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Sozialpädagogische Einrichtungen und Dienste der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern. Veränderte Strukturen, Zielsetzungen und Aufgaben am Beispiel Sachsen | APuZ 3/1994 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 3/1994 Problemgruppen der Sozialpolitik im vereinten Deutschland Die Einrichtungen des Gesundheits-und Sozialwesens in der DDR und in den neuen Bundesländern Strukturen und Einrichtungen der Rehabilitation in der DDR und in den neuen Bundesländern Sozialpädagogische Einrichtungen und Dienste der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern. Veränderte Strukturen, Zielsetzungen und Aufgaben am Beispiel Sachsen

Sozialpädagogische Einrichtungen und Dienste der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern. Veränderte Strukturen, Zielsetzungen und Aufgaben am Beispiel Sachsen

Albin Nees

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Zusammenfassung

Die politisch-ideologischen und ökonomischen Fundamente des Staatssozialismus der DDR waren nach vier Jahrzehnten verbraucht. Im Zuge der Öffnung des Eisernen Vorhangs konnte die DDR als eigenständiger Staat nicht länger existieren. Ein Großteil der Menschen, insbesondere junge, gut ausgebildete Menschen, kehrten dem DDR-Sozialismus den Rücken. Seit der politischen Wende erleben die Bürger in Ostdeutschland einen tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Wandel. Sie erfahren, daß die alten Fundamente nicht tragfähig gewesen sind und deshalb durch neue ersetzt werden müssen. Von dieser Umbruchphase sind Kinder und Jugendliche in besonderer Weise erfaßt. Sie nehmen wahr, wie alte Werte und eine alte Ordnung zusammenbrechen und neue Orientierungsmuster nur langsam erkennbar werden. In dieser Situation wird mit dem Achten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII), in dem die gesetzlichen Regelungen zur Kinder-und Jugendhilfe zusammengefaßt sind, auch ein verbindlicher Rahmen zur Gestaltung der Kinder-und Jugendhilfe in Ostdeutschland grundgelegt. Danach ist es Aufgabe der Bundesländer, nach den Prinzipien Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Selbstverwaltung eine freie und eine öffentliche Jugendhilfe aufzubauen. Die Jugendhilfe nach SGB VIII dient dazu, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung zu beraten und zu unterstützen, junge Menschen vor Gefahr für ihr Wohl zu schützen und positive Lebensbedingungen aufzubauen. Jugendhilfe hat grundsätzlich einen subsidiären Charakter und soll die Erziehung in der Familie ergänzen und unterstützen. In Sachsen konnte in den ersten drei Jahren nach Wiedererrichtung des Freistaates ein differenziertes Netz sozialpädagogischer Einrichtungen und Dienste aufgebaut werden. Dabei war zu unterscheiden zwischen bereits vorhandenen Einrichtungen, die eine inhaltliche und organisatorische Umorientierung erfuhren, und solchen Diensten, die völlig neu aufgebaut werden mußten. Außerdem war auch eine personelle Erneuerung erforderlich, die bis heute noch nicht ganz abgeschlossen ist. Daß es in dieser Phase des Umbruchs und Umbaus Unsicherheiten gab und teilweise immer noch gibt, konnte nicht ausbleiben.

I. Von den alten zu den neuen Fundamenten

Zeit des Übergangs „Die Gestaltung des Übergangs“ ist eines der beherrschenden Themen der Politik in den neuen Ländern seit ihrer Errichtung vor drei Jahren. Dabei geht es -um den Übergang von einem zentralistisch gesteuerten Einheitsstaat in ein föderativ gegliedertes, die kommunale Selbstverwaltung garantierendes Staatswesen; -um den Übergang vom Einparteiensystem mit Meinungsmonopol und verordneten Denk-und Sprachmustern hin zu Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt, Parteienvielfalt, Pluralität; -um den Übergang von einer zentral dirigierten sozialistischen Kommandowirtschaft in eine freie und soziale Marktwirtschaft. Die Reihe der Beispiele von Übergangssituationen Heße sich fortsetzen. Besonders im Bereich der Sozialpolitik spielt dieses „Sich-im-Übergang-Befinden“ eine beherrschende Rolle, denn es gilt, den Übergang für die Menschen verträglich zu gestalten. Auch die Jugendhilfepolitik befindet sich in einem tiefgreifenden Übergang. Die Situation läßt sich am Bild eines Haus veranschaulichen, dessen alte Fundamente nicht mehr tragen. Deshalb muß das Haus zunächst abgestützt und dann mit neuen, tragfähigen Fundamenten ausgestattet werden. Oberste Erziehungsziele und erste Erziehungsträger in der DDR und in der Bundesrepublik Die qualitativen Unterschiede zwischen dem alten und dem neuen Fundament sollen anhand eines Vergleichs grundlegender jugendpolitischer Bestimmungen aus dem Jugendgesetz der DDR 1 mit jenen aus dem Achten Buch des Sozialgesetzbu-ches (SGB VIII) 2 erläutert werden: Nach dem Jugendgesetz der DDR war es bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft die vorrangige Aufgabe, „alle jungen Menschen zu Staatsbürgern zu erziehen, die den Ideen des Sozialismus treu ergeben sind, als Patrioten und Internationalisten denken und handeln, den Sozialismus stärken und gegen alle Feinde zuverlässig schützen. Die Jugend selbst trägt hohe Veranwortung für ihre Entwicklung zu sozialistischen Persönlichkeiten“ (§ 1, 1).

Nach diesem Verständnis diente Jugendpolitik vorrangig dem Zweck, die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu gestalten und in diesem Kontext alle jungen Menschen zu Staatsbürgern zu erziehen, die dem Sozialismus treu ergeben sind. Demnach ging es vorrangig um die Weiterentwicklung des Sozialismus, nicht aber um die Förderung des einzelnen jungen Menschen.

Die DDR hatte nicht nur als oberstes Erziehungsziel die „sozialistische Persönlichkeit“ vorgegeben, sondern zugleich die Staatsmacht zum obersten Erziehungsträger bestimmt. Die Entwicklung der „sozialistischen Persönlichkeit“ war „Bestandteil der Staatspolitik... und der gesamten Tätigkeit der Staatsmacht“ (§ 2, 1). Der zweite Erziehungsträger war die Arbeiterklasse, für die es „Ehre und Pflicht“ war, „die heranwachsende Generation sozialistisch zu erziehen“ (§ 2, 2). Die Eltern wurden erst an dritter Stelle genannt. Sie trugen „gegenüber der Gesellschaft große Verantwortung für die sozialistische Erziehung ihrer Kinder, für ihre geistige, moralische, körperliche Entwicklung, für ihre Vorbereitung auf die Arbeit und das Leben im Sozialismus...“ (§ 2, Dieser Sicht entsprach, daß die elterliche Erziehungspflicht und die sozialistische Grundrichtung der Erziehung vom staatlichen Auftrag abhängig waren. Das Elternrecht als Grundrecht hatte in diesem Verständnis keinen Platz 3. SGB VIII formuliert demgegenüber: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1, 1). Im Mittelpunkt des SGB VIII steht damit der einzelne junge Mensch. Er hat das Recht auf umfassende Förderung und Entwicklung. Eine bestimmte Grundrichtung der Erziehung wird nicht vorgegeben, da dies weder Sache des Gesetz-gebers noch des Staates ist. Vielmehr besteht die Aufgabe des Staates darin, ein der Menschenwürde und der Demokratie entsprechendes Menschenbild vorzuzeichnen. Innerhalb dieses Rahmens bestimmen der einzelne junge Mensch bzw. die Erziehungsberechtigten als seine Treuhänder die ihrer wertemäßigen oder weltanschaulichen Überzeugung entsprechende Grundrichtung der Erziehung und gestalten sie demgemäß aus.

Nach Artikel 6, 2 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Jugendhilfe soll unter Beachtung dieses Grundsatzes subsidiär dazu beitragen, daß junge Menschen in ihrer Entwicklung und Erziehung gefördert werden und daß Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei dieser Aufgabe die notwendige unterstützende Hilfe erhalten (§ 1, 3 SGB VIII). Für die Jugendhilfe in den neuen Bundesländern stellt diese grundlegend andere Sichtweise gerade in der Zeit des Über-gangs ein beachtliches Problem dar. Die neuen und die neu auszurichtenden sozialpädagogischen Einrichtungen und Dienste müssen die damit verbundenen Schwierigkeiten in besonderer Weise beachten.

II. Situation der Einrichtungen und Dienste für Kinder und Jugendliche zum Zeitpunkt der Wende im Herbst 1989

1. Struktur des Sozial-und Gesundheitswesens in der DDR

Das Sozial-und Gesundheitswesen der DDR befand sich ganz überwiegend in der Hand des Staates. Soziale Angebote waren größtenteils zentral gesteuert und wurden zentral aus der Staatskasse finanziert. Das galt grundsätzlich auch für die meisten Einrichtungen und Dienste in nichtstaatlicher Trägerschaft. Die DDR mit ihrer sozialistischen Staatsideologie gestand freien -also vom Staat in ihrer Aufgabenstellung und Zielsetzung unabhängigen -Kräften nur einen äußerst bescheidenen Spielraum zu. Es gehörte zum (überheblichen) Selbstverständnis der DDR, daß der Staat alles selbst perfekt zu regeln und zu organisieren habe. 2. Situation freier Träger in der DDR Wohlwollende Duldung oder finanzielle Förderung konnten im SED-Staat jedenfalls solche Träger nicht erwarten, die auf einer gewissen Selbständigkeit im Denken und Tun beharrten. Konfessionelle Träger hatten es schwer. Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege konnten in der DDR vor der Wende nicht tätig werden. Diakonie und Caritas haben in einem beachtenswerten Rahmen ihren Dienst getan -aber nicht als freie Wohlfahrtsverbände, sondern lediglich als für Sozialarbeit zuständige Stellen der Kirchen. Die kirchlichen Einrichtungen, die im Erziehungs-, Sozial-oder Gesundheitsdienst tätig waren, wurden vorbildlich geführt und von der Bevölkerung bevorzugt angenommen 3. Kinderkrippen, Kindergären und Schulhorte in der DDR Um die sozialistische Erziehung der Kinder zu gewährleisten, legte die DDR-Führung großen Wert darauf, daß die Kinder vom frühestmöglichen Zeitpunkt an eine institutionalisierte ganztägige Erziehung erhielten. Diese Zielsetzung deckte sich mit einer anderen Grundidee der Politik der DDR, nämlich der, die Frauen und Mütter vollständig in den wirtschaftlichen Produktionsprozeß mit einzubeziehen. Auch mit mehreren Kindern sollten sie dort eingebunden bleiben. Schon aus praktischen Gründen mußte von daher die Erziehung der Kinder von klein auf in großem Umfang Institutionen übertragen werden. Für diese Aufgabe kamen staatliche und betriebliche Kindereinrichtungen in Frage, weil diese am ehesten die Gewähr für eine sozialistische Erziehung boten.

Die DDR sorgte für ein flächendeckendes Angebot an Kinderkrippen, Kindergärten und Schulhorten. Im Gebiet des heutigen Sachsen waren 1989 72 Prozent aller Kinder im Alter von einem und zwei Jahren in einer Kinderkrippe und 95 Prozent aller Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Eintritt in die Schule in einem Kindergarten unter-gebracht In den kirchlichen Kindereinrichtungen (Caritas und Diakonie) gab es 1988 insgesamt 500 Krippenplätze und über 20000 Kindergarten-und Hortplätze Diese Einrichtungen leisteten einen höchst wirksamen Dienst sowohl unmittelbar an den ihnen anvertrauten Kindern als auch mittelbar an vielen Menschen in Kirche und Gesellschaft. Sie hielten das Bewußtsein wach, daß es auch andere Wertorientierungen in der Erziehung als die sozialistische geben kann. Die kirchlichen Kinder-einrichtungen wurden lediglich aus übergeordneten politischen, aber keineswegs aus pädagogischen Gründen toleriert. Sie erhielten auch keine staatliche Förderung. 4. Heimerziehungin der DDR Heimerziehung in der DDR diente wie alle offiziellen Erziehungsmaßnahmen dazu, durch konsequente sozialistische Erziehung die „sozialistische Persönlichkeit“ heranzubilden Aus diesem Zusammenhang heraus ergab sich, daß Heimerziehung für diejenigen jungen Menschen in Frage kommen konnte -und nicht selten auch angeordnet wurde -, die sich einer sozialistischen Erziehung in Elternhaus und Schule widersetzten. Heimerziehung war in der DDR demnach nicht ausschließlich Ultima ratio für entwicklungs-und verhaltensgestörte junge Menschen auf dem Weg zu einer im Rahmen des Möglichen gesunden Persönlichkeitsentwicklung. Sie wurde vielmehr auch dazu mißbraucht, Kinder und Jugendliche massiv politisch-ideologisch zu indoktrinieren. In diesem Zusammenhang sind auch die Jugendwerkhöfe zu nennen, die besonders schwierige junge Menschen aufnahmen, bei denen „normale“ Heimerziehung nicht erfolgreich war

Jährlich wurden etwa 1200 Kinder und Jugendliche in Heime der Jugendhilfe eingewiesen Im Jahre 1990 waren 23 000 Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen untergebracht, davon 17 000 wegen Vernachlässigung. Die Einweisungspraxis in Heime sowie die Heimstruktur in der DDR wurden in einem Ministeriumsbericht aus dem Jahre 1990 als „stur, die Entwicklung beeinträchtigend“ bezeichnet. Geschwister wurden getrennt untergebracht, und die Elternnähe wurde nicht berücksichtigt. „Heime wurden unter vorrangig ökonomischer Sicht geführt, waren deshalb zu groß und beruhten zum Teil nur auf Anpassungs-und Disziplinerziehung.“ Etwa 70 Prozent der Kinder in Heimen stammten aus unvollständigen Familien; diese Kinder waren entweder unehelich geboren oder Scheidungswaisen. 5. Sonstige Angebote für die Jugend Alle Kinder-und Jugendfreizeitangebote -mit Ausnahme der Angebote der Kirchen -waren letztlich durch den zentralistisch geführten Staat gesteuert. Im Freizeitbereich gab es keine Angebotsvielfalt, sondern für die sechs-bis zehnjährigen Kinder die „Jungen Pioniere“, für die zehn-bis vierzehnjährigen Kinder die „Thälmann-Pioniere“ und für die über vierzehnjährigen jungen Menschen die „FDJ“. Innerhalb dieser Massenorganisationen gab es Freizeitangebote, die sich sowohl auf den schulischen als auch auf den außerschulischen Bereich bezogen. Fast jedes Kind und fast jeder Jugendliche durchlief auf diese Weise neben Schule und Berufsausbildung „ein paralleles Erziehungssystem“ Die verschiedenen Freizeitangebote, wie „Feriengestaltung“ und „sozialistische Wehrerziehung“, gehörten ebenfalls dazu. Die organisatorische Erfassung der jungen Menschen in diesen Bereichen war zudem ein „Instrument politischer Kontrolle“

III. Umbau der Jugendhilfe in Ostdeutschland nach der deutschen Vereinigung

1. Orientierungsvakuum in der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs Junge Menschen sind in ganz besonderer Weise von den enormen gesellschaftlichen Umbrüchen betroffen, die unser Land derzeit prägen. Jugendhilfe hat sich der wichtigen Aufgabe zu stellen, das weit verbreitete Orientierungsvakuum zu überwinden und positive Lebensperspektiven für junge Menschen zu entwickeln. Damit trägt Jugendhilfeauch entscheidend zur Erneuerung der Gesellschaft insgesamt bei. Kinder, Jugendliche, Eltern und Erzieher werden heute mit einer Vielfalt von Ideen, Wertvorstellungen, Erziehungszielen und -modellen konfrontiert. Damit eröffnen sich einerseits neue Lebensperspektiven; andererseits wächst die Gefahr, sich in der Fülle der Angebote zu verlieren, sich auf falsche und verführerische Angebote einzulassen und nach Enttäuschungen zu resignieren oder gar in Extremismus oder Radikalismus Zuflucht zu suchen. Notwendig ist es deshalb, Kinder, Jugendliche, Eltern und Erzieher zu befähigen, aus der Fülle der Angebote auszuwählen, sich in eigener Verantwortung für Werte und Ziele zu entscheiden und sich für diese zu engagieren.

Besonders junge Menschen empfinden, daß sich ihre Lebenssituation in kürzester Zeit völlig verändert hat. Ihnen ist vieles in ihrem Leben fremd geworden, die alten Werte sind nicht mehr gültig und neue noch nicht gefunden. Dieses Orientierungsvakuum ist nicht nur bei jungen Menschen feststellbar. Auch Erwachsene suchen nach verbindlichen Mustern. Eltern und Erzieher stellen die Frage nach den richtigen Erziehungswerten. In dieser Situation hat Jugendhilfe eine unersetzliche Bedeutung. 2. Veränderungen der Jugendhilfestrukturen durch Einführung des Sozialgesetzbuchs (SGB) VIII Mit der deutschen Vereinigung am 3. Oktober 1990 trat das Kinder-und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) im Beitrittsgebiet in Kraft -bereits drei Monate früher als in der alten Bundesrepublik. Damit lag nun ein gesetzlicher Rahmen für den Aufbau einer modernen Jugendhilfe vor. Diese ist getragen von den Prinzipien Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Selbstverwaltung. Auf dieser Grundlage konnten die gerade im Aufbau befindlichen neuen Bundesländer ihre Strukturen errichten, um die künftigen Aufgaben und Dienste im Bereich der Jugendhilfe sachgerecht im Interesse der Betroffenen erfüllen zu können -Der Aufbau eines pluralen Leistungsangebots mußte begonnen werden. Dazu war es erforderlich, potentielle freie Träger anzusprechen und zur Übernahme von Verantwortung in der Jugendhilfe zu motivieren. -Eine eigenständige öffentliche Jugendhilfe mußte errichtet werden.

-Es galt, den Prozeß einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen und der freien Jugendhilfe in Gang zu setzen und zu begleiten.

-Das Subsidiaritätsprinzip mußte in seiner Bedeutung für die Jugendhilfe schrittweise erlernt und angewendet werden.

-Der weite Bereich der Erziehungsverantwortung der Eltern mußte verstärkt in den Blick genommen werden. Eltern mußten und müssen erst damit vertraut gemacht werden, daß das Elternrecht ein Grundrecht ist und daß sie dementsprechend die Grundrichtung der Erziehung ihrer Kinder bestimmen. Eltern mußten und müssen ferner darüber informiert werden, daß sie Anspruch auf Unterstützung in allen Fragen der Erziehung durch die Jugendhilfe haben, sofern sie dies wünschen. Dem entspricht, daß die Eltern zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger wählen können, sofern ein plurales Angebot vorhanden ist.

-Ferner war es notwendig, Landesausführungsgesetze zum SGB VIII zu erlassen.

Was in der alten Bundesrepublik in einer langen Tradition seit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1992 schrittweise gewachsen ist und 1990 zum Kinder-und Jugendhilfegesetz geführt hat, mußte in den neuen Bundesländern fast über Nacht angeeignet werden. Daß es bei diesen grundlegenden strukturellen Veränderungen viele Unsicherheiten gegeben hat und daß es sie teilweise immer noch gibt, ist ein typisches Merkmal einer einschneidenden und tiefgreifenden Umbauphase 3. Aufbauhilfen durch freie Verbände und durch den Bund Die neuen Länder hätten unmöglich die notwendigen Jugendhilfestrukturen und vielfältigen sozialpädagogischen Einrichtungen und Dienste ohne die engagierte Hilfe zahlreicher bundeszentraler Verbände aufbauen können. Gerade die vielen freien Verbände, Gruppen und Initiativen haben wirksam dazu beigetragen -und tun es immer noch -, daß eine lebendige Jugendhilfe in den neuen Bundesländern aufgebaut werden kann. Ein besonderes Verdienst kommt dabei den Spitzen-verbänden der freien Wohlfahrtspflege zu. Caritas und Diakonie hatten insofern einen Startvorteil,als sie auf gewachsenen kirchlichen Strukturen in der DDR aufbauen konnten

Die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege haben sich -wie in den alten Bundesländern -auch in jedem neuen Bundesland zur Liga der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen. Neben diesen Verbänden haben zahlreiche Jugendorganisationen sich in den neuen Bundesländern niedergelassen, um die Arbeit der Jugendhilfe mitzugestalten. Bei diesem Aufbauprozeß hat das Bundesministerium für Frauen und Jugend durch ein gezieltes Förderprogramm wirksame Hilfe geleistet und leistet sie immer noch Das Programm dient dem Zweck, freie Träger und Initiativen zu motivieren und zu unterstützen, ihre selbstgewählten Aufgaben im weiten Feld der Jugendhilfe zu beginnen bzw. unter nun rechtsstaatlichen Bedingungen verbessert weiterzuführen. Viele dieser neuen Gruppen und Initiativen hätten ohne entsprechende Förderhilfen kaum eine Chance, sich mit ihrem Angebot in den neuen Bundesländern zu etablieren. Die Fördermittel des Bundes dienen deshalb unmittelbar der Sicherstellung einer Angebotsvielfalt in der Jugendhilfe

IV. Sozialpädagogische Einrichtungen und Dienste in Sachsen

Im Freistaat Sachsen ist die Zuständigkeit für den Kinder-und Jugendhilfebereich nach SGB VIII auf zwei oberste Landesjugendbehörden aufgeteilt. Für den Bereich Jugendarbeit (§ 11) und Jugendverbandsarbeit (§ 12) ist das Sächsische Staatsministerium für Kultus (SMK) verantwortlich, in allen übrigen Angelegenheiten das Sächsische Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Familie (SMS). Die vordringlichen Aufgaben beim Neubeginn der Kinder-und Jugendhilfe im Freistaat Sachsen waren und sind die folgenden: -Aufbau demokratischer Jugendhilfestrukturen mit kommunalen Jugendämtern und mit öffentlichen und freien Trägem der Jugendhilfe;

-Gewinnung, Ausbildung und Fortbildung geeigneter Mitarbeiter für Behörden und Einrichtungen der Kinder-und Jugendhilfe;

-finanzielle Sicherung der notwendigen Einrichtungen und Dienste durch neue gesetzliche Grundlagen sowie durch staatliche und kommunale Förderung;

-inhaltliche Umgestaltung der Kinder-und Jugendhilfe in allen Bereichen entsprechend den Maßstäben und Grundwerten einer demokratisch verfaßten Gesellschaft und entsprechend der besonderen Situation des gesellschaftlichen Umbruchs im Freistaat Sachsen. 1. Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieherischer Kinder-und Jugendschutz SGB VIII bietet in den Bereichen Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und erzieherischer Kinder-und Jugendschutz vielfältige Möglichkeiten der Hilfe-leistung an. Diese sind in den letzten drei Jahren seit der Wiedererrichtung des Freistaates Sachsen durch freie und öffentliche Träger in unterschiedlicher Weise auf-und ausgebaut worden. Vieles ist im Rahmen dieses Erneuerungsprozesses bereits geschehen; der Umbau ist aber noch nicht ganz abgeschlossen.

Jugendarbeit im Freistaat Sachsen wird als offene Jugendarbeit und als Jugendverbandsarbeit gefördert. Hierzu gehören vielfältige Angebote der Jugendbildung, Jugendbegegnungen und Jugendaustausch.

Der erste Landesjugendplan des Freistaates Sachsen ist im November 1992 vom Kabinett verabschiedet worden. Er nennt die jugendpolitischen Ziele der Staatsregierung und beschreibt Jugendarbeit und Jugendpolitik als wichtigen Ausschnitt der Kultur des Freistaates. Der Landesjugendplan geht vom Subsidiaritätsprinzip als einem Handlungsprinzip aus, das den einzelnen und die kleinen Lebenskreise stärkt. Er fördert die Eigeninitiative von Gruppen, Vereinen und Verbänden von und mit jungen Menschen und unterstützt vielfältige Leistungen und Maßnahmen, die dem Wohl der Kinder, Jugendlichen und Familien dienen.

Jugendsozialarbeit ist in Sachsen auf Jugendberufshilfe und auf gemeinwesenorientierte mobile Kinder-und Jugendsozialarbeit konzentriert. Maßnahmen der Jugendberufshilfe umfassen Jugendberatungs-, Ausbildungs-und Beschäftigungsangebote zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchti-B gungen. Die inzwischen zwanzig Jugendberatungsstellen im Freistaat haben die Aufgabe, vielfältige Aktivitäten von verschiedenen Institutionen vor Ort zu koordinieren. Ihr Ziel ist es, die jungen Menschen in ihren Berufschancen zu fördern und ihnen dadurch Orientierungs-und Lebenshilfen zu vermitteln. Gemeinwesenorientierte mobile Kinder-und Jugendsozialarbeit hat die Aufgabe, durch gezielte regionale Projekte jene Kinder und Jugendlichen zu erreichen, zu denen die institutionelle Jugendhilfe kaum Zugang findet, für die aber eine offene sozialpädagogische Begleitung wichtig ist.

Die Sächsische Staatsregierung mißt dem erzieherischen Kinder-und Jugendschutz besondere Bedeutung bei. Aus diesem Grunde sind in Sachsen zwei interministerielle Arbeitsgruppen eingerichtet worden, um genauere Informationen über bestimmte Arten von Gefährdung zu erschließen und wirkungsvollere Möglichkeiten einsetzen zu können, ihnen entgegenzuwirken. Eine Arbeitsgruppe befaßt sich mit der Gefährdung durch Alkohol und Drogen, eine andere mit der Manipulation durch Sekten und Okkultismus-Bewegungen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Arbeit gegen Gefährdungen durch Video-und Fernsehkonsum. Ein anderer Schwerpunkt zielt auf eine verantwortungsbewußte Aufklärung im Bereich der Sexual-beratung, die die AIDS-Gefahr mit einbezieht. Das Sächsische Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Familie hat zum Jahr 1993 einen Schüler-Kalender zum Thema AIDS herausgegeben, um mit Hilfe dieses Mediums über die Infektionskrankheit AIDS zu informieren.

Kinder-und Jugendschutz hat sich in Sachsen inzwischen zu einem eigenständigen sozialpädagogischen Aufgabenfeld entwickelt. Aber der Kinder-und Jugendschutz kann nicht allein durch die Träger der Jugendhilfe wirksam werden, sondern bedarf „einer konzertierten Aktion von Staat, Gesellschaft, Verbänden, Kirchen, Gewerkschaften, Städten und Gemeinden... Erst wenn der einzelne Bürger den Schutzgedanken akzeptiert und fördert, kann er eine relevante Größe erreichen.“

Diesem Ziel dienen die Bemühungen der Sächsischen Staatsregierung. 2. Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege Seit Errichtung der neuen Bundesländer im Herbst 1990 geht es im Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder sowohl um eine strukturelle Neuordnung als auch um einen bedarfsgerechten Umbau des Förderangebotes Zunächst wurden alle ehemals staatlichen Kindereinrichtungen in kommunale Trägerschaft überführt. Entsprechend den Vorgaben aus SGB VIII sind die Kommunen gehalten, -ein bedarfsgerechtes Angebot sicherzustellen, -Träger der freien Jugendhilfe zur Übernahme von Einrichtungen zu motivieren, -die von den Eltern vorgegebene Grundrichtung der Erziehung zu beachten und -dem Wunsch-und Wahlrecht der Eltern hinsichtlich des Angebotes so weit wie möglich zu entsprechen.

Tageseinrichtungen für Kinder sind heute sozialpädagogisch orientiert und erfüllen einen familien-ergänzenden und familienunterstützenden Bildungs-, Erziehungs-und Betreuungsauftrag. Ein bedarfsgerechtes Angebot sicherzustellen ist heute Pflichtaufgabe der öffentlichen Jugendhilfe auf kommunaler Ebene. Die notwendigen landes-rechtlichen Regelungen in Sachsen sind für Krippe und Kindergarten bereits seit 1991 durch das Sächsische Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder gegeben. Vor dem Hintergrund des traditionell sehr hohen Versorgungsgrades im Kindergarten-bereich hat Sachsen als erstes Bundesland einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gesetzlich festgeschrieben. Für den Krippen-und Hortbereich gilt die Vorhaltepflicht der kommunalen Jugendhilfe.

Die konzeptionelle Umgestaltung des Förderangebots zielt darauf ab, eine plurale Trägerstruktur zu erreichen, auf der von den Eltern bestimmten Grundrichtung der Erziehung aufzubauen, familienbegleitende Hilfen einzubeziehen, die Erziehungberechtigten zur aktiven Zusammenarbeit mit der Tageseinrichtung zu ermutigen und situationsorientiertes Arbeiten in der altersgemischten Kindergruppe zu verwirklichen. Der Aufbau einer wirklich pluralen Trägerstruktur in den Tageseinrichtungen für Kinder bereitet in Sachsen noch einige Schwierigkeiten. Mehr Pluralität ist hier fast ausschließlich dadurch zu erreichen, daß die kommunale Jugendhilfe geeignete Träger findet, die zur Übernahme vorhandener kommunaler Ein- richtungen bereit sind. Daß es in diesem Bereich große Umstellungsprobleme gegeben hat und teilweise bis heute gibt, liegt nahe. So war es nur schrittweise möglich, die Jugendämter und Kinder-einrichtungen mit Fachpersonal so zu besetzen, daß entsprechend den Vorgaben aus SGB VIII auch tatsächlich im Sinne moderner Jugendhilfe gearbeitet werden kann. Für das Fachpersonal in den Tageseinrichtungen wurden und werden immer noch von verschiedenen Trägern 100-bzw. 200-Stunden-Nachqualifizierungskurse angeboten.

Tagespflege kann in bestimmten Fällen als Alternative zur Tageseinrichtung, insbesondere in den frühen Lebensjahren, angesehen werden. Pädagogisch wird sich in Zukunft zu erweisen haben, ob durch die Tagespflege im Vergleich zur Krippen-erziehung eine größere Familiennähe gewährleistet werden kann. Insbesondere im ländlichen Raum scheint sich die Tagespflege sich als zusätzliches Betreuungsangebot einen Platz zu sichern. Die berechtigte Frage nach der fachlichen und menschlichen Qualifikation der Tagespflegepersonen muß durch eine solide Ausbildung bzw. Vorbereitung als Hinführung auf diesen Dienst in absehbarer Zukunft verantwortlich gelöst werden. 3. Hilfe zur Erziehung In den neuen Bundesländern gehören die Hilfen zur Erziehung bis auf die Heimerziehung erst ab 1. Januar 1995 zu den kommunalen Aufgaben Bis dahin können Mittel der Arbeitsverwaltung dazu genutzt werden, mit Hilfe von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) diese in der DDR nicht bekannten Dienste aufzubauen a) Erziehungsberatung Die Erziehungsberatung konnte inzwischen so weit aufgebaut werden, daß im Freistaat Sachsen heute 59 Erziehungsberatungsstellen, davon 29 in freier Trägerschaft, tätig sind. Darin eingeschlossen sind jene Beratungsstellen, die neben anderen Aufgaben auch Erziehungsberatung durchführen. Rein rechnerisch ist damit -bei einem Versorgungsschlüssel von 1: 100000 -ein flächendeckendes Netz zur Erziehungsberatung aufgebaut. Die Erziehungsberatungsstellen sind meist mit zwei Mit-arbeitem besetzt, die bis heute teilweise über ABM finanziert werden. Wünschenswert wäre, wenn eine Erziehungsberatungsstelle mit einem Psychologen, einem Sozialpädagogen und einer Verwaltungskraft besetzt werden könnte. Vor allem wegen mancher Finanzierungsprobleme kann dies aber bislang noch nicht in allen Stellen verwirklicht werden. Inzwischen hat sich eine Landes-arbeitsgemeinschaft Erziehungsberatung gebildet, die dem fachlichen und inhaltlichen Austausch dient und Perspektiven für die Zukunft der Erziehungsberatung entwickelt. b) Sozialpädagogische Familienhilfe Die sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) ist nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in den alten Bundesländern eine relativ junge Form der erzieherischen Hilfeleistung. Sie soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben sowie bei der Bewältigung vonAlltagsproblemen, Konflikten und Krisen Hilfe zur Selbsthilfe geben. Sie ist auf längere Dauer angelegt und geht von der Mitarbeit der Familienmitglieder aus. Sozialpädagogische Familienhilfe dient vor allem dazu, durch die kontinuierliche Begleitung einer sozialpädagogischen Fachkraft Kinder möglichst in ihrer gefährdeten Familie zu belassen und ihnen zu helfen, die Krise zu überwinden Im Freistaat ist die sozialpädagogische Familienhilfe inzwischen in fast allen kreis-freien Städten und Landkreisen aufgebaut. Etwa 85 Prozent dieser Dienste sind in der Verantwortung freier Träger. Ungefähr 200 Helfer betreuen heute 1500 Kinder und Jugendliche. Sozialpädagogische Familienhilfe wird bislang zumeist über ABM oder § 249h des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) finanziert. c) Erziehung in einer Tagesgruppe Hilfe zur Erziehung in einer Tagesgruppe soll die Entwicklung des jungen Menschen durch soziales Lernen in der Gruppe, durch Begleitung der schulischen Förderung und durch Elternarbeit unterstützen. Mit dieser Hilfe soll versucht werden, den Verbleib des Kindes in seiner Familie zu sichern. Diese Betreuungsform ist in Sachsen bislang wenig verbreitet. Besonders in sozialen Brennpunkten scheint sich aber ein Bedarf an Tagesgruppen ab-zuzeichnen. Derzeit wird der Aufbau von zwanzig Tagesgruppen im Freistaat geplant. Trotz einiger Aufbauschwierigkeiten erscheint diese teilstationäre Hilfeform aber doch aufgrund ihrer kompensatorischen Funktion geeignet, stationäre Fremdunterbringungen teilweise zu vermeiden, so daß junge Menschen in ihrer Familie belassen werden können. d) Heimerziehung, sonstige betreute Wohnformen und intensive sozialpädagogische Einzel-betreuung Die Heimerziehung erfährt in Sachsen eine beachtliche Umstrukturierung. Zur Zeit gibt es 164 Kinder-und Jugendheime mit insgesamt 4 700 Plätzen. Davon befinden sich 83 in kommunaler, 54 in freier und neun in Landesträgerschaft. Seit der Wende ist die Anzahl der Heime um 16 und die Anzahl der Heimplätze um etwa 1000 zurückgegangen. Wie alle Erziehungshilfen dient Heimerziehung nach SGB VIII dazu, dem einzelnen jungen Menschen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu verhelfen.

Um dieses Ziel zu verwirklichen, müssen die Heime vielfältige gezielte Förderangebote bereitstellen. Diese können aber in der herkömmlichen Form der Heimerziehung nur bedingt angeboten werden. Deshalb müssen zunehmend Hilfsangebote bereitgestellt werden, die die Verschiedenheit jugendlicher Auffälligkeiten berücksichtigen.

Die Möglichkeit, in Außenwohngruppen, in kleineren Gruppen innerhalb des Heimbereiches und in Wohngemeinschaften im sozialen Umfeld zu leben, wird in jüngerer Zeit verstärkt angeboten Besonders für ältere Jugendliche kann dieses betreute Wohnen eine geeignete Maßnahme sein, außerhalb des Heimbereichs größere Eigenverantwortung entwickeln zu lernen.

Die eingehende sozialpädagogische Einzelbetreuung gilt jungen Menschen, die zu ihrer sozialen Integration und zum Aufbau einer eigenverantwortlichen Lebensführung einer besonders intensiven Begleitung bedürfen. Diese Hilfeform ist in Sachsen noch wenig entdeckt und wird bislang kaum angeboten

V. Sozialpädagogische Ausbildungsgänge

Pädagogische Ausbildungsberufe waren in der DDR separat für die Kindereinrichtungen Krippe, Kindergarten, Hort und Heim sowie in differenzierter Weise für den Schulbereich vorgesehen. Begriff und Inhalt eines sozialpädagogischen Aufgabenspektrums gab es nicht. Von daher konnte es auch keine entsprechenden Ausbildungsgänge geben. Allerdings wurden Fürsorger für Tätigkeiten im Gefährdetenbereich ausgebildet.

Zur Neuordnung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern ist eine den Erfordernissen aus SGB VIII angemessene Professionalisierung des Fachpersonals unerläßlich. Zur Nachqualifizierung des vorhandenen Personals wurden und werden verschiedene gezielte Fortbildungsangebote unterbreitet. Mit dem Ziel einer dauerhaften Gewährleistung des notwendigen Fachpersonals haben die neuen Bundesländer aber inzwischen Ausbildungsgänge auf Fachschulebene, auf Fachhochschulebene und auf der Ebene der wissenschaftlichen Hochschulen eingerichtet.

Während in der DDR für den Bereich der Kinder-einrichtungen nach Einrichtungsarten separierte Ausbildungen angeboten worden waren -nämlich als Krippenerzieher/in, Kindergärtner/in, Hortner/in und Heimerzieher/in -, gibt es heute an den Fachschulen für Sozialpädagogik eine Breitenausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin bzw. zum staatlich anerkannten Erzieher. Mit diesem Berufsabschluß sind die Absolventen befähigt, als pädagogische Fachkräfte in allen Tageseinrichtungen für Kinder und im Heimbereich zu arbeiten.

In Sachsen gibt es heute acht Fachschulen für Sozialpädagogik, von denen sich eine in evangelischer Trägerschaft befindet. 1993 haben etwa 1200 Fachschüler/innen die zweijährige, überwiegend schulbezogene Ausbildungsphase beendet und das einjährige Berufspraktikum begonnen. In den nächsten zwei Jahren werden pro Jahr etwa 400 Personen ausgebildet. Dieser drastische Rückgang an Bewerbern für den Erzieherberuf ist darauf zurückzuführen, daß in absehbarer Zeit wegen des Rückgangs der Kinderzahlen in den Kindertageseinrichtungen und im Heimbereich kaum zusätzlicher Bedarf an pädagogischen Fachkräften zu erwarten ist.

Mit der Gründung von Fachhochschulen in den neuen Bundesländern sind auch Fachbereiche für Sozialwesen mit der Möglichkeit des Studiums der Sozialarbeit/Sozialpädagogik errichtet worden. In Sachsen bieten heute drei Fachhochschulen, zwei in staatlicher und eine in evangelischer Trägerschaft, das Studium zum Diplom-Sozialpädagogen/zur Diplom-Sozialpädagogin (FH) an.

Sozialpädagogisch orientierte erziehungswissenschaftliche Hochschulstudiengänge gibt es an den Technischen Universitäten in Dresden und Chemnitz und an der Universität in Leipzig. Während Leipzig ein erziehungswissenschaftliches Magister-Studium anbietet, gibt es in Chemnitz und Dresden die Möglichkeit zu einem entsprechenden Diplomstudium.

Die verschiedenen sozialpädagogisch orientierten Ausbildungen in Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten dienen dazu, für ein differenziertes Leistungsangebot in der Jugendhilfe die wünschenswerte Professionalisierung zu gewährleisten und die erforderlichen Fachkräfte langfristig zur Verfügung stellen zu können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, Nr. 5, Berlin (Ost), 31. Januar 1974.

  2. Vgl. Sozialgesetzbuch (SGB). Achtes Buch (VIII): Kinder-und Jugendhilfe. Gesetz zur Neuordnung des Kinder-und Jugendhilferechts (Kinder-und Jugendhilfegesetz -KJHG) vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1163).

  3. Mit dem Problem des Übergangs vom Jugendhilfeverständnis der DDR hin zu einer modernen Jugendhilfearbeit in den neuen Bundesländern auf der Basis des SGB VIII hat sich u. a. Agathe Israel, Chefärztin der Klinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie und Familientherapie des Fach-krankenhauses für Neurologie und Psychiatrie Berlin-Lichtenberg, in einem interessanten Vortrag „Kinder-und Jugendhilfe in den neuen Bundesländern -Voraussetzungen, Erfordernisse, Perspektiven“ auseinandergesetzt. Unveröffentlichtes Manuskript, o. J.

  4. Vgl. Hellmut Puschmann, Caritas im Bereich der DDR, in: caritas, 91 (1990), S. 160-168.

  5. Puschmann nennt Arten und Anzahl der Einrichtungen und Dienste der Caritas und der Diakonie in der DDR aus dem Jahre 1988. Danach gab es u. a. 149 katholische Kindergärten und -horte mit 7507 Plätzen und 276 evangelische Kindergärten und -horte mit 12784 Plätzen. Zwei Kinder-krippen mit 42 Plätzen waren in katholischer und 17 Krippen mit 461 Plätzen in evangelischer Trägerschaft; vgl. ebd., S. 166.

  6. Vgl. Statistisches Jahrbuch 1990 Sachsen, S. 39-49.

  7. Aufschlußreich zum Thema Heimerziehung in der DDR: Hans-Ullrich Krause, Fremdunterbringung in der ehemaligen DDR, in: Jugendhilfe, 30 (1992), S. 24-27.

  8. Vgl. Stichwort Jugendwerkhöfe, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.), DDR-Handbuch, j Band 1, Köln 19853, S. 693-694.

  9. Vgl. A. Israel (Anm. 3). Die folgenden Ausführungen zur Heimerziehung sowie die Zitate sind dort entnommen.

  10. Werner Weidenfeld/Hartmut Zimmermann (Hrsg.), Deutschland-Handbuch. Eine doppelte Bilanz 1949-1989. Schriftenreihe Band 275, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1989, S. 385.

  11. Ebd.

  12. Für das Beitrittsgebiet galten jedoch einige Übergangsregelungen.

  13. Vgl. Carsten Rummel, Zu den spezifischen Bedürfnissen für den Aufbau eines Jugendhilfesystems in den neuen Bundesländern, in: Jugendhilfe, 29 (1991), S. 2-13.

  14. Vgl. Joachim Merchel, Pluralität und Subsidiarität als Bestimmungselemente der sozialen Infrastruktur. Zur Bedeutung freier Träger für die Jugendhilfe, in: Jugendhilfe, 31 (1993), S. 98-108.

  15. Hinsichtlich der Entwicklung der caritativen Jugendhilfe in den neuen Ländern siehe Winfried Lütkemeier, Caritas-verbände in Ostdeutschland. Behutsame Weiterentwicklung der Kinder-und Jugendhilfe, in: Jugendhilfe, 30 (1992), S. 302-308.

  16. Gemeint ist das AFT-Programm, das Jugendpolitische Programm des Bundes zum Auf-und Ausbau von Trägern der freien Jugendhilfe in den Vgl. neuen Bundesländern.

  17. Zum Aufbau der Jugendhilfe in Ostdeutschland siehe auch: Jetzt Perspektiven und Strukturen für die Jugendhilfe in Ostdeutschland sichern -Sonderplan Neue Länder! -Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Jugendhilfe (AGJ) zur dezentralen Förderung des Bundes im Bereich der Jugendhilfe. Verabschiedet vom Vorstand der AGJ am 15. Juni 1992 in Berlin, in: Jugendhilfe, 30 (1992), S. 290-293.

  18. Wolfgang Gernert, Jugendschutz als sozialpädagogische Aufgabe, in: Jugendhilfe, 29 (1991), S. 312.

  19. Vgl. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, Entwicklungen und vordringliche Maßnahme in den Tageseinrichtungen für Kinder/Elementarbereich in den neuen Ländern. Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung, Heft 30, Bonn 1993.

  20. Grundlegend zum situationsorientierten Arbeiten: Jürgen Zimmer, Der Situationsansatz als Bezugsrahmen der Kindergartenreform, in: Enzyklopädie Erziehungswissenschaft, Bd. 6, Stuttgart 1985, S. 21-38.

  21. Abweichend von Artikel 10, 2 SGB VIII ist in den neuen Bundesländern bis zum 31. 12. 1994 Artikel 1 § 27, 2 SGB VIII mit folgender Maßgabe anzuwenden: „Wenn und soweit die in §§ 28 bis 33 und 35 genannten Hilfearten nicht bedarfsgerecht zur Verfügung stehen, sollen sie vorrangig Kindern und Jugendlichen geleistet werden, denen sonst Hilfe zur Erziehung nach § 34 gewährt werden müßte.“

  22. Vgl. Joachim Rößler, Zur Gestaltung der Hilfen zur Erziehung nach KJHG in den neuen Bundesländern, in: Jugendhilfe, 29 (1991), S. 198-205.

  23. Zur aktuellen Diskussion siehe auch Gerhard Samuel Jaeger, Sozialpädagogische Familienhilfe, Modelle -Perspektiven, in: Jugendhilfe, 30 (1992), S. 364-367; zur Entwicklung der SPFH: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes, Nr. 382/93 vom 14. 10. 1991. In dieser Mitteilung wird darauf hingewiesen, daß Sozialpädagogische Familien-hilfe offiziell erst seit 1991 angeboten wird und daß im Laufe dieses ersten Jahres bereits 9100 Familien bundesweit diese Hilfeform in Anspruch genommen haben.

  24. Vgl. Erich Kiehn, Sozialpädagogisch betreutes Jugend-wohnen, in: Jugendhilfe, 29 (1991), S. 50-59.

  25. Zur Diskussion siehe Ulrich Gintzel, Sozialpädagogische Einzelbetreuung -Möglichkeiten und Chancen einer Betreuungsform, in: Jugendhilfe, 31 (1991), S. 8-18.

Weitere Inhalte

Albin Nees, Dr. jur., geb. 1939; 1973-1979 Richter am Sozialgericht München; 1979-1990 im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit, Familie und Sozialordnung; seit November 1990 Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Familie. Veröffentlichungen: Zahlreiche Beiträge zum Sozialhilferecht; Mitverfasser eines Kommentars und eines Lehrbuchs zur Sozialhilfe.