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Die Gemeinsame Verfassungskommission Eine neue Institution für die Grundgesetzreform | APuZ 52-53/1993 | bpb.de

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APuZ 52-53/1993 Die Gemeinsame Verfassungskommission Auftrag, Verfahren und Ergebnisse Verfassungsreform und Verfassungsdiskurs Die Gemeinsame Verfassungskommission Eine neue Institution für die Grundgesetzreform Gleichberechtigung durch die Verfassung? Formen unmittelbarer Demokratie im Grundgesetz Soziale Staatsziele als Leitlinien der Politik Staatszielbestimmung Umweltschutz Zur sicherheitspolitischen Orientierung der Verfassung Grundgesetz und Europäische Union. Fortentwicklung der Verfassung im Zuge des europäischen Einigungsprozesses Die Gesetzgebung im Bundesstaat Parlamentsverfassungsrecht -Anstöße für eine Reform Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes

Die Gemeinsame Verfassungskommission Eine neue Institution für die Grundgesetzreform

Eckart Busch

/ 10 Minuten zu lesen

In Anbetracht der Größe der vor uns stehenden Aufgabe der deutschen Einigung müssen wir davon ausgehen, daß auch der kommenden Generation noch große Leistungen bei der Vollendung der Einheit abgefordert werden. Deswegen halte ich das Ergebnis, das die Gemeinsame Verfassungskommission erzielt hat, nicht für das letzte Wort. Nach einem erfolgreichen Aufbau in den ostdeutschen Ländern mag sich das Interesse der Deutschen wieder Verfassungsfragen zuwenden. Es mag dann einen Parlamentarischen Rat oder einen Verfassungskonvent geben, der sich des Art. 146 GG und der Frage der Verfassung des geeinten Deutschlands im Rahmen der Europäischen Union noch einmal annimmt.

Mit der Beschlußfassung über ihren Bericht am 28. Oktober 1993 und dessen Übergabe an die Präsidentin des Deutschen Bundestages und an den Präsidenten des Bundesrates am 5. November 1993 hat die Gemeinsame Verfassungskommission in knapp zweijähriger Tätigkeit ihren Auftrag erfüllt. In 26 Sitzungen und 9 Anhörungen -zum Teil gemeinsam mit dem Rechtsausschuß und dem Innenausschuß des Bundestages -hat sie etwa die Hälfte der Grundgesetzartikel überprüft und den gesetzgebenden Organen eine Reihe von Empfehlungen zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes vorgelegt. Diese beziehen sich auf den Grundrechtsteil, auf die Staatsziele sowie auf die staats-organisatorischen Vorschriften des Grundgesetzes. Damit sind wesentliche Voraussetzungen für die Novellierung des Grundgesetzes nach der Einigung Deutschlands geschaffen worden. Es ist nunmehr Sache der gesetzgebenden Organe, auf der Grundlage des Kommissionsberichts das Verfahren zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes demnächst einzuleiten.

Einsetzung, Auftrag und Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission waren das Ergebnis einer verfassungspolitischen Entwicklung, die vor dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990 begann und mit dem bevorstehenden Verfahren zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes ihren Abschluß finden wird. Den im Bericht vom 5. November 1993 (BT-Drucksache 12/6000, BR-Drucksache 800/93) den gesetzgebenden Organen vorgelegten Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission kommt hierbei wegweisende Bedeutung zu. Die Einbindung der Gemeinsamen Verfassungskommission in den dynamischen Prozeß der Herstellung der inneren Einheit Deutschlands macht ihren verfassungspolitischen und auch zeitgeschichtlichen Stellenwert aus.

Die Gemeinsame Verfassungskommission war in der Tat eine neuartige Institution für die Grundgesetzreform. Neben dem Vermittlungsausschuß und dem Gemeinsamen Ausschuß war sie das dritte gemeinsame Organ von Bundestag und Bundesrat. Damit spiegelten sich in ihr die beiden grundlegenden Bausteine im Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland wider: das parlamentarische System und die bundesstaatliche Ordnung. Das Proprium der Kommission war ihre parlamentarische und föderative Entstehung und Zuordnung.

Diese Gemeinsamkeit kommt vor allem in Fragen des Verfahrens und der Zusammensetzung zum Ausdruck. Zunächst: Die „Geburtsurkunde“ der Kommission waren die gleichlautenden Einsetzungsbeschlüsse von Bundesrat und Bundestagvom 28. und 29. November 1991, aufgrund deren sie von der Präsidentin des Deutschen Bundestages und vom Präsidenten des Bundesrates am 16. Januar 1992 konstituiert wurde. Dementsprechend erfolgte nach Beendigung der Tätigkeit die Übergabe des Kommissionsberichts an die Präsidenten beider Häuser.

Sodann: Nach ihrer Konstituierung wählte die Gemeinsame Verfassungskommission mit dem Abgeordneten Professor Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU) sowie dem Präsidenten des Senats und Erstem Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Dr. Henning Voscherau (SPD), zwei gleichberechtigte Vorsitzende. Durch die Betrauung je eines Mitgliedes des Bundestages und des Bundesrates mit dem Vorsitz und mit dessen gemeinsamer Ausübung kam eine die Gleichgewichtigkeit beider Bänke betonende Besonderheit der Kommission zum Ausdruck, die in keinem anderen Gremium des Bundestages und des Bundes-rates -auch nicht in den beiden anderen gemeinsamen Gremien -eine Entsprechung hat.

Weiterhin: Entscheidend ist die paritätische Zusammensetzung der Gemeinsamen Verfassungskommission aus je 32 Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates. Zu diesen ordentlichen Kommissionsmitgliedem kamen in gleicher Anzahl und Aufteilung die stellvertretenden Kommissionsmitglieder. Damit war der politische Einfluß beider Häuser auf die Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission gleichgewichtig abgesichert. Diese Gleichgewichtigkeit von Bundesrat und Bundestag in der Gemeinsamen Verfassungskommission verdient vor dem Hintergrund Hervorhebung, daß von Verfassung wegen die Länder durch den Bundesrat bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes sowie in Angelegenheiten der Europäischen Union (nur) mitwirken.

Schließlich: Auch in ihrem Selbstverständnis verstand sich die Gemeinsame Verfassungskommission als gemeinsames Gremium von Bundestag und Bundesrat -ungeachtet der Tatsache, daß nach den Einsetzungsbeschlüssen für ihr Verfahren die Geschäftsordnung des Bundestages galt und sie von der Leitung und Verwaltung des Bundestages betreut wurde. Dieses Selbstverständnis wurde deutlich vor allem in der Warnung vor einer zu starken Einbindung der Kommission in parlamentarische Maßnahmen und Verfahren, wie sie etwa bei der Durchführung der beiden gemeinsamen Anhörungen mit dem Rechtsausschuß und dem Innenausschuß des Bundestages zum Ausdruck kam.

Die parlamentarischen Kommissionsmitglieder wurden im Verhältnis der Stärke der Fraktionen entsprechend deren WahlVorschlägen vom Bundestag gewählt. Dabei entfielen auf die Fraktion der CDU/CSU 15, die der SPD 11, die der F. D. P. 4 Mitglieder und Stellvertreter, auf die Gruppen PDS/LL und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN je ein Mitglied und Stellvertreter. Jede Landesregierung bestimmte aus ihren Bundesrats-und stellvertretenden Bundesratsmitgliedern jeweils zwei zu ordentlichen und zwei zu stellvertretenden Kommissionsmitgliedern. Dabei kam auch die jeweilige koalitionspolitische Zusammensetzung der Kabinette zum Ausdruck. Der Bundesrat war als Wahlorgan nicht eingeschaltet. Nach dem Aus-, scheiden des Vertreters der parlamentarischen Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus der Gemeinsamen Verfassungskommission gehörten ihr zum Schluß auf beiden Bänken als ordentliche Mitglieder 26 Mitglieder der CDU/CSU, 28 der SPD, 6 der F. D. P, 1 der PDS/LL und 2 vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an.

Die Bemessung der Mitgliederzahl eines Landes in der Gemeinsamen Verfassungskommission erfolgte -abweichend von der Zusammensetzung des Bundesrates -nach dem Prinzip der Einzel-staatlichkeit: Ungeachtet seiner Einwohnerzahl entsandte jedes Land zwei ordentliche und zwei stellvertretende Mitglieder. Deren Stimmabgabe brauchte auch nicht einheitlich zu erfolgen. Damit war den am Schluß der Kommissionstätigkeit insgesamt zehn bestehenden Koalitionen in den Ländern Rechnung getragen und der Weg für unterschiedliche Stimmabgaben der beiden Mitglieder derselben Landesregierung beim selben Beratungsgegenstand geöffnet worden. Hiervon wurde auch Gebrauch gemacht. Doch wurde die Stimmabgabe der Bundesratsmitglieder in der Gemeinsamen Verfassungskommission auch zum Gegenstand von Beratungen der Landesregierungen gemacht -oft aufgrund parlamentarischer Initiativen aus den Landesparlamenten mit konkreten Voten.

Verfassungspolitik ist Machtpolitik, die darauf abzielt, die eigenen politischen -und auch ideologischen -Vorstellungen verfassungsrechtlich abzusichern. Verfassungspolitik ist aber auch Konsenspolitik -dank des grundgesetzlichen Erfordernisses einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat für Grundgesetzänderungen, die mithin nur durch große Koalitionen in beiden Häusern erfolgen können. Dieses Quorum wurde durch die Einsetzungsbeschlüsse auch für die Abstimmungen in der Gemeinsamen Verfassungskommission zu-gründe gelegt. Nur Vorschläge, für die mindestens zwei Drittel der Stimmen -also 43 -abgegeben wurden, erhielten den Rang einer Kommissionsempfehlung. Dieses Mehrheitserfordernis ließ sich nur mit den Stimmen aus beiden Bänken verwirklichen. Die politische Zuordnung der Kommissionsmitglieder ergab, daß keine der großen Parteien mit ihren Stimmen beider Bänke allein oder mit den kleineren Parteien die Zweidrittelmehrheit erzielen konnte, sondern nur mit Mitgliedern der anderen großen Partei zusammen: Nur eine große Koalition der Kommissionsmitglieder der CDU/CSU und der SPD beider Bänke konnte durch einvernehmliche Stimmabgaben bewirken, daß aus Vorschlägen und Anträgen, die in die Beratungen eingebracht worden waren, Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission wurden.

Mit diesem Mehrheitserfordernis entwickelte sich die Gemeinsame Verfassungskommission zum Prüfstand dafür, ob und inwieweit über verfassungspolitische und verfassungsrechtliche Fragen Kompromiß-und Konsensmöglichkeiten im parlamentarischen Raum unter den Fraktionen und Gruppen sowie im föderativen System zwischen Bund und Ländern entweder von Anfang an bestanden oder sich dadurch ergaben, daß man sich in der Sache aufeinander zubewegte. Dabei war der Weg zum notwendigen Verfassungskompromiß häufig voller Dornen und Disteln.

Bei aller Unsicherheit von Prognosen für zukünftiges Abstimmungsverhalten, das sich möglicherweise -etwa aufgrund geänderter Umstände -ändern kann, könnte die Zweidrittelmehrheit vielleicht doch als Indiz dafür angesehen werden, daß die Kommissionsempfehlungen im bevorstehenden Novellierungsverfahren aufgegriffen und verwirklicht werden. Die mit einer Mehrheit von zwei Dritteln gefaßten Kommissionsempfehlungen stellen schließlich eine Verstärkung der politischen Vorgaben an die gesetzgebenden Organe dar. Dies ergibt sich auch daraus, daß die verfassungs-und rechtspolitischen Sprecher der Fraktionen und Verfassungsminister der Länder der Gemeinsamen Verfassungskommission angehörten. Die Rückbindung der Kommissionsmitglieder an die entsendenden Organe, wie sie vor allem in den Arbeitsgruppen Verfassung der Fraktionen und in den Kabinettsberatungen erfolgte, verlieh den Kommissionsempfehlungen den politischen Rückhalt von Fraktionen und Landesregierungen. Im Verfahren der Kommission führte diese notwendige sachliche Rückbindung gelegentlich zu einem neuen Beratungsbedarf und zu einem kurzfristigen Aufschub der Abstimmungstermine.

Eine rechtliche Bindung der gesetzgebenden Organe an die Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission besteht indes nicht. Die Vorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission haben nur empfehlenden Charakter. Die Entscheidung liegt bei den gesetzgebenden Organen. Sie entscheiden nach eigenem Ermessen, ob und welche Kommissionsempfehlungen sie aufgreifen und in welcher Weise sie sie umsetzen wollen.

Der Rückgriff auf Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission verbraucht auch nicht das Gesetzesinitiativrecht von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Diesen bleibt es unbenommen, von der Kommissionsmehrheit abgelehnte Vorschläge erneut aufzugreifen oder neue einzubringen. Doch stellt die Tatsache, daß ein Antrag in der Gemeinsamen Verfassungskommission nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht hat, eine -indes widerlegbare -Vermutung dafür dar, daß dies auch im Gesetzgebungsverfahren der Fall sein kann. Insoweit entfaltet ein negatives Kommissionsvotum doch ein gewisses legislatorisches Risiko.

Sedes materiae für den Auftrag der Gemeinsamen Verfassungskommission war Art. 5 des Einigungsvertrages. Hiernach empfahlen die Regierungen der Vertragsparteien den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb von zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, „insbesondere“ mit dem Verhältnis von Bund und Ländern entsprechend dem Gemeinsamen Beschluß der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990, mit einer Neugliederung für den Raum Berlin/Brandenburg abweichend von Art. 29 GG durch Vereinbarung der beteiligten Länder, mit der Aufnahme von Staatszielbestimmungen in das Grundgesetz sowie mit der Anwendung von Art. 146 GG.

Diese Bestimmung war Auftrag und Ausgangspunkt der Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission. Die vier ausdrücklich erwähnten Felder möglicher Grundgesetzänderungen sind verfassungspolitisch aus dem Einigungsvertrag entstanden. Sie weisen untereinander kaum inhaltliche Verknüpfungen auf. Wie sich aus der sprachlichen Hervorhebung „insbesondere“ ergibt, begrenzte Art. 5 des Einigungsvertrages nicht das ohnehin bestehende Ermessen der gesetzgebenden Organe, sich auch mit anderen Feldern der Grundgesetznovellierung zu befassen. Mit der Zuweisung jener Grundgesetzänderungen, die mit der Verwirklichung der Europäischen Union erforderlich werden, durch die Einsetzungsbeschlüsse in die Agenda der Kommission wurde hiervon auch Gebrauch gemacht.

Die Gemeinsame Verfassungskommission hat sich durch diese Vorgaben nicht gehindert gesehen, sich auch mit anderen Beratungsgegenständen zu befassen. Entsprechend dem im Laufe ihrer Tätigkeit entwickelten Selbstverständnis sah sie es auch als ihre Aufgabe an, in der politischen Diskussion aktuell gewordene verfassungsrechtliche Fragen im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Grundgesetznovellierung zu beraten. Schließlich nahm sie das Recht in Anspruch, zu eingeleiteten Verfahren der Verfassungsänderung ihr Votum abzugeben. Wegen dieses von ihr entwickelten und in Anspruch genommenen Selbstbefassungsrechts hing die Aufnahme einer Verfassungsmaterie in die Beratungsagenda der Kommission weder von einer Überweisung noch von der Zustimmung anderer Verfassungsorgane ab. Gegenüber diesem „souveränen“ Selbstverständnis der Kommission wurden indes auch Befürchtungen geäußert, die Gemeinsame Verfassungskommission könnte sich zum Vollzugs-und Akklamationsorgan anderer Staatsorgane machen lassen und das bestätigen, was bereits anderenorts entschieden sei.

Der Arbeitsweise der Gemeinsamen Verfassungskommission lag ein Verfahren weitgehend eigener Art zugrunde. Normative Grundlagen standen zwar in den Einsetzungsbeschlüssen mit ihren Angaben über die Mitglieder und Stellvertreter, über deren Wechsel, über den Vorsitz und die Teilnahme an den Kommissionssitzungen sowie über die Aufgaben und das Enscheidungsquorum zur Verfügung. Für das Verfahren galt die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Doch lag der Schwerpunkt der Verfahrensgestaltung bei den Obleuten. Deren stets einvernehmlich gefaßte verfahrensleitende Hinweise wurden gegebenenfalls durch Kommissionsbeschlüsse bestätigt.

So wurde über die Einsetzungsbeschlüsse hinaus nicht nur den Mitgliedern der Bundesregierung, sondern auch ihren Beamten -vor allem aus den Bundesministerien des Innern und der Justiz -und denen der Landesministerien sowie den Mitarbeitern der Fraktionen und Gruppen die Teilnahme an den Kommissionssitzungen gestattet. Das Problem der Teilnahmezulassung entfiel, nachdem die Kommission alsbald den Beschluß gefaßt hatte, ihre Sitzungen öffentlich durchzuführen. Der breit angelegte Verfassungsdiskurs der Kommission mit den Bürgern war hierfür erkenntnisleitendes Interesse. Eine weitere Anpassung der normativen Grundlagen an die Bedürfnisse der Kommission erfolgte dadurch, daß sich die Kommission im Hinblick auf die Sitzungspräsenz ihrer Mitglieder darauf verständigte, daß das vorgegebene Quorum einer Zweidrittelmehrheit nur für Sachfragen gelten sollte. Fragen der Geschäftsordnung und des Verfahrens sollten dagegen mit einer Zweidrittelmehrheit nur der Anwesenden -bei Widerspruchs-möglichkeit einer Bank -entschieden werden können.

Am Anfang der Kommissionsberatungen standen die Beschlüsse der Obleute über die Festlegung einer Verfassungsmaterie als Beratungsgegenstand der Kommission. An den Obleutebesprechungen nahmen neben den beiden Vorsitzenden die von den Fraktionen und Gruppen benannten Obleute sowie zwei Mitglieder von Landesregierungen teil. Der Auswahl der Beratungsgegenstände lagen die Vorgaben aus dem Einigungsvertrag und den Einsetzungsbeschlüssen zugrunde, aber auch Materien, die im weiteren Sinne als Folge der deutschen Einheit angesehen wurden, vor allem wenn sie sich als konstitutionelle Vorgaben in den Verfassungen der neuen Bundesländer darstellten -wie etwa Staatsziele, soziale Grundrechte und plebiszitäre Elemente. Schließlich gab es Materien, die durchaus als „Dauerbrenner“ der deutschen Verfassungsreform angesehen werden können und auch schon die Enquete-Kommission Verfassungsreform in den siebziger Jahren beschäftigt hatten. Hierzu gehörten die bundesstaatliche Ordnung und ausgewählte Fragen des Parlamentsverfassungsrechts: Constitutio semper reformanda. Schließlich mußten bereits eingeleitete Verfahren der Grundgesetznovellierung als Beratungsgegenstände der Gemeinsamen Verfassungskommission mit dem Ziel eines Kommissionsvotums -wie etwa die Privatisierung der Luftverkehrsverwaltung -begleitet werden.

Nach dieser Festlegung vollzog sich das Verfahren in der Kommission bis zur Abstimmung in der Regel nach folgenden Schritten: In einer allgemeinen Aussprache führten die Berichterstatter in die Materie des Beratungsgegenstandes ein. Hieran schloß sich die Diskussion in der Kommission an. Für die Aufnahme der Kommissionsberatungen waren keine Anträge von Kommissionsmitgliedern erforderlich. Diese wurden häufig erst am Ende der Beratungen unter Berücksichtigung der erkennbar gewordenen übereinstimmenden oder kontroversen Positionen gestellt. Der Beratungsgegenstand wurde sodann en generale und en detail in den Berichterstattergesprächen erörtert. Neben der Aufarbeitung der Sachfragen war hierbei das ausschlaggebende erkenntnisleitende Interesse, ob der Weg zu einem Verfassungskonsens

Fussnoten

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Eckart Busch, Dr. jur., geb. 1933; Ministerialrat; Leiter des Sekretariats der Gemeinsamen Verfassungskommission.