I. Einleitung
Wer Frankreich als internationalen Akteur verstehen will, kommt nicht umhin, den Beziehungen zur Dritten Welt besondere Beachtung zu schenken. Die 5. Republik hat den schwierigen Auflösungsprozeß des französischen Kolonialreiches nach langen Kriegen in Indochina (1947-1954) und Algerien (1955-1962) vollendet, aber das von de Gaulle eingeleitete Finale der kolonialen Epoche hat Frankreichs Beziehungen zur Dritten Welt in zwar renovierte, jedoch nicht minder gewichtige Bahnen gelenkt. Für die internationale Sonderstellung, die Frankreich im Zuge der Neugestaltung seiner Außen-und Sicherheitspolitik nach 1958 zu realisieren suchte, blieb das Verhältnis zur Dritten Welt von fundamentaler Bedeutung.
Mit anderen ehemaligen europäischen Kolonial-mächten teilt Frankreich die Erfahrung einer langen kolonialen Geschichte, die bis in das 16. Jahrhundert zurückreicht. Über längere Zeit hat Frankreich ein überseeisches Reich etwa von der Größe der ehemaligen Sowjetunion kontrolliert. Allerdings erscheint diese koloniale Erfahrung gezeichnet von der Sonderheit eines epochalen und geographischen Dualismus, der in der gängigen Differenzierung zwischen erstem und zweitem Empire in seiner Tragweite nur unvollständig erfaßt wird. Während das Empire (1533-1830), eingebunden in die Projektionen des französischen Merkantilismus, im Schwerpunkt auf Amerika und Asien orientiert war, vollzog das 2. Empire (1830-1930), geprägt von der Epoche des Imperialismus, eine geographische Wende hin zu Afrika und Indochina. Unerbittliche Rivalität, insbesondere mit England, und rascher Besitzverlust sind französische Grunderfahrungen beider Kolonial-epochen. Das 1. Empire zerfiel unter britischer Regie zwischen 1763 und 1815 als Ergebnis der Niederlagen, die der siebenjährige Krieg und die glücklosen napoleonischen Feldzüge einbrachten. Das 2. Empire wurde unter den Zwängen der beiden Weltkriege und ihrer Folgekosten liquidiert und fiel schließlich den Impulsen der neuen amerikanisch-sowjetischen Weltordnung nach 1945 zum Opfer 1.
Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, die viel diskutierten assimilatorischen und zentralistischen Tendenzen, die das französische Verhältnis zu seinen kolonialen Besitzungen stets geprägt haben, nicht nur als Resultat eines spezifisch integralen jakobinischen Staatsverständnisses zu interpretieren. Auch die defensive Position, in die das französische Kolonialprojekt, insbesondere im Zeichen der englischen Rivalität, schon frühzeitig gedrängt wurde, hat sicherlich zur Favorisierung alternativer Verfahren kolonialer Anbindung beigetragen. Angesichts einer stets prekären militärisch-strategischen wie ökonomischen Position gegenüber England war Frankreich eher disponiert, über enge Verwaltungs-und Klientelstrukturen den Bestand seines Kolonialreiches abzusichem. Frankreichs ökonomische Stellung und sein Industrialisierungsniveau waren zudem denen seiner schärfsten Rivalen zumeist unterlegen. Dem französischen Kolonialismus fehlte die Basis einer überschäumenden Wirtschaftsdynamik, er war nicht verkettet mit einer dominanten Ökonomie. Unter diesen Bedingungen gewannen Protektionismus, Autarkiebestrebungen und andere Formen der Anbindung der Kolonien, z. B. über politische bzw. kulturelle Assimilationsverfahren, größere Bedeutung.
Die erwähnten Eigenheiten des französischen Kolonialismus sind nicht ohne Rückwirkung auf den Dekolonisierungsprozeß und Frankreichs aktuelle Beziehungen zur Dritten Welt geblieben. Frankreich hat sich den „winds of change“ der Dekolonisierung besonders hartnäckig widersetzt und an die Stelle der postulierten nationalen Unabhängigkeit das Konzept einer französischen Union (1947) mit den überseeischen Besitzungen -später von de Gaulle modifiziert in das Konzept einer Communaut^ (1958) bzw. Communa^t^ Renov^e (1960) -zu setzen gesucht. Erst nach eineinhalb Jahrzehnten des Krieges in Indochina und Algerien deutete sich die Bereitschaft an, Abschied von der Fiktion einer politischen Fusion mit den ehemaligen Kolonien zu nehmen. Die Unabhängigkeit Indochinas 1954, Marokkos und Tunesiens 1956 sowie Guineas 1958 leitete diesen Prozeß des Wandels ein. Die Masse der afrikanischen Staaten folgte in rascher Sequenz dem Beispiel dieser Staaten, allen beschwörenden Formeln gemeinschaftlicher Verbindung im „Frankreich der 100 Millionen Franzosen“ zum Trotz. Die Auflösung des französischen Kolonialreiches, beginnend mit der Unabhängigkeit Indochinas (1954), kulminierend in der Unabhängigkeit der afrikanischen Besitzungen (ab 1960) und der Siedlerkolonie Algerien (1962) und sich vollendend in der verspäteten Unabhängigkeit der Komoren (1975), Djiboutis (1977) und Vanuatus (1980), war nicht mehr aufzuhalten.
Der Unterschied der Dekolonisierung französischer Provenienz gegenüber anderen kolonialen Entflechtungs-und Auflösungsverfahren liegt weniger in der oft hervorgehobenen Unvollständigkeit der Separation vom Mutterland Informelle Verfahren der politischen und insbesondere der ökonomischen Anbindung -informal empire, neokoloniale Bindungen -sind generell prägend geblieben für die Beziehungen zwischen Erster und Dritter Welt nach dem Ende der kolonialen Epoche. Die Sonderheiten der französischen Nord-Süd-Beziehungen, die sich nach der formalen Auflösung der kolonialen Strukturen herausgebildet haben, liegen vielmehr in der gezielten funktionalen Einbindung der ehemaligen kolonialen Besitzungen in das Projekt einer umfassenden nationalen Mobilisierung und Modernisierung. Ein Prozeß, über den die 5. Republik gegenüber der und 3. Republik ihr eigentliches Profil gewonnen hat.
II. Ideologische Komponenten
In kaum einer anderen Gesellschaft ist die Debatte um das Schicksal der Dritten Welt so intensiv und politisiert geführt worden wie in Frankreich. Die Dekolonisierungskriege in Indochina und Algerien ebenso wie die massive Präsenz von Migranten aus den ehemaligen Kolonien, allen voran aus Nordafrika, haben dazu beigetragen, ein hohes Maß an Sensibilität, aber auch an Polarität für Fragen der Dritten Welt in Frankreich zu erzeugen. Selbst der Begriff der-Dritten Welt läßt sich als eine französische Schöpfung deklarieren. Gewöhnlich wird dem französischen Demographen und Ökonomen Alfred Sauvy die Wortschöpfung tiers monde zugeschrieben. In seinem Aufsatz im Observateur vom 14. August 1962 zog er mit dem Begriff der Dritten Welt einerseits die Verbindungslinie zum dritten Stand von 1789, zugleich aber diagnostizierte er einen wachsenden Solidaritätsschub der unterentwickelten Länder als Teil ihres Ringens um Selbstbestimmung gegenüber den großen polaren Machtblöcken, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg um die USA und die Sowjetunion geformt hatten. Schriften wie „Les Damnes de la Terre“ (1961) des aus Martinique stammenden französischen Arztes Frantz Fanon, mit dem brisanten Vorwort von Jean Paul Sartre, oder Rene Dumonts „L’Afrique Noire est mal partie“ (1966) markierten den Höhepunkt der französischen Dritte-Welt-Debatte, deren Spuren im übrigen noch heute in der Programmatik der Sozialistischen Partei Frankreichs zu finden sind, die erstmals in der Geschichte der französischen Parteien das Thema Dritte Welt explizit in den Präsidentschaftswahlkampf (von 1981) einbezog 3.
Kaum ein anderes Land hat auf der intellektuellen Ebene eine so intensive Beschäftigung mit Fragen der Dritten Welt geführt, kaum ein anderes Land aber hat auch in der politischen Praxis seine Mittel so eng konzentriert auf einen selektiven Kreis ehemaliger Kolonien. Frankreichs reale Dritte Welt, die afrikanische Interessensphäre und die überseeischen Departements und Territorien (Departements et Territories d’Outre-Mer; DOM-TOM), ist nicht nur geographisch, sondern auch verfassungsrechtlich ein duales Gebilde. Französisch-Afrika ist über zahlreiche Vertragswerke und Kooperationsabkommen -und nicht zuletzt über*die Lom-Vereinbarungen der Europäischen Gemeinschaft -mit Frankreich assoziiert, während die DOM-TOM als Teil des französischen Staatsgebietes, „terres de souverainet", integraler Bestandteil der unteilbaren Republik sind.
III. Die afrikanische Interessensphäre
Die von Frankreich noch heute gepflegten Sonder-beziehungen mit Afrika sind weit mehr als eine Fortsetzung einstiger kolonialer Affären. Chipman hat zu Recht auf den engen Verbund zwischen Frankreichs internationalem Selbstverständnis und seiner afrikanischen Involvierung aufmerksam gemacht. „Die afrikanische Dimension der Macht Frankreichs war seit Ende des Zweiten Weltkrieges und insbesondere seit der Entkolonialisierung entscheidend dafür, wie die französischen Präsidenten den Standort ihres Landes in der Welt definiert haben.“ 4 Mitterrand selbst, sei es als Überseeminister der 4. Republik oder als Präsident der 5. Republik, hat die Sonderstellung Afrikas im französischen Kalkül stets betont. „Ohne Afrika wird es im 21. Jahrhundert keine Geschichte Frankreichs geben“, schrieb er 1957 in seinen Überlegungen zur französischen Überseepolitik 25 Jahre später, als Präsident der französischen Republik auf dem franko-afrikanischen Gipfeltreffen von Kinshasa, modifizierte er diese Worte, aber der Inhalt deutete in eine ähnliche Richtung: „Die Zukunft Afrikas ist von vorrangiger Bedeutung für die Sicherheit Frankreichs.“
Man kann die franko-afrikanischen Sonderbeziehungen als Relikt kolonialer Tradition allein nicht verstehen Frankreichs koloniales Engagement in Schwarzafrika begann relativ spät, sieht man einmal von den früh gegründeten Handelsstützpunkten an der Küste von Senegal und dem Golf von Guinea ab, die bereits im 17. Jahrhundert in das Zentrum des französischen Sklavenhandels rückten. Die französische Wende nach Afrika, die sich 1830 mit der Eroberung Algeriens vorbereitete, wurde für Schwarzafrika erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Schaffung der Kolonie Senegal (1854) und fast drei Jahrzehnte später (nach 1880) mit dem Vorstoß französischer Expeditionen nach West-und Äquatorialafrika sowie Madagaskar ein seriöses Unterfangen. Die letzten Arrondierungen dieser afrikanischen Sphäre zogen sich hin bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, als Togo und Kamerun -neben Syrien und dem Libanon -als Mandatsgebiete des Völkerbundes unter französischen Einfluß kamen.
Neben der kolonialen Mission waren es die Erfahrungen der beiden Weltkriege, die das franko-afrikanische Verhältnis besonders geprägt haben. Nur vor diesem Hintergrund werden die oben zitierten Äußerungen von Präsident Mitterrand über Afrika verständlich. Im Ersten Weltkrieg war Afrika von entscheidender Bedeutung für Frankreich als unschätzbares Reservoir von Rohstoffen und darüber hinaus auch von Menschen. Rund 275000 Schwarzafrikaner, vorwiegend aus dem Senegal, kämpften zwischen 1914 und 1918 auf französischer -372000 auf britischer Seite Später, im Zweiten Weltkrieg, gewann dagegen die strategische Bedeutung Afrikas für Frankreich an Übergewicht. Bis zum Waffenstillstand von 1940 waren nur 80000 Afrikaner in der französischen Armee zum Einsatz gekommen. Die Schlacht um das Hexagon ging rasch verloren, aber Afrika als strategische Reserve und Rückzugsbasis der Resistance blieb unbesiegt. Brazzaville, die Hauptstadt von Französisch-Kongo, avancierte zur Hauptstadt für das Freie Frankreich, nachdem dort am 28. August 1940 gaullistische Offiziere die Macht ergriffen hatten, und de Gaulle konnte von hier am 27. Oktober 1940 seinen „Conseil de döfense de l’Empire“ ins Leben rufen. General Leclerc, mit seinen Reserven aus dem Tschad anrückend -der ersten Kolonie, die sich unter dem farbigen Gouverneur Ebou de Gaulle unterstellte -, wurde zum Helden der Befreiung Frankreichs. „Ohne sein Empire wäre Frankreich heute nur ein befreites Land. Dank seines Empire ist Frankreich eine Siegermacht“, erklärte der spätere Senatspräsident Gaston Monnerville am 25. Mai 1945 vor der Assemblee Consultative Frankreich konnte zwar in Jalta übergangen werden, die „Teilung der Welt“ aber galt nicht für Afrika. Hier blieb Frankreich Sieger und Herr und übernahm die mondiale Rolle einer „Dritten Kraft“.
Das französische Selbstverständnis in Afrika bleibt geprägt von der geostrategischen Bedeutung im Zweiten Weltkrieg; eine Vision, nach der Afrika, begünstigt und nach Norden abgesichert durch den „doppelten Panzergraben“ von Mittelmeer und Sahara, in erster Linie als Rückzugsbasis und strategische Reserve für den Gegenschlag im Ringen um die Vorherrschaft auf dem euro-asiatischen Kontinent ins Spiel kommt
Bis heute ist Frankreichs Präsenz in Afrika eng verzahnt geblieben mit geopolitischen Interessen sowie dem Anspruch auf Exzeptionalität. Ursprünglich definierte Frankreich seinen Sitz im UN-Sicherheitsrat wie seine spätere Fürsprecher-rolle für die Dritte Welt über seine Sonderstellung in Afrika. Erst nach der nuklearen Wende -1960 wurde die erste französische Atombombe in der algerischen Sahara gezündet -konnte Frankreich seine afrikanische Exzeptionalität durch eine nukleare Komponente ergänzen.
IV. Die integrierte Dritte Welt
Während Frankreich über die afrikanische Interessensphäre die Möglichkeit schuf, sich europäischer Durchschnittlichkeit zu entziehen, um das Profil einer Dritten Kraft mit eigenständigen terrestrischen, geostrategischen Reserven zu gewinnen, erscheinen die überseeischen Besitzungen in Gestalt der DOM-TOM aufs engste verflochten mit der militärisch nuklearen und maritimen Variante jenes neuen Mondialismus, mit dem die 5. Republik den Verlust der Weltmachtstellung nach dem Zweiten Weltkrieg zu kompensieren gesucht hat. Sie bilden zum einen die physische Infrastruktur der nuklearen Abschreckung, die die 5. Republik in das Zentrum ihrer Sicherheitspolitik rückte; darüber hinaus verbinden sich diese weitgestreuten Besitzungen mit dem alten Wunsch Frankreichs nach globaler Präsenz und Ausstrahlung
Als eigenständige Größe, ob in wirtschaftlicher oder demographischer Hinsicht, spielen die meisten dieser zahlreichen, über den Indischen Ozean (Röunion, Mayotte), die Karibik (Martinique, Guadeloupe, Französisch-Guayana), den Atlantik (St. Pierre-et-Miquelon vor der Küste Kanadas) und den Südpazifik (Französisch-Polynesien, Neu-kaledonien, Wallis und Futuna) verstreuten Besitzungen eine geringe Rolle; nur Neukaledonien mit seinen beachtlichen Nickelvorkommen durchbricht das Maß der Marginalität. Die DOM-TOM stellen mit rund 1, 7 Millionen Einwohnern nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung Frankreichs. Klammert man die Landmasse der unbewohnten „Terres australes et antarctiques“ (439 603 qkm) aus, so bedecken die DOM-TOM eine Fläche von rund 120000 qkm (das französische Kernland ist 547 026 qkm groß).
Ein Konfetti insularer Relikte aus kolonialer Epoche zu besitzen, ist nicht nur ein französisches Privileg. Insbesondere Großbritannien -wie der Falkland-Krieg zeigte -, aber auch die Niederlande, Portugal, Spanien, die USA, Australien und Neuseeland verfügen über insulare Restbestände kolonialer Provenienz. Manche von ihnen, wie etwa Pitcairn unter britischer Schirmherrschaft im östlichen Pazifik mit seinen 72 Einwohnern, sind zu klein, um vom Dekolonisierungsprozeß erfaßt zu werden. Die Sonderheiten der französischen Verbindung mit den DOM-TOM liegen auf anderer Ebene: -Die meisten dieser Besitzungen sind mit Frankreich bereits über einen langen Zeitraum sehr eng verbunden. Sie gehören in die Kategorie der alten Kolonien, die noch aus der Zeit des ersten Empire stammen. Nur die pazifischen Inseln sind Erwerbungen des 19. Jahrhunderts, also dem zweiten Empire zuzuordnen. -Frankreich hat seine über drei Ozeane verstreuten Besitzungen aufs engste politisch-administrativ, aber auch ökonomisch, militärisch und audiovisuell in die Metropole eingebunden.
Alle Bewohner der DOM-TOM -anders als im Falle der überseeischen britischen Dependenzen, deren Bewohner nur im Falle der „weißen“ Territorien -Gibraltar und die Falklandinseln -über volle britische Staatsbürgerschaft verfügen -sind französische Staatsbürger mit parlamentarischer Vertretung in Paris wie im EG-Parlament in Straßburg. Alle überseeischen Gebiete sind Teil des französischen Staatsgebietes, sind terre de souverainete und nur von ihrem Grad der Selbstverwaltung her differenzierbare Entitäten -Departements, Territorien oder Kollektivitäten -gegenüber Paris. -Die DOM-TOM sind wichtige strategische Bausteine für Frankreichs nukleare Ambitionen. Französisch-Polynesien bietet mit den Atollen Moruroa und Fangataufa das Testgelände für französische Atomwaffen. Kourou (Französisch-Guayana) fungiert als französisches und zunehmend europäisches Raumfahrt-zentrum, in dem auch die Trägersysteme der „force de frappe“ erprobt werden. Guadeloupe bildet die logistische Drehscheibe zwischen Frankreich und dem Centre d’Expörimentation du Pacifique (CEP) in Französisch-Polynesien
Darüber hinaus sind die DOM-TOM auch maritime Stützpunkte, über die sich Frankreich als weltweit operierende Militärmacht definieren kann: „Frankreich ist noch immer eine Großmacht, dank Kourou ist es eine Weltraummacht und dank Moruroa eine Nuklearmacht. Es verfügt zudem mittels seiner überseeischen Gebiete über die drittgrößte maritime Zone der Welt.“
Letzterer Aspekt der maritimen Bedeutung der DOM-TOM hat im vergangenen Jahrzehnt zunehmende Beachtung gefunden. Durch die Erweiterung der Meereswirtschaftszonen auf 200 Seemeilen ist Frankreich in der Tat zu einer maritimen Großmacht avanciert, mit einer Verfügungsgewalt über ozeanische Flächen, die an Umfang (11 Mio. km 2) dem zweiten Empire gleichkommen. Zwar haben die Pläne zur Ausbeutung dieser Ressourcen noch kein konkretes Stadium erreicht, der Glaube an die zukünftigen wirtschaftlichen Möglichkeiten ist dagegen ungebrochen und verstärkt den Willen zum bedingungslosen Festhalten an diesen überseeischen Besitzungen. Francois Doumenge, der ehemalige Präsident der prestigeträchtigen „Organisation de Recherche sur les Territoires d’Outre-Mer“ (O. R. S. T. O. M.) hat das folgendermaßen begründet: „Dank des neuen Seerechts besitzt Frankreich die drittgrößte Meereswirtschaftszone (EEZ) der Welt, vor den USA und der UdSSR. Wenn wir diese aufgeben, würde Frankreich damit sein Entre in das nächste Jahrtausend verspielen.“
Dank ihrer vielfältigen und gewichtigen Rolle für Frankreich sind die DOM-TOM inzwischen zu respektablen Zentren eines relativen, aber artifiziellen Wohlstandes aufgerückt, denen es im regionalen Umfeld der Dritten Welt nicht an Ausstrahlung oder auch an Neidern fehlt, deren Schattenseiten aber ebenfalls nicht zu übersehen sind. Die DOM-TOM sind Schaufenster eines beachtlichen französischen Entwicklungsengagements, das eine perfektionierte, auf französischen Standard ausgerichtete Infrastruktur hervorgebracht hat. Sie präsentieren sich aber zugleich als Pole eines brisanten inneren Konfliktpotentials. Diese hoch subventionierten Entwicklungsgesellschaften verbinden einen auf den metropolen, d. h. westeuropäischen Wohlstand ausgerichteten Erwartungshorizont mit der Realität einer sozialen Katastrophe die sich aus dem Verlust an produktivem Gestaltungspotential und hoher sozialer Ungleichheit ergibt. Ein Drittel der Bevölkerung der DOM-TOM befindet sich -trotz großzügiger Begünstigung der Migration nach Frankreich sowie der Beschäftigung in der staatlichen Bürokratie der DOM-TOM -vom offiziellen Arbeitsprozeß ausgeschlossen.
Eine zunehmende Involvierung Europas in diese Problemkreise ist in den letzten Jahren festzustellen. So trägt eine europäische Lastenumverteilung gegenwärtig dazu bei, die Kosten für die hoch subventionierten französischen Überseegebiete zu dämpfen. Die Übersee-Territorien sind in das Lom 6-Abkommen einbezogen; die Übersee-Departements profitieren von den Strukturfonds der EG wie jede andere strukturschwache Region der Gemeinschaft. Seit 1989 ist die Europäische Gemeinschaft mit einem Sonderprogramm zur Vorbereitung der DOM auf den Binnenmarkt (POSEIDOM) im französischen Übersee engagiert. Das umstrittene neue europäische Bananen-regime ist im übrigen auf die spezifischen Protektionsbedürfnisse der Bananenproduzenten der französischen Überseedepartements mit zugeschnitten.
Es versteht sich, daß Frankreichs integrierte Dritte Welt in ihrer global-strategischen Funktionalität längst die Sphäre der Zufälligkeit und Marginalität, wie sie in der oft verwendeten Metapher vom „Konfetti des Empire“ anklingt, verlassen hat. Die DOM-TOM sind als strategische und symbolische Bausteine der 5. Republik und ihrer mondialen Ansprüche zum Experimentierfeld einer Dekolonisierung ohne Souveränitätstransfer avanciert, ein Experimentierfeld, das allerdings in der Permanenz seiner inneren Krisen die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen außengesteuerter Entwicklung aufwirft.
V. Französische Kooperationspolitik
Die französische Entwicklungs-oder Kooperationspolitik ist von den Sonderbeziehungen, die Frankreich mit Afrika und den überseeischen Dependenzen verbindet, zutiefst geprägt. Schon die administrative Struktur französischer Entwicklungshilfe reflektiert die stark abgestufte Natur der Beziehungen zur Dritten Welt. Als sich zwischen 1958 und 1962 das französische Kolonialreich auflöste, wurden die Weichen gestellt für eine moderne Kooperationspolitik, die von ihrem integralen Charakter her den französischen Einfluß, insbesondere in Afrika, wohl eher noch vertiefte. An die Stelle des 1958 aufgelösten Überseeministeriums trat 1961 das Kooperationsministerium als zentrale Entwicklungsagentur und administrative Instanz für die sogenannten pays du champ, d. h. die Länder der frankophonen Einflußsphäre im subsaharischen Afrika. Für die überseeischen Departements und Territorien dagegen gewann nach der Unabhängigkeit Algeriens 1962 ein gesondertes Ministerium entwicklungspolitische Kompetenz, aus dem nach einer wechselhaften Geschichte das heutige „Ministre des DOM-TOM“ hervorgegangen ist. Die übrigen Länder der Dritten Welt -die sogenannten pays hors champ -, mit denen Frankreich entwicklungspolitisch kooperiert, werden in geteilter Verantwortung über das Außen-, Wirtschafts-und Finanzministerium betreut 1. Finanztransfers Frankreichs abgestuftes Engagement in der Dritten Welt wird am deutlichsten unterstrichen durch die differenzierte Struktur seines Finanztransfers. Etwa 70 Prozent der französischen Entwicklungshilfe konzentrieren sich auf das frankophone Afrika, inzwischen erweitert um die Staaten, die aus den belgischen, portugiesischen und spanischen Kolonien in Afrika hervorgegangen sind, und die DOM-TOM; letztere beziehen bislang den Löwenanteil französischer Finanztransfers in die Dritte Welt, wenn man den Pro-Kopf-Anteil berechnet. Die DOM-TOM mit ihren 1, 7 Mio. Einwohnern absorbieren durchschnittlich 30 Prozent der französischen Mittel für Entwicklungshilfe. Inklusive der Transfers für die DOM-TOM überschreitet Frankreich den magischen 0, 7 Prozentanteil von Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt, den die Dritte Welt seit den siebziger Jahren als kompensatorische Leistung der Industrieländer fordert. So erreichte Frankreichs Entwicklungshilfe nach Angaben der Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) 1990 einschließlich der DOM-TOM einen Anteil von 0, 78 Prozent am Bruttosozialprodukt und lag mit an der Spitze der Industrieländer hinter den Skandinaviern (Norwegen, Dänemark, Schweden) und den Niederlanden. Ohne diese Transfers in die überseeischen Staatsgebiete nimmt Frankreich mit seinen entwicklungspolitischen Aktivitäten -ebenso wie Deutschland -eine mittlere Position ein
Zwei weitere Kennzeichen französischer Kooperations-und Entwicklungspolitik verdienen in diesem Zusammenhang Beachtung: ihr hoher Anteil an technischer Hilfe sowie ihr integrales Gesamtkonzept. Nach Postel-Vinay dem ehemaligen Direktor der Caisse Centrale de Cooperation, werden 43 Prozent der bilateralen Hilfe Frankreichs von einer sehr personalintensiven technischen Hilfe absorbiert: 14000 „Cooperants“, von denen 10900, d. h. 77 Prozent, Lehrer sind. Umstritten sind dabei nicht nur die hohen Personalkosten -die höchsten der OECD-Staaten -, die zwei Drittel der französischen technischen Hilfe verschlingen; diskutiert wird auch die Frage, inwieweit eine so Lehrer-intensive Entwicklungshilfe, in der die Vermittlung französischer Sprachkenntnisse stark im Vordergrund steht, afrikanischen Entwicklungsbedürfnissen gerecht werden kann. 2. Das integrale Element Die integrale Komponente französischer Kooperationspolitik verweist auf die Sonderheiten französischer Dekolonisierung. Die moderne französische Entwicklungszusammenarbeit, die zwischen 1958 und 1961 ihre Konturen gewann, wurde für Afrika von Anfang an eingebettet in ein umfassendes Netzwerk bilateraler und multilateraler Kooperation, das bis heute für die französische Involvierung im frankophonen Afrika bestimmend geblieben ist. Mit allen frankophonen Staaten Afrikas sind bilaterale Kooperationsverträge geschlossen worden, die nicht nur die Modalitäten von Entwicklungshilfe fixierten, sondern zugleich auch noch die Bereiche Außen-, Sicherheits-, Kultur-und Wirtschaftspolitik sowie Währungs-und Finanzpolitik mit einbezogen. Symbolträchtige Eckpfeiler der multilateralen franko-afrikanischen Kooperation bilden heute: -die Communaut^ Financiere Africaine (CFA), auch Franc-Zone genannt, die ihren 14 afrikanischen Mitgliedsstaaten die Konvertibilität ihrer Landeswährung in unbeschränkter Höhe und zu festen Paritäten gegenüber dem französischen Franc garantiert; -die Frankophonie als wichtigste institutioneile Basis der franko-afrikanischen kulturellen Zusammenarbeit, die insbesondere die Ausbreitung der französischen Sprache in Afrika fördert; -die regelmäßig abgehaltenen franko-afrikanischen Gipfeltreffen; das 17. und letzte Treffen dieser Art fand Anfang Oktober 1992 in Gabun statt. 3. Militärische Kooperation Darüber hinaus sind es militärische Beistandsverträge (mit acht Staaten) und militärische Kooperationsabkommen (mit 24 Staaten), gestützt auf über 1000 französische Militärberater in Afrika, acht Militärbasen und 12000 im afrikanischen Umfeld stationierte Soldaten, die mit Rückendeckung der in Korsika und Südfrankreich stationierten schnellen Eingreiftruppe dem franko-afrikanischen Kooperationsverhältnis eine macht-und sicherheitspolitische Infrastruktur verleihen Frankreich erscheint insgesamt in einer ambivalenten Doppel-rolle in Afrika: Zum einen als respektabler Gendarm und hinter den Kulissen wirkende politische Macht, zugleich aber ist Frankreich -was aus deutscher Perspektive oft übersehen wird -der große Rettungsanker der oppositionellen Eliten Afrikas, die hier bislang eine sichere Schutzzone und Wirkungsbasis gefunden haben.
VI. Dritte Welt und französischer Mondialismus
Die Funktionalisierung und Einbindung von Ländern der Dritten Welt in nationale Projektionen ist kein exklusives Prinzip Frankreichs. Die „Entdekkung“ der Dritten Welt erfolgte beispielsweise in der Bundesrepublik im Ringen um die Nichtanerkennung der DDR sowie über die spezifischen Belange einer expandierenden Außenwirtschaft Anders aber als im Falle Frankreichs bestand für die Deutschen, die die Realisierung der Hallstein-Doktrin oder die Exportförderung in Länder der Dritten Welt betrieben, kein Anlaß, sich auf spezifisch historisch gewachsene Interessensphären zu beschränken, noch bestand genügend Handlungsspielraum, um Beziehungen über die ökonomische und diplomatische Ebene hinaus zu gestalten. Frankreichs Sonderheit in seinen Beziehungen zur Dritten Welt liegt einmal in dem stark abgestuften Engagement, das den ehemaligen Kolonien in Schwarzafrika -neben den DOM-TOM -eine nahezu exklusive Stellung zuschreibt und diese in eine integrale, politisch wie monetär, kulturell und militärisch konzipierte „Kooperations“ -Gemeinschaft überführt. Die arabische Welt und Lateinamerika, die ebenfalls im Zentrum französischer Bemühungen um gute Beziehungen stehen, folgen diesem Kooperationsprimat weit abgeschlagen, sind aber als Zielpunkte gewinnbringender Rüstungsexporte um so gewichtiger für Frankreich.
Die andere Sonderheit französischer Beziehungen zur Dritten Welt liegt in der engen Einbindung der afrikanischen Interessensphäre, zusammen mit den DOM-TOM, in eine umfassende nationale Modernisierungsstrategie, die sich immer zugleich auch als ein Versuch verstand, Frankreichs verlorene Weltmachtstellung durch ein neues Konzept internationaler Mitsprache und Einflußnahme aufzufangen. Als de Gaulle die 5. Republik dazu aufforderte, sich auf die Realitäten des 20. Jahrhunderts einzustellen -„La France doit pouser son sicle" -, war damit ein umfassendes Programm innerer und äußerer, auch die internationale Stellung Frankreichs involvierender Reformen anvisiert, ein Programm, mit dem Frankreich Modernität letztlich auch international umzusetzen gedachte. Die Parallelität der inneren und äußeren Modernisierungsprozesse der 5. Republik ist nicht zu übersehen. -Auf der einen Seite: forcierte Urbanisierung, Öffnung und Internationalisierung der Wirtschaft bei gleichzeitiger Nationalisierung von entscheidenden Schlüsselindustrien, Mediatisierung des politischen Lebens mittels gezielter staatlicher Nutzung der audiovisuellen Medien, Nuklearisierung der Energiepolitik.
-Auf der anderen Seite: die neue „mise en valeur" der inzwischen in die Unabhängigkeit entlassenen ehemaligen afrikanischen Kolonien im konzeptionellen Rahmen einer umfassenden, alle gesellschaftlichen Bereiche berührenden Kooperationspolitik, die Inwertsetzung und Modernisierung der Überseegebiete (DOMTOM), deren vernachlässigte Infrastruktur erst nach der Wende französischer Dekolonisierungspolitik auf nationales Niveau gebracht wurde, und schließlich die Nuklearisierung der Sicherheitspolitik im Zuge des Ausbaus der „force de frappe“. Der Aufbau einer international orientierten Rüstungsindustrie hat diesen Prozeß begleitet und Frankreich in die Position des drittgrößten Rüstungsexporteurs nach den USA und der ehemaligen Sowjetunion gebracht.
Während Afrika als strategische Reserve und politische Einflußsphäre den internationalen Handlungsspielraum Frankreichs vergrößern sollte, übernahmen die über den Pazifik, die Karibik und den Indischen Ozean verstreuten DOM-TOM die doppelte Funktion als Träger mondialer Präsenz und als Infrastruktur für das militärische Nuklear-programm. Frankreich hat sich somit mit Hilfe seiner assoziierten und integrierten Dritten Welt als neuer Typus eines internationalen Akteurs präsentiert, der inzwischen unter dem Begriff der „puissance mondiale moyenne“ -der Weltmacht mit mittlerer Reichweite -diskutiert wird. Es handelt sich dabei um einen Begriff, der den integralen und strategischen Rahmen der französischen Dritte-Welt-Beziehungen noch einmal besondershervorhebt. Es versteht sich, daß dieses Konzept auf die besondere Konstellation der Welt von Jalta zugeschnitten war, eine Welt, die jetzt nach dem Fall der Mauer und dem Zerfall der Sowjetunion ihre regulierenden Angelpunkte verloren hat. Die sowjetisch-amerikanische Rivalität war im besonderen Maße funktional für die Sonderrolle, die Frankreich als Gendarm Afrikas sowie als Mini-Nuklearmacht übernehmen konnte. Mit dem Abbau der disziplinierenden Machtkonstellation des Kalten Krieges und der zunehmenden Fragmentierung der in seinem Schutz und Schatten gewachsenen Machtträger und Kräftekonstellationen wird sich endgültig die Frage nach der Erfüllbarkeit der ehrgeizigen Mission stellen, die Frankreich als „puissance mondiale moyenne“ auf seine Fahnen geschrieben hat. Die französische Einflußsphäre in der Dritten Welt wird davon nicht unberührt bleiben. Schon jetzt deutet sich ein wachsender Trend zum internationalen „bürden sharing“ im französischen Afrika an, das -mit Ausnahme von Kamerun und der Elfenbeinküste -ein Armenhaus geblieben ist.
Die Bewältigung der großen Krisenprozesse -von der Verschuldung bis hin zur Demokratisierung -kann Frankreich nicht mehr alleine leisten. Die Europäische Gemeinschaft, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank treten in zunehmendem Maße als mit Frankreich kooperierende Krisenmanager in Afrika in Erscheinung, während das militärische Gewicht der USA auch in dieser Region Frankreich eher in die Rolle des Junior-partners der letzten Weltmacht USA versetzt. Die großen Krisen und Konfliktzentren Afrikas -von Angola bis Äthiopien, von Liberia bis Mozambique -wurden ohne französische Konsultation oder Kooperation entschärft. Selbst in Somalia, wo Frankreich über seine Militärbasis in Djibouti nahezu vor der Tür steht, blieb die französische Rolle ähnlich wie im Golfkrieg eher von sekundärer Bedeutung. Nicht selten -so bei den Einsätzen in Zaire und im Tschad der siebziger und achtziger Jahre -mußte Frankreich auf amerikanische Logistik zurückgreifen, um sein militärisches Potential einsetzbar zu machen.
Symbolträchtige Kernbereiche franko-afrikanischer Kooperation, etwa die Franc-Zone oder die militärische Kooperation, haben an Funktionalität verloren. Die Franc-Zone garantiert zwar die Stabilität der afrikanischen Währungen und ihre Konvertibilität, degeneriert aber immer mehr zur Schiene für Afrikas Fluchtkapital und subventioniert die Überbewertung afrikanischer Währungen. Die enge militärische und -über die direkte Budgethilfe forcierte -finanzielle und personelle Kooperation hat Frankreich zwar eine treue gouvernementale Klientel eingebracht. Zugleich aber hat sich Frankreich in Afrika -im Schatten des sich verschärfenden afrikanischen Krisenszenarios und der nun fehlenden sowjetisch-kubanischen Bedrohung -in eine Identitätsfalle mit gerade jenen korrupten politischen Eliten führen lassen, deren Ablösung zwischen Abidjan und Kinshasa jetzt ansteht. Frankophonie und Frankophobie haben auf diese Weise südlich der Sahara die Konturen einer zynischen Symbiose angenommen 24.
Bleibt der letzte Schwerpunkt dieser selektiven französischen Konzentration auf Afrika und die DOM-TOM, nämlich die starke Diskrepanz zwischen politischem, personellem und finanziellem Engagement und dem begrenzten ökonomischen Nutzen. Frankreichs Außenhandel mit dem frankophonen Afrika ist stetig gesunken und liegt heute, auch unter Berücksichtigung der begehrten Uranlieferungen aus Niger und Gabun sowie der Erdölimporte aus Gabun und Kongo-Brazzaville, auf dem europäischen Durchschnittsniveau von drei Prozent. Eine ähnlich ernüchternde Bilanz ließe sich für die überseeischen Gebiete Frankreichs ziehen. Die umfangreichen Aufwendungen Frankreichs für diese bis zu 16 000 km entfernt gelegenen, meist insularen Gebiete stehen inzwischen in keinem Verhältnis mehr zu ihrem geostrategischen Nutzen nach dem Ende des Kalten Krieges und der Stornierung nuklearer Testversuche. Hinzu kommen die permanenten Schwierigkeiten, in diesen Gesellschaften ökonomische Entwicklung und sozialen Frieden zu sichern, nachdem diese aufgrund ihrer geostrategischen Funktionalisierung im grand design der „puissance mondiale moyenne“ ihr eigenständiges produktives Potential verloren haben. „Es ist zumindest erstaunlich“, schreibt Andr Postel-Vinay, „daß unsere Entwicklungshilfe an die DOM-TOM, mit ihrer Bevölkerung von ca. 1, 6 Mio., etwa auf dem Niveau liegt unserer Hilfe an die Maghreb-Staaten und die afrikanischen Länder der Franc-Zone, mit ihrer Bevölkerung von 135 Mio. Hinzu kommt, daß im Falle der DOM-TOM (insbesondere der DOM) Entwicklungshilfe nur einen Teilbereich unserer Hilfe ausmacht, denn die übrigen öffentlichen Transfers der Metropole zugunsten dieser Gebiete liegen fast um das Doppelte höher als die Entwicklungshilfe, die wir ihnen zuteil werden lassen.“
Eine Revision der französischen Beziehungen zur Dritten Welt erscheint im Lichte dieser Asymmetrien und Schwierigkeiten immer dringlicher. Wer jedoch vorschnell eine Veränderung der Dritte-Welt-Beziehungen Frankreichs prognostiziert, ver-gißt nicht nur die symbolträchtige Bedeutung, die Afrika und die DOM-TOM für die politische Klasse Frankreichs nach wie vor besitzen, er vernachlässigt zugleich die historisch gewachsenen wechselseitigen Wirkungslinien der engen und selektiven französischen Dritte-Welt-Beziehungen
Afrika ist, wenn auch in reduzierterem Maße als die DOM-TOM, Teil Frankreichs geworden, nicht nur durch das Gewicht seiner zahlreichen Migranten, sondern durch den Einfluß seiner Eliten, die bislang ein entscheidendes Wort mitzusprechen hatten, wenn es darum ging, nachkoloniale franko-afrikanische Beziehungen neu zu gestalten. Als Präsident Mitterrand mit Hilfe seines ersten Kooperationsministers Jean Pierre Cot den Versuch unternahm, Anfang der achtziger Jahre die französische Entwicklungspolitik zu globalisieren und damit zu diversifizieren, d. h. auf neue Bahnen der Symmetrie zu Frankreichs wirtschaftlichen Interessen zu lenken, wurde dieses Vorhaben -so wird berichtet -aufgrund der Intervention der frankophonen afrikanischen Staatsoberhäupter rasch blockiert. 1982 schon mußte Cot seinen Abschied nehmen, und die alte gaullistische Linie privilegierter und stark personalisierter informeller Beziehungen zwischen Afrika und Paris nahm ihren Lauf