„Ein Staat im Staate“ Der Uranbergbau der Wismut AG in Sachsen und Thüringen
Rainer Karlsch
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Zusammenfassung
Der Uranbergbau der Wismut AG war ein besonders schwerwiegender Sonderfall der industriellen Tätigkeit der sowjetischen Besatzungsmacht und genoß höchste strategische Priorität. Bis 1956 unterstand das Unternehmen direkt dem sowjetischen Verteidigungsministerium; auch später blieb der sowjetische Einfluß dominierend. Die Wismut AG wurde materiell und personell mit rigiden Methoden zu einem monopol-artigen Unternehmen ausgebaut. In den „Wismut-Kreisen“ fand ein Sozialisierungsprozeß statt, wie es ihn in keiner anderen Region der SBZ/DDR gegeben hat. Die Direktion der Wismut AG betrieb in der Aufbauphase des Unternehmens gegenüber der Belegschaft eine Politik von Vergünstigung und Zwang. Vergleichsweise hohen materiellen Zuwendungen stand ein äußerst restriktives Betriebsregime gegenüber. Die auf dem Reparationskonto gutgeschriebene Summe von höchstens 335 Mio. US-Dollar spiegelte die tatsächlichen Aufwendungen der SBZ/DDR für die Wismut AG im Zeitraum von 1946 bis 1953 nur sehr unvollkommen wider. Auch nach deren 1954 erfolgter Umwandlung in eine sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft lastete der Uranbergbau schwer auf der Wirtschaft der DDR. Ob für die Zeit von 1954 bis 1990 von reparationsähnlichen Leistungen, ungleichem Handel oder von systembedingten Verlusten gesprochen werden soll, bedarf der weiteren Erörterung. Die gesundheitlichen Folgen für die Bergleute, das Ausmaß der atomar verseuchten Gebiete sowie die Kosten der Sanierung der von der Sowjetunion hinterlassenen Altlasten gehen in die Milliarden.
I. Der Forschungsstand
Die Geschichte der Wismut AG, des einstmals größten europäischen Uranproduzenten, hegt noch weitgehend im Dunkeln. Bis zum Zusammenbruch der DDR und der Sowjetunion herrschte über die Tätigkeit dieses Unternehmens eine nahezu totale Nachrichtensperre. Das Wort Uran wurde tunlichst vermieden, doch um nichts anderes ging es der Sowjetunion in der Nachkriegszeit. Mit der Wismut AG entstand im Zuge der sowjetischen Reparationsforderungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) ein völlig neuartiger Industriezweig. Bis 1956 unterstand das Unternehmen direkt dem sowjetischen Verteidigungsministerium. Gefördert und aufbereitet wurden uranhaltige Erze. Das Uranerz wurde bis 1962 ausschließlich in die Sowjetunion geliefert, danach auch zu einem geringen Teil für Kernkraftwerke in der DDR verwandt.
Obwohl manches bekannt war bzw. vermutet werden konnte, waren die Ausmaße der Umweltschäden erst abzuschätzen, nachdem sich die Sowjetunion Ende 1990 endgültig aus dem Uranbergbau in Sachsen und Thüringen zurückgezogen hatte. Immer neue Katastrophenmeldungen erschienen in der Presse Verschiedentlich wurde der Wismut-Bergbau als der drittgrößte Strahlenschaden der Geschichte, nach Hiroshima und Tschernobyl, bezeichnet Die Stichhaltigkeit solcher Einschätzungen bedarf indessen noch eingehender Prüfung.
Begleitend zu den noch auf viele Jahre nötigen Sanierungsarbeiten verdient die Geschichte der Wismut eine kritische Bestandsaufnahme. Seriöse wis-senschaftliche Untersuchungen waren bis 1989 kaum möglich. Lediglich im Zusammenhang mit den Untersuchungen zu den Reparationsleistungen der SBZ/DDR fand die Wismut AG Erwähnung Nach dem Fall der Mauer haben sich zunächst Journalisten und Zeitzeugen zur Geschichte der Wismut AG geäußert Die bisher interessanteste Selbstdarstellung des Unternehmens ist unter dem Titel „Seilfahrt“ unmittelbar nach dem Ende der DDR veröffentlicht worden.
Die nunmehr zugänglichen Quellen zur Geschichte des Wismut-Bergbaus sind in ihrer Quantität und Qualität sehr heterogen. Umfangreiches Material für die Zeit von 1956 bis 1990 enthält das Wismut-Archiv in Chemnitz Die Akten die Industriegewerkschaft der Wismut lagern inzwischen im Archiv der IG Bergbau und Energie in Bochum Darüber hinaus stehen einige Akten im sächsischen Hauptstaatsarchiv in Dresden zur Verfügung. Weitere, eher verstreute Hinweise auf die Tätigkeit der Wismut AG finden sich in verschiedenen Beständen des Bundesarchivs, Abteilung Potsdam, und in der Stiftung Archive der Parteien und Massenorganisationen der DDR beim Bundesarchiv. Leider ist das für die Zeit bis 1956 wichtigste Schriftgut aus-nahmslos von sowjetischer Seite ausgelagert worden. So sind derzeit vor allem für die Anfangsjahre wichtige Fragen nur ansatzweise zu klären.
II. Die Gründung der Wismut AG
Abbildung 2
Tabelle 2: Von der SMAD bzw. SKKD anerkannte Reparationsleistungen der Wismut AG in den Jahren 1949, 1951 und 1952 1952 Quellen: StAPMO, ZPA, Nachlaß Pieck 36/736, Beratungen Pieck, Grotewohl-Tschuikow vom 22. Januar 1949, 4. April 1951 und 12. Dezember 1951; StAPMO, ZPA Nr. J IV 2/2/208, Sitzungsmaterial des Politbüros vom 11. September 1951.
Tabelle 2: Von der SMAD bzw. SKKD anerkannte Reparationsleistungen der Wismut AG in den Jahren 1949, 1951 und 1952 1952 Quellen: StAPMO, ZPA, Nachlaß Pieck 36/736, Beratungen Pieck, Grotewohl-Tschuikow vom 22. Januar 1949, 4. April 1951 und 12. Dezember 1951; StAPMO, ZPA Nr. J IV 2/2/208, Sitzungsmaterial des Politbüros vom 11. September 1951.
Der Name „Wismut“ wurde erstmals Mitte des 15. Jahrhunderts erwähnt. Das vorrangig in der Umgebung von Schneeberg geförderte Wismut-Metall fand zusammen mit Zinn und Blei bei der Herstellung einer Legierung für das Lettermetall im Buchdruck Verwendung. Die bescheidenen Anfänge des tatsächlichen Uranerzbergbaus datieren auf Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1908 erklärte die sächsische Regierung alle Funde an radioaktiven Stoffen zu Staatseigentum. Die radioaktiven Wässer des Schlematals wurden fortan als Heilquellen genutzt (Radiumbad Oberschlema). Während des Zweiten Weltkrieges kam der Erzbergbau im westlichen Erzgebirge fast völlig zum Erliegen. Ende April 1945 besetzten amerikanische Truppen große Teile von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Die dortigen rüstungsrelevanten Unternehmen und Einrichtungen wurden von Spezialeinheiten eingehend inspiziert. Allein aus Thüringen sind Ende Juni mindestens 1300 deutsche Spezialisten, einzelne Quellen sprechen gar von zirka 4000, von den abziehenden amerikanischen Truppen evakuiert worden
Als Kriegsbeute betrachtete das amerikanische Militär auch die Radiumreserve des Deutschen Reiches, gelagert in der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Weida (Thüringen) Ein amerikanisches Spezialkommando erzwang am 26. Juni 1945 die Übergabe der Radiumreserve (21, 8 Gramm) und von Spezialgeräten im Wert von drei Mio. US-Dollar. Die alliierte Jagd nach der deutschen Radiumreserve war eine von vielen Episoden aus der alliierten Konkurrenz um Kriegsbeute, deutsches Know-how und „Spezialisten“ Die Amerikaner hielten sich mit ihrem mehrfach verzögerten Rückzug schließlich an die alliierten Vereinbarungen. Dabei dürfte ihnen die Bedeutung der sächsischen und thüringischen Uranvorkommen in groben Umrissen durchaus bekannt gewesen sein In Anbetracht des eigenen technologischen Vorsprungs und möglicher schwer kalkulierbarer Risiken stellten sie die 1944 getroffenen Vereinbarungen über die Besatzungsgrenzen nicht in Frage.
Unmittelbar nach dem Abzug der Westalliierten ordnete der sowjetische Innenminister Berija die 1 Fortsetzung der Erkundungsarbeiten im sächsischen Bergbaugebiet an Die Sowjetunion verfügte damals nicht über ausreichende Mengen an Natururan für ihr Atombombenprojekt und sah den Ausweg in der Erschließung von hochwertigen Uranvorkommen in der SBZ und im böhmischen Jachymov (Joachimsthal). Ab September 1945 begannen sowjetische Fachleute in Sachsen mit intensiven geologischen Untersuchungen; sie verliefen erfolgversprechend. Im Juni 1946 beschloß daraufhin der Ministerrat der UdSSR die Ausbeutung der sächsischen Uranvorkommen. Der Beginn der Aufschluß-und Schürfarbeiten wurde von sowjetischen Militäreinheiten organisiert. Unter der Feldpostnummer 27304 wurden Bergbaufachleute zusammengefaßt und durch Pioniereinheiten und Soldaten ergänzt.
Die für den Uranabbau in Frage kommenden Gruben und Betriebe der Sachsenerz-Bergwerks AG wurden beschlagnahmt und später in sowjetisches Eigentum überführt. Als Rechtsgrundlage für die Enteignungen galt der Befehl Nr. 128 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 26. Mai 1947. Dessen Durchführung wurde durch den Befehl Nr. 131 der SMA/Sachsen vom 30. Mai 1947 geregelt. Auf Grundlage dieser Befehle gingen die Bergverwaltungen Johanngeorgenstadt, Schneeberg, Oberschlema, Annaberg, Lauter und Marienberg sowie das Pechtelsgrüner Anreicherungswerk als Reparationen in das Eigentum der UdSSR über Auf einer Gebietskarte des Landes Sachsen steckte eine sowjetische Kommission das „Interessengebiet“ der Wismut AG in Sachsen ab. Allein in Sachsen umfaßte das Wismut-Gebiet 13 Stadt-bzw. Landkreise, mit rund 2, 1 Mio. Einwohnern. Im Jahr 1950 lebten ungefähr 40 Prozent aller Sachsen in den „Wismut-Kreisen“
Die Aufsicht über die Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG) Wismut lag beim Volkskommissariat für Staatssicherheit, so daß die SMAD weitgehend ausgeschaltet blieb. Als Direktor der Wismut AG wurde der NKWD-General Malzew (1945-1950) eingesetzt. Ihm zur Seite stand als deutscher Leiter ein erfahrener Ingenieur (ehemals NSDAP-Mitglied), der sich nach Bekunden sowjetischer Offiziere zur „Seele“ des Unternehmens entwickelte. Im Verlauf der Jahre 1947/48 wurden der Wismut AG weitere Bergwerksbetriebe angegliedert. Die Übernahmen regelte der Befehl Nr. 1 des Chefs des SMA/Sachsen, Generalmajor Dubrowskij, vom 3. Januar 1948 Konzentrierte sich der Uranabbau zunächst auf einen breiten Streifen zwischen Aue und Freital, so kamen ab 1948 noch Gruben im Harz (bei Wernigerode) und in Thüringen (bei Ronneburg) hinzu.
III. Schnelle Ausweitung des Uranbergbaus
Abbildung 3
Tabelle 3: Schätzungen der tatsächlichen Aufwendungen der Wismut AG 1946 bis 1960 (Angaben Mio. RM/DM-Ost zu laufenden Preisen) Quellen: Anm. 55, S. 25, sowie für Spalte 5 StAPMO, ZPA, NL 113/26.
Tabelle 3: Schätzungen der tatsächlichen Aufwendungen der Wismut AG 1946 bis 1960 (Angaben Mio. RM/DM-Ost zu laufenden Preisen) Quellen: Anm. 55, S. 25, sowie für Spalte 5 StAPMO, ZPA, NL 113/26.
Der Auf-und Ausbau des Uranbergbaus in der SBZ genoß höchste strategische Priorität Die Ausstattung der Wismut AG mit Ausrüstungen und Arbeitskräften hatte Vorrang vor allen anderen Aufgaben. Aus der gesamten SBZ wurden Ausrüstungen für den Wismut-Bergbau zusammengetragen. Sofern bestimmte Ausrüstungen wie Pumpen und Grubenlampen nicht ausreichend zur Verfügung standen, begann der schrittweise Aufbau eines Systems von Zulieferbetrieben. Die Phase des schnellen Wachstums des für die Sowjetunion strategisch äußerst wichtigen Uranbergbaus erstreckte sich von 1946 bis Anfang der fünfziger Jahre. Die Wismut AG weitete ihre Tätigkeit rasch aus; sie unterhielt insgesamt 27 Objekte, darunter zehn Produktionsstätten und mehrere große Zulieferbetriebe Im Bewirtschaftungssystem der SBZ nahm die Wismut AG eine bevorzugte Stellung ein. Knappe Güter aller Art mußten zuerst für den Wismut-Bergbau bereitgestellt werden. Das im Aufbau befindliche Sonderversorgungssystem führte zwangsläufig zu Engpässen in anderen Wirtschaftsbereichen
Je weiter sich das Tätigkeitsfeld der Wismut ausdehnte, desto strenger wurden Sicherheitsvorkehrungen aller Art gehandhabt. Bereits unmittelbar nach Gründung der Wismut AG erhielten die Kreise Aue, Marienberg, Schwarzenberg und Annaberg den Charakter von „Sonderregionen“. Der Zutritt zu diesen Sperrkreisen und den dortigen Straßen und Bahnhöfen war bis 1949 nur noch mit Sonderausweisen bzw. speziellen Einreisegenehmigungen der SMAD möglich In späterer Zeit wurden die rigiden Sicherheitsbestimmungen auf die Gruben und Produktionsstätten beschränkt. Das Wismut-Gebiet wurde immer stärker gegen Westen abgeriegelt. Für sämtliche strafbare Handlungen im Sperrgebiet wurde eine spezielle Wismut-Gerichtsbarkeit eingeführt. Das NKWD baute ein dichtes Überwachungsnetz auf. Bisweilen nahm das Sicherheitsdenken der SMAD und der Wismut-Direktion groteske Züge an. Für die Sperrgebiete besaßen selbst Leichentransporte keine „Dauereinfahrgenehmigung“, wie es im unnachahmlichen DDR-Amtsdeutsch hieß. Für jede Fahrt mußten auf umständlichem Amtswege Papiere besorgt und Genehmigungen der sowjetischen Kommandantur in Chemnitz eingeholt werden. Erst energische Proteste des Ministeriums für Gesundheitswesen beim Chef der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland (SKKD) brachten Ende 1951 eine Vereinfachung des Verfahrens
IV. Rasantes Wachstum der Beschäftigtenzahl
Abbildung 4
Tabelle 4: Gesamtkosten der SDAG Wismut 1955, 1956 und 1958 in Mrd. DM Quelle: StAPMO, ZPA, NL 113/26, Bl. lff.
Tabelle 4: Gesamtkosten der SDAG Wismut 1955, 1956 und 1958 in Mrd. DM Quelle: StAPMO, ZPA, NL 113/26, Bl. lff.
Bei Beginn des Wismut-Bergbaus herrschte Arbeitskräftemangel. Vor allem fehlte es an Fachkräften. Um Arbeitskräfte anzuwerben, startete die SMAD in der gesamten SBZ eine Rekrutierungskampagne. Offiziere der SMAD, Funktionäre der SED und der Gewerkschaft versprachen allen Interessenten gute Arbeitsbedingungen, hohe Löhne sowie zusätzliche Lebensmittelrationen. In dem Maße, wie der Perso-nalbedarf weiter stieg und die Werbungsaktionen nicht den gewünschten Erfolg brachten, nahmen Zwangsmaßnahmen zu. Ende 1947 wurde die Einweisung von Heimatvertriebenen in die Kreise Aue, Annaberg und Marienberg von der SMAD mit Rücksicht auf den Erzbergbau gestoppt. Der knappe Wohnraum sollte den Wismut-Beschäftigten Vorbehalten bleiben Die Unterbringung der Wismut-Arbeiter erfolgte zu Lasten der Einheimischen. Wohnungen wurden zwangsgeräumt und Massenquartiere in Fabriken, Gasthöfen und öffentlichen Gebäuden eingerichtet. In kürzester Zeit hatte sich in einigen Bergbauorten die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt. In Johanngeorgenstadt stieg die Einwohnerzahl von 6 559 im Jahr 1946 auf rund 32870 im Jahr 1950 Die Stadt Aue verzeichnete einen Zuwachs von fast 10000 Einwohnern innerhalb von vier Jahren (1946 = 25 567; 1950 = 35785).
Mehrere Befehle der SMAD verpflichteten die Deutsche Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge (DZVAS) kurzfristig zur Rekrutierung Zehntausender von Arbeitskräften Die Mitarbeiter der DZVAS waren damit überfordert und wußten sich oft nur über unhaltbare Versprechungen und Zwangsverpflichtungen zu helfen. Als juristische Grundlage für die Zwangsverpflichtungen diente der Befehl Nr. 3 des Alliierten Kontrollrats vom 17. Januar 1946. Dieser Befehl ermächtigte die Ämter für Sozialfürsorge, Personen für die Dauer von sechs Monaten bis zu zwei Jahren einen Arbeitsplatz zuzuweisen Auf dieses aus der NS-Zeit überkommene Instrumentarium der Dienstverpflichtungen wurde bis 1947, trotz geringer Effizienz, von den Militärregierungen in allen Zonen hauptsächlich im Bergbau zurückgegriffen
In Durchführung des Kontrollratsbefehls erließ die DZVAS am 16. Mai 1947 eine Richtlinie für die Lenkung von Arbeitskräften in der SBZ. Der Mißbrauch dieser Richtlinie nahm kurz darauf gravierende Formen an und erreichte im Sommer 1947 seinen Höhepunkt Sofern Arbeitssuchende bei den Arbeitsämtern eine Verpflichtung zur Arbeit in der Wismut AG nicht Unterzeichneten, mußten sie mit einer Eintragung in ihrem Nachweisbuch rechnen („Bergbautauglich, lehnt freiwilligen Einsatz ab“). Damit wurden sie praktisch von der Arbeitsaufnahme in anderen Betrieben ausgeschlossen und gingen der höheren Lebensmittel-karten sowie ggf.der Arbeitslosenunterstützung verlustig. Die SMAD sah sich schließlich im Oktober 1947 genötigt, die Arbeitsämter zur Einschränkung der Zwangseinweisungen aufzufordern In Durchführung des Befehls Nr. 234, der im Interesse der dringend notwendigen Produktivitätssteigerung auf di 6 Wiederherstellung eines Systems von Leistungsanreizen zielte, erließ die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) schließlich am 2. Juni 1948 eine Verordnung, mit der die Dauer der Einweisung auf sechs Monate begrenzt wurde. Wiederholt beklagte die Direktion der Wismut AG, die am Aufbau einer qualifizierten und motivierten Stammbelegschaft interessiert war, die Praktiken der Arbeitsämter, die oft nur ihren „Ausschuß“ ins Wismut-Gebiet schickten. „ 70 % der Beschäftigten sind Abenteurer und Betrüger.“
Mit einigem Erfolg bemühte sich die Wismut-Direktion deshalb, eine alternative Strategie zu den Zuweisungspraktiken der Arbeitsämter zu entwickeln. Werber der Wismut AG zogen über Land und erreichten einen wachsenden Zustrom Freiwilliger. Was Werner Abelshauser bereits für den Ruhrbergbau konstatierte, galt ebenso für den Wismut-Bergbau in der SBZ: „Nahrung, Kleidung, Unterkunft -um diese handfesten materiellen Lebensbedürfnisse drehte sich alles in den ersten drei Nachkriegsjahren. Die nackte Not setzte dem Handeln der Menschen Prioritäten.. ,“
Insbesondere Vertriebene, Flüchtlinge und Heimkehrer sahen im Wismut-Bergbau eine neue Perspektive. Aber auch zunehmend mehr Einheimische zog es zur rasch expandierenden Wismut AG. Vom Privilegiensystem des Wismut-Bergbaus ging eine Sogwirkung aus. Zahlreiche kleinere Firmen im näheren Umkreis beklagten die massive Abwerbung von Arbeitskräften. Andere sahen sich, auch unter dem Druck der Belegschaften, gezwun-gen, ihre Werkstätten der Wismut AG zu verpachten. Das Landratsamt Aue befürchtete gar den vollständigen Zusammenbruch der Industrie im Kreis Aue infolge der permanenten Abwanderung von Beschäftigten in Richtung Wismut AG Nach der Ausdünnung der lokalen Arbeitsmärkte bekamen auch weiter entfernte Regionen die Anziehungskraft der Wismut AG zu spüren Ab 1949 konnte auf Zwangsverpflichtungen weitgehend verzichtet werden Die Sättigungsgrenzen bei der Belegschaftszahl waren erreicht, teilweise schon überschritten. Ein Teil der Belegschaft, Quellen sprechen Mitte 1949 von 30 Prozent, war nicht ausgelastet
In dem Maße, wie die Nachfrage nach Arbeit bei der Wismut AG über deren Angebot hinaus wuchs, begann die Direktion, das Arbeitsregime zu straffen und zu einer strengeren Personalauswahl überzugehen. Einerseits sollten leistungsfähige und qualifizierte Arbeitnehmer mit attraktiven Verdienstchancen und Vergünstigungen, aber auch rüden Entmündigungspraktiken zur Verlängerung ihrer Kontrakte bewogen werden, andererseits wurden zunehmend mehr leistungsschwächere Kumpel schon bei geringfügigen Verstößen oder im Krankheitsfall entlassen. Ende 1949 häuften sich aus diesem Grund bei der Wismut AG Beschwerden von Arbeitsämtern aus allen Ländern der SBZ, in denen die Entlassungswelle beklagt wurde Eine rechtliche Handhabe gegen willkürliche Entscheidungen der Unternehmensleitung gab es indessen nicht. Für die Wismut AG galten Ausnahmeregelungen.
Symptomatisch war der Umgang mit der bereits genannten DWK-Verordnung vom 2. Juni 1948 zur „Sicherung und Schutz der Rechte bei Einweisung von Arbeitskräften“ Den in der Verordnung enthaltenen Passus, wonach der Arbeitsvertrag von einem Zwangsvermittelten nach sechs Monaten aufgekündigt werden konnte, versuchte die Wismut-Direktion, mit Einverständnis des Chefs der sächsischen Polizei, auszuhebeln Zwangsverpflichtete mußten ihre Personalpapiere und ihren Personalausweis abgeben. Ohne Personal-st) ausweis waren weder eine Wohnungsanmeldung noch der Bezug der kaum entbehrlichen Lebensmittelmarken möglich. Sofern die Betreffenden ihre Kontrakte kündigen wollten, verweigerte die Personalverwaltung in vielen Fällen eine sofortige Herausgabe der Papiere. Den Betroffenen blieb mitunter nur die Flucht. Wer dabei aufgegriffen wurde, kehrte in Handschellen zum Arbeitsort zurück. Ebenfalls auf die Straffung der Arbeitsdisziplin gerichtet war die von General Malzew am 25. März 1949 erlassene Verordnung Nr. 66, die ein strenges Vorgehen gegen „Bummelanten und Simulanten“ anordnete
Die großangelegten Werbeaktionen für die Wismut AG liefen Ende 1951 aus. Seit dieser Zeit entwickelten sich die Beschäftigtenzahlen der Wismut AG rückläufig Die Regulierung des Arbeitskräftebedarfs erfolgte jetzt hauptsächlich über den Lohn. Immerhin lag der Durchschnittslohn Mitte 1951 in der Wismut AG um nahezu 50 Prozent über dem Durchschnittslohn in der metallverarbeitenden Industrie der DDR
Die tatsächliche Beschäftigtenzahl lag möglicherweise noch etwas höher als in Tabelle 1 angegeben, da direkt von der Wismut AG angeworbene Arbeitskräfte sowie sowjetische Arbeiter auf den Ämtern nicht in jedem Fall erfaßt wurden Bisher ist die Anzahl sowjetischer Bürger an den Wismut-Beschäftigten nur für 1953 bekannt, sie wird mit 3358 angegeben. Seit Mitte der fünfziger Jahre wurde die Belegschaftszahl deutlich reduziert. Arbeiteten 1956 rund 100000 Menschen bei der Wismut AG, so waren es 1961 nur noch zirka 45000
V. Soziale Probleme
Das rasche Wachstum forderte seinen Preis. Die Bergbauregion platzte förmlich aus allen Nähten. Soziale Mißstände in den ersten Jahren waren die Folge. Die Ärzteschaft in der Bergbauregion wurde in den Anfangsjahren vom sowjetischen Geheimdienst massiv unter Druck gesetzt. Ärzte, die zu viele der für den Bergbau Gemusterten untauglich schrieben, wurden verhaftet Große Teile der Belegschaft waren notdürftig in Barackenlagern und Zeltstädten untergebracht. Krankheiten aller Art, insbesondere Geschlechtskrankheiten, häuften sich. Gewalttaten blieben nicht aus. Raubüberfälle, Einbrüche und Mordanschläge waren an der Tagesordnung. Die menschenunwürdigen Bedingungen im Wismut-Gebiet waren dem Zentral-sekretariat der SED bekannt. Berichte über die rüden Praktiken der Arbeitsämter und Werber, über tödliche Unfälle, prügelnde sowjetische Obersteiger und die Fluchtwelle von Wismut-Arbeitem standen Pieck, Ulbricht, Selbmann und anderen zur Verfügung. In einem dieser Berichte vom August 1949 heißt es: „Die Einweisung nach Aue wird als eine der schlimmsten Strafen betrachtet... Unsere Zeitungs-und Rundfunkkommentare lügen.“ Die tatsächlichen Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Wismut blieben allerdings für die SED-Führung gering. Ihr wurde von sowjetischer Seite bis 1954 im wesentlichen nur die Verantwortung für soziale Fragen in der Wismut-Region zugebilligt.
Trotz der geschilderten Mißstände -ein den Stalinschen Lagern vergleichbares Regime herrschte bei der Wismut AG nicht. Zeitgenössische Kommentatoren aus den Westzonen hatten wiederholt Parallelen zwischen den Arbeitsbedingungen im sächsisch/thüringischen Bergbaugebiet und den sowjetischen Arbeitslagern bzw. Konzentrationslagern gezogen. Der Vorsitzende der SPD, Schumacher, sprach von „schlimmster Sklavenarbeit“. Solche Vergleiche waren auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht ungewöhnlich und wurden häufig bemüht, zumal einige formale Analogien zur NS-Zeit gegeben waren. Dennoch, eine Gleichsetzung der Wismut-Betriebe mit den Konzentrationslagern der Nazis oder dem Stalinschen Gulag-System geht an der historischen Wahrheit vorbei.
In den ersten Jahren der Wismut AG blieb« der Arbeitsschutz weit hinter den Erfordernissen zurück. Das Urangestein wurde per Hand verlesen. Dann kamen die sowjetischen Preßlufthämmer. „Die liefen zwar sehr schnell“, erinnert sich ein Kumpel, „aber haben die Körper kaputt gemacht. Was die Russen anbrachten, das war ja Steinzeit.“ Die Grubenbewetterung war mangelhaft und Staubschutzmasken fehlten. Auch das Wissen um die Schneeberger Bergmannskrankheit veranlaßte die Generaldirektion nicht zu sofortigen Schutzmaßnahmen. Der geringe Mechanisierungsgrad in Verbindung mit dem Zeitdruck, unter dem die Arbeit stattfand, führte zu zahlreichen schweren Unfällen Der fahrlässige Umgang mit der Gesundheit der Wismut-Kumpel resultierte sowohl aus den allgemeinen Mangelerscheinungen als auch aus dem Zeitdruck, unter dem die Wismut AG aufgebaut wurde.
Mit der Ausweitung des Uranbergbaus war ein latentes Konfliktpotential gegeben. Vor allem die zwangsweise Räumung von Wohnungen zugunsten der Wismut AG rief unter der ortsansässigen Bevölkerung Verbitterung und Proteste hervor. Bei der sowjetischen Generaldirektion fanden die Proteste der Betroffenen kein Gehör. Sie versuchten deshalb mit Eingaben an Pieck und die sächsische Landesregierung zu ihrem Recht zu kommen Nachdem ein Teil der Bevölkerung eingeschüchtert und die Sprecher der betroffenen Mieter fast kriminalisiert wurden, erzwangen die Behörden schließlich den Wohnungstausch. Ende 1951 versuchte die sächsische Landesregierung, auf die sozial-ökonomische Entwicklung der Wismut-Kreise Einfluß zu nehmen. Ein Bericht „über die notwendigen Maßnahmen zur Erreichung des Normalzustandes im Wismut-Gebiet“ wurde erarbeitet. Bereits der Titel des Berichts läßt Rückschlüsse zu. Da allerdings selbst die einfachsten Daten (Zahl der Krankenhausbetten in der Wismut-Region, Zahl der kulturellen Einrichtungen) nicht erfaßt werden durften, blieb es im wesentlichen bei Plan-spielen
VI. Sonderrechte
Die strategische Bedeutung des Wismut-Bergbaus und die strenge Abschottung nach außen führten Schritt für Schritt zur Herausbildung eines weitgehend* autarken Gebildes. Die vielzitierte Sonder-versorgung der Wismut-Kreise war Anfang der fünfziger Jahre im Aufbau begriffen. Von Anfang an wurde versucht, für die Bergbaukreise eine über dem Durchschnitt anderer Kreise und Städte liegende Versorgung zu gewährleisten. Symbole der Sonderversorgung waren die „Stalin-Pakete“ -die Analogie zu den seit 1947 für die Bergleute im Ruhrgebiet ausgegebenen amerikanischen „CarePakete“ war unverkennbar.
Ende 1951 wurde zwischen der DDR-Regierung und der SKKD eine Vereinbarung getroffen, nach der die DDR ab 1952 die alleinige Verantwortung für den Wohnungs-, Kultur-und Sozialbau im Wismut-Gebiet tragen sollte. Für diesen Zweck stellte die Staatliche Plankommission (SPK) für 1952 insgesamt 150 Mio. Mark zur Verfügung („Sonderbaustab Erzbergbau“) Nach langem Hin und Her wurde im September 1951 vom Ministerpräsident Grotewohl auch ein „Sonderkommissar für Siedlungsfragen“ eingesetzt. Er hätte wohl eher den Titel „Sonderkommissar für Umsiedlungen“ verdient gehabt. Die sowjetische Generaldirektion verlangte vom Sonderkommissar eine streng vertrauliche Arbeit. Seine wichtigste Aufgabe bestand in der Abwicklung von insgesamt 3 400 Umsiedlungen, „ohne Aufsehen und Härten“ An einer möglichst „geräuschlosen“ Umsiedlung war auch die sächsische Landesregierung interessiert. Enteignungen wurden soweit als möglich vermieden. Grundstücksbesitzer erhielten für ihre Grundstücke 135 Prozent des Preises von 1944, d. h., es kam eine Ausnahmeregelung zur Anwendung Im wesentlichen gelang es dem Sonderkommissar, bis Ende 1956 die Umsiedlungen ohne größere Verwerfungen abzuwickeln Die Regionalpolitik kam demgegenüber in Anbetracht der nach wie vor geltenden strengen sowjetischen Geheimhaltungsbestimmungen, der begrenzten materiellen Möglichkeiten und der Mißstände der Planwirtschaft zunächst kaum über Ansätze hinaus.
Gegenüber sozialen Spannungen reagierte die sowjetische Direktion zumeist sehr zurückhaltend und überließ deren Schlichtung bzw. Unterdrükkung deutschen Behörden. Mehrfach wurde die Polizeigewalt im Wismut-Gebiet in Frage gestellt.
Selbst nachdem Ende 1951 mehrere Amtsstuben der Volkspolizei im Saalfelder Revier von Bergleuten gestürmt wurden, wagte es die Polizei nicht, gegen die rebellierenden Bergleute vorzugehen
Der Mangel an Fachkräften und vor allem der enorme Zeitdruck, unter dem die Wismut AG ausgebaut wurde, führten zu einer Konfliktbewältigungsstrategie, die es in dieser extremen Form in keiner anderen sowjetischen Aktiengesellschaft in der SBZ/DDR gab. Zum einen war der Druck auf die Bergleute besonders stark (Sondergebiet, Überwachung, russische Vorarbeiter, Militärgesetzgebung), zum anderen zwangen die Fluktuationen und die Mangelsituation die Generaldirektion zu weitreichenden Zugeständnissen (hohe Löhne, Sonderversorgung, Tolerierung von Straftaten). Der Uranbergbau war somit ein Sonderfall der industriellen Tätigkeit der Besatzungsmacht. Er stellte einen schwerwiegenden Eingriff in das Wirtschaftsgefüge der SBZ dar und belastete die Wirtschaft extrem. Die ökonomischen und sozialen Folgen des Uranbergbaus waren ungleich größer als bei jeder anderen SAG Die Folgen des Ausbaus der Wismut-Region „unter Hochdruck“ gehörten zu den schwersten Hypotheken aus der Besatzungszeit. Es fand ein Sozialisierungsprozeß statt, wie es ihn in dieser Extremform in keiner anderen Region der DDR gegeben hat.
VII. Reparationsproduktion
Für die sowjetische Generaldirektion zählte zuallererst das Produktionsergebnis. Moskau brauchte das Urangestein dringend für das Atombombenprojekt und übte einen enormen Druck auf die Leitung der Wismut AG aus. Mit dem Einsatz immer neuer Arbeitskolonnen, zum Teil auch sowjetischer Soldaten, mit Sonderschichten und Produktionswettbewerben wurde die Erzproduktion rasch gesteigert. „Je mehr Erz, desto stärker die Sache des Friedens“, so argumentierte die sowjetische Generaldirektion.
Eine Antwort auf die Frage, welche Leistungen des Unternehmens den Reparationen zuzurechnen sind, fällt nicht ganz leicht, da aus der frühen Zeit der Wismut AG kaum Unterlagen erhalten sind. Immerhin erlauben die aus den Nachlässen von Grotewohl und Selbmann stammenden Angaben die Annahme, daß die Leistungen der Wismut AG von der Sowjetunion zu einem bescheidenen Teil dem Reparationskonto gutgeschrieben wurden. Die aufbereiteten, Erzmengen wurden in der geheimnisumwitterten „Zeche 50“, in der in den ersten Jahren nur sowjetische Soldaten arbeiteten, gewogen und auf ihren Urangehalt überprüft Unabhängig von dem vom Sieger diktierten Abrechnungsmodus, der sich nur auf einen fiktiven Preis für das Urankonzentrat bezog, muß bis 1953 ein großer Teil der Betriebskosten der Wismut AG, ausschließlich der Lohnkosten, als Reparationsleistung betrachtet werden, da sämtliche Aufwendungen und Folgekosten zu Lasten der SBZ bzw. DDR gingen. Der hohe Finanzbedarf der Wismut wurde bis 1953 aller Wahrscheinlichkeit nach direkt und indirekt aus deutschen und sowjetischen Quellen (SAG-Gewinne, Beutegeld) gespeist. Insofern besteht bei der Addition aller Reparationsleistungen die Gefahr von Doppelzählungen. Anhand der von der Sowjetunion anerkannten Leistungen kann eine Mindestsumme geschätzt werden.
Die Leistungen der Wismut AG wurden auf US-Dollar-Basis verrechnet. In Abweichung von anderen Reparationsarten legten die Sowjets lediglich eine Kursrelation von 1 US-Dollar: 11 RM/DM (Ost) zugrunde. Die Daten aus der vorstehenden Tabelle hochgerechnet ergäben Reparationsleistungen in Höhe von zirka 3, 7 Mrd. DM (Ost), die jedoch höchstens zu Gutschriften von rund 335 Mio. US-Dollar auf dem Reparationskonto geführt haben.
Nach einer recht zuverlässigen amerikanischen Schätzung (Tabelle 3) beliefen sich die Gesamt kosten der Wismut AG bis 1953 auf 7, 3 Mrd. RM/DM (Ost) zu laufenden Preisen. Für den Zeitraum von 1956 bis 1960 liegt die Schätzung indessen noch deutlich unter den inzwischen belegbaren Werten (Tabelle 4). In den genannten Zahlen sind die Folgekosten des Wismut-Bergbaus wie Wohnungsbau, Infrastrukturaufwendungen, Entschädigungszahlungen und Sanierungskosten nicht enthalten.
VIII. Umwandlung in eine sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft
Den rechtlichen Rahmen für das weitere Vorgehen der Wismut AG stellten die Regierungsabkommen vom 22. August 1953 und vom 7. Dezember 1962 dar Mit dem Vertrag von 1953 räumte die DDR der Wismut AG das ausschließliche Recht auf die Erkundung und Gewinnung von Urangestein in allen damals in Betrieb befindlichen und künftig zu erschließenden Lagerstätten ein. Per 1. 1. 1954 wurde die Wismut in eine sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft umgewandelt. Die sowjetische Seite übergab der SDAG Wismut sämtliche Betriebe mit ihrem Anlagekapital zu einem Bilanz-wert von zwei Mrd. DM (Ost). Dieser Wert bildete das Aktienkapital der Gesellschaft. Zur Deckung ihres Anteils sollte die DDR im Verlauf von fünf Jahren eine Mrd. DM (Ost) an die Sowjetunion zahlen, wobei dieser Betrag zum Zweck der Bezahlung der Wismut-Produktion verbraucht wurde.
Der Vorstand der SDAG wurde paritätisch mit je zwei Personen besetzt. Für die ersten fünf Jahre übernahm der Minister für Schwerindustrie der DDR, Fritz Selbmann, den Vorsitz der SDAG. Als Stellvertretender Vorsitzender agierte der sowjetische Handelsminister Semischastnow Für die folgenden fünf Jahre oblag der Vorsitz der sowjetischen Seite. Ob die Zusammensetzung des Vorstandes die tatsächlichen Entscheidungskompetenzen widerspiegelte, ist fraglich. Die Uranproduktion war für die Sowjetunion viel zu wichtig, als daß auf diesem Gebiet ein substantieller Entscheidungsverzicht zugunsten der DDR denkbar gewesen wäre.
An der Sonderstellung der Wismut änderte sich durch die Bildung der SDAG nichts. Bereits auf der konstituierenden Sitzung des neuen Vorstandes am 21. Dezember 1953 wurde die geltende Ordnung zur vorrangigen Versorgung der Wismut ausdrücklich bestätigt Beibehalten wurde auch der Finanzierungsmodus. Demnach wurden aus dem Staatshaushalt der DDR monatliche Über-weisungen auf ein Sonderkonto der Garantie-und Kreditbank AG getätigt. Diese sowjetische Bank war von 1946 bis 1956 für die Abwicklung des gesamten Geschäftsverkehrs der SAG-Betriebe und anderer sowjetischer Einrichtungen in der SBZ/DDR verantwortlich Im Frühjahr 1954 bestätigte der Vorstand die Eröffnungsbilanz der Ge-Seilschaft. Die bergbaulichen Rechte wurden der SDAG unentgeltlich übertragen. Von Steuer-und Abgabenzahlungen blieb die SDAG Wismut bis auf eine jährliche Pauschalsumme von 4, 5 Mio. DM (Ost) für Gemeindesteuern befreit
Die Betriebskosten für die Uranproduktion, einschließlich Investitionen und Aufwendungen für geologische Erkundungen, wurden von beiden Seiten zu gleichen Teilen übernommen. Doch während die DDR ihren Kostenanteil durch Übernahme der Material-und Lohnkosten ableistete, konnte die Sowjetunion ihren Anteil sowohl durch direkte Zahlungen als auch durch Verrechnungen über Handelsabkommen leisten. Da fast ausschließlich Verrechnungen über Handelsabkommen vorgenommen wurden, die der DDR keine güterwirtschaftliche Entlastung brachten, waren die Aufwendungen für die SDAG Wismut zumindest bis 1962 ungleich verteilt. Diese die Wirtschaft der DDR belastenden Regelungen gaben der DDR-Seite Anlaß zur Kritik. Im Juli 1956 fanden daraufhin auf Regierungsebene Verhandlungen über die Verrechnung der Produktion der SDAG Wismut statt
Im Ergebnis der Verhandlungen wurde der DDR die noch ausstehende Einzahlung von 400 Mio. DM (Ost) auf das Aktienkapital der Gesellschaft erlassen und die Berechnung der Betriebskosten modifiziert. Damit war die Sowjetunion der DDR entgegengekommen, trotzdem sicherte sich die sowjetische Seite über günstige Rubel-DM (Ost) -Kursrelationen Vorteile bei der Bewertung ihrer Kostenanteile. Ein viel weiter reichendes, von Selbmann vorgeschlagenes neues Kostenmodell, wonach die Uranlieferungen außerhalb der Handelsabkommen als zusätzliche Exporte der DDR gelten sollten, wurde von der sowjetischen Seite abgelehnt Die Hälfte der Aufwendungen für die Uranproduktion plus zehn Prozent der Selbst-kosten als fiktiver Gewinn mußten auch weiterhin vom Staatshaushalt der DDR getragen werden. Es sollte dabei allerdings nicht vergessen werden, daß es für Uran keinen Markt gab und das Ziel der Wismut-Produktion aus sowjetischer Sicht nicht in der Erzielung eines wirtschaftlichen Gewinns bestand.
Ob für die Zeit ab 1954 deshalb von reparationsähnlichen Leistungen oder von einem ungleichen Handel gesprochen werden sollte oder ob die von der DDR geleisteten Aufwendungen für die Uran-produktion schlechthin als systembedingte Verluste -entstanden in der Folge des Wettrüstens -bewertet werden sollten, müßte noch weiter erörtert werden. Inwiefern die Aufwendungen für die SDAG Wismut von der SED-Führung als notwendiger Beitrag der DDR im östlichen Bündnis angesehen und daher gebilligt wurden, bedarf ebenfalls noch weiterer Klärung. Das Abkommen vom 7. Dezember 1962 verbesserte die Position der DDR insofern, als nunmehr erstmals Preise für das Uran jeweils in besonderen Vereinbarungen zwischen den Vertragspartnern verhandelt werden konnten. Außerdem erhielt die DDR einen Teil der Wismut-Produktion für ihr Kemkraftwerksprogramm. Das zunächst bis Ende 1973 gültige Abkommen wurde später verlängert und sollte bis zum Jahr 2000 in Kraft bleiben.
IX. Das Ende der SDAG Wismut
Bis 1990 war die SDAG Wismut der größte europäische Uranproduzent. Von 1946 bis 1990 wurden von ihr insgesamt 220000 t Urankonzentrat („Yellow cake“) produziert Die Förderkosten lagen während der gesamten Tätigkeitszeit der SDAG Wismut nach deren eigenem Bekunden weit über den Weltmarktkosten, sofern bei Urangestein überhaupt von einem Weltmarkt gesprochen werden kann. Mit dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR vom 16. Mai 1991 über die Beendigung der Tätigkeit der SDAG Wismut schließt sich ein weiteres Kapitel der Nachkriegsgeschichte. Die Rechtsnachfolge der SDAG Wismut hat das Bundeswirtschaftsministerium angetreten. Während der Uranbergbau und die damit zusammenhängenden Tätigkeitsfelder eingestellt wurden, existieren die ehemaligen Maschinen-, Bau-und Montanbetriebe der Wismut als selbständige Unternehmen fort.
Die jahrzehntelange Gewinnung und Verarbeitung von Uranerzen haben die Landschaft und die Um-, weit in Sachsen und Thüringen nachhaltig beeinflußt. Mit der Einstellung des Uranbergbaus wurden die Umweltbelastungen und Gesundheitsrisiken deutlich sichtbar. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen liegt das größte Gefährdungspotential bei den Aufbereitungsrückständen, die in riesige Schlammteiche eingeleitet wurden. So lagern in den Schlammteichen der Aufberei-tungsanlagen Seelingstädt und Crossen insgesamt rund 150 Mio. m 3 Schlämme, die noch Uranreste, vor allem aber radioaktive Folgeprodukte des Urans enthalten
Die Wismut AG selbst war es, die 1990 erste erschreckende Zahlen über gestorbene und lebensgefährlich erkrankte Uran-Bergleute vorlegte. Inzwischen ist von 7 000 gemeldeten Bergleuten mit Lungenkrebs und 6000 „Silikose-Verdachtsfällen“ die Rede „Ob und inwieweit auch die Wohnbevölkerung durch den Uranbergbau gesundheitlich geschädigt worden ist, läßt sich heute noch nicht klar beurteilen.“ Die wirkliche Zahl der Wismut-Opfer wird kaum noch zu ermitteln sein.
Im August 1991 hat die Wismut GmbH, die heute für die Sanierung der Altlasten zuständig ist und damit vor einer weltweit einmaligen Aufgabe steht, eine Sanierungskonzeption vorgelegt. Eine zweite, überarbeitete Fassung folgte im September 1992. Seitdem wurde u. a. ein Umweltkataster erarbeitet und die radioaktive Kontamination auf einer Fläche von 11885 ha erfaßt. Nach den Angaben des Katasters gehören 3, 4 Prozent der gesamten Fläche zu den durch Abdeckung, Bodenaustausch oder andere Maßnahmen zu sanierenden Gebieten Die Konzepte für die Sanierung der Altlasten müssen sich nunmehr im Spannungsfeld zwischen kurzfristig gebotener Verbesserung der Umweltqualität und langfristiger Zuverlässigkeit bewähren.
Noch über viele Jahre werden die Folgen des Uranbergbaus den Bundeshaushalt belasten. Der Bund wird die Sanierung der der Wismut GmbH gehörenden Flächen mit jährlichen Aufwendungen von rund 800 Mio. DM in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren finanzieren Diese erheblichen Sanierungsaufwendungen gehören mit zum Preis der Einheit und können mit einiger Berechtigung als Folgekosten des Kalten Krieges angesehen werden. Während die wirtschaftlichen Folgen der Teilung und der sowjetischen Reparationsforderungen zum größten Teil von der SBZ/DDR getragen werden mußten sind die Folgekosten des Kalten Krieges nur vom geeinten Deutschland zu bewältigen.
Rainer Karlsch, Dr. oec., geb. 1957; Studium der Wirtschaftswissenschaften in Berlin; wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission zu Berlin. Der vorliegende Aufsatz entstand im Rahmen eines Forschungsvorhabens, das von der Stiftung Volkswagenwerk finanziell unterstützt wird. Veröffentlichungen u. a.: Allein bezahlt? Die Reparationsleistungen der SBZ/DDR 1945-1953, Berlin 1993; Von Agfa zu Orwo. Die Folgen der deutschen Teilung für die Filmfabrik Wolfen, Berlin 1992.
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