des § 249 h in das Arbeitsförderungsgesetz (AEG). Die unter Mitwirkung der Treuhand-anstalt getroffene Neuregelung ermöglicht der Bundesanstalt für Arbeit eine auf fünf Jahre befristete Zahlung von Lohnkostenzuschüssen an Unternehmen in den neuen Bundesländern, die der Verbesserung der Umwelt, der sozialen Dienste oder der Jugendhilfe dienen. Auf dieser Grundlage verpflichtete sich die Treuhandanstalt in einer Vereinbarung mit der Industriegewerkschaft Chemie zum einen, ein „Qualifizierungswerk Chemie“ mit 75 Millionen DM zu dotieren und „in enger Abstimmung mit der IG Chemie“ zu verwalten. Dabei leistet sie Zweckzuwendungen, mit denen die Betriebe des Qualifizierungswerkes sachlich ausgestattet werden. Zum anderen sollen die Sozialpläne der Treuhandunternehmen im Organisationsbereich der IG Chemie vorsehen, daß Arbeitnehmer nach Zuweisung in eine nach § 249 h AFG von der Arbeitsverwaltung geförderte Sanierungsgesellschaft Abfindungen in der Form von Lohn-zahlungen beziehen. Zusammen mit Zuschüssen der Bundesanstalt für Arbeit an jeden von ihr zugewiesenen Arbeitnehmer entsteht ein Bruttoeinkommen, daß niedriger sein muß als das, was in einem nicht nach § 249 h AFG geförderten Unternehmen derselben Branche tariflich bezogen wird. Eine ähnliche Rahmenvereinbarung hat die THA mit der IG Bergbau und Energie abgeschlossen. Danach können Bergleute aus den Kali-und Braunkohlenrevieren zu Landschaftsgärtnern qualifiziert und zur Großflächensanierung eingesetzt werden. Insgesamt hat die Treuhandanstalt allein im zweiten Halbjahr 1993 1, 2 Milliarden DM für Maßnahmen nach § 249 h AFG ausgegeben.
2. Tarifpolitik
Die Tarifpolitik ist ein weiteres Feld, auf dem die Verstrickung der Treuhandanstalt in Fragen der Wirtschafts-und Sozialordnung sehr deutlich wird. Eine Richtlinie über Haustarifverträge und zur Mitgliedschaft von Treuhandunternehmen in Arbeitgeberverbänden zielte darauf ab, den er standenen Wildwuchs der Betriebsvereinbarungen zurückzuschneiden.
Die Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden war für Treuhandunternehmen fast obligatorisch, zumal sich in einigen Unternehmen -z. B. im Stahl-, Werften-und Chemiebereich -die Betriebsräte oft auf Drängen der IG Metall oder der IG Chemie diese Mitgliedschaft vertraglich zusichern ließen. Treuhandunternehmen haben den Aufbau der Unternehmerverbände in den neuen Bundesländern insofern gefördert, als sie -im Gegensatz zu manchen privatisierten Unternehmen -ihre Beiträge pünktlich abführten und ansonsten keine Mitspracherechte in Verbandsangelegenheiten beanspruchten. Die Treuhandanstalt wirkte im Einklang mit den Gewerkschaften auch darauf hin, daß Investoren die Verbandsmitgliedschaft privatisierter Unternehmen beibehielten und auf den Abschluß von Haustarifverträgen verzichteten
Zum Jahreswechsel 1992/93 wurden THA-Unternehmen angewiesen, eine neunprozentige Tarif-lohnsteigerung für das Jahr 1993 einzuplanen. Der gültige Stufentarifvertrag für die Metallindustrie -einer Branche, die neben der Chemie und Energie-wirtschaft den Großteil der Beschäftigten in Treuhandunternehmen stellte -hatte indes für dieses Jahr in den neuen Ländern Einkommenssteigerungen von 26 Prozent vorgesehen. Deshalb forderte die IG Metall in einem Schreiben an den Finanzminister, er solle den Vorstand der Treuhandanstalt anweisen, in tarifpolitischen Fragen die einem Bundesorgan gebotene Neutralität zu wahren
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hatte bereits im November 1992, unter Berufung auf die Revisionsklausel im Stufentarifvertrag, ein Angebot von neun Prozent als Inflationsausgleich ins Gespräch gebracht. An dieser Ziffer orientierten sich auch die Tarifparteien der Chemieindustrie und des Baugewerbes; sie einigten sich später auf entsprechende Abschlüsse. In der Metallindustrie kam es dagegen zu einem zweiwöchigen Streik, von dem wiederum Treuhandunternehmen besonders betroffen waren. Einige, die den Stufentarif vertrag erfüllen wollten, wurden von der Treuhandzentrale mit Verweis auf die „Richtlinie für Betriebsvereinbarungen und Haustarifverträge“ angemahnt, ihrem Arbeitgeberverband Folge zu leisten. Die Tarif-und Arbeitspolitik zeigt deutlich die Probleme der Tariflohnanpassung im Osten, aber auch die Erfolge des Institutionentransfers auf dem Feld des Arbeitsrechtes und der industriellen Beziehungen. Die Austragung des Tarifkonfliktes folgte trotz der besonderen Situation weitgehend den in der Nachkriegszeit herausgebildeten westdeutschen Regeln. Der Tarifkonflikt kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Gewerkschaften durch ihre Vertretung im Verwaltungsrat der Treuhandanstalt und ihre Mitwirkung an Arbeitsmarktprojekten, durch enge Konsultationsbeziehungen zu einigen Länderregierungen, insbesondere in Sachsen sowie über die Kanzler-runde in Bonn in Teilnetzwerken der Transformationspolitik zentral positioniert waren.
VI. Regierung durch Akteurvernetzung
Die Treuhandanstalt wurde mit dem marktwirtschaftlichen Umbau der neuen Bundesländer beauftragt. Die Regierungsfunktion, die ihr damit zukam, läßt sich zum geringsten Teil mit einem demokratischen Prinzip rechtfertigen. Dazu waren die parlamentarischen Kontrollen und die Regierungsaufsicht zu schwach ausgeprägt. Das Machtpotential der Treuhandanstalt lag in der ihr zugeschriebenen Kompetenz. Sie ähnelt insofern den Technischen Überwachungsvereinen (TÜV), von denen Ernst Forsthoff schreibt, daß sie die obligatorische technische Überwachung nur deshalb autonom wahrnehmen können, weil sich der Staat in weiser Einschätzung diese Aufgabe nicht selber zutraut
Worin besteht die besondere Eignung der Treuhandanstalt für die ihr zugeschriebene Aufgabe? Zunächst ist anzunehmen, daß das ökonomische Vereinigungsmanagement jede herkömmliche Staatsverwaltung noch mehr überfordert hätte als die Treuhandanstalt Die oft gehörte Aussage „Wenn es die Treuhandanstalt nicht gäbe, müßte man sie erfinden“ (Detlev Karsten Rohwedder) besagt nicht, daß sie ihrer Aufgabe optimal gerecht wurde, sondern daß es keine andere Stelle gab, die sie hätte erledigen können. Die Befähigung der Treuhandanstalt lag nun aber -im Unterschied zum TÜV -nicht allein an einem sachlichen Kompetenzvorsprung. Es ist umstritten, ob sie das vorhandene Können tatsächlich ausgeschöpft hat und ob nicht eine gründlichere Problemanalyse und mehr Systematik des Handelns bessere Ergebnisse gezeitigt hätten. Auch kann man nicht ausschließen, daß ein Ministerium mit geeignetem Personal, bei entsprechender Beratung und unter Zuhilfenahme von privaten Dienstleistungsfirmen die nötige Sachkompetenz ebenso aufgebracht hätte, eine Beteiligungsführung und Privatisierung größeren Ausmaßes zu bewältigen.
Die wesentliche, in keiner anderen Organisationsform erreichbare Entlastungswirkung der Treuhandanstalt ist vor allem im politischen und juristischen Bereich zu suchen. Als verselbständigte Verwaltungseinheit konnte sie in technischer Autonomie Entscheidungen treffen, die Bundes-und Landesregierungen vor größte politische Probleme gestellt hätten. Dies betrifft nicht nur die „Sündenbockfunktion“ der Treuhandanstalt, in der sie politische Kritik auf sich zog, die eigentlich die Bundesregierung hätte treffen müssen *W*esentlicher erscheint, daß in staatsunmittelbarer Verwaltung vieles, was die Treuhand-anstalt tat, aus rechtlichen Gründen unmöglich gewesen wäre. Nach bürokratischen Regeln, selbst wenn man sie weit auslegt, hätten auch die besten Experten so rasche Entscheidungen nicht treffen können, denen die Treuhandanstalt ihren Erfolg zurechnet. Daß darunter auch zahlreiche fragwürdige Entscheidungen waren, läßt sich freilich nicht zugunsten des bürokratischen Prinzips anführen: Auch die ordentlichste Verwaltung erhöht nur die Berechenbarkeit und Kontrolle, nicht aber die Richtigkeit von Entscheidungen -zumal es sich hier um ökonomische Entscheidungen handelt.
Die Treuhandanstalt operierte im Zwiespalt von Schnelligkeit und Gründlichkeit, und sie gab nach dem Präsidentenwechsel von Reiner Maria Gohlke (zuvor Vorstandsvorsitzender der Bundesbahn) zu Rohwedder der Schnelligkeit den Vorrang. Ein Zwiespalt besteht zudem zwischen Flexibilität und Kontrolle: Je flexibler Treuhandmitarbeiter situative Handlungschancen wahrnehmen konnten, desto schwieriger wurde die rechtsstaatliche Kontrolle ihres Handelns. Daher kann man die vielfältigen Außenbeziehungen der Treuhandanstalt zu anderen am Aufbau-Ost beteiligten Stellen auch unter Kontrollaspekten betrachten. Die äußere Vernetzung ersetzte zwar nicht formale Kontrollen, erzwang aber doch eine gewisse Transparenz und förderte die wechselseitige Beobachtung; und sie ermöglichte einen schnellen Informationsaustausch, der wiederum die Koordination zahlreicher am Aufbau-Ost beteiligter Stellen förderte. Die autonome Vernetzung, welche die Treuhandanstalt nicht selten zum eigenen Vorteil gesucht hat, hätte sich in einer klassischen Ministerialverwaltung nicht in dem Vorgefundenen Maße realisieren lassen.
Die Autonomie der Treuhandanstalt führte zu politischen Entscheidungen, die auf dem Weg normalen Regierungshandelns anders ausgefallen wären. Allein durch die eigenständige Kreditfinanzierung konnte die Treuhandanstalt -ähnlich der Bundesbank -ihr Ziel in technischer Autonomie verfolgen. Dies hat zweifellos zur Zielkonstanz beigetragen. Die Beurteilung der Autonomisierung hängt indes auch davon ab, wie Alternativen -etwa eine langsamere Privatisierung, struktur-politische Steuerung, mehr staatliche Sanierungsanstrengungen etc. -bewertet werden. Wer das, Ziel schnellstmöglicher Privatisierung unterstützte, konnte nicht die Autonomie der Treuhandanstalt durch Kritik an Einzelentscheidungen gefährden wollen. So ist zu erklären, warum die Bundesregierung die Treuhandanstalt stets verteidigt hat, obwohl sie deren Versagen in vielen Fällen kannte.
1. Vier Arenen der Konfliktbewältigung
Wie hat sich die anfänglich als Fremdkörper wahrgenommene Treuhandanstalt in das Regierungssystem der Bundesrepublik eingefügt? Vier Arenen der Konfliktbewältigung sind von besonderem Interesse:
1. die föderale Politikverflechtung;
2. die Verbändebeteiligung an der Politik;
3.der Parteienwettbewerb und die parlamentarische Willensbildung sowie
4. die Koordination mit und zwischen den Bundesressorts.
Die Treuhandanstalt hat in jeder dieser politischen Arenen „mitgespielt“.
Die Politik der Vereinigung und des marktwirtschaftlichen Umbaues offenbarte eine rasche und weitgehende institutionelle Anpassung der Treuhandanstalt an die Funktionsbedingungen und Problemlösungsmuster des Föderalismus. Eingebaut zwischen dem Bund und den neuen Ländern, fungierte sie -soweit es um weitreichende politische Entscheidungen ging -als eine „Dritte Ebene“ der Kooperation im Bundesstaat.
Die Existenz der Treuhandanstalt hat sich mäßigend auf den Parteienwettbewerb ausgewirkt. Diese Feststellung mag überraschen, wenn man die Kritik von SPD, Bündnis 90/Grünen und PDS an der Treuhand vor Augen hat Sie wird indes plausibel, wenn man von der Alternative eines Bundesministeriums für den Aufbau-Ost ausgeht, gegenüber dem das Parlament auch Gestaltungsund Steuerungsrechte gehabt hätte Allein die Vorstellung, der Bundestag hätte bei den Haushaltsberatungen 1990 -im Vorfeld der Bundestagswahl -und dann in jedem Folgejahr über die Verwendung aller Aufbaumittel entscheiden können, macht deutlich, wie die Treuhandanstalt den Parteienwettbewerb beeinflußte. Sie bewirkte eine legitimatorische Entlastung nicht nur des Staates sondern auch der Parteien, die -hätte man ihre Bundestagsfraktionen frühzeitig in die Ausgestaltung der Treuhandaufgabe einbezogen -unter erheblichen Erklärungsdruck geraten wären. Da auch ihnen wesentliche Informationen fehlten und situative Unsicherheit ihre Strategiebildung erschwerte, wäre vermutlich die Versuchung groß gewesen, sich in eine ideologische Konfrontation zu flüchten, die dem Aufbau-Ost letztlich wenig genützt hätte.
Die Treuhandanstalt hat nicht nur die Kritik der Betroffenen in den neuen Bundesländern, sondern auch der Oppositionsparteien auf sich gezogen. Die gestalterische Funktion des Parteienwettbewerbs trat zurück zugunsten der nachträglichen kritischen Aufarbeitung des Geschehens. Dies wird in den Verhandlungen des Untersuchungsausschusses „Treuhandanstalt“ besonders deutlich
Die Entwicklung ist für den Wahlbürger bedauerlich, weil die Auswanderung wesentlicher Entscheidungen aus dem Parlament seine Möglichkeit der Urteilsbildung schmälert. Aus Sicht von Volksparteien hat es aber durchaus eine gewisse Rationalität, nicht zu jedem Problem direkt Farbe bekennen zu müssen. Die politischen Konflikte wären im übrigen nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch im Bund-Länder-Verhältnis schärfer ausgefallen, wenn ein Bundesministerium die Aufgabe des ökonomischen Vereinigungsmanagements hätte alleine leisten müssen.
Ein wesentlicher Aspekt liegt darin, daß die Treuhandkonstruktion eine Einbindung von Politikern der Opposition und weiterer gesellschaftlicher Kräfte erlaubte. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der IG-Chemie, Hermann Rappe, war Mitglied im Verwaltungsrat der Treuhandanstalt, im Treuhandunterausschuß und Treuhandausschuß des Bundestages. Außerdem ist er Unterzeichner mehrerer Rahmenvereinbarungen zwischen IG Chemie und Treuhandanstalt. Er widersprach der von seiner Partei geforderten Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und konnte infolge seiner zahlreichen Treuhandaktivitäten einem solchen Ausschuß schwerlich beitreten. Prominente SPD-Politiker waren zudem als Aufsichtsräte und Sonderbeauftragte der Treuhandanstalt tätig. Dabei sind besonders die früheren Bundesminister Klaus von Dohnanyi und Hans Apel zu nennen. Neben vier Gewerkschaftsvertretern im Verwaltungsrat der Treuhandzentrale erwiesen sich Gewerkschafter und Betriebsräte als unverzichtbare Informanten und Kooperationspartner. Für Gewerkschaften und Betriebsräte war es oft schwieriger als für die Treuhandanstalt, die Arbeitnehmerbänke der zahlreichen in Treuhandbesitz befindlichen Aktiengesellschaften und GmbHs in kurzer Zeit kompetent zu besetzen. Die Treuhandzentrale bescheinigt allerdings gerade den Arbeitnehmervertretern außergewöhnliches Engagement und überragenden Sachverstand
Im Zuge der Öffnung gegenüber Ländern, sozialen Gruppen und Kommunalbehörden wurden im März 1991 auf Anordnung der Treuhandzentrale auch Beiräte bei den Niederlassungen eingerichtet Sie dienten dazu, „den Einklang mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräften der Region herbeizuführen“ Die Beiräte waren in den einzelnen Niederlassungen ganz unterschiedlich zusammengesetzt. Die Wirtschaft war in Chemnitz, Cottbus, Dresden, Berlin und Halle besonders stark vertreten, die Gewerkschaften in Frankfurt an der Oder, Leipzig und Rostock, die Kirchen in Erfurt und Frankfurt an der Oder, die Kommunen in Gera und die Bürgerbewegungen in Neubrandenburg
Zuletzt sind auch die parteipolitischen Proportionen im Vorstand von Interesse. Zwar herrschte kein strenges Proporzprinzip. Gleichwohl wurde aber bei der Rekrutierung auf eine gewisse Ausgewogenheit geachtet, was in der Parteizugehörigkeit der Vorstandsmitglieder durchaus zum Ausdruck kommt
2. Kontrolle durch die Bundesregierung
Die Kontrolle der Treuhandanstalt gehört zu den Themen der Vereinigungspolitik, die zwischen den Parteien am stärksten umstritten sind. Das Thema hat von der eigentlichen Aufgabe des Aufbaues Ost und den damit verbundenen wirtschaftspolitischen Fragen insofern abgelenkt, als es hier realistischerweise nur um formale Verfahrenskontrollen gehen konnte. Eine direkte politische Einwirkung auf Einzelentscheidungen erscheint bei der Masse von fast 47 000 in vier Jahren abgeschlossenen Verträgen unmöglich und -da es sich um ökonomische Entscheidungen handelte, die sich vor allem auf dem Markt behaupten mußten -auch kaum wünschbar.
Gängige Vorstellungen von politischer Steuerung, Kontrolle und Verantwortung können der historisch einmaligen Treuhandkonstruktion kaum gerecht werden. Gleichwohl wäre es fatal, wenn hier unter der Hand einer Privatisierung öffentlicher Aufgaben und Entscheidungen der Weg geebnet würde. Die Instrumentalisierung öffentlicher Institutionen für private Zwecke ist bei verselbständigten Verwaltungsträgern eine ständige Gefahr. Dort, wo solche Konstruktionen häufig verkommen -vor allem in den USA in Gestalt der Independend Regulatory Commissions -, war „administrative capture“, die „Gefangennahme“ von Verwaltungen durch Adressateninteressen, an der Tagesordnung Interessanterweise führten solche Fälle in den USA zu einer verstärken Beaufsichtigung verselbständigter Behörden durch den Kongreß Ein starker Erklärungszwang gegenüber dem Parlament und die Pflicht zur Aktenherausgabe verbesserten zugleich die inneren Kontrollmechanismen der Behörden und begrenzen den Opportunismus der Mitarbeiter.
Einen ähnlichen Vorgang der Verbesserung interner Kontrollstrukturen als Reaktion auf parlamentarische Kontrollkompetenzen hat es im Fall der Treuhandanstalt nicht gegeben Im Minderheitenvotum des Berichterstatters der SPD-Fraktion zum Bericht des'parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Treuhandanstalt“ heißt es: „Die Bundesregierung hat die Organe der Treuhandanstalt mit einer -in der Geschichte des demokratischen Deutschlands einmaligen -unkontrollierten Machtfülle ausgestattet .. ,“ Wie zutreffend diese Feststellung ist, zeigt der Ausschußbericht an einigen Stellen sehr deutlich.
Für die Stillegung und Verwertung aufgelöster Unternehmen gab die Treuhandanstalt den Liquidatoren Darlehen von mehr als 20 Milliarden DM, ohne daß es dem aufsichtführenden Bundesfinanzministerium gelang, Auskunft über den Verbleib dieser Mittel zu bekommen. Entsprechende Versuche blieben erfolglos, und auch die Präsidentin, Birgit Breuel, verweigerte dazu mit dem Hinweis, es handle sich um den „exekutiven Kernbereich“, jede Auskunft
Wenn man von dem Genehmigungerfordernis bestimmter finanzwirksamer und konzeptioneller Entscheidungen und alltäglichen informellen Absprachen mit Bonner Ministerien, insbesondere dem Finanzministerium, absieht, so sind zwei Brückenköpfe der Regierung zur Treuhandanstalt von besonderem Interesse: der THA-Leitungsaus-schuß und die sogenannte „Ludewig-Runde“, benannt nach dem vom Bundeskanzler mit Fragen des Aufbaues-Ost betrauten Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt Johannes Ludewig.
Der THA-Leitungsausschuß entstand aus der Situation der Währungsumstellung in der DDR. Damals wurde eine erste Prüfergruppe vom Bundesfinanzministerium nach Berlin geschickt, um die Mittelverwendung zu kontrollieren Mit Beginn der Währungsunion am 1. Juli 1990 konnten 8500 Unternehmen ihren Bedarf an Betriebsmitteln in DM-Beträgen bei der Treuhandanstalt anmelden -aufgeschlüsselt nach Lohnzahlungen, Sozialbeiträgen, Auftragsabwicklung, Investitionen etc. Da die Treuhandanstalt noch nicht direkt der Bundesregierung unterstand, aber von ihr finanziert wurde, galt es, diese Anträge weniger nach rechtlichen als nach betriebswirtschaftlichen Kriterien zu überprüfen. Damit wurden Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater beauftragt, die nach der staatsrechtlichen Vereinigung den Treuhand-Leitungsausschuß unter dem Vorsitz von Horst Plaschna bilden sollten. Der Leitungsausschuß -ein eigenständiges, in der Treuhandanstalt tätiges, aber ihr nicht eingegliedertes Beratungsorgan des Bundesfinanzministeriums -hat fortan die in der Zentrale eingehenden Unternehmenskonzeptionen geprüft und Empfehlungen zu deren Behandlung ausgesprochen.
Ein politisches Koordinationsgremium entstand mit der Einrichtung der „Ludewig-Runde“. Sie tagte erstmals am 13. Mai 1991 und daraufhin in mehrwöchigen, zuweilen auch kürzeren Abständen meist in der Berliner Außenstelle des Bundeskanzleramtes. Aufgabe sollte es sein, die Umsetzung der Beschlüsse zum Aufbau Ost, die in den ersten Monaten des Jahres 1991 gefallen waren, zu begleiten und wohl auch wechselseitig zu überwachen. Mit Beginn des Jahres 1992 diente die Zusammenkunft auch der Vorbereitung von Gesprächen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin.
Teilnehmer der „Ludewig-Runde“ waren der Generalbevollmächtigte der Treuhandanstalt, die Chefs der Staatskanzleien der neuen Bundesländer sowie das Bundeskanzleramt, vertreten durch Ministerialdirektor Johannes Ludewig. Themen waren vor allem der Finanzbedarf der neuen Bundesländer, aktuelle Wirtschaftsfragen, Initiativen zum Aufbau Ost, Verwaltungshilfen, Osthandel und Hermes-Kreditabsicherungen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie jeweils aktuelle Fragen wie die Übertragung von Liegenschaften des Bundes auf Länder oder die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden in der Treuhandanstalt.
Dort, wo die Besprechungen in Abstimmung mit den Treffen des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer stattfanden, wurden zum Beispiel die endgültigen Vergabekriterien für Hermes-Bürgschaften und ein Konzept für das Vermögensänderungsgesetz erarbeitet. Die Treuhandanstalt hat auf diesem Wege, aber auch im direkten Kontakt mit dem Bundestag und einzelnen Bundesministerien Gesetzgebungsinitiativen mitgestaltet
Insgesamt ist nicht nur die Treuhandanstalt, sondern die gesamte Vereinigungspolitik durch ein hohes Maß der Informalisierung gekennzeichnet Informelles Regierungshandeln ist für das politische System der Bundesrepublik nicht ungewöhnlich Verhandlungszwänge im kooperativen Föderalismus, die Einbindung von Verbänden in die Politikentwicklung und intermediäre Institutionen sektoraler Selbstregulierung (z. B. Kammer-wesen, Berufsbildung, Technikregulierung) haben solche Arrangements stets befördert. Die Vereinigungspolitik offenbarte allerdings ein Ausmaß flexibler Informalität, das demokratietheoretische Probleme aufwirft. Wer soll eine Konstruktion, wie sie der Treuhand-Komplex darstellt, überhaupt noch kontrollieren? Wie in vielen Politikbereichen, in denen komplexe Probleme zu bewältigen sind, erscheint der Staat als „ein Konglomerat halbfeudaler, lose verbundener Organisationen, von denen jede ein substantielles Eigenleben führt und die miteinander und mit gesellschaftlichen Gruppen interagieren“ Dies kann der Flexibilität und Effizienz der Aufgabenerledigung dienen; es erfordert aber auch Sensibilität für Veränderun-gen der Regierungspraxis, die nachhaltige Wandlungen im politischen System nach sich ziehen können. Die Treuhandanstalt ist ein Beispiel für verselbständigte, daher flexible Aufgabenerfüllung, wie sie von modernen Managementkonzeptionen seit längerem für Wirtschaftsunternehmen und inzwischen auch für die öffentliche Verwaltung vertreten wird. Während aber eine Divisionalisierung von Unternehmen problemlos bleibt, weil sie vom Markt als externe Kontrollinstanz diszipliniert werden, geraten politische Organe in ein Kontrollvakuum. Diesem Problem nachzugehen, ohne an der klassischen Form bürokratischer Kontrolle festzuhalten, wäre die Aufgabe einer politischen Debatte, die an die klassische Staats-theorie anzuknüpfen hätte und zugleich in der Treuhandanstalt das geeignete Studienobjekt fände.