I. Vorbemerkung
Mit den Beschlüssen von Maastricht im Dezember 1991 zur Wirtschafts-und Währungsunion sowie zur Politischen Union wurde eine neue, vielleicht sogar entscheidende Etappe auf dem Weg zu einer Europäischen Union eingeläutet. Die wichtigsten Entscheidungen betreffen die verabredeten währungspolitischen Schritte bis hin zu einer Europäischen Währungsunion. Danach soll Ende 1996 ermittelt werden, welche Mitgliedsländer die Aufnahmebedingungen -Konvergenzkriterien -erfüllen. Wenn mindestens sieben Länder bereit und in der Lage sind, die Währungsunion zu bilden, wird 1997 eine Europäische Zentralbank (EZB) installiert. Kommt es nicht zu diesem Beschluß, dann wird die Europäische Währungsunion aber spätestens Ende 1998 in Kraft gesetzt. Wer dann die Kriterien erfüllt, ist automatisch in der Währungsunion, es sei denn, er hat sich, wie Großbritannien, eine Fluchtklausel zusichern lassen.
Von der breiten Öffentlichkeit eher unbemerkt wurden in Maastricht auch wichtige wirtschaftspolitische Weichen gestellt. Die EG bleibt zwar eine bloße Staatengemeinschaft, in der die Mitgliedsländer wirtschaftspolitisch nach wie vor das Sagen haben. Dennoch wurden der EG im neu gefaßten Art. 3 des Gemeinschaftsvertrages weitere wirtschaftspolitische Aufgaben und Befugnisse, etwa in der Infrastruktur-und Industrie-, der Forschungs-und Technologie-, der Umwelt-, aber auch auf dem Felde der Sozialpolitik und des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts übertragen. Die Zukunft wird zeigen, ob dies der Einstieg in eine bundesstaatliche Verfassung in Europa ist, in der die zuständigen Organe der EG vorrangig und zentral die europäische Wirtschaftspolitik gestalten.
Bevor man in der EG eine solche, nur sehr schwer wieder umkehrbare zentralistische Entwicklung in Gang setzt, sollte man sich darüber klar werden, ob es wirklich sinnvoll ist, den Organen der EG immer mehr wirtschafts-und währungspolitische Befugnisse zu übertragen. Solche Überlegungen scheinen auch vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklung in Osteuropa dringend geboten.
Während in diesen Staaten, die in der Vergangenheit leidvolle Erfahrungen mit zentralistischen wirtschaftspolitischen Entscheidungsstrukturen gemacht haben, eine starke Tendenz zur Dezentralisierung zu beobachten ist, marschieren die Länder der EG gerade in die entgegengesetzte Richtung, obwohl sich der nationale Wohlstand in der Vergangenheit zweifellos auch deshalb so positiv entwickelte, weil die europäischen Staaten in einem eher wettbewerblichen Verhältnis zueinander standen.
In einer Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion, die dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist (Art. 3 a des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft [EGV]; Art. 102 a EGV) müssen staatliche Eingriffe besonders gerechtfertigt werden. Dies gilt für alle ökonomischen Märkte, also für die Güter-und Faktormärkte ebenso, wie für den Währungsmarkt. Um die wirtschaftliche und monetäre Integration in Europa zu fördern, müssen zunächst die ökonomischen Märkte geöffnet werden, damit der marktliche Koordinationsmechanismus spielen und seine komparativen Vorteile entfalten kann. Erst wenn man feststellt, daß die Ergebnisse offener Märkte nicht befriedigen, kann man unter der Voraussetzung, daß die politischen Lösungen zu besseren Ergebnissen führen, an staatliche Eingriffe denken. Die Beweislast liegt dabei in marktwirtschaftlichen Ordnungen immer bei denen, die interventionistisch tätig werden wollen.
Weiterhin bleibt zu klären, auf welcher institutionellen Ebene wirtschafts-und währungspolitische Aktivitäten ergriffen werden. Damit stellt sich die Frage, wie das Subsidiaritätsprinzip zu verstehen ist. Es ist unstrittig, daß mögliche Fehlentwicklungen ursachenadäquat angegangen werden sollten. Damit sind aber Unvollkommenheiten, die ihre Ursache auf regionalen oder nationalen Märkten haben, auch auf regionaler oder nationaler und nicht auf europaweiter Ebene zu bekämpfen. Es soll deshalb der Frage nachgegangen werden, inwieweit in den Verträgen von Maastricht diesen ordnungspolitischen Grundsätzen nicht nur bei der wirtschaftlichen, sondern auch bei der monetären Integration entsprochen wurde.
II. Wurde den ordnungspolitischen Grundsätzen in der Wirtschaftspolitik entsprochen?
Mit der Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) 1986 wurde die schrittweise Verwirklichung des Binnenmarktprojektes 1992 vertraglich festgelegt. Europäische Güter-und Faktormärkte sollen geöffnet werden, indem man nichttarifäre Handelshemmnisse mit Hilfe von 282 Rechtsakten beseitigen will. Durch den Abbau von materiellen und technischen Hindernissen sowie steuerlicher Schranken erhofft man sich nicht nur positive Kosten-und Spezialisierungseffekte, sondern auch erhebliche Wachstumswirkungen. Neben einer verstärkten Nutzung von economies of scale -Fixkostendegression und Lernkurveneffekte -und einer höheren technischen Effizienz soll auch ein intensiverer Wettbewerb auf Güter-und Faktormärkten dazu beitragen, daß innovative Aktivitäten stärker als bisher gefördert werden. Der sogenannte Cecchini-Bericht stellt dem Binnenmarktprojekt 1992 ein hohes inflationsfreies wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze in Europa in Aussicht. Die ordnungspolitisch richtige Stoßrichtung des Binnenmarktprojektes 1992, das auch als angebots-seitige Antwort auf die vielfach beklagte Eurosklerose gedacht war, wurde in den Verträgen von Maastricht wieder aufgegeben. Dies kann man am besten erkennen, wenn man die geplanten industrie-und sozialpolitischen Aktivitäten etwas näher unter die Lupe nimmt. In den Verträgen von Maastricht wird der EG der Auftrag erteilt, eine neue Industriepolitik zu konzipieren (Art. 3 [1] [m]; 3 a; 130f EGV). Die traditionelle Struktur-politik zielt grundsätzlich darauf ab, den Prozeß der sektoralen Anpassung abzufedern. Sie soll helfen, den marktwirtschaftlichen Strukturwandel zu fördern. Die Forschungs-und Technologiepolitik als moderne Variante der Industriepolitik versucht, die wirtschaftlichen Strukturen aktiv zu gestalten und die Sektoren zu fördern, die für die Wettbewerbsfähigkeit der EG zentral sind. 1. Was spricht dafür, in der EG eine neue Industriepolitik zu installieren?
Es wäre allerdings falsch zu glauben, die geplanten industriepolitischen Aktivitäten seien wirklich neu. Auch in der Vergangenheit hat sich die EG nie industriepolitisch abstinent verhalten. Am bekanntesten und finanziell am besten dotiert ist die strukturpolitische Komponente, wie etwa die staatlichen Maßnahmen in den Bereichen Agrar, Energie, Verkehr sowie Kohle und Stahl. Aber auch die technologiepolitische Ausprägung der Industriepolitik ist nicht wirklich neu. Während man sich Anfang der siebziger Jahre von amerikanischen Konzernen bedroht fühlte, sind es seit Mitte der achtziger Jahre die japanischen Wettbewerber, die in Europa Angst und Schrecken verbreiten.
Der Gipfel von Maastricht griff die technologischen Ängste, die sich 1987 im eigenständigen Titel XV (Forschungs-und Technologiepolitik) der Einheitlichen Europäischen Akte niederschlugen, noch einmal auf. Das Delors-II-Paket sieht vor, die Haushaltsmittel der EG für Forschung und Entwicklung von heute 2, 5 Mrd. ECU auf über 4 Mrd. ECU bis zum Jahre 1997 zu erhöhen. Wegen der allgemeinen Knappheit der finanziellen Mittel sähe es die EG-Kommission gerne, wenn die beteiligten Unternehmungen ihre Forschungsanstrengungen stärker als bisher bündeln würden. Solche technologisch-strategischen Allianzen, die helfen sollen, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu erhöhen, sind aber immer mit dem „Risiko von Protektion, Subvention und staatlich dirigierter Kooperation“ verbunden. Es muß sich erst noch erweisen, was die vollmundigen Bekenntnisse von Maastricht, offene und wettbewerbliche Märkte zu sichern, industriepolitische Aktivitäten im Rat nur einstimmig zu fassen, wettbewerbsverzerrende Eingriffe abzuwehren und auf eine selektive Branchenstruktur-und sektorale Wirtschaftspolitik zu verzichten, wirklich wert sind.
Was ist nun aber von den Argumenten zu halten, die industriepolitische Aktivitäten Struktur-und technologiepolitischer Prägung in der EG rechtfertigen wollen? Es wird behauptet, bei unvollkommenem Wettbewerb auf Gütermärkten sei nicht mehr sichergestellt, daß sich alle potentiellen Gewinne aus einem freien internationalen Handel tat-sächlich einstellen Wenn etwa die Durchschnitts-kosten der Produktion mit steigender Ausbringung sinken, weil hohe Fixkosten existieren oder auch Lerneffekte auftreten, könnten bei den Unternehmungen, die zuerst am Markt sind, monopolistisch überhöhte Gewinne entstehen. Der EG könnte es damit aber gelingen, den Wohlstand ihrer Mitglieder zu erhöhen, wenn sie industriepolitische Maßnahmen als Instrumente einer strategischen Handelspolitik einsetzt, um schon bestehende monopolistische Machtpositionen nichteuropäischer Unternehmungen zu schwächen oder eben eine eigene Machtposition aufzubauen. Mit einem solchen rent-shifting und rent-creating könnten die monopolistisch überhöhten Gewinne zu Lasten anderer in die Länder der EG umgeleitet werden.
Die Möglichkeiten einer Rentenumlenkung und Rentenschaffung sind vielfältig. So könnten etwa unternehmerische Aktivitäten -Forschung und Entwicklung, Produktion, Absatz -zukunftsträchtiger Branchen subventioniert werden, die Branchen und Sektoren zu wettbewerbspolitischen Ausnahmebereichen erklärt oder aber handelspolitische Maßnahmen -Exportsubventionen und/oder Importbeschränkungen -ergriffen werden, um diese Sektoren gegen nichteuropäische Konkurrenten zu schützen. Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Vereinigten Staaten und der EG um das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) zeigen, zu welchen handelspolitischen Winkelzügen die einzelnen Länder fähig sind, wenn sie unterschiedliche Interessen vertreten.
Es wird aber auch darauf hingewiesen, daß man den Wohlstand in Europa möglicherweise steigern könne, wenn es gelänge, positive externe Effekte zu produzieren, die die europäischen Ländergrenzen nicht überschreiten. Wenn Sektoren existieren, deren wirtschaftliche Aktivitäten sich positiv auf andere Bereiche der Volkswirtschaft auswirken, können industriepolitische Aktivitäten, die diese spill-over-Branchen unterstützen, vorteilhaft für ganz Europa sein. Da man positive externe Effekte vor allem beim technologischen Wissen vermutet, scheint der Bereich der Hochtechnologie für viele ein geeigneter Ansatzpunkt für sektorspezifische industriepolitische Aktivitäten zu sein. Wenn es mit geeigneten industriepolitischen Aktivitäten gelänge, solche positiven externen Effekte europaweit zu internalisieren, wäre es nicht nur möglich, neben dem Niveau auch die Wachstumsrate des realen Pro-Kopf-Einkommens dauerhaft zu erhöhen, sondern auch einen wettbewerblichen Vorsprung vor den Hauptkonkurrenten auf den Weltmärkten zu erlangen.
Die dazu notwendigen sektorspezifischen Aktivitäten haben mit Hindernissen zu kämpfen, die es mehr als fraglich erscheinen lassen, ob staatliche Eingriffe die unbefriedigenden Ergebnisse marktlicher Prozesse wirklich verbessern können Die eigentliche Schwierigkeit ist ein grundlegendes Informationsproblem. Wegen der fehlenden Nähe der politischen Entscheidungsträger zu den ökonomischen Märkten verfügen sie auch nicht über die notwendigen Informationen, um wirklich sachgerecht entscheiden zu können, welche Sektoren die erhofften positiven Eigenschaften aufweisen. Da die politischen Entscheidungsträger die Konsequenzen eines Scheiterns industriepolitischer Aktivitäten nicht in gleichem Maße tragen müssen, wie private Unternehmer für wirtschaftliche Fehlschläge einstehen müssen, sind für sie auch die Anreize geringer, nach adäquaten Informationen zu suchen.
Es ist klar, daß auch die EG-Kommission nicht über das notwendige Wissen verfügen kann. Letztlich sind es die Experten von Interessengruppen, die den politischen Entscheidungsträgern in der EG-Kommission die notwendigen Informationen liefern. Da aber bestimmte Partikularinteressen und die Interessen der Bürokratie dominieren, sind verzerrte Informationen unvermeidlich
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß sektorspezifische industriepolitische Aktivitäten einzelne Sektoren zu Lasten anderer Bereiche fördern. Eine solche Politik ist gesamtwirtschaftlich nur vorteilhaft, wenn die Gewinne aus den geförderten Branchen die Verluste aus den Bereichen übersteigen, aus denen knappe Ressourcen abgezogen werden. Sind die Gewinne aber relativ gering und fördert der Staat wegen informatorischer Defizite möglicherweise auch noch die falschen Branchen, dann stellen sich die EG-Länder schlechter. Dieser Fall ist nicht von der Hand zu weisen, weil sich die politischen Entscheidungsträger oft weniger an gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsgesichtspunkten, sondern vielmehr an den einzelnen Interessen politisch einflußreicher Gruppen orientieren.Es wird schließlich darauf hingewiesen, daß die EG auf eine gemeinsame Industriepolitik nicht verzichten könne, weil gezielte sektorspezifische Eingriffe vor allem den japanischen und amerikanischen Konkurrenten auf den Weltmärkten unlautere Wettbewerbsvorteile bescheren würden. Der Umstand, daß es in Deutschland eine große Zahl von Unternehmungen gibt, die aktiv am internationalen Technologietransfer partizipieren, indem sie Lizenzen nehmen oder neues Wissen untemehmensintem von ausländischen Muttergesellschaften beziehen, hat Giersch schon 1984 zu der Aussage veranlaßt: „Wenn anwendbares Wissen so leicht handelbar und übertragbar ist, darf man fragen, wieso seine Bereitstellung den hiesigen Steuerzahler etwas angeht.“ Dies gilt grundsätzlich auch für die EG.
Trotz dieses berechtigten Einwandes scheint ein gewisses Mindestmaß an technologischer Autarkie sinnvoll. Sofern man nämlich extern entwickeltes Wissen nutzen will, ist oft ein gewisses technologisches Verständnis erforderlich, das aber nach aller Erfahrung vor allem im Rahmen eigener F& E-Aktivitäten gewonnen werden muß. Aber auch wenn man grundsätzlich ein bestimmtes Mindestmaß an technologischer Autarkie akzeptiert, bleiben immer noch die Fragen, wann eine technologische Lücke vorliegt und bei welchem Grenzwert welche Gegenmaßnahmen einzuleiten sind. Orientiert man sich bei der Auswahl der Forschungsschwerpunkte zu stark an den Aktivitäten des Auslandes, dann besteht die Gefahr eines Subventionswettlaufes. Die Folge ist aber ein Innovationswettlauf, der den Produktlebenszyklus verkürzt, die Rendite der Projekte verringert und damit die Anreize reduziert, überhaupt innovativ tätig zu werden. Konzentriert man sich zu stark auf einige wenige Technologiebereiche, dann besteht die Gefahr, daß die Funktion des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren beeinträchtigt und den Forschungsfeldem, die wirklich zukunftsträchtig sind, möglicherweise zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Ein Blick sowohl in den Bereich der Mikroelektronik als auch auf den Markt für zivile Großraumpassagierflugzeuge läßt erkennen, daß für die Länder, die diese Sektoren in der Vergangenheit nicht subventionierten, keine konkreten Nachteile entstanden sind Es kann keine Rede davon sein, daß etwa die europäische Industrie in eine technologische Abhängigkeit von Japan oder den Vereinigten Staaten geraten ist. Einerseits ist Wissen leicht übertragbar; andererseits haben letztlich die Länder von den Subventionswettläufen profitiert, die diesen Wettlauf nicht mitmachten und die subventionierte Technologie günstig auf den Weltmärkten einkaufen konnten.
Der Umstand, daß Konkurrenten auf den Weltmärkten innovative Aktivitäten ihrer Unternehmungen fördern, ist somit noch kein zutreffender Grund für eine europaweite Förderung. Die bisherigen Erfahrungen mit sektorspezifischen industriepolitischen Aktivitäten zeigen vielmehr, daß sich nicht die Länder, die solche Maßnahmen ergriffen haben, besserstellen, sondern die Volkswirtschaften profitieren, die ihre Unternehmungen nicht am Dauertropf der staatlichen Subventionen verkümmern lassen und statt dessen dafür sorgen, daß sie einem intensiven weltweiten Wettbewerb ausgesetzt bleiben. 2. Ist es sinnvoll, die sozialpolitischen Aktivitäten in der EG ex ante zu harmonisieren?
Die Verfechter einer Sozialunion in Europa verweisen darauf, daß eine zentrale Lösung oder zumindest eine Koordination der nationalen sozialpolitischen Aktivitäten -Ex-ante-Harmonisierung -durch die EG erforderlich sei, um zu verhindern, daß der Wettbewerb bei offenen Güter-und Faktormärkten in Europa verzerrt werde. Dabei würden vor allem die ärmeren südlichen Länder der EG den innergemeinschaftlichen Wettbewerb verzerren, weil sie soziales Dumping betrieben. Die Verträge von Maastricht haben diesen Gedanken, der schon in der Sozialcharta eine Rolle spielte und in der Einheitlichen Europäischen Akte verankert wurde, noch einmal aufgegriffen.
Die Aufgaben, die einer staatlichen Sozialpolitik in einer marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft zufallen, hegen auf der Hand: Einerseits sollen allokative Unzulänglichkeiten auf den Arbeitsmärkten, wie unzureichende Arbeitsbedingungen sowie Sicherheit am Arbeitsplatz und Sicherheit des Arbeitsplatzes, und auf den Versicherungsmärkten, wie mangelnde Absicherung gegen die materiellen Risikofolgen von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfall und Alter, vermindert, andererseits gesellschaftlich unerwünschte Folgen distributiver Fehlentscheidungen -Armut, soziale Ungerechtigkeit, ungleich über die Gesellschaft verteilte Handlungsrechte -beseitigt werden Die staatliche Sozialpolitik hat somit die Aufgabe, diebeiden Güter Sicherheit und Gerechtigkeit effizient bereitzustellen, wenn sie auf privaten Märkten nicht oder nur ineffizient angeboten werden und eine realistische Chance besteht, daß das staatliche Angebot effizienter ausfällt. Diese Güter sollten aber grundsätzlich nur dann zentral von der EG angeboten werden, wenn sie auf nationaler Ebene vom Staat nicht effizienter bereitgestellt werden können.
Damit verwundert es aber auch nicht, wenn sich die Diskussion um die soziale Dimension in Europa immer wieder um fünf Elemente dreht Die Verträge von Maastricht befassen sich explizit mit Bereichen, in denen es vor allem darum geht, die Arbeitsschutzbestimmungen zu harmonisieren und einen umfassenden Finanzausgleich in Europa zu organisieren (Art. 2 EGV). Besondere Beachtung fanden auch die interregionalen verteilungspolitischen Ziele. Um den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhang zu stärken, will die EG nicht nur die bestehenden Strukturfonds weiter kräftig aufstocken, sondern bis Ende 1993 auch einen Kohäsionsfonds einrichten, der mit 2-3 Mrd. ECU ausgestattet sein soll. Es ist geplant, die Ausgaben für strukturpolitische Maßnahmen bis 1997 jährlich um über 10Prozent zu erhöhen. Dies ist insofern erstaunlich, weil selbst die kühnsten Wachstums-prognosen weit hinter diesen Zuwachsraten Zurückbleiben.
Es ist aber interessant, daß seit der Einheitlichen Europäischen Akte in manchen sozialpolitischen Fragen vom Prinzip der Einstimmigkeit abgewichen werden kann. Wenn es etwa darum geht, die Arbeitsumwelt vorteilhafter zu gestalten, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sowie die Arbeitnehmer besser zu unterrichten und anzuhören, kann der EG-Ministerrat auf Vorschlag der EG-Kommission mit qualifizierter Mehrheit durch Richtlinien bestimmte Mindestvorschriften erlassen, die von den Mitgliedstaaten anzuwenden sind (Art. 118a, Abs. 2 EGV). Demgegenüber können aber die Beschlüssen über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer, soweit es beispielsweise um deren soziale Sicherheit und sozialen Schutz, den Kündigungsschutz oder Mitbestimmungsrechte geht, weiterhin nur einstimmig gefaßt werden (Art. 100a, Abs. 2 EGV). Damit ist in sozialpolitischen Fragen -mit der Ausnahme von Art. 118a, Abs. 2 EGV -auch weiterhin Einstimmigkeit erforderlich. Der Streit darüber, ob eine Richtlinie unter Art. 118 a, Abs. 2 EGV oder unter Art. 100a, Abs. 2 EGV fällt, scheint vorprogrammiert, wenn man die sehr allgemeinen, unbestimmten und damit interpretationsfähigen Formulierungen betrachtet.
Damit kommt man aber zu den in diesem Zusammenhang eigentlich spannenden Fragen:
Erstens: Was spricht dafür, die bisher vorwiegend national orientierten sozialpolitischen Aktivitäten in der EG ex ante stärker zu harmonisieren? Wenn es richtig ist, daß die Güter Sicherheit und Gerechtigkeit -mit Ausnahme einheitlicher Lebensverhältnisse -im volkswirtschaftlich ungünstigsten Fall lokale (nationale) öffentliche Güter sind dann beeinflussen die nationalen Entscheidungen, nämlich wieviel von diesen Gütern staatlich angeboten und von den Individuen nachgefragt wird, nur die Standortbedingungen einer Volkswirtschaft und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Die nationalen wohlfahrtsstaatlichen Institutionen sind somit ebenso wie etwa die Infrastruktur, der Ausbildungsstand der Bevölkerung, die Umweltqualität oder auch die Höhe der Reallöhne ein Teil des Bündels von positiven und negativen Standortfaktoren. Stellt ein Land seinen Bewohnern ein relativ großzügiges staatliches Angebot dieser Güter zur Verfügung und werden die Kosten der Produktion dieser Güter nicht über steigende Produktivitäten der Produktionsfaktoren aufgefangen, dann verschlechtert sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes. Ein Bedarf an europaweiter Harmonisierung besteht aber dennoch nicht, weil die geringere internationale Wettbewerbsfähigkeit der Preis ist, den dieses Land offensichtlich bereit ist, für ein Mehr an staatlich produzierter Sicherheit und Gerechtigkeit zu zahlen.
Zweitens: Was ist von den Einwänden zu halten, daß die ärmeren EG-Länder soziales Dumping betreiben? Von Dumping kann keine Rede sein. Da diese Länder mit weniger stark ausgebauten wohlfahrtsstaatlichen Institutionen auch weniger knappe Ressourcen aufwenden, um die beiden sozialpolitischen Güter Sicherheit und Gerechtigkeit staatlich zu produzieren, liegen auch die Herstellungskosten für private Güter niedriger. Damit verkaufen die Unternehmungen dieser Länder ihre Produkte aber nicht unter Preis, sie produzieren sie nur billiger.Wie absurd der Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs der weniger entwickelten Länder in der EG ist, wird klar, wenn man sich überlegt, wie sich eine Ex-ante-Harmonisierung auswirken würde. Ein Anheben des sozialpolitischen Niveaus auf die Höhe der weiter entwickelten Volkswirtschaften in Europa wäre sozialpolitisch eindeutig kontraproduktiv. Wenn die Arbeitnehmer in den weniger entwickelten Ländern nicht bereit sind, die höheren Lohnnebenkosten durch geringere Lohnforderungen auszugleichen, steigen die realen Lohnstückkosten. Damit erhöht sich aber nicht nur unmittelbar die Arbeitslosigkeit in diesen Ländern. Man nimmt ihnen auch die komparativen Vorteile in der internationalen Arbeitsteilung und behindert somit den wirtschaftlichen Aufholprozeß dieser Länder.
Drittens: Wie sollte man bei dem verteilungspolitischen Ziel verfahren, in der EG für einheitlichere Lebensverhältnisse zu sorgen? Wenn struktureller Wandel eine wesentliche Voraussetzung für materiellen Wohlstand ist, sind nur Lösungen sinnvoll, die helfen, überkommene ökonomische Strukturen möglichst zügig zu überwinden. Dieses bedeutet, daß die traditionellen Struktur-und regionalpolitischen Aktivitäten wegen ihres strukturkonservierenden Bias ausscheiden. Gefragt ist vielmehr eine Politik, die mit dazu beiträgt, die regulierenden staatlichen Eingriffe abzubauen und die Güter-und Faktormärkte zu öffnen. Wenn es gelingt, die Märkte in Europa von ineffizienten Regulierungen zu befreien, werden nicht nur die relativen Preise flexibler und die Produktionsfaktoren national und interregional mobiler, sondern auch der interindustrielle Handel zwischen den reicheren und ärmeren Ländern in der EG nimmt zu. Zentrale Entscheidungsstrukturen kann die EG auf dem sozialpolitischen Feld nicht brauchen. Eindeutig vorzuziehen ist eine dezentrale, föderative Strategie. Dies gilt auch für weite Bereiche der Wirtschaftspolitik.
III. Währungspolitik und marktwirtschaftliche Ordnung
Den letzten Anstoß zu einer kraftvollen neuen währungspolitischen Initiative in Europa gab im Jahre 1989, nach einigen Stufenplänen, die trotz eines genauen Zeitplanes alle mißlangen, der Delors-Plan. Mit den Verträgen von Maastricht wird zum ersten Mal in der EG der Versuch unternommen, die Währungsintegration energisch voranzutreiben. Während aber die Öffnung der Güter-und Faktormärkte auf eine breite Zustimmung in der EG bauen kann, ist die Diskussion um die monetäre Integration kontrovers.
Der wesentliche Grund ist, daß die Integration der Märkte für Währungen in Europa vielfach mit einer einheitlichen Währung gleichgesetzt wird. Es wird bisweilen auch behauptet, daß ein Europäischer Binnenmarkt ohne eine einheitliche europäische Währung gar nicht möglich sei. Dieser These wird zu Recht entgegengehalten, daß zu einem Europäischen Binnenmarkt zunächst einmal nur ein europaweiter Markt für Währungen, nicht aber unbedingt auch schon eine europäische Währung gehört Legt man die ordnungspolitische Elle, die beim Binnenmarktprojekt 1992 als Muß für Güter-und Faktormärkte gilt, auch an den Markt für Währungen an, dann wird es notwendig, die bestehenden Hindernisse auch auf diesem Markt zu beseitigen. Es müssen nicht nur -wie inzwischen geschehen -die Kapitalverkehrskontrollen in Europa beseitigt, sondern auch eine freie Wahl der Währung im inländischen Zahlungsverkehr ermöglicht werden. Der Wettbewerb zwischen den. verschiedenen Währungen in Europa entscheidet, wie viele Währungen am Markt bleiben. 1. Aus welchen Gründen will man in Europa eine einheitliche Währung?
Die Verfechter einer Europäischen Währungsunion setzen sich für die baldige Einführung einer einheitlichen Währung ein. Der Vertrag von Maastricht soll die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, um in einem ersten Schritt in Europa die nominellen Wechselkurse unwiderruflich zu fixieren und schließlich in einem zweiten Schritt einen Währungsmonopolisten zu installieren, der eine einheitliche Währung produziert.
Aber auch hier gilt, daß in einer grundsätzlich marktwirtschaftlichen Ordnung staatliche Lösungen nur dann angezeigt sind, wenn die marktlichen Ergebnisse nicht zufriedenstellen und eine realistische Chance besteht, daß staatliche Instanzen zu besseren Lösungen beitragen. Die Verfechter einer Währungsunion müssen deshalb gute Gründe ins Feld führen, wenn sie den marktlichen Koordinationsmechanismus auf dem Markt für Währungen durch staatliche Lösungen ersetzen wollen.
Eine einheitliche Währung scheint in Europa sinnvoll, wenn es mit einem solchen währungspolitisehen Arrangement möglich wird, die knappen Ressourcen produktiver als bisher einzusetzen. Das allokative Ergebnis verbessert sich, wenn es zum einen gelingt, die Kosten der finanziellen Transaktionen zu senken, und zum anderen möglich wird, die Verletzlichkeit der beteiligten Volkswirtschaften gegenüber realen Schocks zu verringern. Die Kosten der finanziellen Transaktionen bestehen vor allem aus den Aufwendungen, die entstehen, wenn man Geld von einer Währung in eine andere wechselt. Sie können aber auch hervorgerufen werden, weil die nominellen Wechselkurse schwanken und sich die nationalen allgemeinen Preisniveaus erhöhen Die Höhe dieser Kosten hängt entscheidend davon ab, wie stark die finanziellen Märkte integriert sind und wie effizient die makropolitischen Aktivitäten ausfallen. Damit wird aber der Erfolg einer Währungsunion, in der wechselkursbedingte Transaktionskosten keine Rolle mehr spielen, weil eine einheitliche Währung existiert, vor allem dadurch bestimmt, inwieweit es gelingt, regulierende staatliche Eingriffe auf den finanziellen Märkten in Europa zu verringern und die geldpolitischen Aktivitäten so zu disziplinieren, daß inflationäre Entwicklungen vermieden werden.
Die Anpassungslasten lassen sich in einer Währungsunion nur verringern, wenn man in der Lage ist, die politisch verursachten Datenänderungen zu disziplinieren. Neben allgemeinen fiskalpolitischen Aktivitäten geht es dabei auch um sozial-und verteilungspolitische Aktionen. Da die Anpassungskapazität wesentlich davon abhängt, wie funktionsfähig die Güter-und Faktormärkte sind, wie flexibel also die relativen Preise und wie mobil die Produktionsfaktoren auf einmal eingetretene Ungleichgewichte reagieren, kann man die Fähigkeit einer Volkswirtschaft, sich effizient an neue ökonomische Umstände anzupassen, nur erhöhen, wenn man dafür sorgt, daß auf Güter-und Faktormärkten auch ein intensiver Wettbewerb herrscht.
Wie erfolgreich eine Europäische Währungsunion sein wird, hängt entscheidend davon ab, inwieweit die geld-und fiskalpolitischen Aktivitäten diszipliniert und die einmal eingetretenen Datenänderungen effizient verarbeitet werden können. Es ist unbestritten, daß das Binnenmarktprojekt 1992 in dieser Hinsicht einen positiven Beitrag leistet, wenn man in Europa tatsächlich auf eine konsequente Politik der Deregulierung setzt. Es erhöht die Anpassungskapazität, weil es den Wettbewerb intensiviert und die relativen Preise flexibler und die Produktionsfaktoren mobiler macht. Der intensivere Wettbewerb schränkt aber auch die diskretionären Handlungsspielräume der politischen Entscheidungsträger ein und verringert auf diese Weise die politisch verursachten Anpassungslasten. Ein ähnlich positives Ergebnis ist aber von einer Währungsunion nicht zu erwarten. 2. Weshalb ist es unwahrscheinlich, daß eine Währungsunion den Wohlstand der europäischen Nationen erhöht?
Es ist wenig wahrscheinlich, daß es in einer Europäischen Währungsunion gelingen könnte, die geld-und fiskalpolitischen Aktivitäten zu disziplinieren und effizient mit länderspezifischen -asymmetrischen -Schocks fertig zu werden.
Die Verfechter einer Währungsunion haben beim ersten Problemkreis zwei Verteidigungslinien aufgebaut: Zum einen weisen sie daraufhin, daß in den Verträgen von Maastricht der Europäischen Zentralbank ein so umfassender Status der Unabhängigkeit gewährt wird, daß es problemlos möglich sein sollte, die geldpolitischen Aktivitäten zu disziplinieren; zum anderen sehen die Verträge gewisse Obergrenzen nicht nur für die staatliche Verschuldung, sondern auch für den staatlichen Schulden-stand vor, die sicherstellen, daß exzessive fiskalische Aktivitäten in Zukunft nicht mehr möglich sein werden und damit die Europäische Notenbank zumindest von dieser Seite nicht unter starken Druck geraten dürfte.
Diese Sicht der Dinge verkennt aber, daß das Handeln wirtschaftlicher Akteure weniger von verbindlichen Absichtserklärungen in Verträgen, sondern vor allem von harten Anreizen und Sanktionen gesteuert wird. Diese sind aber in Europa zumindest im Augenblick nicht so, daß man ernsthaft hoffen kann, eine Europäische Zentralbank könnte, wenn sie von allen EG-Ländern installiert würde, eine geldpolitische Linie verfolgen, die sich strikt am Ziel der Preisniveaustabilität orientiert. Der Grund ist darin zu sehen, daß sich die europäischen Volkswirtschaften nicht nur in den Präferenzen für die wirtschaftspolitischen Ziele, sondern auch darin unterscheiden, wie funktionsfähig die Güter-und Faktormärkte sind. Die Länder sehen sich einem kurzfristig wirtschaftspolitisch unterschiedlich ausbeutbaren trade-ojf zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation gegenüber. Die politischen Entscheidungsträger der Länder mit einer relativ hohen Arbeitslosigkeit und einer geringeren Abneigung gegen Inflation haben somit, auch wenn sie das Gegenteil beteuern, nach wie vor ein Interesse an einer weniger stabilitätsbewußten, diskretionären Geldpolitik.Diese Anreize verstärken sich noch, wenn in den europäischen Ländern die Erhebung von Steuern mit unterschiedlich hohen Kosten -gemessen an der Verschwendung knapper Ressourcen -verbunden ist und die Volkswirtschaften ganz unterschiedlich hoch verschuldet sind. Die Inflation wird in einer solchen unvollkommenen Welt zu einem rationalen Bestandteil einer second-bestSteuerStruktur, weil sie eben nicht nur die Allokation der Ressourcen verzerrt, sondern auch die Einnahmen des Staates erhöht und den realen Wert der staatlichen Schulden verringert Die aus Sicht des Staates optimale Rate der inflationären Entwicklung ist um so höher, je stärker die Erhebung von Steuern dazu beiträgt, daß knappe Ressourcen verschwendet werden, und je höher die staatliche Verschuldung eines Landes ist. Da sich die national optimalen Inflationsraten wegen der strukturellen Unterschiede und unterschiedlicher Präferenzen in den einzelnen Ländern nicht entsprechen, muß man sich in einer Währungsunion auf eine gemeinsame Inflationsrate einigen. Es ist wahrscheinlich, daß man sich auf eine durchschnittliche Rate verständigt, die über der Rate im bisher inflationsärmsten Land liegt.
Die Gefahr für die Preisniveaustabilität wird aber möglicherweise noch verstärkt, und die Anpassungslasten für die beteiligten Volkswirtschaften erhöhen sich, wenn eine Europäische Währungsunion mit dazu beiträgt, daß die fiskalpolitischen Aktivitäten besonders hoch ausfallen. Die aktuelle wirtschaftspolitische Diskussion in Europa vermittelt bisweilen den Eindruck, als ob dies das eigentliche Problem einer Europäischen Währungsunion sei.
Es ist nicht notwendigerweise so, daß eine Währungsunion das undisziplinierte fiskalpolitische Verhalten der politischen Entscheidungsträger verstärken muß. Die Mitglieder einer Währungsunion haben nur dann einen verstärkten Anreiz, sich zu verschulden, wenn sie erwarten können, daß sie bei gravierenden Verschuldungsproblemen von den anderen Mitgliedern nicht allein gelassen werden. Ein solches moral-hazard-\/erhahen ist nicht zu erwarten, wenn eine klare no-bail-outKlausel existiert und freie Kapitalmärkte ihre Disziplinierungsfunktion wahrnehmen können. Eine solche Klausel scheint möglich und glaubwürdig, wenn die nationalen Volkswirtschaften weiterhin selbständig bleiben und sich nicht zu einer Politischen Union zusammenschließen. Wenn man tatsächlich eine solche Union schafft, erhöhen sich aller Voraussicht nach die diskretionären Handlungsspielräume der politischen Entscheidungsträger. Die in Demokratien grundsätzlich zu hohe staatliche Verschuldung steigt um ein weiteres, und der Druck auf die Notenbank, die staatliche Verschuldung monetär zu alimentieren, nimmt zu.
Es ist zu befürchten, daß der Druck auf die Europäische Zentralbank, die staatliche Verschuldung verstärkt über die Notenpresse zu finanzieren, in einer Politischen Union in Europa auch deshalb weiter steigen wird, weil interregionale umverteilungspolitische Elemente an Gewicht gewinnen werden In einem solchen staatlichen Gebilde, das durch recht ungleiche Lebensverhältnisse geprägt ist, wird unweigerlich der Ruf nach verstärkter Solidarität und interregionaler Gerechtigkeit in Europa lauter. Damit sind nicht nur umfangreiche finanzielle Transfers von den reicheren in die ärmeren Regionen der EG unumgänglich, sondern auch die Verteilungskonflikte sind vorprogrammiert. Die Erfahrung zeigt, daß sich solche Konflikte scheinbar am leichtesten lösen lassen, indem man verstärkt inflationiert. Damit erreicht man zwar die angestrebten umverteilungspolitischen Ziele grundsätzlich nicht, der Druck auf die Notenbank wird aber beträchtlich verstärkt. Es spricht somit vieles für ein Europa der unterschiedlichen währungspolitischen Geschwindigkeiten, wenn man verhindern will, daß sich die EG zu einer Inflationsgemeinschaft entwickelt.
Eine Währungsunion in Europa führt möglicherweise aber auch deshalb nicht zu den erhofften positiven Wirkungen, weil die europäischen Volkswirtschaften ganz unterschiedlich von Datenänderungen getroffen werden. Dies ist -unabhängig vom Währungssystem -unter allokativen Gesichtspunkten relativ unproblematisch, solange die Güter-und Faktormärkte funktionsfähig sind. Die wirtschaftlichen Akteure verarbeiten die Anpassungslasten, indem sie sich über flexible relative Preise und mobile Produktionsfaktoren an die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten anpassen. Ein Blick auf die Flexibilität der relativen Preise und die Mobilität vor allem des Faktors Arbeit zeigt aber, daß die EG-Länder in dieser Hinsicht weltweit nur noch zweite Wahl sind Die existierenden großen Währungsunionen, wie etwa die Vereinigten Staaten oder auch Kanada, haben nicht nur flexiblere relative Preise, sondern auch noch viel mobilere Produktionsfaktoren.
Ist die Anpassungskapazität der europäischen Volkswirtschaften eher unbefriedigend, verstärkt man die Probleme bei gegensätzlichen länderspezifischen Schocks, wenn man die nominellen Wechselkurse auch noch fixiert oder eine einheitliche Währung einführt. Erlaubt man demgegenüber den Währungsrelationen, sich an die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, tragen sie nicht nur bei temporären, sondern auch bei permanenten Schocks zumindest solange, bis die relativen Preise reagieren, einen Teil der unumgänglichen Anpassungslasten. Damit kann man aber eine suboptimale Anpassung über die Mengen, die mit steigender Arbeitslosigkeit verbunden ist, vorübergehend verhindern. Mit einem veränderten nominellen Wechselkurs verringert man die Gefahr, daß sich eine Volkswirtschaft nicht nur auf einem ungünstigen Pfad der wirtschaftlichen Anpassung bewegt, sondern wegen hysteretischer Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten schließlich auch in einem Gleichgewicht landet, in dem sich die wirtschaftlichen Akteure schlechter stellen.
Es spricht einiges dafür, daß sich in Europa nur solche Länder währungspolitisch eng aneinander binden sollten, die entweder über ähnlich gut funktionierende Güter-und Faktormärkte verfügen oder von ganz ähnlichen Schocks getroffen werden. Damit ist man aber wieder bei einem Europa mit mehreren währungspolitischen Geschwindigkeiten. Empirische Untersuchungen bestätigen, daß der harte Kern einer Währungsunion sinnvollerweise bisher nur aus Deutschland, Frankreich, den Benelux-Staaten und Österreich als Noch-Nicht-Mitglied der EG bestehen sollte.
Die Verfechter einer alle EG-Länder umfassenden Währungsunion weisen darauf hin, daß sich bei einem solchen währungspolitischen Arrangement nicht nur die Anpassungslasten verringern, sondern auch die Anpassungskapazitäten erhöhen werden. Nach diesen Vorstellungen fallen die Anpassungslasten geringer aus, weil das Binnenmarktprojekt 1992 die EG-Länder einander immer ähnlicher macht. Dies sei deshalb der Fall, weil offenere Güter-und Faktormärkte in Europa dazu beitrügen, daß der innereuropäische intraindustrielle Handel zu Lasten des interindustriellen an Gewicht gewänne. Damit würden sich aber auch die Schocks, von denen die EG-Länder getroffen werden, immer mehr ähneln.
Diese These steht aber auf einem sehr unsicheren Boden. In einem Gebiet, das so groß, kulturell so stark diversifiziert und geographisch so unterschiedlich ist wie die EG, muß man auch zukünftig damit rechnen, daß länderspezifische Schocks auftreten. Selbst wenn die europäischen Güter-und Faktormärkte völlig liberalisiert wären, werden eine Reihe von Gütern nach wie vor „non-tradables" sein. Damit wirken sich selbst symmetrische Schocks länderspezifisch unterschiedlich aus. Daneben ist aber grundsätzlich nicht auszuschließen, daß eine fortschreitende wirtschaftliche Integration möglicherweise eher zu einer größeren Spezialisierung als zu einer verstärkten regionalen Diversifikation der Produktionsstruktur führt Dies sind zumindest die Erfahrungen, die man in den Vereinigten Staaten gemacht hat.
Die Protagonisten einer Währungsunion meinen, daß mit einer solchen Union der Druck auf die wirtschaftlichen Akteure auf den Arbeitsmärkten, auf eingetretene Ungleichgewichte stärker mit den Löhnen zu reagieren, zunimmt. Die Anpassungskapazität würde erhöht, weil in einer Währungsunion die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank glaubwürdiger sei. Damit fiele es aber den Tarifvertragsparteien schwerer, die negativen Folgen ihres lohnpolitischen Tuns über einen Anstieg des allgemeinen Preisniveaus zu externalisieren. Daneben disziplinierten eine glaubwürdige no-bail-out-Klausel fiskalpolitische Aktivitäten. Die negativen beschäftigungspolitischen Folgen falscher lohnpolitischer Aktivitäten könnten somit nur noch bedingt auf den Staat abgewälzt werden. Schließlich verringerten stärker integrierte Güter-märkte die unternehmerische Marktmacht. Damit würde aber die Arbeitsnachfrage elastischer, die Löhne damit flexibler.
Wenn man etwas näher hinschaut, stellt man fest, daß alle drei Thesen nicht sehr stichhaltig sind. Selbst eine von politischem Druck weitgehend unabhängige Europäische Zentralbank muß die geldpolitische Glaubwürdigkeit erst noch erarbeiten. Die Gefahr eines bail out ist durch die in den Verträgen von Maastricht festgelegten fiskalischen Konvergenzkriterien allein noch nicht gebannt. Die Möglichkeit, die Verschuldungsobergrenzen etwa über Schattenhaushalte auszuhebeln, läßt sich nur verhindern, wenn sich der Disziplinierungszwang freier Kapitalmärkte ungehindert entfalten kann. Die Arbeitsnachfrage reagiert nur dann elastischer auf veränderte Reallöhne, wenn Europa nicht zu einer Festung verkommt. Nur dann sorgt der intensive internationale Wettbewerb auf den Gütermärkten dafür, daß es den europäischen Unternehmungen nicht gelingt, anhaltende Marktmachtpositionen aufzubauen. Wichtig ist auch, daß die Forderung nach stärkerer sozialer Kohäsion der Differenzierung und Flexibilität der Lohneinkommen gewisse Grenzen setzt. Gleichzeitig nehmen die sogenannten Lohndemonstrationseffekte aber um so eher zu, je stärker man dieser Forderung nachgibt und um so eher man sich tatsächlich auf dem Weg zu einer Politischen Union in Europa macht.
Allein unter ökonomischen Gesichtspunkten ist die staatliche Lösung einer Währungsunion keine wirklich überzeugende Alternative zur Lösung eines offenen Marktes für Währungen. Im günstigsten Fall macht vielleicht gerade noch ein Europa mit mehreren währungspolitischen Geschwindigkeiten Sinn. Damit sollten aber überhaupt nur die Länder sich zu einer Währungsunion zusammenschließen, die nicht nur von ganz ähnlichen Schocks getroffen werden, sondern auch über einigermaßen funktionsfähige Güter-und Faktor-märkte verfügen. Die anderen europäischen Länder könnten später zu diesem Club stoßen, wenn es ihnen gelungen ist, über eine konsequente Politik der Deregulierung ihre Verletzlichkeit gegenüber realen Schocks zu verringern.
Die Logik politischer Prozesse läßt nun aber befürchten, daß ein Europa mit mehreren währungspolitischen Geschwindigkeiten wohl nicht installiert werden wird. Es spricht vieles dafür, daß die Konvergenzkriterien von Maastricht, die keinen verbindlichen Charakter haben, weiter aufgeweicht und nicht wirklich ernstgenommen werden. Damit werden aber die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen in Europa nicht geringer, sie steigen eher noch an. Diese unbefriedigende Entwicklung würde verstärkt, wenn man den Weg zu einer Politischen Union weiter geht. Umverteilungspolitische Elemente würden an Bedeutung gewinnen. Da aber Sozialpolitik vorwiegend über regulierende staatliche Eingriffe in die Güter-und Faktormärkte erfolgt, würde die Anpassungskapazität vermindert und die Funktionsfähigkeit einer Währungsunion wieder in Frage gestellt.
IV. Schlußbemerkung
Die Verträge von Maastricht erhöhen den Wohlstand der wirtschaftlichen Akteure in Europa nur, wenn man den marktlichen Koordinationsmechanismus nicht behindert, sondern dafür Sorge trägt, daß er seine wohlfahrtssteigernden Wirkungen auch wirklich entfalten kann. Dies gilt für die wirtschaftliche und für die geplante monetäre Integration in Europa. Es sollte deshalb alles getan werden, um das angefangene Binnenmarktprojekt 1992 ordnungspolitisch zu vollenden. Die offenen und versteckten Versuche, verstärkt Industrie-und protektionistische handelspolitische Aktivitäten in Europa zu installieren oder den Europäischen Binnenmarkt in traditioneller Manier um eine soziale Dimension zu ergänzen, indem man in erster Linie regulierend in die Güter-und vor allem in die Arbeitsmärkte eingreift, wirken eindeutig kontraproduktiv. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt fällt es sehr schwer, den Nutzen einer Währungsunion in Europa zu erkennen. Die ordnungspolitischen Meinungsverschiedenheiten in dieser wichtigen Frage bestehen letztlich darin, wem man eher zutraut, die geIdpolitischen Entscheidungsträger zu disziplinieren: dem Marktmechanismus, der auf den intensiven Wettbewerb auf dem Markt für Währungen baut, oder dem staatlichen Koordinationsmechanismus, der die Inflationsrisiken in Europa durch eine strikte Regulierung des europäischen Währungsmonopolisten vermeiden will. Da in marktwirtschaftlichen Ordnungen die Beweislast immer bei denen liegt, die interventionistisch eingreifen wollen, sollte man unter den gegenwärtigen Umständen von einer Währungsunion absehen.
Eines läßt sich aber mit Sicherheit schon jetzt sagen: Die europäische Integration ist nur dann erfolgreich, wenn es nicht nur auf wirtschafts-und währungs-, sondern auch auf sozial-und verteilungspolitischem Gebiet gelingt, Aufgaben der Ebene in der EG zuzuweisen, die damit am besten fertig wird. Bei der unverkennbar zentralistischen Entwicklung föderativer Staaten, die eindeutig zu Wohlfahrtsverlusten führt, ist die vordringlichste Aufgabe, die Stellung der lokalen und nationalen Gebietskörperschaften gegenüber den Gemeinschaftsorganen zu stärken 20. Nur dann bleibt der EG möglicherweise das Schicksal anderer föderativer Staaten erspart.