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Jugend und Religion in den neuen Bundesländern | APuZ 38/1994 | bpb.de

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APuZ 38/1994 Zunehmende Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen Jugend und Gewalt Ergebnisse einer empirischen Untersuchung an Magdeburger Schulen Jugend und Religion in den neuen Bundesländern

Jugend und Religion in den neuen Bundesländern

Heiner Barz

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Unter Einbeziehung verschiedener Repräsentativbefragungen werden die Ergebnisse einer qualitativen Erhebung unter 12-bis 24jährigen ostdeutschen Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorgestellt und diskutiert. Religion, für Marx das „Opium des Volkes“, war zu DDR-Zeiten fast gleichbedeutend mit Subversion. Daraus erklärt sich einerseits das dramatische Zurückdrängen der Konfessionen, der religiösen Praxis wie auch religiöser Kenntnisse. Zum andern erwarb sich die Kirche als Institution durch ihre Staatsferne aber ein wesentlich freundlicheres Image als im Westen. Es zeigt sich, daß kirchliches Engagement in der ehemaligen DDR -ganz anders als im Westen -mit unkonventionellen, experimentierfreudigen und gesellschaftskritischen Einstellungen einherging. Dem in der veröffentlichten Meinung vorherrschenden Bild von orientierungslosen Jugendlichen, die für para-und pseudoreligiöse Angebote (Sekten, Okkultismus, Esoterik) eine leichte Beute seien, wird entschieden widersprochen. Schließlich werden die Gründe für die verblüffende Renaissance der Jugendweihe diskutiert und die Glaubenshorizonte der jungen Generation in den neuen Bundesländern abgesteckt.

I. Zur Bedeutung des Themas „Jugend und Religion“

Das Forschungsprojekt „Jugend und Religion“, durch dessen Ergebnisse ich im folgenden einen kleinen Streifzug unternehmen will, wurde im Frühjahr 1989 konzipiert, in einer Zeit also, in der der Fall der Mauer oder gar die deutsche Einheit bestenfalls als eine ferne Zukunftsvision erschienen. Als Ende 1990 schließlich -nachdem das Bonner Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit die Finanzierung zugesagt hatte -mit der Realisierung des Projektes begonnen werden konnte, war der Einigungsvertrag freilich bereits unter Dach und Fach und somit war es möglich, ja unumgänglich geworden, auch die ehemalige DDR in die Erhebung einzubeziehen. Wir gingen jedoch schon aufgrund der augenfälligen Unterschiede, etwa der ganz anderen konfessionellen Struktur, der viel geringeren Kirchenmitgliedschaft und der Rolle der Kirchen als Zentren der Opposition davon aus, daß die in der DDR aufgewachsene Jugend nicht einfach an die West-Jugend „angeschlossen“ werden dürfte. Der Ost-West-Vergleich wurde zwar ein wichtiger Teil des Forschungsvorhabens, am Anfang aber standen grundsätzlichere Überlegungen, auf die hier zunächst ein kurzer Blick geworfen werden soll.

Konfrontiert mit einer Vielzahl neuer Herausforderungen im Umkreis des Religiösen -angefangen bei pendelnden und gläserrückenden Schülern über die Verschmelzung von postklassischer Physik, Selbsterfahrung und Spiritualität in der rasant expandierenden New-Age-Bewegung bis hin zu neuen fundamentalistischen, charismatischen und liturgischen Strömungen an den Rändern der traditionellen christlichen Kirchen selbst -, konfrontiert mit einer neuen religiösen Unruhe also, die sich aber in weiten Teilen außerhalb kirchlicher Strukturen und Angebote artikulierte, sah sich der Dachverband der Evangelischen Jugendarbeit, die aej Ende der achtziger Jahre veranlaßt, nach grundlegenden Daten zur Religiosität Jugendlicher zu fragen. Die vielfältigen Veränderungen in den Sozialisationsbedingungen und in der Lebenswelt Jugendlicher und die damit einhergehenden Attraktivitätseinbußen des traditionellen kirchlichen Angebots warfen ebenfalls die Frage auf, welche religiösen Überzeugungen, Erlebnisweisen und Rituale heute das Alltagsleben Jugendlicher prägen.

Der empirischen Sozialwissenschaft war dazu nur äußerst Spärliches zu entnehmen Seit über 30 Jahren markiert das Thema „Jugend und Religion“ einen blinden Fleck in der Forschungslandschaft -zumindest insoweit Religion nicht auf Ritualteilnahme und die Zustimmung zu Glaubenssätzen reduziert, sondern auch die Alltags-relevanz religiöser Überzeugungen, der subjektive Stellenwert konkurrierender Sinn-, Freizeit-und Krisenbewältigungsangebote, die Einbettung von Religion ins soziale Ganze einbezogen wird. Zwar liegen eine Reihe von Untersuchungen zum Problem der sogenannten Jugendsekten, zu den Kirchentagen oder zum Jugend-Okkultismus vor. Aber die Fixierung auf diese eher exotischen Phänomene, die trotz großer öffentlicher Aufmerksamkeit -auch und insbesondere in den neuen Bundesländern! -nur für kleine Minderheiten von Bedeutung sind, verstellt gerade den Blick auf die breite Mehrheit der religiös unauffälligen Jugendlichen. Von besonderem Interesse war dementsprechend von Anfang an die Frage nach der „Religion der Areligiösen“: Was glauben eigentlich die, die an nichts glauben bzw. zu glauben meinen? Welche neuen Formen der kontemplativen Selbsterkenntnis, der symbolischen Verdichtung von Alltagserfahrung sowie der rituellen Alltags-ferne, der inneren Einkehr und des kollektiven Verbundenheitserlebens haben die Funktion der verblassenden christlichen Überlieferung übernommen? Damit schloß sich die Studie der von Emile Dürkheim begründeten, z. B. von Talcott Parsons fortentwickelten und heute vielleicht am einflußreichsten von Thomas Luckmann vertretenen funktionalen, leistungsbezogenen Sicht von Religion an. Obgleich diese genuin soziologische Betrachtungsweise der Religion theologische Besinnungen aufs Proprium („das Eigene“) weder ersetzen kann noch will, können von ihr doch wertvolle Anregungen auch für die kirchliche Arbeit ausgehen. Die erstaunliche Resonanz auf die Veröffentlichung der Ergebnisse dieses Forschungsprojekts nicht nur in Fachkreisen sondern auch in der Kirchenpresse und der kirchlichen Jugendarbeit scheint dies zu bestätigen. .

II. Methode und Forschungsdesign

In Fällen, in denen ein bislang kaum erforschtes Gelände durch eine Pilotstudie erschlossen werden soll, hat sich das Erhebungsinstrumentarium der qualitativen, themenzentrierten Einzelgespräche bewährt. Ziel dieser zeitaufwendigen und auswertungsintensiven Gespräche ist die weitgehend authentische Selbstdarstellung der Gesprächspartner, unterstützt durch einfühlsame Interviewer. Unter Verzicht auf vorgegebene Kategorien-systeme kann der Gesprächspartner im Idealfall alle für ihn subjektiv relevanten Einstellungen, Erwartungen, Motive und Gefühle zum Ausdruck bringen. Behutsames Nachfassen durch psychologisch geschulte Interviewer nach den Regeln der klientenzentrierten Gesprächsführung erlaubt die Gewinnung von heuristischen Hinweisen auf tieferliegende Ängste, Wünsche, Sehnsüchte, Sympathien und Antipathien, die durch standardisierte Fragebogeninterviews nicht umstandslos zu ermitteln sind. Ohne damit anspruchsvolle Forderungen wie beispielsweise die nach der „Rekonstruktion des sozialen Unbewußten“ auch nur ansatzweise einlösen zu wollen, hat sich diese Forschungsstrategie doch über viele Jahre hinweg -etwa in der SINUS-Lebensweltforschung -bewährt, ja als äußerst fruchtbar erwiesen 8.

Zur Vorbereitung der eigentlichen Erhebung wurde eine Bilanz des Forschungsstandes unter besonderer Berücksichtigung der „funktionalen Äquivalente“ von Religion erarbeitet 9. Parallel dazu wurde in zehn Gesprächen mit namhaften Experten aus den Bereichen Jugendforschung, Theologie, Kultursoziologie, Religionspädagogik und Jugendarbeit der aktuelle fachwissenschaftliche Dikussionsstand problembezogen erhoben. Die so gewonnenen Erkenntnisse, Anregungen und Desideratanzeigen flössen in die Konzeption des Themenkatalogs ein, der den ca. dreistündigen Gesprächen zugrunde lag. Bei der Festlegung der zu behandelnden Themen orientierten wir uns auch an den fünf Dimensionen der Religiosität des amerikanischen Religionssoziologen Charles Y. Glock. Mit Glock, dessen Modell unserer Unter-8 Es sei angemerkt, daß sich dieses Verfahren stark von der in der akademischen Sozialwissenschaft weithin bekannten Oevermannschen Objektiven Hermeneutik unterscheidet: schon hinsichtlich der Stichprobengröße (in der Regel werden 50 bis 100 Fälle bearbeitet) und der Stichprobenziehung (in der Regel werden quotierte Kontrastgruppen gebildet) bis zu den Auswertungsschritten (am Anfang stehen Einzel-fallstudien auf der Basis von Tonbandmitschnitten der Gespräche, es folgt die Entwicklung von Kategoriensystemen am Textmaterial und dessen fallspezifische, themenspezifische und quotengruppenspezifische Verdichtung in mehreren Stufen, schließlich die Darstellung und Interpretation der so gewonnenen Befunde). Zwar lernt man qualitative empirische Sozialforschung nach meiner festen Überzeugung genausowenig aus Büchern wie Autofahren oder Schwimmen -wer auf eigenes Risiko aber dennoch schriftliche Auskünfte über das qualitative Paradigma erhalten möchte, findet diese noch am ehesten bei Peter M. Wiedemann, Erzählte Wirklichkeit. Zur Theorie und Auswertung narrativer Interviews, Weinheim-München 1986, oder bei Roland Girtler, Methoden der qualitativen Sozialforschung. Anleitung zur Feldarbeit, Wien u. a. 19882. Einen Überblick über die . neuere Literatur gibt Christian Fleck, Vom „Neuanfang“ zur Disziplin? Überlegungen zur deutschsprachigen qualitativen Sozialforschung anläßlich einiger neuer Lehrbücher, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 44 (1992) 4, S. 747-765. Fleck bestätigt freilich meine Skepsis, wenn er über die Autoren der Lehrwerke festhält: „Sie schreiben Methoden-bücher vor dem Hintergrund relativ geringer Forschungserfahrung.“ (S. 759). 9 Dieser Literaturbericht erschien als erster Band des Forschungsberichts „Jugend und Religion“: H. Barz, Religion ohne Institution? (Anm. 1).suchung als heuristisches Suchraster diente, unterschieden wir 1. die rituelle Dimension, die etwa Gottesdienst, Gebet und andere autotherapeutische Praktiken, Konfirmation, Jugendweihe, okkulte Rituale beinhaltet; 2. die ideologische Dimension, -z. B. Auferstehung, Wunder, etc. -bezieht; die sich auf Glaubensüberzeugungen an Gott, Sünde, Lebenssinn 3. die intellektuelle Dimension, die Kenntnisse über religiöse Themen wie Bibel, Jesus, fremde Religionen, New Age etc. beschreibt; 4. die Dimension der Konsequenzen, bei der es um die sozialen Auswirkungen religiöser Orientierungen, etwa Ethik im Alltag (Beispiel: ungewollte Schwangerschaft) und soziales Engagement, geht, und schließlich 5. die Erlebnisdimension, die nach religiös vermittelten Gefühlen, z. B.der Furcht oder der Zuversicht und der Geborgenheit fragt, aber auch religiöse Symbole oder heilige Orte einbezieht.

Ich brauche kaum zu erwähnen, daß in der empirischen Religionssoziologie der letzten Jahrzehnte Religion zumeist auf die beiden ersten Dimensionen reduziert wurde. Die von Thomas Luckmann in seinem berühmten Buch über „die unsichtbare Religion“ vor über dreißig Jahren formulierte Feststellung gilt leider noch immer: „Kaum eine andere soziologische Disziplin ist so vollständig von einer engen positivistischen Methodologie beherrscht wie die neuere Religionssoziologie.“ Weiter versteht es sich von selbst, daß die Ergebnisse der hier vorzustellenden Studie als Hypothesen zu lesen sind, die der weiteren Überprüfung bedürfen.

Die Feldphase lag im Westen Deutschlands in den Monaten Februar bis April 1991, im Osten im Mai bis Juli 1991. Ausgewertet wurden insgesamt 86 focussierte Tiefeninterviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 12 bis 24 Jahren, davon 62 aus West-und 24 aus Ost-Deutschland. Neben gängigen Kriterien wie Alter, Bildungsabschluß bzw. Schulart, Geschlecht, Urbanität wurde die Stichprobe nach Kirchennähe quotiert. Etwas vereinfacht wurden drei Gruppen unterschieden: 1. die Gruppe der Kirchennahen, definiert über •die aktive Teilnahme an kirchlicher Jugendarbeit; 2. die Gruppe der Kirchenfernen, operationalisiert darüber, daß sie kirchlichen Angeboten fernbleiben, und 3. die Gruppe derjenigen, die über aktive Erfahrungen mit Techniken oder Lehren aus dem Umkreis von New Age oder des Okkultismus verfügen. Gesprächspartner aus dieser letzten Gruppe haben wir in Anlehnung an Peter L. Bergers These vom „Zwang zur Häresie“ als „Häretiker“ bezeichnet.

III. Probleme des sozialwissenschaftlichen Ost-West-Vergleichs

Der heuristische Charakter, der den Befunden der gesamten Studie zukommt, gilt für die Erhebung im Osten in besonderer Weise. Mußte schon für den Westen hinsichtlich des Themas „Jugend und Religion“ eine äußerst dürftige Datenbasis konstatiert werden, so kann für die ehemalige DDR von einem diesbezüglichen „Forschungsstand“ gleich gar nicht die Rede sein. Ein zweites Problem liegt in der eingeschränkten Übertragbarkeit von im Westen erprobten Forschungstechniken auf die neuen Bundesländer. Der unterschiedliche Wortschatz bzw. -gebrauch stellt dabei noch die geringste Schwierigkeit dar. Ein schwerwiegenderes Hindernis bildet die größere, vor dem Hintergrund der Stasi-Erfahrungen aber verständliche Scheu der Neu-Bundesbürger, fremden Interviewern persönliche Einstellungen, Vorlieben oder Erfahrungen preiszugeben. Bedeutet die daraus resultierende Flucht in Allgemeinplätze -etwa die Bevorzugung des unverfänglicheren „man“ anstelle eines bekennenden „ich“ -eine Schranke auf seiten der Befragten, so bildet das Fehlen eines gemeinsamen kulturellen Hintergrundes eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit auf seiten des Auswerters und Interpreten. Denn ich gehe mit Jörg Ueltzhöffer und Bodo Berthold Flaig davon aus, daß „es sich bei sozialempirischen Ost-West-Analysen in Deutschland -auf absehbare Zeit jedenfalls -um interkulturelle Vergleiche handelt“ Allzu hochgespannte Erwartungen werden die folgenden Ergebnisse schließlich auch deshalb nicht befriedigen können, weil die empirische Basis -nicht zuletzt in der Hoffnung auf eine zweite, breiter angelegte Forschungsphase -mit 24 Interviews vergleichsweise schmal bleiben mußte.

IV. Fremd im eigenen Land

Zu den größten Überraschungen des Projektes gehört die erfolglose Suche nach „Häretikern“ im Osten. Ungeachtet des durch übereifrige Sekten-jäger und sensationsgierige Medien hervorgerufenen Eindrucks, ostdeutsche Jugendliche seien infolge einer grassierenden Orientierungslosigkeit eine leichte Beute jeglicher para-und pseudoreligiöser Angebote, konnten wir trotz intensivster Bemühungen keine Gesprächspartner finden, die über eigene aktive Erfahrungen mit okkulten Praktiken oder New-Age-Techniken verfügten. Das Fehlen von „Häretikern“ in den neuen Bundesländern erschien auch uns zunächst um so erstaunlicher, als es eine bisher kaum bezweifelte Lehrmeinung über die Entstehungsbedingungen „religiöser Extremgruppen“ in Frage stellt -geht man doch allgemein davon aus, daß „Krisenzeiten ... stets eine Sternstunde religiöser Rand-gruppen“ seien Und daß die Wende mit ihrer Euphorie und die nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 eingetretene Katerstimmung in jeder Hinsicht ein Gefühl existentieller Verunsicherung hervorgebracht haben, bedarf kaum eines Beweises. Die angesichts des hohen Tempos der Veränderungen geforderten Umorientierungs-und Anpassungsleistungen kamen allenthalben auch in unseren Interviews zum Ausdruck, etwa in folgendem Resümee eines 17jährigen Schülers einer Leistungsklasse: „Wenn sich alles um einen herum ändert und alles anders wird, wenn das Land, in dem man lebt, obwohl man an derselben Stelle lebt, ein anderes wird, ... also das ist ja wirklich etwas sehr Merkwürdiges ... Es ändert sich das Geld, mit dem man bezahlt, die Waren, die man kauft, werden andere, die Gesetze, nach denen man leben muß, die Grundsätze, die gelehrt werden. Wenn der einzelne das nicht so schnell verkraftet, dann wird er fremd im eigenen Land.“

Nichts also wäre naheliegender, als daß sich die derart verunsicherten Neu-Bundesbürger in Scharen den um sie werbenden Heilslehren, den esoterischen und okkulten Glücksversprechen und Deutetechniken zuwendeten. So schlüssig indessen diese Erwartung scheint -die empirische Wirklichkeit belehrt eines besseren.

V. Der Osten -eine leichte Beute für Seelenfänger?

Erst eine genauere Analyse vermag das überraschende Desinteresse der Ostdeutschen an religiösem Extremismus aufzuklären. Zwei Überlegungen scheinen« mir dabei wesentlich. Die erste bezieht sich auf den „häretischen Imperativ“, den der amerikanische Soziologe Peter L. Berger als Strukturmerkmal moderner, pluralistischer Gesellschaften postuliert: „Das deutsche Wort , Häresie* geht zurück auf das griechische Verb hairein, das soviel wie »wählen* bedeutet. Eine Hairesis bedeutete ursprünglich ganz einfach, eine Wahl zu treffen. ... Damit der Begriff der Häresie überhaupt irgendeine Bedeutung bekommen konnte, war die Autorität einer religiösen Tradition notwendige Voraussetzung. Nur im Hinblick auf eine solche Autorität konnte man überhaupt eine häretische Einstellung annehmen. Der Häretiker leugnete diese Autorität und lehnte es ab, die Tradition in toto zu akzeptieren. Statt dessen suchte und wählte er aus den Traditionsinhalten aus, und aus diesem Ausgesuchten und Ausgewählten bildete er sich seine eigene abweichende Meinung. ... In prämodernenSituationen leben die Menschen in einer Welt religiöser Sicherheit, die gelegentlich durch häretische Abweichungen in Mitleidenschaft gezogen wird. ... Für den prämodernen Menschen stellt die Häresie eine Möglichkeit dar, für gewöhnlich allerdings eine fernab gelegene; für den modernen Menschen wird Häresie typischerweise zur Notwendigkeit. ... Der moderne Mensch lebt ... in einer Welt voll Wahlmöglichkeiten. ... Das gewöhnliche Alltagsleben ist voller Wahlmöglichkeiten, angefangen von der höchst trivialen Wahl zwischen miteinander konkurrierenden Konsumwaren bis hin zu weitreichenden Alter­ nativen im Lebensstil. Auch die Biographie ist eine Abfolge von Wahlen, ... Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Bildungs-und Berufslaufbahn, der Ehepartner und -, Stile, der alternativen Erziehungsweisen, der beinahe unbegrenzten Vielfalt freiwilliger Bindungen, sozialer und politischer Engagements. ... Modernität schafft eine neue Situation, in der Aussuchen und Auswählen zum Imperativ wird. “

Für diese Situation des radikalisierten Pluralismus hat sich inzwischen der Begriff Postmoderne eingebürgert, der entgegen manchem Mißverständnis nicht eine epochale Novität, schon gar nicht eine Gegen-Moderne bezeichnet, sondern vielmehr die verallgemeinerte Verwirklichung, die flächendekkende Durchsetzung der in der Moderne angelegten Dezentrierungspotentiale

Es dürfte nun nicht mehr ganz so unverständlich erscheinen, daß eine Gesellschaft wie die der DDR die Vielfalt und Buntheit, Differenz und Dissens auf allen Ebenen zu unterbinden suchte, kaum „Häretiker“ im eben beschriebenen Sinne hervorgebracht hat Das dabei vorausgesetzte Vorhandensein gleich-gültiger Wahlmöglichkeiten war im real existierenden Sozialismus weder materiell noch ideell gegeben. Die Uniformität des Warenangebots, die Vorbestimmtheit der Lebens-planung, die Systematik der Kontrolle, die Normierung der Weitsicht, der allgegenwärtige Bevormundungs-und Versorgungsanspruch des DDR-Regimes sind zu oft beschrieben worden, als daß ich sie hier auszuführen bräuchte. Die Gleichschaltung und Außensteuerung von Denken, Lebensstil und Lebensverlauf stehen jedenfalls in scharfem Kontrast zur Bundesrepublik Deutschland, in der sich mittlerweile schon der Supermarkt von nebenan mit dem Motto „Lust am Leben“, der Optiker mit dem „Erlebnis Brille“ und die Bibel-gesellschaft mit dem Slogan „Jedem die Bibel, die er braucht“ darum bemühen, die Wahlentscheidungen der Menschen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Einer der großen alten Männer der Jugendforschung, Shmuel N. Eisenstadt, konstatiert dementsprechend, „daß die Jugend in der BRD bereits durch viele postmoderne Züge gekennzeichnet war, während sie in der DDR im wesentlichen noch innerhalb des Rahmens eines bestimmten Typus von Modernität verblieb“

Ein zweiter Grund für den offenkundig fehlenden Zuspruch der Ostdeutschen zu Sekten, Okkultismus und Esoterik liegt -auch das widerspricht einer naheliegenden Vermutung -in der Zurückdrängung des christlich-kirchlichen Einflusses in der DDR. Denn entgegen der vor allem in kirchlichen Expertisen immer wieder überstrapazierten „Sinn-Defizit-Hypothese“, die den schwindenden Einfluß christlicher Glaubensüberzeugungen, das Fehlen übergeordneter Orientierungssysteme für die Hinwendung zu fragwürdigen „Konkurrenz-angeboten“ verantwortlich machen will, wird von verschiedenen Okkultismus-Forschern übereinstimmend eher ein Zusammenhang zwischen einer fehlgeschlagenen -man könnte auch sagen: einer umgepolten -traditionell-kirchlichen Sozialisation und okkulten Neigungen konstatiert: „Somit scheint es für langandauernde und , härtere Okkultkarrieren Jugendlicher gerade nicht so zu sein, wie viele Experten vermuten, daß sie Resultat eines Sinndefizits, eines religiösen Orientierungsvakuums und -Verlustes sind, sondern sie werden im Gegenteil eher durch ein Zuviel an religiösem Sinn hervorgerufen.. .“

Wenn Okkultismus also die Fortsetzung religiöser Indoktrination mit anderen Mitteln, unter umgekehrten Vorzeichen, ist, wird klar, warum er in der ehemaligen DDR noch kaum Fuß fassen konnte Denn mit der Entkonfessionalisierung der DDR ging auch eine starke Skepsis gegenüber allem Übernatürlichen einher.

Entsprechendes gilt für die Attraktivität von (Jugend-) Sekten, Esoterik und New Age, so daß die für uns zunächst so überraschende Vergeblichkeit der Suche nach „Härterikern“ in der ehemaligen DDR inzwischen auch von besonnenen Beobachtern als Widerlegung einer falschen Erwartung bestätigt wird: „Es hat in den neuen Bundesländern die befürchtete , Invasion von Sekten und religiösen Gruppierungen bisher nicht gegeben. Zwar haben Krishnas und die Scientologen in jeder Stadt ihre Stände aufgebaut und zu Veranstaltungen eingeladen; der Besuch solcher Angebote hält sich jedoch in Grenzen.“

VI. Konfessionszugehörigkeit und Kirchenimage

Die auffälligsten und unstrittigsten Unterschiede zwischen Ost und West im Bereich der Religion betreffen die Konfessionszugehörigkeit und das Kirchenimage. Das SED-Regime war im Zurückdrängen christlich-kirchlicher Religiosität offenbar so „erfolgreich“ wie sonst nirgends in der Umsetzung seiner Programmatik -die Zahl der Kirchenmitglieder nahm in den letzten Jahrzehnten der Ein-Parteien-Herrschaft rapide ab. Die Mehrheit der Bevölkerung (ca. 65 Prozent) ist heute konfessionslos. Bei Jugendlichen liegt die Zahl der Konfessionslosen -die in Repräsentativumfragen ermittelten Daten schwanken -sogar irgendwo zwischen 80 und 90 Prozent. Das Verhältnis von Konfessionslosen zu Kirchenmitgliedern im Osten stellt damit ungefähr die Umkehrung dieses Verhältnisses im Westen dar, wo trotz wiederkehrender Austrittswellen -die nächste wird für 1995 infolge der Wiedereinführung des Solidaritätszuschlags erwartet -noch immer ca. 90 Prozent der deutschen Jugendlichen einer christlichen Konfession angehören. Dieser dramatische Unterschied wird in seiner Aussagekraft hinsichtlich der tatsächlichen Kirchenbindung jedoch etwas relativiert, wenn man der plausiblen Überlegung von Jürgen Eiben folgt, der „Randmitglieder“ -also diejenigen Kirchenmitglieder, die man etwas salopp auch „Taufscheinchristen“ nennt -und „echte“ Konfessionslose zu einer Gruppe „kirchlich Indifferenter“ zusammenfaßt. Gemäß der jüngsten Shell-Jugend-Studie unterscheiden sich die so gewonnenen Gruppen der „kirchlich Indifferenten“ unter den 13-bis 29jährigen in Ost (92 Prozent) und West (76 Prozent) in der Größenordnung dann nicht mehr so eklatant.

Dem somit zwar etwas entschärften, aber doch immer noch deutlichen Ost-West-Gefälle der Kir­ chenbindung steht paradoxerweise die Tatsache gegenüber, daß das Ansehen der Kirchen im Osten wesentlich besser ist als im Westen. Dies hat jedoch kaum religiöse Ursachen im eigentlichen Sinne, sondern ist Resultat der Funktion der Kirchen als Schonraum und Schutzpatron für oppositionelle Gruppen in der ehemaligen DDR und zur Zeit der Wende. „Die Kirche in der DDR war immer noch ein bißchen etwas anderes, weil bei uns standen sich immer Kirche und Staat gegenüber, ... wenn man mit dem Staat nicht so einverstanden war, dann ging man eben zur Kirche.“ Auch wurde es der protestantischen Kirche von den Jugendlichen bisweilen hoch angerechnet, daß sie in der Wende eine aktive Rolle gespielt hat und in den Monaten des Umbruchs „die verfeindeten Parteien am runden Tisch zusammengekriegt hat“.

Wie für die Kirche im allgemeinen, so gilt auch für die kirchliche Jugendarbeit im besonderen, daß sie im Osten ein wesentlich günstigeres Image hat. Zwar wird auch von ostdeutschen Jugendlichen bisweilen der Verdacht geäußert, letztlich stecke doch immer eine Missionsabsicht dahinter („da kommt die Bibel zuallerletzt so ganz geschickt von hinten rein“), aber dieser ist im Vergleich zum Westen eher schwach ausgeprägt. Die anderen stark negativen Komponenten, die im Westen eine große Rolle spielen, haben wir in unseren Ost-Befunden überhaupt nicht angetroffen: Jugendarbeit der Kirche wird im Osten -nicht als Schonraum für die, die alleine nicht mit dem Leben zurechtkommen, beargwöhnt; -nicht als ein Sammelbecken der braven, streng erzogenen, verklemmten Jugend angesehen; -nicht als Ersatz für fehlende Freizeitangebote anderer, attraktiverer Art betrachtet und schließlich auch -nicht als langweilige „Beschäftigungstherapie“ abgelehnt.

Was die Wahrnehmung der kirchlichen Jugendarbeit demgegenüber dominiert, spielt sich eher zwischen tolerantem Desinteresse und eingestandener Unkenntnis auf der einen, Neugier und Wertschätzung auf der anderen Seite ab. Positiv wird, vor allem die Offenheit der dort möglichen Diskussion schon zu DDR-Zeiten hervorgehoben: „Ein bißchen abgeschirmt, während man draußen nur Phrasen dreschen konnte.“

Das vergleichsweise sehr gute Image ist jedoch nach 1989 bereits stark zurückgegangen, vor allem infolge der Veränderung der kirchlichen Rolle im Staat. Wurde die Kirche früher eher mit der Opposition in Verbindung gebracht, wird sie heute als Stütze der neuen Macht (Stichwort: Pastoren-Politiker) erlebt: „Hier kann mir keiner weismachen, daß alle, die in der CDU sind, auch wirklich Christen sind.“ Die Einführung der Kirchensteuer und die Debatten um die Einführung eines obligatorischen Religionsunterrichts scheinen die Hauptgründe für den drastischen Imageeinbruch zu sein, der sich auch in Repräsentativbefragungen niederschlägt: „Erwarteten 1990 noch 39 Prozent der jungen ostdeutschen Generation von den Kirchen Antworten auf die moralischen Probleme und Nöte des einzelnen, so sind es nun noch 17 Prozent. Der Anteil, der sich Antworten auf die aktuellen sozialen Probleme des Landes erhofft, ist von 42 auf 20 Prozent geschrumpft.“

Der immer wieder berichtete Teilnehmerrückgang in den Jungen Gemeinden seit der Wende im Herbst 1989 dürfte freilich außer diesem verspielten Vertrauensvorschuß noch andere Gründe haben. Wo früher 20, 30 Jugendliche zusammen-kamen, heißt es z. B. „waren wir letztens nur noch drei“. Die Jugendlichen selbst suchen die Gründe in der knapper werdenden freien Zeit (auch eine Folge der Wende), den neuen Freizeitangeboten (neue Medien, Reisen, Rockkonzerte) und der Abwanderung in den Westen (übrigens auch von Pastoren). Nicht zuletzt dürfte es eine erhebliche Rolle spielen, daß das einigermaßen offene, regimekritische Gespräch heute nicht mehr auf die von der Kirche gewährten Freiräume angewiesen ist.

Wie sehr die Kirchen mit ihrem Bestreben, auch im Osten zügig Machtpositionen im Staat zu besetzen, bereits große Sympathien verspielt haben, wurde in unseren Gesprächen auch beim eigens thematisierten Verhältnis von Kirche und Staat deutlich. Entschieden wird die Trennung von Kirche und Staat befürwortet, und zwar weil -derjenige freiwillig Kirchensteuer zahlen soll, der auch wirklich „dran glaubt“; -die Kirche ihre Attraktivität dann immer wieder beweisen muß; -eine kleine Gruppe eine engere Gemeinschaft bildet; -es gefährlich ist, wenn der christliche Glaube zum guten Ton gehört; -eine oppositionelle Kirche einer Staatskirche vorzuziehen ist; -ein Machtzuwachs der Kirche sich letztlich nicht zum Nutzen der Menschen auswirkt; -die Religion sich vom „miesen politischen Geschäft“ reinhalten soll; -Gewaltenteilung auch zwischen Politik und Religion sinnvoll ist.

VII. Die kirchennahe Jugend -die „Häretiker“ des Ostens?

Zwischen der kirchennahen Jugend im Westen und der kirchennahen Jugend Ost bestehen infolge der völlig verschiedenen gesellschaftlichen Rolle der institutionalisierten Religion wesentliche Unterschiede. Bereits vor der Wende war westdeutschen Kirchenleuten aufgefallen, daß die Motive für kirchliche Partizipation in der DDR oft recht wenig mit christlicher Religionspraxis im engeren Sinn zu tun hatten. So wunderte sich etwa Karl-Fritz Daiber: „Bei Gesprächen mit Gemeindemitgliedern in einem Leipziger Neubaugebiet habe ich festgestellt, daß unter den Mitgliedern dortiger Hauskreise keineswegs religiöse Motive für die Teilnahme am kirchlichen Leben dominieren. Auch in diesen, relativ aktiven Kreisen besteht zum Teil eine deutlich Distanz zur kirchlichen Lehre und zu religiösen Überzeugungen.“

Bereits 1982/83 fand der damalige Landesjugendpfarrer Johannes Lohmann bei einer Befragung von 1000 Mitgliedern der Jungen Gemeinde in Mecklenburg ein entschlossenes Desinteresse an kirchlichen Themen: „Mit Begriffen Gottesdienst, Altar, Abendmahl konnte eine deutliche Mehrheit der Befragten nichts anfangen, nur die Hälfte der jungen Leute wußte ungefähr über die Bibel Bescheid. Auf innerkirchlich heiß umstrittene Fragen z. B. nach der Gestaltung der Abendmahls-feier ... reagierten die jungen Leute mit Unverständnis.“

Während Kirche und Religion in der ehemaligen DDR naturgemäß eine gewisse Affinität zur Subversion hatten, wächst bei westdeutschen Jugendlichen mit zunehmender Kirchennähe die Bereitschaft, konventionelle Werte (gute Umgangsformen, Sparsamkeit) und Lebensstile (Heiraten, Tanzkurs, keine ausgefallene Kleidung) zu schätzen, Alltagsdrogen (Zigaretten, Alkohol) ebenso wie „Alltagsflips“ („irrsinnig laut Musik hören“, „öfter eine Nacht durchmachen“) zu meiden. Generell läßt sich für kirchennahe Jugendliche im Westen eine größere Nähe zur Tradition, zu den dominanten kulturellen Mustern und eine vergleichsweise geringere Subkulturorientierung konstatieren

Während im Westen Kirchennähe also in der Regel mit Anpassung einhergeht, tendieren die ostdeutschen Kirchennahen eindeutig stärker zu Nonkonformismus und unkonventionellen Lebensstilen. Bedingt durch das regimekritische Bekenntnis, das kirchliches Engagement innerhalb einer erklärtermaßen atheistischen Gesellschaft automatisch immer auch war, brachte Kirchen-nähe eine gesellschaftliche Außenseiterrolle und manifeste Nachteile -etwa auch den Verzicht auf Karriere -mit sich. Aufwachsen in der DDR hieß soviel wie Aufwachsen in einer Gesellschaft, in der Religion als ein Kampfinstrument des Klassenfeindes intellektuell geächtet und in der praktischen Entfaltung auf eine Nischenexistenz ohne sichtbare gesellschaftliche Relevanz zurückgedrängt worden war. Die damit gegebene oppositionelle Haltung zum Staat machte die Kirche insbesondere vor und in der Wende für kritische Geister attraktiv: „Über die Opposition bin ich zur Religion gekommen -das ist bei den meisten so gewesen“, erklärte eine unserer kirchennahen Gesprächspartnerinnen, und auch die allgegenwärtige Repressionsdrohung kommt in ihren Ausführungen zur Sprache: „Ich durfte mich nicht öffentlich zeigen, und wenn ich z. B. das Krippenspiel mitgemacht hätte, dann hätte ich kein Abitur. ... Viele Leute, die früher in der Kirche engagiert waren, haben heute kein Abitur, und die in den alten Bundesländern, die fragen, , Was, Sie haben kein Abitur? 6, aber die fragen nicht, warum!“

VIII. Die Jugendweiheein religiöses Irrlicht

Die Nachfrage nach kirchlichen Dienstleistungen ist im Westen im Bereich der sogenannten Passagerituale -Taufe, Kommunion bzw. Konfirmation, Trauung, Trauerfeier -ungebrochen, ja, nach einem zeitweisen Rückgang im Zuge der antiautoritären Bewegung sogar wieder steigend Von besonderer Bedeutung ist dabei, daß selbst viele Konfessionslose und erklärte Atheisten und ca. die Hälfte der erklärtermaßen Nicht-religiösen auf Taufe, Trauung und kirchliches Begräbnis nicht verzichten wollen Es scheint sich dabei aber weniger um den Wunsch nach theologischem Beistand zu handeln, als vielmehr um ein transkulturell zu beobachtendes Bedürfnis nach Begleitung, kollektiver Einbindung und zeremonieller Bekräftigung des Über-gangs von einem Lebensabschnitt in den nächsten. Neben den rein materiellen Anreizen z. B. bei der Konfirmationsfeier („wer sich den Haufen Kohle zur Konfirmation entgehen läßt, muß ganz schön behämmert sein“) kommen hier alte magische Vorstellungen und vor allem die Rolle des Pfarrers als Entertainer und Zeremonienmeister zum Tragen: Gesucht wird -insbesondere für die „Hochzeit in Weiß“ -eine Art spiritueller Partyservice. Daß sich dieses kultur-übergreifende Bedürfnis dabei durchaus von seinem ideologischen Überbau zu emanzipieren vermag, wird vielleicht nirgends so deutlich wie bei der alle Beobachter irritierenden, anhaltend hohen Teilnahmequote an den Jugendweihefeiern in den neuen Bundesländern.

Für den mit dem Leben in der DDR wenig vertrauten Leser aus dem Westen könnte es wichtig sein, wenigstens einige Basisinformationen zur sozialistischen Jugendweihe zu kennen: Die Jugendweihe ist nämlich keineswegs ein von der SED, auch nicht von den Nationalsozialisten, erfundenes Passageritual, wie vielfach vermutet wird. Sie wurde vielmehr in der Mitte des vorigen Jahrhunderts von freireligiösen Gemeinden anstelle der Konfirmation eingeführt: „Die Jugendweihe, deren unterschiedliche Wurzeln in Deutschland bis weit in das 19. Jh. zurückreichen, wurde in der DDR erstmals 1955 unter Beteiligung von 17, 7 Prozent aller 14jährigen durchgeführt. Heute sind es regelmäßig über 98 Prozent aller Schüler/innen, die am Ende des 8. Schuljahres mit einem Gelöbnis zum Sozialismus, zur DDR und zur Freundschaft mit der Sowjetunion in die , Reihe der Erwachsenen 6 aufgenommen werden. Die Jugendweihe gehört zum festen Bestandteil des sozialistischen Erziehungssystems, ist mittlerweile aber auch ein Familienfest. Die Teilnahme gilt offiziell als freiwillig, doch hat, wer die Jugendweihe verweigert, nur geringe Aufstiegschancen. ... Die Jugendweihe findet an einem Maiwochenende in Anwesenheit von Verwandten, Lehrern, Vertretern der politi-sehen Organisationen und des Staates statt. Gedichte, Gesang, Musik sowie Festansprache umrahmen den zentralen Akt, das Gelöbnis.“

Entgegen allen Erwartungen ist die Jugendweihe -von ideologischem Ballast befreit -vielleicht ein Paradebeispiel für weltanschauungsneutrales Ritualrecycling geworden Für 1992 nennt die aus dem Zentralen Jugendweiheausschuß der DDR hervorgegangene „Interessenvereinigung Jugendarbeit und Jugendweihe e. V.“ jedenfalls 50 000 Teilnehmer, für 1993 sogar 73000. Die Akzeptanz dieser atheistischen Feier liegt damit weit über der der christlichen Konfirmation -in Ostberlin etwa gab es 1992 ganze 800 Konfirmanden, an Jugendweihefeiern nahmen demgegenüber 6500 Jugendliche teil Die Jugendweihe erreicht heute in manchen Gegenden wieder 100 Prozent der entsprechenden Altersjahrgänge, was in kirchlichen Kreisen auch schon zum Anlaß genommen wurde, über das Angebot eines christlichen Passageritus für Konfessionslose (!) nachzudenken

Die Berichte unserer Gesprächspartner zu ihren Jugendweiheerinnerungen legen es nahe, in der Jugendweihe tatsächlich ein Äquivalent zur Konfirmation zu sehen. Ähnlich wie letztere wird auch die Jugendweihe ambivalent erlebt: Einerseits ist sie eine Familienfeier, bei der es jede Menge Geschenke gibt, der Jugendliche im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht und ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg ins Erwachsenwerden („Man fühlt sich ein Stück größer“). Andererseits ist sie eine lästige Pflichtübung („Sonst kriegte man nicht mal ’ne gute Lehrstelle“), die mit „langatmigem Gequatsche“ und „aufgesetzter Feierlichkeit“ assoziiert wird. Stärker als in den Berichten über die Konfirmation jedoch war in den Schilderungen zur Jugendweihe die Dimension der Aufnahme in die Erwachsenengesellschaft herauszuhören: Anklänge an echte Mannbarkeitsriten zeigten sich etwa im Stolz auf den ersten öffentlichen (und natürlich übermäßigen) Alkoholgenuß oder auch in den Berichten über erste gemeinsame Diskobesuche: „Ich trank 'ne halbe Flasche Weißen und schlief dann auf der Toilette ein. Da zeigte man also, daß man langsam männlich wird.“

IX. Bekenntnisse der Ostdeutschen

„Ich bin nicht glaubenslos. Ich glaube zwar nicht an eine höhere Macht, aber ich glaube an moralische Werte.“ In dieser Antwort eines Gymnasiasten auf unsere Frage „Woran glaubst Du eigentlich selbst?“ zeigt sich die generell in den neuen Bundesländern stärker als im Westen spürbare Orientierung an gemeinschaftsbezogenen, altruistischen Werten. Nicht daß unbedingt an das Gute im Menschen geglaubt würde. Aber die Notwendigkeit, sozial zu denken, Schwächeren zu helfen, die Mitmenschen zu achten, keine Intrigen zu schmieden, wird häufig spontan als Glaubensbekenntnis formuliert: „Ich habe einen moralischen Verhaltenskodex, das ist mein Glaube.“ Auch daß die Sorge um eine intakte Umwelt dazugehört, wird bisweilen spontan vermerkt. Eine zweite wesentliche Komponente der spontanen Antworten liegt in der Abgrenzung gegen Glauben im engeren Sinne. „Auf jeden Fall nicht an Gott“, „nicht im religiösen Sinne“. Hier wird auf die atheistische Erziehung, auf das Fehlen religiöser Vorbilder und religiöser Einflüsse in der eigenen Kindheit verwiesen: „Erstens kenne ich keinen, der in die Kirche geht... und zweitens wurde das nur schlecht gemacht, ... so wie die Zaren... daß die alle ausbeuten“. Und manchmal wird dieser Umstand auch bedauert: „Das ist irgendwo auch schade. Irgendwie wäre es auch interessant gewesen, in einer religiösen Familie aufzuwachsen.“

Geglaubt wird aber auch in der ehemaligen DDR inzwischen zum Teil nur noch „an mich selbst“ -oder daran, daß es darauf ankomme, „das Beste aus mir und meinem Leben zu machen“. Wobei durchaus auch die mit der unentrinnbaren Eigenverantwortlichkeit einhergehenden Belastungen, Zweifel und Überforderungen thematisiert werden und die Sehnsucht nach einem Glauben „im Sinne von hundertprozentig sicher sein“ teilweise unumwunden eingestanden wird: „Ich wünsche mir manchmal zu glauben, weil das Kraft gibt.“ Natürlich findet sich auch im Osten das Bekenntnis zur Empirie: „Ich glaube nur, was ich sehe“, und -auch das muß erwähnt werden -der Glaube an Gott. Die im Westen bereits deutlich konturierte Collagen-Religiosität („wenn du überall ’n bißchen Wahrheit rausnimmst, dann hast du die absolute Wahrheit -nämlich deine Wahrheit,“ „ich glaube, daß alle Religionen wahr und unwahr sind und sich jeder seine eigene Religion selbst Zusammenzimmern muß“) scheint im Osten (noch?) kaum selbstbewußten Vertreter gefunden zu haben. Bei der Säkularisierung des Wunder-Begriffs dagegen scheint es sich um eine gesamtdeutsche Tendenz zu handeln. Wunder der Technik wie z. B. Raumschiffe, Wunderkinder wie ein klavierspielender Kinderstar, die Weltwunder oder auch Wunder des Alltags wie das Überleben einer schweren Operation, Wunder der Politik wie das Auftreten Gorbatschows, oder auch der Ökologie -„daß bei Tschernobyl nicht mehr passiert ist“ -werden zum Thema „Wunder heute“ genannt. Der Begriff des Wunders wird also nicht im eigentlichen Sinne göttlichen Eingreifens ins Weltgeschehen verwendet, sondern im übertragenen. Ein Wunder ist etwas besonders Erstaunliches, etwas Unerwartetes, etwas Außergewöhnliches.

Auch im Osten finden sich allenfalls kirchennahe Jugendliche bereit, Gott bzw. Jesus als Urheber der in der Bibel berichteten (Heilungs-und Speisungs-) Wunder anzusehen. Für die kirchenferne Jugend treten dagegen diesseitige Erklärungsversuche die Nachfolge des göttlichen Wunders an. Was früher als Wunder galt, ist demnach zu erklären durch -die Naturwissenschaft: Energien, Magnetfelder, technisches Know-how etc.; -die Massenpsychologie: eine charismatische Persönlichkeit versetzt Menschen kollektiv in Trance; -die Psychosomatik: der Glaube an Heilung führt zur Heilung; -Machtinteressen: die Kirche spielte einzelne Begebenheiten hoch, um Menschen zu bekehren; -metaphorische Rede: die Wunder Jesu sind als Gleichnisse zu verstehen.

Folgt man den großen Repräsentativumfragen seit der Wende, dann ist der Glaube an Gott in der ehemaligen DDR wesentlich weniger verbreitet als im Westen. Nach Jürgen Zinnecker *etwa bekennen sich unter altbundesdeutschen Schülerinnen und Schülern noch über die Hälfte zum Glauben an Gott, in den neuen Ländern dagegen nur jede(r) sechste oder siebte. Allerdings geben solche Zahlen noch keine Aufschlüsse über die inhaltliche Charakteristik des Gottes, an den jeweils geglaubt wird. Nach unseren Gesprächen ist zunächst -wie auch im Westen -die große Unsicherheit in der Auseinandersetzung mit der Frage „Existiert Gott?“ zu konstatieren: „Ich glaube an Gott und gleichzeitig habe ich da sofort meine Zweifel“ ist eine typische Äußerung. Es ist auch hier die Theo­ dizeeproblematik, die bohrende Fragen aufwirft: Wo zeigt sich die göttliche Allmacht in all den Kriegen? Weshalb greift Gott nicht ein bei Hungerkatastrophen? Wo bleibt der gerechte Gott in dieser Welt des Unrechts mit heimatlosen Flüchtlingen, vereinsamten Alten, kriminellen Jugendlichen, die ihr Brot mit Prostitution verdienen müssen? Gegen das Vorhandensein Gottes spricht nicht zuletzt sein Nichterscheinen in konkreten persönlichen Nöten:, Wie kann Gott es zulassen, „daß mein Onkel so schlimm sterben mußte“?

Deutlich ausgeprägt ist ebenfalls die Ablehnung einer personalen Gottesvorstellung. Während die Allegorie vom „alten Mann mit dem weißen Bart“ nur belächelt wird und mit dem Wesen, das uns strafen kann für das, was wir auf der Erde tun, nicht mehr im Ernst gerechnet wird, sind technomorphe Erklärungen stark ausgeprägt: „Gott ist Kraft, ist Energie“ oder gar „Gott ist der Geist der Materie“. Gott wird hier also zum Synonym für das, was die Einheit hinter allen Erscheinungsformen des Lebens gewährleistet -und ebenso für das, was das Leben ins Leben ruft und am Leben erhält: der Ursprung, der Urgrund, das Allumfassende, die Quelle allen Lebens. In die Nähe dieser Gottesbeschreibungen gehört die pantheistische Vorstellung, daß Gott sich überall in der Natur -gerade in ihren Schönheiten -zeige; und ebenfalls in jedem Menschen. Aber eine genaue Bestimmung dessen, was Gott sei, wird immer wieder als unmöglich verworfen: „Mit unserem Streben kommen wir da nie dran“ -Gott bleibe letztlich das Unbestimmbare, das Unverstehbare, vor dem alle Worte versagen. Neben der technomorphen und der mystischen Gottesauffassung begegnete uns weiter eine psychologische. Hier wird Gott entweder positiv als der innere Dialogpartner gedeutet: „Gott ist das Zwiegespräch, das man mit sich führt; da löst man sich von seiner Umwelt, die man nicht mehr ertragen kann.“ Oder: Gott wird getreu der marxistischen Religionskritik zum „Phantansiegebilde der Menschen“, zur bloßen Erfindung, die denjenigen Halt gibt, die etwas brauchen, an das sie sich klammern können. Ähnlich wie in den alten Bundesländern hat auch für Jugendliche in Ostdeutschland die christliche Auffassung, Jesus Christus sei der Sohn Gottes und habe sich für uns am Kreuz geopfert, offenbar kaum eine Bedeutung. Zwar wird die historische Richtigkeit des Geschehens kaum in Zweifel gezogen, seine besonderen Leistungen, Talente und Fähigkeiten werden bewundert, und auch als humanitäres Vorbild zollt man ihm Respekt, aber die heilsgeschichtliche Relevanz von Jesu Tod und Auferstehung will heute nicht mehr einleuchten. Eine Dimension des Glaubens, in der sich ost-und westdeutsche Jugendliche wieder stärker unterscheiden, ist die Bereitschaft, an ein Leben nach dem Tod zu glauben. Aus der Shell-Jugend-Studie wissen wir, daß im Westen immerhin bereits wieder 55 Prozent an ein „Weiterleben nach dem Tod“ glauben, während diese Quote im Osten bei 19 Prozent liegt. Wenn nun allerdings dieser Ost-West-Unterschied von Jürgen Zinnecker und Arthur Fischer als Renaissance von Jenseitsvorstellungen in West-bzw. als stärkere Bindung an das Diesseits in Ostdeutschland interpretiert wird, dann zeigt sich hierin eine erstaunliche Ahnungslosigkeit in bezug auf das, was „Weiterleben nach dem Tod“ alles bedeuten kann. Der im Westen höhere diesbezügliche Wert ist nämlich alles andere als ein Beleg für eine neue Transzendenzorientierung! Inhaltlich sind die Vorstellungen vom Leben nach dem Tod so gut wie gar nicht mehr an die christliche Auferstehungslehre gebunden. An ihre Stelle ist vielmehr die aus dem östlichen Kulturkreis stammende Reinkarnationsidee getreten. Diese ist in westlichen Industriestaaten bereits sehr einflußreich -in Ostdeutschland scheint sich ihre Verbreitung pikanterweise gerade auf die Kirchen-nahen zu beschränken. Die Seelenwanderungslehre, wie sie sich seit einiger Zeit -an westliche Bedürfnisse angepaßt -hierzulande verbreitet, hat aber gerade das Weiterleben auf dieser Welt und kein Jenseits zum Inhalt. Obgleich oder gerade weil sie bei uns größtenteils ohne die in Indien damit verbundene Karma-Lehre adaptiert wird, ist sie ausschließlich aufs Diesseits gerichtet: Es geht um Unsterblichkeit als Fortsetzung des diesseitigen Lebens -nicht um ein Transzendieren des Kreislaufs von Leid und Glück. Insofern zeigt sich in der neuen Konjunktur von Unsterblichkeitshoffnungen im Westen gerade nicht die „Umkehrung des langfristigen Trends zur Säkularisierung“ sondern vielmehr dessen Radikalisierung.

Mußte schon für den Westen eine starke Ausdünnung religiöser Kenntnisse konstatiert werden („Wer hält sich denn heute noch an die sieben -sic! -Gebote?“), so gilt dies um so mehr für die neuen Bundesländer. Beispielsweise klagte einer unserer Gesprächspartner, daß in der katholischen Kirche noch immer in Latein gepredigt würde, ein anderer bekannte: „Ich kenne kein Gebet. Ich weiß nur, daß am Schluß , Amen‘ gesagt wird.“ Ein Befund, der wenig verwundert, kam Religion doch in der Schule höchstens in der Staatsbürgerkunde und im Geschichtsunterricht vor -Religionsunterricht gab es selbstverständlich nicht: „In der Schule wurde Religion eher primitiv dargestellt als eine Einrichtung, die nur zum Geldeintreiben für die Pfaffen da ist.“ Allerdings scheint das Verlangen, die religiösen Bildungslücken aufzufüllen, auch nicht unbedingt unwiderstehlich groß zu sein. So berichtete uns ein Gesprächspartner von seinem Versuch, einmal in einen Gottesdienst zu gehen, um „mitzukriegen, was da überhaupt vor sich geht. -Einmal war ich kurz davor gewesen, aber dann fuhr kein Bus.“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Heiner Barz, Religion ohne Institution? Eine Bilanz der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung (Band 1), Opladen 1992; ders., Postmoderne Religion am Beispiel der jungen Generation in den alten Bundesländern (Band 2), Opladen 1992; ders., Postsozialistische Religion am Beispiel der jungen Generation in den neuen Bundesländern (Band 3), Opladen 1993.

  2. In der aej, der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin West e. V., wie sie damals noch hieß, sind die evangelischen Verbände und Jugendwerke, wie CVJM, EC (Deutscher Verband der Jugendbünde für entschiedenes Christentum e. V.), VCP (Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder e. V.), AES (Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Schülerarbeit) usw., sowie die Jugendarbeit aller Mitgliedskirchen der EKD und eines Teils der evangelischen Freikirchen zusammengeschlossen.

  3. Einschlägige Standardwerke der Sozialisationsforschung (vgl. z. B. Klaus Hurrelmann/Dieter Ulich [Hrsg. ], Neues Handbuch der Sozialisationsforschung, Weinheim-Basel 19914), der Entwicklungspsychologie (vgl. z. B. Hanns Martin Trautner, Lehrbuch der Entwicklungspsychologie, 2 Bände, Göttingen u. a. 1978/1991) oder der Jugendforschung (vgl. z. B. Heinz-Hermann Krüger [Hrsg. ], Handbuch der Jugendforschung, Opladen 1988) enthalten noch nicht einmal im Register Stichworte wie Religion, Kirche oder Glauben. Erst die zweite Auflage von Krügers Handbuch von 1993 enthält einen Beitrag „Jugend und Religion“.

  4. Auch die letzte umfassende Studie von Hans-Otto Wölber, Religion ohne Entscheidung. Volkskirche am Beispiel der jungen Generation, Göttingen 1959, war übrigens von der aej in Auftrag gegeben worden.

  5. V. a.der zweite Band (H. Barz, Postmoderne Religion [Anm. 1]) fand ein großes Echo.

  6. Vgl. dazu stellvertretend das Vorwort von Thomas Luckmann, in: H. Barz, Postmodeme Religion (Anm. 1), S. 11-17, hier S. 15. Neben zahllosen Artikeln und Sendungen in den Popularmedien erschienen bisher über 50 größtenteils beifällige, teils kritische Berichte und Rezensionen allein in der Fachpresse.

  7. Allein innerhalb des ersten Jahres nach der Veröffentlichung befaßten sich an die 50 Fachtagungen im In-und Ausland mit den brisanten West-Ergebnissen.

  8. Thomas Luckmann, Die unsichtbare Religion, Frankfurt am Main 1991 (ursprünglich 1963, erweiterte engl. Fassung 1967), S. 54. Daß diese nach wie vor dominante kirchen-soziologische Seilschaft sich auch heute noch über den Versuch, die funktionale Sicht der Religion empirisch fruchtbar zu machen, nur entrüsten kann, liegt in der Natur der Sache. Man erinnere sich nur, daß Joachim Matthes bereits 1967 gegen Luckmanns erweiterten Religionsbegriff Stellung bezog. Vgl. Joachim Matthes, Religion und Gesellschaft -Einführung in die Religionssoziologie II, Reinbek 1967, S. 117.

  9. Peter L. Berger, Der Zwang zur Häresie. Religion in einer pluralistischen Gesellschaft, Freiburg 1992 (1980).

  10. Jörg Ueltzhöffer/Bodo Berthold Flaig, Spuren der Gemeinsamkeit? Soziale Milieus in Ost-und Westdeutschland, in: Werner Weidenfeld (Hrsg.), Deutschland. Eine Nation -doppelte Geschichte, Köln 1993, S. 61-82, hier S. 62 (Hervorhebung im Original).

  11. Als einer der ersten und rührigsten Warner ist der Berliner Pfarrer Thomas Gandow zu nennen, als Beispiel medialer Desinformation kann die TV-Reportage „Invasion der Seelenfänger“ im Bayerischen Rundfunk vom 11. 1. 1994 gelten.

  12. So z. B.der ostdeutsche Sektenforscher Helmut Obst, Zwischen Geistheilung und Konsum, in: Lutherische Monatshefte, (1992) 1, S. 8-11, hier S. 9, der freilich angefügt: „Die bisherige Entwicklung nach der Wende blieb aber, wenn ich richtig sehe, auch hier weit hinter den Erwartungen zurück.“

  13. P. L. Berger (Anm. 11), S. 40f., 32f., 41 (Hervorhebungen im Original; Satzfolge von mir umgestellt, H. B).

  14. Vgl. dazu z. B. Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 19913, insbesondere S. 65-85.

  15. Dafür natürlich um so mehr Ketzer des von Berger als prämodern beschriebenen Typs.

  16. Shmuel Noah Eisenstadt, Jugend in Europa zwischen moderner und postmodemer Gesellschaft. Vorwort, in: H. Barz, Postsozialistische Religion (Anm. 1), S. 11-28, hier S. 11.

  17. Näheres dazu in Heiner Barz, Dramatisierung oder Suspendierung der Sinnfrage? Anomietendenzen im Bereich Religion/Kirche, in: Wilhelm Heitmeyer u. a. (Hrsg.), Anomietendenzen und ihre Bedeutung für interethnische und interkulturelle Konflikte (Arbeitstitel, in Vorbereitung).

  18. Werner Helper, Okkultismus -Die neue Jugendreligion? Die Symbolik des Todes und des Bösen in der Jugend-kultur, Opladen 1992, S. 25f.

  19. Inzwischen ist die okkulte Welle möglicherweise da und dort auch in die neuen Bundesländer übergeschwappt -obgleich durch den spektakulären, angeblichen Ritual-Mord an Sandro Beyer im thüringischen Sondershausen wiederum eine falsche Optik entstand. Die gründlichen Hintergrund-Recherchen von Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck (Die Zeit, Nr. 31 vom 30. 7. 1993) bestätigen jedenfalls, was auch die ermittelnde Anklagebehörde immer wieder betonte: „Die Tat als solche hat mit dem Satanskult unmittelbar überhaupt nichts zu tun.“ (Zitiert nach FAZ vom 1. 1. 1994)

  20. Andreas Fincke, Die geistig-religiöse Lage in den neuen Bundesländern, in: Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 56 (1993), S. 313-319, hier S. 317. Vgl. auch H. Obst (Anm. 14).

  21. Vgl. H. Barz, Postsozialistische Religion (Anm. 1), S. 195 f.

  22. Vgl. Jürgen Eiben, Kirchen und Religion -Säkularisierung als sozialistisches Erbe?, in: Jugendwerk der Deutschen Shell (Hrsg ), Jugend '92. Lebenslagen, Orientierungen und Entwicklungsperspektiven im vereinigten Deutschland. Band 2: Im Spiegel der Wissenschaften, Opladen 1992, S. 91-104, hier S. 93f.

  23. Renate Köcher, Jm neuen Staat nicht zu Hause. Umfrage unter Ostdeutschlands junger Generation, in: Rheinischer Merkur vom 15. 11. 1991, S. 11.

  24. Karl-Fritz Daiber, Kirche und religiöse Gemeinschaft in der DDR, in: Gegenwartskunde, Sonderheft 5, 37 (1988), S. 75-88, hier S. 83.

  25. Johannes Lohmann/Reinhard Koch, Junge Gemeinde in Mecklenburg 1983, in: Barbara Hille/Walter Jaide, DDR-Jugend, Politisches Bewußtsein und Lebensalltag, Opladen 1990, S. 248-250, hier S. 248f.

  26. Zu diesem Ergebnis kommen jedenfalls in Übereinstimmung mit unseren Befunden die Korrelationsanalysen der Shell-Studien von 1985 und 1992, vgl. J. Eiben (Anm. 24), S. 100.

  27. Vgl. z. B. die ersten Ergebnisse der dritten EKD-Umfrage über Kirchenmitgliedschaft: Fremde Heimat Kirche, erstellt von der Studien-und Planungsgruppe der EKD, Hannover 1993, S. 41 ff.

  28. Dies zeigt die jüngste europäische Wertestudie: Paul M. Zulehner/Hermann Denz, Wie Europa lebt und glaubt. Europäische Wertestudie, Düsseldorf 1993, S. 43f.

  29. Klemens Richter, Jugendweihe, in: Erwin Fahlbusch u. a. (Hrsg.), Evangelisches Kirchenlexikon, 2. Band, Göttingen 1989, Sp. 900-901.

  30. Ein zweites Paradebeispiel wäre das Weihnachtsfest, für das sich umgekehrt feststellen ließ, daß es mit dem Real-sozialismus kompatibel war.

  31. Vgl. Andreas Fincke/Hans-Jürgen Ruppert, Jugend-weihe und Jugendfeiem in Ostdeutschland, in: Material-dienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 56 (1993), S. 214 f.

  32. Vgl. Andreas Fincke, Jugendweihe -Ritual ohne Inhalt, in: Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 57 (1994), S. 122-124.

  33. Vgl. Jürgen Zinnecker, Lebensorientierungen Jugendlicher in Deutschland, in: Katechetische Blätter, 116 (1991), S. 675-685, hier S. 684.

  34. Vgl. Jürgen Zinnecker/Arthur Fischer, Jugendstudie '92. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick, in: Jugend-werk der Deutschen Shell (Hrsg.), Jugend '92. Lebenslagen, Orientierungen und Entwicklungsperspektiven im vereinigten Deutschland, Band 1: Gesamtdarstellung und biographische Porträts, Opladen 1992, S. 213-306, hier S. 238.

  35. Ebd., S. 238.

Weitere Inhalte

Heiner Barz, Dr. phil., geb. 1957; 1991/92 Leiter des Forschungsprojekts „Jugend und Religion“ im Auftrag des Dachverbandes der Evangelischen Jugendarbeit (aej); seit 1992 Hochschulassistent am Institut für Philosophie und Erziehungswissenschaft der Universität Freiburg. Veröffentlichungen u. a.: Der Waldorfkindergarten. Geistesgeschichtliche Ursprünge und entwicklungspsychologische Begründung seiner Praxis, Weinheim-Basel 19934; Religion ohne Institution? Eine Bilanz der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung. Mit einem Vorwort von Georg Schmid, Opladen 1992; Postmoderne Religion am Beispiel der jungen Generation in den alten Bundesländern. Mit einem Vorwort von Thomas Luckmann, Opladen 1992; Postsozialistische Religion am Beispiel der jungen Generation in den neuen Bundesländern. Mit einem Vorwort von Shmuel Noah Eisenstadt, Opladen 1993; Anthroposophie im Spiegel von Wissenschaftstheorie und Lebensweltforschung. Zwischen lebendigem Goetheanismus und latenter Militanz, Weinheim 1994.