I. Kein „Ende der Geschichte“
Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts zerbrach die seit den späten vierziger Jahren bestehende bipolare Sicherheitsordnung und legte vielfältige, sehr unterschiedlich begründete Konflikte in den internationalen Beziehungen frei. Der Handlungsspielraum vieler Akteure ist seitdem größer geworden, wie man beim Studium der Brennpunkte der internationalen Politik zu Beginn der neunziger Jahre erkennen kann. Die meisten der Konflikte, vom Irak über Somalia bis zu Jugoslawien, wären zu Zeiten des Ost-West-Konflikts noch mit gegenseitigen Drohgebärden ruhiggestellt worden
Auch wurde sehr rasch sichtbar, daß die Begründung legitimer Herrschaftsstrukturen in Zukunft keineswegs allein demokratisch erfolgen wird. Die eigentlich ja optimistische These vom Ende der Geschichte zerstob sehr rasch. Ethnonationalistische Motive politischen Handelns traten nach dem Zusammenbruch der globalen Sicherheitsstruktur sogleich wieder deutlich hervor.
Wird sich die in den letzten vierzig Jahren durch die nukleare Abschreckung zwischen Ost und West auf risikobeladene Weise und hohem Rüstungsniveau sowie mittels Einsatz beträchtlicher konventioneller Gewaltmittel unter Kontrolle gehaltene Kriegsbereitschaft in der Welt jetzt erneut nach den Verhaltensregeln des ausgehenden 19. Jahrhunderts aufladen? Schon wurde die Verbindung von nationalistischen Emotionen, wirtschaftlichen Problemen und politischer Führungslosigkeit -in ihrer Gefahr potenziert durch vagabundierende Arsenale konventioneller und die absehbare Verbreitung nuklearer Waffen -als Sprengsatz am ausgehenden 20. Jahrhundert ausgemacht
Der Rückblick auf frühere historische Phasen, vor allem die Zeit zwischen 1871 und 1945, erfüllt heute zwei wichtige Funktionen: Einmal ist es, schon allein aus didaktischen Gründen, notwendig, das eigentümliche Gefühl vom Ende der Geschichte, an dem man angelangt sei, einzukapseln und es nicht zur Prämisse ernsthafter politischer Analysen zu machen, denn diese würden dadurch völlig verdorben Und zweitens kann man bei einiger analytischer Anstrengung durch die Beleuchtung der Unterschiede zwischen verschiedenen Epochen die Besonderheiten der aktuellen Entwicklungen deutlicher erfassen. Ausgeschlossen aber ist, daß die Geschichte sich nach den alten Mustern wiederholt.
Der wichtigste Unterschied zwischen der Zeit nach 1945 und der nach 1989/90 besteht darin, daß in der Nachkriegszeit damals unter Führung der USA ein Geflecht von sehr einseitigen sicherheitspolitischen Abhängigkeiten und gegenseitigen wirtschaftlichen Verflechtungen entstanden ist. Dadurch stabilisierten sich die gemeinsamen demokratischen Entwicklungen. Zu diesen gehörte in der westlichen Gesellschaft auch die rasch fortschreitende Ausbildung eigener zwischengesellschaftlicher, transnationaler, von staatlichen Vorgaben weniger abhängiger Beziehungen. Auf deren Basis entstand ein Netzwerk gegenseitiger Abhängigkeiten, vor allem in sozioökonomischen Belangen. Staatliche Akteure ha-ben diesen Prozeß in den westlichen Gesellschaften befördert. Inzwischen ist er soweit gediehen, daß kaum noch vorstellbar ist, wie nichtstaatliche und staatliche Akteure aus diesem Netzwerk ausscheiden könnten, ohne sich selbst und ihren Interessen nachhaltig zu schaden.
Dieses Niveau an Interdependenz fand in sehr unterschiedlichen Organisationen eine institutionelle Form: in der Europäischen Union (EU), im Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommen (GATT), in der UNO, in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), im Weltwirtschaftsgipfel der sieben führenden Industriestaaten (G-7), im bilateralen japanisch-amerikanischen Sicherheitsabkommen, in der Asia-Pacific Economic Corporation (APEC) und vielen anderen mehr.
Die beteiligten Gesellschaften differenzierten sich politisch, sozial und ökonomisch immer weiter aus und legten mit diesen funktionalen Arbeitsteilungen die Fundamente für die erfolgreichere Bearbeitung, wenn auch nicht immer Lösung unterschiedlicher Herausforderungen. Die Anforderungen an die politischen Eliten wandelten sich mit der Ausbildung neuer internationaler Strukturen. Die militärische Verteidigung nach außen verlor gerade in der OECD-Welt an Bedeutung, ohne daß sie unwichtig wurde. Aber wirtschaftliche und ökologische Sicherheit, auch Fragen nach der kulturellen Eigenständigkeit der sich ausdifferenzierenden Gesellschaften rückten stärker in den Vordergrund
Die Frage am Ende des 20. Jahrhunderts ist nun, ob die gesellschaftliche Entwicklung in den industrialisierten Staaten mit ihrer zwischengesellschaftlichen Zusammenarbeit den point of no return erreicht hat und ob auf der Basis dieser -trilateral getragenen Kooperation -die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigt werden können. Oder ob dieser Punkt eben (noch) nicht erreicht ist und die internationalen Beziehungen -wenn auch mit großem Schaden für alle Beteiligten -wieder in viele einzelne bilaterale, nur am jeweils eigenen, partikularen Interesse orientierte Beziehungen zerfallen.
II. Weltordnung oder Chaos
Selbstverständlich orientieren sich die politischen Akteure auch in interdependenten Beziehungen an ihren eigenen Interessen und versuchen, ihre Umwelt so zu gestalten, daß es der Realisierung dieser Interessen dient. Kooptive Macht -d. h. die Fähigkeit, Situationen so zu strukturieren, daß andere Akteure ihre Interessen im Einklang mit den eigenen ausbilden -rückt dabei zunehmend in das Zentrum politischer Führungsfähigkeit Dabei erlangen Interessen an der Erhaltung der Kooperationsstruktur und an der Fähigkeit, die Ausgestaltung der Kooperation zu prägen, immer größeres Gewicht. Akteure stellen z. B. dann die Verwirklichung eigener Teilinteressen zurück, wenn dadurch die Struktur der Zusammenarbeit gefährdet würde
Interdependenz bedeutet aber nicht ohne weiteres, daß man sich nicht auch gegen die Struktur der Zusammenarbeit entscheiden könnte. Denn Kooperation ist nicht nur mit Kosten verbunden, die die Akteure zu tragen haben, sondern sie setzt auch voraus, daß die Struktur der internationalen Beziehungen von den Beteiligten als legitim angesehen wird. Interdependenz verträgt sich nicht mit zu großer Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Werte und Normen-Prioritäten, auch nicht mit dem revolutionären Auftreten von Staatsführungen, die das Gesamtgefüge der internationalen Politik ändern wollen. Die Transformation des gegenwärtigen internationalen Systems wird aber weltpolitische Verlierer mit sich bringen, die nicht ohne weiteres die neue Ordnung als legitim anerkennen werden.
Tempo, Richtung, Risiken und Kosten dieser Transformation werden in den nächsten Jahrfünften angelegt. Von den drei weltpolitischen Akteuren mit dafür vorhandener Definitions-und Ordnungsmacht, den USA, Japan und Westeuropa unter deutsch-französischer Führung, wird es abhängen, welche Gestalt die internationalen Beziehungen für das 21. Jahrhundert annehmen werden 1. Suche nach neuen Rollen
Politische Anforderungen und die Gestalt der Akteurs-Kooperation, die solchen Anforderungen gerecht wird, prägen die Interessenprofile der einzelnen Akteure ebenso mit, wie solche Interessenprofile wiederum auf die Beziehungsfiguren zurückwirken. In diese Spannung zwischen der Entwicklung eigener Interessenlagen und korrespondierender Kooperationszusammenhänge ist die Ausbildung der internationalen Beziehungen eingebunden. Das gilt für die einzelnen politischen Ebenen (die der Groß-Regionen, Staaten und Unternehmen) und Sachbereiche (Sicherheit, Wirtschaft, Herrschaft) auf ganz unterschiedliche Weise Sind schon die Kontextgefüge um jeden einzelnen Schnittpunkt aus Politik-ebene und Sachbereich kompliziert, so ist es viel mehr noch die wertende Einordnung, an deren Ende ein Gesamtbild der politischen Orientierung steht.
Trilaterale Beziehungen sind nicht einfach dreiseitige, sondern ein komplexes Geflecht von vielen politischen, militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gruppenbeziehungen. Politische Führung, soziale Akzeptanz, internationale Koordination und sachbereichsspezifische Problemlösung greifen hierbei ineinander. Es stimmt, was in allen Arbeiten zur deutschen, japanischen oder amerikanischen Sicht der internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts und der eigenen Stellung darin geschrieben wird, nämlich daß die staatlichen Akteure ihre neuen Rollen noch nicht gefunden haben. Diese Feststellung kann aber nur den Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zu Art und Gewicht, Profil und Wandlungsfähigkeit dieser Rollen abgeben. Leider mangelt es an über kleine Zirkel hinausgehender gesellschaftlicher Interaktion, die die Suche nach neuen Rollen in den drei Zentren der Welt in einen gemeinsamen Diskurszusammenhang stellt.
Denn ebenso wichtig wie die Abstimmung von unterschiedlichen Interessen wird es für die Zukunft sein, gemeinsam mittelfristige Interessen-profile auszubilden. Im OECD-Prozeß wird diese Diskussion zwischen Bürokratien der beteiligten Staaten geführt. Aber sie beschränkt sich bislang zu sehr auf Detailfragen der Wirtschafts-und Geldpolitik. Die Gesamtheit sozialer Wertgefüge und Zukunftsperspektiven muß trilateral entwikkelt werden, wenn die Gefahr verringert werden soll, daß internationale Zusammenarbeit national entlegitimiert wird. )
2. Gemeinsame Interessen
Internationale Beziehungen entwickeln sich nach den Relationen der Macht, die danach bestimmt werden können, ob ein Akteur einen anderen dazu bringen kann, etwas zu tun, was dieser anderenfalls nicht getan hätte und was (vor allem) im Interesse des überlegenen Akteurs liegt. Diese an der Theorie des Strukturellen Realismus orientierte Definition kann sich sowohl auf einzelne Aktionen als auch auf die Umsetzung einer gewünschten internationalen Struktur beziehen. Macht schließt die Fähigkeit ein, bestimmte Themen auf die politische Tagesordnung zu setzen -oder sie von ihr fernzuhalten.
Die Chance der trilateralen Welt liegt nun gerade darin, daß die definitorischen Mächte gemeinsam das tun, was in ihrem gemeinsamen Interesse liegt. Eine trilaterale Welt wird sich nur entwikkeln, wenn sich die entscheidenden Akteure an eine spezifische Form der Interaktion (die in der Politik über Macht abgewickelt wird) binden, nämlich die kooptive, und andere Formen der Auseinandersetzung insoweit vermeiden, als diese nicht die Gesamtbeziehungen prägen dürfen. Die größte Gefahr für den trilateralen Zusammenhang geht von der Perzeption aus, bestimmte Akteure müßten sich gegen andere zusammenschließen, um ihre Interessen zu realisieren. Deshalb wird der Tatsache, daß die industrialisierten Staaten des Westens -wozu Japan spätestens seit dem Weltwirtschaftsgipfel von Williamsburg 1983 aus eigener Entscheidung auch sicherheitspolitisch gehört -mit der Sowjetunion einen gemeinsamen Feind verloren haben, strukturelle Bedeutung für die weitere Entwicklung der trilateralen Beziehungen beigemessen.
Die Zukunft kann nicht vorhergesagt werden. Aber sicher ist: Wird es kein trilaterales Beziehungsgeflecht geben, das jedem Akteur von einigem Gewicht die Realisierung seiner Interessen besser ermöglicht als ohne die trilaterale Kooperation, dann wird es wahrscheinlich zu Koalitionsbildungen und Prozessen eines regressiven Nationalismus kommen. Rückbezug der Nationen auf die eigenen exklusiven Interessen, wechselnde Allianzen, Priorität für bilaterale statt multilaterale Beziehungen, sich abschottender statt offener Groß-Regionalismus -all dies kann ebenso wahrscheinliche Folge der nächsten Jahre sein wie eine multilaterale offene Kooperationsfigur.
Dabei ist zu beachten, daß die Aufrechterhaltung der trilateralen Kooperation schwieriger zu bewerkstelligen ist als ihre Beschädigung. Die Uruguay-Runde des GATT hat die Verhinderungsmacht einzelner Akteure, hier z. B.der europäischen Landwirtschaftsverbände und der französischen Regierung, vor Augen geführt. In Europa sind nationale Denkhaltungen bestimmender geworden. Staaten zerbrachen an Ethno-Nationalismus, wie die Tschechoslowakei. Andere, wie Italien, drohen dies zu tun. Wieder andere, eigentlich alle, erleben einen Aufschwung rechts-nationaler Subkultur, z. B. Deutschland. In Japan besinnt man sich auf die eigene Stärke und darauf, „Nein sagen zu können“ In den Vereinigten Staaten zeigte sich im Wahlkampf um die Präsidentschaft 1992 ein hohes Potential an Wählern, die einer Strategie des „America First“ folgen -ein Potential, das sich erhöhen wird, sollte Präsident Clinton mit seiner Haushalts-und Wirtschaftspolitik scheitern.
Dabei spielt es leider eine untergeordnete Rolle, daß eine solche fragmentierte Welt ganz offensichtlich nicht in der Lage ist, die anstehenden wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen zu bestehen. Der Wohlstands-Chauvinismus als moderne Form eines romantischen Nationalismus würde schon mittelfristig die Fundamente seiner eigenen Existenz untergraben. Aber internationale Politik folgt keinem festen Rationalitätskalkül. Die beste Sicherheit -und wohl auch die einzige Sicherheit -für trilaterale Kooperation ist die Vernetzung von Interessen.
3. Sicherheit
Die sicherheitspolitischen Lagen der drei weltpolitischen Zentren sind sehr unterschiedlich. Die USA sind derzeit der einzige Staat, der zu glo-baler Projektion seiner militärischen Macht in der Lage ist Gleichzeitig wurde mit dem Ende der Rivalität zur Sowjetunion/Rußland die Gefährdung des eigenen Territoriums erheblich reduziert. Jedoch stehen die USA aus finanziellen Gründen vor erheblichen Einschnitten in ihrem militärischen Dispositiv. Von der Entwicklung in Europa und Japan und der amerikanischen Haushaltslage wird abhängen, ob die USA weiterhin wenigstens symbolisch Streitkräfte in Europa und Asien belassen. Dies wird von einigen Autoren als Bedingung für das Funktionieren der trilateralen Kooperation gesehen
Japan steht im Bereich der Sicherheitspolitik vor der für die nationale Entwicklung entscheidenden Frage, ob die Beziehungen zu den USA die für die japanische Entwicklung konstitutiv sind, weiterhin asymmetrisch bleiben, also der amerikanische Nuklearschutz in Anspruch genommen wird, oder ob es einen eigenständigen militärischen Weg einschlagen wird. Dies wird davon abhängen, wie sich die bilateralen Beziehungen zwischen den USA und Japan entwickeln, aber auch davon, welche Gefährdungen in der doch erhebliche Instabilitäten erwarten lassenden pazifischen Region lauern, und davon, wie sich die Einstellung der japanischen Bevölkerung zu Atomwaffen entwickeln wird. Vor allem die Beziehungen in der Großregion scheinen hier wichtig: die Entwicklung zwischen den beiden Teilen Koreas und die Modernisierung Chinas (mit Hongkong und im Konflikt mit Taiwan), aber auch die weitere Entwicklung Kambodschas
Die pazifistische Grundhaltung oder jedenfalls das einer solchen Grundhaltung entsprechende Selbstbild der japanischen Außenpolitik in Fortführung der Yoshida-Doktrin werden nicht aufrechtzuerhalten sein. Die sicherheitspolitische Neuordnung könnte mit antiamerikanischen Haltungen Zusammentreffen, die aus wirtschaftlichen Konkurrenzgründen sowie aus sicherheitspolitischen Neutralitätsambitionen zur Unterminierung des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrages beitragen. Die Motive sind unterschiedlich, können im Ergebnis aber dazu führen, daß die japanische Außenpolitik ein eigenes militärpolitisches Profil aufb^ut
Anders als für Japan gilt für Westeuropa, daß mit dem Ende des Ost-West-Konflikts die große sicherheitspolitische Bedrohung enorm nachgelassen hat. Die in Ost-und Südosteuropa und auch in der GUS möglichen Konflikte dürften keine direkten Auswirkungen auf die westeuropäischen Gesellschaften haben. Allerdings deuten sich mehr und mehr indirekte Auswirkungen für den Westen Europas an, die in ihrer Summe sehr wohl eine neuartige, kleine sicherheitspolitische Bedrohung ergeben können. Sollte es hier zu militärischen Konflikten kommen, würden sie die NATO (und damit auch die USA) betreffen. Fraglich ist auch, welche Entwicklung die sicherheitspolitische Integration in Europa nehmen wird Unter den Gesichtspunkten weltpolitischer Eigenständigkeit und sicherheitspolitischer Handlungsfähigkeit werden weitergehende Integrationen angestrebt -etwa hin zu europäischen Streitkräften. Problematisch wäre, wenn sich diese Streitkräfte nicht in enger Verschränkung zu den US-Streitkräften entwickeln würden, weil dann ein bestehender Zusammenhang transatlantischer Beziehungen aufgelöst würde.
Möglicherweise fördert es bisher die trilaterale Kooperation, daß wirtschafts-und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit auseinanderfallen. Die weltpolitischen Konstellationen sind unübersichtlich, die Risiken für die Sicherheit der Gesellschaften haben zugenommen. Auf die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der USA kann deshalb nicht verzichtet werden Unter ihrem Schirm könnten sich die westeuropäischen Staaten und Japan einige Zeit erkaufen, um die eigene sicherheitspolitische Posture den neuen Erforder-nissen anzupassen. Sollten sich die Vereinigten Staaten aber als „Global-Manager regionaler Balancen“ sehen, dann ist die Rivalisierung der trilateralen Beziehungen fest vorherzusehen. Denn dann wäre zu erwarten, daß sich die wirtschaftlich potenten Staaten, denen derzeit noch die (als symbolische oder reale Instrumente verwendbaren) Mittel fehlen, eine ihren Interessen gemäße internationale Ordnung zu verteidigen oder neu zu konturieren, sich diese Mittel beschaffen. Die Entscheidung über den Grad der Bedrohung der internationalen Struktur darf nicht allein bei der amerikanischen Regierung liegen. Das fördert nur die Entstehung rivalisierender Mächtegruppen).
4. Wirtschaft
Als westliche Führungsmacht konnten die Vereinigten Staaten -wenn auch mit der Zeit immer weniger -ihre sicherheitspolitische Vormachtstellung gegen das zunehmende wirtschaftliche Gewicht Deutschlands und Japans politisch wirksam werden lassen. Gerade im Fall Japans gelang es sogar, über die Sicherheitsgewährung an den technologischen Ergebnissen japanischer Forschung zu partizipieren Die wirtschaftlichen Verflechtungen, die in dieser Zeit geknüpft wurden, könnten zu einem tragenden Pfeiler der neuen internationalen Beziehungen werden. Geschichtliche Rückblicke stimmen indes eher pessimistisch: Ordnungen hegemonialer Stabilität oder der kooperativen Suprematie, wie sie die USA nach dem Zweiten Weltkrieg ausübten, führten bisher nicht zu kooperativen internationalen Regimen, sondern über Rivalität und Krieg zum Aufstieg einer neuen Weltmacht
Hier mag ein Unterschied zwischen der klassischen Hegemonie und der kooperativ gestalteten Suprematie nach 1945 liegen; letztere umfaßte bereits eine beträchtliche Zahl von Elementen einer globalen Abstimmungs-Politik, auf welche die Weltpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hinsteuert. Die Frage nach der Steuer barkeit der künftigen Weltwirtschaftsbeziehungen umfaßt aber nicht nur die Steuerung von Handels-und Produktionskonflikten. Es geht um die Neukonstruktion einer Weltordnung mit friedlichen Mitteln.
Unsere These ist: Entweder führen die Turbulenzen der weltpolitischen Transformationen zu einer konzertieren Führung der trilateralen Mächte in der Weltpolitik, oder die ganz unterschiedlich motivierten Konflikte werden in zunehmend gewaltgeladene Auseinandersetzungen um die Struktur der internationalen Beziehungen münden.
Gerade deshalb ist der Abschluß der Uruguay-Runde des GATT in Marrakesch im April 1994 so wichtig. Internationale Regime bleiben nur dann produktiv, wenn sie den Akteuren Planungssicherheit und Kooperationschancen eröffnen. Darüber reproduzieren sie sich; anderenfalls verlieren sie ihren politischen Sinn für die Beteiligten. Mit der Komplexität der Probleme werden internationale Regime nicht nur notwendiger (um gewaltsame Lösungen zu verhindern), sondern sie erhalten auch mehr und mehr Chancen, kooperative Antworten auf Konfliktkonstellationen vorzubereiten
Für die trilateralen Beziehungen sind erhebliche wirtschaftliche Konflikte zu erwarten. Sie resultieren aus den Ungleichgewichten, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt, sowie aus den Problemen, die sich aus der gesellschaftlichen Perzeption dieser Ungleichgewichte ergeben haben. Leider spielen Fragen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen in Schule und Allgemeinbildung überall eine untergeordnete Rolle. Entsprechend gering ist das Verständnis für Strukturanpassungen in den Volkswirtschaften. Eine international ausgerichtete Wirtschaftspolitik könnte -in der Klemme zwischen binnenwirtschaftlicher Anpassung, den damit verbundenen sozialen Lasten und einer national-introvertierten Politikbetrachtung -schubartig an Akzeptanz verlieren.
Solche Prozesse ließen sich in den USA beobachten, als die wahrgenommene Bedrohung wirtschaftlicher Interessen durch eine feindliche Umwelt unter das Banner „America First“ gestellt wurde Dabei spielte dann keine Rolle, daß die amerikanische Gesellschaft lange über ihre Verhältnisse gelebt hat, daß industrielle Modernisierungsmaßnahmen verpaßt worden waren, daß ohne erkennbaren Wandel seit Jahren ein enormes Haushaltsdefizit in Kauf genommen wurde -so hoch, daß inzwischen der Spielraum amerikanischer Geldpolitik ziemlich gering geworden ist. Jedenfalls ist nicht auszuschließen, daß ähnliche Wahrnehmungen auch in anderen Staaten an Boden gewinnen und sich diese Haltungen dann gegenseitig hochschaukeln könnten. Beobachter sehen hierin die größte Gefahr für eine offene Weltwirtschaft
Problematisch sind Auffassungen, die beispielsweise hinter dem japanischen Wirtschaftswachstum ganz andere Motive vermuten. Der japanischen Gesellschaft gehe es demnach nicht um eine Verbesserung ihres Lebensstandards, sondern um Vorherrschaft in möglichst vielen industriellen Bereichen. In Erwartung einer -irgendwann sich zeigenden -feindlichen Umwelt sollen mit dem wirtschaftlichen Wachstum strategische Positionen im Wettstreit mit anderen Akteuren aufgebaut werden, um in der erwarteten Auseinandersetzung den Einfluß Japans zu sichern
Eine solche Haltung Japans wäre angesichts der unvergleichlichen Außenabhängigkeit der japanischen Wirtschaft durchaus erklärbar Die eigentliche Frage ist doch aber, ob es gelingt, ökonomische Sicherheitserwartungen trilateral einzufassen Nur wenn dies gelingt oder als Perspektive vielversprechend erscheint, können die japanischen Befürchtungen auf kooperative Weise überwunden werden. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß das Projekt des Europäischen Binnenmarktes als Politik eines sich ab-schottenden Groß-Regionalismus wahrgenommen wird, sowie der strategischen Bedeutung der japanischen Direktinvestitionen in Europa und den USA sind hier Zweifel angebracht. Die zunehmende Bedeutung, die Japan dem regionalen Umfeld wirtschaftlich und entwicklungspolitisch beimißt, deutet auf einen eigenen regionalen Ansatz hin. Dieser müßte aus japanischer Sicht jedoch die USA und Kanada mit einschließen -und sollte Europa wenigstens handelspolitisch nicht ausschließen. Letztlich ist einzig Japan in allen drei Weltwirtschaftsregionen deutlich vertreten.
Sollte der sozio-ökonomische Transformationsprozeß in absehbarer Zeit wirtschaftlich erfolgreich sein, wird Deutschland in Europa auf Dauer die ökonomisch stärkste Macht sein. Aber die Unterschiede zwischen den einzelnen Volkswirtschaften in Europa sind nicht so groß, wie dies in der asiatisch-pazifischen Region der Fall ist. Kein europäischer Akteur ist, auf sich allein gestellt, weltwirtschaftlich von überragender Bedeutung. Nur gemeinsam ist die EU ein wirtschaftliches Kraftzentrum, das -nimmt man für die mittlere Zukunft einen stabilisierten Reformprozeß für ganz Osteuropa und Rußland an -unter Einschluß der osteuropäischen Staaten die weltwirtschaftlichen Beziehungen nachhaltig als offenes Beziehungsgeflecht prägen kann. Schon heute aber hat die EU die Macht, eine sich abschottende Regionalisierung zu betreiben, indem sie die Befürchtung anderer erfüllt und sich zur „Festung Europa“ ausbaut. Zollbarrieren nach Ost und West kennzeichnen derzeit die Handelspolitik der Union, die in hohem Grad bilateral verregelt ist
Die Unwägbarkeiten, die auf dem europäischen Weg liegen, erhalten noch dadurch zusätzliche Bedeutung, daß den europäischen Staaten die politische Handlungsfähigkeit weitgehend fehlt. Dies gilt für den Integrationsprozeß selbst, seine außenpolitische Abstützung vor allem gegenüber den USA und in internationalen Institutionen sowie für die Offenhaltung der Integration für die reformierten mittelost-und osteuropäischen Staaten.
III. Trilateralismus, Regionalismus, Nationalismus
Den Gesellschaften in Europa, Japan und den USA versprechen multilaterale Konzeptionen eines offenen Groß-Regionalismus die meisten Vorteile. Dies gilt auch für die politischen und ökonomischen Führungen, wenn es gelingt, eine konzertierte Interessenprofilierung zu erreichen. Dabei greifen ökonomische und politische Multilateralst ineinander. Denn ohne offene Weltwirtschaft sind politische Konkurrenzverhältnisse zwischen den weltpolitischen Zentren zu erwarten, die über das in Interdependenzen verkraftbare Maß an Wettbewerb hinaus auf die Auflösung der Interdependenzstruktur selbst zielen könnten.
Der großregionalen Entwicklung kommt entscheidende Bedeutung zu: Sollten sich diese Regionalisierungsprozesse offen gestalten, wird die Kooperation zu einer trilateralen Steuerung der Weltpolitik und Weltwirtschaft führen. Wie die Groß-Regionen gestaltet werden, ist derzeit offen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die USA als pazifische und als europäische Macht werden behaupten können. Sollte dies der Fall sein, besteht über dieses Scharnier die Offenheit der internationalen Zusammenarbeit. Es kann auch noch nicht abgesehen werden, wie sich China entwikkeln wird. Sollte die Volksrepublik China ihren Modernisierungsprozeß weiterführen, ließe sich eine andere, eine großpazifische Region vorstellen anders als im Fall der nationalen Abschließung Chinas oder der Entfaltung seiner Chaos-Macht.
Sich abschottender Groß-Regionalismus hingegen wird entweder zu einer überdimensionalen Blockkonkurrenz führen -Eurasien gegen Pazifik, eine Horrorvision -oder politische Auseinandersetzungen provinziell konservieren und mithin in den betroffenen Groß-Regionen in nationalistische Auseinandersetzungen münden, deren Pole von wirtschaftlicher Benachteiligung und Wohlstands-Chauvinismus gebildet werden. Für die Zukunft der internationalen Beziehungen ist also entscheidend, welche Gestalt die Regionalisierungsprozesse annehmen. Hier stehen insbesondere die europäischen Akteure vor einer riesigen Herausforderung in ihrer unmittelbaren Nähe in Mittel-und Osteuropa. Obwohl schon auf den ersten Blick das Ausmaß dieser Aufgabe -Konsolidierung der ehemals sowjetsozialistischen Welt -die Kräfte Europas übersteigt, erliegen manche Beobachter der Versuchung, sie zur innereuropäischen Angelegenheit zu erklären. Szenarien, die das industrielle Potential Westeuropas mit dem Bedarf und den Bodenschätzen Rußlands kombinieren, stehen auch schon bereit und entfalten eine anachronistische Attraktivität. Es ist deshalb gerade die Aufgabe der deutschen Außenpolitik, den erheblichen Einfluß in der EU zugunsten der trilateralen Kooperation zu nutzen
Ein sich abschottender Groß-Regionalismus der USA unter Einschluß Kanadas, Mexikos und der latein-und mittelamerikanischen Staaten ist kaum zu erwarten Eher schon scheint eine pazifische Region um die USA und Japan als Führungsteam möglich Die wirtschaftliche Kraft Japans und der vier asiatischen Tiger (Taiwan, Hongkong, Südkorea, Singapur) sowie die politisch-militärische Potenz der USA könnten zu einer produktiven Partnerschaft zusammenfinden. Andererseits wären Konflikte um die Vorherrschaft in der Region, gerade unter Einbezug Chinas, zu erwarten.
Deshalb ist eine solche Konstellation letztlich auch wenig wahrscheinlich. Die Einbeziehung Chinas -mächtig an Raum, Menschen und Waffen -scheint kaum in einer Weise möglich, die nicht zu neuen, das regionale Gleichgewicht störenden Prozessen, führt. Auch ist nicht absehbar, daß die USA die Beziehungen zu Europa oder das kooperative Management der nuklearen Arsenale mit Rußland aufgeben wollen. Die europäischen Staaten werden aber auf absehbare Zeit die USA nicht politisch aus Europa herausdrängen können, selbst wenn sie es wollten. Die wenigsten wollen dies: Die USA bedeuten in Europa unter anderem ein Gegengewicht zu der erwarteten Stärke Deutschlands.
Nationalistische Politikhaltungen werden sich angesichts der Anforderungen, vor denen die wichtigen politischen Akteure stehen, in jedem Fall als anachronistisch erweisen -so als würde man die Welt durch Butzenscheiben betrachten: Sie färben die Weitsicht mit lokalen Besonderheiten ein, lassen Konturen verschwimmen und orientieren sich an einem historisierenden Gefühl Verbunden mit dieser Einschätzung ist aber auch die Erkenntnis, daß es anderen als nationalen Identitätsangeboten nicht gelingt, strukturelle Orientierungskraft in die betroffenen Gesellschaften hinein zu entfalten. Dies ist eine der wichtigsten Aufgaben trilateraler Kooperation.
IV. Das entscheidende Jahrzehnt
In den nächsten zehn Jahren werden Entscheidungen fallen, die die Struktur der internationalen Beziehungen auf längere Zeit prägen. Im Kern geht es um die Frage, ob eine kooperative trilaterale Führung von Weltpolitik und Weltwirtschaft möglich ist. Im anderen Fall lassen sich eine Reihe von Möglichkeiten denken, auf die sich die Welt zuentwickeln könnte. Sie wären allesamt weniger vorteilhaft, einige sogar ausgesprochen gefährlich.
Die Frage nach der Fähigkeit zu trilateraler Führung stellt sich für jede Gesellschaft anders. In den USA lautet sie, ob man bereit ist, das Haushaltsdefizit zurückzufahren und internationale Militäraktionen nicht mehr nur unilateral zu planen. In Japan lautet die Frage, ob man den Zugang ausländischer Akteure zum eigenen Markt öffnen will und wirtschaftlichen Einfluß nicht als staatlich-politischen betrachtet. In Westeuropa lautet die Frage, ob man bereit ist, den Integrationsprozeß zu vertiefen und gleichzeitig für die Transformation im Osten Sorge zu tragen, oder ob man die Balkanisierungstendenz in ethno-nationalistischer Absicht forciert. Aber selbst wenn diese Fragen in weltoffener Absicht beantwortet würden, steht noch nicht fest, daß eine trilaterale Führung realisiert werden kann. Denn sie stellt keine Weltregierung dar, sondern ein feines, auf internationaler Ebene noch weitgehend unerprobtes Geflecht aus Kooperation und Wettbewerb. Die Anforderungen an die politischen Akteure jedenfalls werden enorm steigen. Denn die eigenen Voraussetzungen zur Möglichkeit der Teilnahme an der gemeinsamen Führung der internationalen Beziehungen werden selbst Gegenstand dieser Beziehungen.
In den japanisch-amerikanischen Beziehungen wurde dies exemplarisch veranschaulicht, wenn auch bisher ohne durchgreifenden Erfolg, als man sich 1990 darauf einigte, daß beide Staaten die innenpolitischen Voraussetzungen zum Abbau der bilateralen Probleme schaffen müssen. Die USA verpflichteten sich, das Haushaltsdefizit zu senken, die Sparquote zu erhöhen, die Qualität von Bildung und Ausbildung zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen zu stärken. Im Gegenzug verpflichtete sich Japan, den Lebensstandard zu erhöhen und dadurch die Importe zu steigern, zur Senkung der hohen Bodenpreise beizutragen, die Zugangsmöglichkeiten ausländischer Handelshäuser zu verbessern und den halb-gesteuerten Handel (keiretsu) aufzubrechen sowie die Rechtslage für ausländische Firmen transparenter zu gestalten.
Wenn solche Abkommen als „höchst ungewöhnlich“ bezeichnet werden, dann reflektiert das die herkömmliche Vorstellung, daß innenpolitische Fragen nicht allgemein zwischen Staaten verhandelt werden. Aber genau das entspricht den Anforderungen an trilaterale Kooperation. Daß die Übereinkunft von der japanischen Regierung ein wenig, von der amerikanischen so gut wie gar nicht erfüllt wurde, weist auf zwei entscheidende Probleme hin: das der Umsetzung solcher Verträge und das möglicher Sanktionen bei Nichterfüllung. Die Vereinbarung selbst aber bedeutet schon einen erheblichen Fortschritt -nämlich den Abschied von einem Teil des zwar noch geltenden, indes sich sozusagen verdünnenden Prinzips nationaler Souveränität.
Die Erwartung aber, daß von Japan und Deutschland (nach einer äußerlichen Typologie freundlich so genannte „Zivilgesellschaften“) stilbildend für die anderen staatlichen Akteure auf dem Globus nun friedliche internationale Beziehungen ausgehen, kann man getrost vergessen. Sie übersieht nämlich die Kontextgebundenheit nicht nur von Politik, sondern auch der Selbstbilder, die jede Gesellschaft zur Selbstvergewisserung und als Entscheidungsmatrix entwickelt. Diese Bilder werden sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in Deutschland und Japan mit einiger Verzögerung deutlich verändern. Die internationalen Anforderungen an beide Staaten haben sich erhöht. Sie werden ihre politische Passivität aufgeben müssen und sich nicht weiter im sicherheitspolitischen Windschatten auf ihre ökonomischen Interessen konzentrieren können.