I. Problemstellung
Die miserable Lage am Arbeitsmarkt und die auf absehbare Zeit ungünstigen Aussichten für die weitere Beschäftigungsentwicklung haben die Debatte über Arbeitszeitverkürzungen neu entfacht. Der für Beschäftigungsfragen primär zuständigen Wirtschafts-und Strukturpolitik wird immer weniger zugetraut, das von Monat zu Monat auf neue Rekordwerte kletternde Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt zu beheben. Nun soll durch eine Arbeitszeitpolitik der weitere Anstieg der Arbeitslosigkeit gebremst und die Beschäftigungsentwicklung wieder auf Expansionskurs gebracht werden.
Von früheren Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit unterscheidet sich die aktuelle Debatte vor allem in folgenden Aspekten:
Erstens lassen sich die Auswirkungen von Arbeitszeitverkürzungen auf Beschäftigung, Produktivität und Kosten aufgrund von Erfahrungswerten besser als in der Vergangenheit abschätzen.
Zweitens dreht sich die Kontroverse nicht mehr bloß um die Alternative, den arbeitszeitpolitischen Status quo zu konservieren oder kürzer zu arbeiten, sondern als weitere Alternative hat die (vereinzelt bereits realisierte) Forderung nach längeren Arbeitszeiten die Konfliktlage kompliziert.
Drittens sind jüngst unter dem Druck anstehender Massenentlassungen kräftig dosierte Arbeitszeit-verkürzungen in Gang gekommen, die sich nicht nur in quantitativer Hinsicht deutlich von früheren Schritten abheben, sondern auch unter veränderten Regelungsvorzeichen im Hinblick auf Lohnausgleich, Beschäftigungssicherung, Reversibilität usw. stehen. Man kann von einem neuen Typ der Arbeitszeitverkürzung sprechen, weil sich die Vereinbarungen in einigen wesentlichen Merkmalen von den Arbeitszeitverkürzungen der achtziger Jahre abheben. Die jüngsten Arbeitszeitverkürzungen bei VW und im Steinkohlenbergbau haben einen gewissen Umschwung in der öffentlichen Meinung zugunsten von Arbeitszeitverkürzungen bewirkt.
Diese aktuelle arbeitszeitpolitische Diskussion und Entwicklung soll im Folgenden zusammengefaßt und diskutiert werden, um anschließend Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage zu gewinnen, welchen Beitrag unter welchen Bedingungen Arbeitszeitverkürzungen zur Lösung der aufgestauten Beschäftigungsprobleme leisten können.
II. Länger oder kürzer arbeiten?
Lage und Perspektive des Arbeitsmarktes Der Arbeitsmarkt steckt in der tiefsten Krise seit der Nachkriegsentwicklung. Zum Jahresende 1993 wurden knapp 3, 7 Millionen Arbeitslose in Ost-und Westdeutschland gezählt. Damit dürfte der Höchststand jedoch noch nicht erreicht sein. Für den Jahresdurchschnitt 1994 gehen die vorliegenden Wirtschaftsprognosen von einer registrierten Arbeitslosigkeit zwischen 3, 8 und 4 Millionen aus. Im saisonalen Verlauf wird die Arbeitslosenzahl die Vier-Millionen-Marke übersteigen. Selbst bei einer allmählichen konjunkturellen Wiederbelebung der Produktion im Laufe des Jahres 1994 ist zunächst von einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit auszugehen. Angesichts des international verschärften Wettbewerbsdrucks haben die Unternehmen ihre Rationalisierungsbemühungen mit dem Ziel intensiviert, den Einsatz von Arbeit möglichst effizient zu organisieren, um Kosten zu sparen. Die Bemühungen, den Arbeitseinsatz „schlanker“ zu gestalten, sind noch nicht abgeschlossen.
Die registrierte Arbeitslosigkeit beschreibt jedoch nur einen Teil der gesamten Beschäftigungslücke. Rechnet man weitere 1, 5 Millionen Personen in Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik (Ost: 1, 2 Millionen; West: 0, 3 Millionen) sowie eine auf etwa 2 Millionen geschätzte stille Reserve (Ost: 0, 15; West: 1, 88 Millionen) hinzu, dann kommt man auf eine Beschäftigungslücke von insgesamt mehr als 7 Millionen 1.Auch in der langfristigen Perspektive gilt eine spürbare Besserung der dramatischen Beschäftigungsprobleme als wenig wahrscheinlich. So schätzt das Prognos-Institut das Beschäftigungsdefizit für 1995 auf insgesamt 6, 7 Millionen und für das Jahr 2000 immerhin noch auf 5, 9 Millionen 5 Millionen stille Reserve und Millionen registrierte Arbeitslose) 2.
Anhaltende Massenarbeitslosigkeit birgt nicht nur das Risiko schwer kalkulierbarer politischer Turbulenzen. Sie stellt zugleich auch eine erhebliche Hypothek für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung dar. Arbeitslose büßen einen Teil ihres Einkommens ein, der Gesellschaft entgehen Güter und Dienstleistungen, die die Arbeitslosen erstellen könnten 3. Die anhaltende Massenarbeitslosigkeit bindet enorme finanzielle Mittel. Allein für Arbeitslosengeld und -hilfe sowie für Sozialhilfe in Folge von Arbeitslosigkeit wurden 1993 etwa 55 Milliarden DM ausgegeben. Durch hohe Beiträge zur Arbeitslosenversicherung finanzieren die Beitragszahler die Beschäftigungsmisere mit Abstrichen beim verfügbaren Einkommen und die Unternehmen müssen mit hohen Lohnnebenkosten fertig werden. Diese Mittel fehlen bei der Modernisierung von öffentlicher Infrastruktur und des Produktionsapparates der privaten Unternehmen. Gleichzeitig entwertet langanhaltende Arbeitslosigkeit einen wachsenden Teil der beruflichen und sozialen Qualifikationen. Die Requalifizierung von Langzeitarbeitslosen ist teuer und zeitaufwendig. Kurzum: Ein hoher Arbeitslosensockel bremst Strukturwandel und Wirtschaftswachstum 4. 2. Arbeitszeitverkürzungen -wichtiges Instrument der Beschäftigungspolitik Vor diesem Hintergrund sind weitere kräftig dosierte Arbeitszeitverkürzungen eine beschäftigungspolitisch wichtige Ergänzung von wirtschafts-und strukturpolitischen Aktivitäten. Arbeitszeitverkürzungen können zwar nicht die augenblickliche konjunkturelle Unterauslastung der Produktionskapazitäten beheben. Hier sind nachfragestimulierende Maßnahmen gefragt. Ebenso wenig können sie einen direkten Beitrag leisten, die aufgestauten Strukturprobleme zu meistern. Aber beschäftigungspolitisch können sie eine aktive Wirtschafts-und Strukturpolitik ergänzen und rasch für eine spürbare Entlastung am Arbeitsmarkt sorgen, wodurch sie indirekt die Wachstumsbedingungen positiv beeinflussen. Dies ist erstens der Fall, wenn infolge des durch Arbeitszeitverkürzungen erhöhten Beschäftigungsniveaus Ausmaß und Dauer der Arbeitslosigkeit zurückgehen und die Kosten der Arbeitslosigkeit sinken. Dadurch wird es möglich, entweder die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken, oder die freiwerdenden Mittel für zusätzliche arbeitsmarkt-und strukturpolitische Verwendungen einzusetzen. Im ersten Fall würden sich die verfügbaren privaten Einkommen erhöhen und gleichzeitig die Lohnnebenkosten vermindern. Im zweiten Fall könnten vermehrt Mittel für einen forcierten Einsatz aktiver Instrumente zum Ausbau der Infrastruktur oder zur Verbesserung der beruflichen Qualifikation bereitgestellt werden. Dies würde die Wachstumsbedingungen verbessern, den Abbau der Arbeitslosigkeit beschleunigen, die Staatseinnahmen erhöhen und gleichzeitig die öffentlichen Ausgaben zur Finanzierung von Arbeitslosigkeit vermindern.
Verkürzungen der Arbeitszeit können zweitens die Wachstumsbedingungen positiv beeinflussen, indem sie den Spielraum für eine sozialverträgliche Flexibilisierung der Arbeitszeit vergrößern. So sind verlängerte Betriebsnutzungszeiten z. B. im Rahmen einer zweiten Schicht bei einer sieben-oder sechsstündigen individuellen Arbeitszeit für die Zeitgestaltung der Beschäftigten weniger problematisch als bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden. Denkbar sind auch Modelle, bei denen die Betriebsnutzungszeit durch die Einführung einer zusätzlichen Teilzeitschicht verlängert wird. Diese Beispiele zeigen, wie sich durch verkürzte Arbeitszeiten Wege eröffnen lassen, sowohl ökonomische Kriterien (Reduzierung von Kapital-kosten) als auch Kriterien der Sozialverträglichkeit (Teilhabe am sozialen und familialen Leben) besser in Einklang zu bringen. Als Zwischenergebnisläßt sich festhalten: Arbeitszeitverkürzungen sind insgesamt die vorteilhaftere Lösung der Beschäftigungsprobleme verglichen mit dem bloßen Warten auf die schwer kalkulierbaren Heilkräfte des Marktmechanismus. 3. Verlängerungen der Arbeitszeit -
ein beschäftigungspolitischer Irrweg Neuerdings ist die Forderung aufgekommen, die Arbeitszeit zu verlängern, um die ausufernde Beschäftigungsmisere unter Kontrolle zu bringen. Dieser Vorschlag steht diametral zu der bisherigen arbeitszeitpolitischen Grundströmung. Bislang schien es eine gesicherte Erkenntnis zu sein, daß bei lahmender konjunktureller Wirtschaftsentwicklung und rückläufiger Beschäftigungsnachfrage Arbeitszeitverkürzungen der geeignete Weg sind, den Arbeitsmarkt aus seiner Schieflage zu befreien. Gestritten wurde in der Vergangenheit allenfalls über Form und Bedingungen der Arbeitszeitverkürzung. Zwar haben die Arbeitgeberverbände generelle tarifliche Arbeitszeitverkürzungen mit vollem Lohnausgleich stets abgelehnt. Gleichzeitig machten sie sich aber für eine Ausweitung der Teilzeitarbeit stark. Hierin sahen und sehen sie einen tauglichen Weg, die Beschäftigungsprobleme zu lindern. Insofern waren sich sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeber zumindest in der Grundrichtung einig, daß nämlich kürzere und nicht längere Arbeitszeiten der beschäftigungspolitisch erfolgversprechendere Ansatz seien.
Nicht anders als mit einer Verkürzung der Arbeitszeit reagieren in aller Regel Betriebe in prekären Beschäftigungssituationen. So gehören Überstundenabbau und Einführung von Kurzarbeit von jeher zum personalpolitischen Standardrepertoire während flauer Auftragszeiten und werden weder vom Personalmanagement noch von den Betriebsräten in Frage gestellt. Wenn die Auslastung der Produktionskapazitäten rückläufig ist und die Arbeitskräfte nicht mehr in vollem Umfang beschäftigt werden können, gelten übrigens weltweit Überstundenabbau und Kurzarbeit als die richtigen Rezepte
Quer zu dieser arbeitszeitpolitischen Praxis liegen die im Verlaufe des Jahres 1993 aufgekommenen Forderungen, die Arbeitszeit wieder zu verlängern. Untermauert werden diese Überlegungen mit dem Hinweis, daß Arbeitnehmer in Westdeutschland im internationalen Vergleich eine niedrige Arbeitszeit haben. Wie sind diese Forderungen nun beschäftigungspolitisch zu bewerten? Die Antwort fällt eindeutig aus: Längere Arbeitszeiten helfen nicht, die aufgestauten Beschäftigungsprobleme zu lindern. Sie verschärfen eher die ohnehin prekäre Arbeitsmarktsituation. Nicht anders sieht dies auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der in seinem jüngsten Gutachten vom Herbst 1993 von einer generellen Arbeitszeit-verlängerung für alle Arbeitnehmer abrät, da hiervon in der gegenwärtigen Beschäftigungs-und Arbeitsmarktlage wohl wenig zu erhoffen wäre Längere individuelle Arbeitszeiten bedeuten eine Umverteilung der ohnehin nicht für alle Beschäftigten ausreichenden Arbeit auf noch weniger Köpfe. Die einen würden länger arbeiten, während andere gänzlich auf Arbeit verzichten müßten. Die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche von derzeit durchschnittlich 38 Stunden würde die durch die vorangegangenen Arbeitszeitverkürzungen ausgelösten Beschäftigungseffeke von insgesamt etwa 700 000 Arbeitsplätzen wieder zunichte machen.
Selbst wenn für die längere Arbeitszeit kein Lohn gezahlt würde, was einer Senkung der durchschnittlichen Stundenlöhne entspräche, ist eher mit negativen Beschäftigungswirkungen zu rechnen. Zwar würden sich die Lohnkosten für die Unternehmen verringern. Da aber die Güter und Dienstleistungen für die gegebene gesamtwirtschaftliche Nachfrage wegen der längeren individuellen Arbeitszeit von weniger Beschäftigten erstellt werden könnten, würde es zu einem gewissen Nachfrageausfall kommen Außerdem würden sich als Folge der steigenden Arbeitslosigkeit die Lohnnebenkosten wegen höherer Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhöhen. Es ist fraglich, ob die durch verbesserte Angebotsbedingungen infolge geringerer Lohnkosten möglichen Wachstumsimpulse die kontraktiven, d. h. die Nachfrage beeinträchtigenden Wirkungen aufgrund geringerer Beschäftigtenzahlen übertreffen können.Im öffentlichen Dienst haben einige Bundesländer vor allem im Lehrerbereich die Arbeitszeit jüngst wieder verlängert. Durch Mehrarbeit ohne zusätzlichen Lohn wird versucht, das Budget zu entlasten, sofern dadurch weniger Arbeitskräfte eingestellt werden 8. Auf diese Weise kann der öffentliche Dienst zwar seinen Mehrbedarf an Personal ohne Kostensteigerungen decken und relativ konfliktarm Lohnzugeständnisse der Beschäftigten durchsetzen, die, ohne Einkommenseinbußen zu erleiden, auf die Bezahlung der Mehrarbeit verzichten. Beschäftigungspolitisch wird aber auf Kosten der Arbeitslosen Handlungsspielraum verschenkt.
Bei gesamtfiskalischer Betrachtung wäre die Alternative der Personalaufstockung durch Arbeitszeit-verkürzungen kaum teurer gekommen, weil gleichzeitig ebenfalls von der öffentlichen Hand zu tragende Kosten der Arbeitslosigkeit eingespart würden. Rein rechnerisch würde eine Verlängerung der Arbeitszeit von Beamten von 38, 5 auf 40 Stunden -wie sie jetzt im Freistaat Bayern durchgesetzt worden ist -dem Arbeitsvolumen von mehr als 90000 Vollzeitbeschäftigten entsprechen. Für eine entsprechende Zahl von Arbeitslosengeld-bzw. Arbeitslosenhilfeempfängern sind jährlich gut zwei Milliarden DM aufzubringen. 4. Erfahrungen mit Arbeitszeitverkürzungen in den achtziger Jahren Lange Zeit hatte die tarifliche Wochenarbeitszeit bei der 40-Stunden-Marke verharrt. Seit Mitte der achtziger Jahre hat ein neuer Schub eingesetzt. Die tarifliche Wochenarbeitszeit ist seitdem im Durchschnitt der Wirtschaft schrittwe Auf diese Weise kann der öffentliche Dienst zwar seinen Mehrbedarf an Personal ohne Kostensteigerungen decken und relativ konfliktarm Lohnzugeständnisse der Beschäftigten durchsetzen, die, ohne Einkommenseinbußen zu erleiden, auf die Bezahlung der Mehrarbeit verzichten. Beschäftigungspolitisch wird aber auf Kosten der Arbeitslosen Handlungsspielraum verschenkt.
Bei gesamtfiskalischer Betrachtung wäre die Alternative der Personalaufstockung durch Arbeitszeit-verkürzungen kaum teurer gekommen, weil gleichzeitig ebenfalls von der öffentlichen Hand zu tragende Kosten der Arbeitslosigkeit eingespart würden. Rein rechnerisch würde eine Verlängerung der Arbeitszeit von Beamten von 38, 5 auf 40 Stunden -wie sie jetzt im Freistaat Bayern durchgesetzt worden ist -dem Arbeitsvolumen von mehr als 90000 Vollzeitbeschäftigten entsprechen. Für eine entsprechende Zahl von Arbeitslosengeld-bzw. Arbeitslosenhilfeempfängern sind jährlich gut zwei Milliarden DM aufzubringen. 4. Erfahrungen mit Arbeitszeitverkürzungen in den achtziger Jahren Lange Zeit hatte die tarifliche Wochenarbeitszeit bei der 40-Stunden-Marke verharrt. Seit Mitte der achtziger Jahre hat ein neuer Schub eingesetzt. Die tarifliche Wochenarbeitszeit ist seitdem im Durchschnitt der Wirtschaft schrittweise auf 38 Stunden verkürzt worden. Diese Entwicklung verlief in den einzelnen Wirtschaftszweigen mit unterschiedlicher Dynamik. Einige Tarifbereiche (Metallindustrie, Druckindustrie) haben bereits die 36-Stunden-Woche eingeführt, andere stehen noch bei 39 Stunden. Vor allem der erste Schritt dieser Entwicklung kam erst nach heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in Form von mehrwöchigem Streik und Aussperrung zustande. Strittige Fragen waren vor allem der Lohnausgleich, die Dauer der Betriebsnutzungszeiten und die Beschäftigungswirksamkeit von Arbeitszeitverkürzungen.
Beschäftigungspolitisch können sich die zurückliegenden Arbeitszeitverkürzungen durchaus sehen lassen. Auf ihr Konto gehen etwa 700000 zusätzliehe Beschäftigungsverhältnisse 9. Damit haben sie einen guten Beitrag zum kräftigen Beschäftigungsanstieg zwischen 1983 und 1992 geleistet. In dieser Zeitspanne ist die Zahl der abhängig Beschäftigten insgesamt um 3, 2 Millionen oder 13, 8 Prozent gestiegen. Nur während der Wiederaufbauphase der fünfziger Jahre wurde ein ähnlich großer Beschäftigungszuwachs erzielt 10.
Neben den tariflichen Arbeitszeitverkürzungen hat auch die Ausweitung der Teilzeitarbeit zum Rückgang der durchschnittlich geleisteten Arbeitszeit beigetragen. Die Teilzeitquote ist von etwas mehr als 13 Prozent im Jahre 1983 auf knapp 17 Prozent neun Jahre später gestiegen. Diese Ausweitung der Teilzeitarbeit entspricht rechnerisch einem Beschäftigungseffekt von 300000 zusätzlichen Arbeitsverhältnissen.
Die Beschäftigungsbilanz der tariflichen Arbeitszeitverkürzungen hätte noch besser ausfallen können, wenn die Betriebe nicht mit vor allem arbeitsorganisatorischen Maßnahmen reagiert und zusätzliche Produktivitätssteigerungen initiiert hätten. Auf der Basis verschiedener empirischer Untersuchungen über die Beschäftigungs-und Produktivitätswirkungen von Arbeitszeitverkürzungen läßt sich zusammenfassend sagen, daß etwa ein Drittel bis die Hälfte der Arbeitszeitverkürzungen durch zusätzliche Produktivitätssteigerungen aufgefangen wurde 11. In diesem Ausmaß reduzierte sich dann nicht nur der rechnerische Beschäftigungseffekt, auch die Kostensteigerungen fielen entsprechend geringer aus.
In verteilungspolitischer Hinsicht besonders strittig war die Frage des Lohnausgleichs. Ein solcher liegt vor, wenn nach einer Arbeitszeitverkürzung dienominellen Wochenlöhne bzw. Monatsgehälter unverändert bleiben Dies bedeutet jedoch nicht unbedingt auch eine Sicherung der Realeinkommen. Unterstellt man einen verteilungsneutralen Tarifabschluß, d. h. mit unveränderten Anteilen von Gewinnen und Löhnen am Volkseinkommen, dann bilden die erwarteten Produktivitätszuwächse und Inflationsraten zusammenaddiert den Spielraum für Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnausgleich. Nach diesem Prinzip der Verteilungsneutralität sind die seit 1984 vereinbarten Arbeitszeitverkürzungen erfolgt. Sie sind mit ihren Kosteneffekten bei den gleichzeitig abgeschlossenen Nominallohnerhöhungen berücksichtigt, d. h. verrechnet worden. Vermutlich wurde dabei der durch die Arbeitszeitverkürzung selbst ausgelöste Produktivitätszuwachs nicht einmal voll in den Verteilungsspielraum einbezogen. Deshalb haben die Arbeitszeitverkürzungen die verteilungs-und kostenneutrale Linie nicht überschritten, sondern sind eher unter ihr geblieben
Für Konfliktstoff im Zusammenhang mit Arbeitszeitverkürzungen hat in der Vergangenheit auch die Dauer der Betriebsnutzungszeiten gesorgt. Mit Betriebsnutzungszeit bezeichnet man die Laufzeit der Maschinen und Anlagen oder auch die Öffnungszeit von Dienstleistungseinrichtungen während einer bestimmten Zeitperiode (Tag, Woche, Jahr). Sie kann von der individuellen Arbeitszeit abgekoppelt sein und z. B. im Rahmen von Schichtarbeit diese um das Doppelte oder ein Mehrfaches übertreffen. Im Extremfall kann die gesamte innerhalb einer bestimmten Zeitphase, z. B. Woche, zur Verfügung stehende Zeit Betriebsnutzungszeit sein.
Die Arbeitgeberverbände befürchteten nun, daß Verkürzungen der tariflichen Arbeitszeit die Nutzungszeit der Produktionsanlagen einschränken könnten. Dies wäre der Fall, wenn sich tarifliche Arbeits-und Betriebsnutzungszeiten parallel und in gleichem Ausmaß verändern würden. Wenn sich infolge der verkürzten Produktionszeit auch die Ausbringungsmenge, die Zahl der hergestellten Produkte, verringert, dann würde dies die Kapitalkosten je Produkteinheit erhöhen. Bei einem gegebenen Kapitaleinsatz für Maschinen und Gebäude entstehen Kapitalkosten für (kalkulatorisehe) Zinsen, die je Einheit der hergestellten Güter um so kleiner/größer sind, je länger/kürzer produziert bzw. je mehr/weniger Güter hergestellt werden. Dieser Effekt fällt um so größer aus, je höher die Kapitalintensität der jeweiligen Produktionsanlagen ist. Um nicht die Kapitalkosten zu steigern, kommt es also bei tariflichen Arbeitszeit-verkürzungen darauf an, die Produktion bzw. die Betriebsnutzungszeiten mindestens konstant zu halten. Diese Möglichkeiten haben die in der Metallindustrie vereinbarten schrittweisen Arbeitszeitverkürzungen von 40 auf mittlerweile 36 Stunden jedoch ausdrücklich eingeräumt. So ist im Manteltarifvertrag für diesen Wirtschaftsbereich formuliert, daß aus Anlaß der Neufestlegung der Arbeitszeit die Auslastung der betrieblichen Anlagen und Einrichtungen nicht vermindert wird. Die meisten der Betriebe in der Metallindustrie haben diese Möglichkeit genutzt 5. Neue Initiativen zur Verkürzung der Arbeitszeit In jüngster Zeit ist wieder Bewegung in die Arbeitszeitentwicklung gekommen. Herausragende Beispiele dafür sind das VW-Modell der Vier-Tage-Woche und die Freischichtenregelungen im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau vom Dezember 1993. Als Vorläufer kann man die Teilzeitmodelle für Lehrer in vier ostdeutschen Bundesländern (Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) bezeichnen. Sie sehen entweder auf freiwilliger Basis oder, wie in Brandenburg, obligatorisch für alle Lehrer kräftigte Verkürzungen der Arbeitszeit um zwischen mindestens 17, 5 Prozent (Sachsen) und 25 Prozent (Sachsen-Anhalt, Thüringen) vor. Während drei Vereinbarungen wahlweise Arbeitszeiteinschränkungen innerhalb bestimmter Bandbreiten anbieten (bis zu maximal 50 Prozent), ist im Land Brandenburg die Arbeitszeit einheitlich um 20 Prozent verringert worden.
Teilzeitmodellefür Lehrer in Ostdeutschland Die Teilzeitregelungen, die in Brandenburg mit einer tariflichen Arbeitszeitverkürzung faktisch gleichzusetzen sind, kamen unter dem Druck geplanter Massenentlassungen zustande. Hintergrund hierfür bildete die Anpassung der Schüler-Lehrer-Relationen an die deutlich ungünstigeren westdeutschen Verhältnisse. Die finanziellen Zwänge der miserablen öffentlichen Kassenlage hatten sich gegen bildungspolitische Anforderungen durchgesetzt. Die Folge hiervon war ein massiver Stellenabbau, der jedoch durch Teilzeitvereinbarungen der jeweiligen Landesregierungen mit den Gewerkschaften und anderen Interessenverbänden abgewendet werden konnte.
Ungeachtet der jeweiligen landesspezifischen Besonderheiten sind die verschiedenen Regelungen durch folgende Merkmale gekennzeichnet -Die Einkommen werden proportional zur Arbeitszeit verringert. -Bei fakultativen (freiwilligen) Teilzeitregelungen liegt der Anreiz zur Inanspruchnahme in (befristeten) Beschäftigungsgarantien, die jedoch nicht für Vollzeitbeschäftigte gegeben werden. -Härtefallklauseln bieten die Möglichkeit, bestimmte Personengruppen (z. B. Alleinerziehende, Schwerbehinderte) von der Teilzeitarbeit auszunehmen ohne die Beschäftigungsgarantie aufzuheben. -Bei der Inanspruchnahme von Teilzeitregelungen werden Bedarfsaspekte berücksichtigt (fachspezifischer Lehrermangel). -Je nach der Bedarfslage und der sozialen Situation bestehen Möglichkeiten, zu Vollzeitarbeit zurückzukehren. -Gemeinsame Kommissionen aus Vertretern der Kultusbehörden und der Lehrerorganisationen regeln Probleme bei der Umsetzung der Teilzeitmodelle.
Insgesamt haben die verschiedenen Teilzeitregelungen die notwendige Beschäftigungswirksamkeit erbracht und die Entlassung von etwa 14000 bis 15 000 Lehrern verhindert Die Inanspruchnahme der Teilzeitarbeit entsprach dem Arbeitsvolumen der gestrichenen Lehrerstellen. Diese Anpassung konnte selbst bei fakultativen Regelungen gelingen, da das Freiwilligkeitskriterium eher formalen Charakter besaß. Die bei Nichtinanspruchnahme der Teilzeitregelung unsichere Beschäftigungsperspektive ließ wenig Raum für alternative Optionen. Dies galt besonders für Lehrer mit vergleichsweise wenig gefragten Fächerkombinationen. Akzeptanzfördernd wirkten zudem die Härtefallklauseln, die auf die jeweiligen sozialen Bedingungen Rücksicht nehmen.
Das VW-Modell Beschäftigungssicherung war auch das Ziel der Tarifvereinbarung über die Verkürzung der Wochen-arbeitszeit um 20 Prozent von 36 Stunden auf 28, 8 Stunden für die Beschäftigten in den sechs inländischen VW-Werken. Die reduzierte Arbeitszeit gilt für alle Beschäftigten einschließlich der leitenden Angestellten. Dadurch soll die aus konjunkturellen und strukturellen Gründen drohende Entlassung von ca. 30000 Beschäftigten abgewendet werden. Mit der Arbeitszeitverkürzung ist eine zweijährige Beschäftigungsgarantie verknüpft. Die teilweise Absicherung des monatlichen Einkommens setzt sich aus verschiedenen Regelungskomponenten zusammen. Zunächst wurde das Monatseinkommen proportional zur Arbeitszeitverkürzung um 20 Prozent verringert, gleichzeitig aber mit anteiligen Zahlungen des Weihnachts-und Urlaubsgeldes sowie unter Anrechnung vorgezogener Tariferhöhungen sowie der vorzeitigen Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wieder aufgestockt. Insgesamt errechnet sich auf Jahresbasis ein um etwa 10 Prozent abgesenktes Einkommen.
Neben der Einführung der Vier-Tage-Woche ist ferner ein sogenanntes „Blockmodell“ sowie ein „Stafettenmodell“ geplant. Die erste Variante sieht für jüngere Beschäftigte bis zu 30 Jahren und Alleinstehende eine flexible Jahresarbeitszeit vor, die arbeitsfreie, für Qualifizierung zu nutzende Blockzeiten enthalten soll. Beim Stafettenmodell ist ein gleitender Zugang der ausgebildeten in die sowie ein gleitender Abgang der älteren Mitarbeiter aus der Arbeit geplant.
Freischichtenregelungen im Steinkohlenbergbau Um die drohende Entlassung von rund 10000 der insgesamt 87000 Beschäftigten im Steinkohlenbergbau während der Jahre 1994/95 zu verhindern, wurde im Dezember 1993 eine weitere kräftige Verkürzung der Arbeitszeit vereinbart. Bereits im Frühjahr des Jahres waren anstelle von Lohnerhöhungen sechs zusätzliche Freischichten befristet auf 18 Monate eingeführt worden. Dieser Schritt sollte 3700 Arbeitsplätze sichern. Die Tarifvereinbarungen vom Dezember 1993 setzten diesen Weg der Arbeitszeitverkürzungen fort und führten weitere 30 Freischichten für einen Zeitraum von zwei Jahren ein. Ähnlich wie bei VW wurden zur Finanzierung der Arbeitszeitverkürzungen ansonsten mögliche Einkommenssteigerungen in Freizeit umgerechnet und außerdem das Einkommen bis Ende 1995 um sechs Prozent gekürzt. Für die unterenLohngruppen wurde gleichzeitig ein gestaffelter sozialer Ausgleich vereinbart.
Die zusätzlichen Freischichtenregelungen bilden den Kern eines arbeitszeitpolitischen Paketes, zu dem folgende weitere Komponenten gehören: Vereinbart ist, die regelmäßig anfallende Mehrarbeit in Normalarbeitszeit umzuwandeln, wodurch ein Beschäftigungseffekt von etwa 1100 Vollzeitbeschäftigten erzielt werden soll. Hinzu kommt die teilweise Umwandlung von Geldzuschlägen für Sonntagsarbeit in Freizeitausgleich.
Sowohl die Teilzeitregelungen für Lehrer in Ostdeutschland als auch das Arbeitszeitmodell der VW AG sowie die Freischichtenregelungen im Steinkohlenbergbau stehen für einen neuen Typ von Arbeitszeitverkürzungen, die sich von früheren Schritten vor allem durch folgende Merkmale unterscheiden: -Die jüngsten Arbeitszeitverkürzungen gehen weit über das Ausmaß bisheriger Stufen hinaus, die bei einer bis maximal zwei Stunden pro Woche bzw. zwischen 2, 5 und 5 Prozent lagen. Die neuen Regelungen bewegen sich dagegen zwischen ca. 10 und 25 Prozent.
-Die aktuellen Arbeitszeitverkürzungen haben die Funktion einer beschäftigungspolitischen Notbremse und kamen durch den Druck von drohenden bzw. beschlossenen Massenentlassungen zustande. Sie haben den Beschäftigtenstand stabilisiert, höhere Arbeitslosigkeit verhindert, aber keine zusätzlichen Beschäftigungsverhältnisse geschaffen.
-Die Arbeitszeitverkürzungen erfolgten ohne vollen Lohnausgleich, da sie den verteilungsneutralen Spielraum bei weitem übertrafen. Sie orientierten sich am Prinzip, Freizeit gegen Einkommen zu tauschen.
-Für kürzere Arbeitszeiten wurden im Gegenzug zeitlich befristete Beschäftigungsgarantien vereinbart.
-Die Möglichkeit, zur Vollzeitarbeit zurückzukehren, ist nicht ausgeschlossen (Prinzip der Reversibilität).
-Teilweise wurden Härtefallklauseln vereinbart, die die Möglichkeit bieten, bestimmte Personengruppen von der Arbeitszeitverkürzung auszunehmen, ohne jedoch den Anspruch auf Beschäftigungsgarantie zu verlieren. Hierzu gehören auch Regelungen, die für die unteren Gehaltsgruppen und -stufen eine soziale Komponente vorsehen.
Im Hinblick auf diese sechs Merkmale ist mit den jüngsten Arbeitszeitverkürzungen, die zunehmend Nachahmer finden (z. B. Audi und Siemens), Neuland betreten worden. In traditionellen Bahnen bewegen sie sich hingegen im Hinblick auf die Verwendung der zusätzlichen Freizeit. Ebenso wie früheren Arbeitszeitverkürzungen folgen sie dem Prinzip, Einkommen bzw. mögliche Einkommenszuwächse gegen individuell nutzbare Freizeit zu tauschen. Abgesehen vom Blockmodell bei VW verbindet dagegen keine der Regelungen die Arbeitszeitverkürzung mit Qualifikationszeit. Immerhin wäre denkbar, zumindest einen Teil der Arbeitszeitverkürzung für Qualifizierungsmaßnahmen zu reservieren. Dieser Aspekt sollte in der weiteren arbeitszeitpolitischen Debatte stärker als bisher thematisiert werden.
III. Beschäftigungseffekte einer offensiven Arbeitszeitpolitik
1. Verkürzungen der tariflichen Wochenarbeitszeit Arbeitszeitverkürzungen in dem Ausmaß wie bei VW oder im Steinkohlenbergbau oder wie im ostdeutschen Lehrerbereich lassen sich sicherlich nicht auf die gesamte Wirtschaft übertragen. Gleichwohl ließe sich ein erheblicher Beschäftigungseffekt von etwa einer Million in West-und etwa 250000 in Ostdeutschland erzielen, wenn die tarifliche Wochenarbeitszeit um drei Stunden verringert würde.
Diesen Schätzungen liegen Erfahrungswerte aus den achtziger Jahren zugrunde. Sie zeigen, daß etwa ein Drittel bis die Hälfte der Arbeitszeitverkürzungen durch zusätzliche Produktivitätseffekte aufgefangen wurde. In diesem Ausmaß würde sich bei einer um drei Stunden verkürzten Arbeitswoche dann nicht nur der rechnerische Beschäftigungseffekt verringern, sondern auch die mit der Arbeitszeitverkürzung verbundenen Kostensteigerungen fielen entsprechend niedriger aus. Sie würden sich zwischen 4, 3 und 5, 7 Prozent bewegen. Ohne Lohnausgleich käme es zu entsprechenden Abstrichen beim Einkommen. Unter der Voraussetzung von Verteilungsneutralität wäre eine dreistündige Arbeitszeitverkürzung angesichts der augenblicklichen Entwicklung von Preisen und Produktivität sogar bei konstanten Nominallöhnen möglich. Allerdings scheint selbst Verteilungsneutralität bei dem aktuellen verteilungspolitischen Grundklima kaum realisierbar zu sein. Für dieseEinschätzung sprechen die jüngsten Tarifabschlüsse, die -wie in der Chemischen Industrie -nicht einmal zwei Prozent Lohnsteigerung pro Jahr erzielten.
Ostdeutschland hat eine andere Ausgangslage bei der Arbeitszeit. Die tarifliche Arbeitszeit liegt etwa sechs Prozent über der in Westdeutschland. Die Wochenarbeitszeit ist mit gut 40 Stunden etwa zwei Stunden länger als in Westdeutschland, und als Jahresurlaub erhalten die Beschäftigten mit durchschnittlich 27 Tagen etwa zweieinhalb Tage weniger als die westdeutschen Arbeitnehmer. Würde man die tarifliche Arbeitszeit an das westdeutsche Niveau angleichen, so errechnete sich ein Beschäftigungseffekt in der Größenordnung von 150000 bis 200000. Unsicherheiten bestehen, inwieweit man westdeutsche Erfahrungswerte über die durch Arbeitszeitverkürzungen ausgelösten und ermöglichten Produktivitätseffekte übertragen kann. Es fehlt an gesicherten Hinweisen, in welchem Maße noch unausgeschöpfte Produktivitätsreserven bestehen. 2. Ausweitung von Teilzeitarbeit Die Teilzeitarbeit hat in den letzten Jahren in Westdeutschland kontinuierlich auf knapp Prozent zugenommen. Mit diesem Wert ist das Potential sicherlich noch nicht ausgeschöpft. Hierfür sprechen zum einen internationale Vergleiche, die für andere Länder, wie z. B. die Niederlande oder Schweden, sehr viel höhere Teilzeitquoten von 34, 3 bzw. 23, 7 Prozent zeigen 17. Zum anderen ist aus verschiedenen Befragungen bekannt, daß ein nicht unerheblicher Teil der Vollzeitbeschäftigten gerne kürzer arbeiten möchte und auch bereit ist, entsprechende Abstriche beim Einkommen zu akzeptieren. Eine neue Erhebung des ISO-Institutes beziffert diesen Personenkreis auf neun Prozent aller Beschäftigten Wird gleichzeitig in Rechnung gestellt, daß umgekehrt etwa zehn Prozent aller Teilzeitbeschäftigten in Vollzeitarbeit überwechseln möchten, dann errechnet sich insgesamt bei Realisierung der jeweiligen Arbeitszeit-wünsche ein Beschäftigungseffekt von etwa 600000. Unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten steckt in der Ausweitung von Teilzeitarbeit noch ein erhebliches Entlastungspotential für den Arbeitsmarkt, das sich beschäftigungspolitisch weitgehend kostenneutral ausschöpfen ließe, wenn die Betriebe bereit wären, die Wünsche der Beschäftigten aufzugreifen und arbeitsorganisatorisch in entsprechende Zeitarrangements umzusetzen In Ostdeutschland ist Teilzeitarbeit mit einer Quote von 9, 7 Prozent (im Jahre 1991) deutlich geringer verbreitet als in den alten Bundesländern (16, 8 Prozent). Dieser Unterschied geht vor allem auf die erheblich niedrigere Teilzeitquote der Frauen zurück, die in den neuen Bundesländern nur 19, 1 gegenüber 36, 5 Prozent in Westdeutschland ausmacht. Auffallend ist ferner, daß in Ostdeutschland nur zwei Prozent der Beschäftigten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit bis zu 20 Stunden arbeiten, während es in Westdeutschland zehn Prozent sind.
Bei einer Angleichung der ostdeutschen Teilzeitquote an das westdeutsche Niveau würde sich ein Bedarf von etwa 350000 Teilzeitkräften errechnen. Unterstellt ist dabei, daß auf einem Teilzeitarbeitsplatz die halbe Vollzeitstundenzahl gearbeitet wird. Wie aber läßt sich das Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen ausweiten? In einem ersten Schritt wäre es Aufgabe des betrieblichen Arbeitszeitmanagements zu prüfen, welche Arbeitsplätze teilzeittauglich sind, welche Zeitarrangements im Hinblick auf Dauer und Lage der Arbeitszeit möglich und welche Arbeitskräfte an Teilzeitarbeit interessiert sind. Im Rahmen eines flexiblen Zeit-managements sind dann betriebliche und institutioneile Anforderungen mit den jeweiligen Arbeitszeitprofilen auszubalancieren. Rückkehr-rechte zu Vollzeitarbeit könnten die Bereitschaft der Beschäftigten, zumindest phasenweise auf Vollzeitarbeit zu verzichten, steigern. Bleiben die Betriebe inaktiv, dann sollten die betrieblichen Interessenvertretungen versuchen, die Arbeitszeit-wünsche der Beschäftigten zu erfassen und deren Realisierung zum Thema betrieblicher Interessen-auseinandersetzungen zu machen. Schließlich könnte die Einrichtung von arbeitszeitpolitischen Beratungsstellen helfen, vor allem Klein-und Mittelbetriebe über die Möglichkeiten individuell reduzierter Arbeitszeiten zu informieren. 3. Freizeitausgleich statt Geldzuschlägen Mit Verkürzungen der tariflichen Arbeitszeit und einer Ausweitung der Teilzeitarbeit sind die beschäftigungspolitischen Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung längst nicht ausgereizt. Erhebliche Beschäftigungseffekte läßt die (teilweise) UmWandlung der für besondere Arbeitszeiten gezahlten Geldzuschläge in Freizeitausgleich erwarten. Bislang werden gesundheitlich belastende und/oder die Teilhabe am sozialen sowie familialen Leben einschränkende Arbeitszeiten wie die Nacht-und Wochenendarbeit in aller Regel mit Geldzuschlägen abgegolten. Dies ist sowohl aus humanisierungs-als auch aus beschäftigungspolitischer Sicht eine eher suboptimale Lösung. Für das Prinzip des Freizeitausgleichs sprechen neben sozialpolitischen Gründen vor allem erhebliche Beschäftigungseffekte. Würde man die für Nacht-und Wochenendarbeit geleisteten Geldzuschläge vollständig in einen entsprechenden Freizeitausgleich umwandeln, dann würde sich dadurch die wöchentliche Arbeitszeit teilweise erheblich verringern. Rechnerisch entsteht für Westdeutschland ein Mehrbedarf von 600000 und für Ostdeutschland von etwa 140000 zusätzlichen Arbeitskräften, um das gegebene Ausmaß der Produktion und Dienstleistungen aufrechtzuerhalten. Bei den Geldzuschlägen kann man für die Feiertagsarbeit von den durchschnittlich höchsten Sätzen von etwa 138 Prozent, für Sonntagsarbeit von 62 Prozent und bei der Nachtarbeit von etwa bis 30 Prozent des Grundlohns ausgehen.
Für das Prinzip Freizeitausgleich spricht ferner das Argument der Kostenneutralität. Schließlich ist auch bei den Beschäftigten mit einer hohen Akzeptanz zu rechnen. Wie Umfragen für Westdeutschland zeigen, ist ein großer Teil der Beschäftigten mit Nacht-und Wochenendarbeit daran teressiert, entweder diese Arbeitszeiten völlig aufzugeben oder zumindest ihr Ausmaß deutlich zu verringern 20. Erste Regelungen auf der Basis des Freizeitausgleichs sind bereits in einzelnen Bereichen (z. B. rheinisch-westfälischer Steinkohlenbergbau) vereinbart und werden erfolgreich praktiziert.
IV. Durchsetzungsprobleme
Stärker dosierte Arbeitszeitverkürzungen sind nur bei einer doppelten Akzeptanz durchsetzbar: Die Bereitschaft der Beschäftigten, Einkommen gegen Freizeit zu tauschen, bedarf der tarifvertraglichen Zustimmung durch die Arbeitgeber. Dreh-und Angelpunkt sind dabei Kosten-und Einkommens-aspekte; Handlungsgröße ist der Verteilungsspielraum.
Die konjunkturell bedingte schwache Produktionsund Produktivitätsentwicklung hat den Verteilungsspielraum eingeengt. Entsprechend haben sich die Margen für Arbeitszeitverkürzungen und Lohnausgleich nach dem Muster der achtziger Jahre verringert. Allerdings kann sich die Situation bei einem Anspringen der Wirtschaftskonjunktur rasch ändern. Mit steigender Auslastung der Produktionskapazitäten ist mit erheblichen Produktivitätseffekten zu rechnen, die die Kosten-strukturen verbessern und den Verteilungsspielraum ausweiten. Um das wirtschaftliche Wachstum weder von der Angebotsseite durch einen zu starken Lohnkostenanstieg noch von der Nachfrage-seite durch eine zu schwache Einkommensentwicklung zu gefährden, sollte sich der Lohnausgleich im Rahmen des zur Verfügung stehenden Verteilungsspielraums bewegen. Unter diesen Vorzeichen ist bei stärker dosierten Arbeitszeitverkürzungen ein voller Lohnausgleich nicht erzielbar.
Vor allem in Wirtschaftszweigen mit unterdurchschnittlichem Lohnniveau und bei unteren Lohngruppen könnte es dann allerdings zu erheblichen Akzeptanzproblemen kommen, Einkommen gegen Freizeit zu tauschen. Am ehesten ist in von Massenentlassungen bedrohten Wirtschaftsbereichen bzw. Betrieben mit einer gewissen Präferenz für Arbeitszeitverkürzungen zu rechnen, wenn dadurch der Arbeitsplatz und die Möglichkeit, Einkommen zu erzielen, gesichert bleiben. Hierfür sprechen die erwähnten kräftigen Arbeitszeitverkürzungen bei VW, im Steinkohlenbergbau oder bei den Lehrern in Ostdeutschland. Offen ist jedoch, inwieweit Beschäftigte mit als sicher eingeschätzten Arbeitsplätzen ebenfalls bereit sind, aus Solidarität mit den Arbeitslosen auf Einkommens-anteile zu verzichten und statt dessen vermehrte Freizeit vorziehen. Offen ist aber auch, ob sich das Arbeitszeitmodell von VW auf Betriebe oder Wirtschaftszweige mit niedrigem Lohnniveau übertragen läßt. So ist zu berücksichtigen, daß sich vor der Arbeitszeitverkürzung die unterste Lohngruppe bei VW im Mittelfeld der gesamtwirtschaftlichen Einkommenspyramide bewegte. Etwa 35 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten liegen unter dem geringsten Einkommen bei VW.
Die Akzeptanzfrage hängt sicherlich auch davon ab, inwieweit es gelingt, soziale Härten beim Einkommen zu vermeiden. Hier bieten sich verschiedene Lösungen an: Erstens sind Härtefallklauseln nach dem Muster der Teilzeitregelungen in Ostdeutschland denkbar. Je nachdem, wie man die Kriterien hierfür definiert, würden sich auch die Beschäftigungseffekte von Arbeitszeitverkürzungen mindern. Hinzu kommt, daß differenzierteArbeitszeiten nicht überall praktikabel sind und vor allem dort arbeitszeitorganisatorische Probleme aufwerfen können, wo in Teamzusammenhängen gearbeitet wird, die eine synchrone Arbeitszeitgestaltung innerhalb von Arbeitsgruppen voraussetzen. Für diese Situationen ließen sich im Rahmen von Sonderschichten oder einer Art von Springerbesetzungen jedoch organisatorische Lösungen finden.
Einen zweiten Ansatz, die Kosten von Arbeitszeit-verkürzungen zu verringern und Spielraum für Lohnausgleich zu gewinnen, bietet die weitere Entkoppelung von Arbeits-und Betriebszeiten. Die dadurch erzielten Einsparungen bei den Kapitalkosten stünden für Lohnausgleich zur Verfügung. Um die weitere Entkoppelung von Arbeits-und Betriebszeiten wird man ohnehin nicht umhinkommen, da ansonsten in Betrieben mit gut ausgelasteter Produktionskapazität Neu-einstellungen infolge von Arbeitszeitverkürzungen nur erfolgen können, wenn zuvor in neue Arbeitsplätze investiert würde. Dadurch würden sich aber die Kostenstrukturen verschlechtern. In Betrieben mit rückläufiger Produktion und geplanten Entlassungen dürfte dagegen die Ausweitung der Betriebsnutzungszeiten nicht sinnvoll sein. Hier helfen Arbeitszeitverkürzungen, Sozialplanund Abfindungskosten für geplanten Personalabbau zu sparen. Diese mit Hilfe von Arbeitszeit-verkürzungen eingesparten Mittel ließen sich mit einer sozialen Staffelung für einen Lohnausgleich verwenden.
Einen dritten Weg, die Einkommensproblematik zu entschärfen, bieten Lohnkostensubventionen durch die Bundesanstalt für Arbeit zum Beispiel im Rahmen eines „Arbeitszeitverkürzungs-Ausfallgeldes“, wie es der Berliner Senat vorschlägt In Anlehnung an die Regelungen des Kurzarbeitergeldes sieht der Vorschlag vor, für durch Arbeitszeitverkürzungen verhinderte Entlassungen oder erfolgte Neueinstellungen einen Netto-lohnausgleich in Höhe von 45 Prozent des ausfallenden Lohnanteils für eine Dauer von bis zu drei Jahren zu leisten. Denkbar wäre ferner, die Höhe des Ausfallgeldes nach der Höhe des Einkommens zu staffeln und für untere Einkommensgruppen Lohnausgleich sicherzustellen.
Für ein derartiges finanzielles Engagement der Bundesanstalt für Arbeit gibt es Vorbilder. Sowohl im Rahmen des (1988 ausgelaufenen) Vorruhestandsgesetzes als auch der (bis 1992 befristeten) Regelungen des Teilvorruhestandes finanzierte die Bundesanstalt für Arbeit Zuschüsse zum Einkommen sowie zu den Sozialversicherungsbeiträgen.
Ein vierter Vorschlag schließlich ist, einen Teil der Arbeitszeitverkürzungen für berufliche Weiterbildung zu nutzen und zu deren Finanzierung Mittel von Betrieben und der Arbeitsmarktpolitik zu mischen. Damit könnte man nicht nur einen Teil des Lohnausgleichs finanzieren, sondern auch dazu beitragen, den dringend erforderlichen Strukturwandel zu beschleunigen, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und neue Wachstums-chancen zu erschließen. Das Arbeitsförderungsgesetz (AEG) schließt zwar die Förderung der beruflichen Weiterbildung von Beschäftigten aus, wenn deren Teilnahme überwiegend im Interesse des Betriebes, dem sie angehören, liegt (§ 43 Abs. 2 AFG). Von dieser im Grundsatz richtigen Einschränkung sollte aber für einen gewissen Zeitraum abgesehen werden. Kriterium der Förderung könnte dann ein gewisses Mindestausmaß der Arbeitszeitverkürzung sein (z. B. mehr als 10 Prozent). Ferner könnte man die Weiterbildungsförderung an Beschäftigungsgarantien (für einen bestimmten Zeitraum) knüpfen.
V. Fazit
In den verschiedenen Varianten der Arbeitszeit-verkürzung stecken erhebliche Beschäftigungspotentiale. Dabei wird man sicherlich nicht sämtliche Formen gleichzeitig realisieren können. Sie ergänzen sich nur zum Teil, teilweise stehen sie eher in einem substitutiven Verhältnis zueinander. Je stärker z. B. die tarifliche Arbeitszeit verkürzt wird, desto mehr Wünsche nach Teilzeitarbeit gehen damit indirekt auch in Erfüllung. Entsprechend geringer fällt das zu erwartende Beschäftigungspotential der Teilzeitarbeit aus. Unrealistisch dürfte es ferner wegen der damit verbundenen Einkommensverluste sein, in Wirtschaftszweigen mit hohem Anteil an Nacht-und Wochenendarbeit sowohl die Geldzuschläge in entsprechenden Freizeitausgleich umzuwandeln als auch gleichzeitig kräftig dosierte tarifliche Wochenarbeitszeitverkürzungen anzustreben. Angesichts der je nach Wirtschaftsbranche differenzierten arbeitszeitpolitischen Ausgangs-und Handlungsbedingungen empfiehlt es sich, branchenadäquate Arbeitszeitpakete zu schnüren, die jeweils unterschiedliche Arbeitszeitkomponenten enthalten können. Kernelement sollte dabei freilieh die Wochenarbeitszeit sein. Um die prekäre Arbeitsmarktlage zu entschärfen, sind größere Schritte auf breiter Ebene erforderlich. Dabei könnten die vereinbarten Arbeitszeitverkürzungen Revisionsklauseln enthalten, die schrittweise eine Rückkehr zu längeren Arbeitszeiten zulassen, wenn bestimmte Margen der Arbeitslosigkeit unterschritten werden.
Wenn es zutrifft, daß die Herstellung der Vollbeschäftigung bei allen gesellschaftlichen Gruppen einen hohen Stellenwert genießt, dann dürften stärker dosierte Arbeitszeitverkürzungen unter den diskutierten Bedingungen der Verteilungsund Kostenneutralität, angereichert durch Revisionsmöglichkeiten und Härtefallklauseln sowie eine sozialverträgliche Flexibilisierung der Arbeitszeit, im Grundsatz unstrittig sein. Entscheidend für forcierte Arbeitszeitverkürzungen ist unter diesen Vorzeichen die Frage, ob sich die Beschäftigten in einer prekären Arbeitsmarktlage auf beschäftigungspolitische Ziele einigen können und zumindest vorübergehend der solidarischen Umverteilung der Arbeitszeit einen höheren Stellenwert einzuräumen bereit sind. Sollte sich in dieser Frage Konsens erzielen lassen, dann müßten sich auch Wege finden, bestehende Tarifvereinbarungen über die Dauer der Arbeitszeit vorzeitig zugunsten von Arbeitslosen, zugunsten von sozialer Sicherung und politischer Stabilität neu zu regeln. Mögliche Blockaden ließen sich durch öffentliche Finanzhilfen beiseite räumen. Voraussetzung ist nur, daß sich der Staat nicht an den durch Arbeitszeitverkürzungen eingesparten Mitteln zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit bereichert, sondern diese beschäftigungssteigernd einsetzt.