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Mentalitätsunterschiede im wiedervereinigten Deutschland? Das Beispiel zweier ländlicher Gemeinden | APuZ 16/1994 | bpb.de

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APuZ 16/1994 Veränderung der Erwerbssituation in ostdeutschen Privathaushalten und Befindlichkeit der Menschen Zu den psycho-sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern Mentalitätsunterschiede im wiedervereinigten Deutschland? Das Beispiel zweier ländlicher Gemeinden

Mentalitätsunterschiede im wiedervereinigten Deutschland? Das Beispiel zweier ländlicher Gemeinden

Winfried Gebhardt/Georg Kamphausen

/ 29 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Entgegen der allgemeinen Rede von den sogenannten Mentalitätsunterschieden zwischen Ost-und Westdeutschen stimmen die Menschen in den beiden von uns untersuchten Gemeinden in vielen das Alltagshandeln determinierenden Wertvorstellungen, Glaubensüberzeugungen und Gewißheitsmustern überein. Dies zeigt sich u. a. in einem deutlich zu beobachtenden Wertkonservatismus, in der Hochschätzung von Familie, Verwandtschaft und Dorfgemeinschaft als den sozialen Gemeinschaften, in denen der Mensch soziale Anerkennung, Geborgenheit und Sicherheit finden kann, sowie in einer Sicht des Politischen, die jede partikularisierende Interessenpolitik zugunsten einer parteiübergreifenden Sachpolitik zum Wohle aller ablehnt. Die beobachteten Unterschiede (größere Individualisierungsängste und Unsicherheitsgefühle im Osten) lassen sich deshalb nur bedingt als Ausdruck unterschiedlicher Mentalitäten verstehen; sie sind eher Folge einer Phasenverschiebung auf dem Weg der Modernisierung bzw.der „Kühlschrankfunktion“ des sozialistischen Systems, in dem gesellschaftlicher Wandel kaum stattfand.

I. Vorbemerkungen

Glaubt man gängigen Statements von Politikern und politisierenden Intellektuellen aus Ost und West, dann gibt es nichts Unterschiedlicheres als die ehemals zwei feindlichen deutschen Brüder, von denen der eine 40Jahre die Segnungen von Demokratie und Kapitalismus genießen durfte, während der andere unter der Knute realsozialistischer Tyrannei leiden mußte. Von der „ungleichen Nation“ ist die Rede, von „einer Nation -aber zwei Gesellschaften“, von der „Zweistaatlichkeit im Kopf“, von der Aufgabe der Einheit, die aus „Gegensätzen“ zu gestalten sei. An den bundesdeutschen Stammtischen in Ost und West schlagen sich diese intellektuellen Geistesblitze in den wohl-bekannten Stereotypen des „arroganten Besserwessis“ und des „arbeitsscheuen Ossis“ nieder.

Eine neue Dimension gewinnt diese Debatte bei einigen linken Intellektuellen, die den Verlust ihres sozialistischen Leitbildes noch nicht verarbeitet haben: Hier steigt -wie der Phönix aus der Asche -plötzlich wieder die alte, seit Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“ berühmt-berüchtigte „Kultur-Zivilisations“ -Dichotomie aus der Versenkung hervor: auf der einen Seite steht der durch die Zivilisation verdorbene „Wessi“, dem Materialismus und der Kulturindustrie hörig, auf der anderen Seite der zwar arme, aber die wahren Werte und den besseren Teil der deutschen Kultur bewahrende „Ossi“ Folgt man diesem Schwanengesang, so haben sich die Grenzen der Zivilisation nach Osten verschoben: Der Feind der deutschen Kultur wartet nicht mehr am Rhein, er lauert an der Elbe, hat diese sogar schon überschritten und beginnt mit der Kolonialisierung der ostdeutschen Lebenswelt.

Wie die Bewertungen im einzelnen auch ausfallen, einig ist man sich darin, daß es gravierende Unterschiede im Denken, Handeln und Verhalten gibt zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen. Und das Zauberwort, das gefunden wurde, um diese Unterschiedlichkeit zu fassen, ist das der Mentalität. Überall werden sie beschworen, die „Mentalitätsunterschiede“ zwischen den „Ossis“ und den „Wessis“.

Man könnte nun die angeblichen Unterschiede einfach als Gerede intellektueller oder politischer Hasardeure abtun, die von Kassandrarufen -nicht schlecht -leben. Nichts verkauft sich eben so gut wie „Katastropheninszenierungen“. Der Verdacht, Unterschiede würden oftmals konstruiert, herbeigeredet -aus welchen Gründen auch immer: als Immunisierungsstrategie gegenüber der eigenen Biographie oder aus handfesten materiellen Interessen -, läßt sich jedenfalls nicht einfach von der Hand weisen. Doch so leicht darf man es sich nicht machen. Denn auch ernsthaftere Zeitdiagnostiker und Gegenwartsanalytiker gehen wie selbstverständlich davon aus, daß es „fundamentale Unterschiede“ im Denken und Handeln der Menschen gibt. Ob Psychoanalytiker wie Hans-Joachim Maaz die Mauer im Kopf beschwören ob Politologen wie Hans Maier oder Werner Weiden-feld nur „Gegensätze“ erkennen, wo „Einheit“ nötig sei oder ob sozialwissenschaftliche Meinungsforscher und Wertewandelanalytiker unter-schiedliche, zumeist Orientierungskrisen auslösende, mentale Dispositionen feststellen fast durchgängig wird behauptet, daß es sie gibt: die „Mentalitätsunterschiede“, fast durchgängig heißt es: „Wir sind verschieden“. Die Frage ist: Sind wir es wirklich? Und wenn ja: Wie groß und von welcher Art sind diese Unterschiede?

Wir wollen nicht bestreiten, daß es Unterschiede gibt. Die gibt es sicherlich. Vierzig Jahre „Sonderwege“ gehen an niemandem spurlos vorbei. Was wir wollen, ist, den Mentalitätsbegriff so zu problematisieren, daß die Frage nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Ost-und Westdeutschen neu gestellt werden kann. Folgt man der gängigen Debatte über die angeblichen Mentalitätsunterschiede, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob es hier fast ausschließlich um aktuelle Sorgen und Nöte der Menschen geht, um Arbeitsplätze, Wohnungsnot, Mietpreiserhöhungen, um die Zerstörung kultureller und die Nivellierung sozialer Einrichtungen, um Arbeitsmoral und Anspruchsniveau, um Ausländerhaß und Politikverdrossenheit. Daß sich hier dann Unterschiede in den Einstellungen zwischen Ost und West auftun, ist wahrlich nicht überraschend -zu unterschiedlich sind die strukturellen, insbesondere die materiellen Ausgangspositionen in beiden Teilen der Republik. Und daß sich daraus auch die zur Illustration der These von der Unterschiedlichkeit so gerne herangezogenen gegenseitigen Animositäten, Vorurteile und Aversionen zum Großteil ergeben, bedarf auch nicht der weiteren Begründung. Steht für solche -überall zu beobachtende Unterschiede -aber der Begriff der Mentalität? Was ist das überhaupt: Mentalität?

II. Zum Begriff der Mentalität

Der Begriff der Mentalität ist im heutigen Sprachgebrauch eng verbunden mit einem spezifischen Forschungsparadigma in der Geschichtswissen-schäft: der sogenannten „Mentalitätengeschichte“, die sich in der Annales-Schule institutionalisiert hat. Als deren Gründer gelten die französischen Historiker Marc Bloch und Lucien Febvre Mentalität steht hier für einen Komplex mentaler Strukturen, der sich aus jeweils historisch kontingenten kollektiven Vorstellungs-und Einstellungsmustern zusammensetzt und in relativer Autonomie gegenüber der Strukturebene der Institutionen und ausgestattet mit einer gewissen Zählebigkeit existiert. Dieser Komplex mentaler Strukturen ist allerdings von den französischen Mentalitätshistorikern nie begrifflich fixiert und theoretisch ausgearbeitet worden, wie einer ihrer bekanntesten Vertreter, Georges Duby, auch offen bekennt.

Die weitgehende Monopolisierung des Begriffs der Mentalität durch die (vor allem französische) Mentalitätengeschichte hat die Tatsache verdeckt, daß dieser Terminus, vor allem aber der mit dem Begriff umschriebene Sachverhalt, in der Soziologie weitaus umfassender und präziser definiert und in seiner Bedeutung für das menschliche Handeln erörtert wurde Man denke zum Beispiel nur an Alexis de Tocquevilles poetisch umschriebene „Gewohnheiten des Herzens“ und an Max Webers „Lebensführungsstile“ oder seinen „Habitusbegriff“ Man denke aber vor allem an Theodor Geiger, der den Mentalitätsbegriff explizit als theoretischen Grundbegriff in die Soziologie eingeführt hat als einen jeweils besonderen Typ der Lebensführung, der im Gegensatz zur Idee oder Ideologie als einer reflexiven Selbstauslegung des Menschen, eine besondere Figuration des Sozialbewußtseins umschreibt. Mentalität, sagt Geiger, ist „geistigseelische Disposition -unmittelbare Prägung des Menschen durch seine soziale Lebenswelt und die von ihr ausstrahlenden, an ihr gemachten Lebenserfahrungen“ Anders als in der französischen Mentalitätengeschichte werden Mentalitäten in der Soziologie nicht ausschließlich als das „kollektiv Unbewußte“ begriffen, das sich dem individuellen Willen und der individuellen Ausgestaltungentzieht, sondern als „kollektive Orientierungsmuster“ des Alltagshandeln, die der individuellen Aneignung bedürfen und deshalb wenigstens potentiell reflexiv sind. Mit Tocqueville, Weber und Geiger erfährt der Begriff der Mentalität also eine auf der Basis des methodologischen Individualismus entworfene handlungstheoretische und alltagssoziologische Fundierung, die sich zudem theoretisch präzisieren und in empirische Fragestellungen umsetzen läßt, wenn man sie durch die Erkenntnisse der phänomenologischen Soziologie, wie sie Alfred Schütz entwickelt hat und der daraus hervorgegangenen historischen Wissenssoziologie von Peter L. Berger und Thomas Luckmann ergänzt.

Mentalität bezeichnet dann die Summe eingelebter, routinisierter, über Generationen hinweg stabiler Glaubensüberzeugungen und Sinngewißheiten mit alltäglicher Handlungsrelevanz. Mentalitäten sind als eingelebte Sinngewißheiten in der Regel die unreflektierte Grundlage allen sozialen Handelns im alltäglichen Lebensvollzug. Sie können allerdings -und hier liegt die Chance ihrer empirischen Erforschbarkeit -aktualisiert, also aus dem Bereich des Un-oder Halbbewußten in den Bereich des Bewußten überführt werden, insbesondere dann, wenn entweder durch neu auftretende Handlungsmuster oder durch Anstöße von außen (wie in der Interviewsituation) bisher geltende Gewißheiten in Frage gestellt werden.

Mentalitäten sind also nicht identisch mit abstrakten Werthaltungen und Einstellungen. Werte-und Wertwandelforschung und Mentalitätsforschung sind etwas grundsätzlich Verschiedenes. Mentalitäten sind weitgehend kollektiv geteilte, langfristig stabile Vorstellungen, auch wenn sie der individuellen Ausfüllung bedürfen. Sie sind zudem nicht von heute auf morgen (durch Reflexionsbemühungen) änderbar, sie können weder abgelegt noch durch subjektive Bearbeitung neu konstruiert werden. Sie sind immer bezogen auf kollektive, alltagsrelevante Nahwelten und entziehen sich so weitgehend individueller Einsicht und abstrakten Reflexionsschemata. Mentalitäten sind deshalb nicht zu greifen über die Erfassung von politischen Einstellungen oder allgemeinen ethischen Wert-haltungen,die die Sichtweise von Problemen berühren, die sich außerhalb der Alltagswelt der Betroffenen abspielen; sie lassen sich nur in Nah-welten erforschen, im alltäglichen Verhalten und gemeinsamen Handeln der Menschen. Interessant sind deshalb für Mentalitätsforschungen besonders jene routinierten Glaubensüberzeugungen, die sich in der alltäglichen Praxis, im alltäglichen Handlungsvollzug Ausdruck verschaffen, im realen Zusammenleben am Arbeitsplatz, in der Familie, der Verwandtschaft und der Nachbarschaft, der Dorfgemeinschaft, der Kirchengemeinde, im Verein, am Stammtisch, auf dem Dorffest. Interessant sind zudem all jene Bereiche der Alltagskultur und Alltagsästhetik, in denen sich die symbolischen Sinnwelten der Menschen alltäglich Ausdruck verschaffen (und auf deren zentrale Bedeutung für soziologische Wirklichkeitsinterpretationen vor allem Hans-Georg Soeffner und erst kürzlich auch Gerhard Schulze hingewiesen haben). Diese Bereiche sind auf individueller Ebene: Wohnzimmereinrichtungen mit Wandschmuck, Hausrat und Möbelanordnungen, Eigenheimarchitektur und Hausverzierungen, Gartenanlagen, Ausstattung der Pkws u. a. m. Auf kollektiver Ebene sind zu nennen: die Ausgestaltung gemeinsam genutzter Räumlichkeiten (Vereinsheime, Gaststätten, Kirchenräume, Friedhof, Sportplatz), aber auch die Bemühungen um den „schönsten Gartenzaun“, den „saubersten Hauseingang“ und das „schönste Garagentor“. In all diesen Einzelheiten -so jedenfalls die Annahme -wird man mehr Anhaltspunkte finden für „Mentalitäten“ als im Bereich abstrakter politischer oder ethischer Einstellungen.

Akzeptiert man diese theoretischen Vorgaben und erkennt an, daß Mentalitätsforschung das Eindringen in kollektive Nahwelten erfordert, dann erscheint es plausibel, daß repräsentative Gesamter-hebungen mittels standardisierter Verfahren für die Erforschung von Mentalitäten nur bedingt geeignet sind. Einzelfallstudien, basierend auf den Methoden der teilnehmenden Beobachtung, der qualitativen Befragung, der Beschreibung und der Bildanalyse bieten sich dagegen an, weil hier die Chance am größten ist, wenigstens annäherungsweise Einblick in die alltägliche Lebenswelt der Menschen zu gewinnen. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden, der Frage nach den „Mentalitätsunterschieden“ zwischen Ost-und Westdeutschen in einer vergleichenden Dorfstudie nachzugehen. Dazu wurden zwei von der Geschichte, der Konfession, der Bevölkerungszahl, der Infra-, Wirtschafts-und Sozialstruktur her ähnliche Gemeinden ausgewählt, die zudem in einem einheitlichen Kulturraum -dem (bayerischen und sächsischen) Vogtland -liegen, der sich, wie sich heute zeigt, trotz 40 Jahren deutscher Teilung im Bewußtsein der Einwohner als solcher erhalten hat

II. Leben im Dorf: Dimensionen der alltäglichen Lebenswelt

Entgegen der allgemeinen Rede von den Unterschieden lassen sich in den beiden Gemeinden, zumindest auf der Ebene der „Mentalitäten“, mehr Gemeinsamkeiten finden als erwartet. Natürlich existieren auch Unterschiede. Die gemeindliche Infrastruktur der ostdeutschen Gemeinde hängt weit hinter der der westdeutschen Gemeinde zurück. Der materielle Wohlstand, ebenso der Individualisierungsgrad ist im Westen höher als im Osten. Sorgen und Ängste -insbesondere was die eigene Zukunft und die des Dorfes insgesamt betrifft -sind im Osten natürlich weit verbreiteter als im Westen. Umstellungsprobleme, die individuelle wie kollektive Verarbeitung der neu entstandenen Situationen, belasten die Menschen im Osten in einem weitaus größeren Maße als im Westen -wobei allerdings betont werden muß, daß auch die Menschen in der westdeutschen Gemeinde auf-grund ihrer geographischen Lage an der ehemaligen innerdeutschen Grenze mit Umstellungsproblemen und Gewißheitsverlusten zu kämpfen haben. So wurden in beiden Gemeinden von den Befragten durchgängig folgende zwei als vordringlich eingeschätzte Problembereiche genannt: der Verlust der Sicherheit und die Bedrohung des Eigenen. 1. Problembereiche in beiden Gemeinden a) Der „ Verlust der Sicherheit“

In beiden Gemeinden ist ein stetig wachsendes „Unsicherheitsgefühl“ zu beobachten, das sich nicht nur in einer steigenden Angst vor zunehmender Kriminalität, sondern auch in der Sorge um die Arbeitsplätze und die eigenen Lebenschancen Ausdruck verschafft. Dieses Unsicherheitsgefühl bündelt sich in Aussagen wie „Wir haben früher sicherer gelebt“, die in beiden Gemeinden durchgängig zu hören waren, und dies, obwohl die objektiven Lagen (z. B. die unverändert gebliebene Kriminalitätsrate, aber auch die in beiden Gemeinden relativ geringe Arbeitslosenrate) keinen Anlaß dafür bieten. Insbesondere in der ostdeutschen Gemeinde ist man der Meinung, man unterliege in der neuen, ungewohnten Situation ganz neuartigen Belastungen, die man erst verkraften müsse, um dann „einen neuen Trott“ zu finden. So sagte ein

Befragter: „Die Belastungen muß man so verstehen. Das hängt nicht mit dem Geld zusammen, sondern mit dem Druck, daß man sagt, wir sind es nicht gewohnt, daß wir nicht wissen, was in drei Wochen ist. So weit zu denken. Man möchte die Sicherheit haben, das ganze Jahr, also in einem Trott leben, wie es die 40Jahre war. Wir sind es nicht gewohnt, das ist das Problem“. Und ein anderer meinte: „Wir haben immer gedacht, zu Erichs Zeiten, so kann es nicht mehr weitergehen. Irgendwie mußte etwas passieren. Aber wie sich jetzt die ganze Sache entwickelt, mit der Arbeitslosigkeit, die ganzen Kosten, die auf uns zukommen, obwohl die Löhne zum Teil immer noch dieselben sind oder nicht viel angehoben worden sind. Da fragt man sich doch, wie soll die Entwicklung denn weitergehen. Im Endeffekt kommt hüben nichts in die Tasche und doch geht alles raus. Und die Stimmung wird kritisch. Sie wird der Regierung gegenüber kritischer. Früher haben sie gesagt: Bloß weg von den Roten, und jetzt sagen sie: Man muß sich doch Gedanken machen, wo das denn alles hinführen soll. Die sozialen Sicherheiten sind in dem Sinne auch nicht mehr da. Früher war das alles zum Nulltarif. Heute müssen wirfür alles zahlen. “b) Die „Bedrohung des Eigenen“

Mit der Wende ist in die bisher abgelegene, geordnete und überschaubare Lebenswelt der beiden Gemeinden das „Fremde“ in Gestalt von in-und ausländischen Durchreisenden, Beratern, Vertretern, Verkäufern, Versicherungsagenten, aber auch von Asylbewerbern eingebrochen -eine Situation, die in beiden Gemeinden als „bedrohlich“ empfunden und der mit einem gestiegenen Sicherheitsbedürfnis (Abschließen der Wohnungstüren auch bei kleineren Besorgungen, Einbau neuer Sicherheitsschlösser), einer zunehmenden „Abkapselung“ gegen alles Fremde und einer nostalgischen Verklärung der „guten alten Zeit“, als alles noch „überschaubar“ war, begegnet wird.

Aussagen wie: „Aberjetzt muß man vorsichtig sein, weil die Tschechen alle rüber können und die Polen, also da muß man schon vorsichtig sein, da muß man alles zusperren“ oder: „Die Tür kann man nicht mehr auflassen, wenn die CS-Autos vorbeifahren“,waren in beiden Gemeinden durchgängig zu hören. Man reagiert auf die neue Situation mit einem gesteigerten Mißtrauen und schließt sich gegenüber den Fremden ab: „Wir sind hier einfach konservativer eingestellt und auch alle finanziell gut situiert. Sozialhilfeempfänger gibt es hier eigentlich keine. Es zieht schon mal einer her. Der fühlt sich aber nicht lange wohl hier. Weil das eben einfach ein ganz gesunder Volksstamm ist da. “

Zu diesen in beiden Gemeinden beobachteten Problemen traten in der ostdeutschen Gemeinde (als spezifischer Ausdruck des Systemwandels) noch die „Last der Zeit“ und das „Ende der Gleichheit“ hinzu: c) Die „Last der Zeit“

Die gestiegenen Arbeitsanforderungen, die längeren Wege zur Arbeitsstelle, aber auch der Zeit in Anspruch nehmende Umgang mit der neuartigen westlichen Bürokratie (Krankenkasse, Wohngeld, Arbeitslosenunterstützung) und der Marktwirtschaft (Preis-und Leistungsvergleiche etwa beim Einkäufen oder beim Abschließen von Versicherungen), werden als Belastung und Bedrohung der Dorfgemeinschaft erlebt. Die durchgängig geäußerte Klage, daß keiner mehr Zeit für den anderen habe, steht für diese Angst vor der „Vereinzelung“ und der „Atomisierung“ der ehemals harmonischen Dorfgemeinschaft. Aussagen wie: „Wir, die wir beide glücklicherweise Arbeit haben, wir haben Streß bis zum geht nicht mehr“ waren an der Tagesordnung. Insbesondere der westliche Arbeitsstil fordert die Menschen heraus. So meinte eine Frau: „Also ehrlich, jetzt bist du geschaffter. Wie mein Mann, wenn der heimkommt, dann schläft er erst mal. Der stehtjetzt meistens um drei auf, wasfrüher alles nicht war. Früher, da haben wir Radtouren unternommen, das ist alles eingeschlafen. Mit den anderen zusammen, da haben wir Picknick gemacht im Wald. Das ist alles nicht mehr. Teilweise ist der Streß viel größer geworden. Keiner hat mehr Lust dann. Wenn sie frei haben, sagen alle: Hab keine Zeit, kaputt, mal ausruhen. “ d) Das „ Ende der Gleichheit“

Die beginnende soziale Differenzierung, das dadurch entstehende Wohlstandsgefälle und der sich daraus ergebende Sozialneid -alles Folge auch von unterschiedlicher Leistungsbereitschaft und Initiative -werden durchgehend als „gemeinschaftszerstörende“ Faktoren erlebt und selbst von denen, die als „Gewinner der Einheit“ bezeichnet werden können (wie die jetzt selbständigen Handwerker), überwiegend ambivalent beurteilt: „Der Zusammenhalt unter den Leuten, der war echt in einer Notsituation besser. Und das hat sich jetzt geändert. Ich meine, der Abstand zwischen arm und reich ist elend größer geworden. Die Leute sind viel reservierter und mit mehr Vorbehalten jetzt. Das heißt, sie wollen sich nicht mehr in die Karten gucken lassen. Und das gab es früher eigentlich nicht. Früher saßen alle im gleichen Boot, die sozialen Unterschiede waren nicht da. Jeder wußte, was der andere verdiente. Es gab keine sozialen Unterschiede, auch nicht am Biertisch. Ich will es mal so sagen. Man hat sich, psychisch gesehen, wohl gefühlt. Der Bürger war in der Beziehung verwöhnt, rein von der psychischen Sozialvariante war er verwöhnt. Er war nur nicht mit materiellen Dingen verwöhnt, weil es eben alles zum Nulltarif gab.“ Vor der Wende herrschte in der ostdeutschen Gemeinde -wie in der ganzen DDR -sowohl was die Löhne, als auch die individuellen Besitzverhältnisse betraf, eine „relative soziale Gleichheit“ (das Einkommen eines Arbeiters in der Textilindustrie z. B. lag nur unwesentlich unter dem des Arztes). Wie Sighard Neckel zeigen konnte hatten die Menschen in der ehemaligen DDR ein feines Sensorium auch für diese kleinsten Unterschiede ausgebildet, wodurch die jetzt aufbrechenden „sozialen Unterschiede“ von allen Einwohnern als bedrohlich empfunden und mit Mißtrauen verfolgt werden.

Sieht man aber einmal von diesen „wendebedingten“, die bisherigen Alltagsroutinen in Frage stellenden Ausnahmeerscheinungen ab und bohrttiefer, fragt nach Idealen, nach Wünschen und Hoffnungen für das alltägliche Leben, beobachtet die Menschen in ihren alltäglichen Handlungsvollzügen, in ihren alltäglichen symbolischen Sinnwelten und Lebensräumen, in ihrem alltäglichen Miteinander in der Familie und der dörflichen Gemeinschaft, so entdeckt man auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Gemeinden. 2. Gemeinsamkeiten zwischen beiden Gemeinden a) „Herrschaft der Sekundärtugenden“

In beiden Gemeinden dominiert das, was man als die „Herrschaft der Sekundärtugenden“ bezeichnen kann. Vergleicht man die grundlegenden Einstellungen zur Bedeutung von Arbeit, Leistung, Eigentum, Religion und Heimat, so kann man in beiden Gemeinden von einem allgemein geteilten „Wertkonservatismus“ sprechen. Das Leben wird immer noch eher als Aufgabe denn als Genuß betrachtet. Arbeit und Leistung besetzen eindeutig den ersten Rangplatz auf der Skala der Lebensziele: „Wer etwas erreichen will, der muß auch was tun.“ Religion und Kirchenzugehörigkeit (100 Prozent im Westen, 75 Prozent im Osten) sind noch unhinterfragte und selbstverständliche Bestandteile der Biographie und prägen das alltagsethische Verhalten. Die traditionellen Tugenden wie Freundlichkeit, das Grüßen, die Nachbarschaftshilfe, aber auch Pünktlichkeit, Sauberkeit und Sparsamkeit gelten in beiden Gemeinden noch weitgehend uneingeschränkt -in der ostdeutschen Gemeinde sogar noch etwas mehr als in der westdeutschen Gemeinde. „Hilfsbereitschaft“ läßt sich in beiden Gemeinden ohne weiteres als die zentrale moralische Kategorie identifizieren, um die herum sich die anderen Werte „Offenheit“, „Ehrlichkeit“, „Anständigkeit“ und „Höflichkeit“ gruppieren. Insbesondere darauf, daß die Kinder grüßen lernen, wird immer noch Wert gelegt: „Na ja, erstmal, daß sie freundlich sind. Wie es bei uns im Dorfüblich ist. Da wird gegrüßt, das ist egal, ob die jetzt am anderen Ende vom Dorf wohnen oder ob das direkte Nachbarn sind." b) Familie als Ort sozialer Anerkennung, Geborgenheit und Sicherheit In beiden Gemeinden gilt die Familie -neben der Arbeit -als der entscheidende Ort, an dem der Mensch soziale Anerkennung, Geborgenheit und Sicherheit finden kann. Das familiäre Leben erscheint idealisiert, in ihm verwirklicht sich das „kleine Glück der Geborgenheit“. Die Intaktheit der Familie (und dazu gehört auf dem Dorf auch noch die engere Verwandtschaft) wird stillschweigend vorausgesetzt. Das soziale Gebot ihrer „Unversehrtheit“, die Vorstellung, daß man in geord-. neten Verhältnissen -und das heißt in einer „ordentlichen Familie“ -beheimatet sein müsse, um sein Leben meistern zu können, bildet den selbstverständlichen und unbefragten Hintergrund der Lebensführung: „Die Frau muß in die Ehe das Schlafzimmer und die Küche, der Mann das Wohnzimmer einbringen. So war das immer. Davon sind auch unsere Eltern ausgegangen.“ Themen wie Scheidung, Trennung oder Alleinerziehende werden ausgeblendet, wenn nicht sogar tabuisiert. Die Erziehungsideale orientieren sich noch eindeutig an den althergebrachten Werten der elterlichen Autorität und des Respektes. Das „traute Heim“, die „familiäre Geborgenheit“ und die „Vertrautheit der sozialen Beziehungen“, die über den engen Kreis der unmittelbaren Kernfamilie weit hinaus greifen und für eine die Persönlichkeit stabilisierende Reduktion der sozialen Komplexität sorgen, kommen daher -aus der Perspektive vieler Dorfbewohner -aus einem garantiert „konfliktreduzierten und gemeinschaftsförderlichen Anbau“. c) „Dorfgemeinschaft“ als Instanz sozialer Verortung Neben der Familie gilt die als harmonisch vorgestellte „Dorfgemeinschaft“ als diejenige Instanz, die soziale Verortung ermöglicht und Leitbildfunktion auszuüben vermag. Wer kein Außenseiter sein will, identifiziert sich mit seiner Gemeinde, bemüht sich um einen „guten Draht“ zu seinen Nachbarn und ist Mitglied in zumindest einem der in beiden Gemeinden zahlreich vorhandenen Vereine. Das soziale Wohlverhalten, als dessen Gradmesser im Dorf das eingestandene Heimatgefühl und die grundsätzlich negative Einstellung zur Stadt, die Seßhaftigkeit sowie die öffentlich bekundete Zufriedenheit mit der sozialen Umgebung gilt, wird mit einer Reduktion von Komplexität in Gestalt einer vorgegebenen Ordnung und Sicherheit, also mit „Identität“ belohnt. So sagte ein Mann aus der ostdeutschen Gemeinde: „Da hilft einer dem anderen, wenn irgendetwas ist, das ist auch jetzt noch so. Es ist schon ein wenig verschärfter geworden, weilja jeder versucht, so gut wie möglich rauszukommen. Also die Gemeinschaft hängt nicht nur vom Bürgermeister ab, sondern auch vom Wirtshaus oder vom Fußball und solchen Sachen. Genau das macht doch das Kollektiv aus. “ In der westdeutschen Gemeinde denkt man ähnlich, statt Kollektiv sagt man aber hier in nostalgischer Verklärung noch Gemeinschaft.d) Gemeindepolitik als Ausdruck gemeinsamen Interesses, „zum Wohle der Gemeinde“ zusammenzuarbeiten.

Die Idealisierung der Dorfgemeinschaft zu einem harmonischen, konfliktfreien Ensemble „anständiger Menschen“ hat auch Auswirkungen auf das Politikverständnis in beiden Gemeinden. Nicht die Konkurrenz der Parteien, sondern das gemeinsame Interesse, „zum Wohle der Gemeinde“ zusammenzuarbeiten, bestimmt daher die Gemeindepolitik. Partikuläre Interessen werden überdeckt von einer durchgängig zu beobachtenden Gemeinschaftssemantik, die das im Kern unpolitische Ideal einer am Gesamtwohl orientierten kommunalen Kooperation beschwört. In der westdeutschen Gemeinde wurde dieser Sachverhalt wie folgt formuliert: „Kommunalpolitisch, da sieht keiner, daß das irgendwie abgegrenzt wird zwischen SPD, CSU oder FDP oder so. Da gibt es eigentlich nichts. Die Interessen, die sind da nicht zu trennen. Das ist immer personengebunden. Das Verständnis füreinander kann ja nicht durch eine Partei irgendwie hervorgehoben werden. Im Grunde genommen wird die Welt so bleiben. Man wird sich immer die Taschen vollhauen, anders geht’s nicht wahrscheinlich, wenn man irgendwie hochkommen will.“ Und in der ostdeutschen Gemeinde hieß es: „Wirkliche Probleme hatten wir eigentlich wenig, weil wir als Bürger einer kleinen Gemeinde schon unter kommunistischen Verhältnissen versucht haben, das Beste daraus zu machen. Das war früher unter den schwierigen Bedingungen noch mehr ausgeprägt. Da hat man gesagt: Paß’ mal auf -Geld gab es ja in diesem Sinne ja fast keines -, wir machen jetzt mal einen Arbeitseinsatz, da kriegt jeder eine Bockwurst und ein Bier oder zwei, und da machen wir, sagen wir mal, den Berg hier oben sauber, oder im Verkehrssicherheitsaktiv, wie es damals noch hieß, wir richten wieder alle Schilder. Die Sportler haben ihre Sporthalle in Ordnung gehalten. Da war natürlich großer Zusammenhalt. “

Für diese im Grunde unpolitische Sicht der Verhältnisse spricht auch, daß Politik insgesamt -insbesondere dort, wo sie als partikularisierende Interessenpolitik auftritt -selbst von Gemeinde-politikern durchgehend mit Mißtrauen verfolgt wird. Entweder einigt man sich auf die Formel einer parteiübergreifenden Sachpolitik zum Wohle aller: Der Gemeinderat sieht sich dann nicht als Politiker, sondern als Verwaltungschef und Treuhänder. Oder man schwört noch auf eine im Kern patriarchalische Sicht der Politik: Die politische Führung der Gemeinde tritt dann in der Rolle des „pater familiae“ auf

III. Ländliche Lebenswelten zwischen Individualisierung und Gemeinschaftssehnsucht

In vielen der das Alltagshandeln determinierenden Wertvorstellungen, Grundüberzeugungen und Gewißheitsmustern stimmen die Menschen in beiden Gemeinden überein. Diese einzelnen Aspekte verdichten sich im Bild der „Gemeinschaft“, so wie es Ferdinand Tönnies vor mehr als lOOJahren gezeichnet hatte Gemeinschaft als Symbol für ein menschliches Verbundensein, das auf der Unmittelbarkeit und Wärme, der Direktheit und Verbindlichkeit, der Nähe und Vertrautheit menschlicher Sozialbeziehungen beruht und Verläßlichkeit, Geborgenheit und Sicherheit garantiert. So sieht man in beiden Dörfern die eigene Lebenswelt und so wünscht man sie sich für die Zukunft. Veränderungen, Neuerungen und Fremde stören nur; partikuläre Interessenpolitik wird abgelehnt, weil sie das Gemeinwohl zerstört; soziale Unterschiede werden überdeckt, weil sie die Harmonie verletzen. Und kommt man um Veränderungen nicht herum, dann müssen diese so umhegt und den Bahnen des Gewohnten und Eingespielten angepaßt werden, daß sie das harmonische Ensemble der Dorfgemeinschaft nicht beeinträchtigen: Keine Experimente -so lautet die Devise in beiden Gemeinden, selbst dann, wenn, wie in der ostdeutschen Gemeinde, die objektiven Gegebenheiten dazu zwingen.

Diese Orientierung am Ideal der Gemeinschaft ist in beiden Gemeinden durchgängig zu beobachten. In der Sehnsucht nach Überschaubarkeit und Geborgenheit, nach Sicherheit und Gewißheit, Harmonie und Konformität sind sich die Menschen hüben wie drüben einig. Und doch kann nicht voneiner Deckungsgleichheit beider Gemeinden gesprochen werden. Es gibt auch Unterschiede. Auch diese lassen sich wieder unter Rückgriff auf Ferdinand Tönnies und sein Begriffspaar „Gemeinschaft und Gesellschaft“ beschreiben. Im Osten ist man begierig auf die „Früchte der Gesellschaft“ wie individuelle Wahlfreiheit und materiellen Wohlstand, im Westen will man nicht mehr darauf verzichten.

Gleichzeitig werden die negativen Folgewirkungen von „Gesellschaft“ wie Distanz, Formalisierung, Unübersichtlichkeit vehement abgelehnt und die „Segnungen der Gemeinschaft“, ihre Unmittelbarkeit und Wärme, ihre Direktheit und Verbindlichkeit beschworen. Dieser Zwiespalt, Unvereinbares vereinbaren zu wollen, kennzeichnet die Menschen in beiden Gemeinden. Der paradoxe Wunsch, Individualisierung und Gemeinschaftsbindung gleichzeitig genießen zu können, beschreibt das Idealbild menschlichen Zusammenlebens in Ost und West. Man will die Vorteile von Demokratie und Kapitalismus genießen, aber von ihren gemeinschaftszerstörenden Nachteilen nichts wissen. Vielmehr sollen die Vorteile von „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“, genau wie Tönnies (und vor ihm schon Marx) das wollte, in einer neuen, auf höherem Niveau angesiedelten „Gemeinschaft“ gleichsam synthetisiert werden. So erklärt sich auch das in der ostdeutschen Gemeinde zu beobachtende halbherzige Nachtrauern um den „Sozialismus“, der genau dieses versprach.

Das sozialistische System konnte in der ostdeutschen Gemeinde deshalb so problemlos akzeptiert werden, weil es -jedenfalls in seinen alltäglichen Konsequenzen -nichts Neues von den Menschen verlangte. In einer Dorfgemeinschaft, in der jeder nahezu alles vom anderen weiß, werden Spitzel-dienste zur Farce. In einer Dorfgemeinschaft, in der die traditionellen Mechanismen der sozialen Kontrolle Homogenität erzwingen und Konformität als ästhetisches Erlebnis vorgeführt wird, bedarf es kaum politischer Disziplinarmaßnahmen seitens der Partei oder des Staates. Die Sozial-form, die das sozialistische System anbot, entsprach so in vielem der überkommenen deutschen Gemeinschaftssehnsucht, die sich zumeist von allem abwendet, das Politik heißt. Der ideologische Überbau wurde nicht ernstgenommen oder stillschweigend ignoriert. Wenn das Wort Kollektiv politisch erwünscht war, dann sagte man eben Kollektiv statt Gemeinschaft, die Sache blieb die gleiche. Noch mehr: Der Sozialismus als Gleichheitsideologie verhinderte das Einsetzen sozialer Differenzierungsprozesse, die sich aus der Steigerung der Produktivkräfte (auch in der ehemaligen DDR) notwendig ergeben hätten, wären ihr nicht ideologische Fesseln angelegt worden. So stützte das sozialistische Gleichheitspostulat die Bewahrung der alten, traditionellen Gemeinschaftswerte, indem es die Entstehung einer die Struktur des Dorfes sprengenden sozialen Ungleichheit verhinderte oder jedenfalls begrenzte.

Die in vielerlei Facetten geschilderten Ansichten über die Gewinne und Verluste im Gefolge der Wiedervereinigung in der ostdeutschen Gemeinde lassen sich in der durchgängig geäußerten Meinung bündeln, daß die insgesamt als positiv gewerteten politischen und wirtschaftlichen Veränderungen seit der Wende mit einem Verlust an Sicherheit und Geborgenheit, mit einer Verkomplizierung des Gewohnten, Selbstverständlichen und Eingelebten verbunden seien, die letztlich mit dem Verlust der Gemeinschaft bezahlt werden müsse. Obwohl der sozialistische Traum von einer Gesellschaft der Gleichen unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus nur von den wenigsten Bürgern als eine auch nur in Ansätzen realisierte Utopie erfahren wurde, hat doch die durch staatliche Direktive zementierte Egalisierung der ökonomischen Zugangschancen und persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten eine „Notgemeinschaft“ entstehen lassen, deren ökonomischer „Notstand“ als gemeinschaftlicher „Wohlstand“ gewertet werden konnte. Da jeder vom anderen wußte, was er in der Lohntüte mit nach Hause brachte -und zwar ohne dem sozialen Absturz durch eine drohende Arbeitslosigkeit ausgesetzt zu sein -, konnte der Neid, den Helmut Schoeck als einen wirkungsvollen Schmierstoff sozialer Differenzierung bezeichnet hat keine die Individualisierung fördernde Wirkung ausüben. Auf dem Boden dieses sozialen Grundmusters einer nicht nur prinzipiellen, sondern auch real existierenden Gleichheit konnten ganz bestimmte, gleichgerichtete und auf Gegenseitigkeit beruhende Ansprüche an die zusätzliche Leistungs-und Belastungsfähigkeit der Familie, der Nachbarn und Freunde gestellt werden. Ökonomische Gleichheit bedeutete daher nicht nur, daß jeder über die gleichen geringen finanziellen Mittel verfügte, für die er sich nicht das kaufen konnte, was er wollte. Gleichheit bedeutete auch, daß man das zum Leben Notwendige, wie auch jede Realisierung des kleinen Glücks (Reparatur des Trabis, Bau einer Datsche, Verschönerung des Heims) nie gegen, sondern nur mit den anderen bekommenund verwirklichen konnte. Jeder Versuch, Anders-artigkeit, Besonderheit zu zeigen, wäre als ein Verstoß gegen die gemeinschaftlichen Werte geahndet worden.

Die Möglichkeiten des Sichunterscheidens waren begrenzt durch die Art des verfügbaren Waren-angebots. Man mußte sich bei dem staatlich verordneten Einheitskonsum schon etwas einfallen lassen, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Das förderte eine Bastlermentalität, die von Improvisation und dem Sozialkapital guter Beziehungen lebte. Die Menschen lebten in der „Atmosphäre einer Betriebsgemeinschaft“ in der sie zwar erkennbar sein, aber nicht auffallen wollten. Alles dies hat sich nach der Wende grundlegend geändert. Das Geld rückt in den Vordergrund, der Besitz bestimmter Waren erzeugt Neid, die Protzerei und Prahlerei mit dem, was man hat, gegenüber denjenigen, die es sich (noch nicht) leisten können, beginnt das allgemeine Klima zu vergiften. „Geld war ja uninteressant. Untereinander hat die Gemeinschaft jetzt doch gelitten. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind nicht mehr da. Wenn du Geld hast, kannst du alles kaufen. Früher hattest du einen Kollegen, der dir geholfen hat. Und später hast du ihm eben geholfen.“ Mit der steigenden Verfügung über Geldmittel ändert sich die Bereitschaft, für andere unentgeltlich zu arbeiten. Die Möglichkeit einer finanziellen Entlohnung entbindet von der Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfe-leistung und führt zu einer Anonymisierung der in Anspruch genommenen Dienste.

Die Verklärung der unmittelbaren Vergangenheit, die als überschaubar, unkompliziert und ruhig hingestellt wird im Vergleich zu den Anforderungen eines Kapitalismus, der die Jagd nach dem schnöden Mammon zu seinem obersten Gesetz erklärt, läßt den Sozialismus nachträglich in einem rosigeren Licht erscheinen. „Der Gedanke des Sozialismus ist nicht das Schlechteste. Nur, der klappt nicht. Der Grundgedanke ist nicht übel, habe ich immer gesagt. Nur, wer hat ihn bisher ordentlich praktiziert?“ Der Kapitalismus, so befürchten viele, wird die Unterschiede zwischen den Menschen fördern und die Gleichheit beenden. Seine Profiteure sind die Reichen: „Wer hat, dem wird gegeben.“ Der „kleine Arbeiter“ aber wird aus diesen Veränderungen schlechter herauskommen, als er in sie hineingeriet. „Im Grunde genommen hat jeder seine Sicherheit gehabt. Das gibt’s nicht mehr.

Und damit müssen ja nun auch die kleinen Leute fertig werden. Alle. “

Wer sich seine eigenen finanziellen Sicherheiten schaffen kann, wird aus den neuen Umständen gewiß seinen Vorteil ziehen. Alle anderen haben das Nachsehen. Es ist daher kein Wunder, wenn sich gerade die kleinen Selbständigen bitter darüber beklagen, daß ihre Nachbarn und Kunden kein Verständnis mehr dafür aufbringen, daß die ehedem aus dem Motiv der Gegenseitigkeit heraus geleistete Hilfestellung nun nicht mehr ohne eine solide „Verrechnungsbasis“ geleistet werden kann. Der Neid und die Mißgunst gehen sogar so weit, daß sich ein kleiner Unternehmer, der vor der Wende nie mit dem Gedanken gespielt hatte, einen Ausreiseantrag zu stellen, heute fragt, ob es für ihn und sein Geschäft nicht besser sei, in einen anderen Ort zu ziehen, um dort „in einer gewissen Anonymität, also wo mich keiner kennt, noch einmal neu anzufangen“. Wer diese Alternative, nämlich wegzuziehen, nicht hat, für den gilt in der Mehrzahl, daß er den alten Verhältnissen zwar nicht hinterhertrauert, ihren „Wert“ aber doch genau abzuschätzen weiß: „Das ganze Soziale ist ja jetzt alles ein bißchen nicht mehr so, wie es früher bei uns war. Ganz so sicher sind wir nicht mehr. “ Früher, so sagen dagegen alle Befragten in der ostdeutschen Gemeinde, „früher war es ruhiger. Der Kampfam Arbeitsplatz war nicht so. Jetzt wird man wegen jedem kleinen Ding sofort verpfiffen. Der Egoismus wurde aufgebaut. “

Die Kinder, die den Genüssen, Versprechungen und Möglichkeiten eines potentiell unbeschränkten Konsums einen ganz anderen Reiz abzugewinnen vermögen als ihre Eltern, erscheinen besonders gefährdet. „Ich war letztens bei einer ehemaligen Lehrerin, die sagt auch, es zählt bei den Kindern nur noch, wieviel sie in der Schrankwand stehen haben, was sie für ein Auto haben, was sie eben besitzen. Das bedauer ich eigentlich, wenn das nur in die Richtung laufen würde." Der Übergang von einem sicheren kollektiven Status zu einer als defizitär empfundenen Individualität ist schmerzhaft und mit einer ganzen Reihe von Enttäuschungen verbunden, die alle verkraftet werden müssen. Dazu gehören auch solche „neuen Erfahrungen“, wie man sie im Gefolge eines wachsenden Geizes bei den ansonsten als freigebig eingeschätzten Nachbarn machen kann. So berichtete eine Befragte: „Die Leute sind auch geiziger geworden. Ich hatte ja schon zu DDR-Zeiten einen Laden. Da hat nie einer von hundert sich meinetwegen fünf Pfennige wiedergeben lassen, was ich jetzt immer habe. Und wenn es ein Pfennig ist. Die Leute lassen sich jetzt rausgeben. Das kannte ich früher nie. Oft

fünfzig Pfennige, eine Mark, immer war das so. Also, das merkt man ganz deutlich, daß im Umgang mit dem Geld das Verhältnis ganz anders geworden ist.“ Und eine andere erzählte: „Früher war man auf dem Tanz viel spendabler. Es war auch viel mehr los. Jetzt schaut jeder nur noch aufsein Geld. Und jetzt ist es zum Beispiel wichtig, was man für ein Auto fährt." Das Resultat dieser für alle neuen Entwicklung -jedenfalls sehen es viele Bewohner der ostdeutschen Gemeinde so -ist ein „depressiver Zwangsindividualismus, der auch durch die gestiegenen Konsumchancen nicht dauerhaft aufzuhellen ist“

Helmut Plessner hat diese Sehnsucht nach Gemeinschaft schon 1924 in seinem Buch „Die Grenzen der Gemeinschaft“ als Ausdruck einer typisch deutschen Mentalität beschrieben. Wir haben Elemente dieser Mentalität in beiden Dörfern gefunden. Im Westen tritt sie nicht so kraftvoll und frisch in Erscheinung wie im Osten, ist aber auch hier durchgängig mit den Händen zu greifen. In der ostdeutschen Gemeinde entsprach das Bild der harmonischen Dorfgemeinschaft weitgehend der Realität -fiktionale Elemente waren hier, anders als in der westdeutschen Gemeinde, kaum vorhanden. Dort ist die Beschwörung der Gemeinschaft oftmals nur noch Rhetorik -gleichwohl aber immer noch identitätsstiftende Rhetorik, und die auch hier durchgängig zu hörende Rede vom „Gemeinschaftsverlust“ trägt deutliche nostalgische, wenn nicht sogar museale Züge. In der ostdeutschen Gemeinde hingegen fußt die Rede vom Gemeinschaftsverlust auf den realen Erfahrungen von Streß und Hektik, des Zerfalls gemeindlicher Netzwerke und zunehmender sozialer Differenzierung. Die mit der Wende einsetzende, explosionsartige Individualisierungswelle wird als bedrohlich erlebt. Um so mehr versucht man -nach dem Fortfall der alten institutioneilen Sicherungen des DDR-Staates -den stabilen Bezugsrahmen der Familie und der Dorfgemeinschaft als Auffangnetz zu bewahren -freilich schon in dem resignierenden Bewußtsein, am Lauf der Zeit doch nichts ändern zu können.

Als Ideal freilich wird Gemeinschaft in beiden Gemeinden durchgängig beschworen und zwar mit einer Heftigkeit, die überraschte. In ihrer Sehnsucht nach gemeinschaftlicher Idylle (mit Eigenheim, Vorgarten, Wohnmobil, Musikantenstadel, Bierzeltseligkeit, Vereinsmeierei und Gartenzwergen) sind sich die Deutschen in Ost und West jetzt schon ziemlich ähnlich, und es steht zu erwarten - oder zu befürchten? -, daß sie sich auf den ehemals (vor 1945) gemeinsamen Nenner wieder zubewegen.

IV. Resümee: Wie verschieden sind wir wirklich?

Die hier nur skizzierten Befunde unserer Studie zeigen, daß in beiden Gemeinden sehr viele Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede existieren. Letztere lassen sich allerdings nur bedingt als Mentalitätsunterschiede bezeichnen. Man muß vielmehr von einem Fortdauern gemeinsamer mentaler Strukturen ausgehen, die sich nur in zwei Varianten ausgestaltet haben. Beide Gemeinden lassen sich als zwei Brüder interpretieren, die sich lange nicht mehr gesehen und in unterschiedlichen Welten gelebt haben. Jeder hat bestimmte Unarten angenomnmen und doch ist ihnen vieles gemeinsam geblieben.

In einer Studie über das Deutschenbild der Deutschen, die das Allensbacher Institut für Demoskopie um die Jahreswende 1989/90 in beiden Teilen der Republik durchgeführt hat, wurde ein verlegener, rundbäuchiger, etwas schielender deutscher Michel in einer Abbildung vorgelegt und dazu die Frage gestellt: „Das ist der deutsche Michel. Was empfinden Sie, wenn Sie den deutschen Michel sehen? Ist Ihnen der Michel eher sympathisch oder eher unsympathisch?“ Obgleich der deutsche Michel -ganz anders als die französische Marianne, der englische John Bull oder der amerikanische Uncle Sam -eher lächerlich aussieht, erklärte die Mehrheit der Deutschen, sie fänden ihn sympathisch Was man an dieser Figur sympathisch findet, ergibt sich aus den Antworten auf die Frage, welche guten Eigenschaften man denn am deutschen Michel erkennen könne. Diese Frage bringt nun alle Eigenschaften zum Vorschein, die die Deutschen an sich selbst lieben: gutmütig, fleißig, ehrlich, tüchtig, freundlich, sparsam, häuslich, ordentlich und gemütlich.

Es ist genau dieses Bild des „deutschen Michel“, das uns in beiden Gemeinden begegnete. Nur: Während der westdeutsche Michel sich schon in Designer-Jeans wirft, hat (jedenfalls der ältere) ostdeutsche Michel sein Nachthemd vorläufig noch anbehalten und seine Zipfelmütze noch nicht durch die amerikanische Baseballkappe ersetzt. Oder anders formuliert: Der moderne Individualisierungsprozeß und der damit verbundene Werte-wandel ist in der westdeutschen Gemeinde etwas weiter fortgeschritten als in der ostdeutschen Gemeinde. Außerdem hatten die Menschen in der westdeutschen Gemeinde etwas mehr Zeit, sich darauf einzustellen und zu lernen, mit seinen Folgewirkungen umzugehen. Man kann also in bezug auf die beiden Gemeinden -je nachdem, von welcher Seite man die Analyse beginnt -entweder von einer Phasenverschiebung auf dem Weg der Modernisierung sprechen oder von einer „Kühlschrankfunktion“ des sozialistischen Systems, nicht aber von grundlegenden Mentalitätsunterschieden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der vorliegende Aufsatz ist die Zusammenfassung einer größeren Arbeit, die im April 1994 unter dem Titel „Zwei Dörfer in Deutschland. Mentalitätsunterschiede nach der Wiedervereinigung“ bei Leske und Büderich, Opladen erscheinen wird. Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Schwerpunktprogrammes „Sozialer und politischer Wandel im Zuge der Integration der DDR-Gesellschaft“ gefördert. Vgl. R. Herzinger, Die obskuren Inseln der kultivierten Gemeinschaft. Heiner Müller, Christa Wolf, Volker Braun -deutsche Zivilisationskritik und das neue Anti-Westlertum, in: Die Zeit vom 4. Juni 1993, S. 8.

  2. Vgl. Hans-Joachim Maaz, Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR, Berlin 1990; ders., Das gestürzte Volk oder die unglückliche Einheit, Berlin 1991.

  3. Vgl. Hans Maier, Einheit aus Gegensätzen, in: Zur Debatte. Themen der katholischen Akademie in Bayern, Juli/August 1990, S. 1-13; ders., Nach dem Sozialismus -Eine neue Ethik des Sozialen?, in: Neue Hefte für Philosophie, 34 (1993), S. 1-17.

  4. Vgl. u. a. Katharina Belwe, Psycho-soziale Befindlichkeit der Menschen in den neuen Bundesländern nach der Wende im Herbst 1989, Gesamtdeutsches Institut, Analysen und Berichte, 1/1991; Thomas Gensicke, Mentalitätsentwicklungen im Osten Deutschlands seit den 70er Jahren, Speyer 1992; Lutz Marz, Die innere Kluft. Eine (Bild-) Betrachtüng, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 36 (1991), S. 1308ff.; Helga Moericke, Wir sind verschieden. Lebens-entwürfe von Schülern aus Ost und West, Frankfurt am Main 1991; Rudolf Woderich, Mentalitäten zwischen Anpassung und Eigensinn, in: Deutschland Archiv, 25 (1992) 1, S. 21 ff.

  5. Zur Geschichte der „Annales“ -Schule vgl. Ulrich Raulff, Die Geburt eines Begriffs. Reden von Mentalität zur Zeit der Affäre Dreyfus, in: ders. (Hrsg.), Mentalitäten-Geschichte, Berlin 1987, S. 50ff.; Annette Riecks, Französische Sozial-und Mentalitätengeschichte. Ein Forschungsbericht, Alten-berge 1989.

  6. Vgl. Winfried Gebhardt, Idee, Mentalität, Institution, in: Sociologia Internationalis, 31 (1993), S. 41 ff.

  7. Vgl. Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, München 19842, S. 332; Max Weber, Die Protestantische Ethik II, hrsg. von Johannes Winckelmann, Gütersloh 1975, S. 318; ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. I, Tübingen 19787.

  8. Theodor Geiger, Die soziale Schichtung des deutschen Volkes, Stuttgart 1987, S. 77.

  9. Vgl. Alfred Schütz/Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt, Bd. 1, Frankfurt am Main 1979.

  10. Vgl. Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt am Main 1977; Zur Relevanz der Wissenssoziologie für eine exakte Bestimmung des Mentalitätsbegriffs vgl. Volker Sellin, Mentalität und Mentalitätsgeschichte, in: Historische Zeitschrift, Bd. 241 (1985), S. 556ff.

  11. Vgl. Hans-Georg Soeffner, Die Ordnung der Rituale. Die Auslegung des Alltags 2, Frankfurt am Main 1992.

  12. Vgl. Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultur-soziologie der Gegenwart, Frankfurt am Main-New York 1992.

  13. Die Studie wurde im sächsischen Werda (Landkreis Auerbach) und im nordbayerischen Regnitzlosau (Landkreis Hof) durchgeführt. Beide Gemeinden haben ca. 1100 Einwohner (in Regnitzlosau wurde nur die Kerngemeinde, nicht die eingemeindeten Ortsteile untersucht); sie sind seit Jahrzehnten reine „Industriedörfer“, in denen die Landwirtschaft nur noch eine geringe Rolle spielt. Um die nachfolgenden „Einstellungen“ besser einordnen zu können, soll noch auf folgende Strukturdaten hingewiesen werden: 1. Die Zahl der Auspendler übertrifft in beiden Gemeinden bei weitem die der Einpendler. 2. Die Arbeitslosigkeit lag in beiden Gemeinden zum Zeitpunkt der Befragung unter den landesüblichen Durchschnittswerten. 3. Der Grad des Wohneigentums ist in beiden Gemeinden sehr hoch (über 95 Prozent in Werda; über 65 Prozent in Regnitzlosau). 4. In beiden Gemeinden dominiert die evangelisch-lutherische Konfession. -Die Studie wurde im Sommersemester 1991 konzipiert (im Rahmen eines soziologischen Forschungspraktikums). Erste Kontaktgespräche erfolgten im Winter 1991/92. Die Daten wurden im Frühjahr und Sommer 1992 (in zwei jeweils zweiwöchigen Feldphasen) erhoben. Für ihre Mitarbeit danken wir: Bettina Conrad, Anette Hollwich, Peter Koenen, Marco Marino, Hans-Peter Sigg, Heimo Wolff, Petra Zeitler und Martin Zeitler.

  14. Vgl. Sighard Neckel, Die Macht der Unterscheidung. Beutezüge durch den modernen Alltag, Frankfurt am Main 1993, S. 180 ff.

  15. Sighard Neckel ist bei seiner Gemeindestudie im ostdeutschen „Waldleben“ zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt; vgl. Sighard Neckel, Das lokale Staatsorgan. Kommunale Herrschaft im Staatssozialismus der DDR, in: Zeitschrift für Soziologie, 21 (1992), S. 252 ff.; vgl. außerdem Elmar Lange/Peter Schober, Sozialer Wandel in den neuen Bundesländern. Beispiel; Lutherstadt Wittenberg, Opladen 1993, S. 212ff.

  16. Vgl. Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, Darmstadt 19788.

  17. Vgl. Helmut Schoeck, Der Neid. Die Urgeschichte des Bösen, München-Wien 1980.

  18. S. Neckel (Anm. 14), S. 188.

  19. Vgl. ebd., S. 82.

  20. Ebd. S. 190.

  21. Vgl. Helmuth Plessner, Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus, Bonn 1924.

  22. Vgl. Elisabeth Noelle-Neumann, Nach der deutschen Revolution, in: Die politische Meinung, November 1991, S. 72.

  23. Vgl. Peter Schneider, Extreme Mittellage. Eine Reise durch das deutsche Nationalgefühl, Reinbek 1990.

Weitere Inhalte

Winfried Gebhardt, Dr. rer. soc., Dr. phil. habil., geb. 1954; Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre; seit 1994 Privatdozent an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth. Veröffentlichungen u. a.: Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung, Frankfurt am Main«u. a. 1987; (Hrsg. zus. mit Arnold Zingerle und Michael N. Ebertz) Charisma. Theorie, Religion, Politik, Berlin und New York 1993; (zus. mit Georg Kamphausen) Zwei Dörfer in Deutschland. Mentalitätsunterschiede nach der Wiedervereinigung, Opladen 1994; Charisma als Lebensform. Zur Soziologie des „alternativen Lebens“, Berlin 1994. Georg Kamphausen, Dr. rer. soc., geb. 1955; Studium der Sozialwissenschaften in Freiburg, Bielefeld und Tübingen; Geschäftsführer der Amerika-Forschungsstelle an der Universität Bayreuth. Veröffentlichungen u. a.: Hüter des Gewissens? Zum Einfluß sozialwissenschaftlichen Denkens in Theologie und Kirche, Berlin 1986; (zus. mit Winfried Gebhardt) Zwei Dörfer in Deutschland. Mentalitätsunterschiede nach der Wiedervereinigung, Opladen 1994; verschiedene Aufsätze zur politischen Ideengeschichte der Vereinigten Staaten (Länderbericht USA, 2 Bd., Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1989).