I. Vorbemerkungen
Im Wiedervereinigungsjahr 1990 hat es kein „Design“ für die institutioneile Ausgestaltung des ökonomischen Transformationsprozesses in Ostdeutschland gegeben. Charakteristisch für diese Frühphase der Institutionenbildung war vielmehr ein Hinnehmen struktureller Vorentscheidungen der letzten beiden DDR-Regierungen der Ministerpräsidenten Hans Modrow und Lothar de Maiziäre. Die Treuhandanstalt hat als einziges bedeutendes institutionelles Erbe der DDR den 3. Oktober 1990 nicht nur formal überdauert, sie wurde zu einer tragenden Institution des wirtschaftlichen, im übrigen aber auch des politischen Transformationsprozesses in Ostdeutschland. Die institutioneile Stabilität der Treuhandanstalt wurde zur zentralen Voraussetzung der Umsetzung des politischen Privatisierungsauftrags, der inzwischen mit einem mehr als neunzigprozentigen Bestandsabbau des übertragenen Vermögens seit dem Stichtag 1. Juli 1990 entgegen den meisten Prognosen mit bemerkenswerter Konsequenz umgesetzt wurde.
Einiges spricht heute dafür, daß der Preis der schnellen Überwindung der Eigentumsstrukturen am Produktivvermögen der DDR in der Fortschreibung institutioneller „Erbstrukturen“ der DDR besteht. Dieser Preis -gewissermaßen die verfassungspolitischen Kosten der schnellen Über-windung des Eigentumsmonopols des Staates am ostdeutschen Produktivvermögen -war in der Privatisierungspolitik der Bundesregierung mutmaßlich nicht einkalkuliert. Dazu hat es, nach allem was wir wissen, sowohl an der notwendigen politischen Aufmerksamkeit als auch an der Bündelung entsprechender politischer Kontrolle gefehlt. Die institutioneilen Aggregate haben sich im wirtschaftlichen Transformationsprozeß vielmehr „herausgemendelt“; sie sind das Ergebnis eines komplexen Entscheidungsprozesses, in dessen Verlauf sich die Strukturen der DDR-Wirtschaftsverwaltung -freilich unter entsprechender Um-etikettierung-als bemerkenswert resistent erwiesen haben. Im folgenden soll dieser Evolutionsprozeß am zentralen Beispiel der Treuhandanstalt in groben Zügen nachgezeichnet werden.
II. Gründung und organisatorische Ausgestaltung der Treuhandanstalt im Jahre 1990
Die Treuhandanstalt hatte sich auf der Grundlage der „Verordnung zur Umwandlung von volks-eigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften“ (Umwandlungsverordnung) vom 1. März 1990 mit der Verabschiedung eines Statuts durch den Ministerrat der DDR am 15. März 1990, also drei Tage vor der ersten freien Volkskammerwahl, konstituiert. Nach den Feststellungen von Wolfram Fischer und Harm Schröter war auch bei der Neuformulierung des Treuhandgesetzes unter der Regierung de Mai-ziere, das von der Volkskammer am 17. Juni 1990 verabschiedet wurde, der Einfluß westdeutscher Berater vom Ministerpräsidenten selbst eingedämmt worden. Offenbar nahm man in Bonn die Treuhandproblematik nicht so wichtig, als daß man versucht hätte, solchen Widerstand durch höherrangige politische Einflußnahme zu überwinden. Diese Vernachlässigung setzte sich nach Verabschiedung des neuen Treuhandgesetzes fort. Im Ergebnis wurde es mit seinen Durchführungsverordnungen mit nur geringfügigen Änderungen durch Art. 25 des Einigungsvertrages als bundes- deutsches Recht übernommen. Im Institutionengefüge der neuen Bundesrepublik etablierte sich die Treuhandanstalt dadurch als mit Abstand bedeutsamstes institutionelles Erbe der DDR, und zwar, wie sich heraussteilen sollte, durchaus der „klassischen“, vordemokratischen DDR und ihres Wirtschaftsverwaltungszentralismus.
Dies war allem Anschein nach den demokratischen Akteuren in der noch existierenden DDR im Frühjahr und Frühsommer 1990 besser bewußt als ihren westdeutschen Partnern und Beratern. Es waren jedenfalls die Regierungsmitglieder und Parlamentarier der Ost-Berliner Koalition, aber auch vereinzelte Parlamentarier des Bündnis ’ 90, denen -ungeachtet unterschiedlicher Vorstellungen* über die Ziele der Treuhandtätigkeit -an der Auflösung der Branchenministerien und der Schaffung dezentraler, marktnaher Institutionen als organisatorisches Dach für den vorerst noch gigantischen staatlichen Industriebesitz gelegen war Kernelement dieser dezentralen Strukturen sollten nach dem Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 vier branchenübergreifende Aktiengesellschaften als Holdings werden. Die Treuhand-Aktiengesellschaften waren als institutioneile Nachfolger sowohl der Branchenministerien mit ihren „zentralgeleiteten Kombinaten“ als auch der Wirtschaftsverwaltungen auf Bezirksebene mit ihren bezirksgeleiteten Kombinaten und volkseigenen Betrieben (VEB) gedacht, deren unmittelbare Nachfolger seit dem 15. März 1990 die „Außenstellen“ der Treuhandanstalt waren.
Nach Inkrafttreten des neuen Treuhandgesetzes am 1. Juli 1990 und der Konstituierung von Verwaltungsrat und Vorstand am 15. Juli 1990 konnten sich die institutioneilen „Erbstrukturen“ des Wirtschaftsverwaltungszentralismus der DDR im Schatten der vergleichsweise geringen politischen Aufmerksamkeit für Treuhandangelegenheiten im ereignisreichen Sommer 1990 entfalten. Die institutionenprägenden Akteure -vor allem der damalige Verwaltungsratschef Detlev Karsten Rohwedder und ein kleiner Kreis von Spitzenbeamten im Bonner Wirtschafts-und Finanzministerium -verfügten damals über einen relativ großen Handlungsspielraum.
Auf der administrativen Ebene gingen die exekutiven Funktionen für Treuhandangelegenheiten bereits im Juli 1990 im wesentlichen auf westdeutsche Akteure über. Dies betraf zum einen die Bildung des Verwaltungsrates der Treuhandanstalt (unter dem Vorsitz von Detlev Karsten Rohwedder) und des Vorstandes (unter dem Präsidenten Reiner Maria Gohlke) auf der Grundlage des Gesetzes vom 17. Juni 1990 und zum anderen die Vorbereitung des Einigungsvertrages durch die Bonner Ministerialbürokratie. Mit der Währungsunion vom 1. Juli 1990 und der damit verbundenen schockartigen Freisetzung der Wettbewerbskräfte des Marktes setzte die Eigendynamik einer Absatzkrise und des massiven Rückgangs des Bruttoinlandsprodukts in Ostdeutschland ein, die sich dem steuernden Einfluß der politischen Akteure, aber erst recht dem der Spitze der Treuhandanstalt und ihrer unmittelbaren Partner in der Ministerialbürokratie entzog. Die westdeutschen Akteure an der Spitze der Treuhandanstalt fanden diese ökonomischen Rahmenbedingungen ebenso wie die Existenz der Treuhandanstalt selbst als unverrückbare strategische Determinanten ihres eigenen Handelns vor.
Es ist also eine naheliegende Vermutung, daß bereits zu diesem Zeitpunkt, also im Hochsommer 1990, den Entscheidungen der Treuhandspitze nicht mehr der Status strategischer Richtungsentscheidungen, sondern nur noch der Status taktischer Anpassungsmaßnahmen zukam. Die Ironie oder, wenn man so will, besondere Eleganz des Treuhandmodells lag indes darin, das Gegenteil zu suggerieren. Mit der Fortführung einer Zentralverwaltungsbehörde als faktische Nachfolgeinstitution der DDR-Wirtschaftsverwaltung wurde namentlich in Ostdeutschland die Wahrnehmung begünstigt, die strategischen Entscheidungen über den Verlauf des wirtschaftlichen Transformationsprozesses würden nach wie vor politisch getroffen, und zwar immer noch in Berlin, am Sitz der Treuhand-Zentrale. Beides war unzutreffend, denn die strategischen „Entscheidungen“ traf seit dem 1. Juli 1990 der Markt. Aber wenigstens der zweite Teil der Illusion, der zufolge diese Entscheidungen von der Berliner Treuhandanstalt getroffen wurden, hatte eine maßgebliche politische Entlastungsfunktion für die Bonner Bundesregierung.
Wir wissen bislang nicht, inwiefern die politischen Akteure in Bonn diese Entlastungsfunktion, die sich später für die Strategiefähigkeit der Privatisierungspolitik der Bundesregierung als elementar erweisen sollte, schon zum damaligen Zeitpunkt antizipiert haben. Gesichert ist dagegen, daß die maßgeblichen Akteure auf der administrativen Ebene, nämlich die Treuhandspitze und ihre Gesprächspartner in der Spitzenbürokratie des Bundesfinanz-und des Bundeswirtschaftsministeriums, solche politischen Überlegungen angestellt haben, als es um den künftigen Status und die Ressortierung der Treuhandanstalt nach dem 3. Okto-her 1990 ging So sollte die Treuhand in eine bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministers (und nicht des Wirtschaftsministers) überführt werden. Von der Übernahme des Treuhandbesitzes erwartete man so oder so einen hohen Durchsatz an Finanzströmen, sei es durch den -seinerzeit in grotesker Weise überschätzten -Verkaufserlös, sei es durch den hohen, aber durch Verkaufserlöse kurzfristig nicht zu deckenden Finanzbedarf für das Sanierungsgeschäft.
Schon hier zeigte sich, daß es im Zusammenspiel zwischen Treuhandspitze und Bonner Spitzen-bürokratie bei faktisch nicht vorhandenen Handlungsspielräumen im Strategischen gleichwohl „im Windschatten der Politik“ einen relativ großen taktischen Entscheidungsspielraum gab, der entschlossen genutzt wurde. Zu dieser Zeit, also immer noch im Hochsommer 1990, wuchs der Verwaltungsratsvorsitzende Rohwedder in die für solche Entscheidungen ausschlaggebende Schlüsselstellung hinein. Rohwedder war auch derjenige, der im Rahmen der strategisch begrenzten Möglichkeiten die Organisationsstrukturen der Treuhandanstalt grundlegend zu ändern beabsichtigte und unter anderem aus diesem Grund Ende August 1990 den Vorstandsvorsitzenden („Präsidenten“) Gohlke aus seinem Amt drängte, um dieses dann selbst zu übernehmen.
Hintergrund der angestrebten Organisationsänderung war, daß die „Reißbrettkonstruktion“ der Treuhandstruktur nun schrittweise implementiert werden mußte und daß man im Verwaltungsrat der Treuhandanstalt die von der Volkskammer im Juni beschlossenen dezentralen Strukturen -mit den „Treuhand-Aktiengesellschaften“ als institutionellem Kern -für politisch „gut gemeint“, aber für das operative Geschäft schlecht geeignet hielt Vor allem befürchtete man die Herausbildung großer Industrieimperien in staatlichem Besitz, die schwer zu kontrollieren und mit der impliziten Zielsetzung der Treuhandanstalt, sich selbst so schnell wie möglich überflüssig zu machen, unvereinbar sein würden. Unter schlichtem Bruch des Gesetzes, wie er nur angesichts der Agonie der DDR wenige Wochen vor ihrem Beitritt zum Geltungsbereich des Bonner Grundgesetzes denkbar war, wurde auf die Gründung der Treuhandaktiengesellschaften verzichtet. Statt dessen wurden die bereits zur Auflösung vorgesehenen Treuhand-außenstellen in „Niederlassungen“ umgetauft und, bei vollständiger Auswechslung des Führungsper sonals, in ihren Kompetenzen ebenso wie in ihrem Management grundlegend gestärkt. Damit sollte eine dezentrale Struktur verwirklicht, die schwer-fälligen und darüber hinaus der gesetzlichen Mitbestimmungspflicht unterliegenden Strukturen großer Kapitalgesellschaften als Holdings jedoch vermieden werden.
Eine weitere entscheidende Reorganisation wurde im November 1990 in der Zentrale der Treuhand-anstalt vorgenommen. Bis dahin waren die Vorstandsbereiche -also die „Ressorts“ der Treuhandspitze -funktional gegliedert, mit zwei Schlüsselressorts für „Privatisierung“ und „Sanierung“. Auch diese Struktur entsprach dem gesetzlichen Auftrag, der diese beiden Aufgaben klar hervorhob, aber es ergaben sich wiederum Praktikabilitätsprobleme. Vor allem zeigte sich, daß es in beiden Funktionsbereichen, bei der Privatisierung ebenso wie bei der Sanierung, auf branchenspezifischen Sachverstand ankam. Sollte also nicht eine aufwendige Doppelstruktur mit branchenspezifischer Ausrichtung in beiden Vorstandsressorts („Privatisierung“ und „Sanierung“) geschaffen werden, die außerdem zu ständigen Koordinationsproblemen zwischen Privatisierungsfällen und Sanierungsfällen geführt hätte, gab es nach Auffassung der ausschlaggebenden Akteure zur divisionalen -also von vornherein branchenbezogenen -Gliederung der Treuhandzentrale keine Alternative. Diese Reorganisationen, die bestenfalls in den Fachspalten der Presse öffentliche Beachtung fanden, setzten also Erwägungen administrativer Effizienz gegen die politisch motivierten Organisationsgrundsätze des Treuhandgesetzes vom 17. Juni 1990. „Unpolitisch“ wie sie gemeint und auch realisiert wurden, hatten diese Maßnahmen gleichwohl einen strukturellen Effekt, der, wäre er denn erkannt und thematisiert worden, politisch in hohem Maße kontrovers hätte sein müssen: Nach der vollen Implementation der Unterorganisationen gegen Ende des Jahres 1990 entsprach die Treuhand wieder weitgehend der Organisation der DDR-Wirtschaftsverwaltung. Die Berliner Zentrale und die fünfzehn Niederlassungen der Treuhandanstalt -die nach dem Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 eigentlich durch „Treuhand-Aktiengesellschaften“ hätten ersetzt werden sollen -kamen der früheren Unterteilung in zentralgeleitete und bezirksgeleitete Kombinate bzw. VEBs gleich. Die fünfzehn Niederlassungen entsprachen der DDR-Wirtschaftsverwaltung (vierzehn Bezirke plus Hauptstadt Ost-Berlin) in vielen Fällen bis hin zu den Dienstgebäuden und überall im Hinblick auf den Personalbestand unterhalb der Füh rungsebene. Die Treuhandzentrale trat nach der Rückgliederung der Vorstandsbereiche in branchenfokussierte Ressorts die funktionale Nachfolge der DDR-Branchenministerien an (ab März 1991 sogar mit dem identischen Standort im ehemaligen „Haus der Ministerien“ in der Leipziger Straße). Die so konsolidierte Organisationsstruktur hat ohne wesentliche Änderungen bis heute Bestand, und sie wird, was schwerwiegender ist, auf der Grundlage des Treuhandstrukturgesetzes auch die formale Auflösung der Treuhandanstalt zum 31. 12. 1994 überdauern (s. dazu unten Punkt V).
In dem Maße, wie die Tätigkeit der Treuhand-anstalt öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog und zum Gegenstand politischer Kontroversen wurde, veränderte sich auch das Muster ihrer institutioneilen Entwicklung. Diese Entwicklung betraf nun eher die periphere Einbettung der Treuhand-anstalt, ihre Kommunikation mit den wichtigsten staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren und ließ bezeichnenderweise ihren institutioneilen Kern, wie er sich gegen Ende des Jahres 1990 stabilisiert hatte, unangetastet. Diese periphere Differenzierung der Treuhandorganisation lehnte sich ihrerseits an die institutionellen Standards der alten Bundesrepublik an, nämlich an deren föderativen und „neo-korporatistischen“ Strukturen.
III. Konsolidierung des Treuhandmodells
Das Dasein der Treuhandanstalt „im Windschatten der Politik“ endete abrupt im Frühjahr des Jahres 1991. Ursächlich hierfür war der massive Rückgang der Industrieproduktion und die damit einsetzende Massenarbeitslosigkeit in den ostdeutschen Bundesländern. Am Ende des ersten Halbjahres 1991 sollten in den Treuhandbetrieben nur noch 2, 1 Millionen Arbeitnehmer beschäftigt sein, ein Beschäftigungsrückgang von rund 2 Millionen, dem aus dem Privatisierungsgeschäft Vertrags-zusagen über lediglich gut 500000 Arbeitsplätze gegenüberstanden Inzwischen hatten sich in den ostdeutschen Ländern auch schrittweise handlungsfähige Landesregierungen und Gewerkschaften etabliert. Es war nun erheblich schwieriger geworden, treuhandspezifische Entscheidungen auf der gut eingespielten Kommunikationsschiene zwischen Verwaltungsrat und Vorstand einerseits und Bonner Ministerialbürokratie andererseits abzuwickeln
Ostdeutsche Landesregierungen und die Gewerkschaften forderten eine Verlagerung des Schwerpunkts der Treuhandtätigkeit auf die Sanierung, einige Länderminister forderten die Auflösung der Treuhand als Bundesanstalt zugunsten von Länderanstalten Die Gewerkschaften, vor allem die IG Metall, setzten sich im März 1991 an die Spitze des spontanen Protests der von Betriebsstillegungen betroffenen oder bedrohten Arbeitnehmer, der mit Betriebsbesetzungen und spektakulären Aktionen wie der Landtagsbesetzung in Schwerin Ende Februar einherging.
Die Phase vom Herbst 1990 bis zum Frühsommer 1991 ist für die institutioneile Entwicklung im ostdeutschen Privatisierungsprozeß deshalb von entscheidender Bedeutung, weil Treuhandanstalt und Bundesregierung sich in dieser Zeit, was die Umsetzung des gesetzlichen Auftrags betraf, auf den definitiven Vorrang der Privatisierung festlegten: „Privatisierung ist die beste Sanierung.“ Dabei war dies innerhalb der Treuhandanstalt durchaus nicht von vornherein in diesem Sinne vorgeklärt und mußte darüber hinaus gegen sich versteifenden Widerstand in den ostdeutschen Ländern durchgesetzt werden. Daß die Treuhandanstalt in dieser Zeit nicht am Zusammentreffen innerer und äußerer Konflikte gescheitert, sondern aus der krisenhaften Entwicklung im Frühjahr 1991 eindeutig gestärkt hervorgegangen ist, bleibt eines der bemerkenswertesten (und bislang nicht hinreichend erforschten) Phänomene des wirtschaftlichen Transformationsprozesses in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung Bis zum Frühsommer 1991 hatte sich die Treuhandanstalt organisatorisch konsolidiert. Die Dimensionen dieser Konsolidierung waren zum einen administrativer, zum anderen politischer Art. In administrativer Hinsicht ging es darum, die Organisation effizient zu machen, in politischer Hinsicht ging es um Konsensfähigkeit. In der administrativen, effizienzorientierten Dimension hatte sich die Struktur der DDR-Wirtschaftsverwaltung erhalten. In der politischen, konsensorientierten Dimension hatte sich das westdeutsche Muster der föderativen und neo-korporatistischen Einbindung durchgesetzt. Die Konsolidierung der Treuhand-anstalt führte also zu einer Hybrid-Institution, in die , genetisches Material 1 sowohl der DDR als auch der alten Bundesrepublik eingegangen war.
Am 1. April 1991 wurde der Präsident der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, Opfer eines Mordanschlags. Kurz zuvor waren die treuhandinternen Diskussionen über die Generallinie des operativen Geschäfts nach Auskunft Beteiligter abgeschlossen. Dies drückte sich aus in dem Mitarbeiterschreiben Rohwedders vom 27. März 1991, der als „Oster-Brief'in die Treuhandlegende eingegangen ist. Der Brief enthält die -später vielfach fälschlich der Präsidentin Birgit Breuel zugeschriebene -Formel „Privatisierung ist die beste Sanierung“. Damit wurde die Grundentscheidung dokumentiert, die Treuhandunternehmen nicht, wie dies Rohwedder offenbar noch im Herbst 1990 vorgeschwebt hatte, für den Verkauf zu sanieren, sondern eine Sanierung den privaten Erwerbern zu überlassen.
Der Entscheidungsprozeß, der zu dieser Festlegung auch des Treuhandpräsidenten geführt hat, ist bislang nicht erforscht. Rohwedder-Interviews und Presseberichte vom Herbst 1990 zeigen jedenfalls, daß der Präsident der Treuhandanstalt, der nach seiner berufsbiographischen Prägung die Strukturkrisen des Ruhrgebiets vor Augen haben mußte, nicht allein die Zeitintensität der ökonomischen Restrukturierungsprozesse in Ostdeutschland betonte, sondern sich auch dafür aussprach, die Zeit bis zur Schaffung wettbewerbsfähiger Unternehmensstrukturen durch eine Sanierung in staatlicher Regie mit entsprechendem massiven Finanzaufwand zu überbrücken
Die entscheidende Determinante für die Klärung der geschäftspolitischen Generallinie im Frühjahr 1991 dürfte die Einsicht in den negativen circulus vitiosus gewesen sein, der durch die Absatzkrise der ostdeutschen Wirtschaft seit der Währungsunion vom 1. Juli 1990 eingesetzt hatte. Diese Krise, die in der vorherrschenden Wahrnehmung vor allem als Angebotskrise (veralteter Kapital-stock) erschien, zerstörte die Illusionen über den Wert des Treuhandvermögens und verdeutlichte im Umkehrschluß den gigantischen Finanzbedarf jeder Sanierung in staatlicher Regie, der aber wiederum durch Treuhanderlöse offensichtlich nicht gedeckt werden konnte.
Bezeichnend ist die zeitliche Nähe des Rohwedderschen „Oster-Briefes“ zur Verabschiedung der „Grundsätze der Zusammenarbeit von Bund, neuen Ländern und Treuhandanstalt für den Aufschwung Ost“ am 14. März 1991. Diese „Grundsätze“ hatten den ostdeutschen Ministerpräsidenten ermöglicht, den Eindruck zu vermitteln, man habe die Treuhandanstalt zu einem „Kurswechsel“ im Sinne verstärkter Sanierungsanstrengungen bewegen können (der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe sprach diesbezüglich von einem „Durchbruch“ Rohwedders internes Schreiben vom 27. März 1991, das die „Grundsätze“ eingangs ausdrücklich erwähnt, zeigte, daß von einem solchen Kurswechsel keine Rede sein konnte, sondern vielmehr von einer Kurspräzisierung, aber im entgegengesetzten Sinne, als dies die ostdeutschen Ministerpräsidenten sich und andere glauben machen wollten.
Die „Grundsätze“ und die auf ihnen fußende Institutionalisierung einer verbesserten Abstimmung zwischen Treuhandanstalt und ostdeutschen Ländern hatten offenbar vor allem legitimatorische Qualität und blieben ohne unmittelbare Auswirkung auf das operative Geschäft der Treuhand. Folgerichtig führte die Konsolidierung der Geschäftspolitik der Treuhandanstalt im Jahre 1991 zu einer rigorosen Beschleunigung der Privatisierung. Der Bestandsabbau, der zum Ende des ersten Quartals 1991 erst 15 Prozent betragen hatte, machte Ende 1991 bereits 40 Prozent aus Der Vorstand unter der neuen Präsidentin Breuel erklärte das schnelle Tempo der Privatisierung auf mehreren Versammlungen für Management und Mitarbeiter (Insider-Jargon: „Feldgottesdienste“) von August bis November 1991 ausdrücklich zur Geschäftsphilosophie der Treuhandanstalt Damit wurde „Privatisierung“ vom Mittel für die „Sanierung“ definitiv zum Selbstzweck, das Privatisierungstempo in der Innenwirkung ebenso wie in der Außendarstellung zum alleinigen Erfolgskriterium der Organisation
IV. Ausdifferenzierung des organisatorischen Trabantenfeldes der Treuhandanstalt
Auf der operativen Ebene mußten sich jedoch auch die Grenzen der absoluten Priorisierung des Privatisierungstempos zeigen. Diese Grenzen hat die Treuhandanstalt nicht etwa ignoriert, sondern in institutioneile Innovationen umgesetzt. Bei diesen Innovationen handelt es sich um spezifisch ostdeutsche Entwicklungen und nicht um isomorphische Übertragungen aus Westdeutschland oder der DDR-Vergangenheit -wenngleich in der Mikrostruktur Leitbilder aus dem westdeutschen Institutionenrepertoire im Hinblick auf Rechtsformen und Organisationsstrukturen durchaus erkennbar sind.
Auf Grenzen mußte die absolute Priorisierung eines hohen Privatisierungstempos im Bereich von Grund und Boden und in Grenzfällen von sanierungsfähigen, aber aktuell unverkäuflichen Betrieben stoßen Die schnelle Privatisierung von Grund und Boden verbot sich von selbst, weil bei den relativ unelastischen Angebots-und Nachfrageverhältnissen auf dem Immobilienmarkt ein plötzliches Massenangebot zu krassem Preisverfall geführt hätte Ein Zusammenbruch des Boden-marktes mit seinen katastrophalen Folgen für die dingliche Sicherung des gesamten Kapital-und Anlagemarktes mußte aber in jedem Fall ausgeschlossen werden. Dies war die kardinale Ausnahme von der allgemeinen Geschäftspolitik der Treuhandanstalt, die ansonsten bei der rigorosen Privatisierung des Industriebesitzes den Preisverfall bewußt in Kauf nahm
Die Privatisierung von Grund und Boden wurde daher auch organisatorisch vom Kerngeschäft der Treuhandanstalt abgekoppelt, und zwar mit der Gründung der „Liegenschaftsgesellschaft der Treuhandanstalt“ (TLG) und der „Bodenverwaltungs-und -Verwertungsgesellschaft“ (BVVG). Die TLG vermarktet die „nicht betriebsnotwendigen“ Liegenschaften der Treuhandanstalt, die BVVG die landwirtschaftlichen Nutzflächen. Die Ausgründung von TLG und BVVG illustriert nicht nur die organisationspolitische Innovationsfähigkeit der Treuhandanstalt, wenn es um die Überbrückung geschäftspolitischer Dilemmata geht. Beide Gesellschaften sind auch Kernelemente der institutionellen Persistenz der Treuhandanstalt über den Zeitpunkt ihrer formellen Auflösung am 31. 12. 1994 hinaus. Dies ergibt sich zum einen aus der Langfristigkeit der speziellen Privatisierungsaufgabe und zum anderen aus dem erkennbaren Willen des Bundes, das Liegenschaftsgeschäft allein schon aus Gründen der dinglichen Absicherung der einigungsbedingten Bundesschulden nicht an die ostdeutschen Länder abzugeben, mithin also zentralistische Strukturen zumindest in diesem Aufgabensegment fortzuschreiben.
Mit Hilfe der selbstgenerierten institutionellen Innovationen gewann die Treuhandanstalt partiell jene Kontrolle über den zeitlichen Verlauf ihres Privatisierungsgeschäfts zurück, die sie im industriellen Kerngeschäft mit der Verabsolutierung schnellstmöglicher Privatisierung bewußt aufgege-ben hatte. Dieses Differenzierungsvermögen deutet darauf hin, daß die Vernachlässigung der Zeitdimension ökonomischer Restrukturierungsprozesse und des Risikos des Marktversagens, wie sie mit der Verabsolutierung der Schnelligkeit der Geschäftsabwicklung im industriellen Bereich einhergehen mußte -Risiken, auf die Treuhandpräsident Rohwedder im Herbst 1990 noch hingewiesen hatte -, nicht „blind“, sondern durchaus kalkuliert erfolgt war. Bislang wissen wir nicht, welche Faktoren genau in dieses Kalkül eingegangen sind. TLG und BVVG sind institutioneile Innovationen, die die Treuhandanstalt im wesentlichen -sieht man von den politischen Vorgaben für die Geschäftspolitik der BVVG ab -im Rahmen ihres eigenen Handlungsspielraums geschaffen hat. Ebenso wie bei den Rohwedderschen Reorganisationen vom Spätsommer und Herbst 1990 handelt es sich dabei um Vorgänge auf der administrativen Entscheidungsebene, die in einem problemlösungsorientierten Entscheidungsmodus unterhalb politischer Verhandlungsschwellen abliefen.
Bei anderen institutioneilen Innovationen sind stärkere politische Einflüsse evident. Diese stärkere Politisierung der institutioneilen Differenzierung der Treuhandanstalt ist wiederum auf die seit dem Frühjahr 1991 massiv gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit und die nun voll zum Tragen kommende Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften und ostdeutschen Landesregierungen zurückzuführen. Dies betrifft namentlich die Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung (ABS-Gesellschaften), die Management-Kommanditgesellschaften und die Beteiligung am sächsischen ATLAS-Projekt
Die Beteiligung an den ABS-Gesellschaften ist der Treuhandanstalt von den Gewerkschaften im Frühsommer 1991 förmlich abgerungen worden, sie hat sich aber ironischerweise letztlich für die Treuhandanstalt mehr ausgezahlt als für die gewerkschaftliche Klientel. Die nach wochenlangen, heftigen Auseinandersetzungen im Juli 1991 getroffene Rahmenvereinbarung sah eine Beteiligung der Treuhandanstalt lediglich an der Trägerschaft und Finanzierung von ABS-Landesdachgesellschaften vor, nicht an den einzelnen ABS-Gesellschaften selbst. Damit war die Treuhandanstalt, anders als es die Gewerkschaften ursprünglich intendiert hatten, von unternehmeri-scher Verantwortung für die ABS-Beschäftigten -durchweg freigesetzte Arbeitnehmer von Treuhandbetrieben -freigestellt, und dies mit finanziellen Aufwendungen (bis heute etwa 300 Millionen DM), die weit unter denjenigen in besonders spektakulären Sanierungsfällen wie in der Werft-industrie oder der Chemieindustrie liegen. Die ABS-Gesellschaften begegneten aber auch einer ökonomischen Dysfunktion der rigorosen Beschleunigung der Privatisierung, nämlich dem Verfall des Human-kapitals durch Arbeitslosigkeit. Sowohl für die Treuhandanstalt als auch unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten erwiesen sich die ABS-Gesellschaften daher ex post als nutzbringend.
Die Milderung ökonomischer Dysfunktionen infolge der rigorosen Beschleunigung der Privatisierung durch die partielle Rückgewinnung der Kontrolle über den zeitlichen Ablauf des operativen Geschäfts war der wesentliche Zweck auch der Management-Kommanditgesellschaften und des sächsischen ATLAS-Projekts Auch hier ist die Entstehungsgeschichte noch im einzelnen zu erforschen. Deutlich ist aber, daß die Treuhandanstalt in beiden Fällen, anders als bei TLG und BVVG, nicht ausschließlich aus eigenem Antrieb gehandelt hat, allerdings in unterschiedlichen Entscheidungsstilen: Während das Konzept der Management-Kommanditgesellschaften zwar auf politischen Druck, im Detail dann aber problemlösungsorientiert und treuhandintern entwickelt wurde, lag die konzeptionelle Initiative im Fall von ATLAS bei der sächsischen Landesregierung. Die Beteiligung der Treuhandanstalt an ATLAS erfolgte erst nach längeren Verhandlungsprozessen, in deren Verlauf sich die Treuhandspitze dazu durchringen mußte, das Projekt, das man unter Problemlösungsgesichtspunkten vermutlich für überflüssig hielt, als Preis für politische Konsensbildung zu akzeptieren.
Beide Projekte, Management-Kommanditgesellschaften und ATLAS, nahmen ihren Ausgang von der Erkenntnis bzw. Befürchtung drohender Deindustrialisierung. Die Treuhandanstalt war im Juni 1991 durch ein gemeinsames Gutachten der Beratungsfirmen McKinsey und Goldman & Sachs über die Chemie-Region Halle-Leipzig-Bitter-feld auf das Risiko einer Deindustrialisierung durch negative Synergieeffekte hingewiesen worden Dies betraf den zeitintensiven Prozeß der Neuentwicklung von Zuliefer-und Absatznetzwerken nach der Entflechtung der Kombinate. Wenn sanierungsfähige, aber aktuell unverkäufliche Unternehmen in die Liquidation geschickt wurden, konnte dies die Stabilisierung solcher Netzwerke immer wieder unterbrechen und in der Tat zu industriellen Brachen führen. Die Treuhandpräsidentin griff diese Überlegungen Anfang November 1991 auf und leitete daraus die Forderung ab, daß in Ostdeutschland „unter allen Umständen die industriellen Kernregionen erhalten bleiben“ müßten
Das Schlüsselwort der „industriellen Kernregionen“, das etwa ein Jahr später in der wirtschaftspolitischen Rhetorik eine stärkere Rolle spielen sollte, war die positive Wendung des negativ besetzten Begriffs der „Deindustrialisierung“. Ob die Treuhandanstalt Initiativen gegen Deindustrialisierungsrisiken ergriffen hätte, ohne durch politischen Druck dazu veranlaßt worden zu sein, muß dahin-stehen. Sicher ist jedenfalls daß das Projekt „Management-Kommanditgesellschaften“ auch den Zweck verfolgte, der im Herbst 1991 auf seiten der Gewerkschaften, der SPD-Opposition im Bund und der ostdeutschen Landesregierungen wieder aufflammenden Grundsatzkritik an der Treuhand-anstalt und ihrem Privatisierungskurs -verbunden mit der Forderung nach Umwandlung der Treuhandanstalt in eine oder mehrere Sanierungsholdings -den Wind aus den Segeln zu nehmen. Institutionelles Ergebnis der treuhandinternen Überlegungen waren die Management-Kommanditgesellschaften, deren bevorstehende Gründung kurz vor Jahresende 1991 bekanntgegeben wurde
V. Die Treuhand-Nachfolge-institutionen: Zum Problem der Nachhaltigkeit des Treuhand-Zentralismus
Der letzte und längste Schub der Institutionenbildung im Prozeß der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft setzte ein mit den Überlegungen zur Auflösung der Treuhandanstalt, die zum Jahresende 1994 vorgesehen ist. Diese Überlegungen waren wiederum, wie in der Frühzeit der Treuhandanstalt, streng auf die administrative Ebene unterhalb der Schwelle politischer Aufmerksamkeit beschränkt und mündeten im Spätherbst 1993 in einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem „Treuhandstrukturgesetz“. Dieser wurde im Juli 1994 von Bundestag und Bundesrat mit einer einzigen nennenswerten Änderung (Verzicht auf eine Verselbständigung des Vertragsmanagements in privater Rechtsform) verabschiedet.
Die Auflösung der Treuhandanstalt zu einem bestimmten Zeitpunkt beruht auf einer politischen Selbstbindung, nämlich der Devise, die Anstalt sei dazu da, „sich selbst überflüssig zu machen“ -oder -wie es der damalige Personalvorstand Koch formulierte, „funktionalen Selbstmord“ zu begehen Eine solche Perspektive konnte sich freilich nur auf den Abschluß des industriellen Privatisierungsgeschäfts beziehen, so daß implizit der Abschluß der industriellen Privatisierung mit dem Ende der Treuhandanstalt gleichgesetzt wurde. Damit avancierte der Akt der Auflösung zwangsläufig zum Erfolgsindikator schlechthin, und dies mußte die politische Selbstbindung zusätzlich festigen. Diese Selbstbindung wiederum mußte nicht nur die Suche nach und die Abwägung von Alternativen behindern, sondern auch die angemessene politische Behandlung der jenseits des industriellen Privatisierungsgeschäfts angesiedelten Aufgaben der Treuhandanstalt. Letztere müssen in den meisten Fällen über den Zeitpunkt der Beendigung des industriellen Privatisierungsgeschäfts hinaus fortgeschrieben werden. Diese langfristigen Aufgaben der Treuhandanstalt -wie die Abwicklung der abgeschlossenen Kaufverträge („Vertragsmanagement“), die Privatisierung, Reprivatisierung oder Kommunalisierung von Grund und Boden und die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben -haben in der öffentlichen Wahrnehmung und in der politischen Diskussion im Vergleich zur Privatisierungstätigkeit im engeren Sinne kaum Aufmerksamkeit gefunden.
Die Vorarbeiten für das „Treuhandstrukturgesetz“ begannen im Herbst 1992 mit der Bildung eines kleinen Arbeitsstabes aus Angehörigen der Leitungsebene der Treuhandanstalt und Beamten des Bundesfinanz-und des Bundeswirtschaftsministeriums. Dabei orientierte sich die Zeitplanung von vornherein am politischen Kalender der deutschen Innenpolitik. Die konzeptionelle Arbeit und nach Möglichkeit auch der Gesetzgebungsprozeß sollten vor dem Wahljahr 1994 abgeschlossen sein. Im März 1993 wurde das Beratungsergebnis des Arbeitsstabes im Verwaltungsrat verabschiedet und anschließend in seinen Grundzügen der Öffentlichkeit vorgestellt, wo es kein nennenswertes Echo hervorrief. Koalitionsinterne Diskussionen löste allerdings die vorgesehene unmittelbare Eingliederung der Rest-Unternehmen der Treuhandanstalt in den industriellen Bundesbesitz aus und die Übertragung des Vertragsmanagements auf private Träger (unter maßgeblicher Beteiligung von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften).
Der auf der Grundlage des Treuhandvorschlags im Oktober 1993 fertiggestellte Referentenentwurf für ein „Treuhandstrukturgesetz“ trug der koalitionsinternen Kritik durch eine Kompromißregelung Rechnung, nach der die zum 31. Dezember 1994 noch nicht privatisierten Treuhandbetriebe teils in Management-Kommanditgesellschaften, teils in sogenannten Führungsholdings zusammengefaßt werden sollen. Im übrigen sollen an die Stelle der Treuhandanstalt mehrere Nachfolgegesellschaften bzw. -behörden für das Vertragsmanagement, die Erledigung hoheitlicher Aufgaben und die Verwaltung und Verwertung von Grund und Boden treten. Träger der hoheitlichen Aufgaben (Vermögenszuordnung, Investitionsvorrangentscheidung, Grundstücksverkehrsgenehmigung und Kommunalvermögenszuordnung) und nunmehr auch des Vertragsmanagements soll als eigentliche Nachfolgeinstitution der Treuhandanstalt eine „Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonder-aufgaben“ (BVS) werden. Für die Verwaltung und Verwertung von Grund und Boden sind die bereits bestehenden privatrechtlichen Töchter der jetzigen Treuhandanstalt vorgesehen, also TLG und BVVG. Für die Länder werden bei allen Treuhand-Nachfolgeinstitutionen -statt, wie ursprünglich geplant, nur bei der BVS -beratende „Beiräte“ eingerichtet.
Die jetzige Treuhandanstalt wird also in eine relativ stark fragmentierte Struktur von Einzelorganisationen überführt, die jedoch alle in der direkten oder indirekten Trägerschaft des Bundes verbleiben. Es spricht also viel für die These, daß hier institutionelle Erbstrukturen des Treuhandzentralismus und damit letztlich der DDR-Wirtschaftsverwaltung erhalten bleiben, die den föderativen Verfassungsprinzipien und -Strukturen -und auch dem Suggestionseffekt einer „Auflösung“ der Treuhandanstalt -widersprechen. Der Entscheidungsprozeß, der zu diesem verfassungspolitisch überaus fragwürdigen Ergebnis geführt hat, bleibt von der politikwissenschaftlichen Forschung ebenso zu rekonstruieren bzw. zu interpretieren wie der erstaunliche Tatbestand, daß die Entscheidungen als solche weder zwischen Bund und ostdeutschen Ländern noch zwischen Regierung und Opposition auf Bundesebene zu nennenswerten Konflikten geführt haben. Derzeit läßt sich dazu das Folgende feststellen.
Die Zielbildung verlief im Entscheidungsprozeß über die Treuhand-Nachfolge keineswegs stetig. Unverkennbar gab es sowohl innerhalb der Treuhandanstalt als auch in den einschlägig befaßten Bonner Kreisen anfangs Unklarheiten über die Substanz der Nachfolgeaktivitäten. Dies war zum Teil eine Konsequenz der operativen Generallinie der Treuhandanstalt, die ja den Privatisierungsverlauf zum alleinigen Erfolgsindikator der Organisation gemacht hatte. Die Treuhandanstalt war zu einer Privatisierungsagentur schlechthin erklärt worden, deren Ziel darin bestehen sollte, sich durch die eigene Tätigkeit „selbst überflüssig zu machen“. Ferner ist das Jahr der Entscheidung über die Treuhand-Nachfolge neuerlich, wie schon das Jahr ihrer Entstehung, ein Wahljahr. Die Auflösung der Treuhandanstalt mit der Begründung, sie habe ihre Arbeit erledigt -bei 97 Prozent Bestandsabbau auf den ersten Blick überaus plausibel -, war also zwangsläufig ein auf seiten der Bundesregierung in hohem Maße willkommener Bestandteil ihrer eigenen Erfolgsbilanz. Damit wurdeaber der Illusion Vorschub geleistet, daß sich die Treuhandanstalt gleichsam verflüchtige, daß sie knapp fünf Jahre nach ihrer Gründung von der föderativen Normalverfassung des Staatsaufbaus der Bundesrepublik vollständig resorbiert werde.
Wir wissen, daß die Auflösungsillusion von der Bundesregierung, wohl aus den genannten taktischen Gründen, nach außen immer aufrechterhalten wurde, nicht aber, wann sie im inneren Kreis der Entscheidungsträger explizit aufgegeben wurde. Erst mit der Erkenntnis aber, daß auch nach der Beendigung des Privatisierungsgeschäfts Treuhand-Aufgaben in erheblichem Umfang bestehen bleiben würden, konnte eine realistische Planung einsetzen.
Diese Planung für operative organisatorische Maßnahmen zur Vorbereitung der „Treuhand II“ (wie der Insider-Jargon realistischerweise lautete) verlief einigen Anzeichen zufolge ebenfalls nicht bruchlos. Von sich geradezu aufdrängenden Lösungen konnte unter den gegebenen Umständen nur bedingt die Rede sein. Für die Fortführung der bereits existierenden privatrechtlichen Träger TLG und BVVG ließen sich sicher pragmatische Gründe anführen -neue Trägerformen hätten einen erheblichen Organisationsaufwand bedeutet. Aber immerhin waren diese Träger treuhand-intern seit ihrem Bestehen nicht unumstritten, so daß man sich auch ein Wiederaufleben der Diskussion über das Für und Wider gerade bei Gelegenheit der großen Nachfolgeregelung hätte denken können. Ob es solche internen Diskussionen gegeben hat und welchen Verlauf sie gegebenenfalls nahmen, wissen wir nicht.
Bekannt ist dagegen, daß es offene Kontroversen zwischen Treuhandanstalt und Bonner Ministerialbürokratie auf der einen Seite und Koalitionsabgeordneten des Deutschen Bundestages auf der anderen Seite über die organisatorischen Lösungen für die Restunternehmen der Treuhandanstalt sowie für das Vertragsmanagement gegeben hat. Eine Abgeordnetengruppe um den CSU-Abgeordneten Faltlhauser favorisierte für die Beteiligungsführung der Restunternehmen der Treuhandanstalt im Sommer 1993 erstmals die „Führungsholdings“ als Trägerform für die bis zum 31. Dezember 1994 nicht privatisierten Treuhand-Unternehmen. Diese sollten eine regionale Gliederung nach den Grenzen der neuen Bundesländer haben, für grenzüberschreitende Unternehmen sollte es auch gemeinsame Führungsholdings mehrerer Bundesländer geben. Die Kapitalanteile der Führungsholdings sollten „in erster Linie von den Ländern gehalten werden“
Noch deutlicher ausgeprägte Spannungen gab es allem Anschein nach in Zusammenhang mit der organisatorischen Gestaltung des Vertragsmanagements. So verwahrte sich der Leipziger CDU-Bundestagsabgeordnete Pohler in einem Brief an den Bundesfinanzminister dagegen, daß Finanzministerium und Treuhandanstalt den Eindruck erweckten, die Planungen für die Treuhand-Nachfolge müßten vom Parlament nur noch ratifiziert werden Im Dezember forderte der Ausschuß „Treuhandanstalt“ des Bundestages auf Betreiben Pohlers ein Gutachten der Unternehmensberatung Kienbaum über die Vorschläge des Treuhandstrukturgesetz-Entwurfes an. Dieses Gutachten lag im März 1994 vor und kritisierte vor allem die privatrechtliche Lösung für die Institutionalisierung des Vertragsmanagements. Die Koalitionsabgeordneten im Ausschuß machten sich diese Kritik zu eigen und erreichten dadurch die einzige substantielle Änderung des Gesetzentwurfes gegenüber den internen Planungen von Treuhandanstalt und Ministerialbürokratie, nämlich die Eingliederung des Vertragsmanagements in die künftige Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonder-aufgaben (BVS).
Besonders interpretationsbedürftig ist das Verhalten der ostdeutschen Länder. Zunächst wissen wir nicht, wann und in welchem Maße den ostdeutschen Landesregierungen die tatsächliche Relevanz der Regelungen zur Treuhand-Nachfolge für die Landesverwaltung und die Landespolitik wirklich bewußt geworden ist. Auch hier mag die Fixierung auf die Privatisierungsthematik den Blick auf die realen Verhältnisse eher verstellt als geschärft haben. Die Länder hatten ja spätestens seit der insofern wegweisenden Breuel-Schommer-Vereinbarung vom April 1992 durchweg Anstrengungen zur Beteiligung an oder Stützung von „regional bedeutsamen“ Treuhandunternehmen unternommen, z. T. mit wohlklingenden Landesprogrammen (ATLAS [Sachsen], ANKER [Sachsen-Anhalt], ZEUS [Brandenburg]). Es ist nicht auszuschließen, daß die eminente und unmittelbare Bedeutung des Vertragsmanagements, der Verwaltung und Verwertung von Grund und Boden und der hoheitlichen Aufgaben (vor allem Grundstücksverkehrsgenehmigungen) für die Verwaltungsautonomie der Länder und Gemeinden sowie für die faktischen Spielräume der Landespolitik, vor allem im Bereich der Infrastrukturplanung, den Landesregierungen zunächst gar nicht bewußt war.
Dies allein könnte das Entscheidungsverhalten der ostdeutschen Länder aber nicht erklären. Die Länder haben sich nämlich auch dann noch passiv verhalten und auf mehr oder weniger symbolische Interventionen beschränkt, als sie verbal die Bedeutung der Einzelaufgaben hervorgehoben haben (so in der Erklärung der ostdeutschen Ministerpräsidenten und des Regierenden Bürgermeisters von Berlin vom 10. Dezember 1993). Auch die schließlich noch durchgesetzten beratenden Länder-„Beiräte“ bei allen Treuhand-Nachfolgeinstitutionen ändern an der Trägerschaft des Bundes und damit am alltäglichen Verwaltungszentralismus bei den Treuhand-Nachfolgefunktionen nichts.
Diese Zurückhaltung der ostdeutschen Länder entbehrt nicht einer gewissen Zwangsläufigkeit. Naheliegend ist die Vermutung, daß die Länder nur durch ihre zweideutige Haltung im Planungsprozeß für die Treuhand-Nachfolge folgendes Dilemma überbrücken konnten: Einerseits gilt die „treuhänderische“ Verwaltung und Verwertung des vormals volkseigenen Vermögens für niemanden als die ostdeutsche Bevölkerung und damit für deren Gebietskörperschaften Die ostdeutschen Länder und Gemeinden wären nach den Buchstaben der Verfassung (Art. 28 und 30 GG) und der Präambel des Treuhandgesetzes die natürlichen Rechtsnachfolger der Treuhandanstalt. Andererseits aber fehlt es den Ländern und Gemeinden in Ostdeutschland weitgehend an den Voraussetzungen dafür, im Jahre 1995 die Treuhand-Nachfolge tatsächlich anzutreten. Dies gilt für die unkalkulierbaren Risiken der Verkaufsverträge (nicht zuletzt im Hinblick'auf die Regulierung ökologischer Altlasten auf Betriebsstättengeländen), für Mängel bei den Oberfinanzdirektionen und den Landesämtern zur Regelung offener Vermögens-fragen im Hinblick auf Verwaltungskraft, Fachwissen und Marktkenntnis im Immobilienbereich (beide Behördenzweige wären originär zuständig sowohl für die „hoheitlichen Aufgaben“ der Treuhandanstalt als auch für die Verwaltung und Verwertung von Grund und Boden) -und es gilt selbstverständlich auch für die anspruchsvolle Aufgabe der Beteiligungsführung von staatseigenen Unternehmen (also von solchen, die als Restbestand der Treuhandanstalt zum 31. Dezember 1994 noch übrig sein werden).
Die Landesregierungen konnten bei aller Kritik an der Treuhandanstalt kaum daran vorbeisehen, daß diese ihnen nicht nur unliebsame Risiken und Lasten abnahm, sondern daß sie nach vier Jahren Tätigkeit auch einen immensen Professionalitätsvorsprung vor den ostdeutschen Gebietskörperschaften gewonnen hatte. Diese Tatsache mag den Ländern die Akzeptanz der faktischen Verhältnisse erleichtert haben -zumal, wenn man sie für Übergangsphänomene hielt.
Dieselben Umstände machen aber auch deutlich, wie asymmetrisch die Kompetenzbeziehungen und Durchsetzungsmöglichkeiten zwischen den Treuhand-Nachfolgern als Bundesagenturen und den ostdeutschen Landes-und Kommunalverwaltungen auch in Zukunft sein werden. Immerhin konnten die Länder in der Schlußphase der Beratungen zum Treuhandstrukturgesetz noch die Einrichtung von Länder-„Beiräten“ bei allen Treuhand-Nachfolgeinstitutionen durchsetzen. Diese Beratungsgremien ändern freilich nichts an der Bundes-kompetenz. Nach wie vor wird der Bund eine „Nebenregierung Ost“ unterhalten und dadurch -überflüssig zu betonen: unfreiwillig -zur Nachhaltigkeit institutioneller Hinterlassenschaften der DDR und ihres Zentralismus beitragen.