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Arbeitslosenarbeit in den neuen Bundesländern. Eine Bilanz nach drei Jahren Massenarbeitslosigkeit | APuZ 35/1993 | bpb.de

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APuZ 35/1993 Arbeitslosigkeit in der vereinigten Bundesrepublik Deutschland Massenentlassungen, Mobilität und Arbeitsmarktpolitik. Das Beispiel zweier ostdeutscher Großbetriebe In die beschäftigungspolitische Abseitsfalle? Die Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung in den neuen Bundesländern Arbeitslosenarbeit in den neuen Bundesländern. Eine Bilanz nach drei Jahren Massenarbeitslosigkeit

Arbeitslosenarbeit in den neuen Bundesländern. Eine Bilanz nach drei Jahren Massenarbeitslosigkeit

Friedhelm Wolski-Prenger

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Zusammenfassung

Arbeit mit Arbeitslosen -Arbeitslosenarbeit -wird in den neuen Bundesländern wesentlich vom Arbeitslosenverband Deutschland e. V. (ALV) geleistet, der in der Wende von Soziologen der DDR gegründet wurde. Der ALV gliederte sich zunächst in Bezirks-und später -nach Wiederherstellung der Länder -in Landesverbände. Auf der Ebene der Kreise gibt es inzwischen über 200 örtliche Beratungsstellen. Am Beispiel der Beratungsstelle Dresden wird gezeigt, wie sich die Arbeitslosenarbeit des ALV konkret darstellt. Außerdem werden die in Thüringen und in Mecklenburg-Vorpommern gegründeten „Arbeitslosen-initiativen“ vorgestellt, die Probleme und Perspektiven kirchlicher Arbeitslosenarbeit diskutiert und die gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit am Beispiel der IG Metall beschrieben. Angesichts der gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Massenarbeitslosigkeit und der von den betroffenen Menschen zu tragenden materiellen, psychischen und sozialen Lasten wird für eine Ausweitung, Intensivierung und vor allem eine wesentlich verbesserte Finanzierung der Arbeitslosenarbeit in ganz Deutschland plädiert.

I. Arbeitslosenarbeit in der alten Bundesrepublik -Zur Entstehung eines paradoxen Begriffes

1. Kirchliche Arbeitslosenarbeit

Entsprechend dem Vorsprung der Evangelischen Kirche bei der Wahrnehmung der Massen-und Langzeitarbeitslosigkeit als individuelles und soziales Problem wurde ab 1974 zunächst im evangelischen Bereich, vor allem bei der Diakonie und der Industrie-und Sozialarbeit, Arbeit mit Arbeitslosen geleistet Da damals überwiegend sogenannte „Problemgruppen“ von der Arbeitsmarktkrise betroffen waren, versuchte die evangelische Industrie-und Sozialarbeit ab Mitte der siebziger Jahre, Bildungs-und Qualifizierungsmaßnahmen mit den Betroffenen durchzuführen.

Bald wurde jedoch erkannt, daß Arbeitslose eine besonders schwer ansprechbare Gruppe darstellen. Arbeitslosigkeit ist in der Erwerbsgesellschaft mit Stigmatisierung, Diskriminierung und gravierenden psychosozialen Belastungen verbunden Schon die Bereitschaft, an einer Bildungsmaßnahme für Arbeitslose teilzunehmen, erfordert die Anerkennung des eigenen Status, die zu leisten erhebliche psychische Belastungen verursacht. Die evangelische Industrie-und Sozialarbeit zog aus dieser Erkenntnis die Konsequenz, Ansprache-möglichkeiten für Arbeitslose zu schaffen. Man stellte sich dazu Anlaufstellen nach dem Vorbild von Erziehungsberatungsstellen vor; aus dieser Konzeption entstanden die ersten Arbeitslosen-zentren in Trägerschaft Diakonischer Werke oder von Kirchenkreisen, in denen früh auf die profes-sionelle Mitarbeit von Sozialarbeiter(innen) gesetzt wurde. Analog etwa zu den Begriffen Alten-arbeit, Jugendarbeit oder der Industrie-und Sozialarbeit wurde die Beratung und Betreuung vor allem längerfristig Arbeitsloser als „Arbeitslosenarbeitbezeichnet. .

In einer Reihe sozialethischer Grundsatztexte ist die Ausgangsposition für das inzwischen weitgefächerte Angebot an kirchlicher Arbeitslosenarbeit dargelegt. Ein Beispiel aus der 7. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sei angeführt: „Die Kirche darf nicht schweigen und untätig sein, wenn Mitmenschen infolge von Arbeitslosigkeit die Erfahrung bedrückender Perspektivlosigkeit, Sinnlosigkeit und gesellschaftlicher Isolierung machen, wenn Mitmenschen körperlich und seelisch krank werden, in finanzieller Sorge leben und zunehmend ins Abseits geraten.“

Soziale Arbeitslosenarbeit machten sich in der Folge auch nichtkonfessionelle Wohlfahrtsverbände, wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV), Aufgabe.

2. Gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit

Gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit entwickelt sich in den alten Bundesländern, verglichen mit den evangelischen oder auch den katholischen Bemühungen bzw.den Ansätzen einer Selbsthilfebewegung Betroffener relativ spät. Lange Zeit (und in einigen Bereichen bis heute) wurde Arbeitslo­ sigkeit auch in den Gewerkschaften individualisiert und nicht als langfristiges Problem wahrgenommen. Die Betreuung der Arbeitslosen, so wurde argumentiert, sei innergewerkschaftlich nicht zu leisten, u. a., weil den Arbeitslosen keine Kampf-mittel zur Verfügung stünden; außerdem sei dies Aufgabe der Wohlfahrtsverbände oder der Kirchen

Diese Haltung änderte sich erst, als mit zunehmender Arbeitsmarktkrise auch die Kerne der gewerkschaftlichen Organisation, also vor allem die männlichen Facharbeiter, von Arbeitslosigkeit bedroht oder betroffen waren. Betriebsstillegungen und Massenentlassungen führten zu gewerkschaftlich organisierter Gegenwehr, die dann nach verlorenen Kämpfen in „Arbeitslosenarbeit“ mündete. Nun versuchte man die Arbeitslosen außerhalb der traditionellen betrieblichen Ebene in die Gewerkschaftsarbeit einzubeziehen; es wurden erste Begegnungs-und Beratungstellen aufgebaut, und vor allem wurden auf DGB-Ebene oder auf der von Einzelgewerkschaften Arbeitskreise für Arbeitslose eingerichtet, die zum Teil Anhörungsrechte in gewerkschaftlichen Entscheidungsgremien besaßen Im gewerkschaftlichen Bereich entwickelte sich Arbeitslosenarbeit somit analog zur Betreuung anderer Personengruppen, etwa der Frauen-, Angestellten-oder Jugendarbeit. Sozialarbeit zu leisten, wurde jedoch mit dem Argument, dies sei nicht Aufgabe der Gewerkschaften, überwiegend abgelehnt

3. Inhalte und Formen von Arbeitslosenarbeit

Die schwerwiegenden materiellen und psychosozialen Belastungen, denen längerfristig Arbeitslose ausgesetzt sind, führten dazu, daß sich die Praxis der Arbeitslosenarbeit der verschiedenen Träger -trotz unterschiedlicher Entstehung -in den achtziger Jahren sukzessive aneinander anglich. Das gilt vor allem für die Finanzierung der Arbeitslosenarbeit: Außer mit relativ geringen Eigenmitteln der Gewerkschaften, erheblicheren Zuschüssen aus kirchlichen Etats, regional unterschiedlicher kommunaler Beteiligung, Landesprogrammen oder EG-Mitteln werden die Personalkosten vor allem durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) gedeckt Ein mit dieser Finanzierungsart generell einhergehendes Hemmnis für längerfristig angelegte Arbeitslosenarbeit besteht in der zeitlichen Begrenzung der Anstellungsmöglichkeiten über ABM, der in einigen Bereichen durch die Finanzierung von fest angestellten leitenden Mitarbeitern, sogenannten „Stammkräften“, zu begegnen versucht wird.

Eine Vereinheitlichung der Arbeitslosenarbeit, deren Handlungsspielraum sich zwischen den Polen politisches Engagement und betreuende Sozialarbeit bewegt, wurde u. a. durch die zahlreichen Kooperationen angestrebt, die zwischen gewerkschaftlichen Gliederungen und dem kirchlichen Bereich, der Arbeiterwohlfahrt oder Mitgliedsverbänden des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands geschlossen wurden.

Knapp können die Aufgabenfelder der Arbeitslosenarbeit so zusammengefaßt werden: -Beratung in Rechtsfragen, vor allem zu Sozialleistungen; -Hilfestellung bei sekundären Auswirkungen der Arbeitslosigkeit (z. B. Sucht, Depression, Suizidgefährdung u. a. m.); -Hilfen bei der Arbeitssuche (Bewerbungen); -Zeitorganisation (Angebote zur Beschäftigung); -Kommunikation (Gesprächskreise; häufig: „Arbeitslosenfrühstück“); -politische Arbeit (im weitesten Sinne; vom Informationsstand über Forderungen auf der kommunalen Ebene bis hin zur Einflußnahme auf die Landes-oder Bundespolitik bzw. auf gewerkschaftliche Entscheidungsprozesse)

II. Arbeitslosenarbeit in den neuen Bundesländern

1. Ausgangsbedingungen in der ehemaligen DDR

Im Unterschied zur alten Bundesrepublik, wo Arbeitslosenarbeit sich über mehr als ein Jahrzehnt relativ kontinuierlich entwickelte, entstand sie in der ehemaligen DDR sehr rasch, mit der bald nach der Wende dramatisch ansteigenden Arbeitslosigkeit. Anders als im Westen erfaßte die Unterbeschäftigung hier alle Schichten; hohe formale Qualifikation schützte weitgehend nicht vor Verlust des Arbeitsplatzes. Lediglich die geschlechtsspezifische Differenzierung ist vergleichbar; sowohl im Westen als auch im Osten sind Frauen die Hauptleidtragenden der Massenarbeitslosigkeit.

Wichtig für die Beurteilung der psychosozialen Konsequenzen ist, daß das Phänomen Arbeitslosigkeit in der DDR faktisch unbekannt war. Entsprechend den Aussagen führender Politiker der alten Bundesrepublik erwartete die überwiegende Mehrheit der DDR-Bürger von der deutschen Vereinigung eine Verbesserung ihrer materiellen Lage, nicht eine Verschlechterung. Entgegen diesen Vorstellungen war und ist die Vereinigung für große Teile der Gesellschaft der früheren DDR mit erheblichen Belastungen verbunden. Nur angedeutet werden können hier die Hintergründe der Probleme, die aus mangelnder Kenntnis der marktwirtschaftlichen Prinzipien erwuchsen: das Fehlen gewohnter Arbeitsplatzsicherheit, die als selbstverständlich angesehen wurde der Verlust sozialer Kontakte durch Arbeitslosigkeit; die „erlernte Hilflosigkeit“ (Versorgungsstaat DDR), die die Entfaltung von Eigeninitiative erschwert eine erst im Aufbau befindliche Arbeits-und Sozialverwaltung, die mit der Aufgabenflut ebenso überlastet war wie mit der Rezeption der Rechtslage u. a. m. Infolge der Kumulation von Problemen sind die Belastungen, die sich in den neuen Bundesländern durch Arbeitslosigkeit ergeben, vergleichsweise gravierender als die in der alten Bundesrepublik -28; Ali Wacker, Ansätze, Probleme und Perspektiven der psychologischen Arbeitslosenforschung, in: Th. Kieselbach/A. Wacker (Anm. 2), S. 23.

Ein weiterer Unterschied findet sich bei den Akteuren der Arbeitslosenarbeit. Während diese sich im Westen bei verschiedenen Trägem vielfältig und zumeist „von unten“ initiiert entwickelt hat, gab es in der DDR bzw. -später -den neuen Bundesländern zunächst nur den Arbeitslosenverband der DDR, später umbenannt in Arbeitslosenverband Deutschland e. V. (ALV) In kritischer Reaktion auf die Aktivitäten des ALV etablierten sich im Herbst 1990 in Thüringen und in Mecklenburg-Vorpommern konkurrierende Organisationen. Kirchliche Arbeitslosenarbeit entstand und besteht unter vergleichsweise schwierigen Bedingungen, was auf die spezifische Situation der Evangelischen Kirche in den neuen Bundesländern 16 (Stichworte atheistische Gesellschaft, finanzielle Probleme, Belastungen durch den Systemumbruch) zurückzuführen ist.

Anders als früher in den alten Bundesländern reagierten die DGB-Gewerkschaften in Ostdeutschland sehr schnell auf die sich bald abzeichnende Massenarbeitslosigkeit im Beitrittsgebiet. Am Beispiel der auf diesem Feld dominierenden IG Metall soll gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit weiter unten veranschaulicht werden.

2. Spezifische Arbeitslosenorganisationen in den neuen Bundesländern

a) Der Arbeitslosenverband Deutschland e. V. (ALV)

Erster bedeutender Träger von Arbeitslosenarbeit in der ehemaligen DDR war der Arbeitslosenverband. Noch in der Umbruchphase der DDR von einer Gruppe um den Soziologen Klaus Grehn von der Gewerkschaftshochschule Bernau am 2. März 1990 ins Leben gerufen, arbeitete der ALV zunächst mit der aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hervorgegangenen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und mit dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) zusammen. Finanzzusagen, Raumüberlassung und politische Unterstützung durch den FDGB ermöglichten den raschen Aufbau einer effektiven zentralistischen Organisationsstruktur. Sehr rasch wurden erst Bezirks-, dann -nach Wiederherstellung der Länder -Landesverbände gegründet. In nahezu allen Kreisstädten existieren inzwischen über 200 örtliche Beratungsstellen oder Arbeitslosenzentren des ALV; gemäß der Satzung sind diese nicht eigenständig, sondern weisungsgebunden. Anstellungsträger der heute über fünfhundert, zumeist über ABM beschäftigten „Bürgerberater“ ist der Gesamtverband.

Ein Beispiel, das sowohl für die Arbeitslosenarbeit des ALV als auch für die Arbeitslosenarbeit in den neuen Bundesländern insgesamt repräsentativ sein dürfte, ist die Beratungsstelle des ALV in Dresden, die seit dem 1. August 1991 besteht. Sie wurde von ABM-Kräften aufgebaut, die dem ALV vom Arbeitsamt vermittelt wurden. Informationen über das Beratungsangebot der Beratungsstätte verbreitet der ALV über Zeitungsanzeigen, Beiträge in Zeitungen und durch Auslage eines Informationsblattes in Ämtern und anderen Einrichtungen. Unmittelbar nach Gründung der Beratungsstätte Dresden herrschte in Ostdeutschland noch erhebliche Rechtsunsicherheit, weshalb es einen enormen Beratungsbedarf gab: Die erste große Kündigungswelle hatte stattgefunden. Für die Bürgerberaterinnen und -berater der Dresdner Einrichtung war dies mit massiven Belastungen verbunden: „Wir mußten gleichzeitig die Beratungsstätte aufbauen, betroffene Arbeitslose beraten Und uns selbst juristisch und psychologisch schulen“, erinnerte sich meine Interviewpartnerin Christine Steinbach, Bürgerberaterin der Beratungsstelle Dresden, von Haus aus Psychologin. Anliegen der Beratungsstelle war bzw. ist es, die folgenden Leistungen zu erbringen: -kostenlose Beratung zu Problemen, die sich aus der Arbeitslosigkeit ergeben; -unentgeltliche Schuldnerberatung; -Hilfe bei der Formulierung und Zusammenstellung von Bewerbungsunterlagen; -Auskunft über Bildungsmöglichkeiten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen; und -Organisierung von Zusammenkünften Arbeitsloser mit dem Ziel des Meinungs-und Erfahrungsaustausches und der Entwicklung einer praktischen Lebensgestaltung; -Zusammenarbeit mit anderen gemeinnützigen Vereinen und Bildungseinrichtungen, die Hilfe für Arbeitslose leisten

Dieses umfangreiche Programm konnte bislang nur zu Teilen umgesetzt werden. Dazu zählen die beiden Bereiche Frauenerwerbslosigkeit und Vorruhestands-bzw. Altersübergangsgeldregelung. Viele der bisher etwa 1500 Ratsuchenden wollten beispielsweise wissen, ob es besser sei, in der Arbeitslosigkeit zu verbleiben oder in den Vorruhestand zu gehen. Ein weiterer Beratungsschwerpunkt waren die Probleme von Allein-erziehenden: „Wir haben an diesem Punkt festgestellt, daß wir -auch wegen der beengten räumlichen Situation -nicht alles selber machen konnten“, resümierte Christine Steinbach. Daher nahm die Einrichtung Kontakt zu Initiativen auf, die sich zwischenzeitlich in Dresden mit ähnlichen Schwerpunktzielsetzungen gebildet hatten. Ausgebaut werden soll in Zukunft die Schuldnerberatung. „Wir haben viele Leute, die in finanziellen Nöten sind, die gar nicht wissen, wovon sie leben sollen. Da ist keine Altersgruppe ausgenommen.“

Viele Fragen von Ratsuchenden betreffen Umschulung und Weiterbildung, mithin Probleme, bei denen die eigentlich zuständige Arbeitsverwaltung oft personell überfordert ist. Ziel des ALV war es daher, eine aktive Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt zu realisieren. „Da wurde uns gesagt, daß das nicht gehe, da das Arbeitsamt an Gesetze gebunden sei“, klagte Christine Steinbach. Eine Arbeitsloseninitiative, hieß es, solle dafür sorgen, den sozialen Frieden zu erhalten, indem sie sich mit den individuellen Problemen einzelner Betroffener auseinandersetzt. In die Rechtskompetenz der Arbeitsverwaltung dürfe sich ein Arbeitslosen-projekt dagegen nicht einmischen.

Die Beratungsstelle wird in Dresden überwiegend von Betroffenen ab Ende Zwanzig aufgesucht. Es kommen geringfügig mehr Frauen. Vor allem zu Beginn überwogen die Frauen sehr stark. Als Grund hierfür wird vermutet, daß Frauen die Arbeitslosigkeit nicht so stark als persönliche Niederlage ansehen wie Männer: „Die Arbeitslosigkeit gerade hier im Osten ist ja nicht selbstverschuldet, und trotzdem geben sich die Leute persönlich die Schuld“, wundert sich Christine Steinbach. So müssen die Beraterinnen und Berater zunächst oft Barrieren abbauen: „Die Leute schämen sich und sind häufig kaum in der Lage, ihr Anliegen zu formulieren.“ Auch darauf führt die Beratungsstätte zurück, daß eine durchschnittliche Beratung weit über eine Stunde in Anspruch nimmt. „Ist der Damm gebrochen, sprudelt es aus den Leuten heraus, dann lösen sie sich, das wirkt oft wie eine Befreiung“ -so noch einmal die Mitarbeiterin der Beratungsstelle Dresden.

Ein besonderes Problem ist die Mentalität der ehemaligen DDR-Bürger. So wird vielfach erwartet, daß die Regierung, wie es in der DDR der Fall war, mit Fördermaßnahmen eingreift. „Daß man jetzt kämpfen muß, mitunter auch gegen andere“, dieses Bewußtsein ist nach den Erfahrungen der ALV-Mitarbeiter nicht da.

Wie in Dresden wird in vielen örtlichen ALV-Einrichtungen engagierte und hilfreiche Arbeitslosen-arbeit geleistet. Kritisch ist dagegen die zentralistische Organisationsstruktur des ALV zu sehen, die -in der Vereinssatzung abgesichert -dem Vorstand, insbesondere dem Präsidenten des ALV, nahezu unumschränkten Einfluß auf Inhalte und Personalpolitik des Verbandes gewährt. b) Arbeitsloseninitiativen Die zentralistische Organisationsstruktur des ALV führte zunächst in Thüringen zu einer ersten organisierten Opposition, die im September 1990 in einer Abspaltung bereits bestehender ALV-Gruppen mündete. Mit Hilfe des thüringischen DGB wurde die „Arbeitsloseninitiative Thüringen e. V.“ (ALI-T) gegründet, die heute in etwa 35 örtlichen Beratungsstellen Arbeitslosenarbeit leistet. Neben der Rechts-und Sozialberatung, Treffpunkt-und Bildungsarbeit zeichnet sich die ALI-T durch besondere Nähe zu den Gewerkschaften aus, was in vielfältigen Kooperationen zum Tragen kommt

Inspiriert von der ALI-T und dieser in der Kritik am ALV verbunden, entstand im Oktober 1990 in Mecklenburg-Vorpommern die „Arbeitslosen-initiative Mecklenburg-Vorpommern“ (ALI-MV). Wie bei ALV und ALI-T wurden auch von der ALI-MV Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ABM angestellt, etwa 40 örtliche Beratungsstellen oder Arbeitslosenzentren gegründet und so Beratungsarbeit geleistet. Die Nähe zum DGB ist bei der ALI-MV nicht so eng wie bei der thüringischen Organisation.

Daß die Beziehungen zwischen den Arbeitslosen-initiativen und dem ALV eher schlecht sind, dürfte vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte kaum verwundern. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen ALV und der kirchlichen Arbeitslosen-arbeit.

3. Kirchliche Arbeitslosenarbeit in den neuen Bundesländern

Der Mitbegründer und langjährige Leiter des Münchner Arbeitslosenzentrums (MALZ), Hans-Joachim Wilkening, ließ sich im Sommer 1991 für drei Monate nach Mecklenburg-Vorpommern abordnen, um in der dortigen -mit der bayrischen Landeskirche partnerschaftlich verbundenen -mecklenburgischen Kirche beim Aufbau der Arbeitslosenarbeit mitzuwirken. Seine Erfahrungen dürften beispielhaft für die Schwierigkeiten sein, die dem kirchlichen Engagement in diesem Bereich entgegenstehen

Wie bei den anderen Trägem der Arbeitslosen-arbeit stellt sich auch für die Kirche das Problem, geeignete Räume zu finden: „Die erste bedrükkende Erfahrung war die der großen Raumnot der Kirche in Neubrandenburg. Die Möglichkeit für ... Beratungsarbeit war erst dadurch geschaffen worden, daß der neue Verein , Diakoniewerk eine Dreizimmer-Wohnung ... für seine Sozialstation anmieten konnte. Im Warteraum dieser Wohnung arbeiteten wir nun drei Monate zu dritt... Während des Publikumsverkehrs morgens zwischen 8 und 9 Uhr führten wir in der Garderobe der St. -Johannes-Kirche im Zentrum von Neubrandenburg Beratungen durch.“

Ein weiteres Problem für kirchliche Arbeitslosen-arbeit ergab sich daraus, daß die zur Verfügung stehenden ABM-Stellen bereits weitgehend durch den ALV ausgeschöpft waren., So war es ungleich schwieriger für kirchliche Träger, Personalfinanzierungen durchsetzen zu können. Nur dort, wo -wie etwa in Leipzig -relativ früh mit kirchlicher Arbeitslosenarbeit begonnen wurde, konnten größere Einrichtungen aufgebaut werden. Bei der „Kirchlichen Erwerbsloseninitiative Leipzig“ (KEL) -initiiert vom in der Wende bekannt gewordenen Pfarrer der Nikolai-Kirche, Christian Führer -gelang es 1991, insgesamt zehn ABM-Stellen für Beratung, Frauen-und Jugendarbeit sowie Beschäftigungsprojekte einzurichten Zu dem relativen Erfolg trug hier -wie in anderen •Fällen -das unterstützende Engagement des Arbeitslosenbeauftragten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Pastor Eduard Wörmann, erheblich bei. Seiner Vermittlung ist es zu verdanken, daß die neuen ABM-Mitarbeiter sich entsprechend qualifizieren konnten.

Weitere kirchliche Arbeitslosenprojekte von größerer Bedeutung finden sich u. a. in Zschopau und Riesa („Treff am Puschkinplatz“) im Bundesland Sachsen sowie in Ludwigsfelde („Selbsthilfeprojekt Arbeitssuchender , SpAS“ ‘) und in Brandenburg („Cafö Contact“) im Bundesland Brandenburg

Im Falle des „Cafö Contact“ in Brandenburg hat kontinuierliches gesellschaftspolitisches Engagement, und zwar vor der Wende im Herbst 1989, zur Initiierung kirchlicher Arbeitslosenarbeit geführt. Kerstin Schweigel, Astrid Segert und Irene Zierke zitieren in einem Bericht über ein lokales Forschungsprojekt einen Pfarrer, der rückblikkend auf die Endphase der DDR meinte: „Kirche war in Brandenburg Treffpunkt für Leute, die anders dachten und sich gegen die Herrschenden auflehnten. Aktionen, Seminare, Veranstaltungen im Rahmen der Friedensarbeit waren der Treffpunkt für diese Leute.“ Im Zusammenhang damit ergab sich die Notwendigkeit, einen Teil der Oppositionellen sozialdiakonisch zu betreuen. „Ein konkretes Ergebnis solcher Aktivitäten ist eine kirchliche und zugleich öffentliche Begegnungsstätte ... Sie wurde vom zuständigen Pfarrer und einem Sozialdiakon im Kirchenkreis eingerichtet. Ziel war es, sozial Gefährdeten... ein Domizil zu schaffen.“ Nach der Wende entwickelte sich aus dieser Einrichtung das „Cafö Contact“ als Arbeitslosenprojekt mit der wesentlichen Zielgruppe „Jugendliche“.

Nach Auskunft von Pastor Dieter Rothardt, Referent für Arbeitslosenarbeit beim EKD-Beauftragten für Arbeitslosigkeit, lassen sich am Beispiel des Brandenburger Arbeitslosenprojektes die optimalen Bedingungen für kirchliche Arbeitslosenarbeit in den neuen Bundesländern veranschaulichen Es sind dies: -Erfahrungen mit kirchlicher sozialer Arbeit aus der Zeit vor 1989; -klare Einordnung in kirchliche Zuständigkeiten (Kirchenkreis als Träger); -ein hauptamtlicher Mitarbeiter mit fester kirchlicher Anstellung als Projektentwickler und späterer Geschäftsführer („Stammkraft“); -Erfahrungen kirchlicher Arbeit mit Arbeitslosen durch Teilnahme der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Tagungen und Konferenzen sowie eigenständiges Abfragen von Beratungsangeboten; -eindeutig geklärte Nutzungsbedingungen für die Räumlichkeiten; -Möglichkeiten zur Überbrückung finanzieller Engpässe durch nicht eng zweckgebundene Mittel; -Aufstockung der kirchlichen „Kem“ -Stelle durch weitere Stammkräfte durch das Land Brandenburg, wodurch der Aufbau eines arbeitsfähigen Teams erleichtert worden ist; -eine hervorragende Öffentlichkeitsarbeit, die die erforderliche politische Unterstützung sichert; -Verknüpfung von Beschäftigung, Qualifizierung und Freizeitangebot für jugendliche Arbeitslose, wodurch eine hohe Identifikation der Betroffenen mit „ihrer“ Einrichtung erreicht werden kann

Aus der Sicht von Pastor Dieter Rothardt ist es wichtig, das Image der betreuend-entmündigenden kirchlichen Arbeitslosenarbeit abzuschütteln: „Die Hilfen dürfen vorhandene Probleme nicht verdrängen, dürfen aber auch nicht zusätzlich diskriminieren. In Selbsthilfegruppen ist diese doppelte Schwierigkeit am leichtesten zu bearbeiten.“ Dem EKD-Beauftragten für Arbeitslosigkeit Eduard Wörmann zufolge, muß bei einer weiteren Professionalisierung der Grundsatz kirchlicher Arbeitslosenarbeit berücksichtigt werden: „Beteiligung statt Betreuung!“ Kirchliche Arbeitslosen-arbeit sei keine Nebensache, so Wörmann, „sondern Beteiligung an einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe“. Unverzichtbar für eine qualifizierte Arbeitslosenarbeit seien die Erfahrungen der Mitarbei­ ter vor Ort, die durch das ständige „Stop-and-go“ in der Arbeitsmarktpolitik verunsichert wären.

4. Gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit in den neuen Bundesländern: das Beispiel der IG Metall

a) Qualifizierung der Arbeitslosenarbeit Wie die Evangelische Kirche, so sehen auch die Gewerkschaften die Notwendigkeit weiterer Qualifizierung der Arbeitslosenarbeit. Angesichts der explosionsartigen Zunahme arbeitsloser Gewerkschaftsmitglieder hat der Landesbezirk Sachsen der IG Metall (IGM) 1991 einen erfahrenen Arbeitslosenarbeiter aus den alten Bundesländern, den ehemaligen Leiter des Arbeitslosenzentrums Krefeld, Johann Blatzheim-Mennicken, als Schwerpunktsekretär für Arbeitslosenarbeit eingestellt. Blatzheim-Mennicken arbeitete an der flächendekkenden Einrichtung von gewerkschaftlichen Arbeitslosenberatungsstellen in Sachsen mit, erkannte aber bald, daß die über ABM eingestellten ehemaligen Metaller nicht über die Qualifikation für eine erfolgreiche -auch soziale -Arbeitslosen-arbeit verfügten. Mit Unterstützung u. a.der Evangelischen Kirche wurde ein Bildungswerk ins Leben gerufen, durch das grundlegende Qualifikationen zur Arbeitslosenarbeit vermittelt werden. Neben dem Interesse der Gewerkschaft, vornehmlich arbeitslose Metallerinnen und Metaller einzustellen, die dann entsprechend ausgebildet werden müssen, gab es zwei weitere Gründe für diese Initiative: Erstens sind viele der für Arbeitslosenarbeit befähigten Personen beim ALV beschäftigt, zweitens steht die Berufsgruppe, die traditionell im Westen Arbeitslosenarbeit leistet -Sozialarbeiter und Sozialpädagogen -, im Osten (noch) nicht zur Verfügung. Deshalb sind diverse Träger von Arbeitslosenarbeit dazu übergegangen, „die Betreuung von Arbeitslosen durch berufsfremdes Personal nach einer minimalen Grundschulung ansatzweise abzudecken. Für eine erste Orientierung im Umgang mit der Sozialbürokratie konnte diese Schulung ausreichen.“ Angesichts der zu erwartenden Verschärfung der Probleme Arbeitsloser dürfte diese Minimalqualifikation nicht mehr ausreichen. b) ZielegewerkschaftlicherArbeitslosenarbeit Hintergrund für das in allen neuen Bundesländern zu findende flächendeckende Beratungsangebot ist die Beschlußlage der IG Metall. Danach droht die anhaltend hohe Massenarbeitslosigkeit in den alten und die weiter eskalierende Massenarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern zu einer unumkehrbaren Verarmung großer Bevölkerungsteile zu füh-ren. Um den Herausforderungen der Gewerkschaften im Kampf gegen Arbeitslosigkeit im vereinten Deutschland begegnen zu können, erscheint es der IG Metall unerläßlich, der Interessenvertretung von Arbeitslosen einen wesentlich größeren Stellenwert einzuräumen als bisher. Glaubwürdigkeit, Qualität und Erfolg gewerkschaftlicher Interessenvertretung für Arbeitslose hängen nach Meinung der IG Metall davon ab, inwieweit es ihr gelingt, mit der Einbeziehung der von Ausgrenzung Betroffenen neben der „traditionellen“ betrieblichen Interessenvertretung ein zweites Standbein im gewerkschaftlichen Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau zu entwickeln. „Aktive und kompetente Arbeitslosenarbeit kann uns ... niemand abnehmen, denn gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit unterscheidet sich von der Arbeitslosenarbeit aller anderen Organisationen und Institutionen in einem entscheidenden Punkt: Gewerkschaften sind der einzige soziale und politische Ort, wo der Zusammenhang zwischen Arbeitslosenproblemen und betrieblicher Gewerkschaftsarbeit wieder hergestellt werden kann.“ c) IG Metall-Arbeitslosenarbeit in Halle/Saale Repräsentativ für die etwa 140 gewerkschaftlichen Arbeitslosenprojekte in den neuen Bundesländern dürfte die Arbeitslosenarbeit der IG Metall in Halle/Saale sein. Dort wurden -in Absprache mit den anderen DGB-Gewerkschaften, für die die IG Metall z. T. die Arbeitslosenarbeit mitleistet -über ABM arbeitslose Frauen und Männer eingestellt, die heute im Saalkreis Beratung anbieten. Für diese Tätigkeit qualifizierten sie sich u. a. im Rahmen von Weiterbildungsveranstaltungen, die von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen in Bielefeld organisiert wurden Von den gewerkschaftlichen Arbeitslosenprojekten werden Sozial-und Rechts-beratung, Gesprächskreise, thematisch orientierte Informationsveranstaltungen mit außergewerkschaftlichen Experten, auch zu anderen sozialpolitischen Problemen wie Miet-oder Rentenfragen, angeboten. Dies verweist auf die gegenüber den alten Ländern wesentlich dichtere Problemlage in den neuen Bundesländern.

Die schweren, teilweise nicht zu lösenden Belastungen, denen die Betroffenen ausgesetzt sind, scheinen ohne hinreichende psychologische Ausbildung von den Beratern kaum zu verarbeiten zu sein, wie das folgende Beispiel aus der IG Metall-Arbeitslosenarbeit in Sachsen-Anhalt illustriert: Einem 54jährigen Metallarbeiter war gekündigt worden. Ins Beratungsbüro kamen die Frau, die Tochter und der Schwiegersohn des Arbeitslosen, er selbst jedoch nicht. „Aus Scham über die Kündigung hatte er fünf Monate lang verschwiegen, daß er arbeitslos war und Kurzarbeit-Null als Grund für das Zuhausesein angegeben. In seinem Heimatort ging er nicht mehr auf die Straße.... Er weigerte sich, zum Arbeitsamt , betteln zu gehen. Seine Angehörigen befürchteten Selbstmord.“ Vom Beratungsbüro wurden mehrere Gespräche mit dem Betriebsrat seines ehemaligen Betriebes geführt. Es konnte erreicht werden, daß die Kündigung zurückgenommen wurde und er bis zum 55. Lebensjahr Betriebsangehöriger mit Kurzarbeit-Null blieb. Danach konnte er das Altersübergangsgeld in Anspruch nehmen.

Angesichts der drohenden Deindustrialisierung, des Fehlens einer vorausschauenden Arbeitsmarkt-politik und sich ausbreitender Hoffnungslosigkeit muß die gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit -deren Einbindung in die Gesamtorganisation auch in den neuen Ländern noch verbesserungsbedürftig ist -neben der von Schmitthenner genannten gewerkschaftspolitischen zunehmend auch soziale Aspekte berücksichtigen.

III. Zur Zukunft der Arbeitslosenarbeit

Trägt Arbeitslosenarbeit nicht dazu bei, daß sich die Gesellschaft mit der Arbeitslosigkeit abfindet? Neben die materielle die sozialarbeiterische Versorgung der Arbeitslosen zu stellen -heißt das nicht, die Gesellschaftsspaltung zu komplettieren? Solche häufig zu hörende Fragestellungen übersehen, was die Arbeitsmarktforschung, etwa des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, an unangenehmen Forschungsergebnissen mitzuteilen hat. Selbst unter der Annahme günstiger wirtschaftspolitischer Rahmendaten wird die Massenarbeitslosigkeit uns noch mindestens ein Jahrzehnt, wahrscheinlich länger, begleiten. Hinzu kommt die Erkenntnis der Arbeitslosenforschung, der zufolge mit zunehmender Dauer der individuellen Arbeitslosigkeit die Vermittlungschancen dramatisch sinken. Vor dem geschilderten Hintergrund wird klar, daß es inhuman wäre, die Nöte der Betroffenen nicht wahrzunehmen.

Aus Sicht dieser Menschen -das zeigen viele Befragungen -ist Arbeitslosenarbeit sinnvoll. Sie trägt dazu bei, daß längerfristig Arbeitslose überhaupt wieder die Motivation erlangen, Bewältigungsstrategien für ihre Lage zu entwickeln So kann der auch in den neuen Bundesländern weit verbreiteten Selbstverschuldensthese entgegengetreten werden, die vor allem vor dem Hintergrund der globalen Unterversorgung mit Arbeitsplätzen absurd erscheint. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang die Funktion von Arbeitslosenarbeit, der Vereinsamung Betroffener entgegenzuwirken. Gerade in der ehemaligen DDR bedeutete Arbeit ja sehr viel mehr als Gelderwerb: Der Betrieb war auch Zentrum sozialer Kontakte. Zumindest vorübergehend und partiell können ein Arbeitslosengesprächskreis oder Begegnungen in einem Arbeitslosenzentrum den Verlust der betrieblichen Kommunikationsmöglichkeiten auffangen. Schließlich könnte die Zusammenführung Arbeitsloser mittelfristig ein Beitrag zu einem dringend benötigten politischen Signal sein, das darauf aufmerksam macht, daß die Ausgrenzung größer werdender Gruppen aus der Erwerbsgesellschaft für die Gesamtgesellschaft fatale Konsequenzen haben wird. In einer gespaltenen Gesellschaft kann niemand auf Dauer seines Wohlstandes sicher sein.

Mit Bedauern muß abschließend festgestellt werden, daß der Abbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik -forciert durch die jüngste Änderung des AFG im Dezember 1992 und angekündigten weiteren Kürzungen im ABM-Bereich -die finanzielle Basis für die Arbeitslosenarbeit gerade in den neuen Bundesländern weiter verschlechtert hat bzw. noch weiter verschlechtern wird. Eine solche Politik nimmt die individuellen Belastungen, die durch längerfristige Arbeitslosigkeit entstehen, nicht nur nicht zur Kenntnis, sie verstärkt sie sogar. Zu wünschen wäre, daß es in dieser Situation nicht zu weiterer Verschärfung der Konkurrenz zwischen den Trägem der Arbeitslosenarbeit kommt, sondern zu einer solidarischen Gegenwehr. Konsens besteht unter den an der Arbeitslosenarbeit Beteiligten über die Notwendigkeit, mit wirtschafts-und arbeitsmarktpolitischen Mitteln dem Grundübel zu begegnen, das auch als Erbsünde einer verfehlten Vereinigungspolitik bezeichnet werden kann -dem anhaltenden Skandal der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zur Entstehung kirchlicher Arbeitslosenarbeit Friedhelm Wolski-Prenger, Arbeitslosenorganisationen in Deutschland -Entstehung, Vernetzung, Perspektiven, in: Berliner Journal für Soziologie, 2 (1992) 2, S. 195.

  2. Die psychosozialen Belastungen durch Arbeitslosigkeit können hier nur angedeutet werden. Vgl. ausf. Thomas Kieselbach/Ali Wacker (Hrsg.), Individuelle und gesellschaftliche Kosten der Massenarbeitslosigkeit, Weinheim u. a. 1985; Thomas Kieselbach/Peter Voigt (Hrsg.), Systemumbruch, Arbeitslosigkeit und individuelle Bewältigung in der Ex-DDR, Weinheim 1992.

  3. Vgl. Reinhard Veiler, Theologie der Industrie-und Sozialarbeit, Köln 1974; zur evangelischen Sozialarbeit im Rahmen der Diakonie vgl. Theodor Strohm, Positionen und Stellungnahmen der Evangelischen Kirche zu sozialpolitischen Aufgaben, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21-22/88, S. 11-23.

  4. 1. Kundgebung der 7. Synode der EKD zur Langzeitarbeitslosigkeit, 7. Nov. 1986.

  5. Katholische Arbeitslosenarbeit wird vor allem in den katholischen Verbänden (Caritas, Katholische Arbeitnehmer-bewegung [KAB], Christliche Arbeiterjugend [CAJ], Bund der Katholischen Jugend [BDJK] etc.) geleistet; „offene“ Arbeitslosenarbeit findet zumeist in ökumenischen Arbeitslosenprojekten statt. Vgl. Friedhelm Wolski-Prenger, Arbeitslosenprojekte zwischen sozialer Arbeit und sozialer Bewegung, Frankfurt am Main u. a. 1989, insb. S. 163ff.

  6. Vgl. zur Diskussion über die Möglichkeit von „Arbeitslosenselbsthilfe“ Albrecht Kieser, Zwischen Siechtum und Widerstand. Sozialarbeit und Erwerbslosenbewegung, Bielefeld 1988; Lutz Finkeldey, Armut, Arbeitslosigkeit, Selbsthilfe. Armuts-und Arbeitslosenprojekte zwischen Freizeit und Markt, Bochum 1992.

  7. Vgl. zur Geschichte und Kritik gewerkschaftlicher Arbeitslosenarbeit Friedhelm Wolski-Prenger/Uwe Kantelhardt, Von der Konfrontation zur Kooperation. Zum Verhältnis von Gewerkschaften und Arbeitslosen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 38 (1993) 2; Angelika Beier/Uwe Kantelhardt/Friedhelm Wolski-Prenger, Verbände von Arbeitsplatzbesitzem? Gewerkschaften in der Zwei-Drittel-Gesellschaft, in: Thomas Leif/Hans-Josöf Legrand/Ansgar Klein (Hrsg.), Reform des DGB, Köln 1993.

  8. Vgl. F. Wolski-Prenger (Anm. 5), S. 198-230; Karin Derichs-Kunstmann/Anne Althoff/Jörg Höhfeld/Wilfried Kunstmann, Gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit. Erfahrungen, Ergebnisse, Konzepte, Düsseldorf 1988.

  9. Neben kirchlichen oder gewerkschaftlichen Gliederungen engagierten sich nicht zuletzt auch selbstorganisierte Zusammenschlüsse Betroffener, die sich inzwischen zur dritten, „autonomen“ oder unabhängigen „Richtung“ von Arbeitslosenprojekten neben der „kirchlichen“ oder der „gewerkschaftlichen“ zusammengeschlossen haben. Sowohl innerhalb der Richtungen als auch übergreifend findet auf Bundesebene eine Kooperation statt, die jüngst in die Wahl eines Quasi-Vorstandes (Sprecher der Bundesarbeitsgruppen gegen Arbeitslosigkeit und Armut -BAG -) mündete. Die BAG sind u. a. in der Nationalen Armutskonferenz vertreten. Vgl. zur Vernetzung der Arbeitslosenprojekte Friedhelm Wolski-Prenger, „Niemandem wird es schlechter gehen ...“ Armut, Arbeitslosigkeit und Erwerbslosenbewegung in Deutschland, Köln 1993, S. 132-155.

  10. Vgl. zur Finanzierung der Arbeitslosenarbeit F. Wolski-Prenger (Anm. 5), S. 279-291.

  11. Vgl. auch Hans-Georg Wolf, Arbeitslosenprojekte in der Bundesrepublik Deutschland, Konstanz 1990; exempl. L. Finkeldey (Anm. 6), S. 136f.

  12. „Fast alle ostdeutschen Arbeitslosen sind das erste Mal, oft nach jahrzehntelanger, ununterbrochener Berufstätigkeit, betroffen... Das berufliche Leben vollzog sich in der Regel ohne solche gravierenden Brüche, wie sie durch Arbeitslosigkeit bedingt sind. So existieren im Vergleich zur BRD auch noch keine erprobten Handlungsstrategien, wie das Leben auch ohne Erwerbsarbeit gestaltet werden kann.“ (Peter Voigt/Renate Hill, Arbeitslosigkeit -ein spezifisches Phänomen in den neuen Bundesländern?, in: Th. Kieselbach/P. Voigt [Anm. 2], S. 107).

  13. Vgl. dazu Hans-Joachim Maaz, Psychosoziale Aspekte im deutschen Einigungsprozeß, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 19/91, S. 3-10.

  14. Zu relativieren sind solche pauschalen Beurteilungen durch den Hinweis auf die differentielle Verarbeitung der Arbeitslosigkeit, die von einer Reihe moderierender Variabler abhängt; vgl. Harald Welzer/Ali Wacker/Hubert Heinelt, Leben mit der Arbeitslosigkeit. Zur Situation einiger benachteiligter Gruppen auf dem Arbeitsmarkt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 38/88, S. Historisch bedingt ist die Katholische Kirche in Ostdeutschland in einer marginalen Rolle; für katholische Arbeitslosenarbeit dort sind mir nur wenige -hier zu vernachlässigende -Beispiele bekannt.

  15. Vgl. Friedhelm Wolski-Prenger, Der „Arbeitslosenverband Deutschland“. Chance oder Risiko für die Arbeitslosenbewegung?, in: Forschungsjoumal Neue Soziale Bewegungen, 4 (1991) 3, S. 38; aus der dort kritisierten Selbstsicht des ALV: Klaus Grehn, Zur Arbeit des Arbeitslosenverbandes in den neuen Bundesländern, in: Th. Kieselbach/P. Voigt (Anm. 2), S. 413.

  16. Vgl. ALV-Kreisgruppe Dresden, Informationsblatt, o. O., o. J. (Dresden 1990).

  17. Vgl. zur ALI-T und zur ALI-MV F. Wolski-Prenger (Anm. 9), S. 122-128.

  18. Für die Übersendung seiner Erfahrungsberichte danke ich Hans-Joachim Wilkening sehr herzlich.

  19. Hans-Joachim Wilkening, „Ich muß hier zuhören, fragen und lernen.“ Erfahrungen und Gedanken beim Aufbau einer Beratungsstelle für Arbeitslose in Neubrandenburg, in: Münchner Arbeitslosenzentrum (MALZ), Sachbericht zum Verwendungsnachweis 1991, o. O., o. J. (München 1992), S. 2.

  20. Vgl. zur KEL Frank Hamann, Neue sozial-kulturelle Handlungsfelder in den fünf neuen Bundesländern am Beispiel der Arbeitslosenarbeit, o. O. (Düsseldorf), o. J. (1992?).

  21. Eine quantitative Erfassung kirchlicher Arbeitslosen-projekte in den neuen Bundesländern liegt nicht vor. Als Anhaltspunkt kann die Auskunft des Referenten für Beschäftigungsinitiativen im Diakonischen Werk der sächsischen Kirchenprovinz, Johannes Spenn, dienen, der für Sachsen-Anhalt 25 Arbeitslosenprojekte in evangelischer Trägerschaft angibt.

  22. Vgl. Kerstin Schweigel/Astrid Segert/Irene Zierke, Akteure aktueller Transformation in der Region Brandenburg, in: Th. Kieselbach/P. Voigt (Anm. 2), S. 183-198.

  23. Ebd., S. 194.

  24. Ebd., S. 195.

  25. Eduard Wörmann, Dieter Rothardt und Christa Martens danke ich herzlich für schnelle und umfassende Informationen über die im Aufbau befindliche kirchliche Arbeitslosenarbeit in den neuen Bundesländern.

  26. Vgl. Dieter Rothardt, Arbeitslosigkeit und ihre sozialen Auswirkungen. Welche Aufgaben ergeben sich für unsere Gemeinden?, in: kda -Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt, (1992) 9-10, S. 7-10.

  27. Ebd.

  28. Neue Arbeit Sachsen e. V., Projekt Sozialberater/in in der Arbeitslosenarbeit, Dresden o. J. (1992), S. 5.

  29. Horst Schmitthenner, Betroffene beteiligen!, in: Abteilung Sozialpolitik der IG Metall (Hrsg.), Handlungshilfe für die Arbeitslosenarbeit der IG Metall, o. O. (Frankfurt am Main) 1992.

  30. Vgl. Angelika Beier u. a. (Anm. 7): Etwa 100 der gewerkschaftlichen Arbeitslosenprojekte werden von der IG Metall getragen.

  31. Vgl. zur Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen F. Wolski-Prenger/U. Kantelhardt, (Anm. 7).

  32. Bezirksleitung Hannover der IG Metall (Hrsg.), Hilfe zur Selbsthilfe. Dokumentation der Arbeitslosenberatung und -betreuung der IG Metall in Sachsen-Anhalt, Biele, feld-Hannover 1993, S. 44.

  33. Ein wichtiges Instrument -der § 41 a (Maßnahmen zur Verbesserung der Vermittlungssaussichten) des Arbeitsförderungsgesetzes -zur Verbesserung der Motivation Langzeitarbeitsloser ist der jüngsten AFG-Novelle zum Opfer gefallen. Gerade der § 41 a war eine wesentliche Finanzierungsquelle früher Arbeitslosenarbeit in den alten Bundesländern.

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Friedhelm Wolski-Prenger, Dr. phil., geb. 1952; Studium der Sozialwissenschaften und der Germanistik in Paderborn, dort Mitbegründer eines Arbeitslosenprojektes; Lehrer in Meppen/Ems. Veröffentlichungen u. a.: Arbeitslosenprojekte zwischen sozialer Arbeit und sozialer Bewegung, Frankfurt am Main u. a. 1989; „Niemandem wird es schlechter gehen.. . ** Armut, Arbeitslosigkeit und Erwerbslosenbewegung in Deutschland, Köln 1993.