I. Journalismus in der DDR
Das Recht auf Information und Meinungsfreiheit gehörte zu den ersten Forderungen, mit denen oppositionelle Gruppen im Herbst 1989 an die Öffentlichkeit traten. 40 Jahre lang hatten die Menschen in der DDR unter Indoktrination, Schönfärberei und dem Verschweigen der Wahrheit gelitten, weil die SED den Medien die Aufgabe zudiktiert hatte, im Dienste der „Partei der Arbeiterklasse... kollektiver Agitator, Propagandist und Organisator“ zu sein.
Der Mißbrauch der Medien als Propagandainstrument war Ausdruck der fehlenden Legitimität des von der SED geschaffenen politischen Systems. Obwohl als bekannt vorausgesetzt werden kann, wie die SED-Führung ihre auf undemokratische Weise erlangte Macht nutzte, um ein undemokratisches Mediensystem zu installieren und sich so jedweder Kontrolle zu entziehen, sollen hier zum besseren Verständnis der nachfolgenden Entwicklung die wichtigsten Grundsätze der SED-Medienpolitik in Erinnerung gerufen werden.
Nach sowjetischem Vorbild wurden Drucklizenzen für Zeitungen und Zeitschriften ausschließlich an Parteien, Massenorganisationen und öffentliche Institutionen vergeben. Abgesehen von der Zulassung einiger Kirchenzeitungen (sechs Wochenzeitungen und ein 14täglich erscheinendes Blatt) hatten Andersdenkende keinen Zugang zu den Print-medien. Im Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) als einer zentral gelenkten staatlichen Institution gab es ohnehin keinen Raum für pluralistische Meinungen. Diese Struktur des Mediensystems ermöglichte es der SED-Führung, Mechanismen zu entwickeln, die die Gleichschaltung auf allen Ebenen sicherstellte. 1. Kontrollinstanzen und Mechanismen der Gleichschaltung Für die Anleitung und Überwachung der SED-Presse war die Abteilung Agitation und Propaganda beim Zentralkomitee (ZK) der SED zuständig. Sie erteilte genaue Anweisungen über die weiterzuleitenden Informationen und legte auch die Tabu-Themen fest. So durfte zum Beispiel nicht über die Wirtschafts-und Umweltmisere oder über die reale Befindlichkeit der Menschen berichtet werden. Neben der ZK-Abteilung sorgten die Sekretäre für Agitation und Propaganda bei den Bezirks-, Kreis-und Stadtleitungen der SED für die Durchsetzung des „Bestätigungsjournalismus“ Obwohl formal dem Ministerrat unterstellt, kontrollierte die SED ebenfalls die von den Blockparteien, den Massenorganisationen und den Kirchen herausgegebenen Presseerzeugnisse sowie die Hörfunk-und Fernsehsender, denn die Kader in den staatlichen Überwachungsgremien -wie dem „Presseamt beim Vorsitzenden des Minister-rats“, dem Rundfunkkomitee und dem Komitee für Fernsehen -waren mehrheitlich SED-Mitglieder.
Die Einflußnahme beschränkte sich nicht nur auf die Vorgabe allgemeiner ideologischer Richtlinien oder der zu behandelnden bzw. nicht zu behandelnden Themen. Das Presseamt legte für alle Publikationen auch die Auflagenzahlen und die Höhe des Papierkontingents fest. Im Hörfunk und Fernsehen reichte die Kontrolle bei politischen , Sendungen zuletzt sogar bis zu einzelnen Formulierungen. So behielt sich seit den achtziger Jahren die ZK-Abteilung für Agitation und Propaganda vor, den gesamten Ablauf der Hauptnachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ zu bestimmen Jenseits der offiziellen Überwachung gab es weitere Kontrollinstanzen, deren Arbeitsweise für die Mitarbeiter der Medien völlig undurchschaubar war. So hatte der Wirtschaftssekretär des Politbüros, Günter Mittag, einen eigenen Apparat zur Beobachtung der Medien eingesetzt, um eine kritische Berichterstattung über die Wirtschaftspolitik zu verhindern. Er ließ u. a. die Zeitungen nach unzulässigen Tönen durchforsten und forderte, wenn seine Kontrolleure fündig geworden waren, in den Politbürositzungen den zuständigen SED-Bezirkssekretär auf, die Verantwortlichen zu bestrafen Ähnlich direkte Eingriffe in die Arbeit der Redakteure nahm das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zwar nicht vor, sein Druck auf die Medien war deswegen aber keineswegs geringer. Durch sein verdecktes Handeln erzeugte es eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit und disziplinierte damit schließlich auch jene, die sich noch Reste von Widerspruchsbereitschaft bewahrt hatten. Im MfS waren nicht weniger als drei Unterabteilungen der Hauptabteilung XX für die „politisch-operative Durchdringung und Sicherung“ der Massenmedien zuständig. Es gibt zwar keine genauen Zahlen darüber, wie viele der insgesamt 86 offiziellen und 600 inoffiziellen Mitarbeiter zur Observation der Medien eingesetzt waren, weil die betreffenden Unterabteilungen auch andere Institutionen zu überwachen hatten Mit Sicherheit läßt sich aber sagen, daß bei einer 1991 durchgeführten Überprüfung 200 Mitarbeitern des DDR-Hörfunks und Fernsehens Stasi-Kontakte nachgewiesen wurden Um eine lückenlose Überwachung zu garantieren, gab es auch in den Bezirksverwaltungen ein entsprechend dichtes Netz haupt-und nebenamtlicher Mitarbeiter
Investigativer, aufklärerischer Journalismus konnte sich unter solchen Bedingungen nirgendwo entfalten. Ob Leitartikelschreiber oder Lokal-reporter, ob Rundfunkjournalist oder Fernsehredakteur -alle mußten bereit sein, sich dem administrativen Kommandosystem zu unterwerfen, sofern sie es als SED-Genossen nicht ohnehin aus eigener Überzeugung mitgetragen haben. 2. Sozialpsychologische Prägung der DDR-Journalisten In der DDR gab es in den Rundfunk-und Zeitungsredaktionen etwa 11000 Journalisten, die dort größtenteils festangestellt waren. Auf ihre Auswahl nahm die SED massiven Einfluß, um die Instrumentalisierung der Medien zur Machterhaltung ein für allemal abzusichern. Nur politisch zuverlässige Bewerber hatten die Chance, zum Journalistikstudium zugelassen bzw. als Redakteure eingestellt zu werden. Wie erfolgreich dieses personalpolitische Konzept verwirklicht wurde, zeigt die Ärgumentation des Politbüromitgliedes Günter Schabowski bei seinem Versuch, die Stasikontrolle der Medien herunterzuspielen: „Die Redaktion war ja selbst eine politische Institution ersten Ranges. Niemand war besser befähigt als die Redaktion selber, ihre Texte zu kontrollieren. Das war nicht Sache der Sicherheit.“
Aufgrund ihrer Funktion als Sprachrohr für die Herrschenden und des ihnen antrainierten „Journalismusverständnisses für Machtausübende“ hatten die Journalisten in der DDR ein geringes Sozialprestige. Sie mußten sich zudem damit abfinden, daß ihre Informationsprogramme und politischen Artikel wenig Resonanz fanden weil die meisten DDR-Bürger, über die wahrheitswidrige, tendenziöse Berichterstattung verbittert, jeden Tag die Flucht zu den Programmen der westdeutschen Sendeanstalten antraten und den Parteijournalismus ins Leere laufen ließen. Am ehesten wurden noch die Lokalreporter akzeptiert, die einzelne Mißstände zur Sprache brachten und den Lesern so das Gefühl gaben, auf ihrer Seite zu stehen, auch wenn sie sich ansonsten wie alle anderen an die Spielregeln hielten und nur die Funktionsträger der unteren und mittleren Ebene kritisierten.
Herabwürdigung zum bloßen Propagandainstrument massiver Anpassungsdruck und mangelnder Erfolg beim Publikum: Es stellt sich die Frage, welche Persönlichkeitseigenschaften erforderlich waren, um unter solchen Arbeitsbedingungen den Beruf des Journalisten ausüben zu können. Was bei einer Analyse von Interviews mit ehemaligen DDR-Journalisten zuerst ins Auge fällt, ist ihre überdurchschnittliche Fähigkeit zur Unterordnung: „Wir haben den Opportunismus gelernt, das können wir am besten“, gab ein Journalistikprofessor aus Leipzig unumwunden zu Weil man im Medienbereich nicht hätte arbeiten können, ohne der Parteilinie willig zu folgen, waren Intellektuelle mit dem Mut zur eigenen Meinung dort in aller Regel nicht zu finden. Weder hätten sie sich mit der tagtäglichen Entmündigung abgefunden, noch wären sie in den Redaktionen längere Zeit geduldet worden, da jeder Versuch, sich der verordneten Desinformationspolitik entgegenzustellen und gesellschaftliche Mißstände beim Namen zu nennen, mit Disziplinarmaßnahmen geahndet wurde.
Eine große Anpassungsleistung hatten selbst diejenigen zu vollbringen, die im Glauben an die von Ulbricht und Honecker postulierten sozialistischen Ideale angetreten waren und sich von der Grundüberzeugung leiten ließen, trotz der Mängel und Probleme, die es in der DDR gab, letztlich dem gesellschaftlichen Fortschritt zu dienen. Ob sie -wie der Chefredakteur der Jugendzeitung „Junge Welt“ -das in zahllosen politischen Schulungen anerzogene „Feindbild-Denken“ verinnerlicht hatten und ihr Verschweigen der Wahrheit mit der Absicht rechtfertigten, dem „Klassenfeind“ keine Angriffsfläche bieten zu wollen, oder ob sie „Parteidisziplin als Prinzip akzeptierten, selbstzensorisch tätig zu sein“ -der eklatante Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, zwischen dem verkündeten Ideal und der Wirklichkeit konnte niemandem verborgen bleiben.
Der Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz aus Halle spricht davon, daß alle DDR-Bürger durch die autoritär-repressiven Verhältnisse mehr oder weniger seelisch beschädigt und charakterlich deformiert worden seien. Der von den Leistungsträgem der Gesellschaft -den Wissenschaftlern, Wirtschaftsfachleuten, Lehrern, Journalisten, Sportlern oder Künstlern -vollzogene Unterwerfungsakt sei jedoch nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für sie selbst besonders folgenschwer gewesen
Ehemalige DDR-Journalisten, die sich selbstkritisch mit der Vergangenheit ausöinandersetzen und ihre eigene Rolle nicht verklären, nennen als solche Persönlichkeitsdefizite: Untertanengeist, fehlende Courage und Widerstandskraft, Angst vor Autoritäten, mangelndes Selbstbewußtsein und Intoleranz. Die meisten Befragten verweisen darauf, daß sie ursprünglich aus speziellem Berufs-interesse Journalist geworden seien. Besonders die Älteren hatten sich zu Zeiten für diesen Weg entschieden, als noch nicht so große Zugeständnisse nötig waren wie in den achtziger Jahren. Die jüngeren Journalisten wußten dagegen, worauf sie sich einließen und taten dies entweder aus politischer Überzeugung oder weil sie hofften, außerhalb der politischen Redaktionen eine Nische zu finden
Warum sie alle trotz der unvermeidlichen Desillusionierung und Heuchelei in diesem Beruf blieben, erklärt sich nicht nur aus ihrem marxistischen Weltbild oder ihrer besonderen Anpassungsfähigkeit, sondern auch aus ihrer Sonderstellung in der Gesellschaft. Ein wichtiges Motiv für das Mitmachen, so wird von manchen der interviewten Journalisten eingeräumt, war das Streben nach persönlicher Macht und nach journalistischem Herrschaftswissen. Nicht zu vergessen sind Reise-privilegien, eine gute Bezahlung und die Aussicht auf eine sogenannte „Intelligenz-Rente“, die diese Laufbahn für viele attraktiv machten.
Es gibt bisher nur wenige ehemalige DDR-Joumalisten, die bereit sind, ihre Vergangenheit aus einer kritischen Perspektive zu sehen. Was sich bei vielen lange bewährt hat -das Ausweichen vor der Wirklichkeit durch Verdrängen und Beschönigen -wird beim Nachdenken über die eigene Schuld und Verstrickung wiederholt. Notwendig wäre es jetzt, das frühere Verhalten zu hinterfragen und die wahren Ursachen der Mittäterschaft aufzudecken, statt sich als Opfer darzustellen und zum Zweck der Selbstbeschwichtigung nur ehrenwerte Motive geltend zu machen.
Es bleibt zu hoffen, daß mit zunehmendem zeitlichen Abstand dieser Selbstverständigungsprozeß einsetzt und Früchte trägt, und zwar insbesondere bei den 3500 Journalisten die nach der Umgestaltung des ostdeutschen Mediensystems von den neuen Landesrundfunkanstalten und den privaten Zeitungsverlagen übernommen worden sind. Denn nur, wenn sie mit sich selbst im reinen sind, können sie dem jetzt anstehenden „langwierigen und mühevollen Prozeß der Versöhnung der Ostdeutschen mit sich selbst und der Deutschen untereinander“ kräftige Impulse geben.
II. Umgestaltung der Staats-und Parteirundfunksender in Anstalten des öffentlichen Rechts
1. Befreiung von staatlicher Bevormundung Es ist bekannt, daß im Sommer 1989 überwiegend junge Leute die DDR zu Zehntausenden über die ungarische Grenze bzw. über die bundesdeutsche Botschaft in Prag verließen und die westdeutschen Medien über das tägliche Ansteigen der Flüchtlingszahlen berichteten. Die in Unruhe geratene DDR-Bevölkerung erwartete ein offenes Wort der Machthaber zu der durch die Massenflucht offenkundig gewordenen Staatskrise, aber die SED und die von ihr gelenkten Medien hüllten sich wochenlang in Schweigen und beschleunigten dadurch ungewollt den Zusammenbruch der DDR. Immer weniger Ostdeutsche waren bereit, die Unterdrückung fundamentaler Bürgerrechte weiter hinzunehmen und schlossen sich zu Demonstrationszügen zusammen, um demokratische Rechte einzufordern. Wie nicht anders zu erwarten, berichteten die DDR-Medien aufgrund des zunächst noch funktionierenden staatlichen Dirigismus und der Selbstzensur der Journalisten auch über diese Zuspitzung der Lage nicht.
Erst Mitte Oktober 1989, als die Leipziger Montagsdemonstrationen zu einer Massenbewegung geworden waren und sich der Machtverlust Erich Honeckers abzeichnete, begann sich in den DDR-Rundfunksendern Widerstand zu regen. Die Journalisten befreiten sich nun endlich von der Bevormundung und gestalteten Sondersendungen, in denen offen über die Ursachen der Krise debattiert wurde. Zum erstenmal in der Geschichte der DDR kamen jetzt Vertreter von Oppositionsgruppen zu Wort. Die Parteiführung versuchte, der Krise durch die Absetzung Honeckers und Joachim Hermanns, des bis dahin für die Medien zuständigen Spitzenfunktionärs, Herr zu werden. Sie scheiterte aber, weil es für eine Korrektur schon zu spät war. Viele Journalisten, die sich jahrelang gefügig gezeigt hatten, fühlten sich durch die Auflösungserscheinungen innerhalb der Staatspartei zu selbständigem Handeln ermuntert und hörten nicht mehr auf das Kommando der SED und deren Zensurbehörden. Dadurch war das alte Medien-system innerhalb kürzester Zeit zum Untergang verurteilt.
Das ausnahmslos von der SED eingesetzte Führungspersonal der Sender wurde im Bereich des Fernsehens sofort, später auch im Hörfunk durch politisch weniger belastete Personen ersetzt. Im Zuge der beginnenden Selbstreinigung gewannen die ostdeutschen Journalisten schnell an Glaubwürdigkeit. Die früher von den Zuschauern gemiedenen politischen Sendungen erfreuten sich nun eines großen Zuspruchs Während für die meisten der über 40jährigen Journalisten der Zusammenbruch des Staates und der Verlust von Posten und Arbeitsinhalten ein Schock war, nutzten die jüngeren das entstandende Machtvakuum zu einer umfassenden Programmreform. Der Wegfall von staatlicher Kontrolle machte es ihnen möglich, eine Vielzahl neuer Sendungen über die existentiellen Probleme der Menschen zu entwickeln. „Vom Herbst 1989 an war eine paradiesische Zeit für Journalisten... Es bestand ein absolut freier Raum, wir waren nur der eigenen Verantwortung und dem eigenen Rechtsempfinden verpflichtet“ so beschreibt eine der Beteiligten diese Phase des Aufbruchs, die jedoch nur wenige Monate dauerte 2. Die Übertragung der Strukturen des westdeutschen Rundfunksystems auf den Osten Da die Mehrheit der DDR-Bevölkerung einen schnellen Beitritt zur Bundesrepublik wünschte, beschloß die DDR-Volkskammer bereits im Sommer 1990, in Anlehnung an das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die frühere föderalistische Länderstruktur wiederherzustellen und die ehemaligen DDR-Bezirke durch fünf Länder zu ersetzen. Diese Entscheidung machte die Auflösung des zentralistischen Rundfunksystems und die Neuordnung der Rundfunklandschaft in Ostdeutschland erforderlich, weil seit Gründung der Bundesrepublik die Rundfunkhoheit bei den Ländern hegt.
Die Umstrukturierung des Rundfunks war insgesamt schwieriger als ursprünglich angenommen. Relativ unproblematisch war nur der erste Schritt, die Erneuerung und Demokratisierung der Sender unmittelbar nach der Wende. Die neuen, von politischen Vorgaben unabhängig gewordenen Ost-Intendanten und ihre Teams erarbeiteten im Frühjahr 1990 in eigener Regie Statute, die Struktur und Programmatik der Sender im einzelnen regelten Ihre Arbeit wurde von einem auf demokratischem Wege berufenen Medienkontrollrat überwacht. Dieses Gremium, das sich aus Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen zusammensetzte, war während der gesamten Übergangszeit -bis zur Wiedervereinigung im Oktober 1990 -Anwalt der Interessen der DDR-Medien.
Auch die im März 1990 neu gewählte DDR-Volkskammer bemühte sich um einen geordneten Über-gang der DDR-Medien in die gesamtdeutsche Medienordnung. Die Ost-CDU, die einen überwältigenden Wahlsieg errungen hatte und den Medien-minister stellte, übte dabei von Anfang an großen Einfluß aus. Ohne die von der Volkskammer eingesetzten Kontroll-und Mitwirkungsgremien zu beteiligen, erarbeitete das Medienministerium gemeinsam mit Experten aus Westdeutschland ein Rundfunküberleitungsgesetz Dahinter stand die Absicht der regierenden Parteien, die nach der Wende unabhängig gewordenen DDR-Sender schnellstmöglich nach westdeutschem Vorbild um-zubauen. Die Oppositionsparteien und die Kirchen protestierten gegen dieses Vorgehen. Sie warfen dem Wahlsieger vor, das Gebot eines staatsfemen Rundfunks nicht genügend beachtet und dem Willen der DDR-Bürger nach Einrichtung einer eigenen ostdeutschen Rundfunkanstalt nicht Rechnung getragen zu haben. Das Gesetz fand aus diesen Gründen im DDR-Parlament keine Mehrheit und mußte vollständig überarbeitet werden.
Während die DDR-Medienpolitiker in monatelangen Debatten nach Kompromissen suchten, wurden bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag bereits vollendete Tatsachen geschaffen Ohne die Medienverantwortlichen Ostdeutschlands zu konsultieren oder auf das laufende Gesetzgebungsverfahren der Volkskammer zur Rundfunküberleitung Rücksicht zu nehmen, erklärte sich der DDR-Verhandlungsführer Günter Krause (CDU) mit dem Vorschlag der westdeutschen Seite, Wolfgang Schäuble (CDU), einverstanden, im Einigungsvertrag festzuschreiben, daß bis zum Ende des Jahres 1991 die zentralen DDR-Sender von einem Rundfunkbeauftragten aufgelöst und in Länderhoheit überführt werden. Das Rundfunküberleitungsgesetz, das noch in einer der letzten Sitzungen der DDR-Volkskammer verabschiedet werden konnte, hatte dadurch keine Chance mehr zur Umsetzung und wurde nach der Wiedervereinigung sofort annulliert.
Die Volkskammerabgeordneten hätten aufgrund dieser Tatsache nun unbedingt von ihrem Recht Gebrauch machen müssen, den einflußreichen Posten des Rundfunkbeauftragten mit einem DDR-Experten zu besetzen. Aber auch das geschah nicht, weil die Regierungen in Bonn und Ostberlin daran interessiert waren, einen westdeutschen Medienfachmann aus ihrem politischen Umfeld mit der Auflösung des DDR-Rundfunks zu beauftragen. Diese Einflußnahme der westdeutschen Parteien auf die Medienpolitik zu einem Zeitpunkt, als die DDR noch existierte, setzte sich nach der Wiedervereinigung fort und vereitelte die Chance, das gesamte deutsche Mediensystem neu zu ordnen und dem im Grundgesetz verankerten Gebot der Staatsferne im Osten wie im Westen die gebührende Geltung zu verschaffen. 3. Die Auflösung der Sender des ehemaligen DDR-Staatsrundfunks In einem juristisch fragwürdigen Verfahren wurde im Okober 1990 der frühere Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, Rudolf Mühlfenzl, zum Rundfunkbeauftragten bestellt und mit der Aufgabe betraut, die Sender der ehemaligen DDR aufzulösen und in Anstalten des öffentlichen Rechts zu überführen. Mühlfenzl, der sich immer offen für die Interessen der in Bayern mit absoluter Mehrheit regierenden CSU eingesetzt hatte, nahm nur westdeutsche Medienexperten in seinen Beraterstab auf und verzichtete weitgehend auf die Erfahrungen ostdeutscher Fachleute, deren Insiderwissen nicht zuletzt bei der „Abwicklung“ hätte hilfreich sein können. Diese Entscheidung war um so unverständlicher, als zwei politisch unbelastete Fachleute (Michael Albrecht für das Fernsehen und Christoph Singeinstein für den Hörfunk) zur Verfügung standen, deren demokratische Legitimation und fachliche Kompetenz nicht zu bezweifeln waren. Beide hatten auf Vorschlag der Regierung de Maizire die nach der Wende von den Redaktionen als Zeichen des Neubeginns gewählten Intendanten abgelöst und sich schnell profilieren können.
Das Übergewicht der Westdeutschen hätte durch den vom Parlament gewählten Rundfunkbeirat ausgeglichen werden können, aber dieser Beirat fiel als Kontrollinstanz aus, weil seine Mitglieder von den großen Parteien gewählt worden waren und deren Interessen vertraten. Bürgerbewegungen und kleine Parteien waren nicht vertreten. Außerdem fehlte dem Beirat Fachwissen und politische Erfahrung, so daß der Rundfunkbeauftragte sein Konzept ungestört verwirklichen konnte
Zu den Hauptaufgaben des Rundfunkbeauftragten gehörte eine Angleichung des Personalbestandes der Rundfunksender an den Weststandard. Zu DDR-Zeiten gab es in Hörfunk und Fernsehen insgesamt 14000 Beschäftigte, die ab Herbst 1990 in mehreren Schüben entlassen werden mußten. Zuletzt blieben 5000 Mitarbeiter übrig, die die ostdeutsche Bevölkerung mit mehreren Rundfunk-programmen und einem Fernsehprogramm versorgten, bis auch sie Ende 1991 ihre Kündigung erhielten Die Massenentlassungen waren von einer Überprüfung der politischen Vergangenheit jedes einzelnen Mitarbeiters begleitet, um jene herauszufinden, die mit der Stasi zusammengearbeitet hatten. Gegenseitige Denunziationen von Rundfunkmitarbeitern, die sich auf diese Weise ihrer Konkurrenten entledigen wollten, erschwerten die Arbeit der Kontrollkommission zusätzlich Die schließlich entdeckten 200 Stasi-Zuträger wurden sofort aus den Redaktionen entfernt Alle anderen Mitarbeiter hatten die Möglichkeit, sich bei den seit 1991 im Aufbau befindlichen neuen Landessendern um eine Anstellung zu bewerben 4. Die Neugründung von Landessendem Auf dem früheren Gebiet der DDR gibt es heute zwar fünf neue Länder, aber nur zwei neue Landessender, weil die Gründung eines eigenen Senders für jedes Land nicht zu finanzieren war. Neu entstanden sind der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) als Rundfunkanstalt für die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB). Das Land Mecklenburg-Vorpommern trat dem Norddeutschen Rundfunk bei und gab sich mit der Einrichtung eines Landesfunkhauses in Schwerin zufrieden. Ostberlin wird vom Sender Freies Berlin versorgt.
Die Art und Weise der Umstrukturierung der ostdeutschen Rundfunklandschaft ist wegen des unzulässigen Regierungs-und Parteieneinflusses in der Öffentlichkeit heftig kritisiert worden. In dem Bestreben, die Rundfunksender für die eigenen publizistischen Zwecke zu nutzen, setzten Christdemokraten und Sozialdemokraten alles daran, je nach dem Ausgang der Landtagswahl vom Herbst 1990 Anhänger ihrer Partei in die Führungspositionen der Sender und Aufsichtsgremien zu bringen. Da die SPD nur in Brandenburg gesiegt hatte, die CDU aber in den vier anderen neuen Ländern, ist die CDU zum wichtigsten Faktor der öffentlichen Meinungsbildung im Osten geworden.
Der vom Bundesverfassungsgericht wiederholt erhobenen Forderung, den Rundfunk binnenpluralistisch einzurichten, um eine einseitige Einflußnahme zu verhindern, ist also auch bei der Neustrukturierung der ostdeutschen Rundfunklandschaft nicht Rechnung getragen worden Selbst Bundespräsident Richard von Weizsäcker sah sich deshalb veranlaßt, den Zugriff der Parteien auf die Sender öffentlich zu rügen
Ein weiteres Problem, das in der öffentlichen Diskussion um die Neuordnung des Rundfunks in Ostdeutschland eine wichtige Rolle spielte, war die Besetzung der Spitzenpositionen mit Fachleuten aus Westdeutschland. 5. Mitteldeutscher Rundfunk Seit den Landtagswahlen im Herbst 1990 regierten in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Ministerpräsidenten der CDU. Aufgrund ihrer übereinstimmenden politischen Interessen gelang es ihnen sehr schnell, einen Staatsvertragüber eine gemeinsame Rundfunkanstalt abzuschließen. Unmittelbar danach hätte der Rundfunkkontrollrat berufen werden müssen, der entsprechend den Landesrundfunkgesetzen in jedem Sender als demokratische Kontrollinstanz zu installieren ist. Seine Aufgabe besteht darin, den Intendanten zu wählen und die Einhaltung der Programmgrundsätze zu überwachen. Mehr als das Parlament repräsentiert dieses Gremium die Vielfalt gesellschaftlich relevanter Gruppen, aber die Parteien versuchen immer wieder, die Rundfunk-ratsmitglieder auf eine ihnen genehme Linie festzulegen. In Relation zur Größe des MDR sollten laut Staatsvertrag 40 Vertreter aus Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen in den Rundfunkrat entsandt werden, für deren Wahl begreiflicherweise ein längerer Zeitraum eingeräumt werden mußte.
Um trotzdem schnell mit dem Aufbau des Senders beginnen zu können, erlaubte der Staatsvertrag als Übergangslösung die Bestellung eines nur neunköpfigen Gründungsbeirates. Da die regierenden Parteien aufgrund der politischen Mehrheitsverhältnisse sechs Beiratsmitglieder benennen durften, war es ihnen möglich, die Leitungspositionen des neuen Senders aus dem christdemokratischen Lager zu besetzen Intendant für eine sechsjährige Amtszeit wurde Udo Reiter, ein Rundfunk-fachmann aus der Münchner CSU, der die acht Direktorenposten bis auf eine Ausnahme -die Stelle des Technischen Direktors -mit westdeutschen Fachleuten besetzte. Weitere Ostdeutsche gelangten nicht in Direktorenpositionen, weil ihnen der neue Intendant wegen der völlig anderen konstitutiven und organisatorischen Gegebenheiten im früheren DDR-Staatsrundfunk nicht zutraute, in dem neuen Mediensystem in kurzer Zeit effizient arbeiten zu können.
Auch wenn die meisten der insgesamt 1800 festen und freien Mitarbeiter des MDR aus dem Osten kommen, klagen manche Ostdeutsche über das Gefühl, okkupiert zu sein. Dieser Eindruck ist offensichtlich durch die Entschlossenheit der Westdeutschen entstanden, nicht nur beim organisatorischen Aufbau des MDR das Heft in die Hand zu nehmen, sondern von Anfang an auch über das Programm zu bestimmen, ohne genügend zu berücksichtigen, welche Themen die ostdeutschen Kollegen ihrem vor immensen Umstellungsproblemen stehenden Publikum anbieten wollen. „Die Wessis haben das Sagen... Sie setzen andere Prioritäten, als Ostdeutsche sie setzen würden“, klagt eine Ost-Redakteurin, die sich aufs neue bevormundet fühlt. Früher seien die Anweisungen aus Ostberlin gekommen, heute aus Leipzig (wo die westdeutsche Leitung des Senders ansässig ist)
Da die ostdeutschen Redakteure in den Monaten nach der Absetzung Honeckers in ihrer Programmgestaltung viele Freiheiten hatten, erleben sie die erneute Abhängigkeit als eine große Belastung. Die Zurücksetzung gegenüber den westdeutschen Kollegen, die überall den Ton angeben, ist nach Auskunft ostdeutscher Mitarbeiter für sie besonders bedrückend, weil den meisten Westdeutschen das Verständnis für die psychische Befindlichkeit und die spezifischen Probleme der Neubundesbürger fehlt. Hätte man geeigneten ostdeutschen Mitarbeitern, die die Lebensprobleme ihrer Zuschauer und Hörer genau kennen, Sitz und Stimme im Management des MDR gegeben, dann hätte die Chance bestanden, andere Programm-schwerpunkte zu setzen, als es jetzt geschieht. Gerade weil die Ostdeutschen einen großen Nachholbedarf an Information und Hintergrundberichterstattung haben, um in einem pluralistischen Meinungsbildungsprozeß zu mündigen Bürgern zu werden, müßte ihnen ein entsprechend vielfältiges journalistisches Angebot unterbreitet werden. Der Intendant und seine Chefredakteure scheinen aber diese Bedürfnisse und Notwendigkeiten nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Sie ziehen Unterhaltungssendungen vor und scheinen den MDR zu einem einschaltstarken „Krimi-Sender“ machen zu wollen 6. Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg und Landesfunkhaus Schwerin Auch die Sozialdemokraten versuchten, bei der Wahl des ORB-Intendanten ihre Wunschkandidaten durchzusetzen, aber sowohl der Favorit des Ministerpräsidenten Stolpe fiel durch als auch der vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Birthler bevorzugte Bewerber. Es war der -auf regulärem Wege berufene -Rundfunkrat, der die Besetzung des Intendantenpostens mit einem dieser Kandidaten verhinderte. Die 25 Rundfunkräte in Brandenburg wählten Jürgen Rosenbauer zum Intendanten -einen erfahrenen Journalisten des WDR Köln, der zwar keiner Partei angehört, sich selbstaber als „Sozialliberaler mit grünen Einsprengseln“ charakterisiert. Ein ostdeutscher Kandidat kam auch für sie nicht in Frage, weil sie genauso wie der MDR-Intendant davon ausgingen, daß Ostdeutsche wegen ihrer fehlenden Erfahrung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem für eine solche Führungsposition vorerst ungeeignet seien. Drei der sechs Direktorenposten wurden im ORB aber immerhin mit Ostdeutschen besetzt, so daß die speziellen Bedürfnisse der Brandenburger Bevölkerung im Programmangebot angemessen berücksichtigt werden können.
Beim Landesfunkhaus Schwerin ist dagegen -ähnlich wie beim MDR -auf ein paritätisches Verhältnis zwischen ost-und westdeutschen Führungskräften verzichtet worden. Der Leiter des Funkhauses und der Fernsehchef kommen vom NDR, der Hörfunk-Verantwortliche vom Bayerischen Rundfunk. Allerdings sind 61 der 88 festangestellten Mitarbeiter Ostdeutsche.
Ähnliche Tendenzen wie bei den öffentlich-rechtlichen Sendern lassen sich bei den Privatsendern beobachten, die sich seit zwei Jahren auf dem ostdeutschen Medienmarkt zu etablieren versuchen. Auch hier werden die Führungspositionen mit Westdeutschen besetzt.
III. Wandel der DDR-Presse von einem Propagandainstrument zu einem privatwirtschaftlich organisierten Massenmedium
1. Strukturveränderungen Zu DDR-Zeiten waren auf dem von der SED zentral gelenkten Tageszeitungsmarkt zum einen überregionale Tageszeitungen vorherrschend, die von der SED, den Blockparteien und den Massenorganisationen herausgegeben wurden, zum anderen fünfzehn in hohen Auflagen erscheinende Bezirkszeitungen der SED. Wie ihre Kollegen von Rundfunk und Fernsehen verbanden viele Zeitungsjoumalisten mit dem politischen Umbruch große Hoffnungen. Daß sie nach der jahrzehntelangen Bevormundung nicht mehr Werkzeug der Politik sein mußten, versetzte die nach der Absetzung der Parteikader verbliebenen Journalisten in Aufbruchstimmung, denn Pluralismus und Meinungsfreiheit hatten sich manche von ihnen schon lange gewünscht, auch wenn sie sich aus den oben dargestellten Gründen zu DDR-Zeiten nicht dazu bekannten. Im Westen wurde denn auch mit Erstaunen registriert, wie schnell die ostdeutschen Zeitungsredakteure nach der Wende in der Lage waren, den Lesern ein vielfältiges Informationsangebot zu unterbreiten. 2. Verteilungskämpfe auf dem Zeitungsmarkt Es dauerte -ähnlich wie im Rundfunkbereich -jedoch nur wenige Monate, bis die Freude über die neuen Möglichkeiten selbstbestimmten Handelns der Ernüchterung und Frustration wich. Der Konkurs vieler neuer Zeitungen, die erst nach der Wende gegründet worden waren, ist einer der Hauptgründe dafür. Da auch einige der alteingesessenen, nach dem Ende der SED-Herrschaft aber gewandelten Blätter dem Konkurrenzdruck nicht gewachsen waren, nahm das pluralistische Presseangebot der Nachwendezeit schon nach kurzer Zeit schweren Schaden.
Anders als bei den Mitarbeitern der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kamen bei den ostdeutschen Zeitungsjournalisten Umstellungsprobleme hinzu, die mit der privatwirtschaftlichen Organisation der Printmedien in Zusammenhang stehen. Während es zu DDR-Zeiten vorrangig um Verlautbarungsjournalismus ging, rückte nach der Wende die Frage in den Vordergrund, wie die Zeitungsverlage den marktwirtschaftlichen Regeln gemäß nicht nur kostendeckend arbeiten, sondern auch Gewinn erzielen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Die immer wieder zu hörende Klage, die Wirtschaftlichkeit gebe jetzt das Kommando ist Ausdruck der Schwierigkeiten, die die Ostdeutschen mit dem neuen Pressesystem haben. Da es den Herausgebern und Chefredakteuren der DDR-Zeitungen an Wissen mangelte, wie man sich auf einem gewinnorientierten, von Werbeanzeigen der Privatwirtschaft abhängigen Medienmarkt behauptet, boten ihnen westdeutsche Verleger, die im Osten einen neuen Kunden-stamm gewinnen wollten, bald nach der Grenzöffnung ihre Unterstützung an. Sie glaubten, durch finanzielle und technische Hilfe Einfluß auf die ostdeutschen Zeitungsverlage nehmen und von der damals bevorstehenden Auflösung des SED-Presseimperiums profitieren zu können. Es gab daneben aber auch Verlage, die durch Neugründung von Tageszeitungen im Osten zu expandieren versuchten.
Wie groß die Hoffnungen auf westdeutscher Seite waren, ist aus der Tatsache zu ersehen, daß ab 1990 in den fünf neuen Bundesländern knapp 60 neue Tageszeitungen auf den Markt kamen. Bei 29 Neugründungen traten meist kleine und mittlere westdeutsche Verlagshäuser als alleinige Investoren auf, bei den übrigen waren sie Anteilseigner. Inzwischen sind gut 30 dieser Zeitungen wieder eingestellt worden. Auch die Weiterexistenz der übrigen neuen Tageszeitungen ist gefährdet, weil nur vier davon Auflagen von mehr als 20000 Exemplaren erreichen.
Hart umkämpft ist der Zeitungsmarkt auch in Berlin. Hier waren es drei finanzstarke westdeutsche Verlage, die im Wettbewerb um die Leser des vereinten Berlin als Sieger hervorgingen: Springer/Ullstein mit drei Zeitungen (Gesamtauflage 662000), Gruner 4-Jahr mit zwei Zeitungen (Gesamtauflage 530000) und Holtzbrinck mit einer Zeitung (Auflage 130000). Angesichts dieser Vormachtstellung mußten sich mehrere ostdeutsche überregionale Zeitungen dem Druck des neuen Marktes beugen und stellten 1991 ihr Erscheinen ein. Das betraf zum einen die Zeitung der ehemaligen Liberaldemokratischen Partei „Der Morgen“, die nach der Wende eine der kritischsten Tageszeitungen im Osten war und dem ostdeutschen Journalismus zu Ansehen verhalf; das betraf zum anderen die ehemalige Gewerkschaftszeitung „Tribüne“. Die Auflage des früheren Zentralorgans der SED „Neues Deutschland“ fiel von einer Million Exemplare zu DDR-Zeiten auf heute 85000, und die einstige Zeitung der FDJ „Junge Welt“ sackte von 1, 1 Millionen auf jetzt 64000 Exemplare
Das Zeitungssterben in den Jahren 1990/91 war nicht nur für die westdeutschen Verlage, die mit Neugründungen, Übernahmen und Beteiligungen ein hohes finanzielles Risiko eingegangen waren, ein empfindlicher Rückschlag, sondern bedeutete zugleich eine erhebliche Einschränkung der Pressevielfalt. Es gibt mehrere Gründe für diese Entwicklung: 1. Zeitungen aus dem linken politischen Spektrum -wie beispielsweise die überregionale Wochenzeitung der Bürgerbewegung „die andere“ die sich für sozialistische Gesellschaftsziele einsetzten, wurden von der Mehrheit der früheren DDR-Bevölkerung abgelehnt. Bis auf das „Neue Deutschland“, das über finanzielle Reserven verfügte, und die „Junge Welt“, die im Februar 1992 von einem Berliner Verleger übernommen wurde, mußten sie deshalb ihr Erscheinen einstellen. 2. Die zur kostendeckenden Herstellung der Zeitungen erforderliche Anzahl von Werbeanzeigen blieb aus. Aufgrund der Wirtschaftskrise gibt es bis heute im Osten zu wenig finanzkräftige Unternehmen mit einem ausreichenden Werbeetat. 3. Die Zeitungen der ehemaligen Blockparteien, die keine Lokalberichterstattung beinhalteten, konnten sich gegenüber den angestammten Blättern mit umfangreichem Lokalteil nicht behaupten. 4. Die Treuhandanstalt, die von der Bundesregierung mit der Privatisierung der ehemals in staatlichem Besitz befindlichen Unternehmen beauftragt worden war, trug durch ihre Verkaufspolitik zum Konkurs kleinerer Zeitungsunternehmen bei. 3. Privatisierung der auflagenstarken ehemaligen SED-Zeitungen Ohne zu beachten, daß ein Presseverlag Einfluß auf die öffentliche Meinungs-und Willensbildung nimmt und man bei dessen Verkauf folglich andere Maßstäbe anlegen muß als beim Verkauf von Industrieunternehmen, veräußerte die Treuhandanstalt auch die Verlage nach dem Höchstgebot. Diese Entscheidung wirkte sich auf die Umstrukturierung des ehemals von der SED dominierten ostdeutschen Pressewesens äußerst nachteilig aus. Neben dem Millionen-Blatt „Neues Deutschland“, das überall in der DDR erschien, gab die SED in jedem Bezirk eine weitere Zeitung heraus, deren Auflagenhöhe in drei Fällen über 500000 und sonst je nach Größe des Bezirks zwischen 230000 und 360000 Exemplaren lag. Aufgrund dieser Zahlen, die auf die ausführliche Berichterstattung über lokale oder regionale Ereignisse zurückzuführen sind, waren die Bezirkszeitungen die begehrtesten Kaufobjekte der westdeutschen Verlage, und zwar um so mehr, als es in den alten Bundesländern nur zwei Tageszeitungen mit einer Auflagen-höhe von über einer halben Million gibt Kleine und mittlere Verlage hatten aufgrund ihrer geringen Finanzkraft keine Möglichkeit, sich an dem Handel nach dem Prinzip des Höchstgebots zu beteiligen.Um Kommunikationsfreiheit und Informationsvielfalt zu gewährleisten, die laut Interpretation des Bundesverfassungsgerichtes mehr gelten als die Gesetze des Marktes wäre es unerläßlich gewesen, die einzelnen großen Zeitungen aufzuteilen und an verschiedene Verlage zu verkaufen. Da dies unterblieb, verständigten sich die westdeutschen Pressegiganten schon vor Beginn der Verkaufsverhandlungen, die im April 1991 begannen, über ihre künftigen Einzugsgebiete. Obwohl es Aufgabe des Bundeskartellamtes gewesen wäre, zu überwachen, daß ein fairer Wettbewerb stattfindet und kein Unternehmen in einem Gebiet als alleiniger Anbieter auftreten kann, sind durch den Verkauf der ostdeutschen Bezirkszeitungen an die Meistbietenden de facto Monopole entstanden. Das Kartellamt hat lediglich verhindert, daß ein Verlag zwei oder mehrere der großen Zeitungen kaufen konnte
Da nunmehr 90 Prozent des ostdeutschen Zeitungsmarktes in den Händen weniger westdeutscher Verlage sind, ist die Aufteilung des ostdeutschen Zeitungsmarktes in der ersten gesamtdeutschen Pressestatistik so bewertet worden: „Im alten Bundesgebiet herrscht eingeschränkte Vielfalt, in den neuen Bundesländern monopolisierte Einfalt.“
IV. Folgen des Strukturwandels für den ostdeutschen Journalismus
1. Personalprobleme Die brisante Frage, wie die neuen Eigentümer der ehemaligen ostdeutschen Zeitungen mit dem von ihnen übernommenen Personal verfahren würden, fand eine unerwartete Antwort. Ohne die spezifischen Bedingungen der beruflichen Sozialisation von DDR-Journalisten und deren Parteinahme für die Ziele der SED zu berücksichtigen, entschlossen sich die westdeutschen Verleger zur Weiterbeschäftigung der ostdeutschen Redakteure, sofern sie eine gute Qualifikation besaßen und noch jung genug für einen Neuanfang waren. Ihnen genügte es offenkundig, daß die Chefredakteure und einige besonders Belastete im Herbst 1989 von den Redaktionen selbst ausgewechselt worden waren.
Diese Personalpolitik stand in krassem Gegensatz zu der von westdeutschen Branchenvertretern geäußerten generellen Skepsis gegenüber den ostdeutschen Kollegen. Mit Blick auf die Tatsache, daß der parteiliche Journalismus eine der wesentlichen Stützen des DDR-Regimes war und die Abkehr davon nicht auf einer selbständigen moralischen Gewissensentscheidung des einzelnen Redakteurs beruhte, sprachen sie den Ostdeutschen die Fähigkeit zu einem objektiven, kritischen Journalismus ab. Besonderes Unbehagen bereitete vielen im Westen die Wendigkeit derjenigen, die dem SED-Staat bis zuletzt treu gedient hatten. „Scheinheiligkeit, Opportunismus und geistige Korruption“, mangelnde Glaubwürdigkeit und der Verlust der moralischen Integrität waren die am häufigsten erhobenen Vorwürfe
Wer versucht ist, diese Bewertungen mit dem Etikett des moralischen Rigorismus zu versehen, wird zu zögern beginnen, wenn er die ostdeutschen Journalisten selber hört: -„Das einzige Pfund, mit dem ich wuchern kann, ist mein Opportunismus-Vermögen“, erklärte ein Journalist ohne erkennbaren Selbtzweifel -„Wie schnell Journalisten die Kurve kriegen, da bin ich fassungslos. Welche Namen jetzt wo auftauchen... Stramme ADN-Leute, Leute aus der Agitationsabteilung des ZK sind bei , BILD‘ untergekommen.“ -„Ich kann sagen, daß es mir keinen Spaß mehr macht, wenn ich unter bestimmten Marktverhältnissen ... noch mal vermarktet werden soll... Irgendwann sollen gute Gehälter gezahlt werden, das steigert die Korruptheit, Skrupellosigkeit.“ -Ein ehemaliger DDR-Medienwissenschaftler kritisierte, daß die meisten der früher angepaßten Journalisten wieder „eine Apologetik der jetzigen (Medien-) Verhältnisse“ betreiben:
„Es hat den Anschein, als ob diese genau nach dem Typ des in der DDR gezeugten Journalisten verlangen, jedenfalls erweisen sich viele von ihnen als außerordentlich kompatibel...
Die starke Fixierung auf den Chefredakteur ist wie ehedem zu beobachten, vielen Redakteuren fehlt ein konsistentes inneres Modell von Journalismus, das sie auch gegen Widerstände zu leben bereit sind. Die meisten machen wie früher »ihren Job’ ..., kritische Selbstreflexion findet, wenn überhaupt, wiederum in Nischen statt.“ Bezieht man die seit der Vereinigung eher gewachsenen Verständigungsschwierigkeiten zwischen Ost-und Westdeutschen in die Überlegung ein, dann stellt sich die personelle Kontinuität, die insbesondere bei den Nachfolgezeitungen der SED-Bezirkspresse zu konstatieren ist, als ein äußerst widersprüchliches Phänomen dar. Es gibt Defizite, deren negative Auswirkungen nicht zu unterschätzen sind. Die teilweise unterentwickelten handwerklichen Fähigkeiten bezüglich des Recherchierens, der Informationsverarbeitung (Trennung von Information und Meinung), des sprachlichen Ausdrucks (man denke an das jahrelange praktizierte Parteideutsch) und des Arbeitens unter extremem Termindruck sind nicht das eigentliche Problem. Eine professionelle Arbeitsweise läßt sich trainieren, und intensive Umschulungsmaßnahmen zeigen, daß dies auch geschieht. Es ist in erster Linie die geistig-moralische Verfassung ehemaliger DDR-Journalisten, die Zweifel an ihrer Eignung aufkommen lassen. Identitätsprobleme, unverarbeitete Schuldgefühle und ein geringes Selbstwertgefühl sind einige der Schwierigkeiten, die die „gewendeten“ Journalisten daran hindern, die für sie völlig neue journalistische Kontrollfunktion als so-genannte vierte Gewalt wahrzunehmen. So verhalten sie sich oft defensiv, wo kritisches Nachfragen angebracht wäre, weil ihnen aufgrund der früheren politischen Verstrickung ihre fehlende Legitimation zur Kontrolle der demokratisch gewählten Politiker durchaus bewußt ist
Es gibt andererseits gute Gründe für eine Weiterbeschäftigung der ehemaligen DDR-Journalisten. Anders als ihre Kollegen aus dem Westen kennen sie die psychosoziale Befindlichkeit der Ostdeutschen, wissen sie um die Schwierigkeiten, mit einer entwerteten Biographie fertig zu werden, können sie ihren Lesern helfen, sich auf die völlig veränderten Lebensumstände einzustellen. Die Fähigkeit, authentisch und überdies in einer den Neubundesbürgern verständlichen Sprache zu berichten, spricht ebenfalls für sie. Aus eigener Betroffenheit wählen sie oftmals die richtigen Themen zum richtigen Zeitpunkt.
Die Neuorientierung nach dem Verlust aller Gewißheiten braucht Zeit, daran kann kein Zweifel bestehen. Problematisch ist allerdings, daß sich durch den Verzicht auf eine Neukonstituierung der meisten Redaktionsstäbe eine Vielzahl von Journalisten in einem Umlernprozeß befindet, so daß sich die Monopolstellung der SED-Nachfolgezeitungen noch nachteiliger auswirkt, als es durch das Fehlen eines pluralistischen Presseangebotes ohnehin der Fall ist. 2. Auswege aus dem Dilemma Zwar kann ein „harter und auch radikaler Schnitt“ bei all jenen, die in der DDR journalistisch gearbeitet haben, -so der Vorschlag des Chefredakteurs der Neuen Ruhrzeitung (NRZ) aus Essen -nicht als Ausweg aus dem Dilemma angesehen werden, ebensowenig wie die „Übernahme durch leistungsstarke und Unabhängigkeit praktizierende Redaktionen in der bisherigen West-Republik“ Denn dort, wo wichtige Positionen ausschließlich mit Westdeutschen besetzt worden sind, ergeben sich ebenfalls Defizite, wie in anderem Zusammenhang bereits dargestellt worden ist. Wie wenig die von Westdeutschen produzierten Berichte in den neuen Ländern geschätzt werden, zeigt die Tatsache, daß überregionale Blätter aus Frankfurt/Main, Hamburg oder München auf dem dortigen Markt bisher keine nennenswerte Chance haben: Weder die behandelten Themen noch deren Aufmachung entsprechen den Bedürfnissen und Erwartungen der Ostdeutschen.
Der einzig gangbare Weg, um die unterschiedlichen Erfahrungen der letzten vierzig Jahre für den Integrationsprozeß zu nutzen, scheint eine angemessene Beteiligung von Ost-und Westjournalisten in sämtlichen Redaktionen zu sein, da die tägliche enge Zusammenarbeit die beste Möglichkeit ist, um die beiderseits noch vorhandenen Ressentiments abzubauen und das gegenseitige Verständnis zu fördern. Bisher gibt es gemischte Teams nur bei den Zeitungen, die nach der Wende neu gegründet worden sind. Gerade wegen ihrer Multiplikatorenfunktion wäre auch vielen Journalisten die Erfahrung zu wünschen, daß das Zusammenwachsen nur durch ein verständnisvolles Miteinander gelingen kann.