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Verkehrspolitik und Ökologie. Umweltfreundlichere Gestaltung von Mobilität | APuZ 37/1994 | bpb.de

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APuZ 37/1994 Das Dilemma der Umweltpolitik. Die Rückkehr der Verteilungskonflikte Von der ökologischen Vorsorge zur ökonomischen Selbstbegrenzung Von der ökologischen Vorsorge zur ökonomischen Selbstbegrenzung Verkehrspolitik und Ökologie. Umweltfreundlichere Gestaltung von Mobilität Grüne Arbeitsplätze. Umweltpolitik und Strukturwandel der Beschäftigung

Verkehrspolitik und Ökologie. Umweltfreundlichere Gestaltung von Mobilität

Gerhard Prätorius/Ulrich Steger

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Zusammenfassung

Im Beitrag werden die Chancen ausgelotet, inwieweit die verkehrsbedingten Umweltbelastungen in den Industriegesellschaften sich deutlich reduzieren lassen, ohne die Mobilitätserfordernisse einer arbeitsteiligen Wirtschaft zu beeinträchtigen. Dazu werden zunächst die Gründe für das wahrscheinlich weitere Anwachsen der Verkehrsströme sowohl im Personen-als auch im Güterverkehr dargelegt, woraus erste Hinweise für die Erfordernisse eines zukünftigen Verkehrssystems gewonnen werden. Im Anschluß daran geht es um die Notwendigkeit und Fähigkeit zu Systeminnovationen für eine umweltverträgliche Mobilität, für deren Verwirklichung es eines angemessenen verkehrspolitischen Rahmens bedarf, der skizziert wird. Als Fazit wird festgehalten, daß durch den Einsatz neuer, angepaßter Technologien sowie die Ausgestaltung der ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen ein Verkehrssystem entwickelt werden kann, in dem Mobilitäts-und Umwelterfordernisse nicht in dauerhaftem Widerspruch liegen. Durch das Aufbrechen überkommener Arbeitsteilungen zwischen individuellen und kollektiven Verkehrsmitteln kann insgesamt die Effizienz des Verkehrssystems deutlich gesteigert werden. Durch eine informations-und kommunikationstechnisch gesteuerte logistische Aufbereitung der Verkehrsvorgänge kann personen-wie güterbezogener Verkehr vermieden werden, ohne daß die Funktionalität eines differenzierten Verkehrssystems verloren geht.

I. Einleitung

Die notwendige Diskussion über das Verkehrssystem des 21. Jahrhunderts leidet allzu oft unter verfestigten Positionen. Entwürfe greifen entweder zu kurz, weil sie sich lediglich im dominanten „technologischen Paradigma“ bewegen, oder sie greifen zu weit -in der zeitlichen Perspektive weil sie die fundamentalen Entstehungsgründe für die derzeitige und absehbare Verkehrsentwicklung in unserer Gesellschaft ignorieren. Insbesondere pauschalierende Forderungen nach umfassender „Verkehrsvermeidung“ als verkehrspolitischer Leitkonzeption berücksichtigen nicht hinreichend die Realisierungsvoraussetzungen und -folgen eines solchen Ansatzes

Im vorliegenden Beitrag wird für „Systeminnovationen mittlerer Reichweite“ plädiert. Die Überlegungen knüpfen damit zum einen -auf der gesellschaftlichen Ebene -an den existierenden Produktions-und Konsumtionsweisen sowie den damit ursächlich verbundenen Austauschvorgängen und Transportströmen an. Das Verkehrsgeschehen und die allgemeine Mobilitätsentwicklung sind eingebettet in die industriegesellschaftliche Entwicklung. Das bedeutet aber nicht, daß sie lediglich als deren Reflex aufgefaßt werden können. Umgekehrt haben natürlich auch die Entwicklung der Verkehrstechnologien und des Verkehrssystems elementare Auswirkungen auf Art und Anzahl der gesellschaftlichen Tauschvorgänge. Der Terminus „mittlere Reichweite“ geht zum anderen -auf der technologischen Ebene -von Innovationspotentialen aus, für die die jeweiligen Basistechnologien bereits vorhanden sind. Mit ihrer neuartigen Zusammenführung ergeben sich jedoch Gestaltungsmöglichkeiten, die nicht mehr allein als lineare Fortschreibung bisheriger verkehrstechnologischer Entwicklung (als „Trajektorie“ oder technische Flugbahn im Sinne von Dosi interpretiert werden können.

In der nachfolgenden Darstellung sollen die Chancen ausgelotet werden, inwieweit die verkehrsbedingten Umweltbelastungen in den Industriegesell-schäften sich deutlich reduzieren lassen, ohne die Funktionsfähigkeit eines differenzierten Verkehrs-systems zu gefährden. Mit dem Ziel, die Ausgangslage zu präzisieren, werden zunächst (Abschnitt II) die Gründe für das wahrscheinlich weitere Anwachsen der Verkehrsströme sowohl im Personenais auch im Güterverkehr dargelegt. Eine differenzierte Sicht dieser Trends gibt auch erste Hinweise auf die Erfordernisse eines zukünftigen Verkehrs-systems, das als eine einfache Fortschreibung der heutigen Strukturen nicht überlebensfähig sein wird. Es geht daher im dritten Abschnitt um die Notwendigkeit und Fähigkeit zu Systeminnovationen für eine umweltverträglichere Mobilität. Systeminnovationen erschöpfen sich nicht allein in der technischen Dimension der Neugestaltung der Verkehrsmittel und der entsprechenden Verkehrs-infrastruktur; zu ihrer Verwirklichung bedarf es insbesondere auch eines angemessenen verkehrspolitischen Rahmens, der in einem letzten Abschnitt skizziert werden soll.

II. Die Prognose: Weiteres Anwachsen der Verkehrsströme

Verkehr ist kein Selbstzweck Er ist zunächst Voraussetzung wie Folge unseres arbeitsteiligen Wirtschaftens. Es kommt daher darauf an, die Entstehungsgründe für das starke Anwachsen der Verkehrsströme in der Vergangenheit zu analysieren, um daraus auch Hinweise auf die weitere Entwicklung und ihre mögliche Beeinflussung zu erhalten. Erst ein solches Verständnis der Verkehrsentwicklung schützt gleichermaßen vor vordergründigen Irrtümern bloß voluntaristischer Vermeidungskonzepte wie auch umgekehrt vor der Kapitulation vor scheinbar ehernen Wachstumsraten. Es lassen sich zwei zunächst stabile Trends erkennen: a) Verkehrswachstum als Folge wirtschaftlichen Strukturwandels Der Strukturwandel von einer standortabhängigen Schwerindustrie . zur standortunabhängigeren »Leichtindustrie 6 sowie die damit verbundene steigende nationale wie internationale Arbeitsteilung haben zu einem starken Anwachsen der Transportströme geführt, wobei zugleich die Transportkosten in Relation zu den Produktionskosten stark gesunken sind. Insgesamt hat sich so eine transportintensive Produktionsweise mit den • entsprechenden Raumwirtschaftsstrukturen herausgebildet. b) Verkehrswachstum als Folge räumlicher und soziodemographischer Prozesse Es gibt einen in allen Industriegesellschaften zu beobachtenden Trend zur Agglomeration von Industrie und Bevölkerung und einen gleichzeitigen Trend zur Suburbanisierung. Diese Entwicklung hat zu Raumstrukturen geführt (zu erinnern ist hier nur an das bekannte stadtplanerische Leitbild der „Charta von Athen“ mit seiner Funktionstrennung von Arbeits-, Wohn-, Einkaufs-und Ausbildungsstätten), die in ihrer spezifischen Kombination von Streuung und Verdichtung bis dato nicht gekannte Verkehrsströme entstehen ließen. Dadurch wurden die individuellen Verkehrsträger gefördert, die in der Flächenerschließung den Massenverkehrsträgern zunächst überlegen sind.

Aus Analysen der Vergangenheit lassen sich noch weitere recht zuverlässige Einflußfaktoren identifizieren, die das Verkehrsaufkommen steuern. Dazu zählen insbesondere eine positive Einkommens-entwicklung und dabei eine relative Verbilligung der Anschaffungs-und Nutzungskosten des Automobils sowie soziodemographische Prozesse, die die PKW-Verfügbarkeit erhöhen. So haben immer mehr „alte“ Menschen eine Fahrerlaubnis; die zunehmende Berufstätigkeit der Frauen bringt entsprechende Mobilitätserfordernisse mit sich; die Verkleinerung der Haushalte führt zu entsprechenden Auswirkungen auf PKW-Besitz und/oder -Verfügbarkeit.

Hinzu kommen Verschiebungen bei den Fahrten-zwecken -die Anteile von Berufs-, Ausbildungsund Geschäftsverkehr nehmen ab zugunsten von Freizeit-und Urlaubsverkehr -sowie eine deutliche Zunahme der Fahrtentfernungen (mit grenzüberschreitendem Verkehr).

Auch im Güterverkehr lassen sich entsprechende strukturelle Gründe für ein starkes Anwachsen der Transportleistungen identifizieren, wobei diese Zuwächse fast ausschließlich dem straßengeführten Verkehr zugute kommen. Während der Anteil der Branchen mit bahnaffinen Gütern (v. a. Kohle, Erze und Eisen) an der industriellen Wertschöpfung signifikant gesunken ist, erhöhte sich die Bedeutung der Branchen, die hochwertige Produkte anbieten, für deren Transporterfordernisse aber .der straßengeführte Gütertransport bislang über systemische Vorteile verfügt. Ist dieser Güterstruktureffekt, d. h. die deutliche Verringerung des Massengüteranteils am Transportaufkommen, auch der wichtigste Grund für den Rückgang der Bahn-anteile, so kommen als weitere Erklärungsmomente noch ein Güterwerteffekt, d. h. die Wertsteigerung je Gewichts-oder Volumeneinheit des Transportgutes, und eine Zunahme der Transport-leistung je produzierter Wareneinheit (Transport-intensität)hinzu

Für die weitere Entwicklung des Güterverkehrs ist von den folgenden stabilen Trends auszugehen. Der Strukturwandel der Industriegesellschaften wird sich fortsetzen, vor allem mikroelektronisch gestützte Produktionskonzepte und entsprechende Produkte sowie neue Informations-und Kommunikationstechnologien bestimmen zunehmend den wirtschaftlichen Prozeß. Im Güterverkehr wird sich daher der Güterstruktureffekt weiter verstärken. Mit dieser Entwicklung auf volkswirtschaftlicher Ebene korrespondiert ein Wandel der logistischen Anforderungsprofile der einzelnen Unternehmen. So wird sich der Anteil der Artikel und Lieferungen nach dem „just-in-time-Konzept“ wohl zunächst noch erhöhen, die Umschlaghäufigkeit der Produkte wird steigen; dadurch wird auch der Anteil von Fremdunternehmen durchgeführter Transportleistungen zunehmen und überhaupt werden mehr logistische Dienstleistungen von Unternehmen auf Externe übertragen. Der Transport wird zunehmend als Teilfunktion in einer logistischen Gesamtaufgabe zu verstehen sein.

Die Veränderungen in der politischen Landschaft Europas, sowohl die Vollendung des europäischen Binnenmarktes als auch die Öffnung der osteuropäischen Länder und Märkte, werden die oben dargelegten Entwicklungstendenzen noch einmal nachhaltig verstärken, so daß hls Zwischenfazit festzuhalten bleibt: Alle bislang genannten Faktoren -sowohl den Personen-als auch den Güterverkehr betreffend -wirken für sich und in ihrer wechselseitigen Beeinflussung eher verkehrserzeugend denn verkehrsmindernd. Darüber hinaus können die daraus entstehenden Anforderungsprofile für die Verkehrsmittel von individuellen Verkehrsträgern besser bedient werden als von kollektiven.

So werden die Mobilitätsstandards, die von Personen und Unternehmen akzeptiert werden, weiterhin durch die individuellen Verkehrsträger PKW und LKW bestimmt. Die anderen Transportmittel müssen sich in ihrer Dienstleistungsqualität so verbessern, daß sie damit konkurrieren können. Erst dann wird ihre zur Zeit größere Umweltverträglichkeit auch entscheidungsund marktrelevant werden. Hinzu kommt, daß insbesondere der scharfe globale Wettbewerb in der Automobilindustrie die europäischen Hersteller zu einer rasanten Produktivitätsentwicklung zwingen wird, wodurch Qualität, Komfort, Sicherheit und Zuverlässigkeit noch einmal gesteigert und die Wartungskosten gesenkt werden können. Zudem ist von der Realisierung effektiver Verbrauchssenkungen auszugehen. Im straßengeführten Güterverkehr wird die europäische Deregulierung für einen Kostensenkungsdruck und perfekte logistische Dienstleistungen sorgen Alles in allem bedeutet dies, daß in der weiteren Entwicklung der Verkehrssysteme nicht von einem statischen Verhältnis der Verkehrsträger in bezug auf ihre technischen, ökonomi-sehen und ökologischen Ausprägungen auszugehen ist, sondern daß die Dynamik des Wettbewerbs hier einen enormen Veränderungsdruck erzeugen wird.

Die Entwicklung unseres Verkehrssystems und der sie forcierenden ökonomischen, politischen und sozialen Veränderungsprozesse ist zudem eingebunden in einen übergreifenden zivilisatorischen Evolutionsprozeß, bei dem sich insgesamt die Tendenz einer permanenten Beschleunigung erkennen läßt. Mit dem Feststellen des „Beschleunigungscharakters zivilisatorischer Evolution“ aus der Analyse vergangener Entwicklung soll diese hier nicht zu einem quasi naturgesetzlichen Vorgang hypostasiert werden. Aber alle Konzepte einer „Entschleunigung“ der Gesellschaft 1u 1nd der daraus abgeleiteten Vorstellungen umfassender Verkehrsvermeidung sind in einem weit stärkeren Maße auf Belastbarkeit im Sinne einer Handlungsorientierung zu überprüfen, als dies bisher geschehen ist, wenn es nicht bei so wohlmeinenden wie wirkungslosen Postulaten bleiben soll.

Mit der Dynamik industriegesellschaftlicher Entwicklung und dem damit verbundenen Wachstum der Verkehrsströme sind bislang auch die unerwünschten Nebenfolgen dieser „Verkehrsgesellschaften“, insbesondere in Form negativer Umwelteinwirkungen, gestiegen Der Verkehr ist heute sowohl an den lokalen (Schadstoffemissionen, Lärmemissionen, Flächenversiegelung) als auch globalen (Treibhauseffekt, Ressourcenverzehr) Umweltbelastungen mit einem signifikanten und noch wachsenden Anteil beteiligt. Diese zunehmende Diskrepanz zwischen ansteigenden Verkehrsströmen einerseits und abnehmender Akzeptanz seiner negativen Umweltwirkungen andererseits ist die Herausforderung sowohl für alle Produzenten und Anbieter von Verkehrstechnologien als auch für die politischen Akteure. Ihr wird ohne grundlegende Innovationen, ohne eine Effizienzrevolution im Verkehrswesen nicht beizukommen sein.

III. Die Herausforderung: Systeminnovationen für eine umweltverträgliche Mobilität

Die bestimmenden technologischen Paradigmata im Verkehrswesen haben bislang dazu geführt, daß die jeweiligen Verkehrsmittel und die dazugehörenden Infrastrukturen nur im Sinne ihrer je eigenen Funktionalität optimiert wurden. Obwohl auch hier noch erhebliche Verbesserungspotentiale bestehen, werden diese jedoch für sich genommen nicht ausreichen, um das Ziel einer deutlichen Reduktion der verkehrsbedingten Umweltbelastungen zu erreichen.

Es ergeben sich daher drei zentrale Gestaltungsaufgaben für die Bewältigung der zukünftigen Verkehrsströme: -Erstens die Optimierung der Einzelkomponenten, d. h.der jeweiligen Verkehrsmittel, in bezug auf ihren Energie-und Ressourcenverbrauch insbesondere in der Nutzungsphase, aber auch in der Herstellung. Hier sind die Automobilunternehmen als Produzenten des dominanten Verkehrsmittels sicherlich in einer besonderen Weise gefordert. -Zweitens ist die „Verknüpfungseffizienz der Verkehrsträger“ durch geeignete Produkte und Dienste erheblich zu steigern. Auch hier liegt -stärker als das in der Vergangenheit der Fall war -eine primäre Aufgabe bei den Unternehmen, die Verkehrsprodukte und -dienste anbieten. -Drittens sind dazu die infrastrukturellen Verknüpfungseinrichtungen zwischen den Verkehrsträgern zu schaffen. Hier sind auch neuartige Formen der Kooperation zwischen öffentlichen und privaten Investoren notwendig, was die Finanzierung, die Erstellung und den Betrieb solcher qualitativ hochwertiger Infrastruktureinrichtungen betrifft. Den Infrastrukturinvestitionen kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu, denn die Infrastruktur-politik von heute bestimmt in einem ganz wesentlichen Maß die Ausgestaltung der Verkehre von morgen.

In der Vergangenheit waren multimodale Transporte (Einsatz mehrerer Verkehrsmittel für einen Transportvorgang) sowohl im Personen-als auch im Güterverkehr technisch und ökonomisch uninteressant. Aber mit den Informations-und Kommunikationstechniken sind neuartige technische Voraussetzungen für eine Kooperation und Integration der Verkehrsträger vorhanden. Durch dieses technische Innovationspotential ergeben sich bessere Voraussetzungen, die systemischen Stärken der jeweiligen Verkehrsträger zusammenzuführen, um damit die Schwächen des Gesamtverkehrssystems -insbesondere die vom Verkehr ausgehenden Umweltbelastungen -zu verringern. Zusätzlich bedarf es aber eines Bündels ökonomischer und politischer Maßnahmen im Verkehrswesen (effiziente Anreiz-und Lenkungsinstrumente), um das technische Innovationspotential wirkungsvoll einzusetzen.

Die Kritiker solcher Verkehrsmanagementkonzepte reduzieren diese oft auf ein rein technisches System Allerdings waren die entsprechenden Projekte -zum Beispiel das PROMETHEUS-Projekt der europäischen Automobilindustrie -in ihrem ursprünglichen Zielkatalog auch so ausgelegt, und erst im Prozeß ihrer Entwicklung hat sich eine konzeptionelle Erweiterung unter Einbeziehung insbesondere auch ökonomischer, die Verkehrsnachfrage beeinflussende Instrumente vollzogen, jedoch muß der Nachweis der Praxis-tauglichkeit und Wirksamkeit der Konzepte noch eingelöst werden

Wenngleich die Wirkungen des breiten Einsatzes von Informations-und Kommunikationstechnologien auf die Verkehrsentwicklung heute noch nicht zuverlässig abgeschätzt werden können, lassen sich doch zumindest zwei Aspekte benennen: -Zum einen stehen die neuen Informations-und Kommunikationsmittel zu den traditionellen Verkehrsmitteln eher in einer komplementären denn substitutiven Beziehung. Physischen Transport von Personen und Gütern durch den Transport von Informationen zu ersetzen, mag zwar in bestimmten Fällen möglich sein, aber hierin einen wesentlichen Ansatz für eine deut­ liehe Reduktion des Verkehrsaufkommens zu sehen, dürfte sich als Irrtum erweisen. Die raumüberwindenden Tauschvorgänge bedürfen -einmal abgesehen von den Finanzmärkten -sowohl der traditionellen Verkehrsmittel als auch der begleitenden Information und Kommunikation. -Zum anderen können die komplementären Wirkungen von Informations-und Kommunikationstechnologien im Gesamtverkehrssystem erheblich sein. Durch die informationsund kommunikationsgesteuerte logistische Aufbereitung der Verkehrsvorgänge lassen sich vermutlich große Effizienzpotentiale realisieren. Dieses gilt in erster Linie natürlich für Verkehre, in denen das ökonomische Eigeninteresse an Effizienzgewinnen dominiert. Dabei ist noch zusätzlich in Betracht zu ziehen, daß ein solcher „Wirtschaftsverkehr“ im weiten Sinne (neben dem Güterverkehr sind dazu auch noch die Personenverkehre zu zählen, die mit wirtschaftlichen tivitäten verbunden sind) gerade in den umweltbelasteten Ballungsräumen die stärkste und stetigste Wachstumsdynamik aufweist

Mithin sind hier Rationalisierungseffekte sowohl hinsichtlich ihres Eigengewichts als auch ihrer prospektiven Beispielwirkung von Bedeutung.

Als ein weiterer Komplementäreffekt kommt hinzu, daß durch den Einsatz von Informationsund Kommunikationstechnologien die Übergänge zwischen resp. die Wahl des jeweils angemessenen Verkehrsmittels für den entsprechenden Fahrtenzweck optimiert werden können. Dieses trifft sowohl für den Personen-als auch für den Güterverkehr zu. Hierdurch lassen sich eher die Substitutionspotentiale zwischen den einzelnen Verkehrsträgern erschließen und somit ein Verkehrssystem entwickeln, bei dem das jeweils umweltbelastendste Verkehrsmittel ersetzt werden kann. Ein solcher Weg ökonomischer und technischer Steuerung der Verkehrsströme ist langfristig effizienter als gezielte Defavorisierungsstrategien in bezug auf einzelne Verkehrsträger. Er setzt allerdings auch die Realisierung tragfähiger wettbewerblicher Strukturen der einzelnen Verkehrsträger als eine Aufgabe der Gestaltung angemessener politischer Rahmenbedingungen voraus. Neben den zuvor dargelegten Innovationsfeldern zur Realisierung eines ökonomisch und ökologisch effizienten Verkehrssystems bleibt die Aufgabe der Optimierung der Einzelkomponenten. Dabei wird das Automobil als individueller Verkehrsträger -jenseits seiner je konkreten Ausprägung -auf absehbare Zeit eine wesentliche Rolle im Verkehrssystem spielen. Das „klassische“ Feld der fahrzeugtechnischen Entwicklung ist hier noch nicht erschöpft, vielmehr gibt es noch ein erhebliches Umweltentlastungspotential durch technische Weiterentwicklung im Bereich Motor und Antrieb. Allerdings wird das Ziel einer drastischen Verbrauchsreduktion alleine mit solchen Maßnahmen nicht zu erreichen sein. Ergänzende Potentiale können insbesondere durch neue Materialien zur Gewichtsreduktion erschlossen werden

Neben der Weiterentwicklung auf dem Technologiepfad „Universalfahrzeug“ sind jedoch stärker als in der Vergangenheit auch neue, auf spezifische Bedarfszwecke ausgerichtete Fahrzeugkonzepte zu entwerfen und zu realisieren. Gerade die Vorzüge des Automobils als ein „Universalmobilitätskonzept“ haben zu seinem Erfolg und seiner breiten Akzeptanz geführt. Modifizierte Fahrzeugkonzepte, die auf die differenzierten Mobilitätserfordernisse abgestellt sind, erscheinen aus der „Problemanalyse Verkehr“ zwingend, aber sie sind eine nicht einfach -und nicht nur ingenieurtechnisch -zu lösende Aufgabe. Man will nach Möglichkeit alle Vorteile des Universalkonzeptes -ohne dessen Nachteile in Form von relativ hohen Energie-und Ressourcenverbräuchen. Alleine aufgrund der sich absehbar noch verschärfenden Verkehrssituation in den Ballungsräumen wird die Zukunft neue Fahrzeugkonzepte erforderlich machen. Dabei wird es nicht nur technische Innovationen geben müssen, sondern im Sinne einer besseren Integration in ein Gesamtverkehrssystem sind insbesondere auch „Nutzungsinnovationen“ erforderlich

Die vorhergehende Skizze der Entwicklung eines Verkehrssystems „mittlerer Reichweite“ sollte auch zeigen, daß es heute weniger einen Innovationsstau im (verkehrs) technischen Bereich gibt als vielmehr einen Anwendungsstau. Ihn zu überwinden, bedarf es vor allem des Zusammenwirkens aller Akteure aus der Verkehrswirtschaft.

Beispiele für einsatz-und marktreife Techniken gibt es in allen zuvor genannten Feldern, die für eine umweltwirksame Effizienzsteigerung des Gesamtverkehrssystems von Belang sind: im Bereich der Schnittstellen (z. B. System-Park & Ride), des Personenverkehrs (z. B. bedarfsgesteuerte Zubringersysteme), des Wirtschaftsverkehrs (z. B. CityLogistik) Die genannten Ansätze weisen insgesamt auf eine Neuausrichtung des Verkehrs-systems hin, in der die bisherige „Arbeitsteilung“ zwischen individuellen und kollektiven Verkehrs-trägern zunehmend obsolet wird. Es entstehen „Mischformen“ und insgesamt ergibt sich die Chance eines in sich differenzierten, auf die je spezifischen Bedürfnisse der Nachfrager abgestellten, aber dennoch einheitlicher), integrierten Verkehrs-systems, das die Kooperation der Verkehrsträger verwirklicht, ohne die Dynamik des Wettbewerbs aufzugeben. Ein solches „integriertes Gesamtverkehrskonzept“ bedarf eines entsprechenden verkehrspolitischen Rahmens. Bevor dieser knapp skizziert werden soll, ist noch auf einen weiteren Aspekt hinzuweisen, der durch die vordergründige Kontroverse über einzelne verkehrspolitische Themen nicht die notwendige Aufmerksamkeit aller Akteure findet: die industriepolitische Dimension dieser Thematik.

Wie bereits ausgeführt, besteht ein wesentliches Element verkehrlicher Zukunftsfähigkeit in der „Elektronisierung“ aller verkehrstechnischen Abläufe: Vom Verbrauchs-und emissionsoptimierten Motormanagement bis zur intelligenten Steuerung der Verkehrsangebote und -nachfrage wird das Verkehrswesen insgesamt zu einem Großverbraucher an Informations-und Kommunikationstechnologie. Dem Staat kommt hier nicht nur eine bedeutende Rolle als Nachfrager für die entsprechend benötigte moderne Infrastruktur zu, sondern er muß auch die Standards definieren. Ein europäisches Verkehrssystem könnte sich hier noch einer vorhandenen industriellen Basis bedienen, aber die Wettbewerbsvorsprünge schmelzen in einem immer schärfer werdenden globalen Wettbewerb schnell dahin. Dabei ist die Schaffung eines zukunftsfähigen Verkehrssystems eine der wenigen, aber großen Chancen, ein hohes Maß an Umweltverträglichkeit mit industrieller Modernisierung in einem volkswirtschaftlichen relevanten Sektor zu verbinden, was nicht zuletzt eine erhebliche Ausstrahlung auch auf andere industrielle Kembereiche haben könnte.

IV. Ansatzpunkte für einen angemessenen verkehrspolitischen Rahmen

Jenseits jeweils heftigster tagespolitischer Kontroversen über Einzelfragen hat sich in der verkehrspolitischen Diskussion der letzten Jahre doch ein Trend durchgesetzt, im Verkehrswesen mehr marktwirtschaftliche Elemente zur Geltung zu bringen. Dieses betrifft nicht nur die Deregulierung der vormals stark regulierten Transportmärkte im Rahmen des europäischen Binnenmarktes, sondern insbesondere auch -die Möglichkeiten privater Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur auf Leasingbasis, -die Einführung von Straßenbenutzungsgebühren (road pricing, Vignetten), -die Erhebung von besonderen Abgaben zur Reduzierung der verkehrsbedingten Umweltbelastung (z. B. C 02-Abgabe)

Steuern und Abgaben haben seit jeher eine wichtige Finanzierungs-, aber zum Teil auch Lenkungsfunktion im Verkehrswesen. Zum Beispiel hat die Mineralölsteuer, die ursprünglich als Finanzierungsbasis für die Verkehrswegeinvestitionen eingeführt wurde, als ein direkt fahrleistungsabhängiges Instrument zunehmend auch eine Lenkungsfunktion.

In dem vorhergehenden Abschnitt wurden insbesondere die technischen Möglichkeiten herausgestellt, das Verkehrswesen auf der Basis der neuen Informations-und Kommunikationstechnologien grundlegend neu zu konzipieren, so daß seine Effizienz deutlich erhöht werden kann. Eine solche Effizienzrevolution im Verkehrswesen ist erforderlich, um zum einen den zu erwartenden Anstieg der Verkehrsströme zu bewältigen und zum anderen dabei die verkehrsbedingten Umweltbelastungen nicht weiter zu erhöhen, sondern im Gegenteil zu reduzieren. Welche Anforderungen sind an die Verkehrspolitik zu stellen, um diesen notwendigen Prozeß zu unterstützen?

Weil es sich sowohl bei den Ausprägungen der einzelnen Verkehrsträger als auch bei der Infrastruktur um Entscheidungen handelt, die in ihren Auswirkungen weit in die Zukunft hineinreichen, ist ein erstes Erfordernis eines angemessenen verkehrspolitischen Rahmens, daß er für alle betroffenen Akteure -die Anbieter wie die Nachfrager von Verkehrstechnologien -langfristige, stetige und berechenbare Vorgaben setzt. Die Verkehrspolitik der Vergangenheit hat diesem Kriterium nicht immer genügt und insofern ist bei dem notwendigen „ökologischen Umbau“ des Verkehrs-systems auch in einigen Bereichen wertvolle Zeit vertan worden.

Zu einem angemessenen verkehrspolitischen Rahmen gehört auch, daß die fundamentalen verkehrspolitischen Instrumente effizient eingesetzt werden und nicht anderen Zwecken untergeordnet werden. Danach beruht u. E. das verkehrspolitische Instrumentarium auf vier Säulen, die für unterschiedliche Ziele einzusetzen sind -Standards (zum Beispiel bei Emissionen) definieren die Ziele und überlassen es dem Wettbewerb, diese möglichst effizient zu erreichen. -Fahrleistungsunabhängige Steuern! Abgaben (zum Beispiel die Kfz-Steuer) sichern nicht nur die Stetigkeit von Einnahmen -dieser Aspekt ist unter den gegenwärtigen Gegebenheiten wohl eher zu vernachlässigen -, sondern ermöglichen bei vertretbaren Transaktionskosten insbesondere ein relativ kurzfristig wirksames „finetuning“, um nachfragewirksame Anreize etwa für den Einsatz neuer Technologien zu induzieren Die international positiv eingeschätzte Steuerbefreiung für Kat-Fahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland mag hier als ein Beispiel dienen -Fahrleistungsabhängige Steuern/Abgaben (v. a.

Mineralölsteuer) sind als marktwirtschaftliche Instrumente grundsätzlich das angemessene Mittel, Lenkungseffekte zu erzielen. Als preispolitische Maßnahme „mobilisieren (sie -die Verf.)... die gesamte dezentrale Intelligenz der am Verkehrsgeschehen beteiligten Akteure (Nachfrager wie Anbieter).. ,“ (ob als fahrleistungsabhängiges road pricing oder als fahrleistungsunabhängige Vignette fungieren als „Knappheitssignale“ bei der Nutzung einer tendenziell überlasteten Infrastruktur. Ihre prinzipiell mögliche lokale wie temporäre Flexibilität bietet im Kontext intelligenter Verkehrsmanagementkonzepte die Chance, die vorhandene Kapazität möglichst effizient zu nutzen. -Straßenbenutzungsgebühren Der im vorhergehenden knapp skizzierte Instrumentenmix bietet keinesfalls ein erschöpfendes verkehrspolitisches Panorama. Die Darstellung konzentriert sich insbesondere auf die Anforderungen an die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen für den motorisierten Individualverkehr. Dieses geschieht nicht aus Gründen der Geringschätzung anderer Verkehrsträger, insbesondere der schienengeführten Verkehre, des Öffentlichen Personen-und Nahverkehrs (ÖPNV) sowie des nichtmotorisierten Verkehrs. Vielmehr ist diese Focussierung zunächst einmal Ausdruck des real existierenden modal split. In der Bundesrepublik Deutschland werden über vier Fünftel der Verkehrsleistung im Personennahverkehr und über 60 Prozent im Güterverkehr durch den Individualverkehr erbracht Auch unter Berücksichtigung der prognostizierten Zuwächse gerade in diesem Bereich gilt es, mit der (Neu-) Gestaltung des verkehrspolitischen Instrumentariums vorrangig hier anzusetzen, um die gewünschten Wirkungen zu erzielen. Das bedeutet allerdings nicht, den öffentlichen Verkehrsmitteln keinerlei Entwicklungsperspektive zuzutrauen. Im Gegenteil -wir sehen hier unter dem bereits erwähnten Stichwort der Optimierung der Einzelkomponenten ebenfalls noch ein erhebliches technisches Neuerungspotential sowohl bei den Verkehrsmit­ teln im Bereich des OPNV als auch zum Beispiel in dem europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahnen. Wirkungsvoll umgesetzt werden kann es nur unter stärkerem Einsatz von politisch-administrativer Phantasie auf allen Entscheidungsebenen. Dabei gibt es mittlerweile erfreulich zahlreiche Beispiele -siehe Karlsruhe, Freiburg, Zürich usw. -für die politisch existierenden Handlungs-und Gestaltungsspielräume etwa bei der Flexibilisierung der Tarifstrukturen und einer konsequenten Bedarfs-und Kundenorientierung der öffentlichen Verkehrsträger. Sie zeigen auch, daß die hier und insbesondere zukünftig nicht gering zu achtenden finanziellen Restriktionen von den Entscheidungsträgern nicht generell für eine (verkehrs-) politische Handlungsabstinenz reklamiert werden können.

Für die Güterverkehre kommt es darauf an, neben den Verlagerungsbemühungen für die längeren Distanzen auch neuartige Lösungen bei den spur-geführten Systemen für die Nah-und mittleren Transportentfernungen zu finden (zum Beispiel die „dezentrale Güterbahn“ mit selbststeuernden Schubwagen als Ergänzung zum Ganzzugprinzip für die Erschließung der Fläche). Es gilt hier ebenso, wie schon für den Personenverkehr ausgeführt, die technischen Innovationspotentiale von vornherein mit den ökonomischen und politischen Handlungsfeldern zu verknüpfen, um die Realisierungschancen zu erhöhen.

Insgesamt wird dabei u. E. die Region als „Mesoebene“ gerade auch für die Entwicklung und Umsetzung verkehrspolitischer Gesamtkonzepte zunehmend an Bedeutung gewinnen Die Region ist als Lebens-und Wirtschaftsraum eine geeignete Bezugsgröße für zukunftsweisende Verkehrskonzepte und der Anwendungsfall und Erfahrungsort für dann weitergreifende Lösungen der Verkehrs-probleme.

Jenseits noch jeweils zu leistender Konkretionen für integrierte Gesamtverkehrskonzepte auf regionaler Ebene, die sich an den Anforderungen nachhaltiger Entwicklung als Leitbild orientieren, ging es in dem vorliegenden Beitrag zunächst lediglich darum, den zuvor dargelegten technischen Möglichkeiten einer Neuausrichtung des Verkehrs-wesens eine wirkungsvolle Ergänzung durch ökonomische Anreize im Rahmen des allgemeinen verkehrspolitischen Instrumentariums -sowohl für die Anbieter wie die Nachfrager -zu geben. Das übergeordnete Ziel ist die Schaffung eines Verkehrssystems, welches eine deutlich geringere Umweltbelastung verursacht, ohne seine Funktionalität einzubüßen.

Als Fazit bleibt dabei festzuhalten: Durch den Einsatz neuer, angepaßter Technologien sowie die Ausgestaltung der ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen kann ein Verkehrssystem entwickelt werden, in dem Mobilitäts-und Umwelterfordernisse nicht in dauerhaftem Widerspruch liegen.

Durch das Aufbrechen überkommener Arbeitsteilungen zwischen individuellen und kollektiven Verkehrsmitteln kann insgesamt die Effizienz des Gesamtverkehrssystems deutlich gesteigert werden.

Durch eine informations-und kommunikationstechnisch gesteuerte logistische Aufbereitung der Verkehrsvorgänge kann personen-wie güterbezogener Verkehr vermieden werden, ohne daß die Funktionalität eines differenzierten Verkehrs-systems verloren geht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zum Begriff und Konzept des technologischen Paradigmas vgl. Giovanni Dosi, Technological paradigms and technological trajectories; a suggested Interpretation of the determints and directions of technical change, in: Research Policy, 11 (1982), S. 147-162. Dabei wird unter einem technologischen Paradigma die musterhafte Lösung eines technischen Problems verstanden, die die weitere technische Entwicklung eines Produktes -z. B.des Verbrennungsmotors -maßgeblich bestimmt. In unserem Zusammenhang läßt sich der Paradigma-Begriff sowohl auf die dominanten Technikpfade bei den einzelnen Verkehrsmitteln anwenden als auch auf die bestimmende Verkehrsinfrastruktur.

  2. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Richard Münch in diesem Heft, insbesondere Kapitel III. Besonders deutlich wird dieser konzeptionelle Fehlschluß etwa in dem Slogan „Verkehr ist Müll“. Ähnlich wie der Abfall bei der Erzeugung eines Produktes nichts zur Wertschöpfung beitrage, sondern als „negatives Gut“ zusätzliche Kosten verursache, diene auch der Verkehr nicht der direkten Bedürfnisbefriedigung. Bei der zunächst plausiblen Schlußfolgerung, aus der Analogiebildung folge mit Priorität die Verkehrsvermeidung, wird jedoch großzügig übersehen, daß Abfallvermeidung durch neue Technologien möglich ist, ohne die Funktion des Produktes zu beeinträchtigen -etwa wenn in der chemischen Industrie von reduktiven zu katalytischen Verfahren übergegangen wird. Verkehr als „Intermediär“ ist dagegen kein Kuppelprodukt wie Abfall, sondern ein Mittel, durch Mobilität zunächst unvereinbare Bedürfnisse zu ermöglichen. Um die fehlleitende Analogiebildung auf den Punkt zu bringen: Während idealtypisch eine Chemie vorstellbar ist, deren Emission nur aus ihren Produkten besteht, ist der logische Endpunkt der Verkehrsvermeidung die autarke Hauswirtschaft. Vgl. dazu auch Ulrich Steger, Vier grausame Wahrheiten, in: Die Zeit vom 17. September 1993, S. 28.

  3. Vgl. dazu ausführlicher Gerhard Prätorius, Das PROME-THEUS-Projekt. Technikentstehung als sozialer Prozeß, Wiesbaden 1993, S. 80ff. Das Gemeinschaftsprojekt PRO-METHEUS -das Akronym steht für PROgraM for a European Traffic with Highest Efficiency and Unprecedented Safety -der europäischen Automobilindustrie zielt von seinem Anspruch auf eine Steigerung der Sicherheit und Umweltverträglichkeit des Verkehrs, verbunden mit einer Erhöhung seiner Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit. Dies soll insbesondere durch die Anwendung neuer Verkehrsleittechniken ermöglicht werden, die einen ständigen Datenaustausch der Fahrzeuge mit der Verkehrsinfrastruktur und untereinander gewährleisten. Nach Abschluß der Forschungsarbeiten in wesentlichen Teilgebieten des Projektes muß nunmehr über die Markteinführung entschieden werden.

  4. Vgl. G. Dosi (Anm. 1).

  5. Dieses gilt auch dann, wenn es sich um sog. „Erlebnis-mobilität“ handelt. Auch in diesem Bereich, d. h. insbesondere dem unter den Verkehrszwecken mit Abstand am stärksten wachsenden Teil der Freizeit-und Urlaubsverkehre, ist Verkehr als raumüberwindender Transport von Personen und Gütern nur ein Mittel zum Zweck.

  6. Vgl. Gerd Aberle, Zukunftsperspektiven der Deutschen Bundesbahn, Heidelberg 1988; Werner Rothengatter, Prognosen zur zukünftigen Entwicklung des Kraftfahrzeugverkehrs; in: Gesellschaft und Automobil -Chancen, Risiken und Handlungserfordemisse, Schriftenreihe des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Nr. 53, Frankfurt am Main 1987; Wilgart Schuchardt, Neue Produktions-und Logistik-konzepte und ihre Auswirkungen auf den Güterverkehr -Herausforderungen zur Technikbewertung und zur Entwicklung umweltentlastender Güterverkehrs-und -Verteilungssysteme, in: VDI-Gesellschaft Fahrzeugtechnik, Neue Konzepte für den fließenden und ruhenden Verkehr (VDI Berichte 817), Düsseldorf 1990.

  7. Bei dem „just-in-time-Konzept“ geht es nicht, wie vielfach mißverstanden, um eine „schnellstmögliche Beförderung“, sondern um eine „termingenaue Anlieferung“, d. h. um die exakte Abstimmung zwischen Transport und Einsatz der Güter in der Produktion, bei der zur Zeit der LKW-geführte Verkehr über eine erhebliche höhere Flexibilität verfügt (vgl. Hans Böhme/Henning Sichelschmidt, Deutsche Verkehrspolitik: Von der Lenkung zum Markt, Lösungsansätze -Widersprüche -Akzeptanzprobleme in: Kieler Diskussionsbeiträge 210, Kiel 1993, S. 7). Hier ist also zwischen der gegenwärtigen Ausprägung des Ansatzes -den negativen Umweltwirkungen eines zunehmend straßengeführten Güterverkehrs -und dem konzeptionellen Ansatz zu unterscheiden. Eine entsprechende logistische Aufbereitung der Transportströme, d. h. auch Effizienzgewinne durch Vermeidung von Leerfahrten sowie ein ausgewogener modal split (Anteile der Verkehrsmittel bzw. Verkehrsträger), können hingegen auch Entlastungseffekte für die Umwelt bewirken (vgl. Horst Minte/Gerhard Prätorius/Ulrich Sieger, Ökologische Konzepte zur Entwicklung neuer Verkehrssysteme, in: Werner Fricke [Hrsg ], Jahrbuch Arbeit und Technik, Bonn 1992, S. 224).

  8. Vgl. U. Sieger (Anm. 2), S. 28.

  9. Hermann Lübbe, Mobilität -vorerst unaufhaltsam, in: Internationales Verkehrswesen, 45 (1993) 11, S. 653.

  10. Vgl. beispielhaft Wolfgang Sachs, Die vier E’s -Merkposten für einen maß vollen Wirtschaftsstil, in: Jörg Mayer (Hrsg.), Strukturanpassung für den Norden -Modelle und Aktionspläne für eine global verträgliche Lebensweise in Deutschland und Europa, Loccumer Protokolle, 1994.

  11. Zur Übersicht vgl. zum Beispiel Bundesminister für Verkehr (Hrsg.), Verkehr in Zahlen lfd. Jg., Bonn lfd. Jg.; Umweltbundesamt (Hrsg.), Daten zur Umwelt lfd. Jg., Berlin lfd. Jg.

  12. Vgl. G. Wolfgang Heinze/Heinrich H Kill. Evolutionsgerechter Stadtverkehr. Grundüberlegungen zu neuen Konzepten für Berlin. Schriftenreihe des Verbandes der Automobilindustrie e. V. (VDA), Nr. 66, Frankfurt am Main 1991.

  13. Vgl. zum Beispiel Boris Krostitz/Dietmar Köthner, High-Tech als Bremse für notwendigen Strukturwandel. Die „Intelligente Straße“ -ein kritischer Diskussionsbeitrag, in: Internationales Verkehrswesen, 45 (1993) 11, S. 649ff.

  14. Vgl. G. Prätorius (Anm. 3), S. 83ff.

  15. Vgl. Rainer Willeke, Wirtschaftsverkehr in Städten, Schriftenreihe des Verbandes der Automobilindustrie e. V. (VDA), Nr. 70, Frankfurt am Main 1992.

  16. Vgl. Ferdinand Piech, 3 Liter/100 km im Jahre 2000?, in: Automobiltechnische Zeitschrift (ATZ), Band 94 (1992) 1, S. 20ff.

  17. Vgl. zum Beispiel das Konzept eines „Mobilitätsleasing“: Christian Voy/Klaus O. Proskawetz. Mobilitätsleasing -Vision und Ansätze zur Realisierung, in: VDI (Hrsg ), Mobilität und Verkehr -Reichen die heutigen Konzepte aus?, Düsseldorf 1991, S. 115-132.

  18. Vgl. ausführlicher H. Minte/G. Prätorius/U. Sieger, (Anm. 7), S. 226f.

  19. Zur Übersicht vgl. H. Böhme/H. Sichelschmidt

  20. Die aus der allgemeinen Wirtschaftspolitik bekannte „Tinbergen-Regel“, dergemäß für unterschiedliche Ziele auch unterschiedliche Instrumente benötigt werden, wird in der verkehrspolitischen Instrumentendebatte allzu oft ignoriert.

  21. Dieser Aspekt wird in der aktuellen Diskussion über eine Abschaffung der Kfz-Steuer resp.deren Umlegung auf die Mineralölsteuer fast durchgängig vernachlässigt (etwa auch in dem sonst sehr instruktiven Beitrag von H. Böhme/H. Sichelschmidt [Anm. 7], S. 14). Mit dem Plädoyer für die Beibehaltung einer fahrleistungsunabhängigen Komponente soll hier ausdrücklich nicht ausgeschlossen werden, daß die Bemessungsgrundlage dahingehend modifiziert werden könnte, die prospektiven Anreizwirkungen stärker zu nutzen.

  22. Vgl. etwa OECD (Hrsg.), Umweltpolitik auf dem Prüfstand, Bonn 1993.

  23. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Verkehr -Gruppe A Verkehrswirtschaft, Marktwirtschaftliche Instrumente zur Reduktion von Luftschadstoffemissionen des Verkehrs, Bonn 1991.

  24. Zu den einzelnen Ausprägungen und ihrer Wirkungen siehe vertiefend H. Böhme/H. Sichelschmidt (Anm. 7), S. 12 ff. sowie Martin Haag, Auswirkungen von Road Pricing. Integration in Stadtplanung und Verkehrsmanagement erforderlich, in: Der Nahverkehr, (1993) 5, S. 14ff.

  25. Vgl. BMV (Anm. 11).

  26. Vgl. dazu zum Beispiel die Beiträge in Klaus Lompe (Hrsg.), Von der Automobilregion zur Verkehrskompetenzregion. Die Region als politisches und ökonomisches Handlungsfeld für die Steuerung politischer, sozialer und technologischer Innovationen (Forschungsbericht Nr. 2/1994 aus dem Seminar für Politikwissenschaft und Soziologie der TU Braunschweig), Braunschweig 1994.

Weitere Inhalte

Gerhard Prätorius, Dr. rer. pol., geb. 1954; Studium der Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaften und Germanistik in Frankfurt am Main und Marburg; 1987-1991 Projektleiter am Institut für Ökologie und Unternehmensführung; 1992-1994 Referent im Bereich Umwelt und Verkehr der Volkswagen AG; seit 1994 Geschäftsführer von RESON (Regionale Entwicklungsagentur für Südostniedersachsen e. V.). Veröffentlichungen u. a.: PROMETHEUS -Technikentstehung als sozialer Prozeß, Wiesbaden 1993; Automobilindustrie und Verkehrswesen, in: Ulrich Steger unter Mitarbeit von G. Prätorius (Hrsg.), Handbuch des Umweltmanagements, Anforderungs-und Leistungsprofile von Unternehmen und Gesellschaft, München 1992. Ulrich Steger, Dr. rer. oec., geb. 1943; Studium der Wirtschaftswissenschaften in Bochum; 1976-1983 Mitglied des Deutschen Bundestages; 1983-1987 Hessischer Minister für Wirtschaft und Technik; 1991-1993 Mitglied im Volkswagen-Markenvorstand; seit 1987 Professor für Betriebswirtschaftslehre an der European Business School in Oestrich-Winkel, Leiter des Instituts für Ökologie und Unternehmensführung. Veröffentlichungen u. a.: Umweltmanagement -Erfahrungen und Instrumente einer umweltorientierten Unternehmensstrategie, Wiesbaden 1992'; future-management -Europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb, Frankfurt am Main 1992.