Es zählt zu den Paradoxien der sozialwissenschaftlichen Forschung, daß gerade die klassische, soziologische Systemtheorie, der man als grand theory häufig die empirieferne Abstraktion vorgeworfen hatte, das Ende der autokratisch-kommunistischen Herrschaftssysteme prognostiziert und luzide begründet hat Anders als die Totalitarismustheorie, die insbesondere in ihrer klassischen Version der fünfziger Jahre eine Überwindung der kommunistischen Systeme zwar durch exogene Einflüsse wie etwa Kriege für möglich hielt, endogenen Prozessen aber die systemsprengende Wirkung absprach, begründete der Soziologe Talcott Parsons gerade mit der inneren Konstruktion der sowjetischen Gesellschaftsformation deren unvermeidliches Scheitern. Langfristig, so Parsons, könne es die kommunistische Organisation der Gesellschaft nicht mit den politischen und integrativen Kapazitäten marktwirtschaftlicher Demokratien aufnehmen: „Ich stelle tatsächlich die Prognose, daß sich die kommunistische Gesellschaftsformation als instabil erweisen wird und entweder Anpassungen in Richtung auf die Wahlrechtsdemokratie und ein pluralistisches Parteiensystem machen oder in weniger entwickelte und politisch weniger effektive Organisationsformen „regredieren" wird. „Das kann nur bedeuten“, pointierte Parsons seine Prognose, „daß die monolithische Einheitspartei schließlich ihr Monopol der politischen Verantwortung aufgeben muß.“
Wenngleich mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime Osteuropas manche der System-und modernisierungstheoretischen Grundannahmen eine Bestätigung erfuhren bleibt die Theorie jedoch hinsichtlich des Zeitpunktes, der Art der Regimebrüche und der Konsolidierungschancen der neuen Demokratien unbestimmt. Um aber gerade die Chancen und Probleme der demokratischen Konsolidierung in Ostmitteleuropa, d. h. in Polen, Ungarn, der Tschechischen und der Slowakischen Republilk, realitätsnäher einschätzen zu können, müssen systemtheoretische mit Struktur-und handlungstheoretischen Überlegungen verknüpft werden Meine Analyse folgt deshalb einem dreigliedrigen Aufbau:
In einem ersten Schritt werde ich die strukturellen Variablen herausarbeiten, die -je nach Beschaffenheit -als Restriktion oder Ressource den Handlungskorridor der Akteure im Demokratisierungsprozeß festlegen. In einem zweiten Schritt soll die aus der dreifachen (ökonomischen, sozialen und politischen) Transformation resultierende Transitionsproblematik in Ostmitteleuropa analysiert werden. Schließlich soll gefragt werden, inwieweit die institutioneilen Strukturen, Akteurs-konstellationen und Akteurshandeln eine Konsolidierung der Demokratie in den vier Ländern erwarten lassen.
Ich sehe vier zentrale Ebenen, deren Strukturen den Handlungskorridor für die demokratisierungswilligen Akteure festlegen: 1. Ökonomie 2. Gesellschaft 3. Politische Institutionen 4. Internationale Rahmenbedingungen.
I. Die strukturellen Rahmenbedingungen: der Handlungskorridor
1. Die Ökonomie Mißt man das wirtschaftliche Entwicklungsniveau mit dem Indikator des Bruttosozialprodukts pro Kopf, so lagen Spanien, Griechenland und Portugal zum Zeitpunkt der „founding elections" Mitte der siebziger Jahre bei etwa der Hälfte des Durchschnitts der Europäischen Gemeinschaft. Im Vergleich zu den hochentwickelten Industrieländern wiesen die südeuropäischen Ökonomien erhebliche Modernisierungsdefizite auf. Aber trotz der durch die protektionistische Abschottung der heimischen Märkte verursachten Wettbewerbsschwächen besaßen die Volkswirtschaften Südeuropas marktwirtschaftliche Strukturen. Diese mußten modernisiert, aber nicht transformiert werden Anders ist die ökonomische Situation in Ostmitteleuropa.
Nach Schätzungen der OECD besaß die SFR 1990 65 Prozent, Ungarn 55 Prozent und Polen 30 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Sozialproduktes der Europäischen Gemeinschaft -also z. T. durchaus vergleichbar mit Spanien, Griechenland und Portugal. Doch schon die wirtschaftlichen Strukturdefizite und die einseitige sektoriale Spezialisierung, die sich nicht aufgrund komparativer Kostenvorteile herausgebildet hatte, sondern von den zwischenstaatlichen Spezialisierungsplänen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) erzwungen wurde, werfen für Ostmitteleuropa weit gravierendere Anpassungsprobleme auf. Darüber hinaus müssen fast alle Institutionen, Mechanismen und Akteure einer funktionierenden Marktwirtschaft erst etabliert werden -sieht man von den embryonalen marktwirtschaftlichen Strukturen einmal ab, die sich in Ungarns „zweiter Wirtschaft“ seit 1968 entwickelt haben.
Wir werden es deshalb für eine heute noch keineswegs absehbare Periode in Ostmitteleuropa mit „mixed economies“ zu tun haben, die sich in drei Sektoren gliedern: einen nach wie vor ausgedehnten staatlichen Produktionssektor und zwei private Sektoren, von denen „einer die neuen Selbständigen des einheimischen Mittelstandes umfaßt, während der andere das Ergebnis der Anlagestrategien ausländischer Investoren ist“ Das Problem der funktionalen Beziehungen dieser drei Bereiche untereinander ist wesentlich komplexer, als daß es sich in die simple Dichotomie „Markt“ versus „Staat“ fassen ließe. Es geht auf eine längere Frist um die Frage, welche besonderen institutioneilen Arrangements die jeweiligen wirtschaftlichen Akteure mit ausreichenden Informationen und Anreizen ausstatten können, damit sie in einer gesamtwirtschaftlich rationalen Weise handeln Bisher jedoch fehlen überzeugende Konzeptionen, wie etwa der Staat die typusspezifischen betriebswirtschaftlichen Ineffizienzen öffentlicher Unternehmungen verhindern könnte, ohne die sozial unerwünschten und politisch gefährlichen Massenentlassungen vorzunehmen Wahrscheinlich ist deshalb, daß die Defizite der staatlichen Betriebe die öffentlichen Haushalte mittelfristig in erheblichem Maße belasten werden.
Aus diesem Kreislauf führt kein gerader Königsweg. Die Regierungen werden sich vielmehr in einem Zick-Zack-Kurs zwischen Staat und Markt, radikalen Reformen und gradualistischen Maßnahmen bewegen. Die politischen und sozialen Restriktionen der Transformation werden die politischen Eliten im ökonomischen Systemwechsel immer wieder zu suboptimalen Strategien zwingen. 2. Die Zivilgesellschaft Die Staatsfixiertheit.der meisten autoritären Systeme hinterläßt schwache Zivilgesellschaften. Die vor dem Staat geschützte gesellschaftliche Sphäre, in der sich Berufsgruppen, soziale Schichten oder kulturelle Strömungen selbst organisieren oder artikulieren können, existiert kaum oder nur in ob-servierten Nischen. Die kommunistischen Regime hatten nahezu alle Organisationen und Initiativen autonomer gesellschaftlicher Interessenartikulation unterdrückt. Dies trifft insbesondere für das starre kommunistische Herrschaftssystem in der ÖSSR zu In Polen jedoch hatten sich mit der katholischen Kirche und seit Beginn der achtziger Jahre mit der Solidarnösc pluralistische Ansätze einer civil society herausgebildet. In geringerem Maße trifft das auch für Ungarn und seine „zweite Wirtschaft“ zu.
Freilich ist der Beitrag der katholischen Kirche zu einer Zivilgesellschaft ambivalent, da sie aufgrund der verbindlichen Vorschrift von Glaubensdogmen dem säkularen und liberalen Konzept individueller und gesellschaftlicher Selbstorganisierung tendenziell widerspricht. Im speziellen Kontext des kommunistischen Regimes in Polen trug die katholische Kirche jedoch maßgeblich zur Aufrechterhaltung der wenigen staatsfreien Räume und Nischen bei. Unter den postkommunistischen Bedingungen eines liberaldemokratischen Systems aber tritt sie gegenüber der Gesellschaft und ihren Individuen in politischen wie unmittelbar lebens-weltlichen Fragen häufig bevormundend auf, dabei theokratische Ambitionen kaum verbergend Während also die katholische Kirche eine wichtige zivilgesellschaftliche Funktion in der autoritären Regimephase innehatte, verlor sie diese Funktion in der Periode der demokratischen Konsolidierung. Mehr noch: Gerade ihre Allgegenwart in der postkommunistischen Politik und Gesellschaft Polens zeigt, daß die polnische Zivilgesellschaft noch zu schwach entwickelt ist, um den Einfluß der katholischen Kirche zu begrenzen
Als Folge der sozialen Atomisierung der ostmitteleuropäischen Gesellschaften verfügen deren Mitglieder kaum über kognitive, ideologische oder verbandliche Muster kollektiven Handelns In einem solchen Vakuum deuten sich zwei gesellschaftliche Entwicklungen an, die die Herausbildung einer vitalen Zivilgesellschaft behindern könnten: 1. In den postkommunistischen Gesellschaften Osteuropas droht die civil society in der frühkapitalistischen Form der bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts zu entstehen -also in einer Variante, die Hegel in seiner Rechtsphilosophie als die Sphäre des „universalen Egoismus“ bezeichnete Anders formuliert: In Osteuropa droht in der unmittelbaren Zukunft die Entstehung einer sozialstaatlich kaum gebändigten Ellenbogengesellschaft. 2. Individueller sozialer Abstieg und kollektive Ohnmacht gegen die unvermeidlichen Grausamkeiten der ökonomischen Transformation könnten populistische Politiker und die Opfer der M und 19. Jahrhunderts zu entstehen -also in einer Variante, die Hegel in seiner Rechtsphilosophie als die Sphäre des „universalen Egoismus“ bezeichnete 14. Anders formuliert: In Osteuropa droht in der unmittelbaren Zukunft die Entstehung einer sozialstaatlich kaum gebändigten Ellenbogengesellschaft. 2. Individueller sozialer Abstieg und kollektive Ohnmacht gegen die unvermeidlichen Grausamkeiten der ökonomischen Transformation könnten populistische Politiker und die Opfer der Modernisierung verführen, kompensatorisch eine gesellschaftliche Identität durch ethnische Identifikationen und Ausgrenzungen herstellen zu wollen 15. Die Gefahr einer solchen Ethnifizierung politischer Konflikte ist beispielsweise zwischen Slowaken und Tschechen sowie noch stärker zwischen Ungarn und Slowaken oder Ungarn und Rumänen gegeben. Anders als in dem begrenzbaren Konflikt zwischen dem spanischen Zentralstaat und dem Baskenland und Katalonien besitzen die ethnischen Konfliktlinien in der „Gemengelage“ 16 Ostmitteleuropas jeweils ausländische Schutzmächte, die sich für die Minoritäten in den Nachbarstaaten „verantwortlich“ fühlen könnten 17. 3. Die politischen Institutionen Der Erfolg einer demokratischen Konsolidierung hängt auch von der Funktionsfähigkeit der politischen Institutionen ab. Systemwechsel sind per definitionem durch extreme Unsicherheiten geprägt. Sie sind ein Spiel, in dem die Regeln durch die Spieler selbst erst geschrieben werden müssen. Als fundamentale Regeln in diesem „Transitionsspiel“ können die zentralen politischen Institutionen gelten. Sie sind die rechtlich verpflichtende Struktur, die normative Standards formuliert und bindende Entscheidungen ermöglicht 18. Für das Gelingen der demokratischen Konsolidierung sind deshalb mindestens zwei Eigenschaften der Institutionen von erheblicher Bedeutung: Erstens, sie sollten möglichst inklusiv sein, d. h. sie sollten keine größeren sozialen und politischen Gruppen vom institutionellen Zugang zur Macht ausschließen oder sie benachteiligen; zweitens, sie müssen ein adäquates Problemlösungspotential für die zu erwar-tenden gesellschaftlichen und politischen Konflikte bergen. Ersteres soll die politische Polarisierung vermeiden helfen und ein ausreichendes Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz sichern, ohne das Institutionen instabil sind; letzteres soll die Effizienz angemessener politischer Entscheidungen ermöglichen.
Natürlich können sich gerade in Perioden des Systemwechsels gesellschaftliche Inklusion und Entscheidungseffizienz in bestimmten Problemlagen auch ausschließen. Aus diesem Grunde halten die amerikanischen Politikwissenschaftler Juan Linz, Arend Lijphart und Alfred Stepan/Cindy Skach parlamentarische, und nicht etwa präsidentielle Regierungssysteme für die angemessene institutionelle Antwort auf die besonderen Problemanforderungen der demokratischen Konsolidierung. Es sind insbesondere vier Argumente, die sie zur Stützung ihrer These anführen: -Parlamentarische Regierungssysteme haben in der Regel mehr Parteien als präsidentielle Systeme. Dies ermöglicht inklusivere und flexiblere Koalitionsbildungen in Gesellschaften, die eine komplexe ethnische, ökonomische und ideologische Konfliktstruktur aufweisen. -Regierungen in parlamentarischen Systemen verfügen häufiger über stabile parlamentarische Mehrheiten für ihre Reformprogramme als präsidentielle Exekutiven. Fehlen im präsidentiellen System dem Präsidenten parlamentarische Mehrheiten, ist die Versuchung groß, am Rande der Verfassung mit Dekreten zu regieren oder sich im bilateralen Tauschgeschäft von Abgeordneten und Präsidenten die notwendigen Ad-hoc-Mehrheiten zu suchen. Beides sind für die einschneidenden Reformprogramme in Transformationsperioden suboptimale Strategien. -Die enge wechselseitige Abhängigkeit von Legislative und Exekutive in parlamentarischen Systemen -nämlich das Recht der Regierung, das Parlament aufzulösen, und die Möglichkeit des Parlamentes, die Regierung mit einem Mißtrauensvotum zu Fall zu bringen -bergen konstitutionelle Verfahrensweisen, um lähmende wechselseitige Blockaden aufzulösen. Auf diese Weise können Regierungskrisen gelöst werden, bevor sie sich zu Regimekrisen verschärfen. -Präsidentielle Systeme dagegen fördern die politische Polarisierung und bergen die Gefahr lähmender Konflikte und Entscheidungsblockaden immer dann, wenn Exekutive und Legislative mehrheitlich unterschiedliche parteipolitische Präferenzen haben.
Juan Linz faßt die Vorteile des parlamentarischen Regierungssystems mit dem Begriff „Flexibilität“ zusammen, der er die „Rigidität“ des Präsidentialismus gegenüberstellt Gegen diese Argumentation, die Parlamentarismus und Präsidentialismus „idealtypisch“ gegenüberstellt, läßt sich einwenden, daß die Frage nach dem jeweils angemessenen Regierungssystem nicht kontextunabhängig entschieden werden kann Entscheidend sei vielmehr, in welcher Weise die zentralen politischen Institutionen auf die konkrete gesellschaftliche Konfliktstruktur reagieren können. Insbesondere stelle sich die Frage, in welcher Weise Regierungs-, Wahl-und Parteiensystem miteinander harmonierten. Denn erst die Kongruenz dieser institutionellen Arrangements entscheide über Stabilität, Handlungs-und Durchsetzungsfähigkeit und damit über die Legitimität einer demokratisch gewählten Regierung.
In Ostmitteleuropa ergaben sich mit den ersten freien Wahlen ungünstige institutionelle Voraussetzungen. Die stark proportionalen Misch-bzw. Verhältniswahlsysteme ohne wirkungsvolle Sperrklauseln in Polen und der Tschechoslowakei erwiesen sich als ungeeignet, die komplexen ökonomischen, sozialen, ethnischen und politischen Konfliktstrukturen institutionell zu rationalisieren. Es entstanden fragmentierte Vielparteiensysteme, die die Bildung stabiler parlamentarischer Mehrheiten und entscheidungsfähiger Koalitionsregierungen erheblich erschwerten Der Fraktionierungsindex der Parteiensysteme liegt in Ungarn leicht (1990: 73, 5), in der Tschechoslowakei (88, 2) weit über dem Durchschnitt der westlichen Demokratien. In Polen (92, 5) war er bis 1993 unter allen liberaldemokratischen Systemen konkurrenzlos hoch.
Die Debatte Parlamentarismus versus Präsidentialismus weist für Ostmitteleuropa ein gravierendes Defizit auf: Sie diskutiert nicht jene Mischsysteme, die zwischen den beiden Idealtypen liegen und von Maurice Duverger am Beispiel der V. Republik Frankreichs, aber auch etwa Finnlands oder Portugals als semipräsidentielle Systeme bezeichnet wurden Von den vier ostmitteleuropäischen Vergleichsländern hat Polen die verfassungsrechtlichen Konturen eines parlamentarisch-präsidentiellen Mischsystems, während in Ungarn, der Tschechischen und der Slowakischen Republik parlamentarische Regierungssysteme entstanden. Über die Angemessenheit der konstitutionellen Rahmenbedingungen für die demokratische Konsolidierung läßt sich also eine erste vergleichende Bilanz ziehen. Die, freilich noch vorläufige, Analyse ergibt, daß analog zur Ebene des Parteien-systems Polen die ungünstigsten und Ungarn die erfolgversprechendsten institutionellen Voraussetzungen für die Konsolidierung der jungen Demokratien aufweist.
Die ungarische Verfassung fördert eine starke Exekutive und schreibt dem Parlament eine schwächere Stellung zu. Dem Präsidenten werden nur sehr spärliche konstitutionelle Prärogativen zuerkannt, die es ihm erlauben könnten, wirkungsvoll in die Tagespolitik einzugreifen. Sein eigentlicher politischer Einfluß besteht in dem Recht, dem Parlament den Ministerpräsidenten vorzuschlagen, Gesetzesentwürfe einzubringen und in erster Instanz auch verabschiedete Gesetze an das Parlament zurückzuverweisen. Die Regierung wurde gegenüber dem Parlament durch die Einführung des konstruktiven Mißtrauensvotums gestärkt und erheblich stabilisiert. Kontrolliert wird sie freilich zusätzlich vom Verfassungsgericht, das wie das konstruktive Mißtrauensvotum aus dem bundes-republikanischen Grundgesetz übernommen wurde Die eindeutigen Kompetenzzuschreibungen schufen einen stabilen verfassungspolitischen Rahmen, der sich förderlich auf die demokratische Konsolidierung auswirkte Zusätzlich ging von dem komplizierten Mischwahlsystem eine moderat integrierende Wirkung auf das Parteiensystem aus Tatsächlich war Ungarn bisher auch das einzige Land, in dem sich eine relativ homogene und handlungsfähige Mitte-Rechts-Koalition in der Regierung etablierte.
Als Gegenbeispiel erwies sich Polen, in dem mehr als 25 Gruppierungen den Entscheidungsprozeß im Sejm undurchsichtig machten und verzögerten. In einem solchen extrem fragmentierten Parteiensystem erwies sich die Regierungsbildung als äußerst schwierig, so daß sich in den ersten vier Jahren der jungen Demokratie schon sieben Kabinette verschlissen. Zusätzlich zu den heterogenen, kaum handlungsfähigen Regierungen lähmten noch die ungeklärten Kompetenzabgrenzungen zwischen Parlament, Regierung und Präsident im semipräsidentiellen System die Entscheidungsfähigkeit von Exekutive und Legislative. Erst die im Mai 1992 verabschiedete „Kleine Verfassung“ klärte die wichtigsten Kompetenzabgrenzungen Die mit dem novellierten Wahlgesetz von 1993 eingeführte Fünf-Prozent-Sperrklausel für Parteien und die Acht-Prozent-Hürde für Wahlbündnisse trugen zu einer Rationalisierung des Parteiensystems bei. Anstelle von ehemals 27 Parteien sind gegenwärtig nur noch sieben Parteien(bündnisse) im Sejm. Ob es dadurch zu homogeneren Regierungskoalitionen kommt, ist jedoch keineswegs gesichert. Denn offenbleibt, ob sich die Parteien(bündnisse) zu handlungsfähigen Akteuren konsolidieren können oder ob sich innerhalb der Parteien verstärkt konkurrierende Faktionen herauskristallisieren. Dann hätte sich die Fragmentierung des Parteiensystems nur in die Parteiorganisation hinein verschoben. Die Rationalisierung des Parteiensystems wäre nur oberflächlicher Natur.
Überkomplex erwies sich auch das parlamentarische „ 2 plus 2“ -Kammersystem der Tschechoslowakei, das in Verbindung mit dem extrem polarisierten Vielparteiensystem Entscheidungsblockaden der Exekutive vorprogrammierte. Die zunächst nicht intendierte Auflösung der Tschecho-Slowakei in zwei unabhängige Staaten muß unter diesem Blickwinkel paradoxerweise als eine Rationalisierungsmaßnahme des staatlichen Handlungsund Entscheidungsprozesses gesehen werden.
Als einziges der ostmitteleuropäischen Länder besitzt die Tschechische Republik mit dem Repräsentantenhaus und dem Senat ein Zweikammersystem. Die größeren gesetzgeberischen Kompetenzen liegen beim Repräsentantenhaus. Der Senat kann dafür, anders als das Repräsentantenhaus, nicht aufgelöst werden. Die Regierung benötigt bei ihrer Einsetzung das Vertrauen des Parlaments und kann von diesem durch ein einfaches Mißtrauensvotum gestürzt werden. Der Staatspräsident hat, vergleichbar mit dem deutschen Bundespräsidenten, nur eng begrenzte konstitutionelle Eingriffsmöglichkeiten in die Tagespolitik. Nach Ungarn besitzt die Tschechische Republik die günstigsten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Konsolidierung der Demokratie. 4. Die internationalen Rahmenbedingungen Der internationale Kontext Mitte der siebziger Jahre begünstigte zweifellos Regimewandel und Demokratisierung in Südeuropa. Griechenland, Portugal und Spanien waren in Westeuropa von konsolidierten Demokratien umgeben. Die Europäische Gemeinschaft hatte unzweideutig die Herstellung der vollen Demokratie als Vorbedingung zum Beitritt der drei Länder gestellt Für die jungen Demokratien Ostmitteleuropas gelten diese günstigen Bedingungen nur zum Teil. Zwar stehen sie nicht mehr wie in der Zwischenkriegszeit im ideologischen und machtpolitischen Spannungsfeld von Faschismus, Kommunismus und Demokratie; zwar sind auch sie im Westen von stabilen Demokratien umgeben und auch ihnen wird über Assoziationsabkommen die stufenweise Annäherung an die Mitgliedschaft in der EG in Aussicht gestellt. Internationale Organisationen und Kreditinstitute wie der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die Europäische Gemeinschaft, die Gruppe der 24 sowie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung unterstützen eine kaum überschaubare Anzahl von Projekten zur wirtschaftlichen Modernisierung und reduzieren damit den hohen Außenfinanzierungsbedarf der post-kommunistischen Staaten Doch anders als beim Marshallplan von 1948-51 fehlt eine Organisation zur Koordinierung der unterschiedlichen Finanzierungsleistungen. Noch schwerer wiegt jedoch, daß Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn im Osten an Staaten angrenzen, deren Demokratisierungsprozeß erst langsam beginnt, deren ökonomische Probleme noch gravierender sind und deren virulente ethnische und territoriale Konflikte auch auf Ostmitteleuropa übergreifen könnten
II. Das „Problem der Gleichzeitigkeit": die dreifache Transformation
Aus der Analyse der strukturellen Restriktionen wurde deutlich, daß Ostmitteleuropa auf jeder der vier fundamentalen Ebenen ungünstigere Rahmenbedingungen für die'Konsolidierung seiner jungen Demokratien aufweist, als dies in Südeuropa der Fall war. Doch die bloße Addition dieser Faktoren gibt noch nicht den vollen Blick auf die komplexe Transitionsproblematik in Polen, Ungarn, der Tschechischen und der Slowakischen Republik frei. Denn das besondere Problem dieser Länder besteht in der Gleichzeitigkeit der Transformation von politischem, wirtschaftlichem und (zivil) gesellschaftlichem System Zwischen den drei Sphären existiert eine enge Interdependenz, die die jeweiligen Probleme verschärfen und „wechselseitige Obstruktionseffekte“ erzeugen könnte. Vereinfacht läßt sich diese Problematik folgendermaßen darstellen In der Transformationsphase von der einstigen Kommandowirtschaft zu einer prosperierenden Marktwirtschaft wird unvermeidlich für einen a priori kaum definierbaren Zeitraum ein „ökonomisches Tal“ durchschritten werden müssen. Wirtschaftliche und soziale Transitionskosten wie der Zusammenbruch obsoleter Produktionsstrukturen, steigende Arbeitslosenraten, Rückgang des Lebensstandards, existentielle Verunsicherung, Abstiegsängste und die drohende Verarmung vor allem der älteren Generation werden unvermeidlich anfallen.
Spätestens seit David Easton wissen wir jedoch, daß Effektivität und die materiellen output-Leistungen eines politischen Systems dieses mit legitimieren und sein Überleben sichern helfen. Eine hinter den Erwartungen der Bevölkerung zurückbleibende ökonomische Entwicklung fördert die Enttäuschung, die sich nicht nur gegen das marktwirtschaftliche, sondern auch gegen das noch instabile und kaum belastbare demokratische politische System richten kann. Die (nach Easton) zweite notwendige Legitimitätsdimension, die affektive Unterstützung der demokratischen Institutionen und Verfahren, vermag sich dann kaum zu entfalten: Es droht die Aufzehrung des Anfangskredits, der den jungen Demokratien zu Beginn der „samtenen Revolution“ eingeräumt wurde.
III. Handlungskorridor und politisches Handeln: die Rolle der Akteure
Der Erfolg der demokratischen Konsolidierung wird keineswegs allein von sozioökonomischen Faktoren, internationalen Rahmenbedingungen und strukturellen Erblasten bestimmt. Aber sie legen den Handlungskorridor fest, beeinflussen die Handlungspräferenzen und begrenzen die Bandbreite erfolgversprechender Problemlösungsstrategien. Dabei kommt es für die Lösung der komplexen Problematik der dreifachen Transformation in Ostmitteleuropa vor allem darauf an, in welcher Weise die relevanten politischen und sozialen Akteure die einzelnen Transformationspolitiken miteinander koordinieren, sequenzieren und harmonisieren
Zwei idealtypische Lösungswege wurden bisher von Ökonomen und Sozialwissenschaftlern für das oben beschriebene „Problem der Gleichzeitigkeit“ vorgeschlagen: Erstens der „big bang“, die radikale und rasche Transformation der Wirtschaft, wie sie von der OECD und dem Harvard-Ökonomen Jeffrey Sachs propagiert wurde. Das zu durchschreitende „Tal der Tränen“ (Dahrendorf) wäre in diesem Falle tiefer, aber kürzer. Offen und riskant bleibt, ob die kurzfristig anfallenden sozialen Kosten so hoch sind und so starken politischen Protest erzeugen, daß die Demokratie ernsthaft gefährdet ist. Dafür spricht der Umfang der sozialen Verwerfungen, dagegen die Kürze der Transitionsphase. Genau umgekehrt verhält es sich mit der zweiten, der gradualistischen Transformationsstrategie: das „Tal“ wird weniger tief, dafür aber breiter sein. Hier stellt sich die Frage: Läßt sich die Geduld gegenüber der „schöpferischen Zerstörung“ (Joseph Schumpeter) solange erhalten, daß sie nicht die demokratische Ordnung gefährdet?
In beiden Szenarien spielen zwei Gruppen von Akteuren die wichtigste Rolle: die politischen Entscheidungseliten und ihre Wähler Ihre Interaktion bestimmt, welche Strategie mit welchen Folgen für die demokratische Konsolidierung eingeschlagen wird. Wenn die Wähler Vertrauen in die Regierung haben, kann diese die „harte“ Option der radikalen und raschen ökonomischen Transformation wählen. Der Balcerowicz-Plan von 1989/90 in Polen und der neoliberale Kurs von Väclav Klaus in der Tschechoslowakei wären dafür ein Beispiel. Umfragen zeigen jedoch, daß das Vertrauen der Wähler in diese wirtschaftspolitische Strategie mit den ansteigenden sozialen Kosten gesunken ist Die rationale Antwort von Politikern in Wettbewerbsdemokratien auf diesen Vertrauensschwund wäre, die radikale Strategie abzuschwächen, die sozialen Kosten zu mindern, sozialpolitisch abzupuffern und langsam zu einer gradualistischen Reformpolitik überzugehen.
Der Fall Polen beglaubigt diese These mit zumindest singulärer Empirie. Denn obwohl die unter Balcerowicz 1989/90 begonnene und bis zu Hanna Suchocka -der Premierministerin der Demokratischen Union -fortgesetzte neoliberale Wirtschaftspolitik durchaus auf makroökonomische Stabilisierungserfolge verweisen konnte waren die sozialen Opfer in der mehrheitlichen Wahrnehmung der Bevölkerung zu groß. Die Polen wählten die alte Regierungskoalition der Solidarnösc-Nachfolgeparteien ab und das postkommunistische Linksbündnis (SLD), die ehemalige Block-Bauernpartei (PSL) sowie die sozialdemokratische Union der Arbeit (UP) ins Amt. Alle drei Parteien hatten sich im Wahlkampf nachdrücklich gegen das neoliberale Reformtempo und für einen langsameren, gradualistischen Kurs ausgesprochen.
Der tschechischen Regierung unter Väclav Klaus wurde zunächst ein weiterer Vertrauensvorschuß gewährt, seit sich die Tschechische und die Slowakische Republik getrennt haben. Dadurch sind für die erstere nicht nur wirtschaftliche Problemregionen verschwunden, sondern es wurde auch die wirtschaftspolitische Agenda von dem lähmenden Disput zwischen dem radikalen Wirtschaftsreformer Klaus und dem Gradualisten Meciar entlastet. Der wirtschaftliche Verlierer der Staatsauflösung ist die Slowakische Republik Schon zehn Monate nach der Auflösung der Föderation mußte Meciar feststellen, daß die slowakische Wirtschaft sich in der schwersten Krise seit den dreißiger Jahren befindet. Vor 1993 lieferte die slowakische Industrie in hohem Maße Halbfertigprodukte für die tschechische Finalproduktion. Insgesamt „exportierte“ der slowakische Landesteil ein Drittel seiner Industrieproduktion in den tschechischen Landesteil, während dieser nur 15 Prozent in die Slowakei „ausführte“ Nach der Trennung kam es zu tiefen Einbrüchen im tschechisch-slowakischen Handel. Die Produktion wie die Produktivität. ging jedoch in der Slowakei schneller zurück als in der Tschechischen Republik, während Inflation, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung rascher anstiegen.
Die slowakische Regierung droht von zwei Seiten unter Druck und in einen kaum lösbaren Interessenkonflikt zu geraten: Druck kommt erstens von einer zunehmend enttäuschten Bevölkerung, die die „Bewegung für eine demokratische Slowakei“ (HZDS) drängt, ihre wirtschaftlichen und sozialpolitischen Wahlversprechen einzulösen. Auf der anderen Seite binden Weltbank, IMF und die europäischen Finanzinstitutionen ihre Kredite an strikte haushaltspolitische Vorgaben. Da eine für beide Seiten befriedigende Lösung dieses Dilemmas auf absehbare Frist kaum denkbar erscheint, könnten HZDS und die „Slowakische Nationalpartei“ (SNS) ihren nationalistisch-populistischen Kurs verstärken, um Wählerverluste zu verhindern oder durch die Erschließung neuer Wählerschichten zu kompensieren. Die innere Aushöhlung der slowakischen Demokratie würde fortgesetzt, der Trend hin zu einer reinen Mehrheitsherrschaft, die ihre (ethnischen) Minderheiten diskriminiert (v. a. Ungarn, Roma), würde weiter verstärkt Die Verdüsterung der demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformperspektive wäre dann in der Slowakischen Republik nicht primär Folge struktureller Problemlasten, sondern vor allem eine Folge wiederholter Fehlentscheidungen der politischen Eliten.
IV. Die Perspektiven
Welchen Weg werden die jungen Demokratien Ostmitteleuropas weiter verfolgen? Wird an dessen Ende die rasche, erfolgreiche Konsolidierung der Demokratie wie in Südeuropa, insbesondere in Spanien, stehen? Oder zeichnet sich die lateinamerikanische Variante ab, in der sich seit den zwanziger Jahren Zyklen autoritärer und demokratischer politischer Ordnungen abwechseln?
Gegen die südeuropäische Variante spricht insbesondere die gewaltige Problemlast der ökonomischen Transformation. Wiederaufbauprogramme in der koordinierten Konzentration des Marshallplanes, der das Wirtschaftswunder der jungen Demokratien der „zweiten Welle“ in Deutschland, Italien und Japan in Gang setzte und zu deren Konsolidierung erheblich beitrug, sind für Ostmitteleuropa trotz vieler multi-und bilateraler Hilfen nicht in Sicht. Die von der EG gegenüber den vier Visegräd-Staaten zugesicherte asymmetrische Öffnung der Märkte kommt nur langsam voran. Insbesondere in den „sensiblen“ Sektoren der Europäischen Gemeinschaft wie Stahl, Kohle, Textil und Landwirtschaft -also in jenen Bereichen, in denen die vier ostmitteleuropäischen Länder ernsthaft konkurrieren könnten -kam es zu einer protektionistischen Schließung der Absatzmärkte Die Ausbildung der maßgeblich auf dem wirtschaftspolitischen Leistungsprofil einer Regierung aufbauenden selektiven Legitimitätsdimension wird mit den ausbleibenden Erfolgen der marktwirtschaftlichen Transformation länger dauern. Damit wird sich auch die fundamentale Zustimmung der Bevölkerung zu den grundsätzlichen Institutionen und Verfahren des demokratischen Systems (diffuse Legitimation) zunächst nur schwer konsolidieren können.
Aber auch der lateinamerikanische Weg mit seinen zyklisch wiederkehrenden Unterbrechungen demokratischer Konsolidierung ist nicht sehr wahrscheinlich. Gegen ihn spricht, daß mit Ausnahme Polens das Militär in Ostmitteleuropa weder über nationales Ansehen noch über eine Tradition der Intervention in die Politik verfügt. Darüber hinaus unterscheidet sich die Nachbarschaft Westeuropas und dessen ökonomisches und politisches Interessean einer stabilen demokratischen Ordnung in Ost-mitteleuropa von den primär strategischen Interessen der USA gegenüber Lateinamerika zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes (zumindest bis Mitte der siebziger Jahre). Jede autoritäre Unterbrechung des Demokratisierungsprozesses würde die internationalen Unterstützungsleistungen und privaten Investitionen gefährden -eine Überlegung, die zumindest rational kalkulierende politische Akteure nicht vernachlässigen können.
Tertium datur? Dies ist keineswegs sicher. Vieles spricht dafür, daß der Weg zu einer konsolidierten Demokratie in Ostmitteleuropa länger sein wird als im Süden Europas. Die Wirtschaftsreformen werden langsamer vorankommen. Der „Peripherisierungsdruck“, den hochentwickelte Ökonomien auf weniger produktive Gesellschaften ausüben, war selbst in Südeuropa nicht abweisbar. Auf die schwächeren Volkswirtschaften Polens und der Slowakei wird er sich noch stärker auswirken.
Aber ungelöste ökonomische Probleme und ungünstige Rahmenbedingungen allein führen keineswegs zwingend zum Kollaps politischer Ordnungen; auch nicht in jungen, noch kaum konsolidierten Demokratien. Denn auch dies lehren uns die Demokratisierungserfahrungen Südeuropas: Die Fragmentierung der einstigen Regimeopposition, der vorübergehende Rückgang der politischen Entscheidungseffizienz, Desillusionierung, Popularitätsschwund der politischen Eliten und abnehmende Wahlbeteiligung gehörten zum normalen Ablauf der Demokratisierungsprozesse der „dritten Welle“ In keinem dieser Länder ist es jedoch zu relevanten antidemokratischen Massen-bewegungen gekommen. In dieser Situation kommt es entscheidend darauf an, wie die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Eliten mit der Ohnmacht umgehen, die dringenden Probleme rasch zu lösen -ob sie im Rahmen der demokratischen Spielregeln kooperieren oder die Lage für unmittelbare individuelle, korporative oder parteiliche Zwecke auszubeuten versuchen. Diesbezüglich deutet sich in Ungarn und der Tschechischen Republik sowohl in der Bevölkerung als auch unter den Eliten die Entwicklung stabilisierender Verhaltensmuster an. In der politischen Kultur Polens und der Slowakei zeigt sich dagegen bisher eine stärkere Anfälligkeit gegenüber autoritär-populistischen Angeboten Andererseits steht den Bevölkerungen der jungen Demokratien Ostmitteleuropas nunmehr das institutionelle Mittel zur Verfügung, die Regierung abzuwählen.
Angesichts der wechselseitigen Abhängigkeit von politischen und ökonomischen Handlungsspielräumen sind wirtschaftliche Hilfestellungen der westeuropäischen Demokratien von außerordentlicher Bedeutung. Deshalb kommt insbesondere der Europäischen Union und ihren Mitgliedsländern die wichtige Aufgabe zu, die Geduld der politischen Eliten und der Bevölkerung auf dem schwierigen Pfad der dreifachen Transformation zu „subventionieren“.
Dies ist keineswegs nur ein normatives Postulat. Westeuropa würde dabei auch in seinem eigenen fundamentalen Interesse handeln. Denn scheitern Marktwirtschaft und Demokratie in Ostmitteleuropa, könnte dies eine Migrationswelle von Ost nach West auslösen, welche die Stabilität westlicher Demokratien, nicht zuletzt jene der Bundesrepublik Deutschland, gefährden könnte. Mit der Konzertierung westlicher Wirtschaftshilfen und der rascheren Öffnung der westlichen Märkte lassen sich die aus dem „Problem der Gleichzeitigkeit“ erwachsenden geschilderten Gefahren autoritärer Rückschläge zwar keineswegs ausschließen; aber nicht zuletzt die Erfahrungen der Nachkriegs-demokratien Bundesrepublik Deutschland, Italien und Japan sowie die südeuropäischen Erfahrungen der siebziger Jahre demonstrieren, daß sie dadurch erheblich vermindert werden.