Modernisierung und Lebensstile Jugendlicher in Ost-und Westdeutschland
Werner Georg
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Zusammenfassung
Soziale Wandlungsprozesse haben das Problem der Lebensführung in der gegenwärtigen Moderne ins Zentrum theoretischer Überlegungen gerückt. Ausgehend von Diskussionen über das Verhältnis von sozialer Ungleichheit und Lebensführung, wird die Frage gestellt, wie die ungleiche Verteilung von Ressourcen subjektiv zu einem typischen, sinnvollen Handlungsmuster verarbeitet wird. Ins Zentrum rücken dabei Entscheidungs-und Wahlprozesse, die einerseits durch strukturelle Vorgaben mitbestimmt werden, andererseits aber auf subjektiven Konstruktionsleistungen beruhen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Entwertung bisheriger Orientierungen und die grundlegende Veränderung der Rahmenbedingungen von den Bewohnern der neuen Bundesländer verarbeitet wird. Anhand der Shell-Jugendstudie 1992 werden Lebensstile Jugendlicher in Ost-und Westdeutschland verglichen und unter modernisierungstheoretischer Perspektive interpretiert. Die Ergebnisse dieses Vergleichs verweisen auf zwei unterschiedliche Jugendmodelle, die in Anlehnung an Jürgen Zinnecker als Bildungsmoratorium und selektives Moratorium bezeichnet werden. Während das Bildungsmoratorium eine verlängerte, kulturell eigenständige Jugendphase beschreibt, zeichnet sich das selektive Moratorium durch zeitlich geplante Statuspassagen und eine weitgehende Abwesenheit jugend-typischer Lebensstile aus.
I. Theoretischer Bezugsrahmen
Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten wirft sowohl praktische als auch theoretische Probleme auf. Während die alten Bundesländer in den letzten 30 Jahren einen Modernisierungsschub erlebten, der auf sozio-kulturellem Gebiet zu einer Erosion traditioneller Milieus beitrug kann die ehemalige DDR durch einen Modernisierungsrückstand auf ökonomischem wie auf sozio-kulturellem Gebiet beschrieben werden Der Soziologie fällt in diesem Zusammenhang unter anderem die Aufgabe zu, geeignete theoretische Konzepte und Modelle zur Verfügung zu stellen, um die Sozialstruktur der alten und neuen Bundesländer angemessen zu beschreiben. Ein erster vielversprechender Beitrag in diese Richtung wurde von Rainer Geißler unternommen. Geißler wählt für seine Analyse ein differenziertes Schichtmodell, das sich theoretisch an Theodor Geigers Schichtungsansatz orientiert.
Nun herrscht in der Sozialstrukturanalyse etwa seit Beginn der achtziger Jahre Uneinigkeit darüber, ob das Modell einer vertikal geschichteten Gesellschaft als alleinige Ordnungsvorstellung ausreicht, um das ganze Spektrum sozialer Ungleichheit beschreiben zu können Die von den Kritikern vorgebrachten Einwände beziehen sich vor allem auf „neue“ Ungleichheiten (wobei „neu“ hier „neu entdeckt“ bedeutet), wie etwa die durch Geschlecht, ethnische Herkunft oder regionale Disparitäten verursachten Unterschiede, oder eine nachlassende lebensweltliche Bedeutung der Schichtzugehörigkeit. Als Konzepte, die eine das Schichtmodell ergänzende Beschreibung sozialer Ungleichheit leisten sollen, wurden von einigen Autoren Milieu-und Lebensstilansätze vorgeschlagen, um die Verknüpfung von handlungsrelevanten, ungleich verteilten Ressourcen und dem Prozeß der subjektiven Konstruktion von Lebensführung ins Zentrum der Analyse zu rücken
Durch den Einigungsprozeß gewinnt diese Diskussion neue Brisanz, denn die Konfrontation mit Armut, Arbeitslosigkeit und „Unterschichtung“ trägt den Vertretern von Lebensstilansätzen den Vorwurf ein, vor dem Hintergrund einer postmodernzeitgeistigen Analyse „harte“ soziale Ungleichheit zu verschleiern oder aus dem Blickwinkel zu verlieren. Im Gegensatz hierzu werde ich im folgenden die These vertreten, daß dieser Vorwurf zu kurz greift. Der Prozeß der Enttraditionalisierung ist bereits so weit fortgeschritten, daß eine dauerhafte Rückkehr zu vor-oder frühmodernen Formen der Lebensführung (etwa des traditionellen Arbeitermilieus) auch für marginalisierte Gruppen keine ernstzunehmende Alternative darstellt. Ein Verzicht auf das Schichtmodell wäre alleine schon aus dem Grund unangemessen, weil es unverändert ungleiche Verteilungen von Einkommen, Bildung oder Berufsprestige abbildet. Eine Ergänzung um Lebensstilansätze erscheint jedoch sinnvoll, um die Vorherrschaft eines strukturellen Blickwinkels in der Ungleichheitsanalyse durch eine handlungstheoretische Perspektive zu erweitern. Diese Aussage gilt insbesondere im Einigungsprozeß, denn die Bewohner der neuen Bundesländer sehen sich der Aufgabe konfrontiert, ihre Lebensführung fundamental veränderten Rahmenbedingungen anzupassen.
Bevor ich mich einem empirischen Vergleich der Lebensstile Jugendlicher in West-und Ostdeutsch-land unter modernisierungstheoretischer Perspektive zuwende, soll vorab näher auf das theoretische Konzept des Lebensstils eingegangen werden.
II. Lebensstil und reflexive Moderne
1. Allmähliche Auflösung des Zusammenhangs von distributiver und relationaler Ungleichheit Reinhard Kreckel unterscheidet zwei Formen sozialer Ungleichheit, die er als distributive und relationale Ungleichheit bezeichnet. Mit distributiver Ungleichheit ist die statistisch ungleiche Verteilung bedeutsamer und knapper Ressourcen gemeint, wie etwa die der drei Schichtungsdimensionen Berufsprestige, Bildung und Einkommen. Im Gegensatz zu diesen Ungleichheitsformen, die stärker der Seite objektiver Handlungsressourcen zuzuordnen sind, bezieht sich relationale Ungleichheit auf Bevorzugung oder Benachteiligung, die durch soziale Interaktion erzeugt oder verstärkt wird, durch erhöhte Kontaktdichte innerhalb von Gruppen, durch die Zugehörigkeit zu oder den Ausschluß von sozialen Netzwerken sowie durch exklusive gemeinsame symbolische Praktiken, die soziale Schließungsprozesse markieren.
Konnte man zu Zeiten der Marxschen Klassenanalyse oder des Geigerschen Schichtungsmodells noch von einem relativ engen Zusammenhang zwischen Formen distributiver und relationaler Ungleichheit -zwischen ökonomischer Lage und klassenkulturell verteilten symbolischen Praktiken der Lebensführung -ausgehen, so mehren sich seit den siebziger Jahren die Zeichen für ein Nachlassen der Verbindung zwischen lebensweltlicher Akteursperspektive und sozio-ökonomischer Schicht-zugehörigkeit. Arbeiten wie Josef Moosers sozial-geschichtliche Untersuchung über „Die Auflösung proletarischer Milieus“ oder die durch die SINUS-Milieuforschung dokumentierte annähernde Halbierung des traditionellen Arbeiter-milieus von 10 Prozent im Jahr 1982 auf 6 Prozent im Jahr 190 9 unterstreichen eindrücklich die Erosion vormoderner (oder besser frühmoderner) Restbestände in der bundesdeutschen Milieustruktur und Alltagskultur. Bei gleichzeitigem Fortbestehen der distributiven Ungleichheitsrelationen (ein Tatbestand, der auf der Seite objektiver Ungleichheitsverteilungen die Annahme von einem Ende der Klassengesellschaft widerlegt) hat ein Modernisierungsschub, so die hier vertretene These, eine Phase reflexiver Modernisierung eingeleitet, die einen Rückzug auf traditionelle, quasi ständische Formen der Lebensführung zu einem aussichtslosen Unterfangen werden läßt. Unter reflexiver Moderne soll hier in Anlehnung an Anthony Giddens und Scott Lash eine Moderne verstanden werden, in der das Subjekt nicht mehr vorwiegend normativen Pfaden folgen kann, sondern in einen selbstreflexiven Diskurs über seine Ziele und biografische Perspektive eintreten muß und somit gezwungen ist, seine Lebensführung reflexiv zu erzeugen. Unter diesen Bedingungen muß auch die Frage nach dem Verhältnis von Subjekt und sozialer Ungleichheit neu gestellt werden, da, wie Gerhard Schulze dies ausdrückt, ein Übergang vom Modus der Beziehungsvorgabe (Milieuzugehörigkeit wird über die sozio-ökonomische Stellung geregelt) zu dem der Beziehungswahl (Milieuzugehörigkeit vollzieht sich aufgrund subjektiver Wahlprozesse) stattgefunden hat und die aktive Seite der Konstruktion von Lebensführung durch das Subjekt zum Ansatzpunkt der Analyse werden muß. 2. Lebensführung und soziale Ungleichheit Von dieser modernisierungstheoretischen Perspektive aus gesehen ist es nicht überraschend, daß seit Beginn der achtziger Jahre die Frage des Verhältnisses von Lebensführung und sozialer Ungleichheit, d. h. die Frage der handlungstheoretischen Fundierung sozialer Ungleichheit, auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Als zentrales Konzept, das Struktur und Handlung, Ressourcen und Präferenzen miteinander verknüpfen und somit eine Synthese des alten Streits zwischen Struktur-theoretikern und Interaktionisten vollziehen sollte, wurde der Begriff des „Lebensstils“ in die Diskussion gebracht. Ausgangspunkt für diese Entwicklung war die Rezeption der 1982 erschienenen deutschen Übersetzung von Pierre Bourdieus Hauptwerk „La distinction“: „Die feinen Unterschiede“ a) Pierre Bourdieus „La distinction“: Das Konzept des Habitus Bourdieus Ansatz wirkt zunächst ganz im Sinne einer konventionellen Klassenanalyse, denn er geht von einer berufsbezogenen Unterteilung in drei Hauptklassen aus: das Bürgertum (unterteilt in Besitz-und Bildungsbürgertum), das Kleinbürgertum (unterteilt in absteigendes Kleinbürgertum, exekutives Kleinbürgertum und neues Kleinbürgertum) sowie das Proletariat. Im Gegensatz zu den klassischen, ökonomisch definierten Klassen-modellen versucht Bourdieu jedoch die strukturelle Seite seiner Analyse mit spezifischen Formen des Lebensstils und des Geschmacks zu verknüpfen. Strukturell unterscheidet er zwischen drei Kapital-arten: dem ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapital. Der Kapitalbegriff unterstellt hierbei (aber nicht im Sinne eines rationalen Akteurs) ein ökonomisches Grundprinzip, das der Hervorbringung von Praxis auf den verschiedenen Feldern sozialen Verhaltens zugrunde Hegt, Wobei die Kapitalien von jedem Akteur ins Spiel gebracht werden (Bourdieu spricht hier von „enjeu“ im Sinne von Einsatz), um einen Unterscheidungs-oder Distinktionsgewinn zu erzielen. Je nach Kapitalvolumen und Kapitalart werden innerhalb des Bürgertums und des Kleinbürgertums „Fraktionen“ unterschieden, die über mehr kulturelles Kapital (im Bürgertum: Kunstproduzenten, Hochschullehrer; im Kleinbürgertum: Kulturvermittler, Volksschullehrer etc.) oder mehr ökonomisches Kapital verfügen (im Bürgertum: Industrie-und Handelsunternehmer; im Kleinbürgertum: Kleinkaufleute und Handwerker). Während ökonomisches Kapital sich auf geldwerten Besitz bezieht, untergliedert sich das kulturelle Kapital in drei Erscheinungsformen: inkorporiertes (Beherrschung kognitiver und ästhetischer Codes), objektiviertes (Besitz von Kulturgütern) und institutionalisiertes (Vermittlung von Wissen und Vergabe von Titeln). Soziales Kapital, das Bourdieu in seiner empirischen Analyse nicht weiter berücksichtigt, bezieht sich vor allem auf die Mobilisierbarkeit sozialer Unterstützungsnetzwerke.
Wie transformiert sich die Kapitalausstattung einer Klassenfraktion in einen kollektiv geteilten Lebensstil? Zur Beantwortung dieser Frage entwikkelt Bourdieu das Kernstück seiner Theorie, das Konzept des „Habitus“. Dabei geht er zunächst von der Annahme aus, daß sich durch die Kapitalien die dominanten Teilungsprinzipien der sozialen Welt beschreiben lassen und Personen mit ähnlicher Kapitalausstattung folglich auch über eine relativ homogene Strukturierung der Alltagserfahrung verfügen. Von der Seite der Prägung durch, diese homogenen Umwelten beschreibt Bourdieu den Habitus als „strukturierte“ oder als „inkorporierte“, d. h. verinnerlichte Struktur, insofern, als spezifische Muster von Alltagserfahrung im Verlauf der Sozialisation verinnerlicht werden. Als Repräsentation des Sozialen im Individuum ermöglichen diese Muster jedoch, und darin liegt die kreative Leistung des Subjekts, die Produktion unendlich vieler Handlungen auf den unterschiedlichsten sozialen Feldern. Hinsichtlich dieser generativen Kraft ist der Habitus formende Struktur, da verinnerlichte Muster im Zuge von Generalisierungen und Versuch-und-Irrtums-Prozessen auf immer neue soziale Situationen und Felder übertragen werden. Der Habitus vollzieht im Rahmen dieser Angleichungsprozesse strukturgleiche, homologe Entscheidungen in den unterschiedlichsten Lebensstilbereichen, sei es hinsichtlich der Präferenz für ein bestimmtes Musikstück, der Auswahl einer Speise oder der Wahl des Freundeskreises und Ehepartners. b) Die Bourdieu-Rezeption in Deutschland Für die bisherige Bourdieu-Rezeption in Deutschland ist bezeichnend, daß sie sich entweder in unkritischem Exegetentum ergeht, oder aber der inzwischen fast ritualisierte Vorwurf des Determinismus gegen das Habituskonzept erhoben wird, mit dem Argument, individuelle Entscheidungen blieben in diesem Konzept letztendlich doch struktur-bestimmt, denn das Individuum werde auf die Rolle des Erfüllungsgehilfen struktureller Vorgaben reduziert Im Gegensatz zu dieser nicht sehr originellen Kritik überzeugt Hermann Schwengels kürzlich vorgebrachter Einwand, der Habitus sei als geschichtslose Institution gefaßt: „Doch bei aller Komplexität hat der Habitus keine Geschichte, genauer gesagt, keine reflexive Geschichte. Dieser Einwand ist meiner Ansicht nach härter als derjenige, der gegenüber Bourdieu eine Immunität des Habitus gegenüber gesellschaftlichem Lernen unterstellt. [... ] Im Herz des Habitus selbst Geschichte zu vermuten heißt, daß es unterscheidbare Stufen und Schübe innerhalb der Modernität gibt, an denen der Habitus nicht nur seine spezifischeVermittlung und Konstitutionsleistung erbringt, sondern sich selbst wahrnimmt, verändert und beurteilt.“
In einer reflexiv gewordenen Moderne verschiebt sich das Verhältnis von Struktur und Subjekt. Infolge extremer Innovationsgeschwindigkeit wird eine nur habitualisierte Konstruktion von Lebens-stilen unmöglich. Immer häufiger schiebt sich zwischen zwei Phasen von Stilisierungsstabilität ein Reflexionsprozeß über Gewünschtes und Erreichtes, ein Prozeß, der in der Biographieforschung als biographische Bilanzierung bezeichnet wird und aus dem, nach einer Feinabstimmung von Handlungsressourcen und Handlungszielen (Hartmut Lüdtke beschreibt diese Abstimmung in Form eines Fließgleichgewichts), ein neuer Lebensstil entsteht. Nur vollzieht sich dieser Prozeß der Lebensstilisierung nicht mehr ausschließlich und vorwiegend als unbewußte Leistung des Habitus, wie Bourdieu dies vermutete, sondern immer häufiger muß das Subjekt den Sinn seines Stils reflexiv erzeugen.
Was geschieht, wenn, im Sinne eines sozialen „Großversuchs“, ein ganzes Land gezwungen ist, seine Lebensstilisierung von heute auf morgen zu ändern, wenn eine Modernisierungsexklave in kürzester Zeit die Anpassung an eines der am weitesten modernisierten Länder vollziehen muß? Kann in diesem Fall eine regressive Lebensstilisierung, ein Rückzug auf vor-und frühmoderne Lebensstile Sicherheit für eine bedrohte Identität bieten, können vorreflexive Stilisierungsformen erfolgreich bleiben, oder droht in diesem Fall die Gefahr einer anomischen Entwicklung? Diese Fragen versuche ich im nächsten Abschnitt zu beantworten.
III. Der Modernisierungsrückstand der DDR
Vergleicht man die ehemalige DDR und die Bundesrepublik unter modernisierungstheoretischem Blickwinkel, so stößt man zum Teil auf unterschiedliche Befunde und theoretische Einschätzungen. Am deutlichsten fällt wohl das Bild auf ökonomischem Gebiet aus, wo ein großer und zunehmender Modernisierungsrückstand im Bereich der volkswirtschaftlichen Produktivität zu verzeichnen war.
Nach Geißler lag die Produktivität der DDR-Wirtschaft im Jahr 1970 bei 46 Prozent der westdeutschen und sank bis zum Jahr 1989 auf ca. 30 bis 40 Prozent ab. Das bürokratische und unflexible System volkswirtschaftlicher Planung reichte möglicherweise aus, den Anforderungen schwerindustrieller Produktion teilweise gerecht zu werden, jedoch vergrößerte sich der Abstand zwischen beiden Volkswirtschaften in dem Maße, wie die dritte, informationstechnologische, industrielle Revolution in der Bundesrepublik den Übergang von der fordistischen Massenproduktion (Fließbandfertigung nach Henry Ford) zur flexibilisierten und vernetzten Phase des Postfordismus einleitete.
Während auf ökonomischem Gebiet ein klarer Modernisierungsrückstand festzustellen ist, stellt sich die kulturelle Entwicklung in der ehemaligen DDR widersprüchlicher und komplexer dar. So belegen Längsschnittstudien aus dem Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung, daß sich in der DDR bei Jugendlichen, ähnlich wie in der Bundesrepublik der sechziger Jahre, zwischen 1975 und 1985 ein Wertewandel vollzog, der zu einer Zunahme hedonistisch-materialistischer Wertorientierungen führte Die vom SINUS-Institut für Ostdeutschland konstruierte Milieustruktur beinhaltet zwei Milieus, die sich deutlich auf gewandelte Werte beziehen, nämlich das subkulturelle Milieu und das linksintellektuell-alternative Milieu, die gemeinsam etwa 11 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung repräsentieren (ihre westdeutschen Gegenstücke, das hedonistische Milieu und das alternative Milieu, umfassen gemeinsam 15 Prozent der Befragten) 1. Das Modell einer „selektiven Modernisierung“
Dieser globale Vergleich, der zudem auf eher groben quantitativen Befunden beruht, verdeckt jedoch fundamentale Unterschiede zwischen beiden Kulturen. Für die Gesellschaft der DDR galt das Modell einer „selektiven Modernisierung“ die sich auf ökonomisch erzwungene Modemisierungsprozesse beschränkte. Jürgen Zinnecker beschreibt das Jugendmodell unter den Bedingungen dieser Form von Modernisierung als „selektives Moratorium“ In einem Vergleich mit dem in den postindustriellen Ländern Westeuropas vorherrschenden Modell des Bildungsmoratoriums charakterisiert er das selektive Moratorium an Hand von drei Statuspassagen. Für den Übergang in das Berufssystem zeichnet sich das Bildungsmoratorium durch eine offene und ungeplante Verlängerung der Bildungszeit aus. Der Übergang ist wenig geregelt, und durch einen lockeren Zeitplan kommt es häufig zu einer Verzögerung dieser Statuspassage. Im Gegensatz hierzu unterliegt die Verlängerung der Bildungszeit im selektiven Moratorium einem strikten Zeitplan und der Über-gang ins Arbeitssystem ist hochgradig vorgeplant. Das selektive Moratorium kennt wenig Raum für Jugend als eine Zeit von Reifungskrisen und Identitätssuche.
In beiden Moratoriumstypen erfolgt eine frühe Ablösung von der Herkunftsfamilie. Im Bildungsmoratorium wird der Zeitpunkt zur Gründung einer eigenen Familie jedoch hinausgeschoben, und die gewonnene Zeit wird zur informellen Erprobung von Partnerschaft und Sexualität genutzt. Demgegenüber folgt im selektiven Moratorium auf die Ablösung von der Herkunftsfamilie die frühe Neugründung einer eigenen Familie und eine Probephase entfällt. Im Rahmen der Partizipation der Jugendlichen an öffentlichen Rollen stellt das Bildungsmoratorium vor allem eine marktbezogene Infrastruktur zur Verfügung: Jugendliche nehmen als aktive Konsumenten an einer marktförmigen Öffentlichkeit teil, die nur eine indirekte Kontrolle über das Bildungssystem und Peer-Kontakte, also Kontakte zu Gleichaltrigen, ausübt. Konstitutiv für diese Form von jugendlicher Öffentlichkeit ist eine relativ autonome, wenn auch marktgesteuerte Jugendkultur mit vielen Facetten und Optionen. Aufgrund der Dominanz parteikonformer Öffentlichkeit bleibt dieser Ausschnitt jugendkultureller Entwicklung im selektiven Moratorium weitgehend ausgespart. Jugendliche Öffentlichkeit wird durch staatliche Intervention und Angebote der Parteijugend organisiert und unterliegt einer direkten Kontrolle
Aus der Perspektive der Entwicklung von Lebens-stilen bietet ein selektives Moratorium wenig Platz für eine reflexive Bezugnahme auf symbolisierendes Verhalten, denn Reflexivität kann nur da entstehen, wo Kontingenz, Unbestimmtheit vorhanden ist und ein Überschuß an symbolischen Optionen. Da die reflexive Verarbeitung von Mehrdeutigkeit jedoch eine entsprechende „Lernphase“ voraussetzt, sehen sich viele Jugendliche aus den neuen Bundesländern möglicherweise symbolischen Codes ausgesetzt, deren Handhabung sie noch nicht beherrschen. Die Überflutung mit nicht handhabbarer symbolischer Mehrdeutigkeit führt nach dem, was wir aus der Sozialpsychologie wissen zu Streß, der normalerweise als das Gefühl einer mangelhaften Situationskontrolle durch das Subjekt definiert wird. Um diesem Gefühl zu begegnen, entwickelt das Individuum Abwehrmechanismen (sog. Coping-Strategien). Auf der symbolischen Ebene von Lebensstilen bieten sich zunächst drei Strategien an, um mit unbekannten Symbolisierungsformen umzugehen. 2. Strategien zur besseren Situationskontrolle Die erste Möglichkeit liegt in einer symbolischen Regression. Um ungewohnter Mehrdeutigkeit auszuweichen, kann man auf bekannte und einfache, früh-oder vormoderne Symbolisierungsformen zurückgreifen, die Mehrdeutigkeit scheinbar auflösen. Eine mögliche Variante dieses Versuchs der Identitätssicherung auf der Ebene von Lebens-stilen ist die Unterordnung unter autoritäre Subkulturen, wie sie beispielsweise durch Skinheads repräsentiert werden. Eine andere läge in der Verwendung historisierender oder romantisierender Symbole.
Eine zweite erfolgversprechende Coping-Strategie liegt in der Übernahme von Zeichen auf der Oberflächenebene, die jedoch nicht deren Bedeutungsambivalenz aufzulösen vermag. Diesem Stilisierungsversuch entsprechen konsumistisch-anomische Lebensstile, wie sie im SINUS-Milieumodell in West-und Ostdeutschland vom „traditionslosen Arbeitermilieu“ repräsentiert werden.
Der dritte, möglicherweise erfolgreichste Versuch liegt im Beharren und Festhalten an der Kraft der eigenen Symbolisierung, aus der gerade in Zeiten der externen Bedrohung Identität bezogen wird. Dieser Versuch findet sich vor allem bei Minderheiten, die von der kulturellen Hegemonie einer dominierenden Umgebung bedroht sind, wie beispielsweise bei der schwarzen Kultur in den USA oder anderen ethnischen Minderheiten.
Welcher dieser Bewältigungsversuche im Bereich der Lebensführung für unterschiedliche Gruppen typisch oder identitätssichernd sein kann, soll an dieser Stelle nicht prognostiziert werden. Vielmehr möchte ich im Sinne eines empirischen Rückblicks, der von der Zeit bereits überholt wurde, die Uhr auf den Sommer 1991 zurückdrehen, ein Zeitpunkt, zu dem die letzte Shell-Jugendstudie erhoben wurde und der Einigungsprozeß an seinem noch optimistischen Anfang stand. Es kann sinnvoll sein, sich Unterschiede zu Beginn eines Prozesses deutlich zu machen, um seinen Verlauf und seine Bedeutung zu verstehen. Nach einem kurzen methodischen Einschub werde ich Ergebnisse eines Lebensstilvergleichs der west-und ostdeutschen Jugend behandeln, um abschließend den Versuch einer theoretischen Einschätzung dieser Ergebnisse zu unternehmen.
IV. Ergebnisse eines Lebensstilvergleichs ost-und westdeutscher Jugendlicher
1. Methodische Vorbemerkungen Die Haupterhebung der Shell-Jugendstudie 1992 wurde im Juni/Juli 1991 durchgeführt, wobei insgesamt 4005 Jugendliche (2669 in den alten Bundesländern und 1336 in den neuen Bundesländern) befragt wurden. Der Erhebung liegt eine Quoten-Stichprobe mit folgenden Quotierungsmerkmalen zugrunde: Region (Bundesland), Gemeindegrößenklasse, Alter der Jugendlichen, Schulabschluß, Geschlecht Ein Teil der als „Panoramastudie“ konzipierten Untersuchung, deren Ziel stärker ein Überblick über die Befindlichkeit der Jugendlichen als ein spezifischer Themenschwerpunkt war, beschäftigte sich mit Lebensstilen. Hierbei fanden Instrumente Verwendung, die sich auf Freizeitaktivitäten, Musik-und Kinogenres, den Kleidungsstil, die Einschätzung jugendkulturell bedeutsamer Gruppen sowie Wertorientierungen bezogen
Während die Dimensionierung dieser Instrumente, ihre Verknüpfung zu spezifischen Lebens-stilen und deren soziodemographische Einbettung an anderer Stelle publiziert sind möchte ich im folgenden die gleichen Daten mit einem anderen statistischen Verfahren analysieren und dabei Unterschiede zwischen den Jugendlichen in West-und Ostdeutschland in den Vordergrund stellen. Bei der faktorenanalytischen Typenbildung der Lebensstile war eine weitgehende Übereinstimmung der dimensionalen Struktur von Lebensstilen Jugendlicher in West-und Ostdeutschland festgestellt worden, wogegen die soziodemographische Einbettung dieser Stile sich in den neuen und den alten Bundesländern deutlich unterschied Entgegen dem weit verbreiteten Vorurteil, die Ergebnisse unterschiedlicher statistischer Verfahren müßten, da sie ja „objektiv“ seien, bei gleichem Datensatz auch identisch oder zumindest ähnlich sein, ist festzustellen, daß jedes statistische Modell, ähnlich einem Zoom-Objektiv, das je nach Brennweite unterschiedliche Bildausschnitte produziert, seine systematischen „weißen Flecken“ und je eigenen Perspektiven beinhaltet. Im vorliegenden Fall wählte ich ein Verfahren, mit dem auch Pierre Bourdieu seine empirischen Lebensstilanalysen durchführte, nämlich die Korrespondenzanalyse, bei der insbesondere Unterschiede zwischen Gruppen betont werden Im Rahmen der Korrespondenzanalyse werden sogenannte „Achsen“ (in einem Koordinatenkreuz) gebildet, die Lebensstilunterschiede zwischen Gruppen in einem zwei-oder mehrdimensionalen Koordinatenkreuz verorten. In der folgenden Analyse wurden für West-und Ostdeutschland getrennt männliche und weibliche Jugendliche in drei Altersgruppen (13 bis 19 Jahre, 20 bis 24 Jahre und 25 bis 29 Jahre) eingeteilt und ihre Verteilung auf den oben beschriebenen Lebensstilmerkmalen analysiert. Im Ergebnis liefert die Korrespondenzanalyse eine Tabelle, die den Beitrag der verschiedenen Gruppen und Lebensstilmerkmale (d. h. die Verortung dieser Merkmale im Achsenkreuz) zu den einzelnen Achsen oder Lebensstildimensionen wiedergibt (dieser Beitrag wird im folgenden als „Ladung“ bezeichnet). 2. Ergebnisse der Korrespondenzanalyse Die statistische Analyse erbrachte drei Achsen, von denen die erste sich vor allem auf Unterschiede zwischen Ost-und Westdeutschland, die zweite auf kulturübergreifende Geschlechtsunterschiede und die dritte vor allem auf Altersunterschiede bezog. Da im Zentrum der hier vorgetragenen Überlegungen kulturelle Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern stehen, werde ich mich hier nur auf die erste Achse der Korrespondenzanalyse, also auf Unterschiede zwischen ost-und westdeutschen Jugendlichen, beziehen.Der positive Bereich (positive Korrelation) der hier wiedergegebenen ersten Achse wird vor allem bestimmt durch Befragte aus Westdeutschland, und zwar insbesondere durch weibliche Jugendliche und solche, die zwischen 13 und 24 Jahren alt waren. Der gegenüberliegende negative Bereich bzw. Achsenabschnitt (negative Korrelation) wird vornehmlich bestimmt durch Jugendliche aus Ostdeutschland, wobei männliche Jugendliche etwas bedeutsamer sind als weibliche und vor allem die Altersgruppen zwischen 20 und 29 Jahren repräsentiert werden. Betrachtet man die Lebensstilmerkmale, so dominieren bei den westdeutschen Jugendlichen im Freizeitbereich Aktivitäten, die sich überwiegend auf Geselligkeit und Vergnügen in der Öffentlichkeit beziehen (telefonieren, Freunde und Freund/in besuchen, Musik hören, ins Kino gehen, ausgehen, ein Instrument spielen), während familienzentrierte Tätigkeiten (mit der Familie zusammen sein, Verwandte besuchen, Gartenarbeit) eher vernachlässigt werden. Fast spiegelbildlich dominiert bei den Jugendlichen aus Ostdeutschland eine Aktivität, die nicht Eingebundenheit in eine jugendkulturelle Öffentlichkeit symbolisiert, sondern traditionelle verwandtschaftsbezogene Netzwerke thematisiert (Verwandte besuchen). Die oben genannten Indikatoren für jugendkulturelle Öffentlichkeit werden insgesamt seltener ausgeübt als in Westdeutschland.
Die Kinogenres erwiesen sich nicht als ein trennungsscharfer Lebensstilbereich, mit der Ausnahme, daß Sensations-und Katastrophenfilme in Westdeutschland abgelehnt wurden und in Ostdeutschland eher Zustimmung fanden. Im Gegensatz hierzu ergaben sich bei den Musikgattungen deutlich entgegengesetzte Profile: Während in Westdeutschland vor allem moderne und komplexe Musikrichtungen mit Sympathie bedacht wurden (Jazzrock, Blues, Independent, traditioneller und Modern Jazz), bevorzugten Jugendliche aus Ostdeutschland häufiger deutsche Schlager, Kirchenmusik und Big Band (James Last), Musikgattungen also, die entweder dem zuzuordnen sind, was Schulze als „Trivialschema“ bezeichnet, oder -fern jugendkultureller Stilbildung -der traditionellen Hochkultur subsumierbar sind.
Im Bereich der Mode und des Outfits präferierten westdeutsche Jugendliche die Attribute „markenorientiert“, „ausgefallen“ und „qualitätsbewußt“, wogegen sich ostdeutsche Jugendliche hier zurückhaltend verhielten und die beiden erstgenannten Attribute ablehnten. Westdeutsche Jugendliche zeigten ein Interesse für Gruppen, die entweder einen subkulturellen Stil symbolisieren (Punks, Grufties, okkulte Gruppen) oder eine alternative (Kernkraftgegner) und konsumistisch-hedonistische (Yuppies) Orientierung vertreten. Der etwas größere Beitrag der männlichen Jugendlichen im negativen, ostdeutschen Achsenabschnitt ist möglicherweise dafür verantwortlich, daß hiervor allem Gruppen genannt werden, die sich auf Körperlichkeit und Kraft (Rocker, FKK-Anhänger und Body-Building/Fitness-Training) oder Technik (Computer-Fans) beziehen. Interessanterweise werden im Gegensatz zu diesen im Westen eine eher überholte subkulturelle Semantik symbolisierenden Gruppen im Osten die aktuellen manieristischen Subkulturen (Grufties, okkulte Gruppen) abgelehnt.
Dieser traditionalistischeren Orientierung ostdeutscher Jugendlicher entspricht auch die Struktur der befürworteten Werte. Während im Westen vor allem Freiheit und Loslösung, typisch individualisierte Werte also, genannt werden, dominieren im Osten Höflichkeit, Achtung vor der Tradition, familiäre Sicherheit, Autorität und ein abwechslungsreiches Leben, wobei, wiederum spiegelverkehrt, die im Westen Individualisierung anzeigenden Werte -Freiheit und Loslösung -im Osten abgelehnt werden.
V. Schlußbemerkungen
Für eine angemessene Interpretation dieser Ergebnisse sind zunächst drei Einschränkungen zu bedenken: Zunächst existieren mehr Ähnlichkeiten als Differenzen zwischen der Jugend in West-und Ostdeutschland, und wir stellen die Differenzen ins Zentrum der Betrachtung. Zum zweiten wird die erste Achse der Korrespondenzanalyse zwar vor allem durch kulturspezifische Unterschiede bestimmt, aber diese Unterschiede werden z. T. durch Alters-und Geschlechtseinflüsse überlagert. Drittens kann bei einem Phänomen wie Lebensstilen das Verhältnis von Empirie und Theorie (besonders bei quantitativen Massendaten) nur so beschaffen sein, daß die Theorie den allgemeinen Interpretationsrahmen für Befunde liefert, die auf einer relativ oberflächlichen Zeichenebene angesiedelt sind.
Trotzdem lassen sich aus diesen Resultaten einige deutliche Tendenzen ablesen. Jugendliche Lebens-stile im Westen sind eher dem Modell einer kommerzialisierten, durch eine relativ autonome jugendkulturelle Öffentlichkeit bestimmten individualisierten Jugend zuzuordnen. Diese Interpretation wird gestützt durch die zumeist mit Gleich- altrigen ausgeübten Freizeitaktivitäten (Freunde besuchen, Musik hören, ins Kino gehen, ausgehen), durch die Bevorzugung jugendtypischer, „moderner“ Musikgenres (Jazzrock, Blues, Independent, New Wave, alle Formen des Jazz), durch eine Präferenz für manieristische Jugendsubkulturen (etwa Punks, Grufties, okkulte Gruppen) sowie betont individualisierte Werthaltungen (Freiheit, Loslösung).
Im Gegensatz hierzu lassen sich typische Stilisierungsmerkmale der Jugend in Ostdeutschland zunächst negativ dadurch beschreiben, daß generell weniger jugendkulturelle Stilisierungsversuche feststellbar sind (wie sich etwa an der einzigen, häufiger als in Westdeutschland ausgeübten Freizeitaktivität, dem Verwandtenbesuch, oder einer Präferenz für deutsche Schlager, Kirchenmusik und James Last nachvollziehen läßt) und daß die Grundorientierungen stärker kollektiv geteilten Konventionen entsprechen (wie dies durch eine Bevorzugung von Rockern oder eine an Höflichkeit, Achtung vor der Tradition, familiärer Sicherheit und Autorität orientierten Werthaltung dokumentiert wird). Beide Befunde fügen sich in Zinneckers oben beschriebenes Konzept eines erweiterten Bildungsmoratoriums (Jugend als eigenständige Lebenslaufphase mit hoher Autonomie) bzw. eines selektiven Moratoriums (Jugend als Phase zeitlich fest definierter Übergänge ohne kulturelle Autonomie) ein.
Zum Schluß möchte ich, etwas spekulativ, vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse auf die Theorie reflexiver Modernisierung zurückkommen. Jugend unter den Bedingungen eines erweiterten Bildungsmoratoriums, so möchte ich behaupten, bedarf einer reflexiven Lebensführung. Eine Auswahl aus dem seit den achtziger Jahren inflationär angewachsenen Universum jugendkultureller Zeichen und (Sub) -Kulturen erfordert eine selektive Verarbeitung, die rein habitualisiert nicht mehr zu leisten ist. Zwar gab es auch in der ehemaligen DDR vereinzelt subkulturelle Gruppen, jedoch waren sie nicht typisch für die Lebenswelt der meisten Jugendlichen. Wie diese, nach den oben beschriebenen Ergebnissen, mit symbolischen Wahl-prozessen eher unerfahrenen Jugendlichen auf den „Kulturschock“ der Vereinigung reagieren, hängt sicherlich vom jeweiligen Besitz an kulturellem Kapital, vom Grad der Beherrschung sozialer und kultureller Codes ab.
Eine letzte kritische Anmerkung scheint mir notwendig zu sein. Die Beschreibung von Modernisierungsunterschieden vermittelt oberflächlich betrachtet einen wertfreien Eindruck, schlägt aber leicht in eine ideologisierende, abwertende Beschreibung von Defiziten um. Anomische Potentiale wohnen jedoch beidem inne: sowohl der Identitätsbedrohung durch beliebig erscheinende Wahlakte im Westen als auch der Entwertung bisheriger Lebensführung im Osten.
Werner Georg, Dr. phil., geb. 1953; Studium der Europäischen Ethnologie, Soziologie und Politikwissenschaft in Marburg; wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität-Gesamthochschule Siegen. Veröffentlichungen im Bereich der Soziologie von Lebensstilen, der Jugendsoziologie, der Medizinsoziologie und der Methoden empirischer Sozialforschung.
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