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Der Geschichtsunterricht in der DDR als Instrument der SED-Politik | APuZ 29-30/1993 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 29-30/1993 Zeitgeschichte in Deutschland. Begriff, Methoden, Themenfelder Die DDR in der deutschen Geschichte Verflechtung und Abgrenzung Aspekte der geteilten und zusammengehörigen deutschen Nachkriegsgeschichte Der Geschichtsunterricht in der DDR als Instrument der SED-Politik

Der Geschichtsunterricht in der DDR als Instrument der SED-Politik

Wolfgang ProtznerlAlexandra Neubauer/Christel Schuster

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Entmachtung der SED 1989 stellte auch das Ende der DDR-Geschichtswissenschaft als eigenständige, von der SED abhängige und dem Marxismus-Leninismus verpflichtete Disziplin dar. Die Geschichtswissenschaft hatte die Legitimation der SED-Herrschaft und ihrer Politik zu liefern, die im Geschichtsunterricht -dem ideologischen Kernfach neben Staatsbürgerkunde -den Schülern vermittelt wurde. Sie sollte den „Klassenstandpunkt“ fundieren und die „Liebe zum sozialistischen Vaterland“ vertiefen. Anders als in der Bundesrepublik bestand in der DDR ein direktes einseitiges Abhängigkeitsverhältnis SED-Politik -Geschichtswissenschaft -Geschichtsunterricht. Politische und gesellschaftliche Veränderungen wirkten sich daher unmittelblar inhaltlich und methodisch auf den Geschichtsunterricht aus. Aufgrund dieser Abhängigkeit der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsunterrichts von der SED-Führung ist die Entwicklung des Geschichtsunterrichts klar den einzelnen Phasen der DDR-Geschichte zuzuordnen.

I. Einleitung

In der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands wurde die neue politische Ordnung keineswegs gleich nach Kriegsende als stalinistisches System etabliert. Auch in der SBZ gab es die Hoffnung auf einen demokratischen Neuanfang. Erst allmählich entwickelte sich unter dem Einfluß der Besatzungsmacht eine Ordnung, die vom absoluten Führungsanspruch der Kommunisten in Staat und Gesellschaft geprägt war. Dabei traten mehr und mehr zwei Grundprobleme im Osten Deutschlands zutage: Zum ersten wurden gegen den Willen der deutschen Bevölkerung Strukturen geschaffen, die für ein sozioökonomisch hochentwickeltes Land nicht paßfähig waren und ein ständiges Konfliktpotential bildeten. Zum zweiten schwebte die DDR fortdauernd in einer Identitätskrise zwischen einem eigenständigen, sozialistischen Staat und der Einheit Deutschlands.

So war die Geschichte der DDR auch nur scheinbar von stetiger Kontinuität gekennzeichnet. Wohl wurde die DDR-Geschichte durch die Alleinherrschaft der SED, die Reglementierung und Gleichschaltung des gesellschaftlichen Lebens, die Abhängigkeit von der Sowjetunion und die strikte Einbindung in den Ostblock geprägt, andererseits gab es unter der Oberfläche aber auch Wandlungen, ja sogar Brüche. Bedacht werden muß beispielsweise die Veränderung des Parteiensystems zwischen 1945 und 1950, die von zunächst mehr oder weniger eigenständigen Parteien zur „Nationalen Front“ unter Vorherrschaft der SED führte. Ebenso relativierte sich in vierzig Jahren DDR das Verhältnis zur Sowjetunion: Von einem abhängigen Vasallenstaat wandelte sich die DDR zu einem Juniorpartner der Sowjetunion, der einen eigenen Weg zum Sozialismus gehen wollte.

Das Schulfach Geschichte -neben Staatsbürger-kunde Kernfach der ideologischen Erziehung in der DDR -diente vierzig Jahre lang als Instrument der SED-Politik. Geradezu seismographisch reagierte der Geschichtsunterricht daher mit inhaltlichen und didaktisch-methodischen Veränderungen auf jedweden gesellschaftlichen und politischen Wandel in der DDR. Die Entwicklung des Geschichtsunterrichts spiegelt so exakt die Phasen der DDR-Geschichte wider

II. Der Geschichtsunterricht in der Sowjetischen Besatzungszone (1945-1949)

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges proklamierte die sowjetische Besatzungsmacht im Osten Deutschlands eine „antifaschistisch-demokratische“ Umgestaltung der Wirtschafts-und Gesellschaftsstruktur. Zu den ersten großen Veränderungen gehörte die Reformierung des Schulwesens. Bereits seit Februar 1945 befaßte sich eine Kommission mit der Umgestaltung des Unterrichtswesens und der künftigen Schulstruktur. Der Ausschuß formulierte Grundsätze für eine Schulreform: Demokratisierung der Schule, Schaffung eines einheitlichen Schulsystems, Recht auf Bildung für alle Kinder, Trennung von Schule und Kirche. 1946 fanden diese Grundsätze Eingang in das „Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule“ der SBZ

Auch im Geschichtsunterricht mußte 1945 ein Neuanfang gefunden werden. Die Schulkommission beschloß, alle Geschichtslehrbücher aus der Zeit des Nationalsozialismus außer Kraft zu setzen und bis zum Erscheinen neuer Lehrbücher auf solche der Weimarer Republik zurückzugreifen. Generell ordnete man dem Fach Geschichte eine Schlüsselrolle bei der Neugestaltung der Lehrpläne zu. Die Schulkommission entwickelte noch imSommer 1945 spezielle „Richtlinien für den Unterricht in deutscher Geschichte“: „Die Darstellung der Geschichte muß wissenschaftlich einwandfrei sein... Der Unterricht hat die Gesetzmäßigkeiten in der gesellschaftlichen Entwicklung, das Wesen der verschiedenen Gesellschaftsformen klar herauszuarbeiten ... Der Geschichtsunterricht soll erziehen zu demokratischem Denken, zu verantwortlicher, aktiver Teilnahme am Leben des Volkes und zu echtem Nationalbewußtsein, das...frei ist von nationalistischer Engstirnigkeit und rassischer Überheblichkeit.“

Im Sinne der Vollendung der bürgerlichen Revolution von 1848 wurden bürgerliche Professoren mit der Erstellung eines neuen Lehrplanes betraut. Bis zu seinem Erscheinen zum Schuljahresbeginn 1946 wurde der Geschichtsunterricht zugunsten anderer Fächer ausgesetzt Im Zeichen der „antifaschistisch -demokratischen“ Orientierung griff man -auf der Suche nach einer methodischen Neukonzeption -auf die bekannten demokratischen Prinzipien von Arbeitsschule und Reformpädagogik zurück und verankerte sie im Vorwort zum Lehrplan: Erziehung zur Demokratie sollte auch im Unterricht durch Selbsttätigkeit der Schüler, in Form von Schülerberichten, Quellenarbeit oder Diskussionen verwirklicht werden Stures Pauken und trockene Lehrervorträge waren verpönt. „Die Erziehung zu selbständigem Arbeiten ist auch bei der Stoffaneignung schon frühzeitig zu pflegen... Die Verarbeitung erfolgt im Lehrgespräch...der Lehrervortrag (hat) seinen Platz im Geschichtsunterricht des 5. und 6. Schuljahres... im 9. -12. Schuljahr tritt er immer mehr hinter dem Lehrgespräch zurück.“ Um dem Prinzip der Anschaulichkeit gerecht zu werden, sollte der Unterricht -wenn möglich -von der Heimatgeschichte ausgehen. Im Lehrplan findet sich die Forderung, bei jeder Gelegenheit an historische Überlieferungen aus der Heimat anzuknüpfen, um das Empfinden dafür zu wecken, daß die Heimat jederzeit mit dem „ großen Weltgeschehen“ verflochten war.

Die Gegenwartskunde behandelte in dieser Phase der Neuorientierung Fragen der Demokratie wie zum Beispiel „Warum gibt es Parteien, was wollen Sie?“, „Warum haben wir Gewerkschaften?“ oder „Die großen Demokratien und die großen Demokraten“ Im Sinne der Suche nach demokratischen Neuansätzen ließ der Lehrplan den Lehrern großen Spielraum; er gab keine exakte Stoffverteilung vor.

Die Frage, ob der Geschichtslehrer Marxist sein müsse, wurde damals noch eindeutig verneint; allerdings finden wir bereits die Forderung, daß er die wichtigsten Schriften des Marxismus studiert haben müsse.

Mit der Etablierung der SED und der Kursänderung Ende der vierziger Jahre wurde die Kritik an Arbeitsschule und Reformpädagogik immer lauter. Der Pädagogische Kongreß 1949 verurteilte diese Methoden vollends. Auf dem Kongreß forderte man zudem einen Lehrer, der „vorbehaltlos den Kampf der Nationalen Front unterstützt“, „eine objektive Kenntnis des Marxismus-Leninismus“ besitzt und ein „wahrhafter Freund der Sowjetunion“ sein sollte

III. Der Geschichtsunterricht in der Zeit der Stalinisierung der DDR (1949-1953)

Die Berlinblockade 1948/49, die Gründung der beiden deutschen Staaten und der Koreakrieg kennzeichneten eine ernste Zuspitzung des Ost-West-Konfliktes. Die DDR lehnte sich enger an die Sowjetunion an und hob sich gleichzeitig bewußt von der Bundesrepublik ab. Unter Walter Ulbricht erfolgte eine weitgehende Kopie des Sowjetsystems und damit eine grundlegende Veränderung der ökonomischen Verhältnisse und des politischen Systems im Osten Deutschlands Im Juli 1952 beschloß die SED den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“.Dieser Beschluß hatte auch auf die Schule in der DDR gravierende Auswirkungen. Sie erhielt den Auftrag, die Kinder zu „jungen Erbauern des Sozialismus“ zu erziehen: „Nach dem historischen Beschluß der II. Parteikonferenz über den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik steht vor der deutschen demokratischen Schule die Aufgabe, die Jugend zu allseitig entwickelten Persönlichkeiten zu erziehen, die fähig und bereit sind, den Sozialismus aufzubauen und die Errungenschaften der Werktätigen bis zum Äußersten zu verteidigen. Die deutsche demokratische Schule hat die Aufgabe, Patrioten zu erziehen, die ihrer Heimat, ihrem Volke, der Arbeiterklasse und der Regierung treu ergeben sind, die die Einheit des friedlichen, unabhängigen, demokratischen Deutschlands im Kampf gegen die imperialistischen Okkupanten und die Adenauerclique erzwingen.“

Historisch-materialistische Geschichtsbetrachtung und ihre Interpretation mit dem Ziel, sozialistisches Geschichtsbewußtsein als Bestandteil einer marxistischen Auffassung von der Welt zu erzeugen, wurde am Beginn der fünfziger Jahre Zweck des DDR-Geschichtsunterrichts Nachdem bereits 1949 die Kritik am Lehrplan seitens der SED immer lauter geworden war, erschien zum Schuljahresbeginn 1951 ein neuer Geschichtslehrplan. Vordringliches Anliegen des neuen Lehrplanes war die Erziehung der Schüler zu „fortschrittEchem“ Denken durch die Vermittlung eines materialistischen Geschichtsbildes In Anlehnung an sowjetische Lehrpläne erfolgte danach im Unterricht eine chronologische Behandlung der Geschichte von der Antike bis zur Gründung der DDR Den Entwicklungsgesetzen des Historischen Materialismus folgend, hatte demnach die DDR als „antifaschistischer“ und „demokratischer“ deutscher Staat den Übergang zur höheren Staatsform des Sozialismus vollzogen. Auf diese Weise versuchte die SED-Führung, die Existenz der DDR durch den Geschichtsunterricht zu legitimieren: „Den Schülern muß klarwerden, daß der Klassenkampf der Inhalt der Geschichte aller Klassengesellschaften ist. Sie müssen erkennen, daß der Kampf zwischen Altem und Neuen ein Gesetz der historischen Entwicklung ist, daß das Neue immer gesiegt hat, daß , nur das unüberwindlich ist, was entsteht und sich entwickelt (Stalin). Dadurch wird in den Schülern die Überzeugung geweckt, daß es notwendig ist, auch in der Gegenwart für den Fortschritt Partei zu ergreifen. Sie lernen verstehen, daß man sich entscheiden muß und daß Objektivismus nichts anderes als eine getarnte Parteinahme für die Reaktion ist.“

Mit der Einführung des Faches Gegenwartskunde 1950 wollte die SED die Meinungsbildung über die vielen aktuellen Zeitgeschehnisse in ihrem Sinn betreiben. Die Interpretation der Gründung der DDR, des Ausbruchs des Koreakrieges oder deutschlandpolitischer Maßnahmen sollte keinesfalls anderen Kräften -wie zum Beispiel westlichen Medien -überlassen werden.

Im Zuge der sozialistischen Umgestaltung des Schulwesens gerieten auch die demokratischen Methoden von Reformpädagogik und Arbeitsschule unter scharfe Kritik, statt dessen wurde nun die Sowjetpädagogik propagiert Wie in allen staatlichen Bereichen galt auch im Geschichtsunterricht nur noch die Meinung der Partei. Um diese den Schülern möglichst „effizient“ zu vermitteln, sollte fortan der Lehrervortrag die maßgebliche Methode sein. Der Lehrer hatte nur noch den geschlossenen Stoffverteilungsplan nachzuvollziehen, wie es die traditionelle Lem-und Paukschule vorsah, die von den Verfechtern der Reformpädagogik und den Lehrplangestaltern von 1946 noch strikt abgelehnt worden war. Jede Stunde war bis ins Detail vorstrukturiert und mit Lernzielen versehen Die Wiederholungsstunden wurden auf ein Drittel der Gesamtstundenzahl ausgeweitet. In Form von Längs-und Querschnitten wurde der Stoff gründlich „gepaukt“ und die Gesetzmäßigkeiten des Historischen Materialismus herausgestellt. Stalin-Zitate bestimmten die „Bemerkungen zum Stoff“, die dem Lehrer vorgaben, wie er den Charakter des jeweiligen Geschichtsabschnittes im Unterricht zu behandeln hatte: „Das bedeutet vor allem, daß der imperialistische Krieg und seine Folgen die Verwesung des Kapitalismus verstärkt und sein Gleichgewicht erschüttert haben, ... daß neben dem kapitalistischen Wirtschaftssystem das sozialistische besteht, das wächst... und das allein schon durch die Tatsache seines Bestehens die Fäulnis des Kapitalismus demonstriert und seine Grundlagen erschüttert.“

IV. Der Geschichtsunterricht zwischen „liberalem“ und „hartem“ Kurs in der DDR (1953-1961)

Die Liberalisierungswelle in der Sowjetunion nach Stalins Tod und der Arbeiteraufstand vom Juni 1953 führten in der DDR kurzfristig zu einem „Neuen Kurs“. Die Lebensverhältnisse der Werktätigen sollten rasch verbessert werden, die Wiedervereinigung rückte verbal wieder auf die politische Tagesordnung.

Das „Tauwetter“ der fünfziger Jahre hinterließ auch deutliche Spuren bei der Gestaltung der Lehrpläne und des Geschichtsunterrichts. Infolge der Ereignisse des Jahres 1953 wurde der erst 1952 erlassene „Lehrplan für Grundschulen. Geschichte 5. bis 8. Schuljahr“ bereits im folgenden Schuljahr durch'eine stark überarbeitete Fassung ersetzt Augenfälligste Veränderung im neuen Lehrplan war die Streichung aller 1952 noch im Übermaß enthaltenen Literaturangaben von Marx, Lenin und Stalin Statt dessen tauchten -beginnend in Klasse 5 -permanent die Schlagworte „Unterdrückung“, „Ausbeutung“, „Klassenkampf“ und „Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung“ auf.

Die zweite deutliche Veränderung betraf eine radikale Kürzung der fest vorgeplanten Unterrichtsstunden zugunsten der Behandlung von Themen der Heimat-und Zeitgeschichte. Ab 1953 hatte der Lehrer in den Klassen 5 und 6 so jeweils 14 Stunden zur freien Verfügung Nachdem die Politik außerstande war, die Menschen im Land zu halten, wurde der Geschichtsunterricht in der Lehrplan-direktive von 1955 mit der Aufgabe betraut, der Fluchtbewegung durch eine stärkere Betonung der Heimatgeschichte entgegenzuwirken. Heimatkunde wurde 1955 nicht nur zum allgemeinen Unterrichtsprinzip erhoben, sondern auch als eigenes Fach etabliert Unter dem Schlagwort „Patriotische Erziehung“ sollte den Schülern wieder mehr Heimatbewußtsein und Liebe zur Heimat vermittelt werden

Eine große emotionale Wirkung versprach man sich auch von der Behandlung historischer Persönlichkeiten. „Besonders starken Einfluß auf die männliche Jugend (sollten) Portraits kriegerischer und revolutionärer Menschen (haben).“ Dem wurde der 1955 in Kraft getretene „Lehrplan Geschichte 9. Klasse Mittelschule“ gerecht: „Der Geschichtsunterricht in der Mittelschule hat sein Ziel erreicht, wenn er dazu beiträgt, gesellschaftlich aktive, schöpferische Menschen zu erziehen, Patrioten, die fähig und bereit sind, gemeinsam mit allen friedliebenden Menschen alle Kräfte für den Aufbau und die Verteidigung unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates sowie für die demokratische Wiedervereinigung unseres Vaterlandes und für die Erhaltung des Friedens einzusetzen... Eine möglichst lückenlose, chronologische Darstellung der gesellschaftlichen Entwicklung ist nicht anzustreben, vielmehr ist eine vertiefende Behandlung des den Schülern aus der Grundschule bekannten Ge-schichtsstoffes nach bestimmten, für die patriotische Erziehung bedeutsamen Gesichtspunkten (Themen) vorzunehmen.“

Neben der Heimatgeschichte erlebte Mitte der fünfziger Jahre im Sinne der „patriotischen Erziehung“ auch die deutsche Geschichte eine Aufwertung. 1956 traten neue Geschichtslehrpläne für die Klassen 5 und 10, 1957 für die Klasse 6 der Mittel-schule in Kraft. Zugunsten einer vorrangigen Behandlung der deutschen Geschichte wurden in allen drei Lehrplänen Themen der Weltgeschichte gekürzt bzw. gestrichen. So entfiel außer dem Spartakusaufstand in der 5. Jahrgangsstufe die gesamte römische Geschichte, in Klasse 6 wurde die Geschichte Rußlands gestrichen sowie die Geschichte der Entdeckungen gekürzt In Klasse 10 fand die Geschichte der Sowjetunion keine Beachtung mehr; an ihre Stelle rückte eine ausführliche Behandlung der Geschichte der Weimarer Republik, der Zeit 1933-1945 sowie der DDR-Geschichte. Von 60 Geschichtsstunden befaßten sich in der 10. Klasse nur noch 21 mit Weltgeschichte

Eine weitere wichtige Veränderung betraf die methodischen Vorgaben im Lehrplan. Während noch bis 1955 jede Einzelstunde im Detail vorgeplant war, gab es in den neuen Lehrplänen nur noch Richtzahlen zur Stundenverteilung für größere Stoffeinheiten, da emotionale, heimatbezogene Inhalte innerhalb eines starren Stoffverteilungsplanes mit festen Stundenschemata und in Form von trockenen wissenschaftlichen Lehrervorträgen kaum vermittelt werden konnten. „Der Unterrichtsplan schreibt den Lehrstoff nicht bis ins einzelne vor, sondern beschränkt sich auf die Angabe des Hauptthemas der Unterrichtseinheiten. Außerdem führt er die wichtigsten Unterthemen an, die zugleich als Vorschlag für eine Untergliederung der Unterrichtseinheiten gelten können.“ Schülerorientierte Methoden wie Diskussionen, Unterrichtsgespräche oder auch lebhafte, schüler-gerechte Lehrervorträge sollten den stärker emotional ausgerichteten Unterricht ebenso bestimmen wie Museumsbesuche und Unterrichts-gänge

Gerade in der krisenhaften Zeit der fünfziger Jahre schlugen sich gesellschaftliche Wandlungen und Diskussionen deutlich im Geschichtsunterricht nieder. So auch nach der kurzen politischen Tauwetterperiode, die bereits ab 1955/56 zu Ende ging. Die DDR schien sich innenpolitisch zu stabilisieren: Die Lebensverhältnisse verbesserten sich spürbar und die Flüchtlingszahlen stagnierten. Die Bevölkerung -vor allem aber die Jugend -sollte nun noch stärker für den Sozialismus mobilisiert werden.

Zur Verwirklichung ihrer ideologischen Ziele drängte die SED auf einschneidende schulpolitische Veränderungen. So brach Ende 1957 die reformpädagogische Renaissance im Unterricht plötzlich wieder ab. All jenen, die -in Nachwirkung der Liberalisierungswelle -eine Revision der DDR-Schule und die Wiedereinführung der Mehrgliedrigkeit der Schule forderten, wurde eine strikte Absage erteilt. 1958 legte die SED „Vorschläge zur sozialistischen Erziehung der Schuljugend“ vor, welche die „polytechnische Bildung“ in einer sozialistischen Einheitsschule in den Mittelpunkt rückten. Im Januar 1959 beschloß das Zentralkomitee ein eng daran angelehntes Thesenpapier „Über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der DDR“. Zentrale Forderung war die Schaffung einer „ZehnMassigen allgemeinbildenden Oberschule“, die bis 1964 zur obligatorischen Schule für alle Kinder werden sollte

Im Zuge der Umgestaltung des Schulwesens trat ab September 1959 ein neues „Lehrplanwerk“ mit veränderter Stundentafel und neuen Inhalten in Kraft. Der Geschichtslehrplan von 1959 erhöhte die Stoffülle wieder durch die Aufnahme von Themen der außerdeutschen Geschichte, vor allem der sowjetischen Geschichte und der internationalen Arbeiterbewegung. In allen Jahrgangsstufen wurde die Behandlung der deutschen Geschichte wieder zurückgedrängt. Sogar in Klasse 5 lag nun der Schwerpunkt des Unterrichts wieder bei der Geschichte des Alten Orients und Griechenlands Der „deutsche Patriotismus“ wurde im Geschichtsunterricht durch den Begriff „sozialistischer Patriotismus“ ersetzt. Die scheinbare Irreversibilität der Teilung wirkte sich in der Konstruktion eines sozialistischen Heimatbegriffes aus Kriterium für Nation war also nicht mehr die gemeinsame Geschichte, sondern die Ideologie. Das Fach Heimatkunde wurde 1959 wieder abgeschafft und statt dessen die „Staatsbürgerkunde“ eingerichtet.

Aufgrund der (utopischen) Bemühungen, die Bundesrepublik wirtschaftlich zu überholen, zeigte der Lehrplan von 1959 „ökonomistische Tendenzen“ Die geisteswissenschaftlichen Fächer erfuhren in der Stundentafel rapide Kürzungen; mathematisch-naturwissenschaftliche Disziplinen besetzten 70 Prozent des gesamten Lehrvolumens Die Zahl der Geschichtsstunden in Klasse 5 wurde auf 30 Stunden reduziert

Das Prinzip der „polytechnischen Erziehung“ zeigte auch bei den Inhalten des Geschichtsunterrichts Wirkung. Künftig sollten „die Entwicklung der Produktivkräfte, der Produktionsverhältnisse und die Rolle der Volksmassen als Produzenten materieller Güter“ größere Beachtung finden. Technik-und Industriegeschichte erhielten so im neuen Lehrplan breiten Raum. In der 7. Klasse wurde ein größeres Kapitel zur industriellen Revolution in England, in der 8. Klasse ein Unterrichts-abschnitt zur Entwicklung der Industrie im 19. Jahrhundert eingefügt

Hauptinhalt wurde jedoch die Geschichte der Arbeiterbewegung, um den Schülern zu vermitteln, daß die DDR „die Zukunft des deutschen Volkes verkörpert“ Besonders deutlich zeigte sich diese inhaltliche Orientierung im neuen Lehrplan der 9. Klasse. Die Behandlung der deutschen Geschichte beschränkte sich im wesentlichen auf die Geschichte der KPD. Erklärtes Ziel des gesamten Jahreslehrganges war die Abgrenzung vom „imperialistischen Klassenfeind“: „Den Schülern muß bewußt werden, daß durch die Große Sozialistische Oktoberrevolutioh der Zusammenbruch des Imperialismus und der Sieg des Sozialismus im Weltmaßstab eingeleitet wurden.“

Mit der Abschaffung reformpädagogischer, demokratischer Unterrichtsmethoden trat -wie schon zu Beginn der fünfziger Jahre -wieder ein geschlossener Stoffverteilungsplan im Geschichtsunterricht in Kraft. In Form möglichst wissenschaftlicher Lehrervorträge wurden dem Schüler systematisch die Inhalte des Historischen Materialismus vermittelt. Das starre Lehren der von der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft aufbereiteten Inhalte entsprach den Interessen der inzwischen wieder stabilen, mit dem Staat identischen Einheitspartei. Abweichende Meinungen wurden auch im Geschichtsunterricht nicht zugelassen. Sämtliche kreativen Schüleraktivitäten wurden daher bei der Wissensvermittlung unterbunden.

V. Der Geschichtsunterricht in der Zeit der Konsolidierung der DDR (1961-1971)

Auf die erneute tiefe Krise des Systems 1960/61 und die anschwellende Massenflucht aus der DDR reagierte die Ulbricht-Führung mit dem Bau der Berliner Mauer. Die systematische Abriegelung zwang die Bürger künftig, sich mit dem Staat zu arrangieren. Bereits eine Woche nach Beginn des Mauerbaus gab man bekannt, daß alle Geschichtsund Staatsbürgerkundelehrer noch vor Beginn des neuen Schuljahres an einem Seminar teilzunehmen hätten, da in der ersten Woche sämtliche Stunden beider Fächer für die Behandlung der „Grenzsicherung“ genutzt werden sollten. Außer in der 10. Klasse trat an die Stelle der Lehrpläne eine „Direktive“. Die Erklärung der aktuellen Ereignisse, d. h.der völligen Abtrennung der DDR durch diese Maßnahme der SED, rückte in den Vordergrund. Die Zweistaatlichkeit wurde im Unterricht durch die Lehre von den zwei Klassen-linien legitimiert Den Schülern sollte glaubhaft gemacht werden, daß eine Wiedervereinigung durch den Gang der Geschichte unmöglich geworden „Zentralinstitut sei. Ein eigens gegründetes “ sollte künftig die „Effektivität“ des Geschichtsunterrichts erhöhen.

Die DDR-Geschichtswissenschaft hatte nun in erster Linie der Untermauerung politischer Anliegen der SED zu dienen. Man beschwor die Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung, um die eigene Politik und die Abschottung der DDR historisch zu rechtfertigen. Auch der Geschichtsunterricht mußte sich dieser Linie beugen. Ein neuer Lehrplan, 1961 für die Klassen 9 bis 12 eingeführt, formulierte als Erziehungsziel des Geschichtsunterrichts: „Es ist... Aufgabe des Geschichtsunterrichts, den Schülern die beiden gegensätzlichen Linien in der Politik in Deutschland und die unterschiedlichen politischen Traditionen der beiden deutschen Staaten bewußt zu machen. Die Schüler gelangen dadurch zu der Überzeugung, daß die DDR der rechtmäßige deutsche Staat ist, der die Zukunft des deutschen Volkes verkörpert.“ Dementsprechend verlagerte sich der Lehrplan-inhalt weiter deutlich zugunsten von deutscher und internationaler Arbeiterbewegung sowie der Zeit-geschichte nach 1945. So galten in Klasse 10 von 60 Jahresstunden künftig 48 dieser Thematik.

Ebenso wie die Inhalte des Geschichtsunterrichts wurde auch deren Aufbereitung präzise vorgeschrieben: 1960 erschien erstmals ein „methodisches Handbuch“ für den Geschichtsunterricht. Dieses -wie auch alle folgenden Handreichungen -zeigt, wie um angemessene Proportionierung von „erlebnisbetonter Darstellung“ einerseits und „marxistisch-leninistischer Durchdringung“ andererseits gerungen wurde Nach Überwindung der Krise von 1961 erfolgte über lange Zeit keine wesentliche inhaltliche oder methodische Neukonzeption des Geschichtsunterrichts, sondern lediglich Akzentverschiebungen. 1965 wurde das „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ beschlossen. Das Gesetz forderte die Erziehung der Kinder zur „Liebe der DDR“ und zum „Stolz auf die Errungenschaften des Sozialismus“. Die Schüler sollten „die Lehren aus der deutschen Geschichte, besonders der deutschen Arbeiterbewegung, begreifen“ Damit wurde ein klarer Kurs auf Eigenstaatlichkeit der DDR gefahren, der im Bildungsbereich die 1967 erlassene „Staatsbürgerschaft der DDR“ schon im voraus zementierte.

Auf der Basis dieses Gesetzes wurden bis 1971 nach und nach sämtliche Lehrpläne revidiert. Bereits 1966 trat ein neuer Geschichtslehrplan für die 5. Klasse in Kraft, der den Ausgangspunkt des neukonzipierten Geschichtskurses für alle Klassenstufen bildete. Bis 1973 wurde dieser bis Klasse 11 eingeführt; in Klasse 12 entfiel künftig der Geschichtsunterricht zugunsten „polytechnischer Ausbildung“. Die Herausbildung eines „historischmaterialistischen Geschichtsbildes“ und die Parteinahme für die „historische Mission der Arbeiterklasse“ waren die dominierenden Erziehungsziele. „Im Prozeß der sozialistischen Bildung und Erziehung der jungen Generation ist dem Geschichtsunterricht in den Klassen 5 bis 10 vor allem die Aufgabe gestellt, überzeugend die Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung zum Sozialismus/Kommunismus und die Rolle der Menschen... in diesem Entwicklungsprozeß nachzuweisen, die Schüler zur bewußten Parteinahme für den gesellschaftlichen Fortschritt und für die fortschrittlichen Kräfte zu erziehen und sie zu befähigen, ihr Leben in den Dienst des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus zu stellen.“

Das neue Lehrplanwerk für den Geschichtsunterricht hatte im Vergleich zu seinem Vorgänger von 1959 den sechsfachen Umfang. Die Einzelstunden waren minutiös geplant und vorstrukturiert. Parallel zu diesen „präzisierten“ Lehrplänen erschienen für die Lehrer „Unterrichtshilfen“ für die einzelnen Stunden, um sicherzugehen, daß sie den vorgegebenen Inhalt anhand dieser „Rezeptbücher“ auch exakt in der gewünschten Form vermittelten. Sogar Filme, Diareihen und Schülerhefte wurden passend dazu konzipiert. So erschien 1969 beispielsweise eine Quellensammlung für den Unterricht, die der Forderung, das „wissenschaftliche Geschichtsbild der deutschen Arbeiterklasse in wesentlichen Fragen zu systematisieren, zielgerichtet zu erweitern und theoretisch zu vertiefen“ präzise nachkam. Dem Geschichtsunterricht der Klasse 8 wurde eine zentrale Stellung zugedacht, um Voraussetzungen für das „Verständnis der in den Klassen 9 und 10 zu behandelnden Erscheinungen und Prozesse sowie für die erzieherisch wirksame Auseinandersetzung mit den Grundfragen der Epoche“ in allen Fächern zu schaffen. Inhaltlich sollten vorrangig Probleme der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung behandelt werden. Die Schüler hattensich dabei auch mit der „imperialistischen“, vor allem aber westdeutschen Geschichtsschreibung „auseinanderzusetzen“.

Nach dem Prager Frühling erlebte die Zeit-geschichte -ähnlich wie nach dem Mauerbau -eine enorme Aktualisierung. Die Ereignisse wurden im Unterricht interpretiert und der Einmarsch von Truppen des Warschauer Vertrages gerecht-fertigt. Der Prager Frühling löste eine „Reideologisierungswelle" im Geschichtsunterricht aus und führte insgesamt zu einer Aufwertung des Faches

VI. Der Geschichtsunterricht am Beginn der Ära Honecker (1971-1979)

Die Ablösung Walter Ulbrichts durch Erich Honecker im Mai 1971 stellt eine Zäsur in der Entwicklung der DDR dar. Im Gegensatz zu Ulbricht anerkannte Honecker die Führungsrolle der Sowjetunion und den Modellcharakter ihres Systems. Die Integration in den Ostblock wurde verstärkt. 1974 erfolgte eine Verfassungsänderung, in der alle Hinweise auf ein einiges Deutschland beseitigt wurden.

Das bereits 1965 durch Margot Honecker eingeführte „einheitliche sozialistische Bildungssystem“ wurde nach 1971 weiter ausgebaut. Dabei blieb das Bildungssystem seit den siebziger Jahren bemerkenswert stabil, insbesondere auch hinsichtlich seiner institutioneilen Rahmenbedingungen Im Mai 1973 fand eine „Zentrale Direktorenkonferenz“ statt, die den neuen Kurs des „HoneckerParteitages“ auf die Schule übertragen sollte. Im Mittelpunkt stand die Forderung, die Wirksamkeit der sozialistischen Erziehung und das Bildungsniveau weiter zu erhöhen. Beim Fach Geschichte beklagte man vor allem unsicheres Wissen über gesellschaftliche und historische Fakten

Im Geschichtsunterricht waren -der massiven Ost-integration entsprechend -bald die neuen Schlagworte „Proletarischer Internationalismus“ und „Sozialistische ökonomische Integration“ auf der Tagesordnung Die Leistungen der Sowjetunion beim Aufbau der DDR, die Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung sowie die sowjetische Geschichte erhielten einen zentralen Platz im Unterricht. Der Geschichtsunterricht thematisierte beispielsweise den „Kampf der UdSSR für die Durchsetzung der friedlichen Nachkriegsordnung“, den „Aufschwung des antiimperialistischen Befreiungskampfes in Lateinamerika“ oder den „Sieg des kubanischen Volkes“.

Der „Begriffsarbeit“ kam im Geschichtsunterricht eine wichtige Rolle zu. Begriffe wie Frieden, Freiheit, Demokratie und Fortschritt wurden bewußt vereinnahmt und mit völlig anderen Inhalten als denen des westlichen Sprachgebrauchs gefüllt. Mit der Betonung des „Proletarischen Internationalismus“ erfuhr auch die preußische Geschichte eine enorme Aufwertung: Sie sollte die traditionelle Heimatgeschichte ersetzen und als neue Quelle für Heimatbewußtsein in den Unterricht einfließen. Gleichzeitig verschwand die Geschichte der Bundesrepublik aus dem Geschichtsunterricht der DDR. Vergleiche mit der Bundesrepublik sollten nur noch dann vorgenommen werden, wenn sie zur Rechtfertigung von Maßnahmen der SED, wie z. B.des Mauerbaus, oder zur Abgrenzung vom „Klassenfeind“ dienten. Schwarz-Weiß-Malerei bestimmte den Unterrichtsalltag

Insgesamt wurde in dieser Zeit der mißglückte Versuch unternommen, eine künstliche „sozialistische deutsche Nation“ zu beschwören und die DDR-Geschichte in den Prozeß der Entwicklung des „sozialistischen Weltsystems“ einzugliedern.

VII. Der Geschichtsunterricht in der Krise der DDR (1979-1989)

Seit Ende der siebziger Jahre geriet die DDR immer tiefer in eine umfassende Wirtschafts-und Gesellschaftskrise. Nachdem sämtliche euphorischen Voraussagen über die Entwicklung des Lebensstandards unerfüllt blieben, geriet allmählich die Verkündung eines neuen Fünfjahresplanes und die Hoffnung auf eine vollendete, glückliche Zukunft zur Farce. Die Menschen erlebten die Mangelwirtschaft der DDR beim täglichen „Schlangestehen“. Andererseits hatten sie durch westliche Medien ständig einen direkten Vergleich vor Augen. Unzufriedenheit machte sich in der Bevölkerung breit. Die SED bemühte sich daher, „ihre Legitimation auf eine breitere Basis zu stellen“ und ihre Politik zu rechtfertigen. Erneut mißbrauchte man dazu die Geschichte: Die SED beanspruchtekünftig die ganze deutsche Geschichte, nicht mehr nur die Geschichte der Arbeiterbewegung!

Im Geschichtsunterricht erfuhr also die deutsche Geschichte wieder eine Aufwertung. In Klasse 11 löschte man nahezu alle Themen zur Behandlung der internationalen Geschichte nach 1945. Schwerpunkte waren künftig die deutsche Arbeiterbewegung und die DDR-Geschichte. Das belegen sowohl der Lehrplan für Klasse 10 ab 1977 als auch ein 1980 für Klasse 11 in Kraft gesetzter Geschichtslehrplan. Sämtliche Unterrichtsinhalte konzentrierten sich um die Thematik „Kampf der SED für die Entwicklung des Sozialismus in der DDR“

Der gesamte Geschichtslehrgang war indoktrinativ darauf ausgerichtet, eine historische Kontinuität in der Geschichte der DDR und vermeintliche Erfolge beim Aufbau des Sozialismus zu demonstrieren. Gleichzeitig wollte man die „Überlegenheit“ des Sozialismus in der DDR mit dem Hinweis auf die „unwiderrufliche Integration in das sozialistische Lager“ belegen: „Die Schüler sollen lebendige Vorstellungen darüber erhalten, wie die Werktätigen unter Führung der SED erfolgreich die Grundlagen des Sozialismus errichteten, die aggressiven Pläne der imperialistischen Reaktion durchkreuzten und ihren Beitrag zum Schutz des Weltsozialismus leisteten. Die Schüler erkennen, daß sich dieser Staat als unlösbarer Bestandteil des sozialistischen Weltsystems entwickelt.“

Während die SED-Führung in den achtziger Jahren weitgehend außenpolitische Anerkennung genoß und halsstarrig bekundete, der Kurs des 8. Parteitages sei richtig und müsse fortgesetzt werden, verschärfte sich die innere Lage in der DDR zusehends. Bedingt durch überzogene Sozial-und Militärausgaben kam es zu einer einschneidenden Versorgungskrise, die den Mißmut breiter Bevölkerungskreise gegen das System anheizte. Zur gleichen Zeit regte sich Widerstand gegen die „Friedenspolitik“ der DDR-Führung. Das rigorose Vorgehen gegen Anhänger der Friedensbewegung entfachte -auch in der SED selbst -eine vorsichtige Öffnungsdiskussion.

Doch auch der Reformfrühling in der Sowjetunion brachte die SED-Führung nicht auf den Boden der politischen Realität. Die jahrzehntelang gültige These „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“ wurde plötzlich ins Gegenteil verkehrt: Die DDR habe eine hochentwickelte ökonomische Basis und daher auch nicht die innenpolitischen Probleme der Sowjetunion. Dennoch zeigten immer mehr -vor allem junge -Menschen offen ihre Sympathie für das Reformprogramm Gorbatschows und forderten dessen Übertragung auf die DDR.

Schwierig gestaltete sich auch die Situation für die Geschichtswissenschaft in der DDR. Einerseits waren in Forschung und Lehre parteihörige Historiker am Werk, die die DDR und ihre marxistischleninistische Geschichtswissenschaft zementieren wollten: Sie beriefen sich weiter auf die deutsche Geschichte, um den „erfolgreichen Weg des Sozialismus in der DDR“ zu glorifizieren Andererseits stellten sich Geschichtswissenschaftler neuen Sichtweisen, die nicht nur das traditionelle DDR-Geschichtsverständnis, sondern die Rolle der SED generell in Frage stellten. Als man Diskussionen über Rosa Luxemburgs „Freiheit der Andersdenkenden“ und die Opfer des Stalinismus nicht mehr eindämmen konnte, folgte 1988/89 das Verbot des „Sputnik“, einer deutschsprachigen Zeitschrift mit Beiträgen u. a. aus der sowjetischen Geschichtswissenschaft.

Mit einer neuen Lehrplangeneration ab 1988/89 sollte auch der Geschichtsunterricht dazu beitragen, die „Liebe zum sozialistischen Vaterland“ und den „Stolz auf die historischen Errungenschaften des Sozialismus“ sowie das „Vertrauen in die Politik der SED“ wieder zu festigen Ebenso wie die Geschichtsforschung beanspruchte nun auch der Geschichtsunterricht in der DDR die gesamte deutsche Geschichte: „Ausgehend von ihrem Wissen, das sie über die Geschichte des Sozialismus in der DDR besitzen, sollen sie (die Schüler) erkennen, daß die DDR tief in den großen Leistungen und Kämpfen unseres Volkes verwurzelt ist, daß sie die besten Traditionen deutscher Geschichte ... verkörpert und daß sie den bisherigen Höhepunkt der ganzen deutschen Geschichte darstellt.“

Nachdem in den achtziger Jahren die Ausreise-welle deutlich anstieg, wandte sich der Geschichtsunterricht wieder mehr der Regionalgeschichte zu, um die Schüler emotional stärker an die Heimat zu binden Der neue Lehrplan verpflichtete die Geschichtslehrer, die Heimatgeschichte umfassend in den Unterricht einzubeziehen. Außerdem wurde der Geschichtslehrgang insgesamt zugunsten der DDR-Geschichte verschoben: In der 10. Klasse befaßte sich das Fach Geschichte nur noch mit der DDR-Geschichte ab 195060. Die Geschichtslehrer sollten die Entwicklung des „real existierenden Sozialismus“ bis hin zur idealen sozialistischen Gesellschaft als einen langen Prozeß darstellen. Während die politischen und materiellen Grundlagen des Sozialismus in relativ kurzer Zeit geschaffen würden, könne das Bewußtsein der Menschen nicht von heute auf morgen verändert werden 60. Diese problematisierte Sichtweise sollte die Schüler befähigen, sich „klassenmäßig und offensiv mit antikommunistischen Geschichts-lügen auseinanderzusetzen“ und „klassenmäßige Positionen“ zu vertreten 62. Ziel des Unterrichts war die „Einsicht in die wachsende Stärke und Macht des Sozialismus“. Noch im Juni 1989 wurden auf dem Pädagogischen Kongreß der DDR die Zielstellungen des neuen Geschichtslehrplanes erörtert

Die Geschichte selbst widerlegte die euphorischen Sozialismus-Voraussagen der DDR-Geschichtsmethodiker. Der neue Lehrplan war in Klasse 10 nur noch für wenige Wochen in Kraft, bevor die friedliche Revolution in der DDR einen Schlußstrich unter das jahrzehntelang auf Indoktrinierung und Geschichtsfälschung ausgerichtete Konzept der SED-Schulpolitik zog.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die vorliegende Veröffentlichung entstand aus der Zusammenfassung einer Arbeit zum Thema „Geschichtsunterricht in der DDR“ an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

  2. Vgl. SBZ 1945-1949, Bonn 1990, S. 65.

  3. Quellen zur Geschichte der Erziehung, Berlin (Ost) 1978, S. 51Of.

  4. In Berlin wurde der Geschichtsunterricht sogar erst ab September 1948 wiederaufgenommen. Dies zeigt deutlich, welche gesellschaftspolitische Relevanz dem Fach beigemessen wurde.

  5. Vgl. Dieter Riesenberger, Die soziale Funktion des Geschichtsunterrichts, in: Eberhard Jäckel/Ernst Weymar (Hrsg.), Die Funktion der Geschichte in unserer Zeit, Stuttgart 1979, S. 334.

  6. Vgl. Hans-Dieter Schmidt, Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft und der Geschichtsunterricht in der DDR, in: Alexander Fischer/Günther Heydemann (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in der DDR, Band 1, Berlin 1988, S. 441.

  7. Lehrpläne für die Grund-und Oberschulen in der Sowjetischen Besatzungszone. Geschichte. 1. September 1947, o. O., o. J.

  8. D. Riesenberger (Anm. 5), S. 345.

  9. Schulpolitische Richtlinien für die deutsche demokratische Schule, in: Quellen (Anm. 3), S. 523ff.

  10. Vgl. Hermann Weber, DDR. Dokumente zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Nördlingen 1987, S. 150.

  11. Zur Erhöhung des wissenschaftlichen Niveaus des Unterrichts und zur Verbesserung der Parteiarbeit an den allgemeinbildenden Schulen, in: Quellen (Anm. 3), S. 524.

  12. Vgl. Horst Diere, Methodik des Geschichtsunterrichts im Osten Deutschlands. Ein Rückblick, in: Hans Süßmuth (Hrsg.), Geschichtsunterricht im vereinten Deutschland, Baden-Baden 1990, S. 46.

  13. Vgl. Geschichte der Erziehung, Berlin (Ost) 1976, S. 641.

  14. Vgl. Hans-Dieter Schmidt, Die Entwicklung des Geschichtsunterrichts in der SBZ/DDR, in: Klaus Bergmann/Anette Kuhn/Jöm Rüsen/Gerhard Schneider (Hrsg.), Gesellschaft-Staat-Geschichtsunterricht: Beiträge zu einer Geschichte der Geschichtsdidaktik von 1500-1980, Düsseldorf 1982, S. 321.

  15. Lehrplan für Zehnjahrschulen. Geschichte, Berlin-Leipzig 1951, S. 3 f.

  16. Vgl. Verordnung über die Unterrichtsstunde als Grundform der Schularbeit, die Vorbereitung, Organisation und Durchführung der Unterrichtsstunde und die Kontrolle und Beurteilung der Schüler, in: Die neue Schule, 21 (1950), Beilage, S. 5ff.

  17. Beispielhaft belegt das die Vorgabe für die Unterrichtsstunde „III. Internationale“ im Lehrplan der 10. Klasse: „Der Zusammenschluß der revolutionär-fortschrittlichen Kräfte -erste Stunde: Der Zusammenbruch der II. Internationale im Ersten Weltkrieg. Bildung kommunistischer Parteien, ihre führende Rolle in den revolutionären Massen-kämpfen. Der Kampf der Bolschewiki für die Gründung der III. Internationale. Die führende Rolle Stalins. Die Bedeutung der Kominternkongresse für die Stärkung der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse. Der Kampf der Sektionen der Komintern für die Schaffung einer Aktionseinheit gegen den Faschismus. Der Sieg des Gedankens der Aktionseinheit in Frankreich, Spanien und den Balkanländern. Die Rolle Dimitroffs. Der Vorschlag der Komintern zur Bildung einer Einheitsfront zum Schutz des abessinischen, spanischen und chinesischen Volkes. Die Sabotage der Einheitsfront durch die II. Internationale. Die Auflösung der Komintern im Zweiten Weltkrieg (Ursachen).“ Lehrplan für Zehnjahrschulen Geschichte (Anm. 15), S. 51.

  18. Lehrplan für Zehnjahrschulen (Anm. 15), S. 30.

  19. Lehrplan für Grundschulen. Geschichte 5. bis 8. Schuljahr, Berlin 1952.

  20. Vgl. Lehrplan für Grundschulen. Geschichte 5. bis 8. Schuljahr, Berlin 1953.

  21. Beispiel für eine Literaturvorgabe in Klasse 5: „A. Für den Schüler: Lehrbuch für den Geschichtsunterricht, 5. Schuljahr, Berlin 1952, Seite 59 bis 120. B. Für den Lehrer: Mischulin: Geschichte des Altertums... Engels: Anti-Dühring ... Lenin: Über den Staat... Iljin: Schwarz auf Weiß... Wie der Mensch zum Riesen wurde...“ Vgl. Lehrplan für Grundschulen (Anm. 19), S. 8. 1953 waren diese Vorgaben aus dem Lehrplan wieder verschwunden.

  22. Vgl. Lehrplan für Grundschulen (Anm. 20), S. 5-16.

  23. Vgl. Hans-Georg Wolf, Regional-und Betriebsgeschichte in der DDR, in: Politik, Geschichte und ihre Didaktik, 11 (1983) 314, S. 134.

  24. Vgl. Albrecht Timm, Das Fach Geschichte in Forschung und Lehre in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands seit 1945, Bonn-Berlin 1965, S. 39f.

  25. Dieter Riesenberger, Geschichtsunterricht in der DDR. Aspekte und Tendenzen, Göttingen 1973, S. 54.

  26. Lehrplan Geschichte 9. Klasse Mittelschule mit Wirkung 'vom 1. 9. 1955, Berlin 1957, S. 3.

  27. Vgl. Lehrplan Geschichte 5. Klasse Mittelschule, Berlin 1958, S. 1 f., und Lehrplan Geschichte 6. Klasse Mittelschule, Berlin 1957, S. 5.

  28. Vgl. Lehrplan Geschichte 10. Klasse Mittelschule, Ber-Hn 1957, S. 3.

  29. Lehrplan Geschichte 9. Klasse Mittelschule, Berlin 1955, S. 3.

  30. Diese Tendenz zeigte sich deutlich in den Geschichtslehrplänen Mitte der fünfziger Jahre; so auch im Lehrplan Klasse 6 Mittelschule: „Im gesamten Geschichtsunterricht dieses Schuljahres ist bei der Behandlung der nationalen Geschichte die Heimatgeschichte weitgehend einzubeziehen. Die zahlreichen Möglichkeiten unmittelbaren Erlebens (Unterrichtsgänge ...) sind auszunutzen.“ Vgl. Lehrplan Geschichte 10. Klasse Mittelschule (Anm. 28), S. 4.

  31. Am 2. Dezember 1959 bildeten diese Thesen die Grundlage für das „Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der DDR“. Vgl. Quellen zur Geschichte der Erziehung (Anm. 3), S. 532ff.

  32. Vgl. Lehrplan der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule, Berlin 1959, S. 2.

  33. Näheres zum sozialistischen vgl. Heimatbegriff: H. -G. Wolf (Anm. 23), S. 136.

  34. Hans-Dieter Schmidt, Geschichtsunterricht in der DDR. Eine Einführung, Stuttgart 1979, S. 63.

  35. Vgl. Hermann Weber, Kleine Geschichte der DDR, Berlin 1988, S. 97.

  36. Vgl. Lehrplan (Anm. 32), S. 2.

  37. H. -D. Schmidt (Anm. 6), S. 445.

  38. Vgl. Lehrplan (Anm. 32), S. 16 und 24. .

  39. Ebd., S. 2.

  40. Ebd., S. 27.

  41. Vgl. H. -D. Schmidt (Anm. 6), S. 446.

  42. Vgl. Lehrplan Geschichte Klassen 9 bis 12, Berlin 1961, S. 2f.

  43. H. Gies, in: Hans Süßmuth (Anm. 12), S. 39.

  44. Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem, in: Quellen (Anm. 3), S. 544.

  45. Lehrplan Geschichte Klassen 5 bis 7, Berlin 1981, S. 5.

  46. H. -D. Schmidt (Anm. 14), S. 336.

  47. Lehrplan Geschichte Klasse 8, in Kraft seit 1. 9. 1969, Berlin 1980, S. 7.

  48. Vgl. Hans-Georg Wolf, Geschichtsunterricht und Geschichtsmethodik in der DDR von 1945 bis zur Gegenwart, in: Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (Hrsg.), Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, Stuttgart 1988, S. 229.

  49. Vgl. H. Gies (Anm. 43), S. 37.

  50. Von der zentralen Direktorenkonferenz, in: Quellen (Anm. 3), S. 583.

  51. Vgl. H. -D. Schmidt (Anm. 6), S. 448.

  52. Vgl. Lehrplan Geschichte Abiturstufe, Berlin 1979, S. 26.

  53. H. Weber (Anm. 10), S. 337.

  54. Lehrplan Geschichte Klasse 10, Berlin 1977, und Lehrplan Geschichte Abiturstufe, Berlin 1979.

  55. Lehrplan Geschichte Abiturstufe (Anm. 54), S. 5 und 25 f.

  56. Deutsche Geschichte in zehn Kapiteln, Berlin 1988, S. 9.

  57. Lehrplan Geschichte Klassen 5 bis 10, Berlin 1988, S. 3f.

  58. Ebd., S. 8.

  59. Vgl. H. -G. Wolf (Anm. 23), S. 150.

  60. Vgl. H. Gies (Anm. 43), S. 39.

Weitere Inhalte

Wolfgang Protzner, Dr. phil., geb. 1942; Professor für Didaktik der Geschichte an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg; wissenschaftlicher Projektleiter der Akademie für Neue Medien Kulmbach. Veröffentlichungen u. a.: Zur Medientheorie des Unterrichts, Bad Heilbrunn 1977; Vom Hungerwinter zum kulinarischen Schlaraffenland, Wiesbaden 1987; Geschichtsbewußtsein aus der Glotze?, München 1986; Mitarbeit an zahlreichen Schulbüchern. Alexandra Neubauer, geb. 1967; Lehramtsanwärterin. Christel Schuster, Dr. phil., geb. 1959; Studium der Geschichte und Germanistik in Jena; 1985-1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin in Zwickau; seit 1993 Habilitandin in Bamberg. Mitarbeit an zahlreichen Veröffentlichungen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, u. a. Die Teilung Deutschlands 1945-1955, Bonn 1991; Die Teilung Deutschlands 1955 bis zur Einheit, Bonn 1991; Die Etablierung des Stalinismus, Teuen 1990.