Nach der politischen Wende in Polen 1989 wurde die Existenz einer zahlenmäßig relevanten deutschen Minderheit durch den Staat offiziell anerkannt. Daraufhin entstanden -beginnend in Oberschlesien, später auch in Ost-und Westpreußen, Hinterpommern, Niederschlesien und anderen Teilen des polnischen Staates -deutsche Minderheitenorganisationen, denen heute rund 300000 Personen angehören. Die Unterschiede zwischen den einzelnen deutschen Siedlungsgebieten und Herkunftsgruppen sind teilweise sehr groß. So gehörten die Oder-Neiße-Gebiete zum Deutschen Reich, und ihre angestammten Bewohner haben nach Artikel 116 des Grundgesetzes bis heute Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Deutschen in Mittelpolen dagegen waren in der Zwischenkriegszeit polnische Staatsangehörige deutscher Nationalität. Schließlich gibt es im historischen deutsch-polnischen Grenzgebiet ein sogenanntes „schwebendes Volkstum“, worunter man Personen ohne ausgeprägtes Nationalbewußtsein versteht, die in mehreren Kulturen verwurzelt sind und sich vor allem als regionale Gemeinschaft begreifen. Sie schließen sich heute teilweise deutschen Minderheitenorganisationen an, weil sie diese als beste Vertretung ihrer Regionalinteressen ansehen. Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag von 1991 schuf eine rechtliche Grundlage für die kulturelle Entwicklung der Deutschen'in Polen. Diese haben heute Vertreter in beiden Kammern des polnischen Parlaments und in Oberschlesien, wo sie in größerer Zahl geschlossen leben, auch deutsche Gemeinderäte und Bürgermeister. Hier konnten auch eine deutliche Zunahme des Deutschunterrichts und der deutschsprachigen kirchlichen Betreuung sowie ein -freilich noch bescheidener -Zugang zu den Medien erreicht werden. In den übrigen Siedlungsgebieten der Deutschen stellt die geringe Zahl in einer großen Diaspora das Hauptproblem für eine eigenständige kulturelle Entwicklung dar. Deutsche und polnische Extremisten versuchen immer wieder, aus den bestehenden Streitfragen zwischen Polen und den Deutschen im Lande politisches Kapital zu schlagen. Trotz starker Unterstützung aus Deutschland, aber auch von polnischer Seite -so durch das Warschauer Kulturministerium -, haben die Deutschen in Polen derzeit noch zahlreiche politische, gesellschaftliche und organisatorische Schwierigkeiten zu bewältigen. Von der Fähigkeit, in gemeinsamer Anstrengung eine für alle Seiten akzeptable Lösung zu finden, wird es abhängen, ob die Deutschen in Polen in Zukunft zu einer Brücke zwischen Deutschland und Polen werden können.
L Unterschiedliche Gruppierungen der deutschen Minderheitenangehörigen
Wenn im folgenden nicht von der, sondern von den deutschen Minderheiten im heutigen Polen gesprochen wird, so deshalb, weil es sich dabei um keine homogene Gruppe handelt, sondern sich diese Minderheiten aus fünf teilweise sehr unterschiedlichen Bevölkerungsteilen rekrutieren Es sind dies: 1. Die in den früheren preußisch-deutschen Ostprovinzen (Südostpreußen, Hinterpommern, Ost-brandenburg, Nieder-und Oberschlesien) bis heute verbliebenen Angehörigen der angestammten deutschen Wohnbevölkerung und ihre Nachkommen. Nach Artikel 116 Grundgesetz haben sie ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren.
Bei dieser Bevölkerung gibt es zwar deutliche regionale Unterschiede -etwa zwischen protestantischen Ostpreußen und katholischen Oberschlesiern -, die Angehörigen der mittleren und älteren Generation dieser Gruppe besitzen aber fast ausnahmslos ein ausgeprägtes deutsches Nationalbewußtsein und gute bis sehr gute deutsche Sprachkenntnisse. Sie gehören heute zum größten Teil deutschen Minderheitenorganisationen an.
Die jüngeren, nach 1945 geborenen und bereits im polnischen Staat aufgewachsenen Angehörigen dieser Gruppe besitzen dagegen ein unterschiedliches Nationalbewußtsein, das von deutsch bis polnisch reicht. Durch die polnische Umwelt wurden sie sprachlich-kulturell wie von ihrem Selbstverständnis her mehr oder weniger stark polnisch assimiliert Infolgedessen sind in dieser Generation vor allem die wenigen bewußt deutsch Orientierten und nur ein kleiner Teil der bereits mehr oder weniger stark Polonisierten den deutschen Minderheiten-organisationen beigetreten. 2. Die Angehörigen der polnischen Minderheit in Ostdeutschland bis 1945, welche eine deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, und ihre Nachkommen Von ihnen hat sich ein Teil unter Berufung darauf der deutschen Minderheit angeschlossen. 3. Das sogenannte „schwebende Volkstum“, also Personen mit wenig ausgeprägtem Nationalgefühl, besonders im Oppelner Schlesien, aber auch zu einem geringeren Teil in Masuren, dem Ermland und Hinterpommern. Es handelt sich um Bevölkerungsteile, welche sich in erster Linie als regionale Gemeinschaft begreifen, allerdings mit mehr oder weniger starken Neigungen zur einen oder anderen Nationalität Diese Gruppe stellt heute in Oberschlesien einen großen Teil der Angehörigen der deutschen Minderheitenorganisationen. 4. Das schwebende Volkstum auf der polnischen Seite der deutsch-polnischen Grenze der Zwischenkriegszeit, vor allem in Oberschlesien und Pommerellen. Diese Gruppe stellte einen großen Teil der während des Zweiten Weltkrieges von den NS-Besatzungsbehörden in Polen in die sogenannte „Deutsche Volksliste“ der Gruppen III und IV Aufgenommenen. Ebenfalls in diese Volkslistengruppen eingetragen wurden deutschstämmige Polen. Bei diesen handelte es sich um in der Vergangenheit, vor allem im 19. Jahrhundert, polonisierte deutsche Einwanderer. Schließlich wurden in die Volksliste IV noch Polen eingetragen, welche von den NS-Behörden als „eindeutschungsfähig“ angesehen wurden. Auch ein Teil dieser Volkslistenangehörigen zählt heute zu den Mitgliedern deutscher Minderheiten. 5. Die nicht vertriebenen Deutschen aus den westlichen und zentralen Gebieten des polnischen Staates zwischen den Weltkriegen, also dem Posener Land und Pommereilen („Korridorgebiet“), Ost-oberschlesien, Mittelpolen und Galizien; sie stellen eine weitere Gruppe dar, aus der sich die deutschen Minderheitenorganisationen außerhalb der historisehen deutschen Ostgebiete rekrutieren. Diese früher sogenannten „Volksdeutschen“ waren in der Zwischenkriegszeit polnische Staatsangehörige deutscher Nationalität. Bei ihnen wirkt sich bis heute noch die unterschiedliche Entwicklung der Teilungszeit aus. So hatten die deutschen Posener, Pommereller und Ostoberschlesier bis 1918 zum Deutschen Reich gehört, also die Entwicklung zum deutschen Nationalstaat mitgemacht.
Die Deutschen aus Mittelpolen und aus Galizien dagegen waren immer Ausländsdeutsche gewesen; -erstere hatten vor 1918 zum zaristischen Rußland, letztere zur Habsburgermonarchie gehört. Ein Gemeinschaftsgefühl zwischen den verschiedenen Gruppen begann sich erst in der Zwischenkriegszeit angesichts des Druckes der polnischen Minderheitenpolitik allmählich zu entwickeln
II. Sonderstellung Oberschlesiens
Abbildung 6
Abbildung 6
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Sehr oft wird die Lage der heutigen deutschen Minderheiten in Polen nach den Verhältnissen in Oberschlesien beurteilt. Tatsächlich lebt dort gegenwärtig der größte Teil der organisierten deutschen Minderheit, und nur dort besitzt sie ein relativ geschlossenes Siedlungsgebiet. Aber diese oberschlesische Perspektive ist nicht repräsentativ für die anderen deutschen Minderheiten in Polen.
Bei der oberschlesischen Bevölkerung, vor allem auf dem Lande, waren bis 1945 außer deutschen kulturellen Einflüssen auch polnische und vor allem aus beiden Kulturen gespeiste regionale Traditionen lebendig, wobei die Pflege dieser jeweiligen Traditionen noch keine Rückschlüsse auf das nationale Selbstverständnis der Betreffenden zuließ. Neben Bevölkerungsteilen mit ausgeprägtem deutschem oder polnischem Nationalbewußtsein (letztere bildeten die polnische Vorkriegsminderheit) gab es einen bedeutenden Teil vor allem der Landbevölkerung, welcher kein ausgeprägtes Nationalbewußtsein besaß. Während der nationalsozialistischen Zeit bis 1945 wurde versucht, die nichtdeutschen Traditionen, vor allem im sprachlichen Bereich („Oberschlesisch“, ein altertümlicher polnischer Dialekt mit zahlreichen Germanismen, von Deutschen oft als „Wasserpolnisch“ bezeichnet) zu unterdrücken und die national indifferenten Oberschlesier zu assimilieren, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg
Nach 1945 wurde ein Großteil der Oberschlesier mit ausgeprägtem deutschen Nationalbewußtsein vertrieben, vor allem die Angehörigen der Mittel-und Oberschicht und die geistigen Führungskräfte wie Lehrer oder Pfarrer. Die Angehörigen der polnischen Minderheit der Vorkriegszeit wa-'ren von der Vertreibung natürlich ausgenommen, aber auch ein Teil der Deutschen, da man sie als Arbeitskräfte brauchte oder glaubte, sie assimilieren zu können. Im Lande zurückgehalten wurden vor allem die Bevölkerungsteile ohne ausgeprägtes Nationalbewußtsein, die als ethnisch polnisch betrachtet wurden und von denen man hoffte, sie unter Rückgriff auf die vorhandenen polnischen Traditionen rasch integrieren zu können, indem nun wiederum alle deutschen Traditionen und Bindungen unterdrückt wurden. Entgegen der offiziellen These von der Gleichberechtigung der „Autochthonen“ (Bezeichnung für die als polnisch angesehenen Teile der einheimischen Bevölkerung der Oder-Neiße-Gebiete) wurden diese von den polnischen Zuwanderern und der Verwaltung als Staatsbürger zweiter Klasse behandelt; es wurde keinerlei Selbstverwaltung bzw. kulturelle Autonomie zugelassen
Alle entscheidenden gesellschaftlich-politischen Positionen waren „echten“ Polen aus dem Landesinnern vorbehalten. Das polnische Mißtrauen gegenüber den „Autochthonen“ wurde nicht zuletzt durch deren offensichtlich weiterbestehende Bindungen an die deutschen Traditionen verstärkt. Die Unterschiede zwischen den zuwandernden Ostpolen und der einheimischen Bevölkerung waren in allen Bereichen sehr groß und führten zu einer Abgrenzung voneinander, die heute zwar nicht mehr sofort ins Auge springt, aber de facto immer noch existiert
Die einheimische Bevölkerung hatte aufgrund der genannten kulturellen Verflechtungen potentiell beide Optionen -deutsch oder polnisch. Der größte Teil der Einheimischen ließ sich von den Behörden zwar „verifizieren“ (= sein Polentum bestätigen), da die einzige Alternative darin bestand, als Deutscher diskriminiert, enteignet und vertrieben zu werden Die entwürdigende Behandlung durch Behörden und polnische Zu-wanderer hatte aber zur Folge, daß selbst Angehörige der polnischen Minderheit in Oberschlesien vor 1945 von dieser Politik abgestoßen wurden und häufig erst entdeckten, wie viele deutsche Bindungen sie eigentlich hatten. Das Ergebnis ist, daß heute der überwiegende Teil der einheimischen Bevölkerung des Oppelner Schlesiens entweder ausdrücklich deutsch orientiert ist -teilweise entgegen der früheren Familientradition -, oder sich zumindest von Polen bewußt abgrenzt, bei Betonung des eigenen Regionalismus, häufig wiederum durch Hervorhebung der deutschen Traditionen Eine „objektive“ nationale Zuordnung ist bei dieser Grenzlandbevölkerung kaum möglich
Für die subjektive Entscheidung der Betreffenden sind die unterschiedlichsten Faktoren verantwortlich; sie können historischer, politischer, wirtschaftlicher, familiärer oder emotionaler Art sein. Es wäre sicherlich falsch, hierfür jeweils nur einen Faktor -beispielsweise den wirtschaftlichen oder den nationalen -verantwortlich zu machen, denn in der Regel spielen wohl mehrere zusammen. Festzuhalten ist, daß die subjektive Entscheidung jedes Einzelnen, wie immer sie auch ausfällt, aufgrund der Entwicklung dieses Grenzgebiets auch objektiv zu begründen ist. Das heißt, daß ein Oberschlesier ganz einfach das Recht hat, sich als Deutscher, als Pole oder einfach als Oberschlesier zu fühlen, ohne daß ihm dies von jemandem abgesprochen werden sollte.
Eine bedeutende Rolle kommt dem starken Regional-und Gemeinschaftsgefühl dieser Gruppen zu, wobei aufgrund der polnischen Nachkriegspolitik die Überzeugung vorherrscht, die Regionalinteressen seien bei den Deutschen besser vertreten Von Bedeutung ist ferner, daß durch Erwerbsauswanderung bereits seit Ende des vorigen Jahrhunderts, ferner durch Krieg, Vertreibung und Aus
Siedlung heute praktisch jede einheimische Familie Verwandte in Deutschland besitzt, wobei die Kontakte in der Regel gepflegt werden. Dies hat die Bindungen nach Deutschland in der Nachkriegszeit aufrechterhalten oder noch verstärkt
Im Gegensatz zu Oberschlesien war in Masuren und dem Ermland, wo ebenfalls ein Teil der einheimischen Bevölkerung nach 1945 als „Autochthone“ eingestuft und von der Vertreibung ausgenommen worden war, der deutsche Assimilierungsprozeß bereits soweit fortgeschritten, daß die noch im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts nicht deutschsprachigen Bevölkerungsteile sich 1945 ganz überwiegend als Deutsche ansahen. Eine stärkere Bevölkerungsgruppe ohne ausgeprägtes Nationalbewußtsein -wie in Oberschlesien -gab es in Masuren und dem Ermland nicht mehr, dafür aber eine kleine, bewußt polnische Minderheit
In Hinterpommern und Niederschlesien war die deutsche Nationalität der verbliebenen Einheimischen, welche als unentbehrliche Arbeitskräfte nicht vertrieben worden waren, polnischerseits nach 1945 nicht in Frage gestellt und diese als nationale Minderheit anerkannt worden. Auch hier gab es 1945 keine nennenswerte „Zwischenschicht“ ohne klares Nationalbewußtsein wie in Oberschlesien mehr Nicht vergessen werden dürfen ferner die deutschen Partner in deutsch-polnischen Mischehen, die heute unter den geänderten Umständen den Minderheitengruppen beitreten; ihre genaue Zahl ist unbekannt.
III. Entwicklung der deutschen Minderheitenorganisationen
Abbildung 7
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Seit Beginn der achtziger Jahre hatten sich Vertreter der einheimischen Bevölkerung in Oberschlesien und Hinterpommern um die Gründung deutscher Minderheitenorganisationen zur Wahrung ihrer Interessen und Rechte bemüht. Die Behörden der Volksrepublik Polen verweigerten jedoch die offizielle Anerkennung Dennoch bildetensich in Oberschlesien „Deutsche Freundschaftskreise“ (DFK), so in Gleiwitz und Ratibor, die zunächst illegal tätig waren, was zahlreiche Schikanen seitens der polnischen Behörden gegenüber den in diesen Gruppen tätigen Aktivisten zur Folge hatte Erst mit dem Ende des kommunistischen Systems in Polen kam es hier zu einem Wandel. Anläßlich des Besuchs von Bundeskanzler Helmut Kohl wurde am 14. November 1989 eine „Gemeinsame Erklärung“ der Regierungschefs Polens und der Bundesrepublik Deutschland abgegeben, in welcher die polnische Regierung erstmals die Existenz einer deutschen Minderheit anerkannte
Am 16. Januar 1990 wurde eine „Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Bevölkerung deutscher Herkunft der Wojewodschaft Kattowitz“ durch das zuständige Wojewodschaftsgericht registriert und damit eine deutsche Minderheitenorganisation offiziell anerkannt. Bereits am 23. Januar 1990 wurde eine entsprechende Gesellschaft in der Wojewodschaft Tschenstochau registriert, am 14. Februar die „Sozial-Kulturelle Gesellschaft der deutschen Minderheit für das Oppelner Schlesien“ und am 15. März die „Gesellschaft polnischer Bürger deutscher Abstammung“ in Danzig Seither hat die Zahl deutscher Minderheitenorganisationen ständig zugenommen. Es gibt sie heute in 22 polnischen Wojewodschaften, nicht nur in Ober-und Niederschlesien, Hinterpommern, West-und Ostpreußen, sondern auch im Posener Gebiet, in Süd-und Mittelpolen. Im September 1990 wurde ein „Zentralrat der Deutschen in Polen“ gegründet, der eine gemeinsame Interessenvertretung aller Angehörigen der deutschen Minderheit darstellen soll. Nach einer Satzungsänderung 1991 führt er seither den Namen „Verband der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaften in der Republik Polen“. Aufgrund persönlicher und sachlicher Differenzen war es Ende 1990 zu einer Spaltung des Zentralrats gekommen und in Kattowitz eine Konkurrenzorganisation entstanden. Dieser „Zentralrat der Deutschen in Oberschlesien“ vertrat nur einen Teil der Deutschen im oberschlesischen Industriegebiet
Die großen Unterschiede in der geschichtlichen Entwicklung und der gegenwärtigen Situation der Deutschen in Oberschlesien einerseits und Ost-und Westpreußen andererseits führten im Februar 1993 schließlich zur Gründung eines „Verbands der Gesellschaften der deutschen Minderheit in den Regionen Allenstein, Danzig und Thorn“. In einigen Wojewodschaften arbeiten derzeit mehrere örtliche Organisationen der deutschen Minderheit nebeneinander, so z. B. in der Wojewodschaft Allenstein, wo es in vielen Städten selbständige deutsche Vereinigungen gibt, in der Stadt Allenstein sogar zwei. Die Mitgliederzahlen sind in diesen Fällen allerdings häufig sehr klein. So zählt beispielsweise die Gesellschaft der Deutschen Minderheit in Goldap gerade 18 Personen. Dagegen hat die Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Deutschen Minderheit im Oppelner Schlesien, welche die gesamte Wojewodschaft umfaßt, 180 000 Mitglieder.
Im Gegensatz zu den im Jahre 1993 mehr als vierzig deutschen Minderheitenorganisationen mit begrenzten regionalen Tätigkeitsbereichen will die Kattowitzer „Deutsche Arbeitsgemeinschaft . Versöhnung und Zukunft* in Polen“ unter ihrem Vorsitzenden Dietmar Brehmer in ganz Polen tätig werden. Sie ist jedoch nur mit Einschränkungen als deutsche Minderheitenorganisation zu bezeichnen, da sie ein gemeinsames Forum für Deutsche und Polen sein will. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt derzeit im oberschlesischen Industriegebiet
Schließlich gibt es auch Verbände zur Vertretung von Sonderinteressen innerhalb der deutschen Minderheit wie den „Verein Schlesischer Bauern“ und den „Bauernverein Ermland/Masuren“, den „Verband der Frauen“, die „Stiftung für die Entwicklung Schlesiens“, den „Verband der Jugend der deutschen Minderheit in der Republik Polen“ oder die „Raiffeisen-Gesellschaft“.
IV. Die zahlenmäßige Stärke der deutschen Minderheiten
Die Gesamtzahl der Deutschen in Polen kann auch heute -nach der Entstehung deutscher Organisationen -noch nicht genau angegeben werden. Anders als in Rumänien, Ungarn oder den Staaten der GUS waren und sind im deutsch-polnischen Grenzbereich die nationalen Übergänge fließend. Auch die Mitgliederzahlen der heute organisierten deutschen Minderheiten geben nur eine ungefähre Vorstellung, da zum einen noch nicht alle zweifelsfrei als Deutsche anzusehenden Personen diesen Organisationen -aus den unterschiedlichsten Gründen -beigetreten sind, zum anderen es nicht auszuschließen ist, daß ein Teil der heutigen Mitglieder seine Entscheidung aus konjunkturellen Gründen getroffen hat und in Zukunft wieder seinen Austritt erklärt.
Polnische Schätzungen gehen davon aus, daß in Polen derzeit etwa 300000 bis 400000 Personen leben, welche sich als Deutsche bezeichnen Deutsche Schätzungen sind im allgemeinen deutlich höher und gehen von rund 600 000 bis 800 000 Deutschen in Polen aus Vertreter der deutschen Minderheitenorganisationen und landsmannschaftlicher Gruppen in Deutschland, nennen teilweise noch weit höhere Zahlen, die eine Million übersteigen.
Bei den Mitgliedern deutscher Minderheitenorganisationen ist eine starke Überalterung festzustellen. Aktiv sind derzeit vor allem diejenigen, welche zumindest als Jugendliche noch die deutsche Zeit vor 1945 bewußt erlebt haben. Naturgemäß sind deshalb die Vorstellungen und Ziele der Mitglieder häufig noch an den damaligen Verhältnissen orientiert. Insbesondere hat, im Gegensatz vor allem zur Gesellschaft der alten Bundesrepublik, keine wirkliche Vergangenheitsbewältigung statt-gefunden. Angesichts des schweren Schicksals nach 1945 und ihrer Diskriminierung im polnischen Staat erscheint vielen Angehörigen der deutschen Minderheiten im Rückblick die Zeit bis 1945, auch unter der nationalsozialistischen Diktatur, verklärt und überwiegend positiv.
Die Führung der deutschen Organisationen konnte bisher noch kein tragfähiges und langfristiges Gesamtkonzept, insbesondere zur Einbindung der Jugend -also der Sicherung der eigenen Zukunft entwickeln. In der ersten, nunmehr weitgehend abgeschlossenen Phase nach der Legalisierung 1990 waren die Gründung und der Aufbau der Gruppen das Wichtigste. In der zweiten, noch andauernden Phase steht der Deutschunterricht für diejenigen, welche die Muttersprache nicht mehr ausreichend beherrschen, im Vordergrund.
Jugendliche sind in den Gruppen nur schwach vertreten. Wo eigene Jugendgruppen existieren, zeigen sich deutlich Generationskonflikte. Die Vorstellungen und Aktivitäten der älteren Generation finden bei den Jugendlichen kaum Widerhall. Dabei spielen nicht nur sprachliche Probleme eine Rolle, sondern vor allem unterschiedliche Interessen und Zielvorstellungen. Während die mittlere und ältere Generation der Minderheitenangehörigen eine Gruppenarbeit betreibt, die stark derjenigen der landsmannschaftlichen Gruppierungen in Deutschland ähnelt -also den Schwerpunkt auf die Pflege heimatlichen Brauchtums und geselliges Beisammensein legt -, wird die junge Generation dadurch -auch wieder ähnlich wie in Deutschland -nicht angesprochen. Zwar gibt es bei einheimischen schlesischen Jugendlichen eine im Vergleich zu den Nachkommen der nach 1945 zugewanderten polnischen Bevölkerung ungleich größere Bindung an überlieferte Traditionen, aber die Brauchtumspflege allein ist den Jugendlichen nicht genug
Sie wollen vor allem im beruflichen Bereich eine Perspektive haben, die derzeit -angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Polen nicht gegeben ist. Daß in dieser Lage die Aussiedlung nach Deutschland, wo die meisten ja Verwandte besitzen, oft als einzige Möglichkeit erscheint, ist verständlich. Kurzfristig ist die Abwanderung einer größeren Zahl von Jugendlichen (Schulabgänger, Berufsanfänger, junge Arbeiter) kaum zu verhindern. Allerdings kann man hoffen, daß bei einer Stabilisierung und Verbesserung der Situation in Polen ein Teil nach einigen Jahren wieder in seine Heimat zurückkehren wird, dann mit guter Ausbildung, Qualifikation und nicht zuletzt besseren Deutschkenntnissen. Ein Indiz dafür ist, daß bei Ausreisen nach Deutschland die Häuser in Schlesien nicht mehr, wie früher, verkauft, sondern von verbliebenen Verwandten genutzt oder vermietet werden, die Ausreisenden sich also die Möglichkeit der Rückkehr offenhalten. Ein Vergleich der Aussiedlerzahlen der letzten Jahre zeigt aber auch deutlich, wie sehr aufgrund der offiziellen Anerkennung und der Entwicklung der deutschen Minderheitenorganisationen der Aussiedlungsdruck in Polen abgenommen hat.
In der „Gemeinsamen Erklärung“ von 1989 hatte Polen zwar den auf seinem Staatsgebiet lebenden Personen und Bevölkerungsgruppen, welche sich zu deutscher Sprache, Kultur oder Tradition bekannten, das Recht zugestanden, ihre Identität zu wahren und zu entfalten. Die Rechte der deutschen Minderheit in Polen wurden aber erst am 17. Juni 1991 in einem deutsch-polnischen „Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ (Nachbarschaftsvertrag) genauer beschrieben. Zuvor hatte das wiedervereinigte Deutschland in einem Grenzvertrag mit Polen am 14. November 1990 die polnische Westgrenze an Oder und Lausitzer Neiße bestätigt und damit die deutsch-polnischen Beziehungen auf eine neue Grundlage gestellt
Von den 38 Artikeln des Nachbarschaftsvertrages behandeln die Artikel 20-22 den Schutz der .deutschen Minderheit in Polen und analog der deutschen Staatsbürger polnischer Nationalität in der Bundesrepublik. Artikel 20 legt u. a. fest: „Die Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen, das heißt Personen polnischer Staatsangehörigkeit, die deutscher Abstammung sind oder die sich zurdeutschen Sprache, Kultur oder Tradition bekennen ... haben das Recht, einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln, frei von jeglichen Versuchen, gegen ihren Willen assimiliert zu werden.“
Der Artikel garantiert weiterhin das Recht auf freien Gebrauch der Muttersprache, auf Gründung deutscher Bildungs-, Kultur-und Religionseinrichtungen und den ungehinderten Kontakt untereinander sowie über die Grenzen. Die zwangsweise Polonisierung der Vor-und Familiennamen nach 1945 kann von den Betroffenen rückgängig gemacht werden. Die Deutschen haben das Recht, Organisationen oder Vereinigungen in Polen einzurichten und zu unterhalten und in internationalen nichtstaatlichen Organisationen mitzuarbeiten. Die Zugehörigkeit zu dem in Artikel 20 genannten Personenkreis wird als persönliche Angelegenheit jedes Einzelnen angesehen, aus der ihm kein Nachteil erwachsen darf.
In Artikel 21 werden der Schutz der ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Identität der in Artikel 20 genannten Gruppen durch die Vertragsstaaten und die Förderung dieser Identität präzisiert. Insbesondere erklären beide Staaten, sich nach Maßgabe der nationalen Rechtsvorschriften um die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für muttersprachlichen Unterricht und die Möglichkeit des Gebrauchs der Muttersprache bei Behörden zu bemühen. Beim Unterricht von Geschichte und Kultur in Polen sollen auch Geschichte und Kultur der Minderheiten berücksichtigt werden. Ferner wird das Recht der Minderheiten bekräftigt, wirksam an öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen, einschließlich der Mitwirkung bei den Angelegenheiten, die den Schutz und die Förderung ihrer Identität betreffen.
Artikel 22 schließlich verpflichtet die Minderheiten zur Loyalität gegenüber ihrem Wohnstaat, gleichzeitig aber auch den Staat zur Beachtung der genannten Minderheitenschutzbestimmungen. Einige besonders strittige Fragen, etwa von zweisprachigen Ortsschildern in den geschlossenen Wohngebieten der deutschen Minderheiten oder von Staatsangehörigkeits-und Vermögensfragen, wurden in dem Vertrag nicht geregelt.
Der Nachbarschaftsvertrag hat eine erste Grundlage für die Existenz und die Entwicklung der deutschen Minderheiten in Polen geschaffen. Er ist Ausdruck der Demokratisierung Polens und der Absicht, die Rechte der Minderheiten zu achten.
In der Praxis seither zeigte sich jedoch, daß die deutschen Minderheiten in Polen nach wie vor mit beträchtlichen organisatorischen, politischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Darüber darf auch nicht hinwegtäuschen, daß die Deutschen heute die bestorganisierte nationale Minderheit in der Republik Polen darstellen. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich naturgemäß dort, wo die deutschen Minderheiten nicht geschlossen siedeln, sondern in großer Diaspora leben. Das ist, mit Ausnahme von Oberschlesien, in allen Siedlungsgebieten der Fall.
VI. Politische Betätigung
Mit ihrer Legalisierung wurde die deutsche Minderheit in ihrem geschlossenen Siedlungsgebiet Oberschlesien auch zu einer politischen Kraft. Dies zeigte sich bei den Wahlen, die seit 1990 in Polen stattgefunden haben. Erstmals wurde ein deutscher Kandidat bei den nach dem Tod des Senators Osmariczyk notwendig gewordenen Ergänzungswahlen zum Senat in der Wojewodschaft Oppeln im Frühjahr 1990 aufgestellt. Diese Wahl wurde aufgrund eines sehr emotional bestimmten Wahlkampfes geradezu in ein Plebiszit umgewandelt. Im ersten Wahlgang erhielt der Vertreter der deutschen Minderheit, der Oppelner Tierarzt Heinrich Kroll (damals noch Henryk Krol), mit 39% die meisten Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug insgesamt nur 31, 4% (in Gemeinden mit mehrheitlich einheimischer Bevölkerung allerdings teilweise bis zu 80 %).
Bei der Stichwahl, in welcher mit Heinrich Kroll und der Volkskundeprofessorin Dorota Simonides zwei Schlesier unterschiedlicher nationaler Orientierung gegeneinander antraten, gewann zwar aufgrund einer stärkeren Wahlbeteiligung (54, 8%), vor allem der zugewanderten polnischen Bevölkerung, die vom Bürgerkomitee SolidarnoSc aufgestellte Frau Simonides (258135 Stimmen = 67, 4%). Dennoch war die Wahl für die deutsche Minderheit ein Erfolg -hatte doch der größte Teil der einheimischen Bevölkerung, welche rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung zählt, für Heinrich Kroll gestimmt (124498 Stimmen = 32, 6%). Dies war um so bemerkenswerter, als die einheimische Bevölkerung traditionell stets nur ein geringes Interesse an „polnischer“ Politik und „polnischen“ Wahlen gezeigt hatte Bei den Kommunalwahlen in der Wojewodschaft Oppeln im Mai 1990 war die Wahlbeteiligung in den mehrheitlich einheimischen Gemeinden mit 24 bis 26 % deshalb auch geringer als auf Wojewodschaftsebene (40, 8%). Dennoch wurde die deutsche Minderheit mit 388 Mandaten (26, 4%) nach dem Bürgerkomitee Solidarnosc zweitstärkste politische Kraft in der Wojewodschaft Oppeln, war in 35 Gemeindeparlamenten vertreten und hatte in 26 davon sogar eine Zweidrittelmehrheit. 15 Gemeinden im Oppelner Schlesien werden seither von einem deutschen Bürgermeister geleitet, und von den 76 Mitgliedern des Regionallandtags gehören 22 der deutschen Minderheit an.
Bei den Parlamentswahlen im Jahre 1991 konnte die deutsche Minderheit sieben Abgeordnetenmandate und einen Senatssitz erringen.
Senator der deutschen Minderheit wurde Gerhard Bartodziej mit 82031 Stimmen. Es muß erwähnt werden, daß Dietmar Brehmer von der „Arbeitsgemeinschaft Versöhnung und Zukunft in Polen“, der in Kattowitz für den Senat kandidierte, 129774 Stimmen erhielt, was allerdings in dieser dichtbevölkerten Wojewodschaft nicht für ein Senatsmandat ausreichte
Im Gegensatz zu den Deutschen konnten beispielsweise die Ukrainer, mit 300000 bis 400000 Angehörigen ebenfalls eine starke Minderheit, oder die 200 000 bis 250 000 Personen starke weiß-russische Minderheit in Polen keine Parlamentssitze erringen.
Bei den jüngsten Parlamentswahlen in Polen im September 1993 galt eine Sperrklausel von 5 % bei den Wahlkreisen und von 7 % bei den Landeslisten, um einer Zersplitterung des Parlaments vorzubeugen. Die Minderheiten konnten nach der Wahlordnung nur von einer dieser Sperrklauseln ausgenommen werden. Sie wählten die Befreiung auf der Ebene der Wahlkreise, weil dies für sie angesichts ihres geschlossenen Siedlungsgebiets in Oberschlesien nützlicher war. Aufgrund einer weit unter dem Landesdurchschnitt liegenden Wahlbeteiligung der Angehörigen der deutschen Minderheit (rund 30 % gegenüber rund 50 % insgesamt) konnten sie jedoch trotzdem nur vier Abgeordnetenmandate und einen Sitz im Senat erringen.
In den Senat wurde Gerhard Bartodziej mit 69613 Stimmen gewählt
Die Tätigkeit der deutschen Minderheitenpolitiker in Polen hat zum Abbau von Vorurteilen in der polnischen Gesellschaft beigetragen. Ihr sachliches, um Verständigung bemühtes und von Loyalität zum polnischen Staat geprägtes Wirken wird in Polen wie in Deutschland anerkannt. Für die Deutschen in Polen bedeutet ihre Präsenz in beiden Kammern des polnischen Parlaments neben der politischen Aufwertung auch die Gewißheit, daß ihre Probleme auf höchster politischer Ebene zur Sprache gebracht werden können.
VII. Kulturelle Lage
1. Schulwesen Deutschsprachiges Schulwesen war und ist eine der Hauptforderungen der deutschen Minderheiten in Polen. Es konnte bislang nur in Ansätzen dort, wo die Deutschen in größerer Zahl und geschlossen leben -nämlich in Oberschlesien -, realisiert werden. Nach dem Gesetz über das Bildungssystem vom 7. September 1991 sind die öffentlichen Schulen verpflichtet, den Schülern durch Unterricht der Muttersprache sowie der eigenen Geschichte und Kultur den Erhalt der nationalen Identität zu ermöglichen. Nach einerVerordnung des Ministers für nationale Erziehung vom 24. März 1992 kann dies entweder durch a) Unterricht in der Muttersprache (mit Ausnahme von Geschichte sowie polnischer Sprache und Literatur) oder b) zweisprachigen Unterricht oder c) zusätzlichen Unterricht von drei Wochenstunden in der Muttersprache zum ansonsten polnischen Unterricht umgesetzt werden.
Auf Antrag der Eltern von mindestens sieben Schülern an Grundschulen bzw. 14 Schülern an Oberschulen muß der jeweilige Schulträger muttersprachlichen Unterricht einrichten, wobei er allerdings bezüglich der Wahl der Unterrichtsform und der Schulen, an welchen dieser erteilt wird, frei ist. Auch ist bei geringerer Schülerzahl bzw. Mangel an geeigneten Lehrkräften zumutbar, daß der zusätzliche muttersprachliche Unterricht für Schüler mehrerer Schulen zentral an einem Ort für alle erteilt wird. Die Schulzeugnisse muttersprachlicher Schulen sollen zweisprachig sein und zum Besuch weiterführender Schulen in Polen berechtigen
In Oberschlesien bestand aus politischen Gründen bis 1990 ein inoffizielles Verbot des Deutschunterrichts in der Wojewodschaft Oppeln. Infolgedessen standen nach der Legalisierung der deutschen Minderheiten hier zunächst keine Lehrkräfte für Deutsch zur Verfügung, so daß sich die Einführung deutschen Schulunterrichts verzögerte. Im Schuljahr 1990/91 wurde zunächst an 184 Grundschulen der Wojewodschaft Oppeln Deutschunterricht eingeführt. Im Schuljahr 1991/92 konnte er bereits an 236 Schulen der Wojewodschaft angeboten werden, die Nachfrage war jedoch noch größer. Das größte Problem stellte für die Schulbehörde dabei der Mangel an qualifizierten Deutsch-lehrern dar. Von den 232 im Schuljahr 1991/92 in der Wojewodschaft Oppeln tätigen Deutschlehrern besaßen 158, d. h. 68% keine entsprechende sprachliche und pädagogische Qualifikation.
Der Mangel an Deutschlehrern in Polen wird allgemein durch die große Nachfrage nach privatem Deutschunterricht bzw.deutschkundigen Übersetzern und Dolmetschern seitens der Wirtschaft noch verstärkt. Angesichts der geringen Verdienst-und Aufstiegsmöglichkeiten im Schulwesen -verglichen mit denen in der freien Wirtschaft -dürfte sich der Mangel an Deutschlehrern in absehbarer Zukunft wohl eher noch vergrößern. Deutscher muttersprachlicher Zusatzunterricht konnte deshalb in Oberschlesien erst im Schuljahr 1992/93 angeboten werden. Diese Möglichkeit nutzen derzeit 1307 Schüler an 14 Grundschulen der Wojewodschaft Oppeln. In der Wojewodschaft Kattowitz erhalten 2785 Kinder an 20 Grundschulen und einem Kindergarten solchen zusätzlichen muttersprachlichen Deutschunterricht.
Dem weiterhin akuten Deutschlehrermangel versucht man kurzfristig durch Umschulungs-und Weiterbildungsmaßnahmen für polnische Lehrer -u. a. in Zusammenarbeit mit den Goethe-Instituten -und durch Entsendung deutscher Gastlehrer aus der Bundesrepublik über die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) abzuhelfen. Dazu müssen die Schulen in den Siedlungsgebieten der deutschen Minderheiten ihren Bedarf an Deutsch-lehrern dem polnischen Kulturministerium melden. Dieses stellt dann in Absprache mit der deutschen diplomatischen Vertretung in Polen eine entsprechende Liste zusammen und leitet sie an die ZfA in Deutschland weiter. Diese hat im Rahmen ihres Polenprogramms arbeitslose deutsche Junglehrer angeworben, die gemäß den deutsch-polnischen Absprachen für mindestens ein ganzes Schuljahr als Gastlehrer nach Polen gehen. Durch das Bonner Auswärtige Amt wird ferner die Entsendung von pensionierten Lehrern aus der Bundesrepublik für mindestens ein Schuljahr finanziell und organisatorisch unterstützt. Auch diese Lehrkräfte werden in Polen durch die ZfA, die deutsche Minderheit und die örtlichen polnischen Schulbehörden unterstützt und betreut.
Mittel-und langfristig sollen die Lehrer für den muttersprachlichen Deutschunterricht aber aus den Reihen der deutschen Minderheiten selbst herangebildet werden. In der Wojewodschaft Kattowitz wurde am 15. Oktober 1992 eine Vereinbarung zwischen dem dortigen Schulkuratorium und der Bezirksleitung der deutschen Minderheit getroffen, welche eine enge Zusammenarbeit durch regelmäßige Konsultationen und die Erarbeitung eines gemeinsamen Programms für den Deutschunterricht und die Ausbildung von Deutschlehrern vorsieht. Deutsch-polnische Schulpartnerschaften sollen gefördert, der Jugendaustausch sowie die Beschaffung geeigneter Lehrmaterialien gemeinsam organisiert werden. Zur Lehrerausbildung ausden Reihen der Minderheit wurde im Herbst 1993 ein erstes Deutschlehrer-Kolleg in Ratibor ins Leben gerufen. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen Schulkuratorium und Minderheit besteht mittlerweile auch in der Wojewodschaft Oppeln. Unterstützung materieller und ideeller Art wird aus Deutschland geleistet 2. Medien Die deutschsprachige Presse für die Minderheit in Polen ist derzeit noch schwach entwickelt. Wichtigstes Organ ist die zweisprachige Zeitung „Oberschlesische Nachrichten/Gazeta Grnolska". Sie erscheint seit 1990 zweiwöchentlich in Oppeln in einer Auflage von derzeit rund 10 000 Exemplaren. In Ostpreußen wird von der Masurischen Vereinigung die „Masurische Storchenpost“ in deutscher Sprache mit jeweils einigen polnischen Beiträgen herausgegeben. In Kattowitz schließlich wird eine zweisprachige Beilage zur Zeitung „Zycie Katowic“ gedruckt. Einige größere deutsche Minderheitengruppen geben darüber hinaus eigene Mitteilungsblätter in geringer Auflage für ihre Mitglieder heraus.
In Polen sind heute zumindest in den größeren Städten die wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften erhältlich, und viele deutsche Minderheitenorganisationen beziehen deutsche Presseerzeugnisse regelmäßig über Patenschaftsabonnements. Durch den Bund der Vertriebenen (BdV) und Landsmannschaften erhalten sie vor allem auch die landsmannschaftlichen Periodika, welche sich verständlicherweise bei der deutschen Minderheit großer Beliebtheit erfreuen.
In Rundfunk und Fernsehen wird die Minderheit nur auf lokaler Ebene berücksichtigt und einbezogen. So wird seit dem 5. Juni 1991 in Kattowitz durch den dortigen Regionalsender in Zusammenarbeit mit der „Arbeitsgemeinschaft Versöhnung und Zukunft in Polen“ einmal wöchentlich eine einstündige Sendung in deutscher Sprache für die Minderheit ausgestrahlt, und der Regionalsender Oppeln überträgt jeden Freitag die ebenfalls einstündige, zweisprachige Sendung „Mj Heimat/Meine Heimat“.
Das regionale Fernsehen in Kattowitz hat im November 1992 erstmals eine deutschsprachige Sendung „Oberschlesien aktuell“ gesendet. Weitere Folgen in unregelmäßigen Zeitabständen sind geplant; die Finanzierung erfolgt gemeinsam durch das Warschauer Ministerium für Kultur und Kunst und das Bonner Bundesministerium des Innern. Schließlich läuft im Breslauer Regionalfernsehen die Sendereihe „U siebie“ (Bei sich zu Hause), die in polnischer Sprache über die deutsche Minderheit berichtet
Mit Unterstützung aus Deutschland konnten die deutschen Minderheitengruppen eigene Bibliotheken mit deutschsprachiger Literatur einrichten. Alleine in der Wojewodschaft Oppeln gibt es derzeit etwa 30 deutsche Büchereien. Sie ergänzen die vorhandenen öffentlichen Büchereien, deren Bestände an deutschen Büchern seit 1990 um das Zehnfache gewachsen sind und im Jahre 1993 in der Wojewodschaft Oppeln rund 10000 deutschsprachige Bände umfassen. Ebenfalls mit Hilfe aus Deutschland konnten die deutschen Minderheiten eine große Zahl von Begegnungsstätten einrichten. Im Oppelner Schlesien gibt es bereits mehr als 250 solcher Kulturzentren, in denen u. a. Deutschkurse und kulturelle Veranstaltungen stattfinden.
Nach polnischen Untersuchungen ist das kulturelle Leben in Orten mit deutschen Einwohnern reger und vielfältiger als in Gegenden mit überwiegend oder ausschließlich zugewanderter Bevölkerung. Dabei steht die Beteiligung an kulturellen Veranstaltungen der deutschen Minderheiten immer häufiger nicht mehr nur ausschließlich ihren Mitgliedern, sondern allen Interessenten frei, so daß auf diese Weise das Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gefördert und die kulturelle Vielfalt des Landes zum Ausdruck gebracht wird. 3. Kirchlicher Bereich Dank des Einsätzes des Oppelner Bischofs Alfons Nossol konnte seit dem 4. Juni 1989 in Oberschlesien wieder deutschsprachiger katholischer Gottesdienst abgehalten werden. Es begann mit deutschsprachigen Messen auf dem St. Annaberg und wurde später, nach entsprechenden Anträgen von Gläubigen, auf die gesamte Diözese Oppeln ausgeweitet. Heute werden bereits in mehr als der Hälfte der 200 oberschlesischen Gemeinden deutsche Messen zusätzlich zu den polnischen -nicht anstelle derselben -abgehalten. Auch in Niederschlesien, so in Breslau und Waldenburg, und im katholischen Ermland in Ostpreußen haben die dortigen katholischen Deutschen die Möglichkeitzu Gottesdienstbesuch und Seelsorge in ihrer Muttersprache. Die Evangelisch-Augsburgische Kirche Polens betreut die deutschsprachigen Protestanten in Niederschlesien und Hinterpommern durch eigene Geistliche in deutscher Sprache. In Masuren, wo der größte Teil der einheimischen Bevölkerung evangelisch ist und heute mehrheitlich den deutschen Minderheitenorganisationen angehört, gibt es dagegen noch keine regelmäßigen deutschsprachigen Gottesdienste. Einzelne Pastoren, so beispielsweise Pfarrer Jagucki in Lötzen, laden aber Amtsbrüder aus Deutschland in der Ferienzeit in ihre Gemeinde, die dann für die einheimischen Deutschen und sogenannte Heimwehtouristen aus der Bundesrepublik deutsche Gottesdienste abhalten. Eine grundsätzliche kirchliche Regelung für die deutschen Protestanten in Masuren, die aufgrund der Bevölkerungsverschiebungen der Nachkriegszeit in großer Diaspora leben, steht aber noch aus.
VIII. Unterstützung und Beeinflussung der deutschen Minderheiten aus Polen und Deutschland
1. Polnische Seite Von polnischer Seite wurde mit der Wende in Polen 1989 auch dem Problem der nationalen Minderheiten erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet. Beim polnischen Parlament (Sejm) wurde ein parlamentarischer Ausschuß für nationale und ethnische Minderheiten gegründet, welcher sich mit den Problemen der Minderheiten befassen und auch Vorschläge für ein polnisches Minderheitengesetz ausarbeiten sollte. Obgleich alle nationalen Minderheiten ein solches Gesetz nachdrücklich verlangten, konnte es aufgrund zahlreicher politischer Widerstände bislang noch nicht verabschiedet werden. Im Jahre 1990 wurde im Warschauer Ministerium für Kultur und Kunst eine besondere Abteilung für Angelegenheiten der nationalen Minderheiten eingerichtet. Durch diese Abteilung wird u. a. die polnische finanzielle Förderung der Kulturarbeit der Minderheiten koordiniert und organisatorische Hilfestellung geleistet
Auf lokaler Ebene sind die Wojewoden (vergleichbar deutschen Regierungspräsidenten) in Siedlungsgebieten der Minderheiten gehalten, einen Bevollmächtigten für Minderheitenfragen einzusetzen, der als Vermittler zwischen Staat und Minderheit fungieren soll Eine solche Funktion nimmt traditionell auch die katholische Kirche Oberschlesiens ein. Im Bistum Oppeln hat Bischof Nossol seinerseits einen Beauftragten für die deutsche Minderheit eingesetzt und mehrfach in Streitfällen, etwa in der Frage der Errichtung bzw. Wiederherstellung deutscher Denkmäler für gefallene Soldaten, zwischen Behörden und Minderheit eine Schlichtung herbeigeführt.
Tatsächlich hat sich ein Teil der polnischen Bevölkerung noch nicht vollständig mit der Existenz und der Tätigkeit von deutschen Minderheitenorganisationen im Lande abgefunden. Hier wirkt die jahrzehntelange kommunistische Propaganda von einer angeblich illoyalen deutschen Minderheit in Polen vor 1939 und Revanchismusbestrebungen der Bundesrepublik nach 1945 bis heute nach und wird immer wieder von politischen Extremisten in Polen benutzt, um von wirtschaftlichen Schwierigkeiten abzulenken und neue Gefolgschaft zu gewinnen. Dazu kommt, daß -vor allem in Oberschlesien -Einheimische und nach 1945 Zugewanderte häufig auch noch in der dritten Generation nur neben-, aber nicht wirklich miteinander leben.
Die deutschen Minderheiten registrieren die polnische Abneigung und betonen dort, wo sie die Bevölkerungsmehrheit stellen, ihren Anspruch, sich als Einheimische nicht länger von den Zugewanderten bevormunden zu lassen. Dies hat wiederum entsprechende negative Reaktionen der polnischen Seite zur Folge. Dennoch hat die Mehrheit der polnischen Bevölkerung Verständnis für die kulturellen Bedürfnisse der deutschen Minderheiten. Näch Umfragen unterstützen 60 % der Polen die Einführung deutschen Unterrichts im Oppelner Schlesien und 63, 9 % die Abhaltung deutschsprachiger Messen in Oberschlesien 2. Deutsche Seite Aus der Bundesrepublik Deutschland wurde die deutsche Minderheit in Polen in den vergangenen Jahren nachhaltig unterstützt. So stellte das Bundesinnenministerium im Jahre 1990 rund 6, 8 Millionen Mark zur Verfügung, 1991 waren es bereits 23, 6 Millionen, und in den Jahren 1992 und 1993 wurden jeweils mehr als 26 Millionen Mark für Hilfen an die Deutschen in Polen durch das Bundesinnenministerium, teilweise über Mittlerorganisationen, bereitgestellt. Dabei wurde darauf geachtet, daß durch die Zuwendungen aus Deutschland die Trennung zwischen den Deutschen und ihren polnischen Nachbarn nicht unnötig vertieft wurde. Der größte Teil der Hilfsmaßnahmen kommt allen Bewohnern der jeweiligen Orte oder Regionen zugute. So werden beispielsweise Krankenhäuser mit Geräten und Medikamenten ausgestattet oder die Wasserversorgung bestimmter Gebiete durch entsprechende Baumaßnahmen verbessert.
Besondere Bedeutung angesichts der Überalterung der Minderheit haben Altenhilfe und Pflege-stätten, Sozialstationen und Maßnahmen wie „Essen auf Rädern“. Aufbauhilfe für das einheimische Handwerk wird durch Existenzgründungshilfen geleistet und landwirtschaftlichen Organisationen wie dem „Verein Schlesischer Bauern“ sowohl praktisch durch Bereitstellung von Saatgut und Maschinen wie auch ideell durch Fortbildungsveranstaltungen oder landwirtschaftliche Berater geholfen. Darüber hinaus wird den deutschen Organisationen durch Ausstattungs-und Unterhaltshilfe für Geschäftsstellen, Begegnungsstätten und Büchereien unter die Arme gegriffen
Die Förderung der Muttersprache, die aufgrund der Diskriminierungspolitik in der Vergangenheit heute teilweise von den Angehörigen der Minderheit nicht oder kaum noch beherrscht wird, ist derzeit eines der vordringlichsten Anliegen. Hierzu wurden 1991 durch das Institut für Auslandsbeziehungen (IfA), das diese Aufgaben für die Bundesregierung koordiniert, über zwei Millionen DM eingesetzt; 1992 konnte das IfA bereits drei Millionen DM dafür bereitstellen. Zu den geförderten Maßnahmen gehörten beispielsweise die Schulung von Lehrern aus den Siedlungsgebieten der Minderheit auf Sprachkursen in Deutschland und die Entsendung von Lehrern aus Deutschland in die Siedlungsgebiete der Minderheit, die Versorgung mit Lehrmaterialien, die Förderung deutschsprachiger Zeitungen und kostenlose Abonnements deutscher Periodika für die Minderheitengruppen
Außer von staatlichen Stellen erfährt die deutsche Minderheit durch zahlreiche Wohlfahrtsverbände, Organisationen und Privatpersonen weitere Unterstützung für ihre Arbeit. So hat beispielsweise der Deutsche Caritasverband Freiburg im Bistum Oppeln am 10. Oktober 1992 die erste von 47 geplanten Pflegestationen in Oberschlesien eingeweiht
Auch die politischen Stiftungen in Deutschland beziehen die Siedlungsgebiete der deutschen Minderheiten in Polen in ihre Arbeit mit ein. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat mit einem eigenen Büro in Gleiwitz dabei ein besonderes Zeichen gesetzt.
Besonders intensiv, gleichzeitig aber auch besonders umstritten ist die Tätigkeit des Bundes der Vertriebenen (BdV) und einzelner in diesem Dachverband zusammengeschlossener Landsmannschaften wie der Landsmannschaft Schlesien oder der Landsmannschaft Ostpreußen für die Deutschen in Polen. Hierzu muß gesagt werden, daß bis 1989 die Betreuung der Deutschen in Polen fast allein von den Heimatvertriebenen und ihren Organisationen geleistet werden mußte, da ansonsten in der Bundesrepublik -auch bei Politikern und staatlichen Stellen -in dieser Frage Berührungsängste bestanden. Naturgemäß sehen die Deutschen in Polen in den vertriebenen Landsleuten in Deutschland auch ihre natürlichen Ansprechpartner, von den verwandtschaftlichen Bindungen einmal ganz abgesehen.
Tatsächlich ist die praktische Hilfe für die deutschen Minderheiten in Polen durch landsmannschaftliche Organisationen aus Deutschland, die auch eine Mittlerfunktion für staatliche Förderung erfüllen, bedeutend. Diese Hilfe wird auch von den in den Siedlungsgebieten der deutschen Minderheiten lebenden Polen durchaus geschätzt, da sie ebenfalls von den erweiterten Möglichkeiten des Deutschunterrichts oder der verbesserten Ausstattung von Schul-, Kultur-und Krankenhäusern, welche unter anderem auch durch den BdV organisiert werden, profitieren. In Deutschland wie in Polen wenig bekannt ist ferner, daß deutsche Heimatvertriebene -ob landsmannschaftlich organisiert oder nicht -seit Jahrzehnten unzählige Kontakte nicht nur zu ihren in der Heimat verbliebenen Landsleuten, sondern auch zu den neuen polnischen Bewohnern geknüpft haben und sich daraus viele enge Freundschaften und Bindungen über die Grenzen hinweg entwickelten.
Im Gegensatz zu diesen allgemein positiv aufgenommenen Tätigkeitsfeldern, die allerdings wenig spektakulär sind, stößt dagegen in Polen wie in Deutschland die politische Tätigkeit von Landsmannschaften auf heftige Kritik und Unverständnis. Diese Aktivitäten werden zwar nicht von allen Vertriebenenverbänden, aber doch von einzelnen landsmannschaftlichen Organisationen oder ihren Vertretern durchgeführt. Es geht hier vor allem um die Infragestellung der heutigen deutsch-polnischen Grenze, Aktionen wie die Forderung nachpassivem Wahlrecht bei Bundestagswahlen für die Angehörigen der deutschen Minderheiten oder das Schüren antipolnischer Ressentiments in Reden oder Veranstaltungen in Deutschland bzw.den Siedlungsgebieten der deutschen Minderheiten in Polen. Auch ein Teil der bei den Minderheiten verbreiteten Vertriebenenpublikationen trägt häufig nicht dazu bei, das Zusammenleben von Polen und Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten zu verbessern. Angesichts der Tatsache, daß viele Angehörige der deutschen Minderheiten sich bis heute nicht mit dem polnischen Staat identifizieren können und nach wie vor auf ihrer deutschen Staatsangehörigkeit bestehen (nach Schätzungen wurde bis heute etwa 100000 Angehörigen der deutschen Minderheiten auf der Grundlage des Art. 116 GG ein bundesdeutscher Paß ausgestellt), fällt eine solche Beeinflussung auf fruchtbaren Boden Damit wird jedoch das Bemühen polnischer und deutscher staatlicher wie privater Stellen um eine Aussöhnung der Deutschen mit ihrem Status als Minderheit im polnischen Staat, welche die Voraussetzung für praktische Verbesserungen darstellt, zumindest erschwert.
Ein Beispiel für diese Schwierigkeiten ist die Weigerung von jungen Angehörigen der Minderheiten, den Wehrdienst in der polnischen Armee abzuleisten. Deutschland und Polen dulden zwar derzeit die faktische Doppelstaatsbürgerschaft von Angehörigen der deutschen Minderheiten in Polen stillschweigend. Beide Seiten sind sich aber darin einig, daß auch Angehörige der deutschen Minderheiten in Polen mit deutschem Paß, solange sie in Polen ihren ständigen Wohnsitz haben, den dortigen Gesetzen und somit auch der polnischen Wehrpflicht unterliegen.
Viel öffentliches Aufsehen erregte die kurzzeitige Tätigkeit einiger kleiner Gruppen bundesdeutscher Rechtsextremisten in Oberschlesien Man sollte diese Einzelfälle, ebenso wie die immer wieder vorkommenden Ausschreitungen polnischer Extremisten gegenüber Einrichtungen der deutschen Minderheiten, nicht überbewerten. Vorfälle dieser Art zeigen aber, daß das deutsch-polnische Verhältnis, insbesondere auch bezüglich der Minderheiten, noch keineswegs endgültig und befriedigend geregelt ist. ‘
Die den deutschen Minderheiten nach Abschluß des Grenzvertrages zugedachte Rolle einer Brücke zwischen Deutschland und Polen ist heute noch eine Zukunftsvision. Für die Angehörigen der Minderheiten geht es derzeit in erster Linie um Wiedergutmachung des ihnen nach 1945 zugefügten Unrechts. Das ist ein langwieriger, teilweise schmerzhafter Prozeß, bei dem allen Seiten Kompromisse abverlangt werden. In den Kreisen der deutschen Minderheiten hatte man teilweise auch besonders hohe Erwartungen in die Hilfe aus der Bundesrepublik gesetzt, die sich in der Praxis als unerfüllbar erwiesen. Auf der anderen Seite befürchten viele Polen, bei Erfüllung aller Forderungen der deutschen Minderheiten schließlich zu Fremden im eigenen Land zu werden. Diese heiklen Probleme können nur durch gemeinsame Anstrengungen aller Beteiligten -der deutschen Minderheiten, ihrer polnischen Nachbarn, des polnischen und des deutschen Staates -zu einem friedlichen und für alle Seiten akzeptablen Ende geführt werden.
Joachim Rogall, Dr. phil., geb. 1959; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig-Petry-Institut Mainz, Lehrbeauftragter der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Veröffentlichungen u. a.: Die Deutschen im polnischen Staat nach 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Angehörigen des schwebenden Volkstums, in: Walter Althammer/Line Kossolapov (Hrsg.), Aussiedlerforschung. Interdisziplinäre Studien, Köln-Weimar-Wien 1992; Aktuelle Probleme und Bedürfnisse des Deutschunterrichts im Oppelner Schlesien, in: Nordost-Archiv, (1992) 2; Die Deutschen im Posener Land und in Mittelpolen, München 1993.
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