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Der Wandel der Kulturstrukturen in den neuen Bundesländern | APuZ 22-23/1993 | bpb.de

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APuZ 22-23/1993 Kultur und Kulturpolitik in den neuen Bundesländern: das Beispiel des Deutschen Nationaltheaters Weimar Der Wandel der Kulturstrukturen in den neuen Bundesländern Feindbild Literatur Die Biermann-Affäre, Staatssicherheit und die Herausbildung einer literarischen Altemativkultur in der DDR

Der Wandel der Kulturstrukturen in den neuen Bundesländern

Thomas Strittmatter

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Trotz des Artikels 35 des Einigungsvertrages, der den Erhalt der „kulturellen Substanz“ in den neuen Bundesländern vorübergehend auch zur Aufgabe der Bundesregierung macht, ist die Übertragung der föderalen Kulturverwaltungsstrukturen der alten auf die neuen Bundesländer mit einem Abbau kultureller Einrichtungen verbunden. Um diese Entwicklung differenziert bewerten zu können, bedarf es konkreter Analysen, wie sie das Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) Bonn/Berlin im Rahmen seiner projektbezogenen Kulturberatung in den neuen Bundesländern mehrfach durchgeführt hat. Dabei zeigte sich, daß besonders im sogenannten Breitenkulturbereich die Verluste an Einrichtungen in den auch wirtschaftlich struktur-schwachen Gebieten teilweise erhebliche Ausmaße angenommen haben. In den sogenannten Hochkultur-bereichen (Theater, Orchester, Museen usw.) konnte dagegen -unter Einsatz des größten Teils der Mittel aus der Übergangsfinanzierung des Bundes -bisher ein drastischer Abbau verhindert werden. Die Fortsetzung des Umstrukturierungsprozesses unter den sich weiter verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen sowie im Zusammenhang mit den Kreisgebiets-und Kommunalreformen in den neuen Bundesländern läßt eine weitere regressive Entwicklung in fast allen Kulturbereichen erwarten. Spätestens dann, wenn diese Entwicklung eintritt, ist eine Gefährdung der kulturellen Substanz in einigen Gebieten nicht mehr auszuschließen. Bund, Länder, Kreise und Kommunen müssen deshalb alle verbliebenen Möglichkeiten nutzen, um wenigstens Mindestvoraussetzungen für die kulturellen Entwicklungsmöglichkeiten zu sichern.

I. Kulturlandschaften im Umbruch

Mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland setzte ein tiefgreifender Umstrukturierungsprozeß in den nun neuen Bundesländern ein, der alle gesellschaftlichen Bereiche umfaßt. Für den Kulturbereich bedeutet das die Herauslösung aus den zentralistisch organisierten Strukturen der „Leitung und Planung der gesellschaftlichen Entwicklung“, in deren Rahmen in der DDR die finanziellen, materiellen und personellen Ressourcen für die kulturellen Aufgaben in den Bezirken, Kreisen und Gemeinden festgelegt wurden. Das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen war schon in den fünfziger Jahren weitgehend abgeschafft worden. Die Städte und Gemeinden fungierten als unterstes Glied des hierarchischen Staatsaufbaus. Kulturpolitisch hatten sie die zentral bestimmten, an ideologischen Prämissen orientierten und auf kulturell-erzieherische Wirkungen bedachten Funktionen der kulturellen Institutionen und Einrichtungen zu gewährleisten. Mit der umfassenden staatlichen Alimentierung von Kultur und Kunst war gleichzeitig die Bestimmung ihrer inhaltlichen Grenzen verbunden.

Es muß hier hinzugefügt werden, daß sich zwischen den ideologisch geprägten Vorstellungen über Funktions-sowie Wirkungsweisen von Kultur und Kunst und den real ablaufenden Prozessen in aller Regel eine Schere auftat. Der Widerspruch bestand gerade darin, daß es immer wieder gelang, innerhalb der staatlich kontrollierten Kultur-strukturen Nischen zu öffnen, die in mehr oder weniger gerichteter Opposition zur offiziellen (Kultur-) Politik standen. Die Verbote der Auftritte von Künstlern, ganzer Veranstaltungsreihen, aber auch das Beharren auf Kommunikations-und Unterhaltungsangeboten unter Negierung der geforderten politisch-ideologischen Bildungsangebote durch die Leitungen der Kultureinrichtungen belegen dies zahlreich.

Im Ergebnis der vierzigjährigen zweistaatlichen Entwicklung hatten sich in Ost-und Westdeutschland unterschiedliche Kulturstrukturen herausgebildet und gefestigt. Mit der Übernahme der föderalen Kulturverwaltungs-und Förderstrukturen der alten Bundesländer war deswegen die Gefahr verbunden, daß der Umstrukturierungsprozeß in den neuen Bundesländern mit einem erheblichen Abbau kultureller Institutionen und Einrichtungen einhergehen würde.

Mit vielfältigen Aktionen und Initiativen machten daher die Künstler/innen und Kulturarbeiter/innen Ostdeutschlands bereits im Spätherbst 1989 auf die Probleme aufmerksam, die sich aus der abrupten Übertragung der westdeutschen Kultur-strukturen auf die Kulturlandschaft der ehemaligen DDR und damit hinsichtlich ihrer Existenzbedingungen ergeben könnten. Dies hatte weniger -wie vielfach unterstellt wurde -mit der Bewahrung von Privilegien zu tun (die faktische Arbeitsplatz-garantie bestand in der DDR für alle Berufsgruppen). Vielmehr sind die frühzeitigen Warnungen darauf zurückführbar, daß in dem weitgehend auf kommunale bzw. staatliche Förderungen angewiesenen Kunst-und Kulturbereich keine Illusionen über eine -durch Privatisierung o. ä. -zu erreichende Marktfähigkeit entstehen konnten, wie das in den Wirtschaftsbereichen der Fall war. Als sicher galt jedoch, daß die herausragende Stellung, die den Kommunen innerhalb einer föderalen Kulturstruktur zukommt (sie stellen in den alten Bundesländern weit über zwei Drittel der dafür eingesetzten Finanzmittel zur Verfügung), durch die Städte und Gemeinden in Ostdeutschland nicht so schnell zu erreichen sein würde. Hinzu kam, daß nicht nur Künstler/innen und Kulturarbeiter/innen die Auffassung vertraten, daß die kulturellen Strukturen Ostdeutschlands eine eigenwertige Leistung darstellten, die zumindest teilweise erhaltenswert sei.

Aufgrund vielfältiger Interventionen konnte die Aufnahme eines „Kulturartikels“ in den Einigungsvertrag der beiden deutschen Staaten durchgesetzt werden. Artikel 35 des Vertrages bestimmt, daß neben den Ländern und Kommunen auch der Bund eine befristete Verantwortung fürden Erhalt der „kulturellen Substanz“ in den neuen Bundesländern übernimmt. Die Bundesregierung richtete in diesem Sinne eine vorerst bis 1994 befristete Übergangsfinanzierung ein, um den Strukturwandlungsprozeß im Kulturbereich Ostdeutschlands zu unterstützen.

Damit sind die neuen Bundesländer insgesamt in einer unvergleichlich besseren Lage als diejenigen osteuropäischen Staaten, die ihren gesellschaftlichen Strukturwandel -und besonders den in den jeweiligen Kulturbereichen -weitgehend aus eigener Kraft bewältigen müssen. Das heißt andererseits nicht, daß die Entwicklung der Kulturlandschaft in den neuen Bundesländern problemlos verläuft.

Das Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) in Bonn hat, besonders auch durch sein 1990 mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (BMBW) in Berlin eröffnetes Institut Berlin/Potsdam, im Rahmen konkreter Projekt-forschungen verschiedene Seiten des kulturellen Umbruchsprozesses in einigen der neuen Bundesländer untersucht Auf der Grundlage der dabei gewonnenen Ergebnisse, die auch durch Untersuchungen anderer Institutionen bestätigt werden, sollen nachfolgend der Entwicklungsstand und die Probleme verschiedener Sektoren des Kulturbereichs dargestellt werden.

II. Von der Kulturadministration zur Kulturverwaltung

Ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Umstrukturierungsprozesses in den neuen Bundesländern und gleichzeitig eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die Etablierung eines föderalen Kulturverwaltungssystems. Wie bereits angedeutet, existierte in der DDR kein Verwaltungsapparat im klassischen Sinne. Die Aufgaben der Räte der Bezirke, Kreise, Städte und Gemeinden waren geprägt von einer Mischung aus zentral vorgegebenen Planungs-und Verwaltungsrichtlinien sowie ideologisch begründeten Erziehungs-und Kontrollfunktionen, hatten also administrativen Charakter.

Aus den ehemaligen Abteilungen Kultur entstanden in den Kommunen -zumeist mit personellen Veränderungen verbunden -Kulturämter, Kultur-dezernate u. ä. Deren interne Strukturen, wie die der Verwaltungen insgesamt, sind in den einzelnen neuen Bundesländern unterschiedlich ausgeprägt.

Das hängt damit zusammen, daß die jeweiligen Partnerländer bzw. Partnerkommunen aus Westdeutschland im Rahmen ihrer Unterstützungsaktionen einen erheblichen Einfluß auf diese Strukturbildung ausübten.

In der ersten Aufbauphase wurden oft Korrekturen an den Verwaltungsstrukturen vorgenommen. Dadurch kam es zu einer allgemein beklagten Zunahme der „Bürokratie“, weil auf der einen Seite die Ämter mit sich selbst zu tun hatten und andererseits die Kompetenz der Verwaltungsmitarbeiter noch ungenügend entwickelt war, worunter die Effizienz der Verwaltungsabläufe litt. Diese an sich normalen Umstellungsprobleme sind vor allem deswegen erwähnenswert, weil in der gleichen Zeit die Übergangsfinanzierung des Bundes,die für viele Kultureinrichtungen existentielle Bedeutung hatte, sachgerecht zu beantragen und zu verwalten war. Abgesehen davon, daß die Programme selbst eine gewisse Anlaufzeit benötigten und deshalb die Zuwendungsbescheide 1991 die Kommunen zum großen Teil erst im letzten Quartal erreichten, gab es auch oft Unsicherheiten in den Kommunalverwaltungen über die Zuwendungsvoraussetzungen sowie die Art und Weise der Antragstellung.

Diese Anfangsschwierigkeiten sind mittlerweile überwunden, und die ostdeutschen Kommunen gestalten die kulturelle Entwicklung mit wachsender Kompetenz. Allerdings treten qualitative Unterschiede -wie auch in den alten Bundesländern -besonders zwischen solchen Kommunen auf, die ein eigenständiges Kulturamt haben, und solchen, in denen Kultur nur eines von mehreren Ressorts innerhalb eines Amtes ist.

Die Neuorganisation der Kulturverwaltungen führte dabei zur Ausgliederung bestimmter Aufgaben aus dem Verantwortungsbereich der Kulturämter (z. B.der Denkmalpflege) und zu veränderten Ressortzuweisungen von Einrichtungen (z. B. einer großen Zahl von Jugendklubs). Eine weitgehende Angleichung der Kulturressortstrukturen an die der alten Bundesländer ist damit bereits vollzogen worden.

Ausschlaggebend für die relativ schnell erfolgreiche Bildung funktionierender Kulturverwaltungen scheint u. a. gewesen zu sein, daß in der DDR durchaus ein weiter Kulturbegriff wirksam war. Er implizierte nicht nur die schönen Künste und deren Institute und Einrichtungen. Dezentrale Kultur-arbeit, Soziokultur, Stadtteilkulturarbeit usw. waren -wenn auch die beiden erstgenannten nicht unter dieser Begrifflichkeit -keine unbekannten Aufgabenfelder, sondern Bestandteile auch zentralistisch geleiteter Kulturpolitik und Kulturarbeit. Davon zeugten z. B. die Kulturhäuser, Klubs und Stadtteilbibliotheken in den Wohngebieten, die Vielzahl der stadtteilbezogenen Volksfeste, die Zusammenarbeit der kommunalen Kulturverwaltungen sowie der Kultureinrichtungen mit Wirtschaftsbetrieben und Institutionen der Gesellschaft, Einrichtungen des Sozialwesens usw.

Die kulturelle Entwicklung war als Querschnitt-aufgabe von den jeweiligen Fachabteilungen Kultur zu koordinieren, die allerdings untej den bekannten politisch-ideologischen Restriktionen gelöst werden mußte. Deswegen konnte eines der wichtigsten Ergebnisse der kulturpolitischen Reformbewegung der siebziger Jahre in den alten Bundesländern -die Verknüpfung kultureller und politischer Bürgerinitiativen, wodurch u. a. die Mitbestimmung breiterer Bevölkerungskreise innerhalb kommunaler Entscheidungsfelder allgemeine Praxis wurde -in der DDR nicht realisiert werden. Hier besteht ein großer Nachholbedarf, für dessen Befriedigung -neben dem Erhalt der Theater-und Orchesterlandschaft, der Museen, Galerien usw. -sich die Kulturverwaltungen in Ostdeutschland von Anfang an aktiv durch die Förderung der sogenannten Breitenkultur einsetzen.

Die Studien, die das ZfKf im Auftrag des Kultursenators von Berlin realisierte, zeigen z. B., daß die meisten Kulturamtsleiter/innen der Ostberliner Bezirke ihre Aufgabenstellungen insgesamt komplexer auffassen als viele ihrer Westberliner Kollegen/Kolleginnen. Darin ist u. a.der programmatische Grund zu sehen, warum die ehemaligen Abteilungen Kultur der Räte'der Stadtbezirke Ost-berlins nicht zu den für die Westberliner Bezirke typischen Kunstämtern (mit ihrem historisch bedingten, seit längerem jedoch kritisch reflektierten engeren Funktionsverständnis), sondern zu Kulturämtern umgewandelt wurden. Allerdings sind die finanz-und personalpolitischen Entscheidungen des Berliner Senats darauf ausgerichtet, diese Entwicklung rückgängig zu machen. Die vom Berliner Senat geplanten Stellenkürzungen bei den Ostberliner Kulturämtern (ca. 54 Prozent gegenüber 1992), in den Bibliotheken (weitere 300 Stellen) und die Entkommunalisierung der Musikschulen werden zur Schließung zahlreicher bezirklicher Kultureinrichtungen führen. Die strukturell guten Voraussetzungen der Kulturämter in den Ostberliner Bezirken -einschließlich ihrer mehrheitlich besseren Ausstattung mit Kultureinrichtungen -würden radikal abgebaut und auf das Niveau von Kunstämtern zurückgeführt.

Abgesehen von den spezifischen Kompetenzverteilungs-Verhältnissen zwischen dem Senat und den Bezirksämtern in Berlin können auch die Kommunen in den neuen Bundesländern -insgesamt gesehen -ihre kulturellen Selbstverwaltungsrechte bisher nur bedingt wahrnehmen. Die Hauptursachen dafür sind in der auf absehbare Zeit andauernden komplizierten Haushaltssituation der Kommunen zu sehen, die «wiederum im Zusammenhang mit der Vielzahl der wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den neuen Bundesländern steht. Hinzu kommt die große Abhängigkeit von der Übergangsfinanzierung des Bundes, ohne die der Zusammenbruch der kulturellen Infrastruktur in Ostdeutschland unvermeidbar gewesen wäre.

III. Zur Rolle der Übergangsfinanzierung des Bundes

In der DDR gab es eine in weiten Teilen durchaus entwickelte kulturelle Infrastruktur. Selbst westdeutsche Experten waren -nachdem sie diesen Entwicklungsstand zur Kenntnis nehmen konnten -von der funktionalen Differenziertheit, der finanziellen und personellen Ausstattung, aber auch der Verteilung der kulturellen Einrichtungen in den einzelnen Gebieten des Landes oft überrascht. So wies die Statistik für das Jahr 1989 folgende Zahlen für kulturelle Einrichtungen in der DDR aus:

6 256 Staatliche Allgemeinbibliotheken, hauptamtlich geleitet (einschließlich Zweig-bibliotheken und Ausleihstellen) 7 289 Staatliche Allgemeinbibliotheken, nebenamtlich geleitet (einschließlich Zweig-bibliotheken und Ausleihstellen) 2 552 Gewerkschaftsbibliotheken, hauptamtlich geleitet (einschließlich Zweigbibliotheken und Ausleihstellen) 753 Gewerkschaftsbibliotheken, nebenamtlich geleitet (einschließlich Zweigbibliotheken und Ausleihstellen) 65 Theaterbetriebe (selbständige Intendanzen; Stand 1988), darunter: 9 Puppentheater 10 Kabaretts 87 Orchester (einschließlich Theaterorchester)751 Museen der verschiedensten Gattungen 112 Musikschulen (zur Ausbildung des professionellen Nachwuchses) 104 Musikunterrichtskabinette (zur Ausbildung von Laienmusikern) 805 Filmtheater 117 Zoologische Gärten und Heimattiergärten 861 Kulturhäuser, davon: 337 Kulturhäuser der Volkseigenen Industrie 23 Kulturhäuser der Volkseigenen Land-und Forstwirtschaft, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften 454 Staatliche Kulturhäuser 47 Klubhäuser gesellschaftlicher Organisationen.

Darüber hinaus gab es eine Vielzahl kleinerer kultureller Einrichtungen, die mit ihrer Arbeit eine spezifische kommunale Wirksamkeit entfalteten und die gerade wegen ihrer räumlich stark gestreuten Verteilung einen wichtigen Teil der kulturellen Infrastruktur ausmachten. Das waren z. B. die Jugendklubs (1988 immerhin 962 hauptamtlich und 8566 nebenamtlich geleitete Einrichtungen), die Dorfklubs, Klubs der Werktätigen, Klubs der Volkssolidarität (Seniorenklubs) u. a. m. Von der offiziellen Statistik wurden diese Kultureinrichtungen jedoch nicht erfaßt. All diese Einrichtungen zählten in der DDR zum sogenannten gesellschaftlichen Kulturbereich, der zum größten Teil direkt (bei den staatlichen Einrichtungen) oder indirekt (bei den Kultureinrichtungen anderer Träger) geleitet und geplant wurde. Weiterhin gehörten dazu die Verlage, die Mehrzahl der Buchhandlungen, die Filmproduktions-und Distributionseinrichtungen u. a. m., auf die hier jedoch nicht näher eingegangen wird, da sie nunmehr zumeist in kulturwirtschaftliche Strukturen eingeordnet sind. Die räumlich weit verzweigte Verteilung der meisten Kultureinrichtungsarten ist als Ausdruck der Bemühungen des DDR-Staates zu werten, seinen kulturellen Einfluß in möglichst allen Gebieten des Landes wirksam werden zu lassen. Besondere Beachtung erfuhren dabei auch die ländlichen, dünn-besiedelten Wirtschaftsräume. Die Kehrseite der Verteilungsdichte kultureller Einrichtungen bestand seit den achtziger Jahren in deren sich zunehmend verschlechterndem baulichem und technischem Zustand. Die DDR war aus wirtschaftlichen Gründen immer weniger in der Lage, diese aufwendige kulturelle Infrastruktur zu erhalten. Daraus resultiert heute der hohe Investitionsbedarf bei fast allen Einrichtungen. Trotzdem gehört für viele Menschen -nicht nur in Ostdeutschland -die kulturelle Infrastruktur zu den (wenigen) eindeutig positiven Leistungen, die die DDR zur deutschen Einheit beigesteuert hat, und diese Bewertung bezieht sich nicht nur auf deren dingliche Kriterien. Die Übergangsfinanzierung des Bundes zum Erhalt von Kernelementen dieser Infrastruktur setzt sich aus fünf Teilprogrammen zusammen: -Das finanziell am umfangreichsten dimensionierte Substanzerhaltungsprogramm (SEP; 1991/92 zus. 1 Mrd. DM) dient ausdrücklich dem Erhalt solcher Kultureinrichtungen, die europäischen und nationalen Rang besitzen. Dazu zählen vor allem die großen Theater, die renommierten Orchester und Philharmonien, bedeutende Museen, Sammlungen und Gedenkstätten. -Mit dem Infrastrukturprogramm (ISP; 1991/92 zus. 500 Mio. DM) werden lokale (kommunale) und regionale Kultureinrichtungen, aber auch Kulturinitiativen und -projekte gefördert, die vorwiegend der Breitenkulturarbeit dienen. Das sind u. a. Bibliotheken, kommunale Kinos und Galerien, Kulturzentren, Bürgerhäuser usw., für deren Erhaltung und Betreibung die Kommunen noch nicht allein die finanziellen Mittel bereitstellen können. -Das (1991/92 Denkmalschutzsonderprogramm zus. 100 Mio. DM) wird für die Sicherung von Einzelbauwerken eingesetzt, die als Denkmale registriert sind und deren weitere Existenz ohne eine solche Unterstützung gegenwärtig nicht zu sichern wäre. -Die Mittel aus dem Titel zur Minderung der Teilungsfolgen (1991/92 zus. 21 Mio. DM) fließen vor allem in Gebiete, die durch die Teilung Deutschlands besondere Nachteile erfahren haben, wie z. B. Ostberlin und andere Kommunen an der ehemaligen Grenze der beiden deutschen Staaten. -Aufgrund der Konzentration einer Vielzahl bedeutender historischer Kultureinrichtungen in Ostberlin und mit Blick auf die Ausgestaltung Berlins als Bundeshauptstadt wurde der Sondertitel für repräsentative kulturelle Einrichtungen im ehemaligen Ostteil Berlins (1991/92 zus. 154 Mio. DM) in das Gesamtprogramm aufgenommen. Vorgesehen ist bei den Programmen, die Ausreichung der Mittel des Bundes an die Bereitstellung von Komplementärmitteln durch die Länder und Kommunen zu binden. Im Zusammenhang mit der geplanten degressiven Entwicklung der Übergangsfinanzierung des Bundes und einem erwarteten Wachstum der Landes-und Kommunalmittel soll die föderale Finanzierungsstruktur der alten auf die neuen Bundesländer -unter Vermeidung größerer Härten und damit von Verlusten an kulturellen Einrichtungen -schrittweise übertragen werden.

Die Analyse der Verteilung der Übergangsfinanzierung (SEP und ISP) auf die neuen Bundesländer und Ostberlin zeigt, daß sie insgesamt der historisch bedingten Dichte der kulturellen Infrastruktur folgt:

Ostberlin und das Land Sachsen verfügen über die meisten und die historisch bedeutendsten Kultur-einrichtungen und haben deswegen die größten Aufwendungen zu deren Erhalt zu tragen. In den vergleichsweise dünnbesiedelten Regionen Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns sind dagegen historisch bedeutende Kultureinrichtungen nur an einzelnen Standorten zu finden. Das wird auch an der absoluten und prozentualen Verteilung der Mittel aus dem SEP und ISP auf die einzelnen Sparten in den Ländern deutlich. In Sachsen und in Ostberlin wurde 1991 über die Hälfte der Gelder (66 bzw. 57 Prozent) für den Theaterbereich eingesetzt, weil hier die höchste Dichte der Theaterlandschaft zu verzeichnen ist und viele Einrichtungen eine internationale Bedeutung besitzen. Als Beispiele seien hier die Semperoper in Dresden, das Gewandhaus und die Oper in Leipzig, in Berlin das ehemalige Schauspiel-jetzt Konzerthaus sowie die Deutsche Staatsoper, die Komische Oper, das Deutsche Theater, das Berliner Ensemble usw. angeführt. Aber auch in den anderen neuen Bundesländern flössen über ein Drittel der Mittel in den jeweiligen Theater-bereich, der damit überall den höchsten Anteil erhielt. Dieser Trend setzt sich auch 1992/93 fort.

Relativ große, jedoch von Land zu Land stark differierende Anteile der Übergangsfinanzierung flössen darüber hinaus in die Bereiche Museen/Sammlungen, Musik/Orchester/Musikschulen, Soziokultur und Bibliotheken. Den übrigen kulturellen Sparten wurden fünf Prozent der Mittel oder weniger zugeteilt

Das Engagement des Bundes bei der Erhaltung der kulturellen Infrastruktur in den neuen Bundesländern einschließlich Ostberlins hat (vorübergehend) eine im Vergleich zu den alten Bundesländern umgekehrte Zusammensetzung der Etatanteile zur Folge. Während in den alten Bundesländern die finanzielle Hauptlast der Kulturförderung von den Kommunen, mit weitem Abstand danach von den Ländern getragen wird, tritt der Bund in Ostdeutschland an die erste Stelle der Förderer, gefolgt von den Ländern, und an dritterStelle stehen die Kommunen Erwartungsgemäß können sie wegen ihrer absolut schwachen Finanzlage die Kulturfinanzierung noch nicht in dem Verhältnis mittragen, wie das in den alten Bundesländern der Fall ist. Das sollte andererseits nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten große Anstrengungen unternehmen, um zur Finanzierung der kulturellen Entwicklungsvoraussetzungen beizutragen. Die Auflage, den Einsatz von Mitteln aus der Übergangsfinanzierung des Bundes an die Bereitstellung von Komplementärmitteln der Länder und Kommunen zu binden, förderte die Mitverantwortung der verschiedenen Träger kultureller Einrichtungen nicht unerheblich.

Interessant ist andererseits, daß sich die Ausgabenstruktur der Kulturetats der neuen Länder offensichtlich an die der alten Bundesländer angleicht. Darauf verweisen z. B. die Eckdaten des Etats von Sachsen-Anhalt 1992 (ohne die Mittel aus der Übergangsfinanzierung betrachtet). Dies kann durchaus als ein Zeichen dafür gewertet werden, daß sich durch die Angleichung der Etatstrukturen die Kulturstrukturen insgesamt denen der alten Bundesländer angleichen werden

Welchen Zeitraum der Angleichungsprozeß hinsichtlich der Kulturfinanzierung tatsächlich noch benötigen wird, läßt sich nur schwer abschätzen. Die Übergangsfinanzierung soll -nach bisherigen Überlegungen -1994 auslaufen. Im Zusammenhang mit der Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs 1995 (unter erstmaliger Einbeziehung der neuen Bundesländer) hofft die Bundesregierung, daß die Länder und Kommunen dann auch in Ostdeutschland weitgehend selbständig ihre Aufgaben bei der Sicherung der kulturellen Entwicklungsvoraussetzungen wahrnehmen können. Bisher allerdings haben sich die Hoffnungen auf eine relativ schnelle wirtschaftliche Konsolidierung der Länder und Kommunen im Osten Deutschlands nicht bestätigt. Im Gegenteil -selbst in den alten Bundesländern hat ein wirtschaftlicher Ab-schwung eingesetzt, der deutliche Tendenzen in Richtung einer länger anhaltenden Rezession zutage treten läßt. Die ersten negativen Folgen für die Kulturetats sind bereits in den Kommunen der alten und neuen Bundesländer erkennbar.

IV. Kultureinrichtungen zwischen Aufschwung, Abwicklung und Aufgabenprofilierung

Die Wiederherstellung der kulturellen Selbstverwaltungsrechte der Kommunen und damit verbunden die Etablierung neuer Verwaltungsstrukturen und Finanzierungsgrundlagen bewirken deutliche Veränderungen hinsichtlich der Zahl, der fachlichen Zuordnung und der räumlichen Verteilung der Kultureinrichtungen im Osten Deutschlands. Relativ selbstverständlich war dabei die Abwicklung von Institutionen und Einrichtungen, die der „inhaltlichen Anleitung“ der Kulturarbeit dienten. Das betraf neben dem Ministerium für Kultur und seinen Einrichtungen auch z. B. die Bezirks-und Kreiskulturakademien sowie die Bezirks-und Kreiskabinette für Kulturarbeit.

Die Ergebnisse der vom ZfKf durchgeführten Untersuchung zur Entwicklung der kulturellen Infrastruktur im Land Brandenburg -durchgeführt im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes -belegen bei den besucherorientierten Einrichtungstypen erhebliche Unterschiede hinsichtlich des zeitlichen Verlaufs und der Ergebnisse der Umstrukturierung. Andere Untersuchungen bestätigen, daß die Brandenburger Untersuchungsergebnisse den generellen Entwicklungstrend in den neuen Bundesländern widerspiegeln

Die auf der Grundlage des Einigungsvertrages 1991/92 durch den Bund bereitgestellten Mittel im Rahmen des SEP, aber auch die Aufwendungen der Länder und Kommunen haben bewirkt, daß im Bereich der sogenannten Hochkultur (z. B. Theater, Orchester, Museen) 1991 die Zahl der Einrichtungen weitgehend gehalten, in manchen Fällen sogar erhöht werden konnte. Der Umstrukturierungsprozeß beschränkte sich in diesen Bereichen vor allem auf verwaltungsrechtliche Zuordnungen und die Modifizierung von Betriebsformen der Einrichtungen (Landes-oder kommunale Zuständigkeiten) sowie die Entwicklung entsprechender innerinstitutioneller Strukturen. Trotz der im europäischen Maßstab hohen Theater-und Orchesterdichte, über die die DDR verfügte, mußte 1991 keine Theaterinstitution schließen. Im Land Brandenburg, das neben Mecklenburg-Vorpommern vergleichsweise wenige Theaterstandorte aufweist, entstanden sogar ein Kinder-und Jugend-theater in Cottbus und eine Theaterspielstätte in Prenzlau neu. Allerdings wurden zwei Theater-orchester (Cottbus, Senftenberg) aufgelöst, weil in diesen Städten gleichzeitig Sinfonieorchester existieren. Auch in Potsdam gab es eine Fusion zweier ehemals selbständiger Klangkörper. Bei den Museen erfolgte lediglich die Schließung einer Gedenkstätte in der Stadt Guben, die dem ersten Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, gewidmet war. Andererseits zeichnete sich bereits mit dem Aufbau bzw.der Wiedererrichtung von 16 Heimatstuben, Museen o. ä. eine Verbesserung der Museumsinfrastruktur ab.

Bei den Musikschulen, deren Kapazitäten in der DDR (m europäischen Vergleich stark defizitär waren, ist ebenfalls ein positiver Entwicklungstrend feststellbar. So konnten z. B. durch die Umwandlung von Außenstellen und Musikunterrichtskabinetten in eigenständige Musikschulen die Kapazitäten erweitert werden.

Die ebenfalls erheblichen Anstrengungen der Länder und vor allem der Kommunen einschließlich der Wirksamkeit des ISP des Bundes konnten nicht verhindern, daß der bei den Breitenkultureinrichtungen 1991 sofort und vehement einsetzende Umstrukturierungsprozeß mit teilweise erheblichen Verlusten an Einrichtungen verbunden war.

Im früher räumlich weitverzweigten Bibliotheksnetz der DDR setzte ein Konzentrationsprozeß ein, der u. a. die Schließung sehr vieler nebenamtlich geleiteter Gemeindebibliotheken, aber auch hauptamtlich geleiteter Ausleihstellen mit sich brachte. Allein von 1989 bis 1990 sank im Land Brandenburg die Zahl der ehemals staatlichen, jetzt kommunalen Bibliotheken um 41 Prozent (haupt-und nebenberuflich geleitete Einrichtungen zusammengefaßt). Darunter befanden sich auch verschiedene Einrichtungen, die wegen ihrer räumlichen Unterbringung und schlechten Ausstattung den? Bibliotheksbegriff kaum entsprochen haben. Durch die Masse der Bibliotheksschließungen ist aber der Weg des Lesers zum Buch in vielen Regionen deutlich länger geworden. Ins Gewicht fällt dabei zusätzlich, daß das von den Gewerkschaften in der DDR unterhaltene Bibliothekssystem in den Groß-und Mittelbetrieben und den Gewerkschaftskulturhäusern praktisch nicht mehr existiert. Die ehemals stärker auf Unmittelbarkeit und interpersonelle Kommunikation ausgerichtete Bibliotheksarbeit verändert sich durch diese Entwicklung auch in solchen Fällen, wo die Schließung von kleineren Einrichtungen durch den Einsatz von Fahrbibliotheken kompensiert wird. Die parallel stattfindende Aktualisierung der Bestände in den noch verbliebenen Bibliotheken hat nicht verhindern können, daß sich die Nutzer-zahlen 1991 rückläufig entwickelten.

Die Kinos sind zum größten Teil privatisiert und damit in kulturwirtschaftliche Strukturen eingeordnet worden. Hier fand eine marktwirtschaftlich orientierte Strukturbereinigung statt, die durch die Schließung von Kinos besonders in kleinen und mittelgroßen Städten (insgesamt im Land Brandenburg ca. 43 Prozent) und die Planung großer Kino-center in den Großstädten charakterisiert ist. Hatten 1991 noch relativ viele Kommunen in den neuen Bundesländern den Versuch unternommen, ein kommunales Kino zu unterhalten, so reduzierte sich deren Zahl 1992 um etwa die Hälfte

Weiterhin wurden ca. 40 Prozent der staatlichen Kulturhäuser, 54 Prozent der Jugendklubs und fast 70 Prozent der Gewerkschaftskulturhäuser geschlossen oder nicht mehr genutzt, stehen also als kulturelle Einrichtungen nicht mehr zur Verfügung. Abgesehen davon, daß sich hinter diesen hohen Schließungsraten auch der Abbau bestimmter Überkapazitäten verbirgt, haben wir es vor allem bei den Kulturhäusern mit einem Typ von Einrichtung zu tun, dessen funktionelle Basis am engsten mit den nun nicht mehr bestehenden gesellschaftlichen Organisationsstrukturen der DDR verknüpft war. Ihre Traditionslinie führt auf die Volkshäuser der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Deutschland vom Anfang dieses Jahrhunderts zurück. Während diese Tradition in der Bundesrepublik nicht wieder aufgenommen wurde, erfuhr sie in der DDR eine starke Überformung durch Aufgabenstellungen, wie sie die Kulturhäuser in der Sowjetunion zu erfüllen hatten. Für diese Einrichtung gibt es somit in den alten Bundesländern kein Pendant. Die noch bestehenden Einrichtungen versuchen sich als soziokulturelle Zentren, Kulturzentren oder Bürgerhäuser zu profilieren. Ihre Übernahme durch freie Träger ist dabei ein Weg, den viele Kommunen gehen wollen und teilweise bereits gegangen sind. Doch treten hierbei oft Probleme auf. Das betrifft z. B. ungeklärte Eigentumsfragen, den Zustand der Gebäude oder auch deren Größe, die ein freier Träger nicht bewirtschaften kann.Anders liegt die Problematik bei den Jugendklubs, die in der DDR zu den kulturellen Einrichtungen zählten und deren inhaltliche Arbeit meist auch dementsprechend ausgerichtet war. Trotz der zentralen und örtlichen Reglementierungsversuche gab es jedoch gerade in dieser Einrichtungsform die weitestgehenden Möglichkeiten, eine an den tatsächlichen Interessen der Jugendlichen orientierte Programm-und Aktivitätsstruktur aufzubauen, weil die meist kleinen Einheiten ausgeprägte Selbstverwaltungsmöglichkeiten aufwiesen. Entsprechend den Ressortzuständigkeiten in den alten Bundesländern müssen viele der noch bestehenden Jugendklubs in die des Jugendamtes wechseln, wodurch in vielen Kommunen die räumliche Basis jugendkultureller Aktivitäten erheblich eingeschränkt wird. Eine verstärkte Einbeziehung kultureller Aspekte in die Jugendsozialarbeit erfolgt andererseits nur selten, weil sich oft Ressort-egoismen als dominanter erweisen.

Insgesamt haben alle bisherigen Analysen zur Entwicklung der kulturellen Infrastruktur in den neuen Bundesländern gezeigt, daß besonders in den ländlichen Regionen sowie in den Klein-und Mittelstädten die rückläufige Entwicklung der Zahl von Kultureinrichtungen am deutlichsten ist und fast alle Einrichtungsarten betrifft. Vor allem die Großstädte können die Schließungen von Einrichtungen vergleichsweise leichter kompensieren, da sie oft über Mehrfachausstattungen verfügen.

Die hier nur kurz ausgeführten Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, daß quantitative Entwicklungen von Einrichtungszahlen allein noch keine Bewertung zulassen, ob es sich bei den stattfindenden Prozessen um eine „notwendige“ Strukturbereinigung/Strukturanpassung bzw. um einen tatsächlichen kulturellen Substanzverlust (bezogen auf die materiellen und räumlichen Voraussetzungen kultureller Aktivitäten) handelt. Zumindest sind neben der konkreten Situation der Kommunen Aspekte des gesellschaftlichen Kontextes, in dem die Einrichtungen standen und stehen, bei der Bewertung mit zu beachten, will man nicht eine un-differenzierte Einschätzung der gegenwärtigen Entwicklung vornehmen.

Allerdings bedeutet die Schließung von Kultureinrichtungen immer den Verlust „kultureller Orte“, in denen sich z. B. ein durch freie Kulturinitiativen/Kulturvereine usw. getragenes Angebot entwickeln könnte. Insofern ist die durch die Brandenburger Untersuchung aufgezeigte Häufung von Einrichtungsverlusten z. B. in den Landkreisen Ca-lau, Spremberg, Strausberg, Nauen, Oranienburg und Perleberg sowie in der Stadt Schwedt als Indiz dafür zu betrachten, daß die Veränderungen vor allem in den wirtschaftlich strukturschwachen Gebieten bereits über kulturelle Strukturbereinigungen hinausgehen.

Für das Jahr 1992 verzeichnet die zweite Bürgermeisterbefragung der Stiftung Lesen und des Deutschen Kulturrats eine Phase der relativen Stabilisierung der gewandelten Strukturen des Kultur-bereichs in den neuen Bundesländern. Weitere Verluste mußten bei den Bibliotheken und den kommunalen und kommerziellen Kinos registriert werden, doch fallen die Verlustraten deutlich geringer aus. Bei den Jugendklubs deutet sich sogar eine wieder leicht steigende Tendenz an. Scheinbar pegelt sich der Breitenkulturbereich auf ein nunmehr deutlich niedrigeres und der Hochkultur-bereich auf ein kaum abgebautes hohes oder steigendes Niveau ein. Aber diese relative Ruhe ist trügerisch, denn der Umbau der Kulturstrukturen in den neuen Bundesländern ist noch nicht abgeschlossen. So werden z. B. die noch durchzuführenden Kreisgebiets-und Kommunalreformen die mühsam aufgebauten Kulturverwaltungsstrukturen und die Situation der Kultureinrichtungen erneut modifizieren.

Trotz Einrichtungsverlusten im Rahmen der kulturellen Umstrukturierung versuchen die Kreisstädte ihre überregionalen Kulturfunktionen zu erhalten. Derartige kulturelle Kristallisationspunkte haben gerade in den dünnbesiedelten Räumen Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns eine besondere Bedeutung. Im Land Brandenburg wurde u. a. erreicht, daß nunmehr fast alle Kreisstädte über eine Kreismusikschule verfügen. Jetzt werden jedoch die Kommunen, die durch die Zusammenlegung von zwei bis drei Kreisen ihre ursprünglichen Verwaltungsfunktionen verlieren, erneut entscheiden müssen, welche Kultureinrichtungen sie noch Vorhalten können. Diese Entscheidungen müssen angesichts einer in der ganzen Bundesrepublik sich weiter verschlechternden wirtschaftlichen Ausgangslage getroffen werden. Schon die Umwandlung der jetzt auslaufenden ABM-Stellen -mit denen manche Kommune den Betrieb einiger Kultureinrichtungen bisher aufrechterhalten hatte -in feste Stellen wird zu einem großen Problem. Wie die zweite Bürgermeisterbefragung ergab, sind durch auslaufende AB-Maßnahmen wiederum besonders Jugend-und Kulturzentren, Theatergruppen und Orchester freier Träger sowie Bibliotheken gefährdet.

Kommunen, die große Theater und/oder Orchester tragen, stehen finanziell vor noch größeren Problemen. Obwohl -wie bereits angedeutet auch in diesen Bereichen erste strukturverändernde Maßnahmen realisiert wurden, deutet alles darauf hin, daß die Prozesse 1993/94 an Dynamik gewinnen werden. Die Ursachen dafür liegen einerseits in der schon zu DDR-Zeiten konstatierten Reformbedürftigkeit beider Bereiche, über die seit langem diskutiert wurde. Solche Reformen sind jedoch aus politischen Prestigegründen nie in Angriff genommen worden und waren damals auch deswegen problematisch, weil eine freie Theaterszene, deren Wirksamkeit Bestandteil solcher Strukturveränderungen sein muß, in der DDR nie zugelassen wurde.

Die Übergangsfinanzierung des Bundes sollte die Länder und Kommunen sowie besonders deren Theater in die Lage versetzen, „Zeit zu kaufen“, um neue Strukturkonzepte zu entwickeln. Trotz Anerkennung der besonderen Bedeutung, Dimension und Brisanz der dabei zu treffenden Entscheidungen wurden die Gelder jedoch oftmals ausschließlich für den Erhalt des einmal Bestehenden eingesetzt und strukturverändemde Maßnahmen zu lange hinausgeschoben. In Ostdeutschland dominierten und dominieren noch die besonders kostenintensiven Mehrspartentheater. Zudem ist in den südlichen Regionen (Sachsen und Thüringen) eine hohe Standortdichte derartiger Einrichtungen zu verzeichnen. Hier tragen auch kleinere Städte (z. T. unter 50000 Einwohner) Theater und Orchester. In manchen Fällen war bisher noch nicht einmal eine Spartenreduzierung durchzusetzen, obwohl die künstlerische Leistungsfähigkeit aller Teilensembles schon aufgrund der Besetzungs(un) möglichkeiten kaum zu sichern war und ist.

In Verbindung mit den Forderungen nach Tarifangleichungen zwischen den Ost-und West-Institutionen erlangen nunmehr die Fehlfinanzierungsbeträge der Kommunen immer schwindelerregendere Höhen, zumal die alten, starren Beschäftigungsrichtlinien nicht umfassend außer Kraft gesetzt wurden. Eine solche Politik, alles zu fordern, um möglichst viel zu erhalten, birgt angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Bundesrepublik und besonders in den neuen Bundesländern viel eher die Wahrscheinlichkeit in sich, schließlich nichts zu erreichen.

In dieser Beziehung scheinen sich die Befürchtungen der Kritiker der Übergangsfinanzierung zu bestätigen, die u. a. vermuten, daß das finanzielle Engagement des Bundes zu einer Dauereinrichtung werden muß, wenn die im Einigungsvertrag formulierte Aufgabe des Substanzerhalts erfüllt werden soll, wodurch -langfristig gesehen -die föderale Kulturstruktur der Bundesrepublik negativ verändert würde.

V. Die Ambivalenz des Aufschwungs freier Kulturträger

Freie Kulturträger sind ein notwendiger Bestandteil föderaler Kulturstrukturen. Sie basieren in Deutschland zum großen Teil auf dem Vereinswesen, dessen langjährige Tradition durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten unterbrochen oder beendet und in der DDR aus politischen Gründen nicht wiederbelebt wurde. Kulturelle Interessengemeinschaften ordnete man entweder in die staatlich kontrollierten institutioneilen Strukturen ein, oder man ließ sie, wenn diese Form der Vereinnahmung nicht möglich erschien, erst gar nicht zu.

In Anbetracht der Situation, daß damit in Ostdeutschland fast sechzig Jahre lang keine Erfahrungen hinsichtlich des Aufbaus, der Struktur und nicht zuletzt der Wirkungsmöglichkeiten eines solchen Vereinswesens gemacht werden konnten, ist es erstaunlich, mit welcher Vehemenz seine Revitalisierung nach der politischen Wende besonders in den großen Städten einsetzte. Die Dimension dieses Prozesses ist u. a. darauf zurückzuführen, daß sich ein lange Zeit aufgestautes Interessen-potential endlich frei entfalten konnte, sich zugleich aber auch Gehör verschaffen mußte, um nicht vom Tempo der deutschen Vereinigung „überrollt“ zu werden. Bedeutung hatte aber auch die politische Entscheidung der Bundesregierung, die arbeitsmarktpolitischen Folgen des wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozesses in Ostdeutschland durch ein großzügiges ABM-Programm zu mildern. Es stellte die finanzielle Grundlage dar, auf der sich auch im Kulturbereich vorerst vielfältigste Vereine und Initiativen gründen und ein inhaltlich breites Spektrum ihrer Wirkungen entfalten konnten. Allein auf die Mittel der ostdeutschen Länder und Kommunen angewiesen, wäre diese Entwicklung mit hoher Wahrscheinlichkeit kurzfristig wieder in sich zusammengefallen.

In Schätzungen wird davon ausgegangen, daß in Ostberlin gegenwärtig ca. 400 bis 500 mehrheitlich neu gegründete Kulturvereine und Kulturinitiativen bestehen, die mit ihrer Arbeit nicht unwesentlich das Bild der „Kulturmetropole“ prägen. Nun ist Berlin auch in dieser Hinsicht als Sonderfall zu betrachten und höchstens mit anderen ostdeut­sehen Großstädten vergleichbar. Andere Studien belegen jedoch die ebenfalls wachsende kulturelle Bedeutung des (nicht nur kulturell orientierten) Vereinswesens in den kleinen Städten und den Gemeinden der neuen Bundesländer

Die in der erwähnten zweiten Bürgermeisterbefragung registrierten deutlichen Steigerungsraten von 1992 gegenüber 1991 bei der Anzahl realisierter kultureller Veranstaltungen in den Gemeinden und Kommunen, die trotz sinkender Einrichtungszahlen erzielt wurden, dürften u. a. auf das Wirken solcher (Kultur-) Vereine und Initiativen zurückzuführen sein. Viele von ihnen arbeiten eng mit den kommunalen Kultureinrichtungen zusammen, sich gegenseitig stützend. Das sind wichtige Ansatzpunkte für das Entstehen einer kulturellen Träger-vielfalt, die wiederum Voraussetzung für eine möglichst entwickelte Pluralität des kommunalen Kulturlebens ist. Auf der anderen Seite darf die Stabilität der Kulturvereine und Kulturinitiativen nicht überschätzt werden. Die für Ostdeutschland noch junge Entwicklung wird nicht nur gefördert, sondern trifft auf vielfältige Hemmnisse, die ihre Entfaltung und Konsolidierung erschweren.

Eines der wesentlichen Probleme besteht dabei in dem mangelnden Angebot an nutzbaren Arbeitsund Veranstaltungsräumen. Selbst dort, wo Räume vorhanden sind, stellen deren schlechter Zustand, ungeklärte Eigentumsfragen und steigende Mieten (auch bei kommunal verwalteten Einrichtungen) die freien Kulturträger mittelfristig vor Existenzprobleme. Insgesamt sehen sich viele Kommunen nicht in die Lage versetzt, die vehemente Entwicklung dieser früher unterdrückten Seite selbstbestimmter kultureller Entfaltung in dem Maße zu fördern, wie es eigentlich notwendig wäre. Damit bilden weiterhin vor allem ABM-Programme die labile Basis, auf die sich die Initiativen stützen müssen.

Die ambivalenten Seiten der Nutzung von AB-Maßnahmen im Kulturbereich, die in den alten Bundesländern schon lange bekannt sind, treten mit besonderer Heftigkeit im Osten Deutschlands zutage. Die Auswirkungen des „Wechselbades“ von kurzzeitiger, intensivster „Förderung“ und kurzfristigem drastischem Abbau der Maßnahmen könnten hier jedoch noch weitaus negativer ausfallen. Das bezieht sich sowohl auf die letztendlich ins Leere gelaufenen Bemühungen der Kulturverwaltungen, die vermeintlichen Möglichkeiten von arbeitsbeschaffenden Maßnahmen für (kultur-) strukturbildende Maßnahmen zu nutzen und sie im Rahmen der weiteren Angleichung der Kultur-strukturen in Ost-und Westdeutschland auf die Ausbildung einer kulturellen Trägerpluralität zu richten. Sie müssen erkennen, daß dadurch nunmehr vor allem die Arbeitsämter und nicht die Kulturämter über diese wesentliche Seite kultureller Entwicklung entscheiden. Dadurch sind vor allem diejenigen betroffen, die durch ihren engagierten Einsatz in diesem Bereich eine sinnvolle Aufgabe für sich und andere entdeckt zu haben glaubten, die ihnen gleichzeitig den notwendigen Orientierungswandel in den für sie neuen gesellschaftlichen Zusammenhängen erleichterte. Darunter befinden sich viele Künstler/innen, die seit der Wende vor gravierende Probleme bei der Ausübung ihres Berufes gestellt sind.

In der DDR lebten Ende der achtziger Jahre insgesamt ca. 30000 Künstler/innen (freiberuflich bzw. im Arbeitsverhältnis stehend) Sie verfügen im allgemeinen über eine solide Ausbildung, denn ein Studium der ange'botenen 66 Fachrichtungen mit 71 Berufsabschlüssen war der hauptsächliche Weg, Mitglied eines der Künstlerverbände zu werden, was wiederum bei der großen Gruppe der Bildenden Künstler/innen als Voraussetzung für die Erlangung des Status eines Berufskünstlers galt.

Aus dem politisch instrumentalisierten und auf Repräsentanz bedachten Verständnis von Kultur und Kunst resultierte auch eine insgesamt großzügige finanzielle und materielle Förderung der Künstler/innen in der DDR. Es kann verallgemeinert werden, daß die Ausübung künstlerischer Berufe -bei aller Differenzierung in den jeweiligen Kunstbereichen -auf der Grundlage vielfältig vorhandener staatlicher und gesellschaftlicher Fördermaßnahmen und sozialer Hilfen gesichert war. So konnte die große Mehrheit der Künstler/innen ihren Lebensunterhalt von den Einnahmen aus der künstlerischen Arbeit bestreiten, zumal schon ein geringes Einkommen die vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten deckte.

Mit dem Wegfall der zentralistischen Strukturen im Wirtschafts-und Kulturbereich wandelten sich die Arbeitsbedingungen und der Kreis potentieller Auftraggeber für Künstler grundlegend. Entsprechend verändert hat sich die Einkommens-situation z. B.der Bildenden Künstler/innen und Designer/innen. Ein Vergleich der Einkommens-entwicklung (1992 zu 1990) fällt für drei Viertel der seit Jahren oder Jahrzehnten im Beruf stehenden Künstler/innen negativ aus, wie die Befragung des ZfKf belegt. Für sie ist das Einkommen gesunken und davon für zwei Drittel sogar erheblich bzw. „auf Null“. Einen leichten Einkommensanstieg können insgesamt nur sieben Prozent verbuchen, davon nur etwa ein Prozent in einem erhöhten Maße

Parallel dazu verschlechtern sich die individuellen Arbeitsbedingungen für die freischaffenden Künstler/innen. Besonders die steigenden Mieten für Ateliers zwingen immer mehr Künstler/innen zur Aufgabe ihrer Arbeitsräume. In Ballungsgebieten werden sie zunehmend an die Peripherie gedrängt. Insgesamt ist eine Reduzierung der Künstlerschaft in den neuen Bundesländern zu erwarten.

Die im Beruf verbleibenden Künstler/innen werden sich -wie ihre westdeutschen Kollegen/Kolleginnen -nach zusätzlichen (außerkünstlerischen) Einkommensquellen umsehen müssen. Die Aufnahme anderer Tätigkeiten, von vielen Künstler/innen vorerst als Überbrückung gedacht, wird für manche zu einem „sanften“ Berufswechsel führen. Immerhin übte zum Zeitpunkt der Befragung bereits ein Sechstel der berufserfahrenen Bildenden Künstler/innen und Designer/innen eine kunstnahe (Neben-) Tätigkeit in den Bereichen Kunstpädagogik, Soziokultur, Kunstmanagement und -publizistik aus. Während noch jede(r) Vierzehnte auf Gelegenheitsjobs zurückgriff, arbeitete nur jede(r) Einundzwanzigste im erlernten Beruf.

Die Kürzung der AB-Maßnahmen im Kultur-und Kunstbereich hat -bei sich weiter verschlechternden Bedingungen für die Ausübung künstlerischer Berufe -zur Folge, daß die Möglichkeiten ihrer Träger für einen zielgerichteten, durch Qualifizierungsmaßnahmen gestützten Übergang reduziert werden. Dafür wird die Zahl der abrupten Berufs-wechsel aus Existenznot steigen.

VI. Kultur als Ressource im Einigungsprozeß

Die Bewältigung der aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Probleme der deutschen Einigung lassen die Bedeutung der Kultur für die Gesellschaft allgemein und konkret für den Einigungsprozeß zu oft in den Hintergrund treten. Dabei sind es gerade auch kulturelle Probleme, die das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten kompliziert verlaufen lassen.

Nach dem Abklingen der allgemeinen Euphorie über die formelle Einheit und der damit verbundenen Hoffnungen auf die einigende Kraft der kulturellen Identität der Deutschen auf der Ebene der einheitlichen Nation mit gemeinsamer Geschichte, Kultur usw. wurden neben anderem auch die mentalen und kulturellen Unterschiede zwischen Ost-und Westdeutschen offenbar, erstarkte wieder das „Wir“ -und-„Ihr“ -Gefühl. Eine Reorientierung vieler Ostdeutscher auf ihr konkretes, näheres Lebensumfeld ist zu beobachten. Das schließt ein, daß sie auch ihre kulturellen Orientierungen wieder stärker aus den nahräumlichen Bereichen, ihrem zwar auch in Wandlung befindlichen, aber vertrauteren Lebensumfeld beziehen. ^

Dazu ist mit Sicherheit eine schnelle Konsolidierung der Verwaltungsstrukturen besonders dort notwendig, wo die Kreisgebiets-und Kommunal-reformen große Veränderungen mit sich bringen. Die Schaffung eigenständiger, fachkompetenter Kulturämter in möglichst vielen Kommunen ist dabei ebenso wichtig wie die Festlegung von Ziel-positionen der kulturellen Entwicklung in den neu-gebildeten Kreisen und Kommunen. Angesichts ihrer früheren Funktion in der DDR und der allgemein ungünstigen Entwicklungsbedingungen vieler ostdeutscher Kommunen sollten bestimmte überörtliche Kulturfunktionen der Kreisstädte in den neuformierten Großkreisen zumindest noch für eine weitere Übergangszeit gefördert werden. Gleichzeitig ist in den ländlichen, dünnbesiedelten Regionen von einer weiterhin großen kulturellen Bedeutung jener Städte auszugehen, die nach den Strukturreformen nicht mehr Kreisstädte sein werden. In diesem Zusammenhang scheint es not­wendig, Formen der „interkommunalen“ Zusammenarbeit zu aktivieren, um die Belastungen der einzelnen Städte möglichst zu reduzieren.

Die bisherige Entwicklung bei der Neu-und Umgestaltung der Kulturstrukturen in Ostdeutschland und die sich abzeichnenden -deutlich geringer dimensionierten -wirtschaftlichen Möglichkeiten der weiteren Förderung dieses Prozesses machen den Erhalt der noch vorhandenen „kulturellen Orte“ (hier auf die Gesamtheit der Kultureinrichtungen bezogen) in den Kommunen zu einer strategischen Hauptaufgabe. Der Situation entsprechend kann die Gewährleistung ihres vollen, je unterschiedlichen Funktionsspektrums in manchen Fällen vorerst zu einem sekundären Problem werden. Wesentlich ist, daß es den Trägern und Betreibern gelingt, die mit der Beseitigung zentralistischer Strukturen neu gewonnenen Möglichkeiten der Begründung regionaler/kommunaler Besonderheiten und Notwendigkeiten der Aufgaben-orientierung ihrer Einrichtungen zu verdeutlichen und mittelfristig wirksam werden zu lassen. Beispiele dafür gibt es in den neuen Bundesländern in großer Zahl. Das-betrifft auch die „klassischen“ Kultureinrichtungen (Theater, Orchester, Museen usw.), die jedoch bekanntlich zumeist eine starke Lobby haben, weswegen auf sie bezogene Entscheidungen oft längerfristig vorbereitet werden. Trotzdem werden die Argumentationen für den mit hohen Aufwendungen verbundenen Erhalt besonders bei vielen Theatern deutlich an Prägnanz gewinnen müssen. Flexible Nutzungskonzeptionen können dabei eine wichtige Rolle spielen.

Im Breitenkulturbereich steht die Existenzfähigkeit vieler Einrichtungen oft im Zusammenhang mit dem Entwicklungs-ZKonsolidierungsstand der freien Kulturträger. Deren Förderung durch die Länder, Kreise und Kommunen bleibt ein Schwerpunkt innerhalb der Kulturverwaltungsaufgaben. Die Einschränkung der zur Verfügung stehenden Mittel zwingt dazu, verstärkt strukturell orientierte Maßstäbe für die Gewährleistung von Fördermitteln u. ä. anzuwenden und gleichzeitig alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die die noch verbliebenen Handlungsspielräume bieten. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang beispielhaft auf die Möglichkeiten, die in den Paragraphen 249 h und 255 des neuen Arbeitsförderungsgesetzes zum Einsatz von Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) für die Schaffung von Arbeitsplätzen stekken, auf die generelle Notwendigkeit der Verknüpfung von AB-mit anderen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen usw. Wegen der weiteren Verknappung der Mittel der BfA, aber auch der Kommunen, bleibt jedoch ein sicherlich schmerzhaftes „Zurückschneiden“ der Fördermöglichkeiten für freie Projekte unausweichlich. Es kommt also darauf an, nach Wegen zu suchen, damit der Abbau nicht nach dem Rasenmäher-oder gar Kahlschlagprinzip erfolgt. Das Kulturamt des Ostberliner Bezirkes Prenzlauer Berg hat z. B. eine enge Kooperation mit dem Arbeitsamt hergestellt, über die es einen fachlichen Einfluß auf die Bestätigung bzw. Verlängerung von AB-Maßnahmen im Kulturbereich nehmen kann. Überprüfenswert ist ebenfalls die starke Dominanz von Vereinen als Träger von freien Projekten. Andere Betriebsformen, wie etwa die (gemeinnützige) GmbH und Mischformen, bieten oftmals bessere Möglichkeiten der Finanzierung vor allem komplexerer Projekte, weil sie differenziertere Varianten der Eigenerwirtschaftung von Mitteln erlauben. Die stärkere Berücksichtigung solcher und anderer Managementprobleme bei den weiterhin notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen für Kulturarbeiter wäre eine wichtige Form der Professionalisierung der Projektarbeit.

Insgesamt gesehen befindet sich der Umbau der Kulturstrukturen in den neuen Bundesländern nach wie vor in einer heißen Phase. Hatte die erste Periode noch weitgehend den Charakter einer Strukturanpassung und damit verbunden einer Strukturbereinigung, droht spätestens mit den weiterhin absehbaren Schließungen von Einrichtungen und dem „Sterben“ von freien Kulturprojekten und -initiativen die kulturelle Substanz Schaden zu nehmen. Energie, Phantasie, aber auch Protestbereitschaft der Kulturarbeiter/innen in den Verwaltungen, der Einrichtungen, der freien Szene und nicht zuletzt der Künstler/innen, aber auch der Nutzer der Kulturangebote werden nötig sein, dies zu verhindern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Besonders zu verweisen ist hierbei auf folgende Projekte und spezielle Forschungsergebnisse: J. Marten/A. J. Wie-sand, Befund der sozialen Situation von Künstlerinnen und Künstlern in der Region Berlin nach Öffnung der Mauer, in: Kultur & Wissenschaft, Bd. 3., hrsg. vom Archiv für Kultur-politik (ARCult) beim Zentrum für Kulturforschung, Bonn 1990; A. Pißarek/Ph. Mühlberg/T. Strittmatter, Fallstudie zur kulturellen Situation in Kreisen des Landes Sachsen-Anhalt. Forschungsbericht zu einem Projekt im Auftrag der Abteilung Kultur der Landesregierung Sachsen-Anhalts, Berlin 1992 (unveröffentlicht); T. Strittmatter, Zur Kulturentwicklung in Sachsen-Anhalt, in: KulturForschung, Nr. 6/7, hrsg. vom Archiv für Kulturpolitik (ARCult) beim Zentrum für Kulturforschung, Bonn 1992, S. 17; ders., Entwicklung der kulturellen Infrastruktur im Land Brandenburg. Forschungsbericht zu einem Projekt im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Berlin 1992 (unveröffentlicht); ders., Erfassung der kulturellen Infrastruktur des Landes Brandenburg, in: KulturStatistik, Nr. 4, hrsg. vom Arbeitskreis für Kulturstatistik (ARKStat) in Verbindung mit dem Zentrum für Kulturforschung, Bonn 1992, S. 2; K. Jedermann/B. Mann/T. Strittmatter/B. Wölfling, Metropole ohne Milieu? Untersuchungen zu Problemen der Kulturarbeit in den Bezirken Ost-und West-Berlins. Forschungsprojekt im Auftrag des Senators für Kulturelle Angelegenheiten des Landes Berlin, in: Kultur & Wissenschaft, Bd. 13, Bonn 1993; B. Mann, Zur sozialen Lage der Bildenden Künstler/innen und Designer/innen im Osten Deutschlands nach der Wende. Forschungsbericht zu einem Projekt, gefördert vom Bundesministerium des Innern, Berlin 1993 (unveröffentlicht). Zu Teilergebnissen siehe: B. Mann/B. Wölfling, Zur sozialen Lage der Bildenden Künstler/innen und Designer/innen im Osten Deutschlands, in: Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung, hrsg. von der Kulturinitiative '89 e. V. in Verbindung mit dem Institut für Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, XV (1992) 32, S. 220-231; vgl. ferner das KulturBarometer: Periodisch angelegte, repräsentative Bevölkerungsbefragung in Ost-und West-Deutschland des Zentrums für Kulturforschung in Zusammenarbeit mit dem IFAK-Institut/Taunusstein zu Fragen der kulturellen Entwicklung, der Nutzung kultureller Einrichtungen und der aktuellen Kulturpolitik. Siehe dazu A. J. Wiesand/H. Winter, Das erste „KulturBarometer“, in: KulturForschung, Nr. 3, Bonn 1991, S. 2-3, 6-7; A. J. Wiesand/P. Gräser/T. Stritt-matter, Das zweite KulturBarometer, in: KulturForschung, Nr. 6/7, Bonn 1992, S. 2-4.

  2. Zu den Zahlenangaben vgl. M. Söndermann, Übergangsfinanzierung Kultur 1991, in: KulturStatistik, Nr. 5, Bonn 1992, S. 2.

  3. Vgl.ders., Neue Eckdaten des Kulturetats Thüringen 1991, in: KulturStatistik, Nr. 4, Bonn 1992, S. 5.

  4. Vgl.ders. (Anm. 2).

  5. Vgl. hierzu besonders: Strukturwandel oder Substanzverlust. Die kulturelle Infrastruktur in den fünf neuen Bundesländern. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage in 2578 Städten und Gemeinden. Durchgeführt von der Stiftung Lesen und dem Deutschen Kulturrat, hrsg. von der Stiftung Lesen, Mainz 1992. Die Ergebnisse der zweiten, gleichartigen Umfrage lagen dem Autor als Manuskript vor. Ihre Veröffentlichung wird im Mai 1993 erfolgen.

  6. Vgl. die Ergebnisse der zweiten Befragung durch die Stiftung Lesen und den Deutschen Kulturrat.

  7. Vgl. T. Rüben, Kultur auf dem Lande, in: Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung, XV (1992) 32, S. 210-219.

  8. Die Aussagen und Zahlen dieses Abschnitts sind der o. g. Studie „Zur sozialen Lage der Bildenden Künstler/innen und Designer/innen ..." von B. Mann (Anm. 1) entnommen. Die Trendcharakter tragenden Ergebnisse der Studie wurden aus einer Befragung von Absolventen des Jahres 1990 entsprechender Hochschulfachrichtungen in Ostdeutschland (n = 65) und einer Befragung der Bildenden Künstler/innen und Designer/innen gewonnen, die 1991 Mitglieder der Fachverbände in den neuen Bundesländern waren (n = 925).

  9. Einer Befragung innerhalb des Verbandes Bildender Künstler Thüringens e. V. von 1991 ist zu entnehmen, daß das Einkommen bei 300 bis 500 DM monatlich lag, sofern überhaupt ein Einkommen erzielt wurde. Ohne Einkommen waren 49 Prozent der Maler/innen, 21 Prozent der Plastiker/Bildhauer/innen und 38 Prozent der Kunsthandwerker/innen. Grafik-Designer/innen und Restauratoren/innen sind nicht so stark betroffen.

  10. Wie tief die historischen Wurzeln dafür reichen und welche Probleme der Verständigung dadurch gegenwärtig selbst bei den Kultur-„Fachleuten“ auftreten, reflektiert ein Beitrag von A. Göschei, Kulturbegriff in Ost und West: Eine wechselseitige Provokation?, in: Mitteilungen aus der kultur-wissenschaftlichen Forschung, XV (1992) 32, S. 35-43.

Weitere Inhalte

Thomas Strittmatter, Dr. phil., geb. 1949; stellv. Direktor des Zentrums für Kulturforschung (ZfKf) und Leiter des Instituts des ZfKf Berlin/Potsdam. Veröffentlichungen u. a.: Strukturwandel oder Substanzverlust?, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 55 IV/1991; Tendenzen und Probleme der Umgestaltung der kulturellen Infrastruktur in den neuen Ländern, in: Informationen zur Raumentwicklung, (1992) 1; Drei Jahre „neue Kulturpolitik“ im Osten Deutschlands, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 58III/1992.