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Feindbild Literatur Die Biermann-Affäre, Staatssicherheit und die Herausbildung einer literarischen Altemativkultur in der DDR | APuZ 22-23/1993 | bpb.de

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APuZ 22-23/1993 Kultur und Kulturpolitik in den neuen Bundesländern: das Beispiel des Deutschen Nationaltheaters Weimar Der Wandel der Kulturstrukturen in den neuen Bundesländern Feindbild Literatur Die Biermann-Affäre, Staatssicherheit und die Herausbildung einer literarischen Altemativkultur in der DDR

Feindbild Literatur Die Biermann-Affäre, Staatssicherheit und die Herausbildung einer literarischen Altemativkultur in der DDR

Klaus Michael

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Zwei große Debatten haben die Literatur seit der deutschen Vereinigung erschüttert: der Streit um Christa Wolfs Erzählung „Was bleibt“ sowie die Auseinandersetzungen um Literatur und Staatssicherheit. Nach Öffnung der Akten stellt sich heute die Frage, welches Interesse die Staatssicherheit an der Literatur hatte und wie sich das „Feindbild Literatur“ in die Strukturen des Sicherheitsapparates fügte. Auf die Erfahrungen der Biermann-Ausweisung von 1976 gehen grundlegende Muster der Staatssicherheit im Umgang mit kritischen Autoren zurück, die bis zum Ende der DDR Gültigkeit hatten. Die Biermann-Fuchs-Kunze-Affäre hatte nicht nur den personellen Umbau der Kulturinstitutionen zur Folge, sondern auch eine Umstrukturierung innerhalb der Staatssicherheit. Die Einrichtung einer speziellen Stasi-Abteilung zur Bekämpfung der „Politischen Untergrundtätigkeit“, das „Gesetz zum Schutz der Berufsbezeichnung Schriftsteller“ und das Verbot von Publikationen führten zur Ausgrenzung eines ganzen literarischen Bereiches, aus dem sich dann Anfang der achtziger Jahre eine alternative Literatur selbstverlegter Zeitschriften und Künstlerbücher entwickelte. Im Zusammenwirken von Zentralkomitee, Staatssicherheit und Inoffiziellen Mitarbeitern wurde versucht, die Entfaltung dieses literarischen Bereiches zurückzudrängen und seine Politisierung zu verhindern -ein vergebliches Unterfangen, wie sich spätestens im Laufe des Jahres 1989 zeigen sollte.

Zwei große Debatten haben die Literatur seit der deutschen Vereinigung erschüttert: der Streit um Christa Wolfs Erzählung „Was bleibt“ sowie die Auseinandersetzung um Literatur und Staats-sicherheit. Wie keine andere Debatte hat die Stasi-Literatur-Diskussion das bisherige Verständnis von kritischem Engagement und Opposition der Schriftsteller in Frage gestellt und das vertraute Bild von der Literatur und der Integrität ihrer Autoren verändert.

Sie hat aber auch gezeigt, daß für die Staatssicherheit jedes literarische Bild, das vom vorgeschriebenen Maß der Normalität abwich, ein Feindbild war. Die heftig geführte Debatte über die Stasi-Verstrickungen einiger DDR-Autoren macht vergessen, daß der weitaus größere Teil der Autoren über viele Jahre sehr nachhaltig und schmerzhaft dem operativen Zugriff der Staatsorgane ausgesetzt war. Und das trifft auch für jene Autoren zu, die -wie Christa Wolf oder Günter de Bruyn -für kurze Zeit in die Sicherheitsstrukturen verstrickt waren. Auch sie wurden durch die Ereignisse der Biermann-Ausweisung zu Betroffenen

Nach Öffnung der Akten stellt sich heute die Frage, welches Interesse die Staatssicherheit an der Literatur hatte und wie sich das „Feindbild Literatur“ in die allgemeinen Strukturen des Sicherheitsapparates fügte Drei Ereignisse sind für die Betrachtung der letzten fünfzehn Jahre von Bedeutung: die Biermann-Kunze-Fuchs-Affäre 1976/77, das Verbot der Akademie-Anthologie 1981 als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer eigenständigen jüngeren Literaturszene in der DDR und schließlich das Entstehen von festen politischen Oppositionsgruppen Mitte der achtziger Jahre.

Der Name Wolf Biermann ist nicht nur mit der Eröffnung der Stasi-Literatur-Debatte und der Durchsetzung des Stasiunterlagengesetzes verbunden Auf die Erfahrungen der Biermann-Affäre von 1976 gehen auch grundlegende Muster in der Vorgehensweise der Staatssicherheit gegenüber kritischen Autoren und ihrer Literatur zurück, die bis zum Ende der achtziger Jahre Gültigkeit hatten. Wolf Biermann war am 16, November 1976 ausgebürgert worden. Offensichtlich von langer Hand vorbereitet, bediente man sich mit seiner Abschiebung eines bewährten sowjetischen Modells der Konfliktbewältigung. Dieses Modell versagte jedoch in der besonderen deutsch-deutschen Situation. Die Dokumente zeigen, daß sowohl die politische Führung als auch die Staatssicherheit von den massenhaften in-und ausländischen Protesten überrascht war. Die in der DDR spontan verfaßte Protestresolution war bereits am 19. November 1976 von 105 Schriftstellern und Künstlern unterschrieben worden. Die Irritationen in der Partei-und Staatsführung waren so stark, daß sich der stellvertretende Minister für Kultur, Klaus Höpcke, für das weitere Vorgehen im Dezember 1976 sogar vom Moskauer Leiter der ZK-Abteilung für Kultur, W. F. Schaum, Rückendeckung holte Die Folgen für das literarische Leben der DDR waren einschneidend und führten zum völligen personellen Umbau der Kulturinstitutionen und bis 1979 zu einer anhaltenden Welle von Ausschlüssen aus den Künstlerverbänden

Einige Stationen der Gleichschaltung seien hier genannt: Drei Tage nach der Ausbürgerung Biermanns wurde Jürgen Fuchs verhaftet, am 21. November 1976 folgte die Verhaftung der Musiker Christian Kunert und Gerulf Pannach. Bis zum Januar 1977 traten Günter Kunert, Jurek Becker, Karl Heinz Jakobs, Sarah Kirsch und Gerhard Wolf aus der Partei aus oder wurden ausgeschlossen, Christa Wolf erhielt eine strenge Rüge. Am 8. November 1977 verabschiedete das Politbüro Maßnahmen zur Neugestaltung der Literatur-und Kunstkritik. Betroffen waren nicht nur die Literatur-und Kunstzeitschriften, sondern auch die Künstlerverbände Am 23. Oktober 1978 wurde durch die Abteilung Kultur des ZK der SED die Bildung eines „Lektorats für Kultur“ verfügt, das eine „kaderpolitische Analyse der wichtigsten belletristischen Verlage und Vorschläge für evtl, kadermäßige Veränderungen“ erarbeiten sollte. Im Klartext hieß das, die Biermann-Sympathisanten aus den Verlagen und dem Schriftstellerverband zu entfernen. Des weiteren wurde beschlossen, daß „besonderes Augenmerk auf die ideologische Festigung des Nachwuchses“ zu legen sei und die Liste der problematischen bzw. abgelehnten Manuskripte beim Ministerium für Kultur und der Hauptverwaltung der Verlage „überarbeitet“ und „ergänzt“ werden müsse Im gleichen Jahr löste Hermann Kant Anna Seghers als Vorsitzende des Schriftstellerverbandes ab. Reiner Kunze und Sarah Kirsch hatten bereits die DDR verlassen. Ihnen folgten 120 weitere Autoren und eine ebenso große Zahl von Malern, Grafikern und Musikern. Wer noch zweifelte, dem wurde spätestens in dem im Berliner Schriftstellerverband inszenierten Ausschlußverfahren vom 7. Juni 1979 deutlich, daß die Hoffnungen auf eine Reform der DDR, auf eine liberalere Verlagspolitik und auf die Freiheit der Rede gescheitert waren In einer Parallelaktion verurteilte man Stefan Heym und Robert Havemann wegen „Devisenvergehens“ zu hohen Geldstrafen. Ende 1980 waren mit der Verhaftung von Frank-Wolf Matthies und Lutz Rathenow zum erstenmal auch jüngere Autoren betroffen, die nicht dem Schriftstellerverband angehörten, aber die Biermann-Petition unterzeichnet hatten

Die Biermann-Ausbürgerung war nach dem 17. Juni 1953 und dem Mauerbau der wichtigste Einschnitt im politischen und kulturellen Leben der DDR. Mit ihr begann die Vorgeschichte für das unrühmliche Ende der DDR. Sie zeigt im nachhinein, daß es keine Lösungsmöglichkeiten mehr für die anstehenden innenpolitischen Probleme gab. Und wo Konflikte nicht mehr gelöst werden konnten, wurde das Ministerium für Staatssicherheit aktiv.

Die Biermann-Affäre hatte für die Staatssicherheit auch noch andere Konsequenzen -zeigte sie doch, daß die Sicherheitsorgane in zweierlei Hinsicht versagt hatten: Zum einen hatten sie die Folgen der Ausweisung unterschätzt, und so standen sie den spektakulären innen-und außenpolitischen Protesten hilflos gegenüber. Zum anderen bereitete es ihnen sichtlich Mühe, den Ursprung der Proteste auszumachen. Schließlich kam der nachhaltigste Protest aus den eigenen Reihen und gerade von jenen, die sich bislang loyal gegenüber Staat und Partei verhalten hatten. Entgegen der klassischen Lehre stand der Feind nicht mehr ausschließlich im Westen. Ganz offensichtlich fühlte sich die Partei-und Staatsführung in die Situation des Prager Frühlings von 1968 versetzt und sah sich an die ungarischen Ereignisse von 1956 erinnert. Beide Reformprozesse waren von kritischen Autoren und Intellektuellen innerhalb der Partei vorbereitet und eingeleitet worden. Eine Wiederholung dieser Entwicklung galt es um jeden Preis zu verhindern.

In einem Schreiben vom 22. Dezember 1976 an die Leiter der MfS-Diensteinheiten (MfS: Ministerium für Staatssicherheit) drängt Mielke darauf, die Bil-düng einer „inneren Opposition“ und den Zusammenschluß „feindlich-negativer Kräfte“ zu verhindern und aufzuklären, auf wen man sich noch verlassen könne. Das Interessante an diesem Schreiben ist, daß diese „Wer-ist-Wer“ -Aufklärung flächendeckend angelegt war und auch diejenigen mit einbezog, die nicht mit Biermann oder Havemann in Verbindung standen. So machte die Kontrolle selbst vor jenen nicht halt, die „offiziell gegen Biermann, Havemann und andere feindliche Kräfte Stellung genommen und die entsprechenden staatlichen Maßnahmen unterstützt haben“ oder ihre solidarische Haltung revidierten. Schließlich wies Mielke die Zentrale Auswertungsund Informationsgruppe (ZAIG) an, „kontinuierlich zusammenfassende Einschätzungen über die Reaktion der Bevölkerung der DDR“ zu übermitteln

Eine detaillierte Begründung für das massive Vorgehen gegenüber Literatur und Kunst enthält ein Dokument vom Januar 1977, das auch für die achtziger Jahre den Kanon der sicherheitsrelevanten Bedenken festschreibt: „In der DDR sind seit Jahren feindlich-negative Kräfte vorhanden, insbesondere unter Kultur-schaffenden, deren politische und ideologische Vorstellungen und Aktivitäten in wesentlichen Teilen den vom Gegner verfolgten Zielen und Absichten -zur Unterwanderung der DDR und ihrer Zersetzung von innen heraus -zur Schaffung und Aktivierung einer sogenannten Opposition bzw. -zur Forcierung der politischen Untergrundtätigkeit entsprachen bzw. damit übereinstimmten.“

Darüber hinaus werden die politischen Feindbilder genannt: Die „Forderungen nach . Liberalisierung 1, nach größerer . Freizügigkeit 1, nach einem , demokratischen Sozialismus 1“ Dieses ganz offensichtlich vom ZK erarbeitete Strategiepapier legte im einzelnen die künftige kulturpolitische Leitlinie der nächsten Jahre fest. Betroffen waren das Kulturministerium und seine nachgeordneten Einrichtungen (Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, Büro für Urheberrechte, Akademie der Künste, Künstlerverbände, PEN), das Staatliche Komitee für Fernsehen und Rundfunk sowie das Ministerium für Hoch-und Fachschulwesen. Eine mißbilligende Erwähnung findet aber auch die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, dessen Arbeitsgruppenleiter für Literatur, Literaturgeschichte und Literatur-theorie sich „unwidersprochen und ausschließlich auf solche Schriftsteller wie Christa Wolf, Franz Fühmann, Volker Braun u. ä. als die Repräsentanten der DDR-Literatur orientierte“ Eine Kopie dieses Papiers ging als politische Vorgabe an den Minister für Staatssicherheit und zeigt, daß das MfS nicht aus eigenem Antrieb, sondern stets auf höhere Weisung handelte. Das MfS war keineswegs „Staat im Staate“, sondern verstand sich -dem eigenen Selbstverständnis folgend -als „Schild und Schwert der Partei“

Eine der Konsequenzen, die die Staatssicherheit aus der Biermann-Affäre zog, war die Einrichtung einer speziellen Abteilung für die Bekämpfung der sogenannten „Politischen Untergrundtätigkeit 11. Innerhalb der für Kultur, Massenmedien, Kirche und Sport zuständigen Hauptabteilung XX entstand die Abteilung XX/9, nachdem bereits 1969 mit der Abteilung XX/7 ein spezielles Ressort für die kulturellen Institutionen (Verlage, Schriftstellerverband, Akademie der Künste) eingerichtet worden war Die Hauptabteilung XX war für die „politisch-operative Sicherung und Abschirmung der zentralen Massenmedien wie für die Durchsetzung der Kulturpolitik der SED in den zentralen Einrichtungen der Kultur mit sicherheitspolitischen Mitteln und Methoden“ zuständig. Demzufolge hatte die Abteilung XX/9 „vorbeugend verhindernd“ zu wirken und Ansätze zur Bildung einer „inneren Opposition“ zu unterbinden. Die Abteilung XX/9 war nicht nur für die politische Opposition zuständig, sondern interessierte sich auch für alle künstlerischen Aktivitäten, die sich außerhalb der staatlichen Institutionen vollzogen. In besonderer Weise übernahm diese Abteilung die Observation, Kontrolle und die Beeinflussung des literarischen Nachwuchses, wie Dokumente über die Rolle der Staatssicherheit im Zusammenhang mit dem Verbot der Akademie-Anthologie 1981 und dem aus gleichem Anlaß vorbereiteten „Gesetz zur Berufsbezeichnung Schriftsteller“ zeigen (s. Kap. II). Vorläufer der Abteilung XX/9 war offensichtlich eine bereits seit dem Anfang der siebziger Jahre bestehende Operativgruppe XX/OG, deren Aufgabe in der Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion bestand. Anfang der achtziger Jahre ist diese Operativgruppe in der neugeschaffenen Abteilung XX/9 aufgegangen

Um eine Wiederholung der öffentlichkeitswirksamen Affäre Biermann-Havemann-Fuchs-Kunze zu vermeiden, änderte die Stasi ihre Strategie. Im Arbeitsplan der Hauptabteilung XX für das Jahr 1978 finden sich die ersten Konsequenzen: Erweiterung des qualitativen Bestandes Inoffizieller Mitarbeiter (IM) und Besetzung von Schlüsselpositionen in der Bekämpfung des „Politischen Untergrundes“ Diese Strategie trug Anfang der achtziger Jahre erste Früchte. Beispiele sind unter anderem der IM-Einsatz von Ibrahim Böhme (alias „Maximilian“) in der politischen Oppositionsszene der achtziger Jahre oder die Aktivitäten der Autoren Sascha Anderson (alias „David Menzer“, „Fritz Müller“, „Peters“) und Rainer Schedlinski (alias „Gerhard“). Hatte die Biermann-Affäre gezeigt, daß es unter den kritischen Autoren an geeigneten Inoffiziellen Mitarbeitern fehlte, so wollte man diesem Mangel durch die Heranziehung Inoffizieller Mitarbeiter, die man langfristig im Untergrund „verankerte“, von vornherein begegnen. Mit ihrer Hilfe versuchte die Staatssicherheit: -das Entstehen einer inneren Opposition auszuschließen, -bestehende Gruppierungen oder Zusammenschlüsse aufzulösen bzw. die zentralen Stellen innerhalb solcher Gruppierungen selbst zu besetzen, -vorbeugend verhindernd in geplante Aktivitäten einzugreifen und -eine Politisierung zu verhindern.

Ein Beispiel dafür ist das Verbot der „Akademie-Anthologie“ 1981, worauf im folgenden eingegangen wird.

II. Das Verbot der Akademie-Anthologie und das „Gesetz zum Schutz der Berufsbezeichnung Schriftsteller“

1980/81 war Franz Fühmann, Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Sinn und Form“ und Mitglied der Akademie der Künste, auf eine Reihe jüngerer Autoren aufmerksam geworden, die sich immer wieder hilfesuchend an ihn wandten. Fühmann war nach seinem Engagement für die Dichter Uwe Kolbe und Frank-Wolf Matthies eine Anlaufstelle für Autoren geworden, die in der DDR nicht veröffentlichten Als er feststellen mußte, daß dies keine Ausnahmeerscheinung, sondern -als Folge der Biermann-Affäre -nunmehr die Regel war, beauftragte er Uwe Kolbe und Sascha Anderson mit der Sammlung von Texten jener Dichter. Gedacht war an eine Anthologie als internes Studien-material für die Akademie der Künste. Die Sammlung enthielt Texte von Peter Brasch, Wolfgang Hilbig, Katja Lange, Monika Maron, Bert Papenfuß, Lothar Trolle u. a. Die Manuskripte wurden im Herbst 1981 an Konrad Wolf, den Präsidenten der Akademie der Künste, übergeben

Daraufhin fand am 11. November 1981 eine Sitzung des Zentralkomitees statt. Zwei Punkte der Tagesordnung befaßten sich ausschließlich mit dem Problem der jüngeren Literatur. „Anwesend waren die Genossen Honecker, Axen, Hager, Herrmann, Dohlus, Felfe, Mittag, Naumann ...“ vermerkt das Protokoll *Anwesend waren auch Kulturminister Hoffmann und die Leiterin der ZK-Kulturabteilung, Ursula Ragwitz. Die Sammlung, nach den Ereignissen von 1976/77 die erste geschlossene Wortmeldung von Schriftstellern, ließ das ZK aufschrecken. Der größte Teil der Namen war den Kulturbehörden unbekannt, sie wurden aber von bekannteren Autoren unterstützt: „Viele, die sich für Schriftsteller halten und zum Teil sogar freiberuflich tätig sind, haben keinerlei Kontakt zum Verband und in einigen Fällen auch nicht zu DDR-Verlagen. Damit sind die Einflußmöglichkeiten auf diese jungen Leute von vornherein begrenzt .. so der Monatsbericht des ZK vom November 1981 Die bisher erprobten Steuerungsmechanismen begannen zu versagen: Auf Autoren, die nicht verlegen durften und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlugen, hatte man auf offiziellem Wege nur wenig Einfluß. Hier wurde die Staatssicherheit aktiv, die durch Sascha Anderson ohnehin bestens von den Vorgängen unterrichtet war.

Ergebnis der ZK-Sitzung war eine „Konzeption zur Arbeit mit jungen Schreibenden und anderen am Schreiben interessierten Bürgern“, wie es umständlich in der Behördensprache lautete. Diese Konzeption legte eine Zuordnung nach drei Kategorien fest: Wer in „positivem Sinne für den Sozialismus nutzbar gemacht werden kann“, sollte als Kandidat des Schriftstellerverbandes gewonnen werden. Wer sich aber gegen den Staat betätigt, wird einer „geregelten Arbeit zugeführt“. Und diejenigen, „die sich asozial und staatsfeindlich verhalten, müssen entsprechend den Gesetzen behandelt werden“

Ende November 1981 ging eine von Mittig, dem Stellvertreter Mielkes, Unterzeichnete Verschlußsache heraus. Sie enthält Anweisungen über den weiteren Umgang mit Nachwuchsautoren. Mittig bezieht sich darin auf die ZK-Sitzung vom 11. November 1981 und informiert die Bezirksverwaltungen der Staatssicherheit über den Beschluß zur Gründung von „Literaturzentren“ in den einzelnen Bezirksstädten der DDR. Diese Literaturzentren sollen sich der Probleme der jüngeren Autoren annehmen, ihnen die Möglichkeit zur literarischen Diskussion bieten, zugleich aber sicherstellen, daß die literarischen Aktivitäten nicht außer Kontrolle geraten: „Bei der Zusammensetzung dieser Gruppe ist ständig darauf zu achten, daß junge, kämpferische, progressive Kräfte die Atmosphäre bestimmen. Darin eingebettet ist verantwortungsbewußt die ideologische und fachliche Arbeit auch mit jenen Schreibenden und am Schreiben interessierten Bürgern zu organisieren, die noch keine festen sozialistischen Positionen erlangt haben, mit dem Ziel, sie politisch und ideologisch weiterzubil-den und parteiliche Standpunkte zu bewirken.“ Die politische Instrumentalisierung dieser „Literaturzentren“ bedarf keines Kommentars. Heute darf man, getreu der Weisung Mittigs, den „Einsatz von geeigneten inoffiziellen Mitarbeitern in Schlüsselpositionen in den Bezirksliteraturzentren“ vermuten So taucht unter anderem als Leiter des Bezirksliteraturzentrums in Halle ein IM mit dem bemerkenswerten Decknamen „Hermann Kant“ auf.

In diesem Zusammenhang sind Überlegungen über ein „Gesetz zum Schutz der Berufsbezeichnung Schriftsteller“ von Interesse. Vorschläge, den Status „Schriftsteller“ neu zu definieren, ihn damit rechtlich einzugrenzen und politisch stärker zu kontrollieren, tauchten seit Mitte der siebziger Jahre mehrfach auf. Zum Thema von ZK-Sitzungen wurden sie immer dann, wenn es mit jüngeren bzw. nichtorganisierten Autoren Schwierigkeiten gab. Wie eine handschriftlich verfaßte Ausarbeitung zeigt, gab es in der ZK-Abteilung Kultur schon im November 1979 Überlegungen, die „Bestätigung freiberuflicher schriftstellerischer Tätigkeit“ davon abhängig zu machen, daß vom Autor Einnahmen in Höhe von „ 6000 Mark jährlich“ nachgewiesen werden. Außerdem sei bei Aufnahme in den Verband darauf zu achten, „daß die Antragsteller das Statut des Schriftstellerverbandes kennen und akzeptieren“. Ferner wurden die Berliner Verlage über die HV Verlage und Buchhandel (beim Ministerium für Kultur) aufgefordert, „eine Übersicht über jene jungen Berliner Autoren zu erarbeiten“, mit denen „aus politischen oder künstlerischen Gründen keine Zusammenarbeit erfolgt Offensichtlich plante man, das Problem mit freischaffenden, aber nichtorganisierten Autoren so bald wie möglich anzugehen. Der freischaffende Status dieser ständig wachsenden Autorengruppe war ein latentes Ärgernis. Für den einzelnen Autor war er eine wichtige Voraussetzung, die das individuelle Arbeiten erst ermöglichte und darüber hinaus relative Sicherheit vor staatlichen Zugriffen und Verpflichtungen bot. Bislang konnte sich nur Schriftsteller nennen, wer über eine Steuernummer verfügte oder Mitglied oder Kandidat des Schriftstellerverbandes war. Das verbürgte einen bestimmten Anspruch auf Wohn-und Arbeitsraum, das Recht auf Kranken-und Sozialversicherung und hatte zur Folge, daß man im Verständnis der Behörden als Berufstätiger galt und nicht Gefahr lief, in die Nähe des umstrittenen Asozialitätsparagraphen gerückt und einer „geregelten Arbeit zugeführt“ zu werden. Da die Aufnahme in den Schriftstellerverband nach der Ausweisung Biermanns restriktiver gehandhabt wurde und unter jüngeren Autoren wegen der damit verbundenen ideologischen Konsequenzen zunehmend an Attraktivität einbüßte, bot die Beantragung einer Steuernummer einen willkommenen Ausweg.

Dieser unkontrollierten Entwicklung galt es 1981 einen Riegel vorzuschieben. So wurde in der Verschlußsache Mittigs eine gesetzliche Regelung des Problems angekündigt. Als Schriftsteller dürfe sich künftig nur bezeichnen, „wer den Nachweis erbringt, daß er diese Tätigkeit auf der Basis einer Kandidatur im Schriftstellerverband bzw. einer vertraglichen Bindung zu einem Verlag, einer Redaktion bzw. Massenmedien der DDR ausübt und über ein jährliches Mindesteinkommen von 6000 Mark verfügt“. Dieses Gesetz wurde allerdings nie erlassen; wahrscheinlich war bereits zu viel darüber in die westdeutsche Presse durchgesickert. Es gibt aber dennoch einen aufschlußreichen Einblick in die Steuerungsmechanismen zwischen Zentralkomitee, Kulturministerium und Staatssicherheit.

III. Literatur und „Politische Untergrundtätigkeit“

Das Verbot der Akademie-Anthologie 1981 kann heute als Beginn für die Entwicklung selbstverlegter Zeitschriften und Künstlerbücher gesehen werden. Bis 1989 erschienen insgesamt dreißig literarische sowie zehn politische Zeitschriften und über hundert originalgraphische Künstlerbücher Im Rückblick ist diese Literatur nur unter Vorbehalt als „alternativ“ zu bezeichnen. Begriffe wie „Subkultur“ oder „Gegenkultur“ verbieten sich nach Kenntnis der heutigen Aktenlage. Angemessener ist es, von einer ausgegrenzten Kultur zu sprechen, die sich aus ganz verschiedenen künstlerischen Szenen und Gruppierungen zusammen-setzte und mit Künstlerbüchem, Zeitschriften und in Lesungen und Ausstellungen im privaten oder kirchlichen Raum einen eigenständigen öffentlichen Rahmen schuf.

Die Staatssicherheit reagierte auf diese Entwicklung weniger mit Verboten als mit einem Konzept der „Dezentralisierung“, d. h.der Zerschlagung von Gruppen und der Entfernung einzelner Mitglieder. Eine weitere Folge des Anthologie-Verbots war, daß fast alle Beteiligten von der Stasi in „Operativen Personenkontrollen“ observiert, in „Operativen Vorgängen“ bearbeitet wurden oder auf den Schwarzen Listen der Verlage landeten. Um einen Zusammenschluß bzw. eine Solidarisierung der betroffenen Autoren zu verhindern, unternahm die Staatssicherheit erhebliche Anstrengung 2„ 9Dezentralisierung“ war durchaus wörtlich gemeint: Der Herausgeber Uwe Kolbe sollte, wie die Akten zeigen, „im Rahmen einer FDJ-Freundschaftsbrigade in die VDR Jemen delegiert“ werden, Katja Lange wurde für ein Jahr in die Mongolei geschickt, Peter Brasch verlor seinen Job als Script-Writer an einem Dokumentarfilm

Ausschlaggebend dafür, ob ein Autor von der für „Politische Untergrundtätigkeit“ (PUT) zuständigen Abteilung XX/9 registriert oder zur Abteilung XX/7 geschlagen wurde, war keineswegs der Inhalt seiner Texte. Kriterium der Zuordnung war viel eher der Umstand, ob er institutionell im Schriftstellerverband oder bei einem Verlag eingebunden war oder nicht. Beteiligte er sich an einer der nichtoffiziellen Zeitschriften oder trat er in einer der privaten Lesungen hervor, war die Stasi-Zuordnung einfach. Er befand sich dann, nach dem Selbstverständnis der Staatssicherheit, in jener Grauzone, die der Westen jederzeit für feindliche Aktivitäten gegen die DDR aktivieren konnte -und auf die man selbst gern Einfluß gewinnen wollte. Das gilt auch für den größten Teil der an der Akademie-Anthologie beteiligten Autoren und erklärt, warum die Staatssicherheit mit solch hohem materiellem und personellem Aufwand jede nicht-institutionalisierte Aktivität verfolgte und -wie man wohl heute feststellen muß -auch überbewertete. Erhellend für die Strategie der Staatssicherheit im Umgang mit Literatur sind nicht nur die Schreiben, Befehle und Dienstanweisungen Mielkes, sondern auch eine Reihe von Diplomarbeiten, die an der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam entstanden. In einer Arbeit des ehemaligen Magdeburger Führungsoffiziers von Rainer Schedlinski werden die nichtorganisierten Autoren und die von ihnen herausgegebenen Zeitschriften als „Feindlich-Ideologische Stützpunkte“ (FIS) definiert. Darunter versteht der Autor Personen, die sich Positionen gegen den Sozialismus zu eigen gemacht haben, „antisozialistische Machwerke entwickeln“, diese unter „Mißbrauch legaler Möglichkeiten“ verbreiten, über gute Kontakte zum Westen verfügen und im Sinne der „Politischen Untergrundtätigkeit“ selbst „subversiv tätig werden“, also „Politisch-Ideologische Diversion“ (PID) betreiben

Um diesen gegnerischen Einflüssen jederzeit begegnen zu können, war -aus der Sicht des MfS -die umfassende und kontinuierliche Überwachung der Literatur notwendig. An ein direktes Verbot von Zeitschriften wurde nicht gedacht. Das Einschreiten des MfS bei privaten Lesungen oder Ausstellungen behielt man sich für den Fall politischer Krisenzeiten vor. Im Vorfeld bediente man sich „subtilerer“ Mittel wie der Denunziation, Verunsicherung und Zersetzung oder versuchte, die literarischen Aktivitäten durch den Einsatz „eigener Leute“ unter Kontrolle zu bekommen: „Dabei muß sich vor allem auf solche Personenkreise konzentriert werden, die im jeweiligen Verantwortungsbereich als freischaffende Mitglieder der Künstlerverbände, als Laienkünstler oder als kulturpolitisch-künstlerisch interessierte Personenkreise bekannt und tätig sind.“

Eine zentrale Bedeutung für die Arbeit der Staats-sicherheit in den achtziger Jahren hat die Dienstanweisung 2/85 Im Jahr des Machtantrittes von Michail Gorbatschow verabschiedet, schrieb sie die Bekämpfung der „Politischen Untergrundtätigkeit“ nicht nur als Hauptaufgabe der Staatssicherheit für die nächsten Jahre fest, sondern beschloß auch einen koordinierten Kampf gegen die politischen Oppositionsgruppen der sozialistischen Länder. Der Gegner stand von nun an nicht mehr ausschließlich im Westen. Auffallend ist, daß die Literatur und die Aktivitäten von Autoren in dieser Dienstanweisung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Einmal wird der Literatur, wie noch in den siebziger Jahren, keine direkt oppositionelle oder staatsgefährdende Rolle mehr zugesprochen; zum anderen hat das politische Engagement der Autoren offensichtlich nachgelassen. Und tatsächlich lag die letzte, von Autoren als größere Protestaktion geplante Veranstaltung bereits ein Jahr zurück.

Im Frühjahr 1984 hatten sich über 30 jüngere Autoren aus allen Teilen der DDR in einem Ostberliner Hinterhofatelier zusammengefunden, um unter dem Namen „Zersammlung“ einen unabhängigen Schriftstellerverband zu gründen. Als Besucher sind u. a. Gerhard Wolf, Adolf Endler, Elke Erb und Daniela Dahn vermerkt.

Hauptanliegen dieses Verbandes sollte sein, bei DDR-Verlagen mit Nachdruck auf längst versprochene Publikationen zu drängen. Autoren wie Bert Papenfuß oder Wolfgang Hilbig waren im Westen bereits bekannte Dichter, ihre Arbeiten wurden aber in der DDR noch immer nicht gedruckt. Ein Ausschuß wurde gegründet, der über die sich ständig verändernde kulturpolitische Lage informieren und das gemeinsame Vorgehen der Autoren koordinieren sollte. Dieser Arbeitskreis trat zwar zusammen, wurde aber nicht arbeitsfähig. Die Gründe für das Scheitern sind vielschichtig. Einmal wurden die Konflikte zwischen den politisch engagierten und den weniger aktiven Autoren durch eine IM-gesteuerte Personalpolitik der Staats-sicherheit geschickt verschärft, zum anderen trug sich eine nicht geringe Anzahl von Beteiligten mit dem Gedanken, die DDR zu verlassen. Im Rückblick markiert die „Zersammlung“ von 1984 das Ende der politischen Phase der nach der Biermann-Ausweisung entstandenen jüngeren Alternativliteratur in der DDR Ihr zusammenfassendes Dokument fand sie in der von Elke Erb und Sascha Anderson herausgegebenen Sammlung „Berührung ist nur eine Randerscheinung“, die 1985 in Köln veröffentlicht wurde.

IV. Strategiewechsel am Ende der achtziger Jahre

Mitte der achtziger Jahre veränderte sich das Verhältnis der Staatssicherheit zur alternativen Literatur -ja zur Literatur überhaupt. 1986 hatten, als Reaktion auf die in Köln erschienene Anthologie, die ersten Gespräche mit den sogenannten „Untergrund-Autoren“ Uwe Kolbe, Bert Papenfuß-Gorek, Jan Faktor, Stefan Döring, Andreas Koziol u. a. im Berliner Aufbau-Verlag stattgefunden. Zwei Jahre später erschienen dort die ersten, von Gerhard Wolf herausgegebenen Bände unter dem bezeichnenden Reihentitel: „Außer der Reihe“.

Die Literatur verschwand zwar nicht ganz aus dem operativen Blick des MfS, wichtiger wurden aber die Oppositions-und Bürgerrechtsgruppen an denen Autoren nur noch am Rande beteiligt waren. Auch war die Stasi so gut über die künstlerischen Aktivitäten informiert, daß sie ihren Einfluß gesichert glaubte. Während die Zeitschriften der Bürgerrechtsgruppen wie „Grenzfall“ und „Umweltblätter“ im November 1987 in einer spektakulären Nacht-und-Nebel-Aktion beschlagnahmt wurden, waren selbstverlegte Literaturzeitschriften nicht mehr von solchen Übergriffen betroffen. Von den über dreißig existierenden Periodika wurden nur zwei Zeitschriften verboten.

Der Grund für die stillschweigende Duldung lag aber weniger in der Unterwanderung der Literaturzeitschriften mit Inoffiziellen Mitarbeitern. Nicht einmal bei der von Rainer Schedlinski herausgegebenen essayistischen Zeitschrift „Ariadne-fabrik“ ist ein direkter Stasi-Einfluß nachweisbar. Der Grund ist eher ein anderer: Solange die Zeitschriften nicht dezidiert politisch agierten, war es für die Staatsorgane schwer, einen Vorwand für ein Verbot zu finden. Vielfach konnte die Staats-sicherheit die inoffiziell bezogenen Informationen nicht verwenden, weil sie sonst ihre Informanten gefährdet hätte. Eine juristische Stellungnahme der Abteilung XX/2 vom November 1984 kommt nach der Analyse verschiedener selbstverlegter Zeitschriften zu dem Schluß, daß die „in diesen Publikationen verbreiteten Texte ... keine offenen Angriffe gegen die DDR“ darstellten „und damit die Durchführung strafprozessualer Prüfungshandlungen ausgeschlossen ist“

Ende der achtziger Jahre erwies sich die Observation der Literatur für die Staatssicherheit zunehmend als Belastung. So kam Oberstleutnant Tzscheutschler, Chef der Hauptabteilung XX in der Bezirksverwaltung Dresden und bis 1982 Führungsoffizier von Sascha Anderson, zu dem Schluß, daß das Problem der selbstverlegten Literatur nur durch eine partielle Legalisierung zu lösen sei. Er empfahl, daß sich der Kulturbund, der Schriftstellerverband oder die Bezirksliteraturzentren dieses Phänomens annehmen sollten *S*o geriet die Staatssicherheit Ende der achtziger Jahre in die paradoxe Situation, Vorschläge für die Tolerierung einer Literatur zu liefern, die sie fast zehn Jahre lang bekämpft hatte. Auch in der Bezirksverwaltung Berlin schien man 1987 zu der Erkenntnis gekommen zu sein, daß das Ministerium für Staatssicherheit das Problem der „Politischen Untergrundtätigkeit“ nicht lösen könne. In einem Konzeptionspapier wurde die Schuld an der Dauerkonfrontation indirekt den politischen Entscheidungsträgern zugewiesen. Die „Politische Untergrundtätigkeit“ sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, das mit geheimdienstlichen Mitteln nicht mehr zu lösen wäre. Hierzu wäre die Mitarbeit der Staatsorgane und anderer gesellschaftlicher Kräfte ebenso nötig wie die der Partei. Die Zurückdrängung der „Politischen Untergrundtätigkeit“ sei „letztlich effektiv nur dann langfristig zu lösen“, so heißt es dort, wenn „die Partner des Zusammenwirkens nach einer einheitlichen und auf allen Ebenen abgestimmten Konzeption handeln ... Der Hauptteil der im Rahmen der PUT anfallenden Personen ist im Alter zwischen 30 und 35 Jahren. Es ist nicht absehbar, daß ein größerer Teil dieses Personenpotentials auf dem Wege der Übersiedlung in die BRD/WB der PUT entzogen werden kann. Aus diesem Grund müssen Konzeptionen zur Bekämpfung und Zurückdrängung der PUT so angelegt sein, daß sie der Mehrzahl der heutigen im Rahmen der PUT integrierten Personen in einem längerfristig angelegten Prozeß eine persönliche, berufliche und gesellschaftliche Perspektive in der DDR bieten müssen.“ Diese Entwicklung, die man durchaus als partielle Deeskalation bezeichnen könnte, ist allerdings nicht durchgängig. Zwar wurde mehrfach beklagt, daß der Verstoß gegen die Vervielfältigungsordnung und das Tolerieren ungenehmigter Veranstaltungen und Protestaktionen dem Ansehen des Staates Schaden zufügen würden; und es liest sich wie eine indirekte Bankrotterklärung, wenn die Staatssicherheit zu dem Schluß kommt: „Die konsequente Ignorierung dieser Feindangriffe setzt allerdings eine sehr belastbare Geduldsamkeit der staatlichen Seite“ voraus Die Toleranzgrenze war aber stets dann erreicht, wenn die Aktionen einen politischen Hintergrund aufwiesen. Schien das politische System in Frage gestellt, wie durch die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration von Bürgerrechtlem am 15. Januar 1988, ließ die Staatssicherheit keine Nachsicht walten. Hier setzte sich die Konfrontationspolitik der siebziger Jahre nahtlos fort. So wurden die Stasi-Akten vieler Autoren im letzten Drittel der achtziger Jahre nach und nach geschlossen, die der politisch engagierten Autoren wie Jürgen Fuchs, Lutz Rathenow, Jan Faktor, Gabriele Kachold oder Rüdiger Rosenthal reichen demgegenüber meist bis ins Frühjahr 1990.

Hat sich die nach der Ausweisung Biermanns entstandene engagierte und zum Teil oppositionelle Literatur durch die Enttarnung einiger ihrer Autoren als Simulationsprodukt der Staatssicherheit entpuppt, wie dies vom Feuilleton angenommen wird? Für die Stasi ganz gewiß nicht -im Gegenteil. Für die Staatssicherheit war diese Literatur stets ein Produkt des Westens. Getreu der Devise, daß diese Literatur Avantgarde sei und als avantgardistisches Produkt ein ideologisches Werkzeug des Westens, wurde ihr in immer neuen Experten-gutachten Resignation, Zukunftsfurcht, Aussteiger-Ideologie, Pazifismus oder Sexkult unterstellt. Trotzdem läßt sich feststellen, daß die Staats-sicherheit gegenüber der offiziellen wie auch gegenüber der alternativen Literatur Mitte der achtziger Jahre einen gewissen Bewertungswechsel vollzogen hat. Sie hat das Entstehen kritischer Literatur zwar verzögern und kanalisieren, aber nicht verhindern können. Was nicht in der DDR erscheinen konnte, fand seinen Weg in den Westen oder wurde im Selbstverlag herausgegeben. Ver-hindern wollte die Stasi aber die Bildung alternativer Organisationen, und man muß im nachhinein feststellen, daß ihr das auch gelungen ist. So ist noch im Jahresplan der Hauptabteilung XX für 1989 niedergelegt, daß Versuchen des „Aufbaus einer , zweiten Kultur'bzw. Schaffung »unabhängiger 1 Künstlervereinigungen (»freie Theatergruppen 1, »Selbstverlag 1, private Galerien...)“ entschieden entgegenzuwirken sei

Die Stasi versuchte auf verschiedenen Ebenen, Einfluß auf die Literatur zu nehmen: durch den Einsatz von Inoffiziellen Mitarbeitern, durch die schrittweise Entpolitisierung der Altemativliteratur, durch eine deutsch-deutsche „Personalpolitik“ (Ausreise und Abschiebung unliebsamer Autoren) und durch Integrationsangebote wie Publikationsmöglichkeiten und Reisen ins westliche Ausland. Die Linie genereller Konfrontation wird Mitte der achtziger Jahre durch eine Vielzahl „maßgeschneiderter“ und personenbezogener Fall-zu-Fall-Entscheidungen ersetzt. So ist inzwischen nachgewiesen, daß sich das ZK mit jedem Westreisegesuch einzeln und gesondert auseinandersetzte, wenn es von Autoren aus dem PUT-Umfeld gestellt wurde Die Literatur wurde durch die „inoffizielle Mitarbeit“ ihrer Autoren beschädigt. Dennoch blieb die Durchsetzung der nichtorganisierten Literatur mit Stasi-Leuten eher gering, vergleicht man deren Zahl beispielsweise mit den Mitarbeitern und Zuträgern des MfS im Vorstand des Schriftstellerverbandes. Für die Bewertung der Li-1 teratur bleibt die Stasi-Zuarbeit von Autoren dennoch ein aktuelles Problem. So urteilte die in Berlin lebende Dichterin Elke Erb kürzlich mit Blick auf den Fall Sascha Anderson, der Dichter höre da auf, wo die Arbeit des inoffiziellen Mitarbeiters beginne, denn „in dem Denunzianten ist der Schriftsteller, erloschen“ Schließlich gilt auch hier wie in allen Bereichen der DDR-Gesellschaft: Die Staatssicherheit konnte nur dort Einfluß gewinnen, wo es keine funktionierende Öffentlichkeit und keinen freien Meinungsaustausch gab. Hier lagen bei der offiziellen Literatur und auch bei der Altemativliteratur der DDR die wohl entscheidendsten Defizite.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Christa Wolf und Gerhard Wolf wurden von der Staatssicherheit im Operativen Vorgang (OV) „Doppelzüngler“ ob-serviert, Günter de Bruyn im OV „Roman“.

  2. Zur Literatur erschienen bisher: Deckname „Lyrik“. Eine Dokumentation von Reiner Kunze, Frankfurt am Main 1990; Erich Loest, Die Stasi war mein Eckermann oder: mein Leben mit der Wanze, Göttingen 1991; Hans Joachim Schädlich (Hrsg.), Aktenkundig, Berlin 1992; Peter Böthig/Klaus Michael (Hrsg.): MachtSpiele. Literatur und Staatssicherheit, Leipzig 1993.

  3. Vgl. Wolf Biermann, Der Lichtblick im gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Rede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises, in: Die Zeit, Nr. 44 vom 25. 10. 1991; ders., Laß o Welt laß mich sein! Rede zum Eduard-Mörike-Preis, in: Die Zeit, Nr. 47 vom 15. 11. 1991.

  4. Nach dem Bericht von Klaus Höpcke lautete die -eher hilflos wirkende -Antwort W. F. Schauros auf die Ausweisung von Biermann: „Ein Mann, den der Feind nicht mehr bei uns einsetzen kann, wird für ihn zu einer nutzlosen Figur. Insofern haben wir dem Feind einen guten, wirksamen Schlag versetzt.“ Notiz über ein Gespräch mit Genossen W. F. Schauro am 21. Dezember 1976 in Moskau, ZPA (Zentrales Partei-Archiv) LV B 2906/104.

  5. Vgl. Peter Roos (Hrsg.): Exil. Eine Dokumentation zur Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR, Köln 1977; Dieter E. Zimmer (Hrsg.), Über Wolf Biermann und die Folgen, Berlin 1977; Joachim Walther (Hrsg.), Protokolle eines Tribunals. Die Ausschlüsse aus dem DDR-Schriftstellerverband 1979, Reinbek 1991.

  6. Vgl. Über die Aufgaben der Literatur-und Kunstkritik. Maßnahmen zur Auswertung des Beschlusses des Politbüros vom 8. 11. 1977. Bericht vom 15. 12. 1977, ZPA IV B 2/906/17.

  7. An dieser Beratung nahmen Kurt Hager, Hans-Joachim Hoffmann und Ursula Ragwitz teil. Notiz vom 24. 10. 1978, ZPA IV B 2/906/46.

  8. Vgl. J. Walther (Anm. 4).

  9. Vgl. Günter Grass/Frank-Wolf Matthies, Ein Briefwechsel, in: L’ 80. Demokratie und Sozialismus. Politische und literarische Beiträge, Heft 17, Februar 1981.

  10. Schreiben Mielkes vom 22. Dezember 1976, MfS 353/16.

  11. Hinweise über einige Probleme im Zusammenhang mit feindlich-negativen Aktivitäten von Personen auf dem Gebiet der Kultur vom 8. 1. 1977, MfS 5527.

  12. Ebd. Besonders hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf die Beiträge von Klaus Jarmartz in der theoretischen Zeitschrift „Einheit“, (1976) 9, und im Band 11 der Literaturgeschichte der DDR.

  13. Vgl. Karl Wilhelm Fricke, „Schild und Schwert der Partei“. Das Ministerium für Staatssicherheit -Herrschaftsinstrument der SED, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 21/92; ders., Das MfS und die Schriftsteller, in: Deutschland Archiv, 25 (1992) 11.

  14. Vgl. David Gill/Ulrich Schröter, Das Ministerium für Staatssicherheit. Anatomie des Mielke-Imperiums, Berlin 1991, S. 51.

  15. Der Nachweis entsprechender Dienstanweisungen, Richtlinien bzw. Befehle für die Einrichtung der Abteilung XX/9 konnte bislang noch nicht erbracht werden. Vorliegende Unterlagen lassen aber den Schluß zu, daß die Abteilung XX/9 spätestens Ende 1980 bzw. zum 1. 1. 1981 entstanden ist. Sie verfügte über 5 Referate: Referat I: Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit unter Intellektuellen, Referat II: Bearbeitung operativer Schwerpunktvorgänge gegen Exponenten politischer Untergrundätigkeit, Referat III: Bearbeitung feindlicher Stützpunkte, Referat IV: Bearbeitung bedeutsamer zentraler überbezirklicher Vorgänge und Materialien mit Bezirksverwaltungen, Referat V: Bearbeitung politischer Untergrundtätigkeit unter kulturell-künstlerischen Personenkreisen. Referate-Schlüssel vgl. Joachim Walther: Mielke und die Musen. DDR-Literatur und Staats-sicherheit. Bericht vor der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages am 4. 5. 1993 in Berlin.

  16. Vgl. Zentrale Planvorgabe für die Jahresplanung 1978 vom 2. Januar 1978, GVS 008-20/78.

  17. Vgl. Franz Fühmann, Schneewittchen. Ein paar Gedanken zu zwei jungen Dichtern, in: Sinn und Form, 28 (1976) 4, S. 1259-1264.

  18. Vgl. Klaus Michael, Eine verschollene Anthologie. Zentralkomitee, Staatssicherheit und die Geschichte eines Buches, in: MachtSpiele (Anm. 1), S. 202-216.

  19. Protokoll Nr. 89 der Sitzung des Sekretariats des ZK vom 11. November 1981, ZPA J IV 2/3/3295.

  20. ZPA IV D-2/8. 02/649.

  21. Vgl. Anm. 17.

  22. Konzeption zur Arbeit mit jungen Schreibenden und anderen am Schreiben interessierten Bürgern. Maßnahmen zur Durchführung des Beschlusses des Sekretariats des ZK vom 11. 11. 1981, BV Berlin A 972 A.

  23. Politisch-operative Erfordernisse zur Unterstützung der Durchführung vom Sekretariat des ZK der SED gefaßter Beschlüsse für die Arbeit mit bestimmten auf literarischem Gebiet tätigen Personen, WS vom 17. 12. 1981 ASt., BV Berlin A 972.

  24. Vgl. Vorschlag für Maßnahmen, um eine bessere Über-sicht über Anträge zur Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit als Schriftsteller zu erhalten und die Anträge besser steuern zu können (ohne Verfasser), 6. 11. 1979.

  25. Vgl. Anm. 21.

  26. Vgl. Jens Henkel/Sabine Russ (Hrsg.), D 1980 D 1989 R. Künstlerbücher und originalgrafische Zeitschriften im Eigenverlag. Bibliographie, Gifkendorf 1991; Klaus Michael, Papierboote. Selbstverlegte Literaturzeitschriften in der DDR, in: Gabriele Muschter/Rüdiger Thomas (Hrsg.), Jenseits der Staatskultur. Traditionen autonomer Kunst in der DDR, München 1992, S. 62-82; Klaus Michael/Thomas Wohlfahrt (Hrsg.), Vogel oder Käfig sein. Literatur und Kunst aus unabhängigen Zeitschriften in der DDR 1979-1989, Berlin 1992; Thomas Günther, Die subkulturellen Zeitschriften in der DDR und ihre kulturgeschichtliche Bedeutung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20/92, S. 27-36.

  27. Personen und Vorgänge im einzelnen waren: Stefan Döring, OPK „Ring“; Franz Fühmann, OV „Filou“; Thomas Günther, OV „Trio“; Eberhard Häfner, OV „Deuter“; Wolfgang Hilbig, OV „Buch II“; Uwe Kolbe, OV „Poet“; Leonhard Lorek, OV „Feder“; Gert Neumann, OV „Anthologie II“; Detlef Opitz, OV „Georg“ und OV „Otter“; Bert Papenfuß-Gorek, OPK „Fuß“; Lutz Rathenow, OV „Pegasus“ und OV „Assistent“; Rüdiger Rosenthal, OV „Hase“; Dieter Schulze, OV „Bummelant“; Bettina Wegner, OV „Schreiberling“.

  28. Vgl. ein Strategiepapier von IMB „David Menzer“ (Sascha Anderson) zum Umgang mit den Autoren eines Arbeitsheftes für die Akademie der Künste, in: MachtSpiele (Anm. l), S. 250-273.

  29. Information (zu Uwe Kolbe) vom 24. 3. 1982, HA XX/7, XV 7132/81.

  30. Major Hans-Werner Hagen, Zur Rolle, Stellung und Arbeitsweise feindlicher ideologischer Stützpunkte aus Kreisen freiberuflich tätiger Kunst-und Kulturschaffender bei der Intensivierung der PID gegen die DDR, Diplomarbeit an der Juristischen Hochschule Potsdam vom 6. 12. 1985, S. 44.

  31. Ebd., S. 46.

  32. Vgl. Dienstanweisung Nr. 2/85 zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung Politischer Untergrundtätigkeit vom 20. 2. 1985, VVS-0OO 8 6/85, abgedruckt in: Karl Wilhelm Fricke, MfS intern. Macht, Strukturen, Auflösung der DDR-Staatssicherheit, Köln 1991, S. 146-163.

  33. Vgl. Jan Faktor, Sechzehn Punkte zur Prenzlauer-Berg-Szene, in: MachtSpiele (Anm. 1), S. 91-111, und Leonhard Lorek, Ciao! Von der Anspruchslosigkeit der Kapitulation, ebd., S. 112-125.

  34. Die Gründungsdaten für die Bürgerrechtsgruppen sind: Ende 1985: Frieden und Menschenrechte, 1986: Umwelt-bibliothek, 1986: Friedrichsfelder Friedenskreis.

  35. Information über die nichtgenehmigte Herstellung und Verbreitung von sogenannten Literaturzeitschriften in der DDR vom 1. 8. 1984, HA XX ZMA 1619.

  36. Vgl. Information zu Erkenntnissen über im Selbstverlag (Samisdat) erscheinende Literatur und Kunstzeitschriften, Dresden, 8. 9. 1987, HA XX ZMA 1619.

  37. Erste Überlegungen vom 10. 3. 1987, BV Berlin, ZMA 1619.

  38. Ebd.

  39. Planorientierung für das Jahr 1989 vom 1. 11. 1988, in: Gerhard Besier/Stephan Wolf (Hrsg.): „Pfarrer, Christen und Katholiken“. Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirchen, Neukirchen-Vluyn 1991, S. 581.

  40. So behielt sich Erich Honecker stets vor, über die Reise-gesuche von Lutz Rathenow persönlich zu befinden. Vgl. MachtSpiele S. 280.

  41. Elke Erb: Dichter und Denunziant. Vortrag zum Seminar „Sicherheitsdienste und Literatur“ in der Rudomino-B. ibliothek für Fremdsprachige Literatur in Moskau am 7. 4. 1993.

Weitere Inhalte

Klaus Michael, geb. 1959; Literaturhistoriker in Berlin; Forschungen zur selbstverlegten Literatur der DDR; Forschungsauftrag zur Altemativkultur für die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte und Folgen der SED-Diktatur. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Th. Wohlfahrt) Vogel oder Käfig sein. Literatur und Kunst aus unabhängigen Zeitschriften der DDR, Berlin 1992; (Hrsg. zus. mit P. Böthig) MachtSpiele. Literatur und Staatssicherheit, Leipzig 1993.