I. Wirtschaftliche Ausgangslage und Arbeitsmarkt
Die staatsrechtliche Vereinigung der ehemaligen DDR mit der alten Bundesrepublik Deutschland hat die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Integration der beiden Teile Deutschlands kurzfristig nicht hersteilen können. Erst allmählich wird den Verantwortlichen bewußt, welches Ausmaß die zu bewältigenden Probleme haben.
Die wirtschaftliche Situation Ostdeutschlands ist drei Jahre nach der Vereinigung desolat. Daß dieser Zustand chronisch und strukturell bedingt ist, wird zögerlich auch durch Regierung und liberale Wirtschaftswissenschaftler anerkannt. Die ehemalige DDR-Wirtschaft war bis zur Vereinigung durch weitgehende Abschottung vom Weltmarkt und fehlende Wettbewerbsstrukturen im Binnenmarkt geschützt, zugleich aber auch gelähmt. Dieser Zustand ist durch die Wirtschafts-und Währungsunion am 1. Juli 1990 abrupt beendet worden. Zudem bedeutete der offizielle , Umstellungskurs 6 auf die D-Mark eine sprunghafte, starke Aufwertung der Ost-Mark, die einem Großteil der ostdeutschen Produzenten keine Chance auf Erlangen von Wettbewerbsfähigkeit ließ Die Einbrüche bei der ostdeutschen Binnennachfrage infolge des „Durchmarschs“ von West-Produkten und das sukzessive Verschwinden des ehemaligen Absatzmarktes des RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) aufgrund der politischen und ökonomischen Umwälzungen in Osteuropa verschlechterten die Absatzbedingungen für ostdeutsche Produzenten und unterminierten die Kalkulationen potentieller Investoren.
Die Transformationskrise hat in fast allen Gebieten der ehemaligen DDR einen drastischen Rückgang von Produktion und Beschäftigung ausgelöst.
In den Jahren 1990/91 stellten die politisch Verantwortlichen dies noch als kurzfristig zu durchschreitende Talsohle dar. Transferleistungen aus der Arbeitslosenversicherung, der Rentenversicherung sowie aus anderen öffentlichen oder staatlich kontrollierten Haushalten sollten diese Phase überbrücken. Die „unsichtbare Hand“ des Marktes -so hieß es -würde die wirtschaftlichen Verhältnisse vermittels Kosten-, Lohn-und Preis-wettbewerb binnen kurzem angleichen: Es sei davon auszugehen, daß die Vereinigung mittelfristig einen nachhaltigen Konjunkturschub für ganz Deutschland auslöse. Positiv hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang insbesondere der hohe Qualifikationsstand der ostdeutschen Arbeitnehmerschaft.
Abgesehen von der durch den West-Ost-Einkommenstransfer bedingten zweijährigen „super-keynesianischen“ Konjunkturverlängerung in Westdeutschland, der eine tiefgehende Rezession gefolgt ist, hat sich dieser Zweckoptimismus nicht bestätigt. Die Bruttowertschöpfung der ostdeutschen Wirtschaft ist gegenüber dem ersten Quartal 1990 um rund 40 Prozent gesunken und droht wegen der rezessiven Tendenzen in Westdeutschland und -europa auf diesem niedrigen Niveau zu verharren Die dramatischen Konsequenzen sind nach wie vor besonders am Arbeitsmarkt spürbar. 1989 waren in der damaligen DDR -abgesichert durch die staatliche Beschäftigungsgarantie -ca. 9, 8 Millionen Menschen erwerbstätig. Binnen zwei Jahren wurden von diesen Arbeitsplätzen nahezu vier Millionen, das sind ca. 40 Prozent, abgebaut, allein die Hälfte davon im produzierenden Gewerbe. Gut 600000 vor allem junge, qualifizierte Arbeitskräfte sind dauerhaft in den Westteil Deutschlands übergesiedelt und haben dort mehrheitlich eine Beschäftigung gefunden. Mehr als 400000 Erwerbstätige (überwiegend Männer) pendeln täglich oder wöchentlich von den neuen in die alten Bundesländer Nur durch einen umfassenden, in diesem Ausmaß bisher nicht gekannten Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente konnte der rasante Anstieg der Arbeitslosenzahlen abgebremst werden. Im Frühjahr 1993 sind 1, 15 Millionen Menschen in Ostdeutschland offiziell als arbeitslos registriert. Rund 1, 7 Millionen befinden sich -bei allerdings rückläufiger Tendenz -in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen: knapp 400000 in Fortbildungs-und Umschulungskursen; 300000 in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM); 250000 in Kurzarbeit; 900000 beziehen Altersübergangsgeld bzw. sind vorzeitig in den Ruhestand gewechselt
In Gesamtdeutschland addieren sich die zusammen 3, 5 Millionen offiziell als arbeitslos Registrierten, die ca. 2 Millionen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen „Geparkten“ und geschätzte 1, 5 Millionen von der Arbeitsplatzsuche Frustrierte der „Stillen Reserve“ zu insgesamt 7 Millionen von der Arbeitsmarktkrise unmittelbar Betroffenen. Eine Besserung ist kurz-wie mittelfristig nicht in Sicht Im Gegenteil: Die mit dem Jahreswechsel 1992/93 vollzogene Trendwende zur Rücknahme arbeitsmarkt-politischer Maßnahmen dürfte verschärfend wirken. Die aktive Arbeitsmarktpolitik droht in naher Zukunft weiter ausgezehrt zu werden.
Gesellschaftspolitisch brisant sind in diesem Zusammenhang geschlechtsspezifische Benachteiligungen: Rund zwei Drittel aller Arbeitslosen in Ostdeutschland sind Frauen. Zu DDR-Zeiten waren dort 84 Prozent der erwerbsfähigen Frauen (ohne Auszubildende und Studierende) berufstätig (in der BRD nur 53 Prozent). Deren amtlich ermittelte Arbeitslosenquote liegt in den neuen Bundesländern derzeit bei über 20 Prozent (gegenüber ca. 10 Prozent bei den Männern). Zudem münden Frauen unterproportional in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ein.
Die auf die . Psychologie setzende Politik einer Selbstheilung der Wirtschaft ist in Ostdeutschland offensichtlich gescheitert. Trotz vieler Betriebsstillegungen, der teilweisen Schließung ganzer, nicht konkurrenzfähiger Industriestandorte, wächst die Produktivität langsamer als erwartet. Die Spirale von Staatsverschuldung, hohem Zinsniveau und inflationären Tendenzen ist in Gang gesetzt. Der auf Jahre absehbare finanzielle Transferbedarf West-Ost droht die Grenzen einer verantwortlichen öffentlichen Budgetpolitik zu sprengen.
In diesem Szenario fällt der Treuhandanstalt eine wesentliche Funktion bei der Reorganisation der ostdeutschen Wirtschaft zu. Ihre Aufgabenzuschreibung ist Ausdruck der optimistischen Annahme, daß die schnelle Privatisierung des ehemaligen Volkseigentums der direkte Weg zum wirtschaftlichen Aufschwung ist. Als weltgrößte Holding auf Zeit soll sie die Voraussetzungen dafür schaffen, daß private Unternehmer an die Stelle der Staats-und Planbürokratie treten. Während dies für die „Filetstücke“ der ostdeutschen Wirtschaft schnell gelang, erweisen sich die weniger produktiven Betriebe oft als unverkäuflich. Deren rasche Stillegung wird volkswirtschaftlich damit begründet, daß fehlinvestierte Erhaltungssubventionen eingespart und anderweitig eingesetzt werden können.
Die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung an neo-liberalen Wirtschaftsprinzipien wie auch das Festhalten an ordnungspolitischen Grundsätzen (insbesondere der „Rückgabe vor Entschädigung“ von Eigentum) waren schon frühzeitig Ansatzpunkte für die Kritik seitens der politischen Opposition und der Gewerkschaften. Diese bemängeln die viel zu hohe Geschwindigkeit und die „Planlosigkeit“ bei der Veränderung der Rahmenbedingungen zur Überleitung in die freie und soziale Marktwirtschaft. Zeitliche Streckung, Struktur-und beschäftigungspolitische Gestaltung sowie längerfristige soziale Abfederung des Übergangsprozesses werden als Therapie empfohlen. In dieser Vorstellung spielt das Instrument der „Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung“ (ABS-Gesellschaften) eine wichtige Rolle. Bis zu 400 derartiger Träger bieten heute in Ostdeutschland befristete Beschäftigung und (oder) führen berufliche Qualifizierung im Rahmen arbeitsmarktlicher Förderprogramme digch.
II. Das Konzept der Beschäftigungsgesellschaften
1. Zur Entstehung von Beschäftigungsgesellschaften in Westdeutschland Beschäftigungsgesellschaften sind entstanden als Reaktion auf Arbeitsmarktkrisen der frühen achtziger Jahre, insbesondere in der Bundesrepublik, aber auch z. B. in Frankreich oder Schweden Sie sollten die personenbezogenen Arbeitsmarkt-instrumente (z. B. Lohnersatzleistungen, einzel-fallbezogene Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung, zur Fortbildung und Umschulung oder vorgezogene Pensionierung) ergänzen. Die Gewerkschaften sahen in ihnen eine qualitative Weiterentwicklung von Sozialplänen, um Massenentlassungen nicht nur finanziell, sondern auch sozialpolitisch abzufedem. Diese Auffanggesellschaften für von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmerinnen sollten den Verlust von Arbeitsplatz und Arbeitsrolle zumindest hinausschieben und die Betroffenen für neue Dauerbeschäftigungen auf dem „ersten Arbeitsmarkt“ qualifizieren. Ein weiteres Anliegen war es, die Gesellschaften in die regionale Strukturpolitik einzubinden. Sie sollten dazu beitragen, in den von Strukturumbrüchen betroffenen Regionen (z. B. Ruhrgebiet, Weser-Ems-Land, Saarland) die technische, ökonomische und auch soziale Infrastruktur zu verbessern. Ehrgeiziges Ziel dieser aktiven Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik war die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Zukunftsbranchen.
Bis in die siebziger Jahre gab es eine Beschränkung auf die passive, durch das Arbeitsförderungsgesetz definierte Politik mit traditionellen, personenbezogenen Arbeitsmarktinstrumenten. Deren Konzentration auf Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe) sowie individuelle Fortbildung/Umschulung war in den „Zwischenkrisen“ der sechziger und siebziger Jahre breit akzeptiert. Der sich Ende der siebziger Jahre abzeichnende, die achtziger Jahre kennzeichnende dramatische Personalabbau in Krisenbranchen mit schwerwiegenden Folgen für die Wirtschaftskraft monostrukturierter Regionen stellte diese Defensivstrategie in Frage. Die Gewerkschaften in ihrer Mitverantwortung für die Ausgestaltung der öffentlichen Arbeitsmarktpolitik gerieten in ein Legitimationsproblem. Speziell die zur Abfederung von Massenentlassungen aus Großbetrieben konzipierte Sozialplanpolitik wurde bei Ausbluten des Arbeitsplatzpotentials ganzer Regionen unglaubwürdig. Ein Festhalten an der reaktiven Arbeitsmarktpolitik hätte zu Unglaubwürdigkeit, Mitgliederschwund und schließlich Machtverlust der Arbeitnehmerorganisationen führen können.
Vor diesem Hintergrund initiierten Gewerkschaften Ende der siebziger Jahre in den Krisen-branchen Stahl, Rüstungsgüter, Schiffbau sowie Unterhaltungselektronik erste Beschäftigungsgesellschaften. Diese Träger fassen die (zeitweise) entlassenen Arbeitnehmerinnen eines Großbetriebes in einer Gesellschaft zusammen, die rechtlich selbständig und damit durch Arbeitsmarktmittel leichter zu finanzieren ist Insgesamt hat es in (der alten) Bundesrepublik ein gutes Dutzend derartiger Beschäftigungsgesellschaften mit zusammengezählt etwa 2000 bis 3000 Personen in Qualifizierungs-bzw. Beschäftigungsmaßnahmen gegeben
2. Zur Zielsetzung von Beschäftigungsgesellschaften
Beschäftigungsgesellschaften verfolgen ein sozial-und strukturpolitisches Doppelziel:
Erstens sollen den betroffenen Arbeitnehmerinnen Chancen zur Weiterqualifizierung und zum Wiedereinstieg in reguläre Beschäftigungsverhältnisse sowie zur sozialen Integration in eine Betriebsgemeinschaft gegeben werden (individuelle Ebene). Zweitens soll der Zeitraum für den Anpassungsprozeß des Betriebs und der regionalen Wirtschaft bei Sicherung der qualifikatorischen und organisatorischen Ressourcen gestreckt und -wenn möglich -zur Entwicklung neuer Produkte und Vermarktungskonzepte genutzt werden. Beispielhaft ist der umfassende Beschäftigungsplan des Unterhaltungselektronik-Untemehmens Grundig, in dem durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch besetzte Kommissionen Konzeptionen zur Produktdifferenzierung, zur Qualifizierung und zur menschengerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen erarbeiteten
Wenngleich diese aktive Beschäftigungspolitik den Arbeitgebern ordnungspolitische Konzessionen abverlangt, bietet sie ihnen auch Vorteile: Abschwächung schlechter Öffentlichkeitswirkung von Massenentlassungen, untemehmensnahes, personalkostensparendes Vorhalten einer Arbeitskräfte-Reserve mit aktualisiertem Qualifikationsprofil, Einstieg in neue öffentliche Finanzierungsschienen über regionalpolitische Konsensbildung.
Die Erfolge westdeutscher Beschäftigungsgesellschaften der achtziger Jahre liegen in der sozialpolitischen Dimension: Über Wiedereinstellung in den entlassenden Betrieb, Einmündung in neue Beschäftigungsverhältnisse nach oder während der Qualifizierung bzw. Frühpensionierung nach einer gewissen Wartezeit in der Beschäftigungsgesellschaft lassen sich vielfach soziale Härten vermei den (häufiger als erwartet schlagen Arbeitnehmerinnen jedoch die Qualifizierungsofferte zugunsten einer Abfindung aus, verbunden mit höherem Arbeitslosigkeitsrisiko). Zahlreiche Arbeitnehmerinnen werden nicht nur vorübergehend vor Arbeitslosigkeit, Verlust von Selbstbewußtsein und Arbeitsvermögen bewahrt, sondern ihnen wird darüber hinaus der qualifikationsangemessene Wiedereinstieg in das Berufsleben ermöglicht. Diese insgesamt positive Bilanz ist vor dem Hintergrund des konjunkturellen Aufschwungs seit Mitte der achtziger Jahre zu sehen, insbesondere der Erholung der Stahlkonjunktur.
Demgegenüber werden die strukturpolitischen Ziele nur sehr begrenzt erreicht, trotz intensiven Einsatzes öffentlicher Mittel: Die Entwicklung neuer Produkte und Märkte (sei es für den Stamm-betrieb, neugegründete Tochterunternehmen oder auch Existenzgründungen aus den Beschäftigungsgesellschaften heraus) gelingt fast nie. Ein Grund dafür liegt darin, daß die Stammbetriebe das beste Personal behalten, daß mobile Hochqualifizierte die Region verlassen und somit eine . Negativauswahl'für die Beschäftigungsgesellschaften stattfindet. Außerdem müssen sich die regionalen Akteure -von der kommunalen Wirtschaftsförderung bis zu den Gewerkschaften -Kompetenzen für eine mittelfristig angelegte Strukturpolitik erst aneignen. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Forschung und Entwicklung, aber auch für Marketing und Kapitalbeschaffung Schließlich erweist sich die Kooperation der unterschiedlichen Akteure und Interessengruppierungen vor Ort oft als zäher Lernprozeß.
Aus heutiger Sicht liegt ein zentrales Versäumnis darin, daß insbesondere der Bund die Förderung der regionalen Strukturpolitik unter dem Eindruck der Mitte der achtziger Jahre einsetzenden „Zwischenkonjunktur“ vernachlässigt hat, und dies trotz eines hohen Sockels dauerhaft Arbeitsloser. Die Entthematisierung der Arbeitslosigkeit reicht bis in sozialdemokratische und gewerkschaftliche Organisationen. Das nach der Vereinigung in den neuen Bundesländern ausufemde Beschäftigungsproblem trifft die politischen Akteure unvorbereitet und findet unterentwickelte Instrumente vor. Die schlechte konzeptionelle und institutionelle Ausstattung für eine aktive Beschäftigungs-und Strukturpolitik ist in Westdeutschland hausgemacht. Das gigantische Ausmaß der Probleme in Ostdeutschland verführt leicht dazu, auch dieses Defizit unter die Rubrik „Danaergeschenk der Vereinigung“ zu subsumieren.
III. ABS-Gesellschaften in den neuen Bundesländern -Auslaufmodell für viele Jahre?
Orientierungslosigkeit ist kennzeichnend für die sozioökonomische und politische Ausgangslage der Arbeitsförderungsgesellschaften in den neuen Bundesländern. In der arbeitsmarktpolitischen Notsituation der Jahreswende 1990/1991 importierten die dortigen Industriegewerkschaften das Konzept der Beschäftigungsgesellschaft und setzen es schrittweise, anfangs gegen erheblichen Widerstand der Arbeitgeberverbände, zusammen mit regionalen/kommunalen Kooperationspartnern und einzelnen Betriebsleitungen in die Praxis um
Die verheerende Situation ein Jahr nach Einführung der Wirtschafts-und Währungsunion und der politische Druck der Gewerkschaften ermöglichten einen überraschenden Kompromiß mit den Arbeitgeberverbänden, bei gleichzeitiger Verpflichtung der Treuhandanstalt und der ostdeutschen Landesregierungen. Seitdem ist die „Rahmenvereinbarung zur Bildung von Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Struktur-entwicklung (ABS) vom 17. Juli 1991“ politische Arbeitsgrundlage.
Aus ihrem gleichwohl mäßigen Engagement (vgl. III. 2.) entstehen der Treuhandanstalt Vorteile für die Privatisierungspolitik: Die Chance, Betriebe an Übernehmer zu veräußern, steigt dadurch, daß die ehemaligen volkseigenen Betriebe durch ABS-Gesellschaften bereits von einem Großteil der später ohnehin zu entlassenden Arbeitskräfte, damit auch von Arbeitskosten und Soziallasten . befreit'werden.
Betrachtet man den Verlauf der ordnungspolitischen Kontroverse, die Veränderung der Förderbedingungen und schließlich die quantitative Entwicklung der Arbeitsförderungsgesellschaften in Relation zur ostdeutschen Arbeitslosigkeit, drängen sich die im folgenden zu diskutierenden Fragen auf: Wurde ein von den Geldgebern nur halbherzig unterstützter Mitspieler „ABS-Gesellschaft“ in den rauhen Konkurrenzkampf geschickt, schlecht ausgerüstet und kaum vorbereitet? Halten die Manager der Wirtschaftsunion an diesem Aufgebot fest, da sie den Entwicklungs-, Trainings-und Investitionsmehraufwand für bessere scheuen? Wird eine dringend der Auffrischung bedürftige Mannschaft im Rennen gelassen, die läuft, und läuft, und läuft... -ins Abseits?
1. Ordnungspolitische Kontroverse als Hemmschuh
Laut Rahmenvereinbarung sollen die ABS-Gesellschaften den Umstrukturierungsprozeß der ostdeutschen Wirtschaft „konstruktiv begleiten“. Das aus der bundesdeutschen Diskussion der achtziger Jahre bekannte sozial-und strukturpolitische Doppelziel wird für die ostdeutschen Arbeitsförderungsgesellschaften übernommen. Vorrangig ist allerdings, den Transformationsprozeß für die Arbeitnehmerinnen sozialverträglich abzufedern. Der krisenbedingte Rückgang der Arbeitsplatzzahlen soll durch öffentlich finanzierte Ersatzarbeitsplätze verlangsamt werden, um Menschen aufzufangen, ihnen Hilfen für soziale Stabilisierung und berufliche Weiterentwicklung zu geben. Darüber hinaus sollen Qualifizierungs-und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen den Umbau der Wirtschaft unterstützen.
Die Auseinandersetzung um den Stellenwert der ABS-Gesellschaften ist trotz o. g. Rahmenvereinbarung weitergegangen. In ihrem Frühjahrsgutachten ’ 92 formulieren die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute die Befürchtung, daß „diese Beschäftigungsgesellschaften zur Bildung eines zweiten Arbeitsmarktes führen, der mit privaten Unternehmen sowohl beim Güterangebot als auch bei der Arbeitsnachfrage in Konkurrenz tritt“ Damit sind zwei zentrale Einwände der Arbeitgeber sowie wirtschaftsliberaler Politiker und Wissenschaftler angesprochen: 1. Verzerrung der Wettbewerbsverhältnisse: Durch staatliche Subventionierung von Löhnen, z. T. auch von Investitionen, würden ABS-Gesellschaften als dauerhafte Markteintrittsbarriere für private Anbieter institutionell verfestigt Dabei wird unterstellt, daß die ABS-Gesellschaften Leistungen erbringen, welche die Privatwirtschaft ebenfalls rentabel bereitstellen könnte. Das Gegenargument hierzu lautet, daß die Gesellschaften häufig unrentierliche Aufgaben ausführen, wie z. B. Aufräumungsarbeiten oder Natur-schutzmaßnahmen, und daß sie angesichts der gewaltigen Sanierungsarbeiten überhaupt nur Bruchteile davon bewältigen könnten. Bisherige Erfahrungen deuten in eine andere Richtung: Es werden zur Förderung der privaten Wirtschaft unverzichtbare Infrastrukturvorleistungen bereitgestellt 2. Schädliche Beeinflussung des Arbeitsmarktes: Die tariflich zahlenden ABS-Gesellschaften gaukelten den Menschen Arbeitsplatzsicherheit vor und böten Einkommen, die die Motivation zur Abwanderung in den Privatsektor mit ggfs, geringerem Lohnniveau oder höheren Leistungsanforderungen negativ beeinträchtigten In der Praxis hat sich auch diese Kritik bislang nicht bestätigt *S*ie*hat allerdings mit Beginn des Jahres 1993 Niederschlag in einer Ausgestaltung des Arbeitsmarktförderinstrumentariums gefunden, die untertarifliche Bezahlung zur Voraussetzung macht (vgl. III. 3.). Dies kann den Trend verstärken, daß sich leistungsgeminderte oder leistungsunwillige Arbeitnehmerinnen noch stärker in den ABS-Gesellschaften konzentrieren und damit deren sozialpolitischer Charakter noch mehr in den Vordergrund tritt (vgl. L).
Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften konkurrieren beim Thema ABS-Gesellschaften auch um gesellschaftspolitische Machtpositionen. Aus der Sicht der Gewerkschaften sind die in ABS-Gesellschaften Beschäftigten eher bereit, sich gewerkschaftlich zu organisieren als isolierte Arbeitslose. Die Arbeitgeberverbände fürchten demgegenüber eine gewerkschaftliche Einflußzunahme in der regionalen und Landespolitik, basierend auf einer ausgebauten beschäftigungspolitischen Infrastruktur.
In der Konsequenz widersetzen sich die Arbeitgeber insbesondere der dauerhaften Etablierung von Beschäftigungsgesellschaften, wollen sie als „Nothilfe“ nur so lange und in dem Maße tolerieren, wie dies sozialpolitisch unabdingbar ist. Dagegen beabsichtigten die Gewerkschaften von Beginn an, Arbeitsplätze für Arbeitnehmerinnen in möglichst großer Zahl zu sichern. ABS-Gesellschaften sind in diesem Konzept Bausteine einer langfristig angelegten regionalwirtschaftlichen und strukturpolitischen Strategie, in Kombination mit z. B. „Gewerbe-und Technologiezentren, regionalen Forschungs-und Entwicklungspools“
Die Weichen für die Zukunft der ABS-Gesellschaften werden auf der bundespolitischen Ebene gestellt. Hier ist die ordnungspolitische Frontstellung verhärtet und entbehrt seit geraumer Zeit innovativ-kreativer Impulse. Die Entwicklungschancen der Gesellschaften werden von den Kontrahenten (Tarifpartner, Bundesregierung und Opposition) unterhöhlt, allerdings mit engegengesetzten Absichten: Während die einen deren mittelfristige Einstellung anvisieren, beharren die anderen auf dysfunktional großen Trägern. Eine präzise Bestimmung der Leistungsfähigkeiten, aber auch -grenzen der ABS-Gesellschaften wird ebenso vernachlässigt wie die systematische Arbeit an geeigneten betrieblichen Umsetzungsformen und Ausstattungserfordemissen.
2. Erste Hilfe in der Zeit des Umbruchs
Die ordnungspolitische Kontroverse findet in der Landes-und Kommunalpolitik Ostdeutschlands wenig Resonanz Dort geht es den Initiatoren und Hauptträgern der ABS-Gesellschaften darum, die anstehenden Massenentlassungen aus den ehemals staatseigenen Betrieben kurzfristig aufzufangen.
Exakte Aussagen über Anzahl, Größe und regionale Verteilung der ABS-Gesellschaften sind nicht verfügbar. Die Fachdiskussion leistet keine klare Abgrenzung gegenüber ähnlichen Trägem in der Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik. Aktuelle Statistiken der Länder, der Treuhandanstalt oder der Bundesanstalt für Arbeit fehlen Ende 1991 existierten nach Angaben des Institutes für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) 333 ABS-Gesellschaften mit rund 130000 Beschäftigten. 1992 sind nur wenige Neugründungen bekannt geworden, darunter einige . Zweigstellen 1. Ein Drittel aller ABS-Gesellschaften hat den Sitz im Land Brandenburg. Mit nahezu 40 Prozent befinden sich überproportional viele ABS-Arbeitsplätze in Sachsen, bei entsprechend hohen Durchschnitts-größen Die überwiegend als GmbH oder e. V. firmierenden Gesellschaften werden zunehmend von den Kommunen getragen; die noch für 1991/92 typische Hauptträgerschaft durch (Großbetriebe ist rückläufig.
Die Arbeitsschwerpunkte der ABS-Gesellschaften haben sich deutlich verschoben. Während anfangs die Sanierung von Betriebsflächen und -gebäuden dominierte, rücken heute Maßnahmen im Umweltschutz und bei der öffentlichen Infrastruktur zunehmend mehr in den Mittelpunkt, gefolgt von sozialen Dienstleistungen Einige koordinieren Qualifizierungsmaßnahmen, die in der Regel von externen Anbietern durchgeführt werden. Die oft hoffnungsvoll begonnene Entwicklung neuer Produkte führte selten ins Stadium der Marktreife.
Die ABS-Gesellschaften werden hauptsächlich auf Basis des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) finanziert. Zusätzlich können sie Gelder aus dem „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“ (GA), dem Bundesetat, aus speziellen Landesprogrammen oder dem EG-Sozialfonds in Anspruch nehmen. Die Überlebensfähigkeit von ABS-Gesellschaften hängt wesentlich von den Ausführungsbestimmungen des AFG ab. Während der Haupt-Gründungswelle (Frühjahr bis Herbst 1991) waren die Konditionen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) vergleichsweise günstig. Mit dem „Aktionsprogramm Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 1991“ der Bundesanstalt für Arbeit und den zusätzlichen GA-Mitteln in Höhe von 5, 5 Mrd. DM für ABM (insbesondere für Sachkosten) „schien man damals eher an .organisatorische 1 als an . finanzielle 1 Grenzen zu stoßen“ Die Rahmenvereinbarung zwischen Treuhandanstalt, Gewerkschaften, Arbeitgebern und den neuen Ländern vom 17. Juli 1991 stellte in Ostdeutschland nachträglich einen gesellschaftlichen Konsens darüber her, was durch kurzfristige Sonderprogramme bereits realisiert worden war. Neu waren die Zusagen der Treuhandanstalt, die in der -Unterstützung bestehender ABS-Gesellschaften und Mithilfe bei der Gründung von neuen, -Leistung sachlicher, personeller, räumlicher und finanzieller Hilfen durch Treuhandbetriebe auf Basis je Einzelfall auszuhandelnder Kooperationsverträge und in der Schaffung von Trägergesellschaften auf Landesebene, bei denen die Treuhandanstalt sich neben den anderen Akteuren mit 10 Prozent des Gesellschaftskapitals beteiligt bestehen.
Vertreter der Arbeitnehmerseite sehen im Engagement der Treuhandanstalt eine gleichwohl begrenzte Kompensation für deren Privatisierungspolitik. Die Zielformulierung in der Vereinbarung, „Neugründungen von Unternehmen“ aus den ABS-Gesellschaften vorzunehmen, läßt erkennen, daß diese als Durchgangsstadium hin zu einer (aufgeschobenen) Privatisierung gesehen werden.
3. Zunehmend kurzatmige Finanzierungsbedingungen
Nach den anfangs sehr günstigen Finanzierungsmodalitäten erfolgte bereits durch den „Steuerungserlaß“ der Bundesanstalt für Arbeit vom August 1991 eine erste starke Einschränkung Die 10. Novelle des AFG vom 1. Januar 1993 bringt sowohl für Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen (FuU) als auch für ABM verschlechterte Konditionen. Die Sonderregelungen für das Beitrittsgebiet der ehemaligen DDR sind weitgehend suspendiert worden. Im FuU-Bereich gehen die Teilnehmerlnnen-Zahlen daraufhin in unmittelbarer Folge zurück 26. Der Abbau von ABM-Arbeitsplätzen verteilt sich über das Jahr 1993, da viele Maßnahmen noch Ende 1992 -unter den günstigeren Konditionen -bewilligt wurden. Im Februar 1993 verfügte die Bundesanstalt für Arbeit einen ABM-Genehmigungs-Stopp, den sie damit begründete, daß alle für 1993 vorgesehenen ABM-Mittel (rund 10 Mrd. DM) schon zu Jahresbeginn verplant worden seien. Das in Reaktion auf diese Entwicklung im Rahmen des „Solidarpaktes“ vereinbarte „ABM-Stabilisierungsprogramm des Bundes“ vom 26. März 1993 ist mit zwei Mrd. DM vergleichsweise gering dimensioniert. In den neuen Bundesländern sollen damit 90000 ABM-Stellen geschaffen werden. Das Stabilisierungsprogramm führt die mit dem Steuerungserlaß begonnene Praxis fort, von den Ländern, den Trägem oder gar den Beschäftigten selbst (über Lohnverzicht/Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich) Eigenanteile einzufordern Verschlechterte Konditionen und geringerer Umfang sind ursächlich dafür, daß das Stabilisierungsprogramm den im Sommer 1993 -mit Auslaufen des zweijährigen Förderzeitraums -erfolgten umfangreichen Abbau von ABM nicht kompensieren kann.
Die 10. Novelle des AFG bietet allerdings mit dem neugeschaffenen § 249h eine von vielen ABS-Gesellschaften mit Interesse aufgenommene Möglichkeit, bis zum 31. Dezember 1997 Arbeiten zur Verbesserung der Umwelt, der sozialen Dienste oder der Jugendhilfe zu bezuschussen. Die Höhe des Zuschusses berechnet sich als Durchschnittswert aus den monatlichen Pro-Kopf-Aufwendungen der Bundesanstalt für Arbeit für Empfängerinnen von Arbeitslosgengeld und Arbeitslosenhilfe Neu ist, daß auch Wirtschaftsbetriebe im Umweltbereich (als derartige gelten auch ABS-Gesellschaften) solche bislang für gemeinnützige Träger reservierten Mittel in Anspruch nehmen können. Kurzfristig hofft man, durch Einsatz dieses Instrumentes bis zu 70000 Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Einschätzung des § 249 h muß ambivalent ausfallen. Kritik -aus Arbeitnehmersicht -richtet sich auf drei Aspekte: -Untertarifliche Bezahlung: Es wird ein Arbeitsentgelt gezahlt, das höchstens 90 Prozent des Tarifs beträgt (bei 100 Prozent Arbeitszeit), oder die Arbeitszeit wird auf 80 Prozent des sonst Üblichen reduziert. -Unzureichende Förderhöhe: Der Lohnkostenzuschuß deckt nur etwa ein Drittel der tatsächlichen Gesamtkosten je Arbeitsplatz ab. Zusätzliche stärker kostendeckende Bundesmittel für Lohn-und Sachkosten sind für Groß-projekte im Braunkohle-und Chemiesektor reserviert. -Im Sozialbereich Beschränkung auffreie Träger (Wohlfahrtsverbände): Die Einengung der Zuschußfähigkeit im Bereich der Sozialen Dienste und der Jugendhilfe läßt die vielfach in kommunaler Regie geführten Leistungsangebote außen vor.
Positiv bleibt anzumerken, daß mit dem § 249h AFG der bisher gegenseitige Ausschluß von ABM-Förderung und marktnaher Tätigkeit gelockert wird. Zudem wird die Projektierung von Maßnahmen über einen mehljährigen Zeitraum ermöglicht. Bisher ist nicht abzusehen, ob dieser Maßnahmentyp arbeitsmarkt-und strukturpolitisch effizient ist.
Zahlreiche Fallbeispiele aus den neuen Ländern belegen, daß die fortlaufend verschlechterten finanziellen Rahmenbedingungen zwar kurzfristig nicht zur Schließung von ABS-Gesellschaften führen müssen, aber zum Verlust von Arbeitsplätzen und damit oft des besser qualifizierten Personals. Eine Beschäftigungs-und Arbeitsmarktpolitik, die sich diesem schleichenden Prozeß des Niedergangs nicht ausliefern will, muß langfristig, d. h. auf mindestens 10 Jahre planen Was aber würde es bedeuten, die von Gewerkschaften und SPD ebenso stark eingeklagten wie von Arbeitgebern und F D P. abgelehnten Strukturförderprogramme zu konkretisieren? Wie können die arbeitsmarktpolitischen Instrumente stärker als bisher auch investiv eingesetzt und mit Blick auf wirtschaftliche und soziale Stabilisierung chronisch strukturschwacher Regionen qualifiziert werden? Statt Arbeitslosigkeit Beschäftigung zu finanzieren, klingt überzeugend, aber wie kann eine solche Strukturpolitik instrumentiert werden?
IV. Eine Zukunft für die ABS-Gesellschaften?
Ob diese Frage mit , Ja‘ oder , Nein‘ zu beantworten ist, entscheidet sich vorrangig auf makropolitischer Ebene, in den Verhandlungen über den Solidarpakt, das „Föderale Konsolidierungsprogramm“ und mit den nachfolgenden finanzpolitischen Weichenstellungen. Dies soll nicht davon freisprechen, die'Handlungserfordernisse der betrieblichen Mikro-und der regionalpolitischen Mesoebene auszuloten. Im Kampf um Fördermittel und Marktanteile müssen sich die ABS-Gesellschaften zu Organisationen mit klaren Zielen, angemessenen Entscheidungs-und Arbeitsabläufen sowie passender Unternehmenskultur profilieren. Tragfähige Unternehmens-und Qualifizierungskonzepte können auf Basis unterschiedlicher betrieblicher Organisationstypen entwickelt werden wie zum Beispiel: „Neue“ Selbständigen-Gründungen: Diese wurden Ende der siebziger Jahre von der westdeutschen Beschäftigungspolitik , entdeckt 4, wobei sowohl krisenbedingte als auch kulturelle Bedingungsfaktoren („Wertewandel“, Auflösung des traditionellen Arbeitermilieus eine Rolle spielten. Die Gründerinnen verfügen über qualifizierte Bildungsabschlüsse und siedeln ihre Güter und Dienstleistungen in zukunftsorientierten Branchen an (z. B. High-Tech oder Ökologie Dabei mangelt es selten an fachspezifischen, wohl aber an betriebswirtschaftlichen Qualifikationen und an Marktkenntnissen. Nur wenigen ABS-Beschäftigten dürfte der Umstieg in die mit hohen Risiken verbundene Selbständigkeit gelingen
Produktivgenossenschaften: Betriebe im Eigentum der Beschäftigten erscheinen bei Eigenkapitalmangel und hohem Arbeitskräfteangebot als Mittel der Wahl. Die Mobilisierung des Selbsthilfepotentials ist in einigen europäischen Krisenregionen wie Baskenland oder Schottland gelungen. Die Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) und die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der ehemaligen DDR, die diesem Modell entsprechen würden, sind bis auf einige hundert Betriebe mit gut 100000 Arbeitsplätzen aufgelöst. Der politische Widerstand gegen die Produktivgenossenschaft als vorgeblich , marktwirtschafts-unverträglich ist erheblich, das zeigt sich konkret in ungünstigen Regelungen des Einigungsvertrages oder bei der Mittelstandsförderung Überdies ist praktisches Steuerungswissen für moderne demokratische Unternehmensformen Mangelware. Wie englische oder österreichische Beispiele zeigen, sind betriebsnahe Beratungs-und Entwicklungseinrichtungen ausschlaggebend für Gründung und Konsolidierung Soziale Beschäftigungsinitiativen: Diese verfolgen vorrangig sozialpolitische bzw. -pädagogische Ziele. Sie integrieren von Arbeitsmarkt-und sozialen Problemen besonders Betroffene und bieten ihnen befristet Beschäftigung. Die Tätigkeitsfelder der Initiativen liegen im öffentlichen Interesse. 1990 gab es in Westdeutschland etwa 150 Sozialbetriebe mit ca. 5000 Beschäftigten. Ein -bei nachlassender Konjunktur schrumpfender -Teil der Beschäftigten kann in nicht-geförderte Arbeit vermittelt werden (etwa 20 Prozent, je nach regionaler Arbeitsmarktlage auch deutlich mehr). „Für rund 25 Prozent wird man jedoch nicht umhin können, unbefristete Arbeitsmöglichkeiten bei Beschäftigungsgesellschaften und anderen Trägem anzubieten, damit sie nach einigermaßen gelungener »Stabilisierung* nicht wieder arbeitslos werden .. . ‘ Hauptproblem der Sozialbetriebe ist die Anschlußperspektive, nach Auslaufen der personengebundenen Förderungen. „Eine Vielzahl von Projekten kämpft im Dschungel des Finanzierungsmix aus AFG-Mitteln, BSHG (Bundessozialhilfegesetz: die Verf.) -Mitteln, Landes-und Bundesförderprogrammen, Mitteln des Europäischen Sozialfonds und der Notwendigkeit, aus Umsätzen Kosten zu decken, um kurzfristig zu überleben.“ Daß dies vielen Beschäftigungsinitiativen gelingt, ist auf Qualifikation und Engagement des -im Vergleich zur Wirtschaft weit unterbezahlten -Fachpersonals zurückzuführen Hinter diesen Organisationstypen stehen ordnungspolitische Grundoptionen: erstens das privatwirtschaftlich gewinnorientierte Unternehmen, mit personalgebundenen Eigentums-und Entscheidungsrechten, finanziert über den Kapital-und Absatzmarkt, ergänzt über öffentliche Anschubfinanzierungen; zweitens das gemeinwirtschaftliche, auch sozialpolitisch orientierte Unternehmen, dem strengen Rahmen der Gemeinnützigkeitsbestimmungen unterworfen, öffentlich finanziert.
Das Notmanöver hin zu den Sozialbetrieben, zu dem sich die ABS-Gesellschaften in den neuen Bundesländern gezwungen sehen, droht diese auf die undankbare Rolle von „Bewahranstalten für chancenlose Arbeitnehmer“ festzulegen Das ABS-Konzept könnte aber auch weiterentwickelt werden, wenn es gelänge, Organisationstypen und Grundoptionen politisch zu integrieren: Daß dies grundsätzlich möglich ist -indem über Kommunen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände hinaus auch Industrie-und Handelskammern bzw. auch die Handwerkskammern in regionale Konsensstrategien eingebunden werden -, darauf verweisen die Erfahrungen mit den Regionalkonferenzen in Nordrhein-Westfalen
Es ist kaum ein schärferer Kontrast vorstellbar zwischen einer regional selbstbewußten Struktur-politik und der Abseitsposition, in welche die ABS-Gesellschaften zu geraten drohen: Bei weiterhin hohen auf sie gerichteten Erwartungen auf Arbeitsmarktentlastung laufen die Sonderförderungen aus, neue Zuschüsse werden an untertarifliche Arbeitsverträge gebunden, Unsicherheit grassiert, wie oder gar ob in den nächsten Monaten noch finanziert wird. Eine kopflose Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik programmiert die ABS-Gesellschaften auf Abstieg. Frustration der Leistungsträger und Aggression der in die Unsicherheit entlassenen sind zu befürchtende Folgen