In einer Demokratie erfüllt das Vertrauen zu den politischen Institutionen eine wichtige Funktion für die Integration der Bevölkerung in die politische Gemeinschaft. Obgleich über das erforderliche Ausmaß an politischem Vertrauen unterschiedliche Vorstellungen bestehen, wird ein Mindestmaß an Unterstützung der politischen Ordnung durch die Bevölkerung als Erfordernis demokratischer Politik angesehen. In der aktuellen politischen Situation der Bundesrepublik ist eine Untersuchung des Institutionenvertrauens besonders interessant. Ein Zugang zu diesem Problem ergibt sich aus der in der Öffentlichkeit intensiv geführten Debatte über die Zunahme der Politikverdrossenheit in den westlichen Demokratien sowie aus der Frage nach den Fortschritten bei der Etablierung einer gemeinsamen politischen Kultur im wiedervereinigten Deutschland. Wie die empirische Untersuchung des Institutionenvertrauens in den alten Bundesländern im Zeitraum 1984 bis 1990 zeigt, ist die These von einer Zunahme der Politikverdrossenheit empirisch nicht haltbar. Die zentralen Einrichtungen des politischen Lebens der Bundesrepublik konnten sich während dieser Zeit auf das Vertrauen einer breiten Mehrheit der Bundesbürger stützen. Allerdings wurden die Institutionen der Exekutive und der Judikative positiver bewertet als die zentralen Entscheidungsinstitutionen und die im Interessenvermittlungsprozeß tätigen Organisationen. Diese Situation war auch für 1991 typisch. Erst im Jahre 1992 ergeben sich deutliche Hinweise auf eine Vertrauenskrise der politischen Institutionen. Der Vertrauensverlust betrifft aber vornehmlich die Einrichtungen des Parteienstaates. In Ostdeutschland ist das Vertrauen zu den meisten politischen Institutionen deutlich schwächer entwickelt als im Westen. Auch in der Struktur des Institutionenvertrauens lassen sich erhebliche Unterschiede zwischen Ost-und Westdeutschland nachweisen. Zwar hat sich das West-Ost-Gefälle im untersuchten Zeitraum nicht verstärkt, es wurde aber auch nicht abgebaut. Soweit das Institutionenvertrauen zur Debatte steht, wurden seit dem Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik noch keine substantiellen Fortschritte bei der Schaffung einer gemeinsamen politischen Kultur Gesamtdeutschlands erreicht.
I. Das Untersuchungsproblem
Wie jeder Zusammenschluß von Menschen benötigt ein politisches Gemeinwesen ein Mindestmaß an Unterstützung durch seine Mitglieder. Dieser Grundsatz gilt vor allem für Demokratien, in denen die Legitimität der politischen Institutionen von der Zustimmung der Staatsbürger abhängt. Ungeachtet der unterschiedlichen Ansichten über das in einer Demokratie erforderliche Mindestmaß an politischem Vertrauen sind weitverbreitete, dauerhafte Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der politischen Ordnung und der sie tragenden Institutionen mit der Idee der Demokratie unvereinbar.
Abbildung 5
Tabelle: Institutionenvertrauen in den alten und neuen Bundesländern, 1991 und 1992
Tabelle: Institutionenvertrauen in den alten und neuen Bundesländern, 1991 und 1992
Nach dem Beitritt der fünf neuen Bundesländer verdient die Frage nach dem Ausmaß und der Struktur des Institutionenvertrauens in der Bundesrepublik Deutschland aus zwei Gründen besondere Aufmerksamkeit. Wie in allen westlichen Demokratien findet in der Bundesrepublik seit einiger Zeit eine Debatte über das Problem der Politikverdrossenheit statt Indikatoren wie die sinkende Wahlbeteiligung, der steigende Stimmenanteil von Protestparteien, der Mitgliederschwund der etablierten Parteien und die in zahlreichen Umfragen dokumentierten geringen Sympathiewerte von Parteien und Politikern sprechen für eine wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit einzelnen Aspekten des politischen Lebens.
Abgesehen von der Debatte über die Zunahme der Politikverdrossenheit in der westlichen Welt ist eine Untersuchung des Verhältnisses der Bundesbürger zu den politischen Institutionen aus einem weiteren Grunde interessant. Nach dem Beitritt der fünf Bundesländer befindet sich die Bundesrepublik in einer kritischen Übergangsphase. Mit ihrer Entscheidung, den Beitritt zur Bundesrepublik nach Art. 23 GG zu vollziehen, votierten die Abgeordneten der DDR-Volkskammer im Jahre 1990 für eine Übernahme der politischen Ordnung des Grundgesetzes. Wie die politische Entwicklung Deutschlands im 20. Jahrhundert allerdings zeigt, zieht die Etablierung eines demokratischen Institutionen-systems nicht zwangsläufig dessen Akzeptanz durch die Bevölkerung nach sich. Während die Weimarer Republik an ihrer unzulänglichen Unterstützung durch die Bevölkerung scheiterte, fand die politische Ordnung des Grundgesetzes erst nach einer längeren, erfolgreich absolvierten Bewährungsprobe die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger Erkenntnisse über die Entwicklung einer Vertrauensbasis für die politischen Institutionen im östlichen Teil Deutschlands bzw.deren Veränderung sind insofern nur durch empirische Untersuchungen zu gewinnen.
Die für die folgende Untersuchung des Institutionenvertrauens in den alten und neuen Bundesländern herangezogenen Daten entstammen mehreren im Auftrag des Bundesinnenministeriums durchgeführten Umfragen, in denen unter anderem das Vertrauen der Bevölkerung zu politischen Institutionen und Organisationen ermittelt wurde. Die für die alten Bundesländer verfügbaren Daten decken den Zeitraum 1984-1992 ab, ein Ost-West-Vergleich ist auf der Grundlage der 1991 und 1992 durchgeführten Erhebungen möglich Zwei Pro-bleme stehen im Mittelpunkt der empirischen Analyse: 1. die Struktur und Entwicklung des Institutionenvertrauens in der alten Bundesrepublik bis zum Beitritt der neuen Länder; 2. der Vergleich des Institutionenvertrauens in Ost-und Westdeutschland seit der Wiedervereinigung.
II. Das Institutionenvertrauen in der Demokratietheorie
Abbildung 2
Abbildung 2: Vertrauen in Regierung und Parlament in den alten Bundesländern, 1984 -1990 Quelle: — IPOS 1984/1990; Berechnung durch den Verfasser.
Abbildung 2: Vertrauen in Regierung und Parlament in den alten Bundesländern, 1984 -1990 Quelle: — IPOS 1984/1990; Berechnung durch den Verfasser.
Obgleich in der Literatur Übereinstimmung darüber besteht, daß kein politisches System auf Dauer ohne ein Mindestmaß an politischem Vertrauen existieren kann, gehen die Auffassungen über das unverzichtbare Ausmaß an Vertrauen zu den politischen Institutionen weit auseinander. In der bisherigen Forschung stehen drei konkurrierende Interpretationen der Bedeutung politischen Vertrauens in der Demokratie nebeneinander, die sich auch auf die Untersuchung des Vertrauens zu den politischen Institutionen anwenden lassen:
Eine in der Tradition des Konzepts demokratischer Elitenherrschaft stehende Sicht des Institutionenvertrauens begründet die Notwendigkeit einer breiten Vertrauensbasis für die politischen Institutionen mit den Erfordernissen einer effektiven Erfüllung der staatlichen Aufgaben sowie mit den besonderen Qualitäten des politischen Führungspersonals. Eine effektive Regierungsarbeit sei nur dann möglich, wenn die politischen Eliten und die politischen Institutionen in der Öffentlichkeit über ein großes Vertrauenskapital verfügten. Ein Vertrauensverlust beeinträchtige die Fähigkeit der politischen Führungsgruppen, Ressourcen für die Erreichung kollektiver Ziele zu mobilisieren und die staatlichen Aufgaben effektiv zu erfüllen. Gamson vergleicht das politische Vertrauen mit einem Blankoscheck, den die Bevölkerung der politischen Führung ausstelle, um dieser eine effektive Arbeit zu ermöglichen Zusätzlich basiert diese Interpretation des politischen Vertrauens auf der optimistischen Annahme, die politische Füh-rung habe kein Interesse an einem Mißbrauch der ihr anvertrauten Macht, sondern setze diese im Interesse der Gesamtbevölkerung ein.
Bereits in „The Civic Culture“ hatten Almond und Verba eine ausschließlich auf die Effektivität des Regierungshandelns ausgerichtete Sicht des Verhältnisses der Bevölkerung zum politischen System als einseitig kritisiert und das zwischen politischer Macht und politischer Verantwortlichkeit bestehende Spannungsverhältnis hervorgehoben So wichtig das reibungslose Funktionieren des Regierungsapparates für die effektive Bereitstellung politischer Güter und Leistungen sei, so wichtig sei es auf der anderen Seite, Vorkehrungen gegen die Möglichkeit eines Machtmißbrauchs durch die politische Führung zu treffen. Hierzu gehörten die zeitliche Befristung des Regierungsauftrages, die Gewaltenteilung sowie die richterliche Kontrolle des Handelns der politischen Entscheidungsträger und -nicht zuletzt -eine Öffentlichkeit, die das Handeln der politischen Führung kritisch überwache. Aus diesem Verständnis ergab sich eine zweite Interpretation der Rolle des politischen Vertrauens in der Demokratie. Demnach benötigt eine Demokratie keine vertrauensvolle, sondern eine mißtrauische Öffentlichkeit, die das Handeln der politischen Führung aufmerksam verfolgt und diese einem ständigen Rechtfertigungsdruck aussetzt. Verantwortliches Handeln hängt unter solchen Bedingungen nicht allein vom guten Willen der politischen Führung ab, sondern es wird durch eine kritische Öffentlichkeit erzwungen
Auch diese Sicht der Beziehung der Bevölkerung zu den politischen Institutionen ist jedoch einseitig, weil sie das Erfordernis effektiven Regierens der Forderung nach einer ständigen Überwachung der politischen Führung durch die Öffentlichkeit unterordnet. Deshalb erscheint es folgerichtig, wenn einige Arbeiten über die Rolle des politischen Vertrauens in der Demokratie auf die Notwendigkeit einer „gesunden Mischung“ von Vertrauen und Mißtrauen verweisen. Eine derartige Konstellation sieht Sniderman als gegeben an, wenn einige Bevölkerungsgruppen der Führung vertrauen, andere ihr mißtrauen, wenn zu bestimmten Zeitpunkten Vertrauen, zu anderen Mißtrauen vorherrscht und wenn schließlich ein zelne Akteure oder Institutionen über einen größeren Vertrauenskredit verfügen als andere Eine ähnliche Vorstellung vertritt Wright, nach dessen Auffassung eine Demokratie optimal funktioniert, wenn es sowohl Konsens als auch Dissens gibt. Für die Stabilität einer Demokratie in Krisenzeiten sei es ausschlaggebend, welche dieser beiden Gruppierungen dazu in der Lage sei, die normalerweise gleichgültige Mehrheit auf ihre Seite zu ziehen
Keiner dieser Interpretationen kann man den Status einer ausformulierten, empirisch bewährten oder auch nur prüfbaren Theorie des Institutionenvertrauens zubilligen. Abgesehen davon, daß Untersuchungen des Institutionenvertrauens in der empirischen Forschung ein Schattendasein fristeten läßt sich die Auseinandersetzung über das systemfunktionale Niveau des Institutionenvertrauens mit den Mitteln der empirischen Forschung nicht beilegen. Selbst wenn eine grundsätzlich empirisch brauchbare Theorie vorläge, könnte ihre Tragfähigkeit mangels geeigneter Daten derzeit nicht geprüft werden. Insofern eignen sich die vorgestellten theoretischen Konzepte allenfalls als Hintergrund für die Interpretation der empirischen Befunde; über die Auswirkungen der von ihnen beschriebenen Verteilung von Vertrauen und Mißtrauen auf die Stabilität und Funktionsfähigkeit der politischen Ordnung der Bundesrepublik kann man beim derzeitigen Forschungsstand zwar spekulieren, aber keine verläßlichen Aussagen treffen.
III. Institutionenvertrauen im Osten und Westen der Bundesrepublik
Abbildung 3
Abbildung 3: Vertrauen zu Exekutive und Judikative in den alten Bundesländern, 1984 -1990 Quelle: IPOS 1984/1990; N wie Abb. 2; Berechnung durch den Verfasser.
Abbildung 3: Vertrauen zu Exekutive und Judikative in den alten Bundesländern, 1984 -1990 Quelle: IPOS 1984/1990; N wie Abb. 2; Berechnung durch den Verfasser.
1. Politischer Wandel und Institutionenvertrauen Die derzeit in der Bundesrepublik bestehenden Rahmenbedingungen sind geradezu ideal für eine empirische Analyse des Entstehens und des Wandels von Institutionenvertrauen. Tiefgreifende Veränderungen wie der Regimewechsel in Ostdeutschland haben in der politischen Entwicklung von Staaten Seltenheitswert. Noch seltener erfolgt ein derartiger Systemwandel als Zusammenschluß zweier Gesellschaften mit einer gemeinsamen Vergangenheit, aber einer völlig gegensätzlichen jüngeren Entwicklung. Während den Bürgerinnen und Bürgern der alten Bundesländer der Umgang mit der politischen Ordnung des Grundgesetzes seit langer Zeit vertraut ist, sind für die Bevölkerung Ostdeutschlands Erfahrungen mit diesen Institutionen noch neu, und sie finden im Kontext eines dramatischen soziopolitischen Wandels statt. Da die aktuellen politischen Einstellungen der Bevölkerung durch langfristig erworbene politische Prägungen bestimmt werden ist angesichts der unterschiedlichen jüngsten Geschichte Ost-und Westdeutschlands derzeit kaum mit einer Überein-stimmung in den politischen Orientierungen der Bevölkerung beider Landesteile zu rechnen. In Anbetracht der vorliegenden Erfahrungen bestehen für die Etablierung von Institutionenvertrauen in Westdeutschland erheblich günstigere Voraussetzungen als in Ostdeutschland.
Zudem hängt das Verhältnis der Bevölkerung zur politischen Ordnung von kurzfristigen Entwicklungen, wie z. B. von der Zufriedenheit mit der Wirtschaftlichen Lage, ab. In dieser Hinsicht bestehen zwischen dem Osten und dem Westen der Bundesrepublik ebenfalls gravierende Unterschiede: Wie mehrere seit der Wiedervereinigung durchgeführte Umfragen belegen, schätzen die Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer ihre Lebensbedingungen und ihre wirtschaftliche Lage erheblich negativer ein, als dies bei der Bevölkerung in den alten Bundesländern der Fall ist Im Gegensatz zu der Situation, in der sich die alten Bundesländer in den fünfziger Jahren befanden gehen von der wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Ländern derzeit keine systemstützenden Impulse aus. Eher ist zu vermuten, daß die beträchtliche Diskrepanz zwischen den an die Wiedervereinigung geknüpften Erwartungen und den wahrgenommenen Gegebenheiten Mißtrauen der Bevölkerung gegenüber den politischen Institutionen und Akteuren begründet. Doch auch für die Westdeutschen erwies sich die von der politischen Führung geweckte Erwartung, die Wiedervereinigung sei zum Nulltarif durchführbar, als unrealistisch. Wie im Osten ergeben sich aus der aktuellen politischen Situation in Westdeutschland Ansatzpunkte für eine negative Einstellung zu den politischen Institutionen.
Aus dem Zusammenspiel langfristiger und kurzfristiger Faktoren lassen sich die folgenden Erwartungen über die Struktur und die Entwicklung des Institutionenvertrauens in Ost-und Westdeutschland ableiten: 1. Aufgrund der langjährigen positiven Erfahrungen mit den politischen Institutionen des Grundgesetzes dürfte das Institutionenvertrauen in den alten Bundesländern stärker entwickelt sein als in den neuen Ländern, in denen derartige Erfahrungen derzeit noch fehlen. 2. Die Bewertung der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation trägt nicht zum Abbau des West-Ost-Gefälles im Institutionenvertrauen bei. Dies gilt vor allem für das Verhältnis zu den Keminstitutionen des politischen Systems, Regierung und Parlament, denen die Bevölkerung einen großen Teil der Verantwortung für die bestehenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zuweist
2. Struktur und Entwicklung des Institutionenvertrauens in den alten Bundesländern, 1984 bis 1990
Sinnvolle Aussagen über Niveau und Struktur des Institutionenvertrauens in Gesamtdeutschland sind nur möglich, wenn man über eine Vergleichs-grundlage verfügt. Hierzu eignet sich vor allem die Situation der alten Bundesländer vor der Wiedervereinigung. Wie mehrere empirische Studien über die Struktur und Entwicklung politischer Unterstützung in der Bundesrepublik belegen, konnte sich das politische System in den siebziger und achtziger Jahren auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung stützen Diesen Sachverhalt spiegeln auch die Daten zum Institutionenvertrauen der Bundesbürger wider, aus denen ersichtlich wird, daß die Mehrheit der Befragten vor der Wiedervereinigung sämtliche erfaßten Einrichtungen des politischen Lebens der Bundesrepublik positiv bewertete (vgl. Abbildung l) Auf der anderen Seite fällt die Einstellung zu den untersuchten Institutionen und Organisationen keineswegs einheitlich aus. Sie bilden vielmehr eine Vertrauenspyramide, an deren Spitze mit dem Bundesverfassungsgericht, den Gerichten und der Polizei Einrichtungen der Judikative und der Exekutive stehen und an deren Ende sich mit der Presse, den Gewerkschaften und dem Fernsehen Institutionen der Interessenvermittlung und Herrschaftskontrolle befinden. Die Keminstitutionen des politischen Systems, Bundestag und Bundesregierung, rangieren im Mittelfeld Während das ausgeprägte Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu den Einrichtungen des Rechts-und Verwaltungsstaates sich nahtlos in die politische Tradition Deutschlands einfügt signalisiert die mehrheitlich positive Bewertung der Keminstitutionen des politischen Systems sowie der Einrichtungen der Interessenvermittlung ein Element des Wandels in den Beziehungen der Bevölkerung zur Politik.
Dieses Einstellungsmuster blieb bis zum Eintritt der neuen Länder im Prinzip erhalten; gleichwohl lassen sich in der Einstellung der Bevölkerung zu einzelnen Institutionen und Organisationen drei unterschiedliche Entwicklungsmuster identifizieren (vgl. Abbildungen 2-4). Während das Vertrauen zur Presse, zum Fernsehen, zu den Gewerkschaften, zur Polizei und zu den Gerichten nur geringfügige Schwankungen aufwies, war die Beziehung zu anderen Einrichtungen des politischen Lebens deutlich instabiler. Zwei Institutionen, Bundeswehr und Kirchen, mußten eine stetige Vertrauenseinbuße hinnehmen. Das Verhältnis der Bundesbürger zur Bundesregierung und -mit Abstrichen -zum Bundestag und zum Bundesverfassungsgericht schließlich war durch zyklische Schwankungen bestimmt, die im Falle des Bundestages und besonders der Bundesregierung in einem klar erkennbaren Zusammenhang mit dem Verlauf der Wahlperiode stehen: Einem „Vertrauensgipfel“ in den Wahljahren folgten je eine Abstiegs-und Aufschwungperiode in den dazwischen liegenden Jahren. Mit der Behauptung einer Zunahme der Politikverdrossenheit lassen sich diese Befunde nicht in Einklang bringen. Einer kontinuierlichen Vertrauenserosion waren allenfalls Institutionen an der Peripherie des politischen Systems ausgesetzt.
3. Struktur und Entwicklung des Institutionenvertrauens in den alten und neuen Bundesländern im Zeitraum 1991 bis 1992
Bis zur Wiedervereinigung waren die Beziehungen der Bevölkerung der alten Bundesländer zu den politischen Institutionen stabil und vertrauensvoll. Diese Situation blieb auch 1991, dem ersten Jahr nach dem Beitritt der fünf neuen Länder, bestehen. Keine der untersuchten Institutionen und Organisationen stieß bei der Mehrheit der Bevölkerung auf Mißtrauen. Ihre Positionen in der Vertrauenshierarchie entsprachen ebenfalls weitgehend den Verhältnissen vor dem Beitritt der neuen Länder. Die Einrichtungen der Exekutive und der Judikative -mit dem Bundesverfassungsgericht an der Spitze -standen unverändert in besonders hohem Ansehen, die Organisationen der Interessenvermittlung wurden zwar erheblich kritischer beurteilt, jedoch erzielten auch sie auf der Vertrauensskala positive Werte (vgl. die Tabelle).
Erwartungsgemäß fiel das Bild in Ostdeutschland im ersten Jahr nach der Wende negativer aus. Obwohl die Mehrheit der Befragten lediglich der Polizei mit Mißtrauen begegnete, schnitten sämtliche untersuchten Organisationen und Institutionen -mit Ausnahme des Fernsehens und der Gewerkschaften -im Urteil der ostdeutschen Befragten schlechter ab als im Westen. Ein auffallend großes West-Ost-Gefälle zeigte sich in der Einschätzung solcher Institutionen, die im Westen traditionell über einen besonders großen Vertrauenskredit verfügen, nämlich Polizei, Gerichte und Bundesverfassungsgericht. Die Kerninstitutionen des politischen Systems, Bundestag und Bundesregierung, konnten sich in Westdeutschland ebenfalls auf eine wesentlich breitere Vertrauensbasis stützen als in den neuen Ländern. In der Beurteilung der Interessenvermittlungs-und Kontrollinstitutionen Fernsehen und Gewerkschaften unterschieden sich die Ostdeutschen kaum von den Westdeutschen. Während ihr Ansehen bei den Westdeutschen allerdings vergleichsweise gering war, genossen sie in Ostdeutschland im ersten Jahr nach der Wende -zusammen mit dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundesrat, der jeweiligen Landesregierung und der Bundeswehr -das größte Vertrauen. Dies gilt nicht für die Presse und für die Kirchen.
Ein Vergleich des Institutionenvertrauens in Ost-und Westdeutschland vermittelt ein eindeutiges Bild von den Beziehungen der Bevölkerung zur Politik im ersten Nachwendejahr: Eine einheitliche politische Kultur hatte sich zum damaligen Zeitpunkt in Gesamtdeutschland noch nicht entwikkelt. Vielmehr waren die Beziehungen der ostdeutschen Bevölkerung zu wichtigen politischen Institutionen und Organisationen erheblich stärker durch Mißtrauen geprägt als im Westen. Große Unterschiede charakterisierten auch die Struktur des Institutionenvertrauens in beiden Teilen der Bundesrepublik. Sofern es im Osten überhaupt Vertrauensträger gab, fanden sie sich überwiegend unter den Organisationen der Interessenvermittlung, während im Westen Judikativ-und Exekutiv-institutionen diese Rolle spielten Die in den neuen Ländern ermittelte Struktur des Institutionenvertrauens war zudem gänzlich anders als in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre, in der vor allem die Exekutivinstitutionen von einem breiten Vertrauen getragen waren
Im Zeitraum 1991/1992 zeichnete sich im Westen der Bundesrepublik im Verhältnis der Bevölkerung zu den politischen Institutionen eine Entwicklung ab, die auf den ersten Blick als Zunahme von Politikverdrossenheit charakterisiert werden kann. Sämtliche Einrichtungen des politischen Lebens verzeichneten einen Vertrauensverlust, der bei einigen Institutionen und Organisationen ein beträchtliches Ausmaß annahm. Dies betrifft vor allem die Kerninstitutionen des politischen Systems, Bundestag und Bundesregierung. In keiner zuvor in den alten Bundesländern durchgeführten Umfrage wurden für diese beiden Einrichtungen solch ungünstige Werte gemessen wie 1992. Dennoch blieb die Einstellung der Öffentlichkeit zu diesen Institutionen überwiegend von Vertrauen bestimmt. Die erstmals in die Erhebung einbezogenen Parteien erhielten als einzige Institution eine mehrheitlich negative Bewertung. Obwohl der Rückgang des Vertrauens zu anderen politischen Institutionen im Zeitraum 1991/92 weniger deutlich ausfiel, waren auch sie von diesem Prozeß betroffen. Dies gilt selbst für diejenigen Institutionen, denen die bundesdeutsche Öffentlichkeit traditionell besonders großes Vertrauen entgegen bringt: die Gerichte und das Bundesverfassungsgericht. Als Fazit bleibt also festzuhalten, daß es erstmals in der neueren Geschichte der Bundesrepublik klare Anhaltspunkte für eine Akzeptanz-krise des Parteienstaates gibt. Ohne detaillierte empirische Untersuchungen sind Aussagen über die Ursachen des Vertrauensschwundes nicht möglich. Es fällt allerdings auf, daß sich dieser Prozeß in erster Linie auf die Einrichtungen des Parteien-staates richtet.
Im Osten stellt sich die Sachlage etwas anders dar. Zwar verloren auch hier die meisten politischen Institutionen und Organisationen zwischen 1991 und 1992 an öffentlicher Unterstützung, doch galt dies nicht für alle. Einen Vertrauensgewinn in der Bevölkerung konnten mit den Gerichten, der Polizei und dem Bundesverfassungsgericht Einrichtungen verzeichnen, die auch in Westdeutschland im Urteil der Öffentlichkeit sehr gut abschneiden. Dagegen büßten der Bundestag, die Bundesregierung und sämtliche Einrichtungen der Interessenvermittlung an Unterstützung ein. Wie im Westen rangierten die politischen Parteien mit weitem Abstand am Ende der Vertrauensskala. Gemeinsam mit ihnen wurden aber auch der Bundestag, die Bundesregierung, die Kirchen und die Presse von der Bevölkerungsmehrheit in den neuen Ländern im Jahre 1992 negativ bewertet.
Im Vergleich mit der im Jahr zuvor gegebenen Situation haben sich die West-Ost-Unterschiede in der Bewertung der Institutionen im zweiten Jahr nach der Wiedervereinigung zwar nicht vertieft, aber auch nicht deutlich abgeschwächt. Nach wie vor bewerten die Ostdeutschen die politischen Institutionen des Grundgesetzes und die Einrichtungen der Interessenvermittlung anders als die Westdeutschen. Beim Abbau der kulturellen Spaltung Deutschlands wurden seit dem Beitritt der fünf neuen Länder noch keine nennenswerten Fortschritte erzielt, jedenfalls soweit das Vertrauen der Bevölkerung zur Debatte steht.
Die demokratietheoretische Interpretation dieser Befunde hängt vor allem von der Wahl des Bezugsrahmens ab: Ein vorbehaltloses Vertrauen zu den politischen Institutionen ist weder für die Westdeutschen noch für die Ostdeutschen typisch, ebensowenig sind die Einrichtungen des politischen Lebens der Bundesrepublik jedoch mit einem generellen Vertrauensdefizit bzw. Vertrauensschwund konfrontiert. In Übereinstimmung mit dem von Sniderman entwickelten Konzept variiert das Vertrauen zu einzelnen Institutionen in beiden Teilen Deutschlands. Darüber hinaus gibt es sowohl vertrauensvolle als auch mißtrauische Bürger, und es lassen sich im Zeitablauf Schwankungen des Institutionenvertrauens feststellen. Auf dem Hintergrund der normativen Demokratietheorie ist allenfalls das West-Ost-Gefälle im Institutionenvertrauen kritisch zu bewerten; ob es inakzeptabel groß ist, läßt sich mit den Mitteln der empirischen Politikforschung nicht entscheiden.
IV. Ergebnisse und Schlußfolgerungen
Abbildung 4
Quelle: IPOS 1984/1990; N wie Abb. 2; Berechnung durch den Verfasser.Abbildung 4: Vertrauen zu Verbänden und Medien in den alten Bundesländern, 1984 -1990
Quelle: IPOS 1984/1990; N wie Abb. 2; Berechnung durch den Verfasser.Abbildung 4: Vertrauen zu Verbänden und Medien in den alten Bundesländern, 1984 -1990
Am Beginn dieser Untersuchung standen zwei Probleme, nämlich erstens die aus der Politikverdrossenheitsdebatte ableitbare Annahme, das Vertrauen der Bevölkerung zu den politischen Institutionen sei in den alten Bundesländern langfristig zurückgegangen, und zweitens die Vermutung eines historisch bedingten West-Ost-Gefälles im Institutionenvertrauen.
Wie die Daten zeigen, hat die seit einigen Jahren in den Massenmedien und in der politisch interessierten Öffentlichkeit mit großem Aufwand geführte Debatte über die Zunahme der Politikverdrossenheit unter den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik in der zweiten Hälfte der achtziger keine reale Grundlage. Allerdings könnte der Beitritt der fünf neuen Länder zur Bundesrepublik in dieser Hinsicht eine Zäsur bedeuten und zu einer Neudefinition der Beziehungen der Bevölkerung zu den politischen Institutionen führen. Erstmals seit der Einführung der Fragen nach dem Institutionenvertrauen waren sämtliche politischen Institutionen und Organisationen einem Rückgang des politischen Vertrauens ausgesetzt, der insbesondere die in den Parteienwettbewerb involvierten Einrichtungen betrifft. Erst in den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob die Entwicklung im Zeitraum 1991/92 dem für den Ablauf einer Legislaturperiode typischen Vertrauenszyklus entspricht oder ob sie den Beginn einer Krise des Vertrauens zu den politischen Institutionen markiert.
Da eine Interpretation der Entwicklung des Institutionenvertrauens in den neuen Ländern wegen des sehr kurzen Untersuchungszeitraumes nicht sinnvoll ist, muß sich der Ost-West-Vergleich auf die Präsentation einer Momentaufnahme aus den beiden ersten Nachwendejahren beschränken. Das Problem, nach einer fast fünfzig Jahre dauernden gegensätzlichen politischen Entwicklung eine funktionierende politische Gemeinschaft zu schaffen, betrifft nicht zuletzt die politischen Einstellungen und Werthaltungen der Menschen in beiden Teilen Deutschlands. Die optimistische Annahme, die innere Einheit Deutschlands werde sich weitgehend problemlos und automatisch vollziehen, erwies sich schon kurz nach dem Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik als eine Fiktion Vielmehr dürfte die nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte Einbindung Ost-und Westdeutschlands in unterschiedliche Bündnissysteme und Wertegemeinschaften noch auf absehbare Zeit die Beziehungen der Bevölkerung zur Politik prägen.
Nur zwei Jahre nach der Wiedervereinigung lassen sich über die Chancen der Entwicklung einer gemeinsamen politischen Kultur in Ost-und Westdeutschland keine klaren Aussagen machen. In einem zentralen Aspekt des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat -dem Vertrauen zu den politischen Institutionen -sind die Unterschiede zwischen Ost-und Westdeutschen jedoch größer als die Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Zwar hat sich die unmittelbar nach dem Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik festgestellte Kluft zwischen West-und Ostdeutschen in der Folgezeit nicht vertieft, aber die bereits im Jahre 1991 erkennbaren Vorbehalte der neuen Bundesbürger gegenüber den politischen Institutionen der Bundesrepublik wurden seither auch nicht geringer. Den Umstand, daß in Westdeutschland ein noch stärkerer Rückgang des Institutionenvertrauens zu verzeichnen war, kann man wohl kaum als Fortschritt auf dem Weg zur inneren Einheit Deutschlands interpretieren.
Die Frage nach den für den Fortbestand der kulturellen Spaltung Deutschlands und für den Rückgang des Institutionenvertrauens in beiden Landesteilen, vor allem in den alten Bundesländern, maßgeblichen Faktoren ist nicht eindeutig zu beantworten. Neben der unterschiedlichen politischen Sozialisation der West-und der Ostdeutschen spielen sicherlich die aktuellen politischen Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands eine wichtige Rolle bei der Erklärung der Ost-West-Unterschiede sowie der jüngsten Erosion des poli tischen Vertrauens. Im Osten stellte sich die erhoffte Verbesserung der Lebensverhältnisse nicht ein, und im Westen besteht eine beträchtliche Unsicherheit über die politischen und ökonomischen Kosten der Einheit. Erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik ist die Bevölkerung mit der Möglichkeit einer realen Verschlechterung der Lebensbedingungen konfrontiert. Aus der Diskrepanz zwischen den Erwartungen und den tatsächlichen Gegebenheiten erwächst ein Potential für politische Unzufriedenheit, das sich derzeit vornehmlich auf Parteien, Parlament und Regierung richtet, jedoch langfristig auf die gesamte politische Ordnung übergreifen kann. Dennoch kann von einer Krise des Vertrauens in die politischen Institutionen allenfalls bedingt die Rede sein: Sofern sie besteht, ist sie ein Produkt der neuesten politischen Entwicklung, sie betrifft in erster Linie den Parteienstaat und seine Einrichtungen und ist in Ostdeutschland stärker ausgeprägt als im Westen. Wie uns die Erfahrungen mit dem Anstieg des Institutionenvertrauens in den fünfziger Jahren lehren, dürften Fortschritte bei der Herstellung der inneren Einheit Deutschlands dazu beitragen, das Umschlagen einer Formschwäche in eine Systemkrise zu verhindern.
Oscar W. Gabriel, Dr. rer. pol., geb 1947; o. Professor für Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart. Veröffentlichungen: (Hrsg.) Die EG-Staaten im Vergleich. Strukturen, Prozesse, Politikinhalte, Opladen 1992; (Hrsg. zus. mit K. G. Troitzsch) Wahlen in Zeiten des Umbruchs, Frankfurt a. M. 1993; (Hrsg.) Verstehen und Erklären von Konflikten. Beiträge zur nationalen und internationalen Politik, München 1993; zahlreiche Veröffentlichungen zu den Bereichen Wahlen und politische Einstellungen, politische Partizipation, Parteienforschung sowie Kommunalpolitik.
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