I. Frauen und Geschichtsschreibung
Die Erinnerung an die Einführung des Wahlrechtes vor 75 Jahren, am 12. November 1918, „für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen“ durch den Aufruf des Rates der Volksbeauftragten gibt Gelegenheit, den Blick auf die Mitwirkung der Frauen an der politischen Kultur in Deutschland zu werfen. Im Mittelpunkt der nachfolgenden Betrachtung steht die Weimarer Zeit, wobei versucht werden soll, den Beitrag der christlichen Frauenbewegung im Gesamtspektrum der politischen Arbeit der Frauen in dieser Zeit darzustellen.
Wer sich bemüht, die historischen Standardwerke zu konsultieren, erlebt eine herbe Enttäuschung. Das umfangreiche Werk „Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik -Wirtschaft -Gesellschaft“ schweigt sich über die gesellschaftliche Gruppe der Frauen als Wählerinnen, Mandatsträgerinnen, Arbeitnehmerinnen, Arbeitslose und Kriegerwitwen aus. Im umfänglichen Namensverzeichnis erscheinen acht weibliche Namen. Vier Namen beziehen sich auf Autorinnen von Publikationen, deren Spezifikum nicht in der Aufarbeitung der politischen Geschichte der Frauen liegt, zwei Namen haben keine besondere Relevanz, zwei weitere weisen auf Frauen hin, deren Lebenseinsatz der kommunistischen Partei galt: Rosa Luxemburg und Clara Zetkin. Auch die Beiträge des Buches, die wenigstens einige Hinweise beinhalten könnten, schweigen sich über die Frauen aus. Da heute das Wort „Weimarer Republik“ sofort eine Assoziation zu dem Wort „Scheitern“ bildet, ist der Beitrag von Kurt Sontheimer von großer Bedeutung, weil er aufzeigt, daß es eine Akzeptanz und konstruktive
Mitwirkung der Bürger in der Weimarer Demokratie gegeben hat, auch wenn sie letztlich von den Nationalsozialisten zerstört worden ist. Nach 14jähriger parlamentarischer Mitwirkung und intensiver staatsbürgerlicher Bildungsarbeit wurden die Frauen aus der aktiven politischen Arbeit gedrängt. Vor diesem Hintergrund könnte nun erwartet werden, daß Kurt Sontheimer am Schluß seines Artikels nicht nur die intensive und systematische Erforschung der politischen Kultur der Jugendbewegung oder der NS-Massenbewegung vorschlägt, sondern auch nach der politischen Kultur der Frauenbewegungen fragt, weil „erst durch die Erforschung und nachfolgende Zusammensetzung dieser politischen Teilkulturen ein Blick auf die Gesamtheit des Phänomens der politischen Kultur der Weimarer Republik gewonnen wird“
Es ist nicht nachvollziehbar, daß sich in der Auswahlbibliographie kein entscheidender Titel zur Frage der politischen Mitwirkung der Frauen während der Weimarer Zeit befindet. Die Untersuchung von Gabriele Bremme über „Die politische Rolle der Frau in Deutschland“ ist schon 1956 erschienen Die Autobiographie der Parlamentarierin Marie-Elisabeth Lüders, die unter dem Titel „Fürchte dich nicht“ 1963 publiziert worden ist, hätte ebenfalls Erwähnung finden können Kein einziger der 28 Beiträge stammt aus der Feder einer Historikerin. Wo liegen die Ursachen für eine solche Ausgrenzung von Fragestellungen, die heute mit Vehemenz von der Frauenforschung ein-geklagt werden?
II. Frauen im Parlament
In der geschichtswissenschaftlichen Literatur über Weimar wird die Beteiligung der Frauen am politischen Leben keineswegs immer positiv beurteilt. Ob die zweibändige Geschichte der Weimarer Republik von Erich Eyck in „vielen Passagen der Bericht eines klugen zeitgenössischen Beobachters“ ist, muß gefragt werden, wenn er zur Gewährung des allgemeinen Wahlrechtes schreibt: „Der Krieg ist ein großer Gleichmacher, und unter dem Eindruck von vier furchtbaren Kriegsjahren, die auf jedem mit dem härtesten Druck gelastet hatten, wagte niemand die Vorfrage, ob politisches Verständnis und Interesse im deutschen Volk wirklich so allgemein verbreitet und zur Reife gediehen seien, um eine so gewaltige Verbreiterung des Wahlrechts angezeigt und ungefährlich sein zu lassen, in ihrem ganzen Emst zu stellen.“ An anderer Stelle spricht Eyck von „dieser aufgeblähten Wählermasse“. Wen der Verfasser damit meint, läßt sich aus folgendem Zitat ablesen: „Eine vielleicht weniger tiefgehende, als laute Frauenbewegung fordert die politische Gleichberechtigung des weiblichen Teils der deutschen Bevölkerung.“ In der Gesamtbeurteilung versteigt er sich zu unqualifizierten Behauptungen: „Die deutschen Frauen haben jedenfalls nicht gezeigt, daß sie ihr aktives und passives Wahlrecht für ein köstliches Gut hielten, für das mit ganzer Kraft sich einzusetzen lohnte, geschweige denn, daß sie der Weimarer Republik dankbar gewesen wären. Denn sie stimmten zu Millionen und mit Begeisterung für Hitler, der sie vom politischen Leben ausschließen wollte.“ 5
Heinrich Köhler, 1927 Reichsfinanzminister und von 1928-1932 Reichstagsmitglied, hat, abgesehen von den Zentrumsabgeordneten Hedwig Dransfeld, Clara Siebert und Agnes Neuhaus, keine hohe Meinung von der parlamentarischen Arbeit der Frauen. Er steht auf dem Standpunkt: „Die Frau als Wählerin: Ja; als Abgeordnete: Nein! Der Eintritt der Frauen ins Parlament war ohne jede besondere Bedeutung oder tieferen Einfluß auf den Verlauf der Beratungen und die Gestaltung der Gesetze -nicht einmal auf die Sitten der Männer!... Für die Arbeit des Parlaments waren sie ganz unwichtig und durchaus entbehrlich.“
Der Zentrumspolitiker Josef Joos formulierte, ähnlich wie der Sozialdemokrat Paul Löbe (1924-1932 Reichstagspräsident), andere Erfahrungen, die sich auf einzelne und die Gesamtheit der Parlamentarierinnen beziehen: „Ich habe Jahre hindurch Frauen der verschiedensten Parteien in der politischen und der parlamentarischen Arbeit gesehen. Ich sah sie als Zentrumsabgeordnete in Weimar und Berlin, Hedwig Dransfeld, Helene Weber, Christine Teusch, Maria Schmitz, Frau Agnes Neuhaus u. a. m., alles Frauen, die vom Beruf der Erzieherin oder Fürsorgerin her kamen. Ich fand sie alle wohl am Platz und fähig, der positiven Mitgestaltung öffentlicher Dinge eine bessere Note zu geben. Nichts anderes läßt sich sagen von den Frauen politischer Orientierung rechts und links vom Zentrum bis nahe an die Kommunisten heran. Die Führerinnen der Heimarbeiterinnen, Margarete Behm, Anna von Gierke, Dr. Gertrud Bäumer, Antonie Pfülf, Louise Schröder, wollten sicherlich den Einsatz der Frau als Frau und nicht bloß als Parteiverpflichtete und Nachahmerin des Mannes. Wer von den Parlamentarierinnen gelegentlich aus edler Frauenhaltung herausfiel, hatte es nicht im Parlament gelernt. Von der Mehrzahl aber der Frauen, die mir auf dem politischen Felde begegneten, läßt sich sagen, daß sie den Willen zur Sache besaßen, die Fähigkeit, die Welt sowohl im Kleinen zu pflegen wie auch an der Formung der großen Ordnungen mitzuwirken aus einem weltanschaulichen Prinzip heraus.“
III. Geschichtsschreibung durch Frauen
Es war eine hervorragende Idee von Marie Schlei, die Geschichte der Frauen in der Politik herauszugeben Der Beitrag über ihren eigenen Lebens-weg von Pommern über Berlin nach Bonn war die letzte Niederschrift; sie starb am 21. Mai 1983 noch bevor 1984 das Werk erschien. Die dreibändige Geschichte ist eine Fundgrube, wenn man sich über die Etappen der sozialdemokratischen, der christlichen und der liberalen Frauenbewegung in ihrer Beziehung zur politischen Mitwirkung im Kaiserreich und in der Weimarer Republik informieren will.
Der Beitrag der Frauen zur deutschen Demokratiegeschichte ist bei den jüngeren Mitgliedern der betreffenden Parteien häufig nur rudimentär bekannt, wobei die Namen von bedeutenden Frauen, die nicht zum Bereich der eigenen Partei gehören, keine Aussagekraft haben. So vorteilhaft die nach Parteien gegliederte Ausgabe ist, so birgt sie in sich doch das Risiko, daß die Geschichte der anderen Parteien nicht wahrgenommen wird. Es wäre im Sinne von Marie Schlei eine gute Initiative, die Geschichte der politischen Frauen aller Parteien in der Weimarer Republik und ihr Schicksal in der Zeit des Nationalsozialismus jetzt in einem Band herauszubringen. Die Erlangung des Wahlrechtes vor 75 Jahren sowie die ersten schweren Schritte der deutschen Demokratie im Jahre 1919 wären ein Anlaß, die jüngere Generation in den alten und in den neuen Bundesländern mit diesem Abschnitt der Geschichte vertrauter zu machen.
Eine solche Gemeinsamkeit in der historischen Darstellung sollte nicht nur zum guten Ton gehören, sondern sie entspricht der Objektivität in der Beurteilung von Entwicklungen und Fragestellungen der Vergangenheit. So ist völlig unverständlich, daß beispielsweise in der von der Bundeszentrale und den Landeszentralen für politische Bildung verbreiteten Schrift von Rosemarie Nave-Herz der Beitrag der konfessionellen Frauen-bewegung nicht die geringste Rolle spielt. Die Ausblendung eines Teiles der Frauenbewegung, der nachweislich seinen Beitrag zur politischen Kultur in der Demokratiegeschichte des deutschen Volkes geleistet hat, birgt die Gefahr eines verengten Bewußtseinsstandes über die tatsächliche Entwicklung in Deutschland in sich.
Ein solcher Trend ist auch in einigen anderen Publikationen zu beobachten, die vorgeben, sich mit der Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland zu befassen. Die Motive für diese Abstinenz sind eigentlich nicht verständlich. Die Folge ist, daß die Namen der christlichen Frauen-bewegung bei politisch Interessierten häufig nicht bekannt sind. Weitere Gründe liegen in der Verklammerung mit den politischen Tagesereignissen, die keine Zeit, aber auch kein Interesse mehr freigibt für die historische Entwicklung von Fragestellungen. Wenn Erfahrungen der Vergangenheit kein Lernfeld für eigenes Handeln sind, versperrt man sich die Möglichkeit, aus der Geschichte Anregungen für Lösungen zu schöpfen.
IV. Die Spaltung der deutschen Frauenbewegung
Es war die Schwäche der verschiedenen Teile der ersten deutschen Frauenbewegung, daß sie aus weltanschaulichen Gründen organisatorisch nicht zusammengearbeitet haben. Weder die bürgerliche noch die proletarische Frauenbewegung haben zur Erreichung des politischen Wahlrechtes miteinander Bündnisse geschlossen. Zu unterschiedlich waren die Ansätze zur Durchsetzung der rechtlichen Gleichstellung der Frau und die Zielgruppen, für die sie sich einsetzten
Die bürgerliche Frauenbewegung fand ihre Motivation in der Aufklärungsphilosophie und in den Aufbrüchen des Jahres 1848. Sie verfolgte als Ziel die Öffnung neuer Bildungs-und Berufsmöglichkeiten für die bürgerliche Frau und die Hebung des Arbeiterinnenstandes, um die Gleichberechtigung der Frau im staatlichen Leben zu erreichen. 1894 schlossen sich die Frauenverbände im Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) zusammen. Da der BDF nach Auffassung eines linken Flügels das Frauenstimmrecht nicht radikal genug vertrat, kam es 1902 zur Gründung des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht. Die proletarische Frauen-bewegung war Teil der sozialistischen Klassenkampfbewegung und sah ihr Programm in der von August Bebel 1879 veröffentlichten Schrift„Die Frau und der Sozialismus“ Hierin eingeschlossen war die Forderung nach dem politischen Stimmrecht, das dann auch 1918 vom Rat der sozialistischen Volksbeauftragten durchgesetzt wurde.
Es wird behauptet, die christlichen Frauen hätten das politische Wahlrecht gar nicht gewollt. An dieser Stelle muß innerhalb der konfessionellen Frauenbewegung zwischen den evangelischen und katholischen Frauenverbänden unterschieden werden. Der 1899 gegründete Deutsche Evangelische Frauenbund hatte sich zwar von Anfang an für das Frauenstimmrecht in der kirchlichen und bürgerlichen Gemeinde eingesetzt. Er trat allerdings im März 1918 aus dem Bund der deutschen Frauen-vereine aus, nachdem dieser eine Denkschrift zur „Stellung der Frau in der politisch-sozialen Neugestaltung Deutschlands“ veröffentlicht hatte, in der das aktive und passive Wahlrecht für alle Frauen verlangt worden war
Der 1903 gegründete Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) ist dem BDF nie beigetreten. Die areligiöse Linie des BDF war sogar ausschlaggebend, einen eigenen Dachverband für die katholischen Frauenverbände zu gründen. Die breit angelegte Untersuchung von Alfred Kall zur Gründung katholischer Frauenvereine im 19. Jahrhundert nennt eine große Zahl von Initiativen, die aus karitativer, sozialer, berufständischer und pädagogischer Motivation heraus Frauen in Vereinen und Verbänden zusammenführte Zu diesem Bereich gehören auch die zahlreichen Ordensgründungen im vergangenen Jahrhundert, die auf die Linderung brennender sozialer Probleme gerichtet waren und gleichzeitig Frauen einen erfüllenden Lebensberuf ermöglichten Die Lösung dieser Probleme konnte erst angegangen werden mit einer neuen sozialen Gesetzgebung, wie sie in der Zeit der Weimarer Republik in Angriff genommen worden ist.
V. Widerstände gegen die politische Arbeit eines Frauenverbandes
Den katholischen Frauen blies in ihren Bestrebungen zur politischen Partizipation Wind von verschiedenen Seiten ins Gesicht. Der Episkopat registrierte 1903 mit Befremden die Gründung eines Frauenverbandes, der unabhängig von der Hierarchie seinen gesellschaftspolitischen Weg gehen wollte. Die Gründerinnen waren allerdings klug genug, mit der Propagierung des Verbandes zu warten, bis die bischöflichen Bedenken zerstreut waren Der angesehene Dogmatikprofessor Joseph Mausbach war 1906 in seiner Schrift über die Anwendung katholischer Grundsätze auf die Frauenfrage der Auffassung, daß die Frauenwelt auf die Dauer durch die Politik mehr verlöre als gewänne. „Warum sollte es nicht möglich sein, durch ehrliches und tatkräftiges Wohlwollen die Frauenwelt davon zu überzeugen, daß ihre sozialen Wünsche und Bestrebungen in der Hand der Männer gut aufgehoben sind, daß auch für die Frau das Hinaustreten aus dem Hause in die Sitzungssäle und Wahlversammlungen ein sehr zweifelhafter Tausch wäre!“ Joseph Mausbach, der 1919 als Zentrumsabgeordneter mit den katholischen Frauen in der Nationalversammlung zusammensaß, hat dennoch in neugewonnener Überzeugung seine Kolleginnen mit dem parlamentarischen Reglement vertraut gemacht.
Der Katholische Deutsche Frauenbund hatte das politische Wahlrecht zwar nicht auf seine Fahne geschrieben, und die ab 1912 amtierende Vorsitzende Hedwig Dransfeld enthielt sich offizieller Sympathieerklärungen, doch aus den Artikeln der Verbandszeitschrift „Die christliche Frau“ läßt sich die Zielstrebigkeit der katholischen Frauen, die volle Beteiligung am politischen Leben zu erreichen, herauslesen Von einigen Führungspersönlichkeiten ist bekannt, daß sie Frauenstimmrechtsverbänden angehörten und die gesamte Entwicklung förderten.
Der Frauenbund war schon früh der Überzeugung, daß nicht nur die soziale Bildung und das soziale Handeln Grundlinie seines öffentlichen Auftrages sei, sondern er hat von Anfang an Wert darauf gelegt, daß in Vorträgen und Kursen die Kenntnis der wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Zusammenhänge des deutschen Reiches als selbstverständliches Wissen der engagierten katholischen Frau zu vermitteln sei. So ist aus den volkswirtschaftlichen Vorträgen, die Elisabeth Gnauck-Kühne vor dem Münchener Katholischen Frauenbund 1904 gehalten hat, ein Lehrbuch entstanden Auch Alice Salomon und Elly Heuss-Knapp veröffentlichten Bücher zur Volkswirtschaftslehre für Frauen.
Der Katholische Deutsche Frauenbund mußte sich hinsichtlich einer eigenständigen politischen Bildung nicht nur gegen kirchliche Vorurteile durchsetzen, es gab auch Auseinandersetzungen mit dem Volksverein und der Zentrumspartei, die ihren Anspruch auf die politische Schulung der Mitglieder des Frauenbundes anmeldeten Hedwig Dransfeld gab jedoch zu verstehen, daß der Frauenbund „nicht abtreten kann, was seine ureigene Aufgabe ist und damit allein seine Existenz rechtfertigt“.
Die sich überstürzenden Ereignisse im November 1918 brachten dann den Frauen (und mit der Abschaffung des Dreiklassenwahlrechtes auch allen Männern) das volle politische Wahlrecht. Für den weiblichen Teil der Bevölkerung bedeutete dies, endlich wählen und auch als Abgeordnete in den Reichstag, in die Länderparlamente und in die kommunalen Parlamente einziehen zu können. Wie sich die Frauen aller Parteirichtungen in dem sechswöchigen Wahlkampf eingesetzt haben und welche Erfahrungen sie in der ersten Legislaturperiode der Parlamente machten, ist in den Biographien der politischen Frauen der Weimarer Zeit nachzulesen
VI. Frauenverbände als Mitträger politischer Kultur
Für die Beurteilung des Beitrages der katholischen Frauen zur politischen Kultur in der Weimarer Republik ist es hilfreich, sich mit dem Begriff „Politische Kultur“ zu beschäftigen. Sehr wichtig sind in diesem Zusammenhang die grundsätzlichen Arbeiten von Kurt Sontheimer zu „Deutschlands Politischer Kultur“ und zum „Antidemokratischen Denken in der Weimarer Republik“ Eine Kurzfassung der dort gegebenen Definitionen kann mit „Staatstragende Gesinnung“ wiedergegeben werden. Es gehört zur großen Tragik im Leben der politischen Frauen, die prinzipiell positiv zur Weimarer Verfassung standen und die in den Parlamenten und in der staatsbürgerlichen Bildung tätig waren, daß ihre Kraft nicht ausreichte, um gegen die antidemokratischen Gewalttätigkeiten anzukämpfen und das Verhängnis des Nationalsozialismus aufzuhalten
Es soll keineswegs der Eindruck entstehen, als wäre der Katholische Deutsche Frauenbund der einzige Verband gewesen, der durch die Übernahme von politischen Mandaten und durch intensive staatsbürgerliche Bildungsarbeit einen wichtigen Beitrag zur politischen Kultur während der Weimarer Zeit geleistet hätte. Katholische und andere Frauenverbände dieser Zeit haben sich ebenfalls den Herausforderungen gestellt und ihre besten Frauen in die Parlamente und politischen Vertretungen geschickt. Dies trifft besonders für den Verein katholischer Deutscher Lehrerinnen (VkdL) zu, der sich schon seit 1885 „der Zeit gestellt“ hatte Der VkdL verstand sich in erster Linie als berufsständischer Verband und hat sich als solcher besonders in die schulpädagogischen Auseinandersetzungen eingebracht. Der Sozialdienst katholischer Frauen (SKF), der als Fürsorgeverein 1899 von Agnes Neu-haus begründet worden war, hatte seinen Schwerpunkt in der Hilfe für gefährdete Frauen, Mädchenund Kinder Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) hatte eine ihrer Wurzeln in dem 1860 von Bischof Kettler in Mainz gegründeten „Verein christlicher Mütter“ und sah ihre Hauptaufgabe in der christlichen Familien-und Frauenbildung, wie sie sich in der Pfarrgemeinde vollziehen konnte. Die Arbeiterinnen-und Gehilfinnenvereine hatten die Verbesserung der Rechtsstellung und die Persönlichkeitsbildung ihrer Mitglieder zum Ziel. Der Verein katholischer deutscher Sozialbeamtinnen, 1916 gegründet (heute aufgegangen im Berufsverband der Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Heilpädagogen [BSH]), verstand sich als Berufsverband der Sozialbeamtinnen, deren Berufsbild sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hatte
Zu den Begründerinnen des Katholischen Deutschen Frauenbundes zählten 1903 Frauen, die schon längst in anderen Verbänden tätig waren, die aber jetzt in Ergänzung zur bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung ihren öffentlichen Vertretungsanspruch in einem kirchlich unabhängigen Verband bekundeten Diese Tatsache trifft besonders auf den Verein katholischer Deutscher Lehrerinnen zu, dessen Mitglieder tatkräftig im KDFB mitarbeiteten und die Bestrebungen zur politischen Gleichberechtigung unterstützten. So kamen die meisten Frauen, die 1919 in die Nationalversammlung bzw. in die verfassungsgebenden Landesversammlungen als Abgeordnete einzogen, aus der Vorstandsarbeit des KDFB und des VkdL. Sie hatten sich dem Zentrum als der Partei, die ihren ordnungspolitischen Vorstellungen am nächsten kam, angeschlossen.
Während der Weimarer Zeit war das Zentrum (in Bayern die Bayerische Volkspartei) weitgehend an der Regierungsverantwortung beteiligt. Von daher war es selbstverständlich für die weiblichen Zentrumsabgeordneten in den Bereichen, in denen sie beruflich und ehrenamtlich tätig waren, sich für positive Einstellungen zur neuen Demokratie einzusetzen. Die zahlreichen Wahlkämpfe forderten immer wieder ihren Einsatz mit Vorträgen, Kursen und Artikeln zu den Gegenwartsfragen der damaligen politischen Situation heraus. Ein Spiegel dieser Tätigkeit sind die einzelnen Nummern der Verbandszeitschriften, und es wäre eine wichtige Forschungsarbeit, einmal die Artikel zu untersuchen hinsichtlich ihres Aufforderungscharakters, die von links und rechts immer stärker bedrohte Demokratie konstruktiv mitzutragen
Nachfolgend soll am Beispiel von drei Persönlichkeiten dargestellt werden, wie sich Frauen aus der christlichen Frauenbewegung heraus in die politische Öffentlichkeit eingebracht haben. Die Hinweise können nur stichwortartig sein, weil die ausführlichen Biographien den vorgegebenen Rahmen des Artikels sprengen würden. Gleichzeitig soll aber deutlich gemacht werden, welch wichtige Quellen zur Zeitgeschichte durch das Studium der Autobiographien bzw. gut dokumentierter Biographien erschlossen werden können.
VII. Lebensbilder
1. Elisabeth Gnauck-Kühne (1850-1917)
Gemessen an ihren Leistungen für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Frauenfrage im Deutschen Reich in der Zeit von 1893 bis 1917 fällt auf, daß Elisabeth Gnauck-Kühne in der Literatur zur Frauenbewegung kaum eine Rolle spielt Sie war die erste Frau, die aufgrund ministerieller Sondergenehmigung in Berlin an den Seminaren von Professor Schmöller über Nationalökonomie teilnehmen konnte. Zuvor hatte sie vier Jahre Privatunterricht von ihm erhalten. Eine besondere Fähigkeit entwickelte sie in der Anwendung der Statistik bei der Einordnung der Frauenfragen in die Volkswirtschaft. Sie kämpfte für das Universitätsstudium der Frau, die Schutzgesetze für die Arbeiterinnen, für die rechtliche Besserstellung der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch und im Vereinsrecht. Die Glaubwürdigkeit ihres Einsatzes für die Arbeiterinnen beruhte nicht nur auf sorgfältigen Studien über die Berliner Papierindustrie, sondern sie hat inkognito selbst in einer Kartonagefabrik gearbeitet und als Frau aus dem Bürgertum die Not der Arbeiterinnen aus unmittelbarer Nähemiterlebt. Sie war Gewerkschaftsmitglied und beteiligte sich 1896 am Berliner Konfektionsstreik. Unter ihren Freunden aus dem evangelisch-sozialen Arbeitskreis sammelte sie 11300 Mark Streik-gelder. Der Durchbruch innerhalb der kirchlichen Öffentlichkeit geschah 1895 in Erfurt, als sie gegen den Widerstand eines Teiles des evangelisch-sozialen Arbeitskreises über die soziale Lage der Frau sprach. Elisabeth Gnauck-Kühne ist die Initiatorin des Deutschen Evangelischen Frauenbundes (1899) und die Programmatikerin des Katholischen Deutschen Frauenbundes von 1903. Ihre zahlreichen Veröffentlichungen zu den gesellschaftspolitischen Fragen und ihr 1909 herausgebrachtes Lehrbuch „Das soziale Gemeinschaftsleben im Deutschen Reich“ haben mehr als eine Frauengeneration geprägt, die sich für die Gestaltung der Demokratie mitverantwortlich wußte.
Die Biographie über Elisabeth Gnauck-Kühne wurde 1928/29 von der Sozialistin Helene Simon verfaßt und ist bis jetzt die einzige geblieben Weder in der Zeit des Nationalsozialismus noch zu DDR-Zeiten fand die in Blankenburg im Harz beheimatete Sozialwissenschaftlerin, deren Bedeutung für die gesamte deutsche Frauenbewegung unbestreitbar ist, eine angemessene Würdigung. Für die heutige zeitgeschichtliche Forschung sind Gestalt und Werk von Elisabeth Gnauck-Kühne ein zentrales Thema. 2. Helene Weber (1881-1962) „Die Kulturarbeit am deutschen Volke, besonders die Erarbeitung neuer Wege und Methoden, um die Erneuerung der Frauen und besonders der weiblichen Jugend zu beeinflussen.“ Diese Formulierung der „Lebensziele“ der Abgeordneten Helene Weber im Handbuch der verfassungsgebenden Nationalversammlung mag etwas umständlich klingen, aber dennoch sind hier die Felder benannt, in denen Helene Weber eine fast fünfzig Jahre umfassende politische Lebensarbeit skizziert hat Helene Weber erkannte schon als junge Lehrerin, daß Wahrnehmung von öffentlicher, sozialer und staatsbürgerlicher Verantwortung eng mit der politischen Gewissens-und Bewußtseinsbildung zusammenhängt. Sie übte einen großen Einfluß auf die junge Frauengeneration aus, sich vorbehaltlos den Herausforderungen der Zeit zu stellen, wie sie durch den Ersten Weltkrieg und die nachfolgenden schweren Jahre der Weimarer Zeit gegeben waren. Als Parlamentarierin im Deutschen Reichstag und als Ministerialrätin im Preußischen Wohlfahrtsministerium hat sie an der sozialen Gesetzgebung und an der Profilierung des neuen Berufsbildes der Fürsorgerinnen und Fürsorger entscheidend mitgearbeitet.
Die Summe der leidenschaftlichen Artikel in den Verbandszeitschriften des Frauenbundes, den Mitteilungen des Berufsverbandes der Fürsorgerinnen, in den Mitteilungen des Reichsfrauenbeirates der Zentrumspartei sowie die ungezählten Vorträge im ganzen Deutschen Reich sind der Beweis für die Radikalität, mit der Helene Weber ihre Lebensziele umgesetzt hat. „Für uns Frauen muß Politik Kultur werden, d. h. innere Anteilnahme und daraus wachsender Gestaltungswille“, schrieb sie 1929. Helene Weber wurde von den Nationalsozialisten im Juni 1933 aus dem Amt im Preußischen Ministerium gedrängt. Nur sehr vorsichtig konnte sie im sozialen Bereich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Weiterarbeiten. Vor der Liquidierung wurde sie wie durch ein Wunder gerettet. An der demokratischen Neugestaltung Deutschlands hat sie im Parlamentarischen Rat 1948/49 als Schrift-führerin mitgewirkt. Artikel 1 des Grundgesetzes war für Helene Weber ein Lebensprogramm, für dessen Verwirklichung sie sich ohne Schonung ihrer Kräfte eingesetzt hat: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ 3. Igna Maria Jünemann (1892-1976)
Bei der Frage nach dem Beitrag der christlichen Frauenbewegung zur politischen Kultur muß auch auf die Journalistinnen hingewiesen werden, die zur Weimarer Zeit in dem für Frauen noch sehr eingegrenzten Berufszweig an der Heranbildung einer staatstragenden Gesinnung mitgearbeitet haben. Hier sind zu nennen die beiden Schwestern Maria Regina und Igna Maria Jünemann Igna Maria Jünemann war von 1920 bis 1933 Schriftleiterin der Frauenbeilage der in Berlin erscheinenden Zentrumszeitung „Germania“. Welchen Rang solche Beilagen haben können, hat sie selbst 1931 wie folgt beschrieben: „Die besondere Stellung der Frauenbeilagen, die für die Frau als politische Gesamtheit gesehen, erst jetzt volle Bedeutung gewannen. Sie wurden Lehrmeisterin, Führerin, Wegweiserin; sie verkörperten in politischen Notzeiten bis in den heutigen Tag das öffentliche Gewissen der Frau. Sie übernahmen die Auseinandersetzungen über aktuelle politische Frauenfragen -sie machten sich zum Sprachrohr von Frauenwünschen und berechtigten Forderungen. Sie stellten führenden Frauen der Parlamente, der großen Frauenverbände und Vereine ihre Spalten zur Verfügung. Sie eiferten an, sie kämpften mit. So wird man einmal anhand der Frauenbeilagen das lebendige Spiegelbild der Geschichte der Frauenbewegung, den Grad ihrer politischen Betätigung und ihres Einflusses in der Politik feststellen können.“
Die Zeit des Nationalsozialismus brachte die gradlinige Journalistin in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Nach dem Krieg erhielt sie erst 1949 wieder eine feste Anstellung, die es ihr ermöglichte, in der politischen Frauenbildung Akzente zu setzen. Von 1950-1961 arbeitete sie im Presse-und Informationsamt der Bundesregierung in Bonn, zuletzt als Leiterin des Referates Frauenpublizistik.