„Politik-und Parteienverdrossenheit“ sind als neue Wortschöpfungen schnell zur Hand, wenn die Stimmungslage von Teilen der deutschen Bevölkerung zum gegenwärtigen politischen Geschehen umschrieben wird. Hierin einbezogen sind sogartig auch die politischen Stiftungen, da in der Öffentlichkeit zwischen Politik, Parteien und den ihnen nahestehenden Stiftungen selten im funktional gewünschten und rechtlich auch notwendigen Maße differenziert wird. Ein wesentliches Erklärungsmoment dafür dürfte sein, daß in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung nur wenig bekannt ist, wie politische Stiftungen arbeiten, welches ihre Ziele und Aufgaben sind und wie sie sich in unserem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen legitimieren.
Es ist offensichtlich, daß in diesem Kontext tiefer-greifende Informationen notwendig sind, um Zusammenhänge hersteilen zu können und zu verstehen. Die folgenden Ausführungen begreifen sich deshalb als Beitrag zur Schließung dieser Lücke. Zudem steht auch die politische Bildung zur Zeit auf dem Prüfstand -glauben doch Kritiker, in diesem Bereich Mängel erkennen zu können, die nun ihrerseits als vermeintlicher Erklärungsgrund für Fehlentwicklungen im politischen und gesellschaftlichen Zusammenleben herangezogen werden. Die Frage, wie der Rechtsextremismus in Deutschland trotz intensiver schulischer wie außerschulischer politischer Bildungsarbeit wieder erstarken konnte, mag exemplarisch als Beleg dafür dienen.
Die politische Bildung steht nicht zuletzt auch aufgrund der wiedergewonnenen deutschen Einheit und des tiefgreifenden Umbruchs in Europa und in der Welt ohne Zweifel vor neuen Herausforderungen. Entsprechend vielfältige Erwartungen werden an sie herangetragen, mit ihr verknüpft. Bedeutet dies aber zugleich, daß sich ihre Ziele und Aufgaben geändert haben beziehungsweise ändern müssen? Sind die Erwartungen an die Leistungsfähigkeit und die Effizienz politischer Bildung überzogen? Muß politische Bildung gar als Feuerwehr für aktuelle politische Fehlentwicklungen herhalten? Auch hier scheint ein Nachdenken darüber angebracht, was politische Bildung in Deutschland will, wie ihre Ziele und Aufgaben im Grundsatz definiert sind, was sie -realistisch betrachtet -leisten kann und was nicht.
Wie sehr die politische Bildung bei der Betrachtung und Bewertung der politischen Stiftungen eine besondere Rolle spielt, dürfte Insider kaum verwundern, denn die Stiftungen legitimieren sich aus ihrer politischen Bildungsarbeit heraus und haben dort ihre Wurzeln. Die Herausarbeitung dieser Interdependenzen ist ein wesentliches Anliegen dieses Beitrages.
I. Politische Stiftungen in Deutschland
1. Geschichte, Aufgaben und Selbstverständnis
Wenn im folgenden von den politischen Stiftungen die Rede ist, wird Bezug genommen auf die -Konrad-Adenauer-Stiftung, -Friedrich-Ebert-Stiftung, -Friedrich-Naumann-Stiftung sowie die -Hanns-Seidel-Stiftung.
Diese vier traditionellen Stiftungen sind bundesweit und international tätig und stehen den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien CDU, SPD, FDP und CSU nahe. Deshalb wird häufig auch der Begriff „parteinahe Stiftungen“ synonym verwendet. Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist die älteste Stiftung, sie wurde bereits 1925 gegründet. Nach dem Verbot durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 nahm sie 1949 ihre Arbeit wieder auf. Sie wurde für das verlorengegangene Vermögen entschädigt. Die 1964 gegründete Konrad-Ade-nauer-Stiftung entstand aus dem 1962 ins Leben gerufenen „Institut für Internationale Solidarität“ und der „Gesellschaft für christlich-demokratische Bildungsarbeit“ (1956), die 1958 in „Politische Akademie Eichholz“ umbenannt wurde. -Die Friedrich-Naumann-Stiftung etablierte sich 1958, die Hanns-Seidel-Stiftung schließlich 1967. 1988 wurde von den GRÜNEN der „Stiftungsverband Regenbogen“ gegründet, als Dachorganisation für die grünennahe „Frauenstiftung e. V.“, „Heinrich-Böll-Stiftung e. V.“ und „Buntstift e. V.“ Allerdings unterscheidet sich der „Stiftungsverband Regenbogen“ von den traditionellen Stiftungen nicht nur in der organisatorischen Gliederung
Im Vergleich mit anderen westlichen Demokratien stellen die politischen Stiftungen deutscher Prägung nicht nur im Hinblick auf die Finanzierung eine Besonderheit dar. Sie sind in anderen Ländern in dieser Form unbekannt. Dies hat vor allem historische Gründe, aus denen sich auch das Hauptmotiv für die Gründung der Stiftungen in der Nachkriegszeit ableiten läßt. Es waren die demokratiezerstörehden Erfahrungen der Weimarer Republik, die am Ende zum Scheitern der ersten deutschen Republik beigetragen haben und in die verbrecherische Diktatur der Nationalsozialisten einmündeten. Den Parteien und Politikern war es in der Weimarer Republik nicht gelungen, die Mehrheit der Bürger von der liberalen Demokratie und den sie prägenden Werten zu überzeugen. Weimar stellte sich -plakativ formuliert -als eine „Demokratie ohne Demokraten“ dar. Somit verband sich mit den Stiftungsgründungen die Hoffnung, durch politische Bildungsarbeit zum Aufbau und zur Konsolidierung der jungen deutschen Nachkriegsdemokratie beizutragen und diese zu festigen. Autoritäre oder gar totalitäre Herrschaftsformen sollten nie wieder das politische und gesellschaftliche Leben im Westen Deutschlands bestimmen.
Ein Blick in die Stiftungssatzungen zeigt, daß „politische Bildung (zu) vermitteln“ (Konrad-Adenauer-Stiftung), „die demokratische Erziehung des deutschen Volks zu fördern“ (Friedrich-Ebert-Stiftung), „Wissen im Sinne der liberalen, sozialen und nationalen Ziele Friedrich Naumanns zu vermitteln“ (Friedrich-Naumann-Stiftung) sowie „die demokratische und staatsbürgerliche Bildung des deutschen Volkes auf christlicher Grundlage zu fördern“ (Hanns-Seidel-Stiftung) als zentrale Aufgaben beschrieben werden. Diesen Auftrag der politischen Stiftungen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 14. Juli 1986 unterstrichen: „Die Stiftungen sollen die Beschäftigung der Bürger mit politischen Sachverhalten anregen und den Rahmen bieten für eine -allen Bürgern zugängliche -offene Diskussion politischer Fragen. Dadurch wird das Interesse an einer aktiven Mitgestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens geweckt und das notwendige Rüstzeug vermittelt.“
So führte die Konrad-Adenauer-Stiftung im Jahre 1992 über 2100 Veranstaltungen zur politischen Bildung durch, an denen mehr als 85000 Bürgerinnen und Bürger aus der gesamten Bundesrepublik Deutschland und den europäischen Nachbarländern teilnahmen. 1993 werden es mit den nunmehr einundzwanzig Bildungswerken nach Erweiterung der Bildungsarbeit auch auf die nördlichen Bundesländer Niedersachsen, Bremen und Hamburg über 100000 Teilnehmer sein. Die Themenpalette in den Veranstaltungen deckt alle wichtigen innen-und außenpolitischen Fragen ab. Die Veranstaltungsformen variieren; sie reichen von Abendveranstaltungen bis hin zu einwöchigen Seminaren. Alle Veranstaltungen sind jedem interessierten Bürger zugänglich. Die Struktur der 10000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Veranstaltungen im Bildungszentrum Schloß Eichholz im Jahre 1992 unterstreicht dies nachdrücklich: 30 Prozent waren CDU-Mitglieder, 60 Prozent gehörten keiner Partei an, die restlichen 10 Prozent waren Mitglieder anderer Parteien oder machten keine Angaben.
Beim organisatorischen Aufbau der Stiftungen diente die ältere Friedrich-Ebert-Stiftung zunächst als Vorbild, ohne daß die Strukturen von vornherein so festgelegt waren, wie sie sich gegenwärtig darstellen. Bruno Heck, langjähriger Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, beschrieb 1989 den Entwicklungsprozeß folgendermaßen: „Die politischen Stiftungen, wie sie heute sind, sind nicht nach einem Plan so gemacht worden, sie haben ihre je eigenständige Gestalt im Laufe der vergangenen Jahrzehnte an ihrer Arbeit gewonnen; sie sind, so kann man sagen, nicht gemacht worden, sie sind den Bedürfnissen und Notwendigkeiten entsprechend gewachsen.“
Neben den Kembereich der politischen Bildung traten im Laufe der Jahre weitere wichtige Aufgabenfelder hinzu, die das Profil der politischen Stiftungen -wie es sich heute zeigt -prägen: -Förderung begabter junger Menschen, -internationale Zusammenarbeit mit Partnern und Organisationen in Europa und in den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, -historische, politik-, sozial-und kommunalwissenschaftliche Forschung, -Erarbeitung von Grundlagen für politisches Handeln sowie -Förderung von Kunst und Künstlern.
Innerhalb der Stiftungen stehen die genannten Tätigkeitsbereiche nicht hierarchisch zueinander, sondern gleichberechtigt nebeneinander. In der Praxis gibt es vielfältige, fruchtbare Wechselwirkungen zwischen den Tätigkeitsfeldern. Dies gilt insbesondere für den Zusammenhang von politik-wissenschaftlicher Forschung und politischen Bildungsansätzen. So wichtig und interessant es auch wäre, das Zusammenwirken im einzelnen näher vorzustellen, so muß sich mit Blick auf das gestellte Thema die Darstellung im folgenden auf die politische Bildungsarbeit in Deutschland beschränken.
2. Das Verhältnis von Parteien und politischen Stiftungen
Die vier großen politischen Stiftungen unterscheiden sich in ihren Ordnungsprinzipien, in ihren Zielen und Aufgaben nicht wesentlich voneinander. Es ist deshalb legitim, von der Gemeinsamkeit der Demokraten zu sprechen. Allerdings ist es auch kein Geheimnis, daß sich die Stiftungen an dem Grundwerteverständnis und am Selbstverständnis der Parteien orientieren, denen sie nahe-stehen.
Aus dem unterschiedlichen Grundwerteverständnis der Parteien resultiert die inhaltliche Vielfalt der politischen Stiftungen, die sich auch in ihrer Bildungsarbeit niederschlägt. Diese Vielfalt ist gewollt, spiegelt sie doch die Grundstrukturen unserer pluralistischen Demokratie wider. Im Verfassungsgerichtsurteil von 1986 heißt es dazu: „Die staatliche Förderung wissenschaftlicher Politikberatung, wie sie auch durch die Gewährung von Globalzuschüssen an die Stiftungen bewirkt wird, liegt im öffentlichen Interesse und stößt grundsätzlich nicht auf verfassungsrechtliche Bedenken. Mit Rücksicht auf die dargelegten Berührungspunkte zwischen der Tätigkeit der Stiftungen einerseits und den langfristigen politischen Zielvorstellungen einzelner politischer Parteien andererseits gebietet es allerdings der Gleichheitssatz, daß eine solche Förderung alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt.“ Neben CDU, CSU, SPD und FDP treffe dies auch wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung auf die GRÜNEN zu. Diese höchstrichterliche Feststellung ist besonders gewichtig, da sich aus ihr der Anspruch einer öffentlichen Stiftungsfinanzierung ableitet.
Daß sich die politischen Stiftungen in ihrer Arbeit an dem Grundwerteverständnis der ihnen nahestehenden Parteien orientieren, ist also legitim und wird in der Öffentlichkeit als Normalität empfunden. Weit diffuser hingegen sind in der Bevölkerung die Vorstellungen, ob und inwieweit die Stiftungen organisatorisch, finanziell und personell mit den jeweiligen Parteien verwoben oder von diesen gar abhängig seien. Da ist von „Briefkastenfirmen und Tamorganisationen der Parteien“ *die Rede; man unterstellt, die Parteien bedienten sich für ihre Zwecke der Stiftungen, bestimmten maßgeblich -sogar bis ins Detail -die Stiftungsaktivitäten mit. Diese Behauptungen sind unzutreffend: Zum einen verbietet das Bundesverfassungsgericht, daß Politiker, die führende Ämter innerhalb einer Partei bekleiden, vergleichbare Führungsfunktionen in den ihnen nahestehenden Stiftungen ausüben. Zum anderen sind die Stiftungen gemäß ihren Satzungen rechtlich selbständig und organisatorisch von den Parteien unabhängig und müssen dies auch faktisch bleiben. Die jeweils nahestehenden Parteien sind in den Satzungen deshalb auch nicht erwähnt.
Gegen die Stiftungen wurde auch der Vorwurf erhoben, daß sie die Parteien bei Wahlkämpfen mittel-oder unmittelbar unterstützten, indem sie Wahlprogramme erstellten, im Wahlkampf Werbung betrieben oder den Parteien Stiftungsmitarbeiter für den Wahlkampf zur Verfügung stellten. Bei der Beweisaufnahme zur Organklage der GRÜNEN aus dem Jahre 1983 hat das Bundesverfassungsgericht diese Vorwürfe eingehend geprüft und in dem bereits zitierten Urteil vom 14. Juli 1986 als nicht gerechtfertigt zurückgewiesen: „Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, daß die Stiftungen, abgesehen von verfassungsrechtlich unerheblichen Einzelfällen, für die Parteien unentgeltlich geldwerte Leistungen erbracht und dadurch die Finanzkraft der Parteien gestärkt haben: Das Personal der Stiftungen wird nicht für Zwecke der nahestehenden Parteien eingesetzt. Die Stiftungen leisten den nahestehenden Parteien keine Hilfe im Wahlkampf.“
Das Verhältnis der politischen Stiftungen zu den Parteien scheint auf den ersten Blick durch zwei gegensätzliche Elemente bestimmt: durch Nähe einerseits und durch Unabhängigkeit andererseits. Die Nähe ist gegeben durch die Übereinstimmung im Grundsätzlichen, in der weltanschaulichen Überzeugung. Die Unabhängigkeit resultiert aus den jeweils unterschiedlichen spezifischen Aufgaben. Die Aktivitäten der Parteien zielen letztendlich auf die Erringung und den Erhalt parlamentarischer Macht, um politische Vorstellungen in praktische Politik umsetzen zu können. Politische Willensbildungsprozesse der Parteien (Art. 21 GG) kulminieren in Wahlkämpfen. Die politischen Stiftungen stehen hingegen außerhalb des Parteienwettbewerbs. Es ist ihnen untersagt, eine aktive Rolle im Wahlkampf zu spielen. So dürfen zum Beispiel von den politischen Stiftungen von dem Tag an keine Meinungsumfragen mehr durchgeführt werden, an dem der Bundespräsident den Wahltermin festlegt.
Ihr Aufgabenfeld erstreckt sich auf den sogenannten vorpolitischen Raum, auf die Schaffung der Grundlagen, die Voraussetzung für die Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger an politischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozessen sind. Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee formulierte diesen Sachverhalt 1984 in prägnanter Weise: „Ihr Wirkungsfeld (das der politischen Stiftungen, Anm. d. V.) ist nicht die vita activa der Parteipolitik, sondern die vita contemplativa der politischen Erkenntnis.“ Die Bildungsarbeit der Stiftungen ist weder an Wahlterminen noch an tagespolitischen Akzentuierungen ausgerichtet. Sie ist grundsätzlicher und langfristiger angelegt, letztendlich auf die Begründung und Vermittlung der weltanschaulichen Überzeugungen, denen man sich verbunden fühlt. Die politischen Stiftungen sind somit ein wichtiges Segment der politischen Kultur in Deutschland.
3. Die Finanzierung der Stiftungen
In der Öffentlichkeit ist ebenfalls wenig bekannt, daß die politischen Stiftungen -mit Ausnahme der Friedrich-Naumann-Stiftung -nicht in der Rechtsform einer Stiftung des Öffentlichen Rechts organisiert sind, sondern als eingetragene Vereine. Allerdings kann die Bezeichnung auch einen falschen Eindruck über die Herkunft der Finanzmittel erzeugen, denn die Aktivitäten der politischen Stiftungen werden z. B. nicht aus dem Zinsertrag eines Stiftungskapitals finanziert Daß trotz der Rechtsform „Eingetragener Verein“ in der jeweiligen Namensgebung die Bezeichnung „Stiftung“ gewählt wurde, soll deutlich machen, daß die Aktivitäten auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind.
Wie finanzieren sich nun die politischen Stiftungen? Sie finanzieren sich zu einem großen Teil aus öffentlichen Mitteln und unterliegen damit auch der öffentlichen Kontrolle. Die Mittel stammen zu über neunzig Prozent aus dem Bundeshaushalt, wiederum verteilt auf die folgenden Ressorts -entsprechend der thematischen Bandbreite der Stiftungsarbeit: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Aus-wärtiges Amt (AA), Bundesministerium des Inneren (BMI), Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) und bis 1991 Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen sowie den Deutschen Bundestag. Die übrigen Finanzmittel stammen aus Länderhaushalten -überwiegend im Rahmen der Festlegungen von landesspezifischen Weiterbildungsgesetzen aus Eigeneinnahmen der Stiftungen (so nahm die Konrad-Adenauer-Stiftung 1992 knapp zwei Millionen DM durch Teilnehmerbeiträge bei ihren Bildungsveranstaltungen ein) und -nur zu einem Bruchteil -aus zweckgebundenen, d. h. projektbezogenen Spenden. Beim weitaus größten Teil der Finanzzuweisungen aus dem Bundeshaushalt (bei der Konrad-Adenauer-Stiftung 1990 73 Prozent) handelt es sich um Mittel der sogenannten „Projektförderung“ im Sinne der Bundeshaushaltsordnung. Das bedeutet, diese Zuwendungen werden auf besonderen Antrag hin zweckgebunden vergeben für „sachlich und zeitlich begrenzte Vorhaben“ (Projekte), an denen der Bund ein Interesse hat. Die Stiftungen reichen ihre Planungen über beabsichtigte Projekte vorab bei den zuständigen Fachministerien ein, begründen im Detail die Ziele und Inhalte der Projekte und den Finanzbedarf. Dort werden die Projekte geprüft, gegebenenfalls in Rücksprache modifiziert oder auch abgelehnt. Erfolgt ein positiver Bescheid durch das Fachministerium, werden die Finanzmittel mit der Auflage bereitgestellt, diese gemäß dem genehmigten Finanzplan zu verwenden. Während der Durchführung werden die Projekte von den Fachbehörden überwacht und nach Projektende anhand der Abrechnungsunterlagen einer eingehenden Prüfung unterzogen.
Projektmittel bewilligen das BMZ, das AA, das BMBW und der Deutsche Bundestag. Die Zuwendungen des BMZ fließen fast ausschließlich in Projekte in Entwicklungsländern (bei der Konrad-Adenauer-Stiftung über 76, 7 Prozent [1990] der Projektausgaben), während die Mittel des BMBW in der Studienförderung von deutschen Studentinnen und Studenten sowie von Graduierten Verwendung finden. Die Studienförderung für ausländische Studentinnen und Studenten wird vom Auswärtigen Amt gefördert. Bei den im BMI ressortierten Finanzmitteln für die politischen Stiftungen -den sogenannten „Globalzuschüssen“ -ist der Verfahrensablauf etwas anders geregelt: Die Stiftungen rufen die Mittel beim BMI unter Nennung der voraussichtlichen Ausgaben ab. Nach Ablauf eines Haushaltsjahres sind sie verpflichtet, die zweckentsprechende und wirtschaftliche Verwendung dieser Mittel im Rahmen eines Verwendungsnachweises zu belegen. Dieser Nachweis ist von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer zu überprüfen und gegenüber dem BMI zu bestätigen. Darüber hinaus ist der Bundesrechnungshof berechtigt, die Verwendung der Globalzuschüsse zu überprüfen. Ferner gibt es Kontrollen der öffentlichen Mittel durch Landesrechnungshöfe und Finanzämter. «
Der Haushaltsausschuß des Bundestages legt jedes Jahr die Höhe der Globalzuschüsse neu fest, und sie werden mit dem Gesetz zur Feststellung des Bundeshaushaltes vom Parlament beschlossen. 1967 wurde der Titel „Globalzuschüsse“ erstmals im Haushalt des Bundesinnenministeriums aufgeführt. Diese Mittel erhalten ausschließlich die bundesweit tätigen politischen Stiftungen als „Zuschüsse zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit“. Die Vergabepraxis, vor allem die Verwendung der Globalmittel, war und ist Anlaß zur Kritik an den politischen Stiftungen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich 1986 mit der Frage der Finanzierung der Stiftungen befaßt und in seiner Entscheidung die langjährige Staats-praxis bestätigt.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Finanzierung der Parteien veranlaßte den Bundespräsidenten, eine Kommission unabhängiger Sachverständiger einzuberufen, die im Februar 1993 ihren Bericht vorlegte. Mit in die Untersuchung einbezogen waren neben den Parteien auch die Fraktionen des Deutschen Bundestages und die politischen Stiftungen. Die Kommission votiert für ein Bundesgesetz, das die Grundsätze der staatlichen Finanzierung der Stiftungen regeln soll. Man verspricht sich davon sowohl eine größere Transparenz bei der Bewilligung der staatlichen Mittel als auch eine laufende (Erfolgs-) Kontrolle. Die geplanten Ausgaben sollen von den Stiftungen bei Antragstellung begründet werden. Dies soll auch die Ausgaben für Personal und Verwaltung einschließlich der Stellenstruktur einschließen. Diese Angaben sollen an die Stelle förmlicher Haushaltspläne mit Festlegungen auch bei den Personalstellen treten. Auch die Kommission vertritt die Auffassung, daß die Flexibilität der Stiftungen gewahrt bleiben muß. Deshalb empfehlen die Sachverständigen: „Um diese wesentlichen Grundlagen der Arbeit der parteinahen Stiftungen regeln zu können, wird dem Bund durch Einfügung einer Nr. lb in Art. 75 GG die Rahmenkompetenz für die politische Bildungsarbeit einschließlich der parteinahen Stiftungen eingeräumt.“
Zur Zeit hat die Stiftungsfinanzierung im Bundes-haushaltsgesetz ihre rechtliche Grundlage, ergänzt durch Förderrichtlinien und Bewirtschaftungsgrundsätze. Der Vorschlag zur Einführung eines Stiftungsgesetzes wirft allerdings mit Blick auf die Einfügung einer Nr. lb in Art. 75 GG die verfassungsrechtliche Frage auf, inwieweit eine Bundes-kompetenz für politische Bildungsarbeit besteht und zulässig ist, vor allem in Verbindung mit Art. 72 GG Abs. 2 (Konkurrierende Gesetzgebung). Nichts spricht dagegen, die Finanzierung der politischen Stiftungen und die Mittelverwendung noch transparenter zu machen. Die Stiftungen haben nichts zu verbergen. Autonomie und Flexibilität der Stiftungen dürfen aber nicht beseitigt werden. Subsidiarität und Selbständigkeit sind Grundlage für das erfolgreiche, dem Gemeinwohl verpflichtete Wirken der Stiftungen. Weitere und weitgehendere gesetzliche Regelungen können einen zusätzlichen Bürokratisierungsschub auslösen.
Unabhängig davon, daß die Hürde einer Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag zu überwinden wäre, ist die Frage berechtigt, ob ein förmlicher verfassungsändernder Eingriff in die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern zur Regelung von Einzelfällen zu rechtfertigen ist. Die politischen Stiftungen verfügen nicht nur durch das für sie geltende Vereinsrecht über eine allgemeine und ausreichende rechtliche Grundlage und werden dort in Ausübung der Grundrechte ihrer Mitglieder und im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ordnung tätig, sondern sie sind auch in spezieller Weise durch höchstrichterliches Urteil des Bundesverfassungs gerichts präzise in ihren Rechtsgrundlagen beschrieben. Klare und transparente finanzielle Regelungen liegen im Interesse aller Beteiligten -vor allem auch, um Spekulationen und Mutmaßungen von der „Politikfinanzierung aus der Staatskasse“ den Boden zu entziehen. Aus diesem Grunde veröffentlicht übrigens die Konrad-Adenauer-Stiftung jährlich im Bundesanzeiger ihre Einnahmen-wie Ausgabenrechnung sowie ihre Bilanz, so daß sie für Interessierte nachzulesen sind.
II. Politische Bildung in Deutschland
Wie bereits ausgeführt, stellt die politische Bildungsarbeit den Kernbereich der politischen Stiftungen dar, den Ursprung, der zu den Stiftungsgründungen in der Nachkriegszeit führte. 1. Ziele der politischen Bildung Über die politische Bildung in Deutschland, ihre Legitimation, ihre Aufgaben und Ziele, aber auch über ihre methodischen Ansätze sind immer wieder heftige Diskussionen und Kontroversen geführt worden, die durchaus im Kontext des jeweiligen Zeitgeistes zu suchen und zu bewerten sind. Es soll nun kein weiterer Beitrag zur Theorie der politischen Bildung geleistet, sondern das Augenmerk auf die praktischen Aufgaben und Herausforderungen gelenkt werden, deren Bewältigung für das zukünftige Zusammenleben sowohl im vereinten Deutschland als auch im zusammenwachsenden Europa und in der Welt von vitalem Interesse sind -Herausforderungen, denen sich die politische Bildung nicht entziehen kann und darf.
Trotz vielfältiger Auffassungen -und dies ist auch ein Kennzeichnen pluralistisch verfaßter Demokratien -darüber, welche Intentionen mit politischer Bildung verfolgt werden sollen, lassen sich fünf Hauptziele benennen, die in ihren Kernaussagen breiten Konsens finden: -die Identifikation mit den Werten und Normen unserer Verfassung, -die Information über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und den ihr zugrunde-liegenden rechtsstaatlichen Prinzipien, -bessere Kenntnisse über Verfahrenswege der parlamentarischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung sowie bedeutsame Institutionen der Demokratie in Deutschland und im EG-Europa, -die Vermittlung politischen Wissens, um die eigene Urteilskraft und das verantwortliche politische Handeln zu stärken, aber auch -die Entwicklung und Förderung emotionaler Bindungen an das eigene Gemeinwesen.
Die emotionale Bindung an das eigene Gemeinwesen meint natürlich nicht einen „Hurrapatriotismus“ oder verblendeten und engstirnigen Nationalismus, wie er weitgehend überwunden ist. Sie versteht sich vielmehr als eine gefühlsmäßige Identifikation mit der Republik, ihrer Verfassung, den ihr zugrundeliegenden Werten und Normen, die ein Zusammenleben in Frieden und Freiheit ermöglichen, aber auch eine Identifikation mit den Symbolen unserer Republik Eine emotionale Bindung in diesem Sinne ist für unsere Nachbarn in den westlichen Demokratien eine historisch entwickelte und täglich gelebte Selbstverständlichkeit, die keineswegs im Widerspruch zu den europäischen Integrationsbestrebungen steht. Allerdings hat nach dem Zweiten Weltkrieg wegen der Verbrechen des Naziregimes eine Tabuisierung stattgefunden, die eine ausführliche, inhaltliche Auseinandersetzung mit Fragen nach der deutschen Identität erheblich erschwerte.
Das dadurch entstandene Wertevakuum, die nicht im erforderlichen Umfang gegebenen beziehungsweise die verhinderten Antworten auf die Fragen nach der deutschen Identität sind auch als ein Erklärungsgrund dafür heranzuziehen, warum es rechtsextremistischen Gruppierungen in der jüngsten Vergangenheit verstärkt gelungen ist, vor allem auch Jugendliche für ihr fatales Politikverständnis zu gewinnen -gekoppelt mit dem Angebot einfacher Lösungsansätze und monokausaler Erklärungen für die zunehmend komplizierter strukturierten Fragen des politischen und gesellschaftlichen Zusammenlebens.
2. Politische Bildung und die Herausforderungen in Deutschland
Neben der Herausforderung durch den akuten Extremismus von rechts -aber auch durch den vorhandenen von links -muß sich die politische Bildung einer Vielzahl weiterer Aufgaben stellen. Zwei politische Orientierungsaufgaben rücken dabei in den Vordergrund: -die Verwirklichung der inneren deutschen Einheit im Rahmen der europäischen Integration und -die Konsensfindung innerhalb der Gesellschaft, die Rückbesinnung auf das Gemeinwohl, auf Werte der Freiheit, des Bürgersinns, der Solidarität, Gerechtigkeit und Subsidiarität.
Seit den historischen Umbrüchen und Veränderungen des Herbstes 1989 ist fast nichts mehr so, wie es einmal war: Die totalitären kommunistischen Diktaturen und die Teilung Europas durch den „Eisernen Vorhang“ konnten von den mittel-, ost-und südosteuropäischen Völkern in friedlichen Revolutionen überwunden werden. Am 3. Oktober 1990 haben wir Deutschen nach fünfundvierzig Jahren der Teilung die staatliche Einheit wiedergewonnen. Drei Jahre nach der Unterzeichnung des deutschen Einigungsvertrages indes ist aber die Euphorie über das historische Ereignis gedämpft, Nüchternheit ist an ihre Stelle getreten. Formal sind mit der Wirtschafts-, Währungs-und Sozial-union sowie mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland die rechtlichen Grundlagen zur staatlichen Einheit Deutschlands geschaffen worden. Bis zur Herstellung der inneren Einheit Deutschlands, bis zum Zusammenwachsen der Deutschen, die fünfundvierzig Jahre getrennt und in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen aufgewachsen sind, ist noch ein langer Weg zurückzulegen. Eine gemeinsame Identitätskarte -der Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland -garantiert eben noch nicht eine gemeinsame Identität, auch im Sinne der emotionalen Bindungen an das Gemeinwesen. Natürlich ist der rechtliche und wirtschaftliche Rahmen eine unabdingbare Voraussetzung, aber noch keine Garantie, daß die Menschen von Rostock bis München zueinanderfinden und die gewichtigen Probleme, die vor uns liegen, gemeinsam angehen. Gerade die Erwartungen an die innere Einheit waren -mit Blick auf die zeitliche Dimension -nicht realistisch. Folglich ist die Ernüchterung nach dem Abebben der allgemeinen Euphorie um so größer. Daß die Erwartungen so hoch waren, dürfte ein Erklärungsmoment auch in den völlig fehlenden Erfahrungswerten finden: Die Vereinigung Deutschlands nach einer über zwei Generationen währenden Teilung, eingebunden in zwei sich diametral gegenüberstehende Gesellschaftssysteme, ist historisch betrachtet ein Novum. Es gibt nichts Vergleichbares in der Geschichte, demzufolge auch keine Entwicklungsprozesse, aus deren Analyse Schlüsse für die Gestaltung der inneren Einheit zu ziehen wären. Wir Deutschen haben mit der Einigung historisch, politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich Neuland betreten. Nur ist uns dies, zumal in den alten Bundesländern, oft nicht ausreichend bewußt.
Mit der deutschen Vereinigung gingen und gehen große Veränderungen einher, von denen vor allem die Bevölkerung in den jungen Bundesländern betroffen ist. Die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Ost-Berlin müssen sich völlig neu orientieren. Die Transformation der zentral gelenkten Kommandowirtschaft in eine freie, sozial und ökologisch verpflichtete Marktwirtschaft führt zu einem tiefgreifenden Wandel. So setzte der Zusammenbruch nicht wettbewerbsfähiger Betriebe in den vergangenen drei Jahren Arbeitskräfte frei, von denen eine große Zahl bis heute nicht wieder in den Arbeitsprozeß integriert werden konnte. Neu sind in den neuen Bundesländern auch die Instrumente und Funktionsweisen der parlamentarischen Demokratie, die kommunale Selbstverwaltung, der Pluralismus mit seiner Vielfalt gleichberechtigter Meinungen sowohl im politischen als auch im gesellschaftlichen Bereich.
Nach Jahrzehnten der totalitären Bevormundung wurde friedlich die Freiheit errungen. Freiheit und Subsidiarität bedeuten aber immer auch mündiges Handeln, bedeuten Initiative ergreifen, Entscheidungen abwägen, treffen und verantworten -Verhaltensweisen, die erst einmal erlernt sein wollen nach, nimmt man die nationalsozialistische Diktatur hinzu, beinahe sechzig Jahren staatlicher Gängelung. Für sehr viele Menschen geht diese notwendige Umorientierung mit einem Prozeß der „geistigen Entwurzelung“ einher. Die Normen der „sozialistischen Gesellschaft“, die einen -wenn auch sehr fragwürdigen -Orientierungsrahmen für das Zusammenleben in der DDR gegeben haben, sind heute nicht mehr gültig. Die Werte und Normen der liberalen Demokratie müssen aber erst noch verinnerlicht werden. Die strukturellen, gesellschaftlichen und geistigen Veränderungen in Deutschland seit Ende 1989 zu begreifen, zu akzeptieren und zu verarbeiten braucht Zeit.
Wir befinden uns mitten in einem Lernprozeß, der alle einbezieht, bewußt oder unbewußt. Auch und gerade die Menschen in der alten Bundesrepublik werden begreifen müssen, daß mit der inneren deutschen Einheit etwas Neues entstehen wird, entstehen muß. Im Bewußtsein großer Teile der Bevölkerung hat sich die Bundesrepublik Deutschland lediglich geographisch und rechtlich um die neuen Länder erweitert. Diese staatliche Einheit ist aber nur die notwendige äußere Hülle für die innere Einheit, für das gemeinsame Zusammenleben, für die nationale Identität. Dieser Prozeß des Zusammenwachsens und des gegenseitigen Verstehens ist eben mehr als nur das Überstülpen der Rechtsnormen der alten Bundesrepublik auf die neue.
Die innere Einheit -auch im Sinne einer mentalen Symbiose -herzustellen wird sicher den Zeitraum einer Generation in Anspruch nehmen. Es bedarf der Anstrengungen aller, um das Trennende zwischen Ost und West -auch über die Grenzen Deutschlands hinweg -zu überwinden und das jahrzehntelange Gegeneinander in ein konstruktives Miteinander umzukehren. Das dazu notwendige Umdenken stellt natürlich auch die politische Bildung vor große Aufgaben und neue Bewährungsproben. In dem „Bericht über den Stand und die Perspketiven der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland“ den die Bundesregierung im Dezember 1991 veröffentlicht hat, heißt es dazu u. a.: „Politische Bildung muß ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Integration in der Bundesrepublik Deutschland leisten. Ziel ist die Schaffung einer gemeinsamen politischen Kultur.“ Politische Bildungsveranstaltungen müssen Foren des Dialogs sein, des persönlichen Kennenlernens der Menschen aus den alten und den neuen Bundesländern, um ein besseres Verständnis für die Probleme des jeweils anderen zu entwickeln, um. wechselseitige, tradierte Vorbehalte und Vorurteile abzubauen. Das persönliche, das authentische Gespräch steht im Mittelpunkt eines vorbehaltlosen -und damit tiefgreifenden -Erfahrungsund Informationsaustausches.
Bereits in den siebziger und achtziger Jahren wurden von der Konrad-Adenauer-Stiftung Studienreisen in die DDR durchgeführt. Überwiegend Schüler, Studenten und Lehrer, die häufig keine familiären Kontakte in der DDR hatten, konnten sich ein Bild vom Alltag im „real existierenden Sozialismus“ machen. Besonders gewichtig und nachhaltig waren dabei die informellen Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern der DDR, die sich außerhalb des offiziell begleiteten Besucherprogramms ergaben. Das Leitmotiv für diese Veranstaltungen war, den Gedanken der deutschen Einheit -den Auftrag des Grundgesetzes -wach-zuhalten und zu vertiefen, in einer Zeit, als er von einigen Politikern bereits „ad acta“ gelegt worden war. Anfang 1990, unmittelbar nach Öffnung der innerdeutschen Grenze, gründete die Konrad-Adenauer-Stiftung in den späteren neuen Bundesländern regionale Bildungswerke, um Veranstaltungen zur politischen Bildung „vor Ort“ organisieren und anbieten zu können. Gleichzeitig entwickelte sich das Bildungszentrum Schloß Eichholz -bei Bonn gelegen -zu einer Begegnungsstätte für Deutsche aus Ost und West, zu einem Forum des innerdeutschen Dialogs. Generell ist festzustellen, daß sich die politischen Stiftungen in der konzeptionellen Gestaltung ihrer politischen Bildungsarbeit im innerdeutschen Einigungsprozeß an den skizzierten Erfahrungen orientieren und die Förderung des Dialogs intensivieren.
3. Politische Bildung und die internationalen Herausforderungen
Politische Bildung beinhaltet auch immer die Auseinandersetzung mit den aktuellen geistigen und politischen Strömungen der Zeit. In einem zusammenwachsenden Europa, bei zunehmenden internationalen politischen Interdependenzen und globaler Gesamtverantwortung kann sich die politische Bildung nicht nur auf innerstaatliche Themen beschränken. Im Gegenteil: Sie muß die europäischen und internationalen Zusammenhänge thematisieren, methodisch und didaktisch aufbereiten, um ihrem Ziel -Stärkung der Urteilskraft und des verantwortlichen politischen Handelns -gerecht zu werden. Die politischen Stiftungen verstehen sich in ihrem Bildungsangebot als offene Foren, die aktuelle Fragen aufgreifen und auch kontroverse Standpunkte zur Diskussion stellen. Sie geben damit jedem Interessierten die Möglichkeit, sich zu informieren, sich eine eigene Meinung zu bilden und den eigenen politischen Standort abzuwägen. Hier wird ein Beitrag zur Versachlichung der politischen Diskussion über grundlegende Probleme und Richtungsentscheidungen in Deutschland geleistet, in einem zusammenwachsenden Europa und in der Welt.
Für die Zukunft ergeben sich daraus eine Vielzahl von Themenfeldern für Veranstaltungen im Rahmen der politischen Bildung, wie zum Beispiel:. -die Schaffung der politischen Union Europas und die weitere europäische Integration, die auch Antworten finden muß auf den Umbruch in Mittel-, Ost-und Südosteuropa, -die veränderte Rolle und die Verantwortung Deutschlands in der Welt, -die Entwicklungspartnerschaft mit dem zentralen Schwerpunkt, die Beschlüsse von Rio de Janeiro zu einer gemeinsamen weltweiten Verantwortung für Umwelt und Entwicklung umzusetzen.
Die Vernetzung von innerstaatlichen und internationalen politischen Entscheidungen wird sich stetig vergrößern. So sind die europäische Integration und der innerdeutsche Einigungsprozeß nicht losgelöst voneinander zu betrachten, sondern sie werden sich gegenseitig beeinflussen. Die politische Bildung hat diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen.
4. Politische Bildung -Voraussetzungen und Erwartungen
Damit die politische Bildung und die politischen Stiftungen ihre Aufgaben wahmehmen können, müssen auch die finanziellen Rahmenbedingungen gewährleistet sein. Wer meint -bei zugegeben schwieriger Lage der öffentlichen Haushalte -, den Rotstift bei der politischen Bildung ansetzen zu müssen, dem sei entgegengehalten: Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche -sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext -sind die Erfahrungen der politischen Bildung besonders gefragt. Die Notwendigkeit zur Konsolidierung des Staatshaushaltes ist unbestritten, aber bloßes etatistisches Denken in Zeitspannen von einem, zwei oder drei Haushaltsjahren greift zu kurz angesichts der dargestellten Herausforderungen.
Eine weitere Forderung richtet sich an die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft: Sie sollten ein realistischeres Augenmaß dafür bekommen, was politische Bildung zu leisten vermag und was nicht. Wenn wie jüngst der politische Extremismus eskaliert und in den verabscheuungswürdigen Morden und Brandschatzungen von Mölln und Solingen ein erschreckendes Maß an Menschenverachtung zeigt, ist es leicht dahingesagt: Auch die * /politische Bildung hat versagt! Sicherlich trägt die politische Bildung eine besondere Verantwortung; sie kann aber keine „Feuerwehr“, keine „mobile Eingreiftruppe“ für gesellschaftliche Fehlentwicklungen sein, die sich ihrem unmittelbaren Einflußbereich entziehen.
Von ihren Aufgaben und Zielen sowie von ihrer Wirkungsweise her ist politische Bildung langfristig angelegt. Dabei muß sie sich -und das macht sie vielleicht auch unbequem -gegen schnellebige Tagespolitik und opportunistische Strömungen des Zeitgeistes durchsetzen, indem sie den Blick auf das Wesentliche, das Grundsätzliche lenkt: auf die Werte und Strukturen, die für das Zusammenleben in unserem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen bestimmend sind.