Strukturen und Einrichtungen der Rehabilitation in der DDR und in den neuen Bundesländern
Rudolf Kraus
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Zusammenfassung
Soweit in den neuen Bundesländern der den Maßnahmen der Rehabilitation dienende Auf-und Ausbau der Förderungs-, Beratungs-und Unterbringungseinrichtungen und -dienste westliche Standards erreicht, hat sich die Lebenssituation und Lebensperspektive der diese Einrichtungen in Anspruch nehmenden Behinderten gegenüber früher wesentlich verbessert. Dies trifft insbesondere zu für die neugeschaffenen Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke, die konzeptionell neugeordneten Werkstätten für Behinderte, die neu eingerichteten Sozialstationen, die rehabilitationspädagogischen Einrichtungen und integrativen Maßnahmen im Kulturbereich sowie für Fälle einer bedarfs-und fachbezogenen Umwidmung und Weiterentwicklung übernommener Einrichtungen im regionalen und örtlichen Bereich. Diese grundlegenden und bedarfsorientierten Verbesserungen können allerdings nur von einem relativ kleinen Teil der Behinderten in Anspruch genommen werden. Wegen der wohl längerfristigen wirtschaftlichen Anpassungsprozeduren ist es in den neuen Bundesländern erforderlich, in allen Bildungs-und Sozialbereichen und für alle Altersgruppen die fach-und altersspezifischen begleitenden und helfenden Dienste bedarfsgerecht und gemeinwesenbezogen auf-und auszubauen. In den Aufgabenbereichen der Rehabilitation und der Behindertenarbeit sind diese Maßnahmen wegen der Differenziertheit der Bedarfslage und der den Behinderten meist fehlenden individuellen Kompensationsmöglichkeiten nachdrücklich zu fordern und zu fördern.
I. Aufgabenbereiche der Rehabilitation und ihre Rechtsgrundlagen
In der DDR galt offiziell der Rechtsgrundsatz, daß die in der Verfassung der DDR verankerten Grundrechte der Bürger wie „das Grundrecht auf Arbeit, die Grundrechte auf Bildung, auf Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben, auf allseitige Persönlichkeitsentfaltung, auf Freizeit und Erholung, auf Arbeits-und Gesundheitsschutz, auf materielle Sicherstellung bei Kankheit, Unfall und Invalidität, auf Fürsorge im Alter usw. in vollem Umfang und uneingeschränkt auch für geschädigte Bürger gelten“
Die Auslegung dieser Rechtsgrundsätze erfolgte -rechtlich abgesichert -auf der Grundlage der Parteibeschlüsse, in der Regel der Beschlüsse der Parteitage, der ZK-Plenartagungen und der Politbüro-Sitzungen. So bestimmten letztlich auch für den Bereich der Rehabilitation und der Geschädigtenbetreuung die politisch-ideologischen Zielvorgaben der Partei, wie sich die Praxis zu entwickeln hatte.
Diese Praxis war in der DDR bis zur Wende weitgehend geprägt -in der Administration durch eine zentralistische Ausrichtung der Zuständigkeiten;
-in der Pädagogik durch eine selektive Trennung von schulbildungsfähigen und schulbildungsunfähigen, aber förderungsfähigen Kindern und Jugendlichen, was in der Praxis zu einer „Aussonderung“ insbesondere bestimmter Gruppen Mehrfach-und Schwerstbehinderter führte, und 1 -in der Betreuung, Rehabilitation und Pflege durch eine Unterversorgung, weil die finanziellen, materiellen und personellen Aufwendungen der vorliegenden Bedarfssituation in keiner Weise entsprachen.
In der nachfolgenden Darstellung werden die Aufgabenfelder, Strukturen und Einrichtungen sowie die Reformansätze zur Wendezeit und die Umstellung des Rechts auf der Grundlage veröffentlichter Materialien und eigener Erhebungen (1991-1993) in ihren wesentlichen Aussagen vorgestellt. 1. Medizinische Rehabilitation Unter medizinischer Rehabilitation wurden alle therapeutischen Maßnahmen und Programme verstanden, die über eine „biologische Wiederherstellung“ hinaus eine „komplexe soziale Einordnung und Wiedereinordnung Geschädigter“ zum Ziel hatten. Medizinische Rehabilitation wurde nicht als spezifische Disziplin, sondern als Aufgabe aller medizinischen Fachrichtungen verstanden. Die Aufgaben der medizinischen Rehabilitation bezogen sich damit auf -Vorbeugungsmaßnahmen zur Vermeidung von Behinderungen, -Erfassung der Personen mit bestehenden oder drohenden physischen oder psychischen Schädigungen,
-Wiederherstellung -soweit wie möglich -der Leistungsfähigkeit Geschädigter durch frühzeitige Einleitung rehabilitativer Maßnahmen, -Nutzung der verschiedenen Therapiemöglichkeiten (Physio-, Arbeits-, Sport-, Psycho-und Soziotherapie), -Versorgung mit körpernahen und körperfernen Rehabilitationshilfen, -ärztliche Begutachtung in Anerkennungsverfahren,
-Einbeziehung medizinischer Zentren in die Reha-Aufgaben, -Dispensairebetreuung geschädigter Kinder, Jugendlicher und Erwachsener sowie -Mitwirkung in nahezu allen Fachbereichen der Rehabilitation, insbesondere bei der Beurtei26 lung der Bildungs-und Erziehungsfähigkeit physisch oder psychisch geschädigter Kinder und Jugendlicher sowie bei der Berufsfindung und Berufsberatung geschädigter Schulabgänger und umzuschulender geschädigter Erwachsener.
Neben den zahlreichen rechtlichen Regelungen des „sozialistischen Gesundheitswesens“, zu denen auch die rechtlichen Bestimmungen über die Erfassung gesundheitsgefährdeter bzw. geschädigter Kinder und Jugendlicher, die Meldepflicht von Körperbehinderungen, geistigen Störungen und Schädigungen des Hörvermögens sowie die Meldepflicht übertragbarer Krankheiten und Berufskrankheiten gehörten, wurden in zahlreichen speziellen Rechtsvorschriften für die medizinische Rehabilitation einheitliche Zielvorgaben und Zuständigkeitsregelungen für die einzelnen Aufgabenbereiche festgelegt.
Von besonderer Bedeutung -insbesondere für die in der Rehabilitation in vielen Fällen wegweisende Früherfassung -war die „Anordnung über die gesundheitliche Überwachung von Kindern und Jugendlichen“ vom 11. April 1979 (Gesetzblatt der DDR, Teil I [GBl. I], Nr. 12, S. 91), die den Abteilungen für Gesundheits-und Sozialwesen der örtlichen Räte die Aufgabe stellte, eine „kontinuierliche Überwachung des Gesundheits-und Entwicklungszustandes aller Kinder und Jugendlichen“ zu sichern.
Die regelmäßige gesundheitliche Überwachung hatte das Ziel, Krankheiten und Schädigungen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig zu behandeln. Der Arzt hatte „im Sinne einer ständigen Betreuung bestimmte Personengruppen unter den Gesunden sowie unter den chronisch Kranken in seiner Kontrolle“ zu behalten (= Dispensairebetreuung)
Durch besondere Rechtsvorschriften wurden im Rahmen der Dispensairebetreuung den Betriebsärzten sowie den staatlichen Polykliniken und Betriebspolykliniken analoge Aufgaben zugeordnet, die im Ergebnis zu einer weitgehenden Erfassung aller potentiellen Reha-Fälle führten. 2. Pädagogische Rehabilitation Der Pädagoge K. -P. Becker definierte Rehabilitation als „die zweckgerichtete Tätigkeit eines Kollektivs in medizinischer, pädagogischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht zur Entwicklung und Wiederherstellung der Fähigkeiten des geschädigten Menschen, aktiv am produktiven wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und familiären Leben der Gesellschaft teilnehmen zu können“
Rechtsgrundlagen der pädagogischen Rehabilitation waren das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ vom 25. Februar 1965 (GBl. I, Nr. 6, S. 83) sowie die mit der 5. Durchführungsbestimmung zum „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem -Sonder-schulwesen -“ vom 9. Februar 1984 (GBl. I, Nr. 8, S. 85) erlassenen Aufgaben-und Zuständigkeitsregelungen.
Der Grundsatz des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems bezog sich allerdings nur auf das System der Institutionen zur Bildung und Erziehung und zur Berufsaus-und -Weiterbildung, nicht aber auf ihre administrative Unterstellung. Die Institutionen der pädagogischen Rehabilitation unterstanden den administrativen Bereichen des Ministeriums für Volksbildung und des Ministeriums für Gesundheitswesen.
Die Einrichtungen des Ministeriums für Volksbildung wurden unter der Bezeichnung „Sonderschulwesen“ zusammengefaßt; dazu gehörten -Sonderkindergärten, -Sonderschulen, -Sonderberufsschulen, -Sonderschulen und -klassen in Einrichtungen des Gesundheits-und Sozialwesens, -sonderpädagogische Beratungsstellen, -Sonderklassen an allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen und LRS-Klassen.
Zu den reha-pädagogischen Einrichtungen des Ministeriums für Gesundheits-und Sozialwesen gehörten
-Sondergruppen in Krippen bzw. Sonderkrippen,
-reha-pädagogische Förderungseinrichtungen für schulbildungsunfähige, intellektuell Geschädigte in Form von Tagesstätten, Wochen-heimen, Dauerheimen und Abteilungen in den Fachkrankenhäusern für Neurologie und Psychiatrie, -Heime des Gesundheits-und Sozialwesens für schwergeschädigte Kinder, Jugendliche und Erwachsene,-Abteilungen bzw. Beratungsstellen in Kliniken, Sanatorien und Fachkrankenhäusern, -Rehabilitationszentren für Berufsbildung für schwerstgeschädigte Jugendliche und Erwachsene, -.
-das logopädische Kindersanatorium Thalheim, -Einrichtungen der geschützten Arbeit (geschützte Werkstätten, geschützte Abteilungen in Betrieben, geschützte Einzelarbeitsplätze).
Durch die administrative Trennung in schulbildungsfähige (zuständig: Institutionen der Volks-bildung) und schulbildungsunfähige Geschädigte (zuständig: Institutionen des Gesundheits-und Sozialwesens) wurden administrative Ausgrenzungen vorgenommen, die in der Rehabilitationspädagogik -sowohl in der Fachliteratur als auch in der praktischen Arbeit -kontrovers beurteilt wurden. So weist auch Becker darauf hin, daß die schulbildungsunfähigen, förderungsfähigen Geschädigten rehabilitationspädagogisch zu fördern seien Die tabellarische Übersicht der Träger und Plätze der Einrichtungen für schulbildungsunfähige Kinder und Jugendliche (Tabelle 1) verdeutlicht das in den einzelnen Bezirken unterschiedliche Strukturbild der Einrichtungen. 3. Berufliche Rehabilitation Der beruflichen Rehabilitation waren drei Aufgaben gestellt:
l -die Heranführung schwerst körperbehinderter Jugendlicher und Erwachsener, die weder eine Berufsausbildung noch eine Umschulung aufnehmen konnten, an eine produktive Tätigkeit durch Arbeitstherapie, geschützte Arbeit oder durch Arbeitserziehung im Rahmen eines rehabilitationspädagogischen Förderungsprogramms; -die Berufsberatung und Berufsfindung für geschädigte Schulabgänger und die Sicherung eines Ausbildungsplatzes in einem Betrieb oder in einem Rehabilitationszentrum für Berufsbildung; -die „Lenkung“ des Geschädigten in den Arbeitsprozeß -entsprechend der Art und dem Grad der Schädigung -auf einen Arbeitsplatz entweder ohne Sonderbedingungen im Arbeitsvertrag oder mit spezifischer Arbeitsplatzgestaltung auf einem geschützten Arbeitsplatz (Einzelarbeitsplatz oder geschützte Betriebsabteilung oder geschützte Werkstatt des Gesundheits-und Sozialwesens) oder auf einen Heimarbeitsplatz.
Rechtsgrundlage für die berufliche Eingliederung Geschädigter war das Arbeitsgesetzbuch der DDR vom 16. 6. 1977 (GBl. I Nr. 18 S. 185). Rehabilitanden erhielten einen besonderen arbeitsrechtlichen Schutz. Sie wurden auf Vorschlag der Kreisrehabilitationskommission durch die Ämter für Arbeit in geschützte Arbeitsplätze eingegliedert. Die „Anordnung zur Sicherung des Rechts auf Arbeit für Rehabilitanden“ vom 26. 8. 1969 verpflichtete die Betriebe ausdrücklich, Arbeitsplätze für Geschädigte zu schaffen. Die Räte der Kreise und Bezirke konnten den Betrieben Auflagen zur Schaffung geschützter Arbeitsplätze erteilen, insbesondere zur Beschäftigung Schwerst-und Schwergeschädigter.
Die Verantwortung für die Gestaltung der geschützten Arbeitsplätze, der besonders festzulegenden Tätigkeitsmerkmale, der Arbeitszeitregelungen, der Regelungen für die Qualität der Arbeit, die Entlohnung und ggf. die erforderliche Betreuung hatten die Leiter der Betriebe zu übernehmen in enger Zusammenarbeit mit den Leitern des Betriebsgesundheitswesens und den Betriebsrehabilitationskommissionen.
Die geschützten Werkstätten wurden als Einrichtungen des Gesundheits-und Sozialwesens geführt. In diesen Einrichtungen sollte den Rehabilitanden, die nur unter der Betreuung von Mitarbeitern des Gesundheits-und Sozialwesens arbeiten konnten, das Recht auf Arbeit gesichert werden. Die geschützten Werkstätten hatten daneben die Aufgabe, den Rehabilitanden mit der Zielsetzung einer Integration in das gesellschaftliche und berufliche Leben zu fördern.
Die Übersicht der Arbeitsplätze in den unterschiedlichen Einrichtungen der geschützten Arbeit verdeutlicht das in den einzelnen Bezirken unterschiedliche Strukturbild der Einrichtungen (Tab. 2). 4. Soziale Rehabilitation Die soziale Rehabilitation als Bestandteil der komplexen Rehabilitation umfaßte alle Maßnahmen, die neben der medizinischen, pädagogischen und beruflichen Rehabilitation die Ein-oder Wiedereingliederung der Geschädigten in die Gesellschaft fördern sollten. Zu den Aufgaben der sozialen Rehabilitation gehörten -die Anerkennung und Einstufung der Geschädigten,
-die Erteilung von Beschädigtenausweisen entsprechend der „Anordnung über die Anerkennung als Beschädigte“ vom 10. Juni 1971 (die entsprechend folgender Stufen gestaffelt waren:
Stufe I = Beschädigter, Stufe II = Schwerbeschädigter, Stufe III = Schwerstbeschädigter, Stufe IV = Schwerstbeschädigter, der eines ständigen Begleiters bedurfte), -die Gewährung finanzieller Beihilfen, um rehabilitative Maßnahmen zu unterstützen, sowie Gewährung einmaliger Beihilfen für Arbeitsund Hilfsmittel, -die Gewährung von Unfall-, Invaliden-oder Altersrenten nach der „Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung“. Personen, die wegen Invalidität keine Berufstätigkeit aufnehmen konnten, erhielten ab Vollendung des 18.
Lebensjahres für die Dauer der Invalidität eine Invalidenrente in Höhe der Mindestrente. Sie wurde auch gezahlt, wenn eine berufliche Rehabilitation ständig oder vorübergehend nicht möglich war oder wenn die angebotene Möglichkeit einer beruflichen Rehabilitation genutzt wurde und der dabei erzielte Verdienst den monatlichen Mindestbruttolohn nicht überstieg (ebd. § 11), -Sachleistungen der Sozialversicherung einschließlich der Bereitstellung von technischen Hilfen, -die Unterstützung Schwerstgeschädigter bei der Bereitstellung geeigneter Wohnungen, -die Schaffung von Wohnheimen für Geschädigte,
-Verhinderung und Beseitigung baulicher Barrieren für Geschädigte, -Maßnahmen der rehabilitativen Ferien-bzw.
Urlaubsgestältung, -Maßnahmen der Sicherstellung einer Tages-betreuung für hilfsbedürftige Geschädigte.
In der neueren Rehabilitationsliteratur der DDR wurde nachdrücklich auf die Institution Familie für die „Formung einer Persönlichkeit“ hingewiesen. Dies gelte auch für geistig und körperlich Behinderte. Von der Art der Hilfe und der Förderung, die ein Behinderter in der Familie erfahre, werde auch die Art und Weise beeinflußt, in der die ihm verbliebenen und erhaltenen Fähigkeiten entfaltet und genutzt werden könnten
II. Strukturen der Rehabilitation und ihre Rechtsgrundlagen
Abbildung 14
Tabelle 2: Arbeitsplätze in Einrichtungen der geschützten Arbeit in den Bezirken der DDR
Quelle: Institut für Medizinische Statistik und Datenverarbeitung, Mitteilungen Soziale Betreuung 1989, H. 6, Berlin 1990, und eigene Berechnungen.
Tabelle 2: Arbeitsplätze in Einrichtungen der geschützten Arbeit in den Bezirken der DDR
Quelle: Institut für Medizinische Statistik und Datenverarbeitung, Mitteilungen Soziale Betreuung 1989, H. 6, Berlin 1990, und eigene Berechnungen.
In der Verfassung der DDR hatte der Schutz der Gesundheit und der Arbeitskraft den Rang eines Grundrechts Die „einheitliche Durchsetzung von Maßnahmen zur Rehabilitation“ der physisch und psychisch Geschädigten wurde durch Ministerratsbeschluß dem Ministerium für Gesundheitswesen zugeordnet Das Ministerium für Gesundheitswesen hatte die Vorbereitung und Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen mit anderen zentralen Staatsorganen und gesellschaftlichen Organisationen zu koordinieren. Das Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen regelte die Aufgaben und Pflichten des Bezirks-und des Kreistages und ihrer jeweiligen Organe.
Der Bezirkstag und der Rat des Bezirks waren verantwortlich für die medizinische und soziale Betreuung der Bürger, und sie hatten dabei mit den gesellschaftlichen Organisationen zusammenzuarbeiten. Standen grundsätzliche Fragen zur Diskussion, wie z. B. Planungs-und Nutzungsfragen von medizinischen und sozialen Einrichtungen, konnte der Rat des Bezirkes über diese Fragen erst nach Abstimmung mit den zentralen Staatsorganen und den Räten der Kreise entscheiden (§ 37 Abs. 3).
Die Räte der Kreise hatten ihre Entscheidungen in Abstimmung mit den Räten der Gemeinden und Stadtkreise zu treffen sowie ein Zusammenwirken zwischen den medizinischen und sozialen Einrichtungen und den Betrieben und Genossenschaften zu gewährleisten (§ 55 Abs. 3).
Die schematische Darstellung der wichtigsten Organisationsstrukturen der Rehabilitation geschädigter Bürger auf der Staats-, Bezirks-und Kreisebene verdeutlicht die Verzahnung der verschiedenen Zuständigkeiten staatlicher, gesellschaftlicher und betrieblicher Aufgabenbereiche, die durch ein differenziertes System mitwirkender, beratender, fördernder und kontrollierender Kommissionsarbeit vernetzt wurden (s. Abbildung 1). 1. Administration Die „Anordnung über die Aufgaben des Gesundheits-und Sozialwesens auf dem Gebiet der Rehabilitation geschädigter Bürger“ vom 9. Dezember 1986 (GBl. I, 1987, Nr. 2, S. 10) regelte die staatliche Leitung der Schwerbeschädigtenbetreuung und der Rehabilitation in den Bezirken und Kreisen. Die Räte der Bezirke und Kreise hatten die „Komplexität“ aller medizinischen, sozialen, pädagogischen, psychologischen, beruflichen und sonstigen notwendigen Maßnahmen für geschädigte Bürger zu gewährleisten. Die „spezifischen Aufgaben“ der Rehabilitation wurden den Abteilungen für Gesundheits-und Sozialwesen der Räte zugewiesen. Die Einrichtungen des Sonderschulwesens hatten „eng“ -mit den Abteilungen für Gesundheits-und Sozialwesen zusammenzuarbeiten, insbesondere mit dem Ziel einer frühzeitigen Erfassung aller geschädigten Kinder, die infolge ihrer Schädigung auf sonderpädagogische Maßnahmen angewiesen waren. Auf dem Gebiet der Rehabilitation war der Bezirksarzt für die Leitung der „spezifischen und koordinierenden Aufgaben“ des Gesundheits-und Sozialwesens im Bezirk verantwortlich. Zur Realisierung der Aufgaben der komplexen Rehabilitation waren im Bezirk zu bilden -in Bezirken mit bezirksgeleiteten Rehabilitationseinrichtungen: ein Bezirksrehabilitationszentrum, -in Bezirken ohne bezirksgeleitete Rehabilitationseinrichtungen: eine Bezirksstelle für Rehabilitation. Auf der Kreisebene war analog der Stellung des Bezirksarztes der Kreisarzt für die Leitung und Realisierung der spezifischen und koordinierenden Aufgaben der Rehabilitation zuständig. Zur Realisierung dieser fachlich komplex strukturierten Aufgaben wurden Kreisrehabilitationszentren gebildet. 2. Aufgaben der Zentren Die Bezirksrehabilitationszentren bzw. die Bezirksstellen für Rehabilitation hatten insbesondere folgende Aufgaben wahrzunehmen:
-analytische und konzeptionelle Arbeiten zur Entwicklung der Rehabilitation im Bezirk, -Mitwirkung bei der Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen den Staatsorganen, gesellschaftlichen Organisationen, Betrieben und Produktionsgenossenschaften, -fachliche Anleitung und Kontrolle der Kreisrehabilitationszentren, -Organisation der von den Kommissionen zu leistenden Arbeit sowie -Vorbereitung und Durchführung von Leiter-und Fortbildungsmaßnahmen.
Die Kreisrehabilitationszentren hatten weitgehend -analog der Aufgabenstellung der Zentren auf Bezirksebene -diese Aufgaben auf der Kreisebene wahrzunehmen, darüber hinaus im Rahmen der Zusammenarbeit mit örtlichen Einrichtungen, Betrieben und gesellschaftlichen Organisationen insbesondere Maßnahmen der -Früherfassung Geschädigter und Einleitung notwendiger Betreuungs-und Rehabilitationsmaßnahmen,
-Sicherung geeigneter Wohn-und Arbeitsmöglichkeiten für Geschädigte, -Versorgung der Geschädigten mit technischen Hilfsmitteln und -Planung behindertengerechter Freizeitgestaltungen.
3. Aufgaben der Kommissionen Für die Koordinierung der komplexen Rehabilitationsmaßnahmen waren die bei den Räten der Bezirke und Kreise eingerichteten Rehabilitationskommissionen verantwortlich. Den Reha-Kommissionen auf der Staats-, Bezirks-und Kreis-ebene gehörten -neben den Vertretern der Staats-.organe -an: Vertreter der gesellschaftlichen Organisationen wie FDGB, DRK, Volkssolidarität, Vertreter der Verbände wie Blinden-und Gehörlosenverband, aber auch Schwerbeschädigte aus den Betrieben sowie Schwerbeschädigte, die in der Reha-Arbeit Erfahrung besaßen. Die Reha-Kommissionen waren ehrenamtliche Gremien, die gegenüber den Abteilungen Gesundheits-und Sozialwesen eine weitgehend nur beratende Funktion wahrzunehmen hatten.
Die „Arbeitsrichtlinie über die Bildung und Tätigkeit der Rehabilitationskommissionen“ regelte die Aufgaben und die Arbeitsweise der Kommissionen Danach waren die Kommissionen für Reha-Maßnahmen zuständig für folgenden Personenkreis:
-Personen, die seit Geburt körperlich oder geistig behindert waren, -Personen, die durch Krankheit, Unfall oder andere Ursachen einen Dauerschaden erlitten hatten sowie -Personen, die durch Krankheit, Unfall oder andere Ursachen an funktionellen Schädigungen litten.
Die Aufgaben betrafen im einzelnen Maßnahmen -der medizinischen Rehabilitation, -der Einbeziehung in den Arbeitsprozeß, -der sozialen sowie -der kulturellen und gesellschaftlichen Betreuung.
Auf der Staatsebene waren für die Vorbereitung und Leitung der Kommissionssitzungen das Ministerium für Gesundheitswesen zuständig, auf der Bezirks-und Kreisebene die Abteilungen für Gesundheits-und Sozialwesen der jeweiligen Räte. Eine Sonderstellung nahmen die Betriebsrehabilitationskommissionen ein: In der Anordnung über die Bildung und Tätigkeit von Rehabilitationskommissionen wurden die Zusammensetzung und die Aufgaben der Betriebsrehabilitationskommissionen eingehend geregelt
Der Kommission gehörten an -neben dem ökonomischen Leiter des Betriebs -der Leiter der Kaderabteilung, der Sicherheitsinspektor, der Vorsitzende des Rates für Sozialversicherung, der Betriebsarzt sowie zwei geschädigte Werktätige. Die Kommission hatte die Aufgaben, -den Arbeitseinsatz von leistungsgeminderten Werktätigen „in jedem Einzelfall". auf der Grundlage ärztlicher Stellungnahmen vorzubereiten, -die Ämter für Arbeit bei der Lenkung der von der Kreisrehabilitationskommission bestätigten Rehabilitanden in den Arbeitsprozeß und ihren Einsatz auf geschützten Arbeitsplätzen zu unterstützen, -die jährliche Analyse der Arbeitsbedingungen und der sozialen Situation der leistungsgeminderten Werktätigen vorzubereiten und -Empfehlungen für eine gezielte Erweiterung der Rehabilitation im Betrieb auszuarbeiten.
Die Kommission hatte dabei als „kollektiv wirkendes beratendes Gremium des Betriebsleiters“ zu arbeiten. Die fachliche Anleitung der Betriebsrehabilitationskommissionen erfolgte durch die örtlich zuständige Kreisrehabilitationskommission.
Die schematische Darstellung der Organisation der komplexen Rehabilitation im Kreis verdeutlicht die Verzahnung der verschiedenen Zuständigkeiten und die Zueinanderordnung der verschiedenen Aufgabenfelder und Einrichtungen (s. Abbildung 2).
III. Reforminitiativen der Regierung in der Wendephase
Abbildung 15
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Organisationsstrukturen der Rehabilitation geschädigter Bürger im administrativen Bereich der Staats-, Bezirks-und Kreisebene und der diesen Ebenen zugeordneten Kommissionen*)
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Organisationsstrukturen der Rehabilitation geschädigter Bürger im administrativen Bereich der Staats-, Bezirks-und Kreisebene und der diesen Ebenen zugeordneten Kommissionen*)
Am 13. November 1989 nahm die Regierung Modrow -nachdem am 7. November die Regierung der DDR geschlossen zurückgetreten war -die Arbeit in einer Phase heftigster parteiinterner Auseinandersetzungen auf: Auf der 10. Tagung des ZK der SED (9. mußten einige kurz vorher gewählte Politbüro-Mitglieder von ihren Funktionen wieder entbunden werden. Vor dem Tagungsgebäude des ZK demonstrierte eine „aufsässige“ Parteibasis und verlangte einen Sonder-parteitag; bereits abgereiste ZK-Mitglieder mußten zurückbeordert werden, um über die Einberufung eines Sonderparteitags zu beschließen, der für den 7. /8. Dezember 1989 einberufen wurde.
Die krisenhafte Zuspitzung der Diskussion verdeutlicht ein Appell der SED-Kreisleitung der Humboldt-Universität mit der Forderung, „zum außerordentlichen Parteitag nur solche Delegierte zu wählen, die durch nachweisbare selbstkritische, aufrichtige Haltungen und Handlungen die Konsequenzen aus der Vergangenheit ziehen und mit Entschiedenheit für die Erneuerung des Sozialismus eintreten... Wählt Delegierte, die sich für die radikale Neuformierung unserer Partei von der Basis bis zum Generalsekretär verbürgen.“ 11
Die im folgenden dargestellten Initiativen des Ministerrats für die Eröffnung einer konzeptionellen Diskussion sind vor diesem Hintergrund der machtpolitischen Entwicklung zu sehen und zu werten. 1. Reforminitiativen im Gesundheits-und Sozialwesen Aufgrund eines Ministerratsbeschlusses vom 23. November 1989 hatte der Minister für Gesundheits-und Sozialwesen dem Ministerrat bis zum Februar 1990 eine „Konzeption über Maßnahmen zur Rehabilitation und Integration Behinderter“ vorzulegen. Die Vorbereitung sollte in Arbeitsgruppen mit den „für die Rehabilitation Verantwortlichen der Bezirke“ stattfinden. Die Arbeitsgruppe, die sich mit Fragen der Behindertenintegration befaßte, diskutierte in mehreren Sitzungen eingehend konzeptionelle Fragen einer Neuordnung der Zielvorstellungen. Die Ergebnisse wurden in einem Arbeitspapier zusammengefaßt und dem Ministerium zwecks Weiterleitung an den Vorsitzenden des Ministerrats vorgelegt.
Kritisch wurde vorgetragen, daß „bisher die Forderung nach Gestaltung einer Umwelt, die gleichermaßen den Bedürfnissen der Kinder, der Alten und der behinderten Menschen“ entspreche, „nicht erfüllt“ worden sei. Die „finanziellen, materiellen und personellen Aufwendungen für Betreuung, Rehabilitation und Pflege“ hätten in „den vergangenen Jahren in keiner Weise den Erfordernissen“ entsprochen. Kritisch wurde auch zu den rae einzelnen Aufgabenbereichen der Rehabilitation Stellung genommen. So habe die „starre Zuordnung zu definierten Schädigungs-und Bildungskategorien in Verbindung mit einer unflexiblen Handhabung ohne Alternativen“ zu einer Benachteiligung von behinderten Kindern und Jugendlichen geführt und der „Forderung nach umfassender Bildung und Integration“ entgegengestanden. Das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem habe die „Separation der Sonder-schulen von den allgemeinen Schulen, die Segregation der Behinderten und die Selektion der Kinder und Jugendlichen nach Leistung“ nicht beseitigt. Es seien „grundsätzlich neue Denkweisen und Entscheidungen erforderlich, um unter den sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen ethisch-moralische Prinzipien, soziale Sicherheit, Bildungs-und Arbeitsmöglichkeiten, geeigneten Wohnraum zu gewährleisten sowie die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Würde behinderter Menschen gewahrt bleibt und sie mit einem hohen Grad an Selbstbestimmung gleichberechtigt in der Gesellschaft leben können“.
Zu den Strukturen wird jedoch nachdrücklich vorgetragen, daß die bestehenden Kreisrehabilitationszentren nicht aufgelöst werden sollten, weil sie sich in ihrer Arbeit auf die unmittelbare Betreuung und Unterstützung der behinderten Bürger und ihrer Familien im Wohngebiet konzentrierten und weil sie helfen könnten, die Maßnahmen verschiedener Leistungsträger zu koordinieren. 2. Reforminitativen im Bildungsbereich Parallel zu den Initiativen des Gesundheits-und Sozialwesens berief der Minister für Bildung 14 zentrale Arbeitsgruppen zur Vorbereitung einer Bildungsreform, darunter die zentrale Arbeitsgruppe „Pädagogische Rehabilitation physisch-psychisch Geschädigter“. Um dem breiten Spektrum der gestellten Aufgabe zu entsprechen, bildete diese Arbeitsgruppe acht Sachgruppen mit den Schwerpunkten: Elternvertretung und Familienerziehung, Integration und Integrationsmodelle, Struktur des Bildungswesens für Geschädigte, Rehabilitationspädagogische Qualifizierung von Pädagogen Nichtgeschädigter, Berufliche Aus-und Weiterbildung Behinderter/Freizeitpädagogik, Technische Hilfsmittel/Unterrichtsmittel, Mehrfachgeschädigte, Allgemeinbildung Geschädigter.
Kritisch wurde u. a. vorgetragen, daß die Rehabilitationspädagogik durch eine „Überbetonung der Administrative“ und eine „zentralistische Ausrichtung der Inhaltsfragen“ sowie durch eine „Negierung einer Variantenvielfalt der inhaltlichen, strukturellen und didaktisch-methodischen Arbeit“ bestimmt werde. Gefordert wurde, bei der Reform rehabilitationspädagogischer Ansätze die Leitlinien der allgemeinen Bildungsreform zu beachten: „eine Humanisierung und Demokratisierung der Bildung“, den „Grundsatz einer Gleichberechtigung“ sowie das „Grundrecht der freien Entfaltung der Individualität“.
IV. Umstellung des Rechts
Abbildung 16
Abbildung 2: Schematische Darstellung der Organisation der komplexen Rehabilitation im Kreis
Abbildung 2: Schematische Darstellung der Organisation der komplexen Rehabilitation im Kreis
1. Gesellschaftlich-politische Bedingungslage Parallel zu der zunächst sehr engagiert und eigenständig geführten Reformdiskussion verlief die schrittweise Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse unter dem inzwischen nicht mehr beeinflußbaren Zeitdruck politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturveränderungen auf dem Gebiet der DDR. Auch für den Aufgabenbereich der Rehabilitation bedeutete dies Handlungszwang: Es mußten unverzüglich leistungsfähige Verwaltungsstrukturen und leistungsfähige, bedarfsgerechte Rehabilitationseinrichtungen und -hilfen bereitgestellt werden. Die während der Wendezeit auf DDR-Seite initiierten Reformüberlegungen wurden damit relativiert und zunehmend überlagert -ab Juli 1990 durch neue Rechtsgrundlagen des Staatsvertrags und ab Oktober 1990 durch die Bestimmungen des Einigungsvertrags.
Für den Aufgabenbereich der Rehabilitation sind also politisch und rechtlich sehr unterschiedliche Reform-und Umstellungsprozesse zu unterscheiden, die zwar weitgehend parallel verliefen, jedoch mit grundverschiedenen Zielvorstellungen: Einerseits waren es die von DDR-Seite aufgrund der sich auflösenden Partei-, Staats-, Regierungsund Verwaltungsstrukturen initiierten Reformdiskussionen, die insbesondere während der „Aufbruchphase“ von der Zielvorstellung geleitet wurden, im Interesse einer umfassenden Versorgung der Behinderten an den wesentlichen fachlichen Zielvorgaben der in der DDR geprägten Grundsätze festzuhalten, also das Eigenständige -soweit politisch erforderlich -zu reformieren, d. h., es den grundlegend veränderten politischen und marktwirtschaftlichen Perspektiven anzupassen. Andererseits waren es die von Seiten der Bundesrepublik auf der Rechtsgrundlage des Einigungsvertrages zunehmend und auf mehreren Ebenen im Rahmen von Umstellungsaufgaben geleisteten Informations-, Beratungs-und Verwaltungstätigkeiten mit eindeutigen Ziclvorgaben einer Transformation des Rechts und der Strukturen. Im Rehabilitationsbereich verliefen beide Entwicklungen zwar weitgehend parallel, jedoch mit entgegengesetzter Tendenz:
-Die Arbeitsthemen und Arbeitsergebnisse der auf DDR-Seite geführten Reformdiskussion verloren mit der Umsetzung neuer Zielvorgaben im Rahmen der Transformation des Bundesrechts ihre Begründungen und damit auch das öffentliche Interesse.
-Die Umsetzung der aus der Bundesrepublik vorgetragenen neuen Zielvorgaben hatte aufgrund der zunehmend erkennbaren defizitären Versorgungslage bei den Einrichtungen und Diensten beschleunigt zu erfolgen, auch angesichts der zusätzlichen Belastungen durch eingeleitete Umstellungs-und Abwicklungsprozeduren. 2. Rechtsgrundlagen Die Grundlagen für die Umstellung des Rechts wurden gelegt durch den Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion sowie durch den Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands. Der erste Schritt zur Anpassung erfolgte im Juli 1990 durch den Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion. Die auf der Grundlage dieses Staatsvertrags noch von der DDR erlassenen und am l. Juli 1990 in Kraft getretenen Gesetze führten im Gebiet der DDR in wesentlichen Bereichen der Rehabilitation zur Einleitung von konzeptionellen und strukturellen Anpassungs-und Angleichungsprozessen:
-Das am 1. 7. 1990 von der DDR in Kraft gesetzte Arbeitsförderungsgesetz entsprach in seinen Regelungen der berufsfördernden Leistungen dem Rechtsstand und der Praxisentwicklung in der Bundesrepublik;
-das am 1. 7. 1990 von der DDR in Kraft gesetzte Schwerbehindertengesetz war in seinen wesentlichen Zielorientierungen deckungsgleich mit den Zielorientierungen des Schwerbehindertengesetzes der Bundesrepublik, es enthielt lediglich einige unwesentliche Abweichungen;
-das am 1. 7. 1990 von der DDR in Kraft gesetzte Sozialversicherungsgesetz sah ebenfalls die Gewährung von Leistungen der Rehabilitation durch die Unfall-und Rentenversicherung vor, wobei vorläufig die Leistungen durch die Krankenversicherung zu erbringen waren. Es handelte sich dabei um Leistungen der medizinischen Rehabilitation, während die berufsfördernden Leistungen 1990 durch die Arbeitsverwaltung zu erbringen waren.
Der zweite Schritt erfolgte im Oktober 1990 durch den Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag), der in den „beitretenden Ländern“ das Bundesrecht am 3. Oktober 1990 in Kraft setzte, womit gleichzeitig das bisher geltende DDR-Recht weitgehend außer Kraft gesetzt wurde. Die Ausnahmen wurden auch für den Bereich der Rehabilitation Behinderter besonders geregelt (in Art. 30 und in Kap. VIII der Ani. 1 u. 2 des Einigungsvertrages). Durch „Übergangsvorschriften“ sollte eine „Übertragung des verästelten komplexen Regelwerks der sozialen Sicherung“ harmonisiert werden.
Für den Aufgabenbereich der Rehabilitation bedeutete dies nicht nur, daß Grundsatzbestimmungen des Sozialgesetzbuches (SGB) V (gesetzliche Krankenversicherung) und des SGB VI (gesetzliche Rentenversicherung) auch für die neuen Bundesländer -teilweise zeitversetzt -in Kraft traten, sondern auch, daß die nach §§ 5 u. 8 des Rehabilitationsangleichungsgesetzes geschlossenen „Gesamtvereinbarungen“ sowie die von den Reha-Trägern festgelegten Kostengrundsätze für die in den neuen Bundesländern tätigen Reha-Träger dem Grundsatz nach verbindlich wurden.
Parallel zu der Umstellung, Abwicklung und Neu-schaffung der für die Umsetzung des Rechts erforderlichen Verwaltungsstrukturen im staatlichen und kommunalen Zuständigkeitsbereich erfolgte die Umstellung, Abwicklung und Neuschaffung von Rehabilitationseinrichtungen, so z. B. für die berufliche Eingliederung Behinderter. 3. Aufbau von neuen Einrichtungen -aufgezeigt am Beispiel der beruflichen Eingliederung Behinderter Die Umstellung der neuen Bundesländer auf das Rehabilitations-und Behindertenrecht der Bundesrepublik erforderte neben einer Schaffung neuer administrativer Strukturen -wie dem Aufbau von Versorgungs-und Landesversorgungsämtern und der „Umbildung“ der Bezirksrehabilitationsstellen in Hauptfürsorgestellen bzw. Zweigstellen von Hauptfürsorgestellen -auch den Aufbau neuer Einrichtungen und die Umstrukturierung sowie die fachliche Ergänzung vorhandener Einrichtungen. So wurden in der Struktur-planung für die neuen Bundesländer vorgesehen -für die Aufgabe der beruflichen Erstausbildung von Behinderten acht Berufsbildungswerke mit 1800 Ausbildungsplätzen, und zwar mit den Standorten Greifswald, Potsdam, Stendal, Hettstedt, Gera und Dresden sowie einer Spezialeinrichtung für Blinde und Sehbehinderte in Chemnitz und eine Spezialeinrichtung für Hör-und Sprachgeschädigte in Leipzig. Diese Einrichtungen haben inzwischen ihre Arbeit aufgenommen; -für die Aufgabe der beruflichen Umschulung behinderter Erwachsener sieben Berufsförderungs-B werke mit zunächst 2 500 Umschulungsplätzen, und zwar mit den Standorten Stralsund, Mühlenbeck, Staßfurt, Seelingstädt (Thüringen), Dresden und Leipzig sowie -als Spezialeinrichtung für Blinde und Sehbehinderte -Halle. Auch diese Einrichtungen haben inzwischen ihre Arbeit aufgenommen;
-für den Aufgabenbereich „Werkstatt für Behinderte“ gingen die Planungen in der ersten Umstellungsphase (Stand: November 1991) von 30000 Werkstattplätzen aus.
Nach einer Stellungnahme der Bundesregierung wurden inzwischen in den neuen Bundesländern 167 Werkstätten mit einer Kapazität von 22785 Plätzen (vorläufig) anerkannt, und zwar in folgender Aufteilung nach Ländern:
Der Aufbau eines Netzes von Werkstätten für Behinderte nach dem Vorbild der Einrichtungen in den alten Bundesländern ist nach Auffassung der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. Die Zuständigkeit für den weiteren Aufbau der Werkstätten und angeschlossener Wohnstätten liegt bei den Ländern. Die Planungsziele sehen vor, daß diese Anpassung während der nächsten zehn Jahre erreicht werden soll 12.
V. Perspektiven
Abbildung 17
Aufteilung nach Ländern
Aufteilung nach Ländern
1. Problementwicklungen während der Umstellungsphase In den neuen Bundesländern werden die im Rehabilitationsbereich erforderlichen -in vielen Fällen fachlich komplex zu strukturierenden -Hilfen während der z. Z. noch nicht abgeschlossenen Umstellungsphase insbesondere durch drei Faktoren bestimmt:
a) durch eine noch nicht dem außerordentlich hohen Bedarf entsprechende Leistungsfähigkeit der Sozialadministration sowohl im behördlichen als auch im freien Bereich; b) durch die noch nicht in allen Sozialbereichen konzeptionell klientel-und gemeinwesenorientierte Planung subsidiär und plural zu strukturierender Einrichtungen und Dienste;
c) durch den zahlenmäßig gerade im Behindertenbereich außerordentlich hohen Beratungs-, Regelungsund Betreuungsbedarfaufgrund der bei vielen Behinderten eingetretenen beruflichen Desorganisation in Verbindung mit hoher Arbeitslosigkeit, nicht behindertengerechterund in vielen Fällen völlig unzulänglicher Wohnraumverhältnisse mit steigenden Mieten und einersich aus der Summe dieserFaktoren entwikkelnden Desorganisation der gesamten sozialen Lebensumstände der Behinderten.
Das Zusammentreffen der verschiedenen Faktoren führt nach den vorliegenden Berichten der örtlichen Sozialdienste in vielen Fällen zu der Kette: Arbeitslosigkeit, gerade den Behinderten belastende unzulängliche Wohn-bzw. Unterbringungsverhältnisse, in Verbindung damit Ehe-bzw. Partnerschaftsprobleme, in der Familie Vernachlässigung der Elternrolle sowie Zunahme der Fälle eines Abgleitens in Verschuldung, Sucht und beginnende Verwahrlosung. 2. Ansätze für eine Problemregelung Zur Harmonisierung der weiteren Entwicklung sollten insbesondere drei Zielvorgaben besonders beachtet werden:
a) Die Kommunikation mit den Behinderten selbst und mit ihren Angehörigen ist wesentlich zu verbessern: Nicht nur die Behinderten, sondern auch ihre Angehörigen sind über die Veränderungen im Rechts-und Leistungsbereich umfassend zu unterrichten (Information über Rechte, Pflichten und Rechtsmittel); dazu gehören auch Informationen und Erklärungen über die durch den Umstellungsprozeß sich ergebenden neuen Zuständigkeiten und Verfahrensabläufe und zwar in einer Form, die von den Behinderten und ihren Angehörigen in den neuen Bundesländern verstanden wird.
b) Die Planung und Organisation der Beratungsstellen und -dienste sollten nach den örtlichen Bedarfssituationen ausgerichtet werden: Die Erreichbarkeit der Beratungsstellen -räumlich und zeitlich -ist sicherzustellen, und es ist eine Intensivierung und Differenzierung der Beratungsdienste anzustreben, und zwar entsprechend der tatsächlichen Bedarfslage. Dabei sind eigenständige, subsidiäre Strukturen zu initiieren und zu fördern entsprechend der in den neuen Bundesländern vorgegebenen gesellschaftlichen Situation.
c) Während der Umstellungsphase sind durch Förderung von Modellmaßnahmen Möglichkeiten zu schaffen, neue Erkenntnisse für bedarfsgerechtere Planungen zu gewinnen.
Rudolf Kraus, Dr. phil., Dr. rer. pol., geb. 1929; Ministerialdirigent a. D.; seit 1960 Lehrtätigkeit (Sozialpolitik und Sozialrecht) an den Universitäten Freiburg, Frankfurt/M. und Bochum; seit 1971 Honorar-Professor der Ruhr-Universität Bochum; 1991-1993 wiss. Forschungstätigkeit in den neuen Bundesländern. Veröffentlichungen: Zahlreiche Beiträge zu sozialrechtlichen und sozialpolitischen Fragestellungen.
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