Das Spiel ist aus! Die Staatskommissare beziehen langsam bedrohlich Stellung; schließlich ist der Parvenü vom Main schon mehrfach angemahnt worden. Die Politiker befinden sich bereits auf dem Rückzug. Am Römerberg stapeln sich ihre leeren Bauchläden. Am Theater stopfen sich einige Abzocker noch rasch ihre Taschen mit Abfindungssummen voll. Währenddessen schwärmen die Kulturschwadroneure noch unentwegt aus und verbreiten Nebel -es herrscht Smoggefahr in der Mainmetropole! Noch rechtzeitig besteigt der Kulturserenissimus den Helikopter am Paulsplatz, um künftig für den größten Sohn der Stadt über den Wolken zu schweben. Doch die Szene erinnert eher an einen „Tatort“, wenn Ivan Desny vornehm seiner Verhaftung entgeht.
Die Rede ist vom Fall der lange Zeit so modellhaften Frankfurter Kulturpolitik, der „neuen“, wie man sie zu Beginn der siebziger Jahre genannt hat, ehe sie am Ende der achtziger sogar zur „neuen neuen“ stilisiert wurde. Darunter durfte man sich freilich nicht mehr als eine freundliche Abgrenzung vom einfachen „Neuen“ vorstellen, das manchem bunten „Neuneuen“ denn doch zu volks-pädagogisch altbacken vorgekommen sein mag. So stellt sich die Frankfurter Kulturpolitik im Rückblick wie eine vierteilige Genealogie dar: -Am Anfang war eine leicht angestrengt daher-kommende konkrete Utopie, Kultur als „Emanzipation“ zu begreifen; einst war damit der tägliche Kulturkampf angesagt. -Sodann folgte die Phase der „Instrumentalisierung“; Kultur wurde zum ökonomisch bedeutsamen „Standortfaktor“. -Aus dem Krähwinkel heraus mauserte sich eine urbanistisch gewendete Kulturlinke und zimmerte emsig am postmodernen Überbau der „Scheckbuchkultur“. -Doch es half wenig -ohne Geld, Geist und Moral ist auch die einst so ruhmreiche Frankfurter Kulturpolitik jetzt an ihr Ende gelangt. Zwischen einer „Rühr-mich-nicht-an“ -Pose und platten Vorschlägen zur Deregulation ist kein Sparkonzept erkennbar, das eine „Low-Budget“ -Kultur zu denken imstande wäre.
I. Der sozialdemokratische Reformismus und die progressiven Anfänge in den siebziger Jahren
Mit dem Zulauf von Literaten seit Mitte der sechziger Jahre verfiel die SPD dem selbstgerechten Glauben, sie könne gleichsam gratis eine verängstigte Schriftstellerzunft auf ihr Wahlkampf-konto abbuchen. Erst mit kulturpolitischen Überfliegern wie Hermann Glaser in Nürnberg oder Hilmar Hoffmann in Frankfurt schien die Partei zu Beginn der siebziger Jahre ihr verstaubtes Kultur-ideal langsam loszuwerden, das mit der sklavisch-kleinmütigen Orientierung an den deutschen Klassikern auf die Angleichung an den bürgerlichen Bildungsstandard gesetzt hatte.
Diese unreflektierte Übernahme eines Begriffs vom Wesen der Kunst als dem interesselosen Schönen ging jeder sozialdemokratischen Kulturpolitik voraus; der ästhetische Erfahrungsbegriff war mehr am nachweltlichen Ruhm orientiert als an der Authentizität der künstlerischen Modernen. Die sozialdemokratische Bildungsparole „Wissen ist Macht“ mündete über Jahre in jene kulturpolitische Freizeitveranstaltung, für die beispielhaft stets die berühmte Busfahrt der Arbeiterwohlfahrt zum Riemenschneider-Altar stand. Aber auch der junge Hilmar Hoffmann stand in seinen frühen Oberhausener Jahren für diese Tradition: „Wagner für Arbeiter“.
Mit Koryphäen wie Glaser („Bürgerrecht Kultur“) und Hoffmann („Kultur für alle“) gewann die SPD jedoch ein neues, progressives kulturpolitisches Image, das jene weniger rühmliche Kontinuität der Partei vorübergehend in Vergessenheit geraten ließ, über die Fritz J. Raddatz einst gespottet hatte: „Es ist ja nicht wahr, daß diese Partei traditionsgemäß auf Seiten der Kultur stand..., es ist nicht wahr, daß je und irgendwo die Sozialdemokratie Mut zum künstlerischen Experiment hatte.“
Die neue Frankfurter Kulturpolitik fügte sich seinerzeit in den sozialdemokratischen Reformismus der frühen siebziger Jahre ein. Emanzipation, Demokratisierung, Kommunikation und Ausdehnung der Partizipation auf den kulturellen Sektor hießen damals die Leitvorstellungen: „Kunst als Kommunikationsmodell für die Masse als Möglichkeit fürkulturelles Lernen und für Emanzipation“ -so umschrieb Hilmar Hoffmann noch 1974 das Ziel seiner damals so arg befehdeten kommunalen Kultur-politik.
Kulturpolitik erschien mithin auch als Antwort auf gesellschaftliche Umbrüche und Krisen, „auf die Umstrukturierung des Produktionsprozesses mit geänderten Anforderungen an das Arbeitsvermögen und ein verändertes Freizeitverhalten, die Krise und Reurbanisierung der Städte, den Legitimationsverlust des politischen Systems und die Änderung der gesellschaftlichen Orientierungsmuster und Wertvorstellungen“. So formulierte es Bernd Wagner, der in mehreren Veröffentlichungen den Werdegang der neuen Kulturpolitik in den siebziger und achtziger Jahren beschrieben hat. Nachdem Hilmar Hoffmann schon als Oberhausener Kulturdezernent durchgesetzt hatte, daß der Kulturetat von 3, 5 Prozent in aller Zukunft nicht mehr unterschritten werden dürfe, trimmte er ihn in den folgenden zwanzig Jahren seiner Frankfurter Zeit von 5 auf sage und schreibe 11, 5 Prozent des gesamten städtischen Haushalts.
In Frankfurt wurde das erste Kommunale Kino in der Bundesrepublik eröffnet, die Mitbestimmung an den Städtischen Bühnen eingeführt und jenes Historische Museum eröffnet, das wegen seines Vorbildcharakters an progressiver Museumspädagogik schwersten Anfeindungen von rechts ausgesetzt war. Es begannen die heftigen Kulturkämpfe zwischen 1972 und 1974 gegen die Frankfurter Kulturpolitik und die Hessischen Rahmenrichtlinien des damaligen Kultusministers Ludwig von Friede-burg. Reiner Werner Faßbinder kam als Direktor ans Theater am Turm, es begannen die jährlich stattfindenden Römerberggespräche. Das Kultur-programm expandierte: Jazz allerorten, Lieder im Park, das Summertime-Programm, Folklore und Rockmusik auf öffentlichen Plätzen, in Parks und Gebäuden: „Soziokultur, Massenkultur, Altemativkultur, kulturelle Reformen und Betätigungen, über die man von offizieller Seite nur die Nase rümpfte, wurden als integraler Bestandteil der Kultur anerkannt und somit Gegenstand der Kulturpolitik und kommunaler Kulturförderung.“ Bernd Wagner betont, daß dies damals nicht per Haushaltsumverteilung, sondern durch die Auf-stockung der finanziellen Mittel bewegt wurde. „Was waren das für Zeiten!“, schwärmte Hilmar Hoffmann rückblickend im alternativen Stadt-magazin „Pflasterstrand“ über die Mitbestimmung am Frankfurter Schauspiel. „Was waren das für Jahre, ohne daß einmal der Etat der Städtischen Bühnen angehoben werden mußte. Das Ensemble hat keinen Urlaub gemacht, niemand ist ausgeschert und hat ein TV-Angebot angenommen, sondern alle haben diskutiert und gemeinsam gearbeitet. Mitbestimmung entsprach eben der damaligen gesellschaftlichen Situation und konnte in der Zeit Spannendes leisten.“
II. Der kulturpolitische Imagegewinn der CDU in den achtziger Jahren
Obwohl die CDU 1977 ihren erfolgreichen Kommunalwahlkampf hauptsächlich gegen den Frankfurter Kulturchef und dessen „linksideologische Kulturpolitik“ geführt hatte, übernahm der neue Oberbürgermeister Walter Wall-mann den zuvor so angefeindeten Hoffmann vor allem, um „Ruhe an der kulturellen Front“ herzustellen. Damit schlug der Nachfolger Rudi Arndts zwei Fliegen mit einer Klappe: Die CDU sollte endlich ihr Image der Kulturfeindlichkeit loswerden, aber auch Wallmann seinen Ruf, nur ein erzkonservativer Kreuzzugspolitiker zu sein. So entstand die Legende vom Fürsten (Wallmann) und seinem Baumeister (Hoffmann) -mit dem Geheimen Rat (Alexander Gauland) als Bindeglied.
Bis Wallmann galt die CDU in kulturellen Dingen eher als Zensurpartei. Das kulturpolitische Sündenregister bis zur Bonner Wende haftete der Union wie ein Kainsmal an. Hatte es da nicht eine finstere Bilanz gegeben: die Gleichsetzung der Spätlyrik Brechts mit dem Horst-Wessel-Lied, die Verhinderung von Wedekind-Aufführungen, das berühmt-berüchtigte Pinscherzitat Ludwig Erhards, den Bildersturm Philipp Jenningers u. a. auf Staeck-Plakate oder die „Ratten und Schmeißfliegen“ des Kanzlerkandidaten Strauß.
Und seit der Wende gehörten immer noch öffentliche Ausfälle Zimmermanns gegen Achtembusch, Kohls späte und kaum glaubliche Entschuldigung im Vatikan für Hochhuths „Stellvertreter“ oder manche Tiefschläge aus Bayern gegen die auswärtige Kulturpolitik des Goethe-Institutes zum „guten“ Ton. Aber gleichzeitig sollte sich auch die neue Losung „Kultur als Staatsreklame“ durchsetzen. Lothar Späth erkannte als nächster nach Wallmann das strategische Gewicht der Kultur-politik, holte den Dirigenten Gönnenwein an den Kabinettstisch und betrieb den bei Jack Lang abgeguckten „Gründungsboom“ von Kultureinrichtungen als „wechselseitige Katalyse kultureller und technologischer Modernität“ (Ingo Arend). 1977, als die große Gielen-Ära an der Frankfurter Oper mit Hans Hollmanns Don-Giovanni-Inszenierung begann, sonnte sich auch der frischgebakkene CDU-OB im progressiven Glanz eines neuenOpern-Regietheaters, obwohl dieses sich mit der hermeneutisch luziden Neuinszenierung von Opernklassikern gerade am konservativ-gewohnheitsorientierten Geschmackspublikum versündigen sollte. Und mit der kunstarchitektonischen Kulturpolitik an der Alten Oper, dem imposanten Museumsufer und der Ausstellungshalle Schirn spielten sich plötzlich auch CDU-Hinterbänkler wie generöse Mäzene auf, die zuvor beim Wort Kunst noch die Faust in der Tasche geballt gehalten hatten.
Derweil verzagte die Frankfurter Kulturlinke; zur neuen „Scheckbuchkultur“ Wallmanns und Hoffmanns mochte man kein Verhältnis gewinnen. Lieber ließ man sich von den Hofsängern des neuen Gleichklangs zwischen Kultur und Ökonomie das Schuhwerk des Kulturprovinzialismus verpassen. Als dann auch noch das Drama um die Absetzung der symbolisch hochbesetzten Mitbestimmung am Frankfurter Schauspiel seinen Lauf nahm, schien Hoffmann alle Sympathien bei den Linken eingebüßt zu haben. Dabei hatte der gewiefte Pragmatiker gar nicht anders gekonnt, als sie aus dem Spiel zu nehmen, nachdem sie zum Selbstbedienungsladen der Ensemblemitglieder zu verkommen schien. Als schließlich RAF-Sympathisanten aus dem Ensemble während einer Vorstellung im Schauspielhaus demonstrierten, waren es eher Linke, die Hoffmann im CDU-Magistrat vor Probleme gestellt hatten. Mit Spontis im Ensemble, die nur nach Lust und Laune spielten, ließ sich nämlich kein gewöhnlicher Abonnenten-Spielbetrieb mehr aufrechterhalten.
In der Auseinandersetzung mit der neuen kulturpolitischen Profilierung Wallmanns leistete sich die rot-grüne Frankfurter Opposition viele Niederlagen. Beide Parteien waren vorübergehend aus der Frankfurter Kulturpolitik weggetaucht und meldeten sich nur verschreckt defensiv oder kleinkrämerisch zu Wort, mit haushaltspolitischer Beckmesserei oder als Subventionsabstauber.
Der SPD unterliefen in der Auseinandersetzung mit der Kulturpolitik Wallmanns unter der fragwürdigen Berufung auf eine „kulturelle Bedürfnis-befriedigung“ einige kunstfeindliche Ausrutscher. Etwa wenn Wallmann-Vorgänger Rudi Arndt sich an der kostenaufwendigen Berücksichtigung einer optimalen Akustik beim Wiederaufbau der Alten Oper stieß: „Das Bedürfnis, Kammermusik in dieser akustischen Vollkommenheit zu verfolgen, haben mit Sicherheit die 98 Prozent Bevölkerung, an die wir bei dem Wiederaufbau des Opernhauses gedacht haben, nicht.“ Doch bei aller Kritik -was war so unsozialdemokratisch am neokonservativen Konzept eines kulissenhaft wiederzugewinnenden „Bürgerstolzes“, gemessen an der kulturpolitischen Tradition der SPD, die doch auch eher an Musealität und Kontemplation orientiert war? Wer seinerzeit etwa Wallmanns Rede zur Eröffnung der Alten Oper (1981) mit der Ansprache Klaus von Dohnanyis zur Wiedereröffnung des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg (1984) und deren „dumm-stolzes Eigentumsverhältnis zu den Klassikern“ (Henning Rischbieter) verglich, der konnte kaum Differenzen feststellen.
Es klang einmal spannend, verhieß neue Impulse, als der taufrischen Alternativbewegung noch nachgesagt werden konnte, sie adle ihr ästhetizistisches Lebensgefühl durch Kunst. Doch dies sollte sich als blanker Euphemismus herausstellen. Im Grunde wiederholte der überwiegende Teil der grünen Partei nur das gestörte Verhältnis zur Kunst, wie es schon Herbert Marcuse Teilen der 68er-Bewegung in seiner Schrift „Die Permanenz der Kunst. Wider eine bestimmte marxistische Ästhetik“ vorgehalten hatte. Die Bewegung hatte in Wahrheit „viel mehr Füße als Köpfe“: „Außer vagen Vermutungen über Nachbarschaft existiert hier nichts“ (Walter Prigge). Statt dessen schälte sich ein über Jahre im eigenen Safte schmorender Generalismus von kulturellen Hobbyhandwerkern heraus. Unter der denunziatorischen Abmeldung von der „bürgerlichen Kultur“ litt das propagierte „demokratische“ Kulturverständnis, das die soziale Phantasie einer Basis-und Stadtteilkultur und die kritische Aneignung der Bürgerkultur aufeinander beziehen wollte.
Mit dem kleinmütigen Gerede von den „Repräsentations-und Prestigebauten“ wurde der Eindruck erweckt, als habe man es in der Alten Oper noch mit dem überlebten Typus eines sich abschottenden Bildungsbürgertums zu tun. Mancher Linke brüstete sich borniert über Jahre damit, das Innere der Alten Oper eisern gemieden zu haben -ganz im Stile Helmut Kohls und seiner Interviewverweigerung gegenüber „Spiegel“ und „Stern“. Daher bekannte Ende der achtziger Jahre Daniel Cohn-Bendit: „Mit unserem kleinlichen Anti-Repräsentationsfeldzug haben wir der CDU Wallmannscher Prägung das urbane Feld kampflos überlassen.“
Die schlimmsten Eigentore der Grünen wurden in der Auseinandersetzung um die Verleihung des Goethepreises an Emst Jünger 1982 geschossen. Die seltsame Wiederkehr der schnöden Argumente einer Kunstzensur wie des Radikalenerlasses mußten Peinlichkeitsgefühle hervorrufen. Am Ende sah sich mancher Linke sogar genötigt, zähneknirschend in die Rolle des advocatus diaboli zu schlüpfen, um den repressiven Argumenten der grünen Römer-Fraktion keine Geltung zu verschaffen. Joschka Fischer bemerkte dazu seinerzeit: „Ein Eingriff der Politik in die Freiheit derKunst wird dadurch nicht besser, daß er, statt wie bisher üblich von rechts, nunmehr von linker und alternativer Seite kommt; er scheint mir eher noch verwerflicher zu sein, mißt man ihn an dem dieser politischen Richtung eigenen Freiheitspathos.“
Die Frankfurter Kulturpolitik während der Wallmann-Ära war ein schwieriges Unterfangen wegen ihrer legitimationsstrategischen Doppelbödigkeit. Da kursierte das Stichwort vom „kulturellen Ferment der Gesellschaft“, dessen Urheberschaft sich die Ghostwriter Wall-und Hoffmanns gegenseitig streitig zu machen versuchten, obgleich doch beide Politiker -nahm man sie bei ihren öffentlichen Sonntagsreden -Konträres darunter verstanden. Während der Kulturdezement unverdrossen „seine“ Politik als progressive Chance einer aktiven Mitwirkung darzustellen versuchte, begnügte sich die CDU meist mit dem schönen Schein eines neuen, kunstarchitektonisch aufgemöbelten Stadt-zentrums. 1979 hatte Hilmar Hoffmann seine Botschaft „Kultur für alle“ noch als parteipolitische Grußadresse an seine verärgerten Genossen gerichtet, „um zu zeigen, wo ich stehe“ -viele hatten ihm die Mitarbeit im CDU-Magistrat verübelt. Doch mit der Zeit wurde geargwöhnt, „Kultur für alle“ sei zum Motto einer postmodernen Beliebigkeit verkommen -etwa zum „Kultur für alles“ oder „Alles ist Kultur“ oder „Kultur für jeden Geschmack“.
Jürgen Habermas hatte seinerzeit darauf hingewiesen, daß sich die neohistoristische Rückkehr in der Architektur zum Eklektizismus des vergangenen Jahrhunderts vornehmlich „kompensatorischen Bedürfnissen“ verdanke. Der politische Neokonservatismus verwandle auf diese Weise Probleme, „die auf einer anderen Ebene“ lägen, in „Stilfragen“, um sie damit dem öffentlichen Bewußtsein zu entziehen. Trotz seiner Sympathien für die Wieder-entdeckung der Kultur in der Politik beschrieb auch Hilmar Hoffmann indirekt die mit der neokonservativen „Stil" -Strategie einhergehende Gefahr, Kultur bloß als „Dekoration zu gebrauchen, mit der sich Politiker gern schmücken, um mit geborgtem Glanz die eigene Mittelmäßigkeit zu überdecken“. Die oppositionelle Linke fand bei solchen Auseinandersetzungen nur selten das Wort.
Eine differenzierte, ernsthafte Kritik am „Reiz und Unbehagen“ des „neuen Frankfurts“ wurde nicht geleistet, wie sie etwa von den Architekturkritikern Dieter Bartetzko und Wolfgang Pehnt versucht worden war. Erwähnt sei nur die Kritik an „der doppelbödigen Qualität einer Allianz aus postmodernem Neubau und Pseudo-Denkmalspflege“ sowie der Schwierigkeit, zwischen „Architektur gewordener Nostalgie“ und der angestrebten „ironisierten Erinnerung“ noch unterscheiden zu können. Dadurch -so Bartetzko -sei im „neuen Frankfurt“ die Grenze zwischen „erträglichem“ und „anbiederndem" Bauen nur „hauchdünn“ auszumachen. So mußte Hilmar Hoffmann bei seinen progressiven Lesarten der aufwendigen Frankfurter Kulturprojekte oftmals Argumentationsartistik vorführen -etwa hinsichtlich des Museumsufers, wo die Architektur als „brillantes Überkunstwerk gegen die... aufbewahrten Kunstwerke antritt“ (Wolfgang Pehnt). Kein Wunder, daß sich gegen eine als „populäre Zerstreuung“ mißverstandene „Kultur für alle“ auch rechtsadomistischer Argwohn zu Wort meldete; er kam aus der Ecke derjenigen, die sich von den nachdrängenden Sonntags-massen am Museumsufer bei ihrem hermetischen Kunstgenuß in die Hacken getreten fühlten.
III. Die urbanistische Linke und der Jargon der Kultureigentlichkeit
Doch die Frankfurter Linke freundete sich allmählich mit dem „neuen neuen“ Frankfurt an, um ein noch neueres Frankfurt zur Vision zu erheben: das urbanistisch gewendete Metropolen-Frankfurt. Frankfurt, der schier unerträgliche Parvenü und Wichtigtuer unter den bundesdeutschen Großstädten, galt als Multiplikator aller postmodernen Unarten. Nach dem altlinken Häßlichkeits-und Authentizitäts-Mythos der sechziger Jahre hatte dann unter Wallmann die „urbanistische Überwindung des alten sozialtechnokratischen Stadtkonzepts“ begonnen, wo nunmehr selbst die randständige Linke vom neokonservativen Werbeprospekt einer wiedererstandenen Mainmetropole zwischen „Kultur und Kommerz“, „Tradition und Moderne“, „Geschäftssinn und Solidarität“, „Gemütlichkeit und Schick“ mitgerissen wurde. .
Für manchen Betrachter hatte die neue Entwicklung nicht nur eine Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile gebracht: Auch die früher so bekrittelte Kulturindustrie wurde nunmehr postadomistisch als wichtiges Element fortschreitender Aufklärung umgedeutet. Diesem „neuen Behagen in der Kultur“, wie es Bernhard Uske nennt, fehlen seiner Ansicht nach „Abgrenzungskriterien für die privatwirtschaftlich verfaßte Kulturindustrie gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Kulturbereich“; der ästhetische Geltungsbereich würde nur mehr funktionalistisch formiert; andererseits verhalte sich das Konzept einer aufklärerischen Kulturindustrie ignorant „gegenüber der sich formierenden privatrechtlichen Mediokratie mit ihrem Strukturwandel öffentlicher Kulturvermittlung“.Die urbanistische Kulturlinke verwechselte aber nicht nur Kulturbetrieb mit Kulturindustrie und Kultur mit Kulturpolitik, sondern auch die große Provinz Frankfurt mit einer Kulturmetropole. So wurde der Jargon der Kultur-Eigentlichkeit sprichwörtlich und lieferte den ideologischen Kitt für die einst so bekämpfte „Scheckbuchkultur“. Den Kem bildete dabei ein Vulgärhabermasianismus, der sich um eine Diskurs-Phraseologie zentriert, die von der „Streitkultur“ bis zum „Gegen-denStrich-Bürsten“ reicht. Nicht zu vergessen die Floskel von der Neuen Unübersichtlichkeit, jener von Habermas vor zehn Jahren eingeführte Begriff für die schwierige Einordnung weltpolitischer Probleme in das gängige Rechts-Links-Schema, der mittlerweile völlig ins postmoderne Anything Goes eingespeist worden ist und seitdem nur noch als postmaterialistischer Willkommensgruß für die Individualisierung der Lebensstile gilt oder ein Überraschungspotential beim ideologischen Hammel-sprung umschreibt.
Auch Verfassungspatriotismus, der von Habermas universalistisch geadelte Begriff Dolf Stembergers, wurde popularisiert und kam als Ausdruck der plötzlichen Zufriedenheit mit vierzig Jahren Bundesrepublik wieder. Wo doch Habermas von einer Sein-Sollens-Spannung des Grundgesetzes ausgegangen war! Jener Verfassungspatriotismus nach Neu-Frankfurter Lesart glich nun eher einem Radikalenerlaß gegen unberechenbare und kultur-verspätete „Ossies“.
Die rot-grüne Botschaft zur Wahl von 1989 war nach dem Schwenk vieler Linker nur ein Abklatsch. Volker Hauff versprach den Frankfurtern, ein besserer Erbe Wallmanns zu sein als dessen blasser christkonservativer Nachfolger Wolfram Brück. Doch das war zu wenig und zudem trügerisch, denn die Kulturboom-Zeiten, da der neue Wallmann den alten noch vergessen machen konnte, waren ein für allemal vorüber. Mit der Hoffmann-Nachfolgerin Linda Reisch schienen zudem jene postlinken Kulturkreise endlich auch ihre passende Dezernentin bekommen zu haben. Sie mußte das undankbarste Kulturamt der Republik übernehmen, hatte ihr doch der Vorgänger nicht nur den Glanz des höchsten Kulturanteils aller deutschen Städte, sondern auch etliche kostenintensive Abfindungs-Leichen wie den General-manager Ulrich Schwab oder den gescheiterten Operndirektor Gary Bertini hinterlassen. Als Besitzstandsbewahrerin oder als Sparkommissarin schien die eher an einem aufwendigen Kampagnen-Verständnis von Kulturpolitik orientierte Dezernentin wenig geeignet zu sein.
Aber auch in Zeiten knappen Geldes wurde unbeirrt an der Praxis kostspieliger Einkäufe festgehalten, denn die überambitionierte neue Kulturdezernentin hätte sich auch allzugern mit einem kulturellen Großvorhaben in die Römer-Annalen eingetragen. Doch am Ende zerrannen ihr alle Wunschprojekte zwischen den Fingern. Erst nach einer Rücktrittsdrohung gewährte ihr die SPD eine kleine Anstandssumme für das Lieblingsprojekt einer „Akademie der Künste“, von der sich selbst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ distanzierte: „Brauchen wir eine Akademie, die sich die Nachbereitung unzähliger Fernsehrunden und Talkshows... zur Aufgabe macht?“ Ebenso wurde Reisch das starre Festhalten an einer Spartenteilung an den Städtischen Bühnen von der „Frankfurter Rundschau“ als ideologische Borniertheit vorgehalten, nachdem sich der angestrebte Kostenspareffekt nicht nur nicht einstellen wollte, sondern Mehrkosten von weiteren 2, 5 Millionen DM entstanden waren. Die vielbeschworene Strukturreform in der Kulturverwaltung blieb ein frommer Wunsch, zumal wenn -wie die FAZ schrieb -mit der Beschwörung einer „Erlebniskultur“ nur „die Konkurrenz der Städte untereinander als eine Art Kulturkampf“ begriffen werde.
Während der Laden pleite ging, folgte der postmodernen Reideologisierung von Kulturpolitik die Schickimicki-Versumpfung auf dem Fuße. An den Städtischen Bühnen z. B. war es zu unglaublichen Abzockereien von Abfindungen trotz erwiesener Inkompetenz gekommen (die Fälle Bertini-Markow, Eschberg-Füllenbach!). Mißmanagement und Geldverschwendung desavouierten den Kulturbetrieb weitgehend, vor allem den Theaterbereich. Auf die Frage, ob sich das Theater zu einer „unmoralischen Anstalt“ entwickelt habe, antwortete Altdezernent Hoffmann lapidar: „Der Eindruck ist leider zutreffend ... Am Theater gibt es immer mehr , Genies 4, Genies im Verhandeln, die Unverschämtes fordern und von hilflosen Kultur-verwaltern auch erhalten.“
IV. Das Deregulationsfinale
Aber noch einmal trommelten und tönten die neourbanistischen Frankfurttümler zur Kommunalwahl am 17. März dieses Jahres. „Es wird also aus Frankfurt ein Zeichen in die Welt gehen“, weissagte kühn die „Süddeutsche Zeitung“, weil Frankfurt eine Stadt „der Tradition, Toleranz und Weltoffenheit“ sei. Ganze Heerscharen schworen in Lichterketten vor der Wahl, daß in dieser Stadt mit ihrer „gelebten Multikulturalität“ und „intakten Fremdenfreundlichkeit“ die Partei Schön-hubers kein Bein auf den Boden bekommen undRot-Grün sich souverän behaupten würde. Dementsprechend groß war der Katzenjammer hinterher. Rot-Grün hatte sich bei schweren Verlusten der SPD gerade noch durchs Ziel gerettet, die CDU aber stellte unter der relativ unbekannten Spitzenkandidatin Petra Roth die stärkste Fraktion, und Franz Schönhuber nahm die Hürde spielend. Als Ouvertüre zu den ersten rot-grünen Koalitionsverhandlungen nach der Wahl hatte die Kulturdezernentin noch ein umfangreiches Umbau-Programm präsentiert, das freilich nach den ersten Kürzungsplänen schon Makulatur sein sollte. Auf zwei Jahre wurde ein Abspecken des Kulturetats von 450 Millionen DM um 50 Millionen DM andiskutiert, halbwegs beschlossen, ad absurdum geführt, rückgängig gemacht, wieder gefordert, aber zeitlich gestreckt. Der Kampf um die Kultur-pfründe begann, heilloses Entsetzen brach in der Szene aus. Die Kulturschwadroneure zogen durch die Cafs und Feuilletonspalten, sahen die Barbarei heraufziehen und vergriffen sich häufig im Ton, wenn etwa schamlose Parallelen gezogen wurden -wie zum Beispiel die zwischen dem Aderlaß der Kulturszene zu Zeiten des Nationalsozialismus und dem möglicherweise zu erwartenden infolge der aktuellen Sparsituation im luxuriösen Frankfurt: „Wenn Kulturen zerfallen und Weltsichten auf die Vordergründigkeiten des Alltagsgeschehens reduziert werden, folgt Verwilderung“, so Wolf Singer, Direktor des Max-Planck-Instituts. Doch die „Verwilderung“ beginnt in Frankfurt nicht jenseits der Kultur. Ebenso hysterisch klangen häufig Vermutungen über eine Interdependenz zwischen Kulturabbau und wachsender Xenophobie an.
Es war also kein Wunder, daß auch die urbanistischen Frankfurt-Illusionen wie ein Kartenhaus zusammenfielen. Frankfurt war plötzlich nicht mehr „Metropole“ und „die Stadt“, sondern „zu klein für die große Kultur“ (G. Rohde). Peter Iden machte gar eine „traditionelle Frankfurter Indifferenz gegenüber der Kunst“ ausfindig, während Gerhard Rohde „die Psyche der Frankfurter Bürger ohnehin eher auf Idylle eingestimmt“ sah. Kein arrogantes Klischee gegenüber den „kulturtauben“ Parteien schien billig genug, um nicht doch noch aus der Schublade gezogen zu werden. SPD-Kulturpolitik dürfe sich nicht auf die „Förderung von Mundartdichtung und Kamevalsvereinen reduzieren“ (Frankfurter Rundschau). Die Kultur schien nicht mehr „auf der Höhe ihrer eigenen Wirklichkeit“, wie Reinhard Mohr schrieb.
Die Kulturdezernentin betrieb zunächst weiterhin einen rigiden Ressortegoismus („Theater schließt man nicht wie Schwimmbäder“), was vor allem von grüner Seite heftig kritisiert und eher als Beitrag der Kultur zur Entsolidarisierung empfunden wurde. Eine Kulturpolitik hatte endgültig abgedankt, die mit der linken Hand das Sparen den anderen Ressorts überließ und mit der rechten nach wie vor äußerst großzügig Dotationen und Pfründen verteilte -wie im Falle des künftigen Operndirektors Sylvain Cambreling, der mit 860000 Mark doppelt soviel verdienen wird wie sein ohnehin schon gigantisch überbezahlter Vorgänger Bertini.
Es war wie das letzte Knirschen einer gestrandeten Kulturpolitik: Während Hoffmann neuerdings in einem Anflug von Chuzpe die Resultate seiner „Scheckbuchkultur“ in der Wallmann-Ära gegen seine progressiven Anfänge auszuspielen versucht, paddelt seine Nachfolgerin nur noch in neoliberalistisch flachen Gewässern: Die Kulturkürzungsdebatte droht zum reinen Deregulationsproblem (Stichwort: Apparateverschlankung) reduziert zu werden. Daß sich dabei jene, die sich zuvor als großzügige Abfindungsmanager betätigt haben, hinterher gegenüber anderen als strenge Theater-Deregulatoren und rigide Stellenstreicher zu Wort melden, gehört zu den typischen Frankfurter Ungereimtheiten einer moralisch in Mißkredit gekommenen Szene.
Wo der Laden zwar pleite war, aber der Geist noch Zuckungen verspüren ließ, blieb zumindest Spielraum für Liebhaberei und Legendenbildung. Wo aber Laden und Geist gleichermaßen pleite sind, da muß auch die Politik Konkurs anmelden. -Der Helikopter mit dem Serenissimus hat indessen längst abgehoben und den Frankfurter Boden verlassen. Trotz der Nebelschwaden der Kulturschwadroneure kann er vielleicht drunten am Main einen Menschenauflauf erkennen. Während in den Museen die letzten Exponate verscheuert werden, drängen sich die Massen nichtsahnend zum Museumsuferfest.