I. Frauenmacht und politische Kultur
„Politik ist Männersache!“ Dieser Satz ist leider nicht nur ein Stammtischspruch, sondern faßt noch immer das Resultat einer mehr als viertausend Jahre alten Entwicklung zusammen, die seit der Begründung der ersten männerbündischen staatlichen Strukturen in den Stadtstaaten Mesopotamiens auf die eine oder andere Weise bewirkt hat, daß Frauen immer nur als Anhängsel von Männern und nicht mit eigener Positionierung in das gesellschaftliche Netzwerk aufgenommen wurden 1. Von berufenem Munde haben wir nun gehört, daß eine seit Tausenden von Jahren durch Männer beherrschte Politik nicht einfach von Frauen übernommen werden könne. Als Tatbestandsbeschreibung, wenn auch nicht als akzeptables politisches Programm, hat der Mann leider recht, was jedoch nicht verhindert, daß die Frauen im Vormarsch sind. In mehreren historischen Schüben haben sie sich bürgerliche Gleichberechtigung, Wahlrechte und -seit der neuen Frauenbewegung -in zunehmendem Maße auch das Recht auf politische Präsenz erstritten, wenn auch mit periodisch auftretenden Rückschlägen und trotz überaus zähem Widerstand seitens dessen, was man „politische Kultur“ nennt.
Von März 1989 bis November 1990 war Berlin eine mehrheitlich von Frauen regierte Stadt. Dank der Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bekam ich die Möglichkeit, Veränderungen der polifischen Kultur, welche durch die Präsenz dieser Frauen in Führungspositionen herbeigeführt werden würden, zu untersuchen. Einige Ergebnisse unserer Recherchen sollen im folgenden vorgestellt werden.
Die Reaktion der politischen Kultur auf die Präsenz von Frauen in Führungspositionen kann durchaus verschieden verlaufen. Das kulturspezifisch „Andere“, welches Frauen symbolisieren, kann z. B. mit Selbstverständlichkeit ganz und gar absorbiert werden, wie z. B. in der ehemaligen DDR, wo Frauen in großer Anzahl, zwar nicht unbedingt in politische, aber doch in viele andere traditionell von Männern dominierte Führungspositionen aufgestiegen sind. Mit Selbstverständlichkeit haben sich diese Frauen allerdings den männlichen Systembedingungen unterworfen, was sich u. a. darin ausdrückte, daß sich DDR-Frauen meist mühelos männlicher Berufsbezeichnungen bedienten: „Ich bin Physiker ... Chemiker ... Chirurg“ -obwohl die deutsche Sprache für alle diese Berufe weibliche Bezeichnungen zur Verfügung stellt. Die Eigenart der Frauen, die Rest-kultur des weiblichen Geschlechts Das vielbeschworene „Andere“ der patriarchalen Politik kann also durchaus durch Absorption den männlich dominanten Leitbildern fast bis zur Unkenntlichkeit eingepaßt werden.
Eine zweite Variante der Reaktion auf das Eindringen von Frauen in männerspezifische Bereiche, die Abstoßung, ist neben der Absorption die in unserer Gesellschaft wohl häufigste Erscheinung. Die nicht zur Absorption bereite oder geeignete Frau wird entfernt. Sie paßt nicht ins System und wird solange schmerzhaft darauf hingewiesen, bis sie von selbst oder aber durch Intervention der Organisation ihren Platz verläßt. Wir haben am Beispiel der Kultursenatorin Anke Martiny die Mechanismen untersucht, mit denen in einem solchen „Abstoßungsprozeß“ unter ständiger Bezugnahme auf das Geschlecht der Politikerin und durch dessen Skandalisierung ein solcher Ausschluß inszeniert wurde. Neben Absorption und Abstoßung können wir eine dritte Variante der Reaktionen des politischen Systems auf die Präsenz von Frauen in Führungspositionen derzeit am besten in den skandinavischen Ländern beobachten: Eine Veränderung der politischen Kultur durch die Präsenz von Frauen charakterisiert dort weit stärker als bei uns die Realität von Frauen in der Politik. Bei dieser dritten Variante wird nicht allein auf die Tatsache Bezug genommen, daß sich der Anteil von Frauen in politischen Positionen weit stärker erhöht hat als in der Bundesrepublik. Als Maßstab für die Qualität „Veränderung“ gelten vielmehr qualitative Innovationen im Bereich des politischen Verhaltens und der politischen Institutionen, wie z. B. die Änderung der Geschäftsordnung des norwegischen Parlaments, das Sitzungstermine nach 17 Uhr abgeschafft hat, um es Politikern beiderlei Geschlechts zu ermöglichen, ihren Familienpflichten nachzukommen.
Auch in den USA kann, wenngleich mit anderer inhaltlicher Prägung, von einer Veränderung der politischen Kultur durch die Präsenz von Frauen gesprochen werden. Zwar ist der Anteil von Frauen unter Funktionären und Politikern in den USA nicht höher als in der Bundesrepublik. Bis vor den letzten Wahlen zumindest war das Gegenteil der Fall Dennoch hat sich in den USA in den letzten Jahren im Erscheinungsbild des öffentlichen Lebens schon auf den ersten Blick manches verändert. Denn Politikerinnen, Spitzenmanagerinnen, führende Publizistinnen, Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen sind in der Öffentlichkeit, vor allem in den Medien, dort weitaus häufiger vertreten als bei uns -möglicherweise über ihren realen Anteil an Führungskräften hinausgehend. Und sie treten ausnahmslos mit betont weiblichem Erscheinungsbild auf: attraktiv und gepflegt, modisch elegant, immer geschminkt und meist sorgfältig manikürt. Zumindest was das Erscheinungsbild von Führungskräften anbelangt, hat sich die politische Kultur in den USA verändert. Sie hat ein weibliches, ja ein betont weibliches Gesicht dazugewonnen Als die US-Spitzenpolitikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des amerikanischen Repräsentantenhauses, Congresswoman Pat Schröder, 1988 als Referentin der Vortragsreihe „Vater Staat und seine Frauen“ vor dem vollbesetzten Auditorium Maximum der TU Berlin am Rednerpult stand, brachte sie es während ihres Vortrages wie selbstverständlich und nebenbei fertig, ihre Lippen mindestens dreimal mit frischem Rot nachzuziehen, freihändig und ohne Spiegel
Politische Kulturen verändern sich ständig und in vielfältiger Hinsicht. Im Rahmen unseres Forschungsprojektes interessierten uns allerdings nur jene Veränderungen dessen, was die „Geschlechtsidentität“ eines politischen Systems ausmacht, solche Merkmale also, die der Tatsache geschuldet sind, daß die Institutionen der Politik in unserem Kulturbereich von Männern für Männer geschaffen wurden, deren Lebensalltag und familiäre Versorgung durch eine oder mehrere Frauen sichergestellt werden.
II. Das „Berliner Feminat“: Probleme bei der Erforschung
In Berlin war erstmals in Deutschland ein Macht-gremium von erheblicher Bedeutung -der im März 1989 gebildete rot-grüne Senat -mit einer Frauenmehrheit ausgestattet worden. Diese Situation bot optimale Voraussetzungen dafür, zumindest Elemente eines Kulturwandels zu erfassen, eines Vorganges, der hoch komplex ist und dessen Strukturen und Bewegungsgesetze sich nur in langfristigen Beobachtungsprozessen herauskristallisieren lassen. Die auf vier Jahre angelegte Amtsperiode der politisch engagierten Frauen in Führungspositionen würde nicht nur auf der Ebene der Politikinhalte und der politischen Prioritäten des Senats, sondern auch in der öffentlichen Meinung und im Politikverständnis der Bevölkerung Spuren hinterlassen: mehr Akzeptanz von Frauen in der Politik und „weiblicher“ politischer Werte sowie nicht zuletzt eine stärkere Berücksichtigung sozialpolitischer Interessen von Frauen.
Dann jedoch fiel im November 1989 die Berliner Mauer. Die gesamtdeutschen Ereignisse begannen sich zu überstürzen, und auch die Krisensymptome zwischen den Berliner Koalitionsparteien spitzten sich allmählich kritisch zu. Als die DFG-Mittel für die Durchführung unserer Untersuchung im Herbst 1990 bewilligt wurden, waren die Tage des weiblich dominierten Senats schon gezählt -der Gegenstand unseres Interesses war dabei, sich aufzulösen. Drei Monate später wurde die rot-grüne Koalition abgelöst, die meisten der Senatorinnen hatten ihr Amt aufgeben müssen -Ingrid Stahmer und Jutta Limbach waren die Ausnahmen und das öffentliche Interesse am Thema „Frauen und Politik“ war gründlicher gesunken, als man es zum Zeitpunkt der Konzipierung der Untersuchung hatte ahnen können.
Nach Abschluß einer ersten Phase des Sammelns und Sortierens von Rohdaten und der ersten versuchsweisen Detailauswertungen von Interview-materialien aus einer Senatsverwaltung stand daher eine neue Strategie zur Analyse der eingeholten Daten an Mit einer anderen Projekt-gruppe wurde Anfang 1992 ein neues Auswertungskonzept festgelegt: Neben der Frage nach dem spezifischen politischen Stil der Senatorinnen und nach ihrer Akzeptanz durch Angehörige der jeweils eigenen Verwaltung und Presse stand nunmehr auch der Wunsch im Vordergrund, zumindest einen Teil der frauenpolitischen Aktivitäten während dieser für die Bundesrepublik einzigartigen Konstellation zeitgeschichtlich festzuhalten. Die wichtigsten politischen Innovationen des ersten Berliner Frauensenats und einige bemerkenswerte neue Formen der politischen Kommuni-kation der Berliner Senatorinnen, wie z. B. das bekannte „Hexenfrühstück“, aber auch andere von ihnen erprobte politische Aktionsformen wurden daher auf ihre politische Wirkung hin untersucht.
Im folgenden sollen nicht die Untersuchungsergebnisse selbst referiert werden; sie werden demnächst als Buch erscheinen Hier soll vielmehr durch eine Interpretation der ermittelten Ergebnisse nochmals unserer Leitfrage nachgegangen werden: Können Frauen, wenn sie die Mehrheit in einer Regierung bilden, politische Kultur verändern? Ist es den Berliner Senatorinnen möglich gewesen, einen Kulturwandel einzuleiten? Haben sie in der kurzen Zeitspanne ihrer gemeinsamen Regierung diesbezügliche Versuche unternommen? Wie sahen diese aus?
III. Projektergebnisse
Für eine Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse zur Akzeptanz weiblicher Führungskräfte bzw. zu den Besonderheiten eines politischen Führungsstils von Frauen möchte ich mich an den Beschreibungen weiblicher Führungsqualitäten orientieren, wie sie neuerdings in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen mit unterschiedlichen methodischen Verfahren nachgewiesen wurden.
Urteile deutscher Politikerinnen über den männlichen Charakter der Politik hat zuletzt Bärbel Schöler-Macher recherchiert Das von ihr ermittelte „professionelle Profil“ des männlichen Politikers hat sie zu folgenden Merkmalen zusammengefaßt: ein hohes Maß an Kampfbereitschaft; die Bereitschaft und Fähigkeit zu optimaler Nutzung jeglicher Machtchance; die Fähigkeit und Lust zu effektiver Selbstinszenierung; die Fähigkeit, emotionsfrei und mit der „Stimme der Vernunft“ zu sprechen; und (natürlich), den Rücken frei zu haben von Alltagsdingen. Die genannten „männlichen“ Merkmale sind ihrer Recherche zufolgeauch diejenigen, mit denen Politikerinnen aus sehr unterschiedlichen Gründen selber am meisten Schwierigkeiten hatten: sei es, daß ihnen die karrierefördernde Gruppe und Seilschaft nicht zur Verfügung stand, daß sie männliche Abstraktheit, Selbstinszenierung und Karrierebesessenheit aus ihrem eigenen Wertehorizont heraus ablehnten, sei es, daß sie selber durch familiäre Verpflichtungen daran gehindert waren, sich so frei zu bewegen wie die männlichen Kollegen.
Aus zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus den letzten Jahren und aus Veröffentlichungen von Politikerinnen und Politikern über „männliches“ und „weibliches“ Politikverständnis hat Birgit Meyer die meist implizit vorausgesetzten Vorstellungen von „männlichem“ und „weiblichem“ Politikverständnis extrahiert und so elf weiblich-männliche Kontrastpaare im Verständnis von Politik rekonstruiert. Diese sind: egalitäre versus hierarchische Orientierung; Flexibilität versus Rigidität; kommunikatives versus strategisches Machtverständnis; prozeßorientiertes versus Zielorientes Denken; Personenbezogenheit versus Sachbezogenheit; kooperatives versus konkurrentes Verhalten; Alltagswissen versus Expertenwissen; Betroffenheit versus Abstraktheit; Kontextbezogenheit versus Prinzipienorientierung; Kompetenzorientierung versus Karriereplanung und Querdenken (Vernetzen) versus Ressort-denken
Die meisten der von Schöler-Macher und von Meyer notierten Merkmale eines weiblichen Politikverständnisses haben wir auch bei den Berliner Senatorinnen als Teil ihres Selbstbildes und ihres Politikerinnenideals vorgefunden: Kooperativ, kommunikativ und flexibel sahen sie sich prozeß-, kontext-und personenbezogen und nicht ressortegoistisch, konkurrent, hierarchisch-rigide oder karrierebezogen.
Das Selbstbild und die politischen Stilvorstellungen der Senatorinnen interessierten uns jedoch nur insoweit, als diese wenigstens Teile davon in ihrem politischen Alltag umsetzen konnten. Zumindest die Senatorinnen, bei denen wir diesen Zusammenhang im Umgang mit ihren Verwaltungen bis-her analysiert haben bemühten sich relativ erfolgreich um die Anwendung eines nicht hierarchischen, dafür aber kooperativen und prozeßbezogenen Umgangsstiles mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Da uns gerade diese Durchsetzung und Akzeptanz weiblicher politischer Kultur interessierte, und weniger das Selbst-bild der Politikerinnen, soll im folgenden versucht werden, den Spielraum zu quantifizieren, der den Senatorinnen zur Durchsetzung ihrer Ideale gegeben war, bzw. zu spezifizieren, welche Grenzen ihnen hierbei die in ihrer Amtszeit wirksamen männlich codierten Normen setzten. Wir wollen diese Grenzbestimmung anhand der Kategorien vornehmen, die die amerikanische Führungsforscherin Sally Helgesen bei der Untersuchung tatsächlich praktizierter Stilelemente weiblicher Führungskräfte in den USA entwickelt hat
Helgesen hat die Qualitäten des von ihr so genannten „weiblichen Führungsstiles“ auf andere Weise ermittelt als die zitierten deutschen Untersuchungen. Auf der Suche nach dem weiblichen Gegen-bild zu den 1973 von H. Mintzberg am Beispiel rein männlicher Probanden ermittelten Führungsqualitäten wählte sie für ihre Untersuchung ausdrücklich solche Frauen in Führungspositionen aus, die in weibliche Lebensbezüge eingebunden waren und mit ausgeprägtem Frauenbewußtsein einen anderen Führungsstil zu praktizieren vorgaben -Eigenschaften, die mehr oder weniger auch für alle acht Berliner Senatorinnen galten. Vier solcher Frauen hat Helgesen dann auf die gleiche Weise wie einst Mintzberg in einer Terminkalenderstudie bei allen ihren Tätigkeiten begleitet, beobachtet und ihre Aktionen und Reaktionen minutiös registriert. Das Ergebnis war, daß sich die von ihr untersuchten Frauen in jedem der von Mintzberg als für Führungskräfte typisch konstatierten Zügen geradezu konträr verhielten. Helgesens Frauen in Führungspositionen gehen mit Zeit, Menschen, Beziehungen und Informationen anders um als ihre männlichen Kollegen. Sie planenPausen, nehmen sich Zeit für sich selbst und für Aktivitäten, die nicht in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit stehen, empfinden unvorhergesehene Begegnungen nicht als störend, und sie unterhalten ein komplexes Beziehungsgeflecht auch zu organisationsfremden Personen. Helgesens Kalenderstudie belegt, daß Frauen auch über ihr Unternehmen/Ressort hinausgehende, allgemein gesellschaftliche Aspekte ihrer Arbeit im Blick behalten, daß sie ihre persönliche Identität als durchaus facettenreich und komplex empfinden -nicht nur durch ihre Arbeit geprägt -und daß sie Interesse daran und Zeit dafür hatten, Informationen an andere weiterzugeben. Dem Vergleich unserer Ergebnisse mit den von Helgesen beobachteten und beschriebenen Formen einer weiblichen Führungskultur anhand der Kategorien „Umgang mit Zeit“, „Ressorttranszendenz“ und „fachunabhängige Netzwerke“ können wir eine, wenn auch nur punktuelle, kulturelle Bestimmung der Akzeptanz weiblicher Politikwerte in Deutschland zu Anfang der neunziger Jahre entnehmen. 1. UmgangmitZeit Von ihren weiblichen Führungskräften berichtet Helgesen, daß sie im Unterschied zu den von Mintzberg beobachteten männlichen Kollegen zur Bewahrung der inneren Ruhe und des Gefühls, „ein Mensch zu sein“, immer wieder und ganz bewußt möglichst viertelstündige Pausen bei der Arbeit einlegten, daß sie sich niemals an den Wochenenden ins Büro begaben und auch ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern davon abrieten, und daß sie sich ausdrücklich Zeit nahmen zu Aktivitäten, die nicht in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit standen.
Wünsche, ja feste Vorsätze dieser Art haben alle Berliner Senatorinnen geäußert. Sie haben gemeinsam darüber beraten, wie sie Zeit-und Arbeitsstreß wirksam reduzieren und gelegentlich freie Abende und freie Wochenenden zur eigenen Regeneration durchsetzen könnten. In den Einzelgesprächen mit den Senatorinnen wurde deutlich, daß für sie alle „Zeit der Besinnung zu haben“ ein wichtiges Kriterium für einen menschlichen Umgang mit Politik sei. Bis auf eine Ausnahme wollten alle Senatorinnen diesen Vorstellungen entsprechen, aber sie hatten auch mehr oder weniger große Schwierigkeiten mit diesem Anspruch. So ist es sicherlich kein Zufall, daß ausgerechnet der Termin für das sogenannte „Hexenfrühstück“, der u. a. zur Besprechung von Strategien der Streßreduzierung dienen sollte, von den Senatorinnen selbst auf einen ausgesprochen belastenden Zeitpunkt, nämlich auf halb acht Uhr morgens gesetzt wurde; ein Zeichen dafür, wie stark der innere und äußere Druck einen souveränen Umgang mit Zeit verhinderte. Der folgende Kommentar einer Mitarbeiterin aus der Verwaltung Stadtentwicklung und Umweltschutz, die ihre Senatorin damit zitierte, diese habe nicht gewußt, daß sie im Senatorinnenamt „überhaupt keine Freizeit mehr haben würde“, verdeutlicht die Gewalt dieses Druckes: „Was wollte sie denn? Wer Senator wird, der hat eben keine Freizeit. Das muß er vorher wissen.“
Als letztlich entscheidendes Indiz dafür, auf wie wenig Akzeptanz das weibliche Kulturgut „souveräner Umgang mit Zeit" im Bereich der Politik im Untersuchungszeitraum stieß, muß jedoch die Tatsache gelten, daß, wo immer Andeutungen darüber oder gar, wie seitens der Kultursenatorin, eine klar ausgesprochene diesbezügliche Forderung an die Öffentlichkeit drangen, die heftigsten Abwehrreaktionen durch die Presse einsetzten. Anke Martiny mußte ihren öffentlich geäußerten Wunsch nach einem freien Abend in der Woche monatelang mit skandalisierenden Kommentaren in der Presse bezahlen. Keine der Senatorinnen hat sich danach noch einmal öffentlich zu diesem Thema geäußert. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Art und Weise, wie die Presse Anke Martinys Angewohnheit, bei einem Kulturereignis, das sie besuchte, auch zu bleiben, honorierte. Gegenüber ihrem Vorgänger, der sich „omnipräsent“ gab, aber nirgends wirklich da war und der es schaffte, an einem einzigen Abend fünf Veranstaltungen hintereinander zu besuchen, sich dort karrieregünstig zu zeigen und dann wieder zu verschwinden, bekam sie keine Chance.
Sich Zeit lassen, Zeit für Selbstbesinnung und/oder grundsätzliche Überlegungen, auch im Hinblick auf die Verantwortung des politischen Amtes, zu haben bzw. einzufordern, wird noch zu Beginn der neunziger Jahre Politikerinnen und Politikern in Berlin als Tabuverletzung angelastet. Auf die Frage, an was sie die Differenz zwischen männlich patriarchalen Politikformen und ihren eigenen Ansprüchen am deutlichsten zu spüren bekommen habe, antwortete die Senatorin für Bundesangelegenheiten Heide Pfarr: „Immerzu, aber am mei sten im Umgang mit der Zeit.“ Die männlich kodierte Kulturnorm „Totalidentifikation mit der Arbeit“ und „Keine Zeit für Tätigkeiten, die nicht direkt mit dieser Zusammenhängen“ war erfolgreich durchgesetzt worden. 2. ökologischer Führungsstil: Umgang mit Ressortgrenzen Nach den Beobachtungen von Sally Helgesen unterscheiden sich die Sicht und die Praxis von Frauen in Führungspositionen von derjenigen der Männer u. a. dadurch, daß Frauen in ihren beruflichen Visionen und Entscheidungen stärker als Männer auch allgemeine gesellschaftliche Aspekte berücksichtigen. Frauen achten Helgesens Untersuchungen zufolge „bei Entscheidungen auch auf deren weitergehende Auswirkungen, auf die Familie, das Bildungssystem, auf Umwelt, ja den Weltfrieden“, eine Sicht, die sie „ökologischen Führungsstil“ nennt. Auch diesbezüglich gleichen sich die in der Forschung vorgetragenen und die von uns bei den Berliner Senatorinnen ermittelten Vorstellungen über Arbeitsstil und über den Umgang mit politischer Macht bei Frauen. Ein hohes Maß an weitschauender politischer Verantwortung wird in den von uns geführten Interviews von allen Senatorinnen und Senatoren deutlich artikuliert, wobei die Verwirklichung dieses Anspruches im Einzelfalle durchaus unterschiedlich ausfallen konnte.
Langfristige gesellschaftliche Verantwortung als Markenzeichen linker und „alternativer“ Parteien ist den Senatorinnen -sowohl als Frauen wie auch als Angehörige bzw. Vertreterinnen ihrer Parteien -schon von ihrer allgemein-politischen Herkunft her eigen. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit der ressortunabhängige Weitblick einer Politikerin heute schon diskursfähig ist. Im Untersuchungszeitraum und nach dem Fall der Mauer gab es einen Vorfall, der die Mißachtung der eigenen Ressortinteressen mit dem Hinweis auf möglicherweise dringendere gesellschaftliche Probleme zum Skandal hat werden lassen. Unter dem Eindruck der massiven sozialen Probleme, die die Wiedervereinigung mit sich brachte, hatte Anke Martiny, die Kultursenatorin, geäußert, im Zweifelsfalle müsse der Wohnungsbau Vorrang vor der Kultur haben. Dieser Äußerung wurde mit einem Aufschrei der Empörung begegnet, welcher nicht nur den ja noch verständlichen Hinweis auf die Verletzung eigener Interessen enthielt, sondern die Äußerung der Kultursenatorin in den Bereich von Unprofessionalität schob und als Beweis für die Inkompetenz der Politikerin nahm. Auch hier wurde ein Tabu verletzt. „Ressortegoismus“ gehört zur Ausstattung eines erfolgversprechenden Polikers, seinen Grundsätzen zuwiderzuhandeln beschert heute noch den Makel der Politikunfähigkeit. 3. Amtsunabhängige Vernetzung Dieses Merkmal weiblichen Führungsverhaltens wird in der Form seiner geschlechtsspezifischen Grundgestalt, der sogenannten Doppelbelastung, häufig als einer der Gründe aufgeführt, warum Frauen in der Politik nicht so zahlreich reüssieren Der gleiche Tatbestand wird von der amerikanischen Führungsforscherin Helgesen jedoch als der soziale Hintergrund für besondere Führungsstärke von Frauen gewertet. Helgesen resümiert als vorherrschende Auffassung aller von ihr interviewten Frauen, „daß Familienleben vor ihrer Berufstätigkeit Priorität habe und folglich nicht leide. Im Konfliktfalle kämen die Kinder zuerst!“ Während sich allen diesbezüglichen Untersuchungen zufolge Männer auf ihre persönliche Karriere konzentrierten und nicht mit dieser in Zusammenhang stehende Beziehungen, also auch Partner-und Familienbeziehungen, eher vernachlässigten, belegten Frauen die Qualität ihrer persönlichen Beziehungen mit höchster Priorität. Helgesen zufolge verschafft diese „Sorge um menschliche Beziehungen“ weiblichen Führungskräften viele Vorteile. Karriereunabhängige Beziehungen mit persönlicher Verantwortung, die nicht dem Wahlturnus unterliegen, sind nach Ansicht der befragten Frauen qualitativ andere, ja bessere Lehrerfahrungen in Menschenführung als Betriebs-und Partei-karriere. Die Verankerung in berufsfremden Bezügen, d. h. auch die Verantwortung für Kinder, schütze vor der Entwicklung zur allseitig reduzierten, auf Karrieredienlichkeit abgerichteten Persönlichkeit. Sie hielte flexibel und übe darin, mit ungeplanten Interventionen produktiv umzuge-wechsel zu bleiben. Sie schütze die weibliche Führungskraft auch davor, den Blick fürs Wesentliche zu verlieren.
Anke Martiny hat mehrfach öffentlich erklärt, daß sie Menschenführung im mütterlichen Kontakt zu ihren Kindern gelernt habe. Daß ihr diese Bezugnahme auf Mutterrolle und Hausfrauentätigkeit übel vermerkt wurde, haben wir bereits erwähnt. Neben Jutta Limbach war Anke Martiny die einzige Mutter unter den Senatorinnen, und ihre beiden Kinder waren längst erwachsen -eine statistisch unwahrscheinliche, für die „Frauen-undPolitik-Kultur" jedoch noch immer typische Konstellation. Schon Platon hat in den „Gesetzen“, der revidierten Fassung seiner politischen Utopie, Frauen eine öffentliche Karriere erst nach den Wechseljahren zugebilligt. Neben der geringen Anzahl der Kinder -nur zwei der Senatorinnen hatten je drei Kinder (im Durchschnitt sind das 0, 75) -, die die übrigens durchweg aus kinderreichen Familien stammenden Politikerinnen vorzuweisen haben (die Durchschnittskinderzahl ihrer Herkunftsfamilie: 3, 8), gibt es bei den politischen Erfolgsfrauen aus Berlin noch eine Reihe anderer für weibliche Biographien untypische familiäre Konstellationen. Nur die Hälfte der Senatorinnen war während ihrer Amtszeit verheiratet, zwei der vier Ehen waren kinderlos, und bei dreien lag der Familienwohnsitz außerhalb Berlins. Zwar gaben sechs der Führungsfrauen an, in einer (ehelichen oder nichtehelichen) Partnerschaft zu leben -zwei waren echte „Singles“ -, aber nur zwei der jeweiligen Partner oder Partnerinnen lebten gemeinsam mit der Politikerin in Berlin.
Familie und Politik läßt sich in unseren Breiten noch immer nur von Männern vereinbaren, denen es möglich ist, die Verantwortung für die Familie auf eine Ehefrau abzuschieben. In diesem so zentral wichtigen Punkt hat der Frauensenat von Berlin keinerlei Kulturwandel herbeiführen können -bestehende Kulturschranken wurden sowohl durch die Fakten als auch durch entsprechende Presse-reaktionen bestätigt. 4. Frauenpolitische Organisationsformen Zur Beurteilung des Einflusses von nicht karriere-gebundenen Kontakten und Vernetzungen bei den Senatorinnen aus Berlin müssen zwei der wichtig-werden,die im Umkreis des Frauensenats entstanden sind: das „Hexenfrühstück“ und der „Rat der Frauen“. Die Aufarbeitung der Daten über das „Hexenfrühstück“ haben gezeigt, daß dieses Treffen nicht eines gewesen ist, das in erster Linie dem persönlichen Fortkommen der einzelnen Senatorin dienen, sondern ein Frauennetz sein sollte, welches den Widerstand und die Durchsetzungskraft aller gegen gewisse herkömmliche, nach wie vor männlich bestimmte Verfahren und Kommunikationsformen des gemeinsamen politischen Umfeldes stärken sollte. Insofern muß das „Hexenfrühstück“, wenngleich es im beruflichen Bereich der Senatorinnen angesiedelt war, als eine Absicherung von „Querdenken“, als eine Vernetzung gegen herkömmliches Ressortdenken, wie es Birgit Meyer nennt, eingeordnet und als Beispiel für die karriereunabhängige Verankerung der Senatorinnen angesehen werden. Die Tatsache, daß es diesen parteiübergreifenden Zusammenschluß von Frauen überhaupt gegeben hat, muß als wichtiger Schritt in Richtung auf eine neue, stärker von Frauen dominierte politische Kultur gewertet werden. Wenn mit der Fraueninitiative „Berlin -eine von Frauen regierte Stadt“ in Berlin inzwischen ein überparteilicher Zusammenschluß weiblicher Abgeordneter in die Wege geleitet wurde, so ist der Anstoß, den das „Hexenfrühstück“ zu einer solchen Koalition gegeben hat, sicher nicht zu vernachlässigen. Das Bestehen wirksamer und solidarischer Frauen-vernetzungen in der Politik -über Parteigrenzen hinaus -muß mit Sicherheit als einer der wichtigsten Ansätze zur Veränderung unserer politischen Kultur im oben beschriebenen Sinne gewertet werden. Das „Hexenfrühstück“ war ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung und hat im Bereich der Umgangsformen und der gegenseitigen Unterstützung der Senatorinnen in manchen Detailfragen innovative Wirkung gezeigt. Als Gremium zur Durchsetzung frauenpolitischer Interessen gegen die Männermacht im Senat erwies es sich jedoch aus vielerlei Gründen als nicht ausreichend. Die gemischten Männerorganisationen, von denen die Frauen und auch unsere Senatorinnen ihre Macht bezogen, sind im Entscheidungsfalle für eine Politikerin nach wie vor wichtiger als das Frauenkollektiv, das zwar die Durchsetzungskraft verstärken, aber noch kaum politische Macht vermitteln kann
Das zweite Beispiel karriereunabhängiger Vernetzung aus unserem Untersuchungszeitraum ist der sogenannte „Rat der Frauen“ den die Senatorin für Frauen, Familie und Jugend, Anne Klein, ins Leben gerufen hatte. Als gelungener Beitrag für eine neue politische Kultur durch Frauen kann er nicht gewertet werden. So interessant dieser heterogene, aus allen Bereichen der Berliner Frauen-kultur und Frauenbewegung zusammengesetzte Kreis von „Beraterinnen“ war, so wenig fruchtbar und stärkend oder auch anregend für die politische Tatkraft der in ihn eingebundenen Senatorin hat er sich letztlich erwiesen. Zusammengefaßt kann man sagen, daß der Versuch, Frauen der autonomen Frauenbewegung zur Unterstützung von Veränderungsprozessen in der offiziellen und verfaßten politischen Kultur heranzuziehen, scheitern mußte, da die deutsche Frauenbewegung aus historisch nachvollziehbaren Gründen bisher nicht zu einer langfristigen, stabilen Form der Selbstorganisation ihrer Interessen gefunden hat und daher noch nicht in der Lage ist, sich mit Chancen auf Erfolg an eine Schnittstelle zur staatlichen Politik anzukoppeln.
Von Seiten der Frauensenatorin wurde der für weiblichen Führungsstil kennzeichnende Versuch unternommen, eine Art Außen-Vernetzung vorzunehmen. Erfolg war ihr nicht beschieden, dennoch kann zumindest die kritische Analyse des Beispiels „Rat der Frauen“ insofern Nutzen bringen, als er einen Erfahrungshintergrund darstellt, der zukünftige Vernetzungen von Politikerinnen mit autonomen Frauen zu effektiveren Formen der Zusammenarbeit anregen kann. 5. Macht und Moral: Kein Thema für Frauen?
Die situationsbezogene Treffsicherheit der moralischen Orientierung von Frauen, die schon seit alters vor allem in männlichen Spekulationen über die Besonderheiten der „Weiblichkeit“ gerühmt wird, wird in der einschlägigen feministischen Literatur zu Fragen geschlechtsspezifischer Formen von Macht und Moral mit der bei Frauen engeren Bezugnahme auf den unmittelbaren Lebenskontext und auf dessen persönliche Konstellationen begründet. Die inhaltliche Reichweite und die Verallgemeinerungsfähigkeit einer solchermaßen lebensgeschichtlich gebundenen Moral -und das ist die Kehrseite der Medaille -wird aber durch diese Verwurzelung im Konkreten erheblich eingeschränkt. Die beziehungs-und kommunikationsgebundene Moral von Frauen müßte daher um universale Gerechtigkeitsaspekte erweitert werden, wenn erreicht werden soll, daß die Werte von Frauen in praktizierbare Modelle öffentlicher Moral Eingang finden
Um in Erfahrung zu bringen, inwieweit den von uns untersuchten Frauen an der Macht eine solche Transformation moralischer Grundeinstellungen ins Politisch-Allgemeine gelungen sei, haben wir insbesondere Jutta Limbach, die sich im Rahmen ihres Amtes als Justizsenatorin besonders, intensiv mit Fragen von Gerechtigkeit und Moral auseinandersetzen mußte, auf diese Fragestellung hin analysiert Sowohl bei der Justizsenatorin als auch bei ihren Amtskolleginnen sind wir zu überraschenden Ergebnissen gekommen.
In den von uns geführten Interviews hob die Justizsenatorin mehrfach hervor, daß sie ihr Amt als persönliche und professionelle Herausforderung betrachte und daß es ihr auch darum gehe, ihre persönliche moralisch-ethische Position politisch umzusetzen. Die Motivation für ihr frauenpolitisches Engagement zum Beispiel, welches sie für wichtig und notwendig hält, bezeichnet sie als etwas, „das von innen heraus“ komme, also als einen Teil ihrer eigenen Persönlichkeit. Nicht von innen heraus, jedoch gleichfalls persönlichkeitsbezogen beschreibt die Senatorin ihre Verpflichtung, für ärmere, schwächere und benachteiligte Menschen einzutreten und soziale Ungerechtigkeiten beseitigen zu helfen. Sie macht deutlich, daß sie ihre Position in unmittelbarem Bezug zu ihrer Herkunft und zu ihrer familiären Tradition sieht. Den Kampf für Gerechtigkeit sieht sie als Verpflichtung an, die sie als Nachkommende von politisch und sozial engagierten Vorfahren fortzusetzen hat. In den Gesprächen mit Jutta Limbach wurde deutlich, daß sie die reformpolitischen Intentionen der rot-grünen Koalition weniger aus politischer als aus moralisch-ethischer Überzeugung teilt. Die Aussage eines ihrer Mitarbeiter belegt deutlich Limbachs Bemühen, nicht nur Erfüllungsgehilfin einer, wenn auch von ihr akzeptierten Politikrichtung zu sein, sondern diese selbst zu formulieren und für sie auch selbst Verantwortung zu übernehmen: „Sie wäre auch dann zu dieser Überzeugung gelangt“, meinte der Befragte, „wenn keine entsprechenden politischen Vorgaben bestanden hätten.“
Trotz dieser sehr persönlichen, ja familiären Genesis ihres moralischen Konzeptes hat Jutta Limbach die universelle Tragfähigkeit ihrer persönlichen moralischen Optionen zu benennen gewußt und -wie wir den Aussagen ihrer Mitarbeiterinnen entnehmen konnten -diese Verbindung auch in ihrem Handeln sichtbar zu machen verstanden. Nach Meinung fast aller ihrer Verwaltungsangehörigen ist Jutta Limbach „glaubwürdig“ in ihrer Politik und bei ihren Entscheidungen -eine Würdigung ihres politisch-fachlichen Handelns, die sie erringen konnte, weil es ihr sehr gut gelang, ihre persönlichen moralischen Orientierungen zu verallgemeinern und öffentlich zu machen, auch wenn es ihr nicht immer gelang, sie erfolgreich durchzusetzen.
Da der Senatorin bewußt war, daß eine moralische Argumentation zur Durchsetzung ihrer Absichten geringe Chancen besaß, sie andererseits zu Anfang ihrer Amtszeit noch nicht über das notwendige Geschick verfügte, ihre Intentionen öffentlich „gut verkaufen“ zu können, bediente sich die Justizsenatorin und ehemalige Universitätsprofessorin von Beginn ihrer politischen Tätigkeit an eines „Hilfsmittels“, das ihr durch ihre bisherige Tätigkeit seit langem vertraut und geläufig war: der wissenschaftlichen Absicherung. Damit hob sie ihre moralischen Vorstellungen, ihre aus der eigenen Herkunft, Erziehung und aus der persönlichen Erfahrung abgeleiteten Grundeinstellungen auf die Ebene objektiv wissenschaftlicher, also universeller Geltung. Mit dem ausgeprägten Selbstbewußtsein der Wissenschaftlerin und keinesfalls als Selbstverleugnungsstrategie, die bei Frauen im Falle von Durchsetzungsproblemen oft beobachtet wurde veranlaßte die Justizsenatorin wissenschaftliche Untersuchungen, die ihr Sicherheit für die politische Glaubwürdigkeit und damit auch für ihre moralischen Überzeugungen lieferten. Das Risiko, daß die Untersuchungen sehr wohl auch zu anderen Ergebnissen hätten führen können, nahm sie hierbei in Kauf, wie z. B. bei den Experten-anhörungen im Zusammenhang mit der Auflösung der P-Abteilungen Daß die Professorin und Justizsenatorin dieses Risiko einging, unterstreicht ihre Selbstgewißheit; sie kann es auf eine regelhafte Überprüfung ankommen lassen!
Der Justizsenatorin kam bei der Verallgemeinerung ihrer Wertungen eine „natürliche“ Begabung zugute, wie einer ihrer Mitarbeiter ihr sprachliches Ausdrucksvermögen nennt. Das inzwischen fast sprichwörtliche Formulierungsgeschick der Berliner Justizsenatorin weist aber auch noch auf einen anderen geschlechtsspezifischen Unterschied im Gebrauch von Macht hin, den wir im Zusammenhang mit den Berliner Senatorinnen beobachtet haben. In der einschlägigen Literatur zur Analyse und Definition von Macht ist u. a. vom „Orakeleffekt“ die Rede, durch den sich versierte Politiker als selbsternannte Wortführer und Stellvertreter ihres Publikums stilisieren und als „Volksvertreter“ symbolische Macht erringen können. Jutta Limbach hat diesen „Orakeleffekt“, der auf Macht abzielt, die eine Gefolgschaft delegiert, nicht in Anspruch genommen. Sie hat ihr rhetorisches Geschick ausschließlich dafür eingesetzt, eigene durch wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnene Ansichten nach außen hin zu veranschaulichen. Sie verzichtet damit auf die symbolische -und zugleich gefährlich symbiotische -zugunsten einer persönlichen Machtausübung, bei der sie sich auf wissenschaftliche Objektivität stützt. Statt sichhinter einem abstrakten „Wir“ zu verstecken, was die Chance bietet, qua „Orakeleffekt“ die Ziele der sich identifizierenden Gruppe zu definieren, fordert Limbach ihre Umwelt auf, sich mit ihrer Person selbst und ihren Vorhaben auseinanderzusetzen.
Unsere empirischen Befunde von und über die Berliner Justizsenatorin stellen bisherige wissenschaftliche Arbeiten zum Machtgebrauch von Frauen insoweit in Frage, als diese meist aus Analysen stammen, welche Frauen außerhalb des engeren institutionellen Machtbereiches untersucht haben. Einmal dorthin vorgedrungen -dies wird am Fall der Justizsenatorin besonders deutlich -schlagen sie einen Weg ein, der weder durch „typisch männliches“ noch durch „typisch weibliches“ Machtverhalten gekennzeichnet ist. Ähnliche Beobachtungen konnten wir auch bei den anderen von uns interviewten Senatorinnen feststellen. Die Sozialsenatorin Ingrid Stahmer, die zum Zeitpunkt unserer Untersuchung zugleich Senatorin für Gesundheit und stellvertretende Bürgermeisterin von Berlin war, setzte zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele auf ihre ausgewiesenen Kenntnisse über die Steuerung kommunikativer Prozesse; Anne Klein, die Frauensenatorin, leitete ihre politischen Zielsetzungen aus ihrem „lebenslangen“ politischen Engagement für Frauen ab; die langzeitige Umweltexpertin Michaele Schreyer behauptete ihre Position im einschlägigen Senats-ressort durch fachliche Kompetenz, und Anke Martiny, die ihre „rein politische“ Herkunft nicht verleugnete, berief sich u. a. auf ihre Erfahrungen in Menschenführung, die sie als Familienmutter und Haushaltsvorstand erworben hatte.
Keine der von uns untersuchten Politikerinnen hatte es nötig, sich in Selbstverleugnung zu verfangen. Anders als männliche Politiker, die sich häufig symbolischer Macht bedienen, verzichteten die Politikerinnen aber hierauf -zum Teil natürlich auch, weil ihnen in unserer Kultur derzeit die Möglichkeiten hierfür fehlen. Politikerinnen können den als „Orakeleffekt“ beschriebenen Stellvertretungsanspruch unter den Gegebenheiten einer noch weitgehend frauenfeindlichen Öffentlichkeit und deren Medien bis heute kaum wahmehmen. Ob sie es überhaupt wollen würden, muß aber angesichts der verbrieften rhetorischen Fähigkeiten der Justizsenatorin Limbach in Frage gestellt werden. Jutta Limbach -aber auch den anderen Senatorinnen -scheint es gelungen zu sein, die verfeindeten Schwestern Macht und Moral miteinander zu versöhnen. 6. Kulturwandel durch Frauenpolitik -Kulturwandel in der Presse Jeder Wandel der politischen Kultur ist gleichzeitig ein Wandel des öffentlichen Bewußtseins. Ein solches kann ohne entsprechende Bewußtseinsprozesse in den Medien, die immerhin als das wichtigste Sprachrohr und zugleich als die wichtigste Produktionsstätte der öffentlichen Meinung fungieren, nicht stattfinden.
Unsere diesbezüglichen Recherchen haben ergeben, daß das „Berliner Feminat“ von keiner angemessenen Begleitung durch die öffentlichen Medien gestützt worden ist. Der tatsächliche Anteil der Senatorinnen am Politikgeschehen wurde von der Presse nicht gewürdigt, sie wurden dort insbesondere mit skandalisierten Themen vorgeführt, und mit einer Ausnahme -Michaele Schreyer in der TAZ -fiel das Interesse für ihre politischen Aktivitäten vergleichsweise gering aus Daß Frauen Politik machen, ist von der untersuchten Berliner Tagespresse nicht in angemessener Weise aufgenommen worden. Politikferne von Frauen wird unseren Untersuchungsergebnissen zufolge noch immer auch von der Presse hergestellt. Trotz der Anwesenheit von acht Frauen in Führungspositionen sind Kulturstereotype dort nicht korrigiert worden.
Welche vorurteilsbeladene fatale Mischung die Verbindung Politik und Geschlecht für die überwiegende Mehrzahl der sich öffentlich artikulierenden Journalistinnen und Journalisten noch immer darstellt, haben wir außerdem durch die Untersuchung einiger in unseren Untersuchungszeitraum fallender „Skandale“ um männliche und weibliche Politiker herauszuarbeiten versucht. Unsere Ausgangshypothese, daß Politikerinnen besonders hohen Anforderungen an persönliche und politische Integrität unterliegen, daß sie also in weit stärkerem Maße skandalisierungsanfällig sind als ihre männlichen Kollegen haben wir anhand unterschiedlicher Strukturen im Skandalisierungsprocedere bei Heinrich Lummer einerseits und im Falle der Senatorinnen Anne Klein und Anke Martiny andererseits nachweisen können. Die Demontage der beiden in je besonderer Weise durch ihr „Frau-Sein“ auffälligen Politikerinnen . in der Form der Skandalierung verweist darauf, daß es gesellschaftlich mannigfache, mehr oder minder ausgesprochene und bewußte Widerstände gegen die Besetzung von Machtpositionen mit Fauen gibt, die das Thema , Frau‘ deutlich repräsentieren -sei es in ihrer feministischen Überzeugung, ... in ihrer Lebensweise, ... oder ... in ihrer persönlichen Ausstrahlung“
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß wir Ansätze zur Veränderung der politischen Kultur durch die Präsenz von gleichzeitig acht Senatorinnen in der Berliner Stadtregierung durchaus haben ermitteln können: im Hinblick auf frauenpolitische Inhalte, die u. a. im Frauensenat entwickelt wurden, im Hinblick auf den Führungsstil der von uns untersuchten Ressort-Chefinnen sowie im Umgang mit Macht und bei neuartigen Vernetzungsstrategien und Organisationsansätzen der Senatorinnen. Die Presse, das muß leider festgestellt werden, hat diese Entwicklung nicht unterstützt. Sie hat die Senatorinnen entweder übersehen oder -mit bösartig selektivem Blick -kleine Anlässe zu mächtigen Skandalisierungen aufgebauscht.
Erst als die Mauer fiel, glich sich -ganz entgegen unseren Erwartungen -die Aufmerksamkeit, die die Journalistinnen und Journalisten den männlichen und den weiblichen Senatoren widmeten, etwas an: Senatorinnen und Senatoren wurden auffällig weniger erwähnt Auch die Männer rückten zurück ins Glied. Im Zeichen von Mauerfall und nationaler Wiedervereinigung fand nur der eine politische Führer Beachtung, der Regierende Bürgermeister Walter Momper.