Aussiedler in Deutschland Aspekte ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung
Barbara Koller
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Zusammenfassung
Allein in den vergangenen fünf Jahren sind fast 1, 5 Millionen Aussiedler in Deutschland aufgenommen worden. Sie betrachten ihre Zuwanderung als Rückkehr in die Heimat und bringen eine große Anpassungsbereitschaft mit. Trotzdem verläuft ihre soziale Eingliederung nicht ohne Schwierigkeiten: Viele Aussiedler beherrschen die deutsche Sprache nicht oder nur unzureichend. Ihr „deutsches“ Identitätsbewußtsein war mit traditionellen, konservativen Wertvorstellungen verknüpft, die sie hier nicht mehr finden und die ihnen zudem den flexiblen Umgang mit neuen Verhaltensnormen erschweren. Hinzu kommt, daß die Einstellung der Einheimischen den Aussiedlern gegenüber immer mehr von wirtschaftlicher Konkurrenzangst geprägt ist. Bei der beruflichen Eingliederung machen sich die von den Anforderungen in Deutschland abweichenden Berufsausbildungen und -erfahrungen bemerkbar. Das hat sich in der Vergangenheit noch am wenigsten für männliche Aussiedler aus gewerblichen Berufen ausgewirkt. Dagegen hatten viele Aussiedlerinnen aus kaufmännischen und Büroberufen ohne berufliche Fortbildung so gut wie keine Aussichten auf eine entsprechende Beschäftigung. Auch für die meisten akademischen Berufe wird ein großer und schwieriger Änpassungsbedarf festgestellt. Eine exakte Arbeitslosenquote kann für Aussiedler nicht errechnet werden. Alle Informationen weisen darauf hin, daß sie höher ist als bei den Einheimischen.
L Ein Blick auf die Zahlen
Allein in den vergangenen fünf Jahren sind fast 5 Millionen Aussiedler 1 aus Polen, Rumänien und der ehemaligen UdSSR in Deutschland aufgenommen worden In diesem Zeitraum haben sich die Schwerpunkte der Herkunftsgebiete, wie Tabelle 1 zeigt, stark verschoben: Während 1988 noch rund 70 Prozent der Aussiedler aus Polen kamen, waren es 1992 nur mehr knapp acht Prozent; dagegen stieg der Anteil von Aussiedlern aus der ehemaligen UdSSR von 23, 5 Prozent auf fast 85 Prozent. Heute wird die Zuwanderung fast ausschließlich durch Aussiedler aus der ehemaligen UdSSR bestimmt, in den ersten acht Monaten von 1993 kamen 94 Prozent Millionen Aussiedler 1 aus Polen, Rumänien und der ehemaligen UdSSR in Deutschland aufgenommen worden 2. In diesem Zeitraum haben sich die Schwerpunkte der Herkunftsgebiete, wie Tabelle 1 zeigt, stark verschoben: Während 1988 noch rund 70 Prozent der Aussiedler aus Polen kamen, waren es 1992 nur mehr knapp acht Prozent; dagegen stieg der Anteil von Aussiedlern aus der ehemaligen UdSSR von 23, 5 Prozent auf fast 85 Prozent. Heute wird die Zuwanderung fast ausschließlich durch Aussiedler aus der ehemaligen UdSSR bestimmt, in den ersten acht Monaten von 1993 kamen 94 Prozent aus diesem Gebiet. Gleich-geblieben dagegen ist über all die Jahre der -verglichen mit der einheimischen Bevölkerung -hohe Anteil junger Menschen.
Aussiedler sind gekommen, um auf Dauer hier zu bleiben. Die meisten haben in ihren Herkunftsländern alle Brücken hinter sich abgebrochen und in ihrer Lebensplanung eine Rückkehr ausgeschlossen. Sollte vielen von ihnen eine Eingliederung in Deutschland nicht gelingen, hätte das nicht nur gravierende Auswirkungen auf ihr persönliches Schicksal -ein randständiges Dasein einer so großen Gruppe könnte auch zu spürbaren Beeinträchtigungen des sozialen Friedens in Deutschland führen.
II. „Eingliederung“ von Aussiedlern -Dimensionen dieses Begriffes
Abbildung 2
Tabelle 2: Zugewanderte Erwerbspersonen und Eintritte von Aussiedlern in Fördermaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit im Bundesgebiet West Quelle: Bundesanstalt für Arbeit.
Tabelle 2: Zugewanderte Erwerbspersonen und Eintritte von Aussiedlern in Fördermaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit im Bundesgebiet West Quelle: Bundesanstalt für Arbeit.
Was bedeutet Eingliederung? Woran läßt sich ihr „Gelingen“ festmachen? Und wem muß sie gelingen, bzw. wer ist dafür verantwortlich -der Zu-wanderer oder die aufnehmende Gesellschaft oder beide Seiten?
Nicht nur in der politischen Diskussion fallen die Antworten hierzu sehr unterschiedlich aus, auch die soziologisch-analytische Auseinandersetzung mit dem Bedeutungsgehalt von Eingliederung oder Integration (beide Begriffe werden meist synonym verwendet) führte nicht zu einer einheitlichen Begriffsdefinition. Je nach theoretischem Hintergrund wird Integration auf unterschiedlichen Ebenen gemessen, und es werden unterschiedliche Indikatoren für erfolgreiche Integration angesetzt.
Definitionen, die sich auf die sozialstrukturelle Ebene beziehen, wie Integration als Verwirklichung der „klassischen Trias“ Kommerzium, Kommensalität und Konnubium 3 oder als Zustand, in dem Zuwanderer eine den Einheimischen entsprechende sozialstrukturelle Ausdifferenzierung aufweisen und gleiche Chancenmuster haben 4, betrachten Integration von vornherein als einen Prozeß, der lange Zeit dauert und dessen Ziel möglicherweise innerhalb einer Generation gar nicht erreicht werden kann 5. Im Unterschied dazu geht die „Forschungsgesellschaft für das Weltflüchtlingsproblem“ von einer personenorientierten Betrachtung aus und bezeichnet mit Integration einen Prozeß, der zu einem Zustand der Verhaltensstabilität und Rollensicherheit führt. Integration ist erreicht, wenn der Zuwanderer sich in der neuen Umgebung geborgen fühlt und im persönlichen Gleichgewicht befindet Für die hier vorgestellte Analyse ist eine Festlegung auf eine dieser Definitionen nicht erforderlich. Sie stehen nicht in Widerspruch zueinander, sondern haben lediglich einen unterschiedlichen Zeit-und Anspruchshorizont, der angesichts der Tatsache, daß die meisten Aussiedler erst seit wenigen Jahren in Deutschland sind, nicht zum Tragen kommt. Wesentlich im Zusammenhang mit dem Bedeutungsgehalt von Eingliederung erscheinen folgende Aspekte: -Eingliederung hat Prozeßcharakter. Sie wird häufig als phasenhafter Ablauf beschrieben, ausgehend von der existentiellen Grundsicherung bis zur „inneren Eingliederung“, wobei diese Phasen nicht hierarchisch aufeinander aufbauen, sondern weitgehend zeitlich parallel verlaufen. Eingliederung umfaßt sowohl Teilhabe an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Chancen, für die in unserem Sozialsystem der Beruf eine wichtige Rolle spielt, als auch persönliches Gleichgewicht und Sicherheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen -Bezogen auf die Eingliederungssituation sind der formalrechtliche Aspekt und die tatsächlichen Lebensbedingungen zu unterscheiden. Aussiedler haben als Deutsche (im Unterschied zu anderen Zuwanderungsgruppen) die gleichen Rechte wie andere deutsche Staatsbürger; das bedeutet jedoch keine Gewähr für einen problemlosen Eingliederungsverlauf.
Eingliederung ist ein vielschichtiger Prozeß. Eine Zerlegung in Teilbereiche wie „berufliche“, „soziale“, „kulturelle“ oder „kirchlich-religiöse“ Eingliederung wird der gegenseitigen Bedingtheit dieser Vorgänge nicht gerecht. Sie ist jedoch schon im Interesse der Übersichtlichkeit kaum zu umgehen. Das gilt auch für die vorliegende Analyse. Sie befaßt sich unter dem Stichwort „soziale Eingliederung“ mit dem Zurechtfinden, Einleben und Wohlfühlen in der neuen Umgebung und stellt unter dem Gliederungspunkt „berufliche Eingliederung“ Statistiken und Forschungsergebnisse zu diesem wichtigen Lebensbereich vor.
III. Soziale Eingliederung
Abbildung 3
Tabelle 3: Leistungsbezug von Aussiedlern und Einheimischen im Anschluß an Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung im Bundesgebiet West Quelle: Bundesanstalt für Arbeit.
Tabelle 3: Leistungsbezug von Aussiedlern und Einheimischen im Anschluß an Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung im Bundesgebiet West Quelle: Bundesanstalt für Arbeit.
Migration bedeutet nicht nur das Verlassen des gewohnten engeren Lebensraums, sondern ist auch mit einem Wechsel von Kultur und Gesellschaft verbunden. Die im Laufe der eigenen Sozialisation erworbenen Wertvorstellungen, Verhaltensnormen, Wissensbestände und Orientierungen für das Verhalten in formellen und informellen Situationen können so von einem Tag auf den anderen an Bedeutung verlieren. Sind Aussiedler in diesem Sinne Migranten? Schließlich werden sie nur aufgenommen, wenn sie ihre Zugehörigkeit zum „deutschen Volkstum“ durch Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur nachweisen können.
Viele Aussiedler wurden in „deutschen“ Normen und Werten erzogen, beherrschen andererseits ein sehr wesentliches Kulturmerkmal -die deutsche Sprache -nicht oder nur unzureichend. Die mangelnden Sprachkenntnisse, aber auch das tradierte „deutsche“ Kulturgut können nach den Erfahrungen vieler Experten als Eingliederungsbarrieren wirken. 1. Sprachprobleme Daß mangelnde Deutschkenntnisse die Eingliederung behindern, ist offensichtlich: Ganz abgesehen von der kulturvermittelnden und -überliefernden Funktion der Sprache ist sie einfach unerläßliches Verständigungsmittel. Ohne ein Mindestmaß an Sprachbeherrschung ist die Orientierung im Alltagsleben sehr erschwert und der Aufbau von Kontakten und sozialen Beziehungen fast unmöglich.
Auf die Entwicklungen der Nachkriegszeit -Verbot oder Diskriminierung der deutschen Sprache in Polen und der UdSSR -ist zurückzuführen, daß etwa 80 Prozent der erwachsenen Aussiedler die deutsche Sprache so wenig beherrschen, daß sie nach ihrer Ankunft in Deutschland an einem Sprachkurs teilnehmen müssen. Der weitaus größte Teil der Kursteilnehmer (zum zahlenmäßigen Umfang siehe Tabelle 2) wurde bis Ende 1992 nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit gefördert Diese Finanzierung aus den Versichertenbeiträgen hatte eine klare Ausrichtung an den „für die berufliche Eingliederung erforderlichen Kenntnissen“ (§ 62c AFG) zur Folge und bedeutete z. B., daß die Sprachkursdauer an der für die Berufsausübung erforderlichen Sprachkompetenz orientiert werden sollte und im Zweifelsfall die Vermittlung in Arbeit den Vorrang vor dem Abschluß des Sprachkurses hatte. Seit 1. Januar 1993 wird die Beteiligung an Deutschkursen zwar nach wie vor über das AFG gefördert, jedoch aus Bundesmitteln finanziert. Die Bedingungen für das Erlernen der deutschen Sprache haben sich für Aussiedler dadurch nicht verbessert, sondern seitdem sogar verschlechtert. Dies nicht nur, weil die nunmehr bezahlte „Eingliederungshilfe“ zur Sicherung des Lebensunterhalts niedriger ist als das vorher gewährte „Eingliederungsgeld“, vor allem wurde die Höchstförderdauer von zuletzt acht Monaten auf sechs Monate gesenkt.
Die Motivation, Deutsch zu lernen oder die Sprachkenntnisse zu verbessern, ist bei Aussiedlern im allgemeinen sehr groß -ist doch die Sprache der Ausweis für die Zugehörigkeit zur deutschen Kultur. Dessen ungeachtet war bereits eine Kursdauer von acht bis zehn Monaten für bildungsschwächere und lernungeübte Personen häu-fig zu kurz, um eine für das tägliche Leben ausreichende Sprachkompetenz zu erwerben Es liegt auf der Hand, daß die Verkürzung der Kursdauer dazu führen wird, daß in Zukunft der Anteil von Aussiedlern, deren Grundkenntnisse in Deutsch für ein eigenständiges Weiterlernen nicht ausreichen, steigen wird. Genauso offensichtlich sind die Auswirkungen auf die Eingliederungschancen: beschränkte berufliche Möglichkeiten, beschränkte Möglichkeit der Teilnahme am kulturellen Leben und Beschränkung der sozialen Kontakte auf die eigene Herkunftsgruppe. Damit aber dürften auf die Gesellschaft neue soziale Probleme zukommen -ganz abgesehen von der Beeinträchtigung der individuellen Lebenschancen. 2. Das unsichtbare Gepäck: Traditionelle Wertmuster, Marginalität, sozialistische Erziehung Aussagen über die Voraussetzungen der Aussiedler für eine soziale Eingliederung sind fast unweigerlich mit unzulässigen Verallgemeinerungen verbunden. Der in Deutschland verwendete Sammelbegriff „Aussiedler“ läßt sie als eine einheitliche Gruppe erscheinen, obwohl sie sich in ihrem geschichtlichen Hintergrund, ihren Sozialisationsbedingungen und persönlichen Voraussetzungen stark unterscheiden.
Trotz dieser Einschränkungen gibt es Gemeinsamkeiten der Lebensbedingungen, die bei Aussiedlern zu ähnlichen Grundauffassungen, Verhaltensnormen und Lebensweisen geführt haben. So gut wie alle Untersuchungen, die sich mit dem soziokulturellen Hintergrund von Aussiedlern befassen, gehen davon aus, daß bei ihnen häufiger als bei der einheimischen Bevölkerung eine konservative, traditionelle und patriarchalische Wertestruktur anzutreffen ist In diesem Kontext ist die große Bedeutung von familiären und verwandtschaftlichen Beziehungen zu sehen, die -trotz Berufstätigkeit der Frau -unumstrittene Führungsrolle des Mannes sowie die hohe Bedeutsamkeit von Werten wie Gehorsam, Ordnung, Pünktlichkeit und eine strenge Sexualmoral. Dieses Festhalten an „alten“ Wertvorstellungen und Verhaltensnormen wird wesentlich auf die Minderheitensituation der Aussiedler in ihren Herkunftsländern, die häufig auch in konfessioneller Hinsicht gegeben war, zurückgeführt. Sie konnten sich nur durch ein besonders hartnäckiges Festhalten an ihren traditionellen Wertmustern, Sitten und Gebräuchen als Volksgruppe am Leben erhalten
Dessenungeachtet übte auch das sozialistische Wirtschafts-und Gesellschaftssystem Einfluß aus, allein schon durch den starken zeitlichen und persönlichen Zugriff von staatlichen Sozialisationsinstanzen wie Kindergarten, Schule und Kinderhort. Dazu kommt, daß es trotz der Unterschiedlichkeit in den Grundorientierungen sehr wohl Übereinstimmungen in Verhaltensnormen gab, wie z. B. in der Ausrichtung auf die Gemeinschaft und in der Bedeutung von Disziplin und Ordnung.
Ein Wechsel in eine Umgebung mit anderen Werteprioritäten muß nicht notwendigerweise zu Eingliederungsproblemen und einem Bruch in der Biographie führen. Zwar hat die Jugendphase für den Sozialisationsprozeß, also die Persönlichkeitsentwicklung in Auseinandersetzung mit der Umwelt, eine besondere Bedeutung. Sozialisation ist jedoch ein lebenslanger Prozeß, so daß Änderungen der Lebensbedingungen auch Weiterentwicklung der Persönlichkeit bedeuten können. Aus sozialpsychologischer Sicht ist eine traditionelle konservative Werthaltung mit geringer Aufgeschlossenheit für Veränderungen und für nebeneinanderstehene Wert-und Normenvorstellungen verbunden, wie sie in unserem pluralistischen Gesellschaftssystem gegeben sind Eine solche Grundhaltung befähigt wenig zu einer „flexiblen Identitätsrepräsentation“ dazu, neues Wissen und neue Anforderungen in der Weise mit dem Selbstbild zu verknüpfen, daß die Person sich einesteils selbst treu bleibt, andererseits aber neue Informationen als „Erfahrung“ verarbeiten kann.
Aussiedler haben diese Flexibilität im Umgang mit neuen Werten nicht gelernt und sollen sie gerade in einer Phase aufbringen, in der sich für sie alle äußeren Lebensbedingungen zum Schlechteren verändert haben. Sie wohnen im Übergangswohnheim auf engstem Raum mit anderen Menschen zusammen, wissen nicht, ob sie Arbeit finden werden und sprechen die Sprache der Umgebung nicht oder nur schlecht. Daß sie in einer solchen Situation wenig Gelassenheit aufbringen, erscheint nur zu verständlich. Mitarbeiter der Wohlfahrtsverbände, die Aussiedler in den Übergangswohnheimen in der praktischen Lebensbewältigung unterstützen, berichten von depressiver Grund-stimmung, Alkoholmißbrauch und Eheproblemen, die sie als Reaktion auf die Belastungen der Aus-siedlung interpretieren.
Diese Einzelfallbeobachtungen sollen keinesfalls angezweifelt werden; der Schluß, daß ein solches Verhalten bei Aussiedlern überproportional häufig anzutreffen oder daß es eine Reaktion auf die Aus-siedlung ist, ließe sich bisher wissenschaftlich jedoch nicht halten. Es gibt nämlich derzeit keine repräsentative empirische Untersuchung, die in umfassender Weise die soziale Eingliederung von Aussiedlern einschließlich der psychischen Reaktionen auf Eingliederungsprobleme thematisierte 3. Die Probleme junger Aussiedler Besonders intensiv haben sich Soziologen und Mitarbeiter der Eingliederungshilfe mit der Situation jugendlicher Aussiedler befaßt Sie sehen sie als besonders stark von der Gefahr bedroht, zwischen alle Fronten zu geraten und keine stabile eigene Identität aufbauen zu können. Die Aussiedlung trifft sie in einer Entwicklungsphase, in der sie unter normalen Umständen allmählich selbständig werden und sich vom Elternhaus lösen. Dieser Prozeß wird abrupt unterbrochen. Die Jugendlichen waren zudem meist stärker als ihre Eltern in ihrem Herkunftsland integriert. Sie mußten sich von ihrem Freundeskreis trennen und kommen nun in ein Land, in das viele gar nicht wollten, in das sie mitgenommen wurden, „damit die Kinder es einmal besser haben“, das durch andere Lebensformen und Werte geprägt ist und in dem sie die Sprache nicht verstehen. Hinzu kommen die Unsicherheiten über die Schul-und Berufslaufbahn. Familie und Eltern sind der einzige stabile Faktor. Diese aber reagieren auf die neue Situation häufig durch Abkapselung und rigides Verhalten. Sie glauben, ihre Kinder vor der „fehlenden Moral“ und der zu großen Freiheit in Deutschland schützen zu müssen. Die Jugendlichen ihrerseits wollen mit dem „westlichen Standard“ mithalten können, von einheimischen Altersgenossen akzeptiert werden sowie Kontakt mit ihnen bekommen und sehen im Konsumbereich einen großen Nachholbedarf In einem Alter, in dem sie selbst noch wenig gefestigt sind, müssen sie einen schwierigen Balanceakt bewältigen: Orientieren sie sich zu sehr an den Anforderungen der Familie, werden sie zu Außenseitern in der neuen Umgebung; passen sie sich den Verhaltensweisen und dem Konsumstil der jungen Einheimischen an, laufen sie Gefahr, den Rückhalt der Familie zu verlieren. 4. Eingliederung -ein „Sozialprozeß auf Gegenseitigkeit?“
Als ein wesentlicher Aspekt von Integration wird häufig herausgestellt, daß es sich -im Unterschied zu „Assimilation“ -um einen „Sozialprozeß auf Gegenseitigkeit“ handle, daß es nicht um Anpassung der Zuwanderer an die Einheimischen bis zur Ununterscheidbarkeit gehe, sondern um gegenseitige Anerkennung.Bei den Aussiedlern ist die Bereitschaft zur Anerkennung der Aufnahmegesellschaft groß. Obwohl sie sehen, daß die Werte, die ihnen bisher wichtig waren, in Deutschland wenig Bedeutung haben, kritisieren sie die Einheimischen nicht. Sowohl in einer Untersuchung von 1976 als auch von 92 19 werden diese als 1 „hilfsbereit“, „höflich“, „freundlich“, „sauber“ und auch als „nicht aufdringlich“ eingestuft. Gerade diese letzte Eigenschaft zeigt das Bemühen um eine positive Sicht, denn viele Aussiedler fühlen sich in Deutschland nicht angenommen, nicht als „Deutsche“ (womit sie einen Minderheitenstatus gegen den nächsten austauschen) und nicht als Mitmenschen. Die Tatsache, daß Einheimische nicht auf sie zugehen, empfinden sie -auch wenn ihnen die Unterschiedlichkeit der Lebensstile bewußt ist -als Ablehnung, was wiederum Zurückhaltung in ihrem eigenen Verhalten zur Folge hat. Daß der Aufbau von unproblematischen sozialen Beziehungen und einem positiven Selbstwertgefühl unter diesen Bedingungen schwierig ist, liegt auf der Hand.
In der Einstellung der Einheimischen gegenüber den Aussiedlern spielt die Sorge um den eigenen ökonomischen Status eine große Rolle. Das zeigt sich im Zeitvergleich und beim Vergleich zwischen verschiedenen sozialen Gruppen 1988, als der Zuwanderungsanstieg erst begann und von der Bevölkerung noch nicht entsprechend wahrgenommen wurde, konnte in einer Befragung eine „sozial und humanitär motivierte Sympathie und Aufgeschlossenheit gegenüber Aussiedlern festgestellt werden“ Diese Grundhaltung hat sich bis 1992 zum Negativen verändert. Aussiedler werden nunmehr als Bedrohung auf dem Wohnungs-und auf dem Arbeitsmarkt betrachtet. Es wird für eine Begrenzung der Zuwanderung plädiert. Lediglich bei jüngeren Menschen und bei solchen, die wirtschaftlich kaum in Konkurrenz mit Aussiedlern stehen -bei Beamten und leitenden Angestellten -ist die Abwehrhaltung weniger ausgeprägt
Aussiedler betrachten ihre Zuwanderung als Rückkehr in die Heimat, sie wollen hier bleiben und sind zur Anpassung bereit. Langfristig wird es -wie das Beispiel der Vertriebenen zeigt -sicher zu einer Eingliederung in allen Lebensbereichen kommen. Wie lange dieser Prozeß dauern und mit wie vielen Belastungen für die Aussiedler er verbunden sein wird, hängt wesentlich davon ab, inwieweit die „Alteingesessenen“ zu Akzeptanz und einem spannungsfreien Zusammenleben bereit sind.
IV. Berufliche Eingliederung
Abbildung 4
Tabelle 4: Entwicklung der Arbeitslosenzahlen bei der Gesamtbevölkerung und bei Aussiedlern im Bundesgebiet West auf der Basis Januar 1991 Arbeitslose im Januar 1991 Quelle: Bundesanstalt für Arbeit.
Tabelle 4: Entwicklung der Arbeitslosenzahlen bei der Gesamtbevölkerung und bei Aussiedlern im Bundesgebiet West auf der Basis Januar 1991 Arbeitslose im Januar 1991 Quelle: Bundesanstalt für Arbeit.
Soziale Eingliederung ist vielschichtig und quantitativ kaum faßbar. Bei der beruflichen Eingliederung lassen sich jedoch einige Indikatoren angeben, die über den Stand der Eingliederung informieren. Das kann z. B. die Erwerbsbeteiligung sein, die berufliche Position oder das Einkommen -soweit entsprechende Daten vorliegen.
Nach den bis Ende 1992 gültigen gesetzlichen Regelungen hatten neu zugereiste Aussiedler, die als Erwerbspersonen nach Deutschland kamen, nach den §§ 62aff. AFG prinzipiell Anspruch auf Eingliederungsgeld, ein in der Höhe pauschaliertes Arbeitslosengeld. Das Eingliederungsgeld wurde nicht nur bei Arbeitslosigkeit, sondern auch bei der Teilnahme an Deutschkursen und an beruflichen Fortbildungs-oder Umschulungsmaßnahmen (FuU-Maßnahmen) gewährt. Über diese „Förderfälle“ (über Aussiedler also, die keinen Arbeitsplatz haben) geben die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit Aufschluß. Über die Beschäftigung von Aussiedlern dagegen -z. B. darüber, wie viele in Arbeit sind und welche Arbeitsverhältnisse sie haben -gibt es keine entsprechenden Informationen. Und damit kann z. B. auch keine Arbeitslosenquote für Aussiedler errechnet werden.
Um gleichwohl ein umfassendes Bild über den Verlauf der beruflichen Eingliederung von Aussiedlern zu erhalten, wird im Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit eine Längsschnittuntersuchung durchgeführt, bei der eine repräsentative Stichprobe von Aussiedlern -rund 3 000 Personen -in mehreren Befragungswellen in ihrem Eingliederungsverlauf begleitet wird. Bisher liegen Ergebnisse von zwei Befragungswellen (der ersten im Mai 1991, während der Teilnahme an einem Deutschkurs, und der zweiten etwa ein halbes Jahr später, nach Austritt aus dem Deutschkurs) vor. Zur Zeit -im Herbst 1993 -werden die Aussiedler ein drittes Mal befragt.
Diese beiden Datenquellen -die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit und die repräsentative Erhebung des IAB -ergänzen sich und lassen zusammengenommen ein anschauliches Bild der Eingliederungssituation von Aussiedlern entstehen. 1. Stationen der beruflichen Eingliederung Die erste Eingliederungsstation war bisher für mindestens 80 Prozent der Aussiedler die Teilnahme an einem Deutschsprachkurs. Aber auch bei guten Deutschkenntnissen bzw. nach Kursabschluß hatten viele Aussiedler wenig Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden, der ihrer formalen Qualifikation entsprach. In vielen Berufsfeldern stimmen die Kenntnisse und Fertigkeiten der Aussiedler nicht mit den Arbeitsplatzanforderungen in Deutschland überein, was auf die Unterschiedlichkeit der Wirtschafts-, Gesellschafts-und Bildungssysteme, das unterschiedliche technologische Niveau und die erheblich von den Bedingungen in Deutschland abweichenden arbeitsorganisatorischen Strukturen in den Herkunftsländern zurückzuführen ist. Hinzu kommt, daß manche Berufe, in denen Aussiedler gearbeitet haben, in Deutschland kaum mehr nachgefragt werden. Infolgedessen nahmen in den vergangenen Jahren sehr viele Aussiedler an beruflichen Fortbildungs-oder Umschulungsmaßnahmen teil.
Wie sich die berufliche Situation für Aussiedler in den ersten Monaten nach dem Sprachkurs darstellte, ist aus der erwähnten IAB-Erhebung ersichtlich: Zum Zeitpunkt der zweiten Erhebung -der Kurs lag für die meisten Befragten zwischen zwei und vier Monate zurück -waren 30 Prozent der Befragten in Arbeit, 25 Prozent nahmen an einer beruflichen Fortbildungs-oder Umschulungsmaßnahme teil, 32 Prozent waren arbeitslos und 13 Prozent waren zumindest zum Befragungszeitraum aus dem Erwerbsleben ausgeschieden
Vergleicht man diese Angaben mit den Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit über die Eintritte von Aussiedlern in berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, so ist zu erwarten, daß in der Folgezeit (z. B. wegen erfolgloser Arbeitsplatzsuche oder e Prozent nahmen an einer beruflichen Fortbildungs-oder Umschulungsmaßnahme teil, 32 Prozent waren arbeitslos und 13 Prozent waren zumindest zum Befragungszeitraum aus dem Erwerbsleben ausgeschieden 23.
Vergleicht man diese Angaben mit den Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit über die Eintritte von Aussiedlern in berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, so ist zu erwarten, daß in der Folgezeit (z. B. wegen erfolgloser Arbeitsplatzsuche oder einem sehr unbefriedigenden Beschäftigungsverhältnis) noch viele weitere Befragte an einer FuU-Maßnahme teilgenommen haben. Wie hoch die Beteiligung bei allen Aussiedlern an solchen Maßnahmen bisher war, läßt sich aus Tabelle 2 ablesen 24. Unterstellt man, daß der Eintritt in eine FuU-Maßnahme im Durchschnitt im zweiten Jahr nach der Zuwanderung erfolgt, kann man davon ausgehen, daß in den vergangenen Jahren mehr als 50 Prozent der zugewanderten Aussiedler-Erwerbspersonen an einer beruflichen Fortbildungs-oder Umschulungsmaßnahme teilgenommen haben.
Die hohe Zahl der Teilnehmer an FuU-Maßnahmen ist allerdings noch kein Beweis dafür, daß sie tatsächlich erforderlich waren bzw. Aussiedler mit ihrer Hilfe besser beruflich eingegliedert werden konnten. Ein solcher Beweis läßt sich jedoch durch Auswertung von Statistiken ohnehin nicht führen, da die Aufnahme einer Beschäftigung nicht zwingend der FuU-Maßnahme zugerechnet werden kann 25. Daß Aussiedler -insbesondere Männer -, die an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen hatten, auf jeden Fall zu einem hohen Anteil in Beschäftigung kamen, zeigt eine Analyse, die dem Verbleib von Aussiedlern und Einheimischen im Anschluß an solche Maßnahmen nachging. Da es, wie erwähnt, keine Statistiken über die Beschäftigung von Aussiedlern gibt, konnte der „Verbleib“ nur daran gemessen werden, ob weiterhin Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezogen wurden. Die Ergebnisse sind in Tabelle 3 dargestellt. Aus ihr ist ersichtlich, daß z. B. nur 20, 2 Prozent der männlichen Aussiedler, die im ersten Halbjahr 1992 aus beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen ausgetreten waren, ein halbes Jahr später (am Ende des übernächsten Quartals) Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezogen. Das bedeutet allerdings nicht, daß alle „Nichtleistungsbezieher“, also fast 80 Prozent, tatsächlich in Arbeit waren; sie können z. B, aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sein oder keinen Leistungsanspruch mehr haben. Gerade bei Aussiedlern ist jedoch nicht mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen, denn sie hatten nach Ausschöpfen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld noch Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.
Wie sich aus Tabelle 3 ablesen läßt, bezog von den einheimischen Teilnehmerinnen an FuU-Maßnahmen in der Folgezeit der geringste Anteil Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Gerade für diese Gruppe kann jedoch am wenigsten unterstellt werden, daß „Nichtleistungsbezieherinnen“ tatsächlich in Arbeit sind: Einheimische Frauen mit berufstätigem Ehepartner haben bei Arbeitslosigkeit selten Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, denn diese wird nur bei Bedürftigkeit gewährt. Sie fallen meist nicht unter die entsprechende Grenze -im Unterschied zu Aussiedlerinnen, die im Durchschnitt mehr Kinder haben und deren Ehepartner häufig auch weniger verdienen als einheimische Ehemänner.
Aussiedlerinnen hatten mit Abstand die höchste Quote im Leistungsbezug; 31 Prozent erhielten etwa ein halbes Jahr nach dem Austritt aus der FuU-Maßnahme Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe.
Das Ergebnis, daß (soweit Rückschlüsse auf Grund des Leistungsbezugs möglich sind) die Eingliederung in Arbeit bei den männlichen Aussiedlern, die an einer Qualifizierungsmaßnahme teilgenommen haben, sogar besser gelingt als bei einheimischen Männern und daß Aussiedlerinnen den geringsten Eingliederungserfolg haben, trifft nicht nur für die vorliegenden Daten zu; es zeigte sich in gleicher Weise bei einer Analyse der FuU-Austritte von 1990 2. Eingliederungssituation und -probieme in verschiedenen Berufsfeldern Aus allen Daten, die über die Eingliederung von Aussiedlern in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, ergibt sich eindeutig, daß Männer schneller und einfacher in Arbeit kommen als Frauen. Das zeigt sich bei dem oben dargestellten Ergebnis, das zeigt sich bei den Arbeitslosenzahlen (der Frauen-anteil lag in den vergangenen Jahren jeweils bei etwa 60 Prozent, obwohl weniger weibliche als männliche Erwerbspersonen zuwanderten) und das zeigt sich auch in der Erhebung des IAB: In der zweiten Erhebungswelle waren 46 Prozent der Männer, aber nur 17 Prozent der Frauen in Arbeit. Der naheliegende Grund für dieses Ergebnis sind Familienpflichten der Frauen. In der IAB-Erhebung konnte dieser Frage nachgegangen werden. Dabei stellte sich heraus, daß auch bei Frauen ohne „Familienpflichten“ (also ohne Kinder) die Beschäftigtenquote kaum höher war; sie lag bei knapp 21 Prozent. Aufschlußreicher für die Erklärung der großen Unterschiede in der Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen war die Betrachtung der Herkunftsberufe. Von diesen hing es in erster Linie ab, ob Aussiedler unmittelbar nach dem Deutschkurs in Arbeit kamen, ob sie arbeitslos waren oder an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnahmen
Im Jahr 1991, als die Untersuchung durchgeführt wurde, wurden noch in vielen gewerblichen Berufen Arbeitskräfte gesucht; Aussiedler aus diesen Berufen hatten auch ohne weitere Fortbildung gute Chancen, in ihrem Beruf unterzukommen. In der IAB-Erhebung waren z. B. von den Aussiedlern aus Bauberufen von den Elektrikern, Tischlern, Malern und Schlossern zwei bis vier Monate nach Beendigung des Sprachkurses bereits zwischen 51 und 65 Prozent in Arbeit, die meisten in ihrem Herkunftsberuf. Bei Frauen war die Quote kaum schlechter; allerdings kamen nur wenige Frauen aus solchen Berufen, bei den Männern dagegen waren es 32 Prozent der Befragten.
Schlecht war die Arbeitsmarktlage innerhalb des gewerblichen Bereichs für Textilberufe. Bei den Aussiedlern traf das vor allem die Frauen; nur 24 Prozent hatten einen Arbeitsplatz, davon weniger als die Hälfte im erlernten Beruf.
Aussiedler (und hier waren es wieder vor allem Frauen) aus Berufen, die eng mit dem Wirtschaftsund Sozialsystem verknüpft sind und für die zudem eine gute Sprachbeherrschung erforderlich ist, hatten -unabhängig von der allgemeinen Arbeitsmarktlage in Deutschland -eine ungünstige Berufsperspektive. Das betraf z. B. Aussiedlerinnen mit Sozial-und Erziehungsberufen oder mit kaufmännischer Ausbildung. Besonders stark betroffen waren Frauen aus „Organisations-, Verwaltungsund Büroberufen“ nur neun Prozent der Befragten unserer Stichprobe hatten Arbeit, davon nur eine einzige Person in ihrem früheren Berufsfeld. Die Teilnahmequote an FuU-Maßnahmen war mit 50 Prozent sehr hoch, wobei die meisten Kursteilnehmerinnen eine Fortbildung in ihrem Herkunftsberuf machten. Ob sich dadurch ihre Beschäftigungschancen verbessert haben, wird sich erst in der dritten Befragungswelle zeigen. Die Arbeitsämter berichten ganz allgemein von Problemen, Aussiedler aus diesen Berufen in ihrem früheren Berufsfeld unterzubringen Ähnliche Arbeitsmarktprobleme gibt es für Ingenieure (Frauenanteil 43 Prozent). Aus der Sicht vieler Arbeitgeber haben sie im allgemeinen einen großen Anpassungsbedarf, um den Arbeitsplatz-anforderungen in Deutschland zu entsprechen. Sie waren in der IAB-Erhebung die Berufsgruppe mit der höchsten FuU-Quote; 57 Prozent waren in Fortbildungsmaßnahmen, nur zehn Prozent hatten einen Arbeitsplatz, die Hälfte davon war überdies berufsfremd eingesetzt.
Für Aussiedler, die vorher im Bergbau und in der Landwirtschaft gearbeitet hatten, stehen in Deutschland kaum entsprechende Arbeitsplätze zur Verfügung. Dessenungeachtet lag ihre Beschäftigtenquote in etwa beim Durchschnittswert für alle Befragten; die Quote der Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen war jedoch unterdurchschnittlich niedrig. Wer aus solchen Berufen kam, hatte sich anscheinend schon darauf eingerichtet, nicht mehr in diesem Bereich arbeiten zu können. Soweit an Qualifizierungsmaßnahmen teilgenommen wurde, ging es jeweils um Umschulungert. Personen, die einen Arbeitsplatz hatten, waren in sehr unterschiedlichen Feldern eingesetzt, sehr viele waren Hilfsarbeiter.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung stimmen mit den Erfahrungen in den Arbeitsämtern überein: In den vergangenen Jahren hatten männliche Aussiedler aus vielen gewerblichen Berufen gute Chancen, auch ohne weitere berufliche Qualifizierung in ihrem Berufsfeld unterzukommen. Dagegen bestand bei vielen akademischen Berufen und bei kommunikationsorientierten Dienstleistungsberufen, die vor allem von Frauen ausgeübt wurden, so gut wie keine Aussicht, unmittelbar'‘nach dem Deutschkurs im Herkunftsberuf arbeiten zu können. Die Teilnahmequote bei FuU-Maßnahmen war in diesen Berufen sehr hoch. Dabei ging es vor allem um Fortbildung oder Spezialisierungen im erlernten Beruf. Inwieweit sich dadurch die Eingliederungschancen verbessert haben, wird sich erst auf der Basis der dritten Erhebungswelle zeigen. Optimistisch kann stimmen, daß die Analysen der Geschäftsstatistiken der Bundesanstalt für Arbeit -insgesamt gesehen -für Aussiedler, die an FuU-Maßnahmen teilgenommen haben, relativ gute Eingliederungsquoten ausweisen. 3. Die Entwicklung der Eingliederung von Aussiedlern in den Arbeitsmarkt Die berufliche Eingliederung von Aussiedlern ist vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung des Arbeitsmarkts zu sehen, wobei man vermuten könnte, daß konjunkturelle Einbrüche Aussiedler wegen ihrer bekannten Handicaps -Sprachprobleme, den Anforderungen nicht entsprechende Berufskenntnisse -mehr treffen als Einheimische. Für sie kommt, wie für andere Zuwanderungsgruppen, erschwerend hinzu, daß in Rezessionszeiten kaum neue Arbeitskräfte eingestellt werden und ein Arbeitsplatzabbau in der Regel jene stärker trifft, die zuletzt kamen.
Angesichts dieser Beeinträchtigungen haben Aussiedler den Konjunktureinbruch bisher relativ gut überstanden; gemessen an der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen sogar besser als die Gesamtbevölkerung im Bundesgebiet West.
Tabelle 4 verdeutlicht diese Entwicklung: Ausgehend von der Anzahl der Arbeitslosen im Januar 1991 ist für die Gesamtbevölkerung im Bundesgebiet West bis Oktober 1992 insgesamt ein Rückgang der Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen, was sich in den entsprechenden Indexwerten ausdrückt. Ab diesem Zeitpunkt steigen die Arbeits- losenzahlen, im September 1993 waren sie um 22 Prozent höher als im Januar 1991. Bei den Aussiedlern lagen die Arbeitslosenzahlen noch bis zum März 1993 unter denen vom Januar 1991; erst im letzten halben Jahr sind sie stark angestiegen, im September 1993 gab es rund 14 Prozent mehr arbeitslose Aussiedler als im Januar 1991. Die Arbeitslosigkeit hat also bei der Gesamtbevölkerung stärker zugenommen als bei den Aussiedlern, obwohl bei letzteren durch die Zuwanderungen und durch Austritte aus Kursen ständig neue Erwerbspersonen hinzukommen, während bei der Gesamtbevölkerung die Anzahl der Erwerbspersonen in etwa gleichbleibt.
Aus dieser Entwicklung den Schluß zu ziehen, daß Aussiedler zur Zeit auf dem Arbeitsmarkt besser unterkommen als einheimische Arbeitskräfte, wäre trotzdem voreilig, denn in diesem Zusammenhang ist folgendes zu bedenken: -Für Aussiedler läßt sich zwar keine genaue Arbeitslosenquote errechnen; soweit es jedoch Anhaltspunkte dafür gibt, war die Arbeitslosigkeit bei Aussiedlern zum Ausgangszeitpunkt spürbar höher als bei der einheimischen Bevölkerung, so daß man nur von einem geringeren Anstieg, ausgehend von einem höheren Niveau, sprechen kann. -Außerdem gilt diese relativ positive Entwicklung für fast die Hälfte der Aussiedler-Erwerbs-personen,nämlich die Frauen, in keiner Weise. Ihr Anteil an den arbeitslosen Aussiedlern steigt. -Weiterhin ist zu bedenken, daß viele Aussiedler ihren Herkunftsberuf nicht ausüben, sondern in wenig qualifizierten Berufen beschäftigt und damit langfristig immer von Arbeitslosigkeit bedroht sind.
V. Ausblick
Die zukünftige Entwicklung der Arbeitsmarkt-situation für Aussiedler wird nicht nur von der allgemeinen Arbeitsmarktlage und der Entwicklung der Zuwanderungen abhängen, sondern auch davon, inwieweit es weiterhin berufliche Starthilfen für Aussiedler geben wird. Die Zugangsmöglichkeiten hierzu wurden -im Zuge der allgemeinen Sparmaßnahmen -mit Inkrafttreten des AFGÄnderungsgesetzes am 1. Januar 1993 gravierend verschlechtert. Während bis dahin neu zugewanderte Aussiedler-Erwerbspersonen, die an einer für ihre berufliche Eingliederung erforderlichen Qualifizierungsmaßnahme teilnahmen, Eingliederungsgeld und Erstattung der Maßnahmekosten erhielten, ist in den neuen AFG-Bestimmungen eine FuU-Teilnahme während des Bezugs der nunmehr gewährten „Eingliederungshilfe“ nicht vorgesehen.
Aussiedler können nunmehr lediglich unter bestimmten Voraussetzungen eine Erstattung der Maßnahmekosten erhalten; der Lebensunterhalt jedoch muß, sofern keine eigenen Mittel vorhanden sind, mit Sozialhilfe gedeckt werden. Die Folge ist, daß die Teilnahme an FuU-Maßnahmen stark zurückging. Im ersten Halbjahr 1993 sind nur knapp 19000 Aussiedler in solche Maßnahmen eingetreten (die meisten in den ersten Monaten, als noch Übergangsregelungen wirksam waren) -im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum noch rund 58 000.
Wenn es die Alternative „Teilnahme an einem beruflichen Qualifizierungslehrgang“ nicht mehr gibt, hat das nicht nur Auswirkungen auf die aktuellen Arbeitslosenzahlen, wie sich bei den Aussiedlern im letzten Halbjahr zeigte. Wie oben dargelegt, sind ganze Berufsgruppen auf solche Lehrgänge angewiesen, um in Deutschland wieder an ihre früheren Berufe anknüpfen zu können. Bei den erschwerten Zugangsbedingungen haben viele Aussiedler, sofern sich überhaupt eine Beschäfti gungschance bietet, nur die Möglichkeit, eine Tätigkeit unterhalb ihres Qualifikationsniveaus aufzunehmen.
Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls und damit negative Auswirkungen auf ihre soziale Eingliederung liegen auf der Hand. Und auch ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt ist ständig gefährdet, denn alle Erfahrungen der Vergangenheit haben erwiesen, daß Personen mit un-und angelernter Tätigkeit am stärksten von Arbeitslosigkeit bedroht sind.
Für die Zukunft ist eine alternative Förderung -Deutschkurs oder Teilnahme an einer FuU-Maßnahme -vorgesehen. Für Aussiedler, die ohne Deutschkenntnisse kommen, sind das keine wirklichen Alternativen. Allerdings haben sich in den Herkunftsländern die Möglichkeiten, Deutsch zu lernen, stark verbessert, so daß eher erwartet werden kann, daß Aussiedler Grundkenntnisse in der deutschen Sprache mitbringen. Der Schwerpunkt der institutionellen Hilfen in Deutschland könnte sich dann auf berufliche Starthilfen verlagern.
Barbara Koller, Dr. rer. pol., geb. 1943; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg. Veröffentlichungen: Integration in die Arbeitswelt im Westen. Zur beruflichen Eingliederung von Über-siedlern aus der ehemaligen DDR, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (MittAB), 25 (1992) 2; Aussiedler nach dem Deutschkurs: Welche Gruppen kommen rasch in Arbeit?, in: MittAB, 26 (1993) 2; weitere Veröffentlichungen zu kommunikationswissenschaftlichen Themen.
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