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In welchem Umfang darf sich ein Staat verschulden? | APuZ 18/1993 | bpb.de

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APuZ 18/1993 Alte und neue Wachstumspolitik In welchem Umfang darf sich ein Staat verschulden? Subventionsabbau -ein finanzpolitischer Evergreen Die Formulierung geht auf einen Aufsatz des Autors aus dem Jahre 1973 zurück; siehe dazu Karl-Heinrich Hans-meyer, Abbau von Subventionen -ein finanzpolitischer Evergreen, in: Wirtschaftsdienst, 53 (1973), S. 125ff. Der Haushalt der Europäischen Gemeinschaften

In welchem Umfang darf sich ein Staat verschulden?

Hans Tietmeyer

/ 15 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Zusammenhang mit den Finanzierungslasten aus dem deutschen Einigungsprozeß ist die Diskussion um das vertretbare Maß der Staatsverschuldung auch in Deutschland neu aufgelebt. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wird eine Verschuldung des Staates vor allem dann als gerechtfertigt angesehen, wenn damit Investitionen finanziert werden soll oder eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abgewehrt werden soll. Eine mögliche Verdrängung privater Investitionen und die notwendige Abstimmung des Policy-Mix zwischen Finanz-und Geldpolitik spricht jedoch in vielen Fällen gegen eine Ausweitung der staatlichen Verschuldung. Zu beachten sind auch finanzwirtschaftliche Restriktionen im Zusammenhang mit einer Begrenzung der Zinslast. Ferner muß gerade zur Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ein zu starker Anstieg der Abgabenquote vermieden werden.

I. Vorbemerkungen

Staatsverschuldung ist ein Thema, das gerade bei uns Deutschen auf einen sensiblen Nerv trifft. Ausufemde Kreditfinanzierung von Staatsausgaben hat in diesem Jahrhundert schon zweimal zu einem Zusammenbruch unserer Währung geführt.

Die öffentliche Auseinandersetzung über dieses Thema erreichte bereits Anfang der achtziger Jahre einen besonderen Höhepunkt. Die Tatsache, daß sich die Zins-und Schuldenquote der öffentlichen Haushalte binnen eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt hatten, führte damals zu heftigen Kontroversen, in denen vielfach sogar das Schreckensbild eines Staatsbankrottes beschworen wurde. Dank einer über mehrere Jahre hinweg hartnäckig betriebenen Konsolidierungspolitik, besonders auf Bundesebene, konnte diese Sehrekkensvision vermieden werden, und die wirtschaftsund finanzpolitische Lage war gegen Ende der achtziger Jahre erheblich besser als zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts.

In jüngster Zeit erleben wir jedoch im Zusammenhang mit den gewaltigen Finanzierungslasten aus dem innerdeutschen Einigungsprozeß und der Entwicklung in Osteuropa eine Neuauflage der Diskussion über die wachsende Staatsverschuldung. Allerdings ist neben dieser Ausgangslage auch die Aufgabenstellung heute nicht mit der Situation zu Anfang der achtziger Jahre vergleichbar. Ging es damals vor allem um die Korrektur des zu üppig gewordenen Wohlfahrtsstaates, so geht es heute in erster Linie um die Vermeidung von dauerhaften übermäßigen Defiziten bei der tatsächlichen Verwirklichung der deutschen Einheit. Bereits in den zurückliegenden Jahren haben vor allem die Transferleistungen für die neuen Bundesländer das Haushaltsdefizit der Gebietskörperschaften (einschließlich Sozialversicherung) von neun Mrd. DM im Jahr 1989 auf schätzungsweise 120 Mrd. DM im Jahr 1992 erhöht. Es ist verständlich, daß diese Entwicklung in der Öffentlichkeit, aber auch bei den politischen Entscheidungsträgern vielfach Besorgnis hervorgerufen hat. Um so wichtiger ist es, daß es jetzt nach langwierigen Vorberatungen gelungen ist, im Rahmen eines „Solidarpaktes“ zwischen Bund und Ländern Einvernehmen über die Grundlinien der längerfristigen Finanzierung der deutschen Einheit zu erzielen. Zwar soll die Neuverschuldung zunächst noch weiter ansteigen. Mittelfristig ist jedoch eine deutliche Reduzierung ge-plant.

II. Partikularinteressen versus Gemeinwohl

Ein grundsätzliches politisches Problem im Hinblick auf die Verschuldung des Staates ergibt sich daraus, daß in der Demokratie die Regierungen selbst oft unter Zwängen stehen, die sie zu kurzsichtigen Entscheidungen verleiten. So haben -wie die privaten -auch die öffentlichen Haushalte vieler Industrieländer in den siebziger und noch über weite Strecken in den achtziger Jahren ihre Ersparnis kräftig abgebaut und Ausgaben zunehmend durch Kredite finanziert. In diesem Zusammenhang sei nur auf zwei typische Faktoren hingewiesen, die mit dem Willensbildungs-und Entscheidungsprozeß in der Demokratie zu tun ha-ben, nämlich auf die Kurzfristigkeit des politischen Kalenders und den Druck der Partikularinteressen.

Der Zeithorizont eines für eine begrenzte Zeit gewählten Politikers ist naturgemäß vor allem auf die jeweilige Wahlperiode konzentriert, d. h., er neigt dazu, längerfristige Risiken zu unterschätzen oder sie zu verdrängen. Im Finanzierungsbereich wird dieses Verhalten tendenziell meist auch noch vom Wähler unterstützt, für den die Kreditfinanzierung oft als das geringere Übel im Vergleich zur sofortigen Steueranhebung erscheint. Die Partikularinteressen spielen im parlamentarisch-demokratischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozeß -insbesondere, wenn ihre Vertretung schlagkräftig organisiert wird -oft eine aus der Sicht des Gemeinwohls nicht gerechtfertigte Rolle. Sind aber spezifische Hilfen und Subventionen erst einmal durchgesetzt, entstehen nur schwer änderbare Besitzstandsverhaltensweisen. Da es umgekehrt an einer entsprechenden Lobby für „die Interessender Gesamtheit“ fehlt und es für den Wahlbürger 'meist nicht möglich ist, sich in angemessener Weise über die einzelnen Positionen der öffentlichen Haushalte und erst recht über die künftigen Belastungen zu informieren, ist gerade im Finanzbereich die Dominanz von Partikularinteressen zu spüren.

Unabhängige Institutionen, wie Sachverständigenrat, Wirtschaftsforschungsinstitute, Beiräte und natürlich auch die Bundesbank, die ein kompetentes Urteil abgeben können, sind daher -als eine Art Gegengewicht -für einen funktionierenden demokratischen Willensbildungsprozeß sehr wichtig. Im übrigen gibt es in Deutschland auch das sogenannte Zustimmungserfordernis des Bundesfinanzministers bei finanzwirksamen Kabinettsbeschlüssen sowie, bei den Finanzentscheidungen des Parlamentes, die Möglichkeit der Intervention der Bundesregierung nach Art. 113 Grundgesetz (GG).

III. Gründe für eine Staatsverschuldung

Wie ist nun die Staatsverschuldung aus volkswirtschaftlicher Sicht zu werten? Ist Staatsverschuldung immer Ausdruck einer Tendenz, „über die Verhältnisse zu leben“, oder gibt es Gründe, die sie sachlich geboten erscheinen lassen? Eine Antwort darauf hat schon Lorenz von Stein, der Vertreter der deutschen Finanzklassik im 19. Jahrhundert, so formuliert: „Ein Staat ohne Staatsverschuldung tut entweder zu wenig für die Zukunft oder er fordert zu viel von der Gegenwart.“

Nach traditionellen Haushaltsgrundsätzen soll ein Budget stets so aufgestellt werden, „daß die für das betreffende Budgetjahr bewilligten, zur Durchführung der staatlichen Aufgaben erforderlichen laufenden Ausgaben in vollem Umfang durch die für dieses Jahr zu erwartenden regulären Einnahmen aus Steuern und sonstigen Abgaben sowie aus Vermögenserträgen gedeckt sind“ Nach der heute vorherrschenden wirtschafts-und finanzwissenschaftlichen Auffassung kann es zumindest zwei gewichtige Gründe geben, von diesem Grundsatz des Budgetausgleichs abzuweichen. 1. Finanzierung von investiven Ausgaben Der erste Grund betrifft die Finanzierung von investiven Ausgaben. In diesem Fall kann die Kreditfinanzierung mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, daß künftigen Belastungen entsprechende künftige Erträge gegenüberstehen. Die Kreditfinanzierung sorgt dafür, daß Aufwendungen zeitgleich oder zumindest in größerer Zeitnähe mit den Erträgen erbracht werden und so die Bela-stung über die Jahre hinweg besser verteilt wird.

So einleuchtend diese Begründung grundsätzlich auch ist, ihre Problematik beginnt spätestens bei der Konkretisierung. Welche Ausgaben sind investiv und welche nicht? Das privatwirtschaftliche Investitionskalkül ist als Kriterium kaum anwendbar, da die Erträge öffentlicher Investitionen ihrem Träger nur selten unmittelbar zufließen oder zugerechnet werden können, sondern zum größten Teil bei den privaten Wirtschaftseinheiten anfallen. So sind öffentliche Investitionen auch nur in geringem Umfang unmittelbar „rentierlich“, wie es in der Fachterminologie heißt. Der Versuch einer Zuordnung der nicht unmittelbar zufließenden Erträge zu den öffentlichen Investitionen wäre wohl nur mit fragwürdigen Konstruktionen möglich. Eine Bestimmung der Erträge investiver Ausgaben kann somit wohl nur aus gesamtwirtschaftlicher Sicht erfolgen, d. h. im Hinblick auf ihre Wirkung auf das Produktionspotential.

Im deutschen Haushaltsrecht wird allerdings ein anderer Ansatz verwendet. Investitionen werden dort als Sachinvestitionen verstanden, das sind Ausgaben für die Beschaffung von Anlagen und langlebigen Gütern, soweit sie nicht in den Verteidigungsbereich fallen. Diese gelten als Obergrenze der laufenden Neuverschuldung nach Art. 115 GG, von der nur im Falle von Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes abgewichen werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom Frühjahr 1989 diese „Staatspraxis“ ausdrücklich bestätigt.

Der derart sanktionierte haushaltsrechtliche Investitionsbegriff, der schon bei der Definition der Sachinvestitionen fragwürdige Zuordnungen beinhaltet, ist in theoretischer Hinsicht recht unbefriedigend, da er nur in beschränktem Umfang Beziehungen zwischen zukunftswirksamen Leistungen und Gegenwartsbelastungen herstellt. Auch behandelt er Erhaltungsinvestitionen und Neuinvestitionen gleich. Schließlich läßt er das Problem der Folgekosten gänzlich außer acht.

Die Vergangenheit hat überdies gezeigt, daß der haushalts-und verfassungsrechtliche Investitions-begriff allein noch keine Gewähr für eine wirksame Begrenzung der Staatsverschuldung bietet. Zwar sorgt die bloße Existenz einer Obergrenze bereits für eine Beschränkung der Neuverschuldung, indem sie verhindert, daß die wachsenden Zinsverpflichtungen unbegrenzt aus neuen Krediten finanziert werden können. Doch zum einen kann die Höhe der Grenze beeinflußt werden, zum anderen bietet die Generalklausel „gesamtwirtschaftliche Störungen“ im Art. 115 GG ein Schlupfloch, das zumindest vorübergehend genutzt werden kann.

Insgesamt kann daher Art. 115 GG in Verbindung mit dem Sachinvestitionsbegriff wohl nur eine Art finanzpolitischer Notbremse darstellen, die Regierung und Parlament nicht der Pflicht entheben sollte, die Praxis der Verschuldung an Hand volkswirtschaftlicher Kriterien laufend kritisch zu überprüfen.

2. Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts

Der zweite, auch verfassungsrechtlich anerkannte Grund für Abweichungen vom Grundsatz des Budgetausgleiches sind die schon erwähnten „Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes“, insbesondere als Folge konjunktureller Schwankungen. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: Zunächst führen konjunkturelle Bewegungen auch ohne diskretionäre finanzpolitische Maßnahmen zu Änderungen des Budgetsaldos. In rezessiven Phasen steigen z. B. Unterstützungszahlungen für höhere Erwerbslosigkeit an, während die staatlichen Steuer-und Beitragseinnahmen unterproportional steigen bzw. sogar sinken. Wenn der Staat mit Ausgabeneinschränkungen oder Steuererhöhungen reagieren würde, um eine korrespondierende Ausweitung des Defizits zu verhindern, so könnte das bedeuten, daß er die konjunkturelle Abschwächung weiter vertiefen würde. Konjunkturell bedingte negative Budgetsalden und ihre Finanzierung durch Kredite können daher nicht nur ein legitimes, sondern auch ein das konjunkturelle Gleichgewicht förderndes Instrument sein. Allerdings ist die genaue Abgrenzung zwischen zyklisch bedingten und strukturellen Defiziten oft schwierig, wie auch die jüngste Entwicklung wieder zeigt.

Davon zu unterscheiden ist eine aktive antizyklische Konjunkturpolitik, wie sie in Deutschland z. B. in den siebziger Jahren betrieben wurde. Gerade auch auf Grund der damaligen Erfahrungen wird heutzutage eine solche antizyklische Finanz-politik sehr kritisch beurteilt, übrigens nicht nur bei uns, sondern auch international. Dies hängt u. a. damit zusammen, daß eine ambitiöse antizyklische Politik die Sanktionskräfte des Marktes außer Kraft setzen kann. Zudem tendiert die antizyklische Finanzpolitik aus politischen Gründen zur Asymmetrie bei der Anwendung. Maßnahmen zur Bekämpfung rezessiver Tendenzen bereiten politisch im allgemeinen kaum Realisierungsschwierigkeiten. Umgekehrt ist es politisch meist außerordentlich schwierig, stimulierende Maßnahmen später wieder rückgängig zu machen. Schließlich wird die Wirkung der Finanzpolitik auch durch Time-Lags gestört. Daher ist die Effizienz der kurzfristig orientierten Globalsteuerung selbst dann fraglich, wenn sie politisch optimal eingesetzt werden könnte.

Eine bessere Gewähr für eine gewisse Verstetigung des konjunkturellen Prozesses dürfte eine mittelfristige Orientierung der Finanzpolitik leisten, ein Konzept, um das sich die Geldpolitik in der Bundesrepublik übrigens schon seit Mitte der siebziger Jahre bemüht. Eine solche mittelfristig orientierte Finanzpolitik verzichtet weitgehend auf aktives konjunkturelles Gegensteuem, erlaubt jedoch den erwähnten „eingebauten Stabilisatoren“, ihre guten Dienste zu leisten, jedenfalls solange sich die strukturellen Defizite in einem einigermaßen vertretbaren Rahmen halten. Die Politik selbst beschränkt sich darauf, mittelfristig verläßliche Rahmendaten zu setzen. Die enorme Beruhigung, welche der konjunkturelle Prozeß in den achtziger Jahren bei dieser Politik erfahren hat, scheint diese Einschätzung zu bestätigen.

IV. Gründe gegen eine Staatsverschuldung

Diesen beiden Gründen für eine öffentliche Kreditaufnahme stehen vielfache gesamtwirtschaftliche und haushaltspolitische Implikationen gegenüber, die eher gegen eine Staatsverschuldung sprechen und die im konkreten Fall sehr sorgfältig abgewogen werden müssen. Gesamtwirtschaftliche Beschränkungen für die Staatsverschuldung sehe ich vor allem in vierfacher Hinsicht:

1. Der sogenannte Verdrängungseffekt für private Investitionen

In einer vollbeschäftigten Wirtschaft treten kredit-finanzierte öffentliche Zusatzausgaben in Konkur-renz zu beabsichtigten privaten Investitionen um die vorhandene gesamtwirtschaftliche Ersparnis. Bei mittelfristig orientierter Geldpolitik führt dies in der Regel zu einer Erhöhung des Zins-niveaus. Das bedeutet, daß der tendenziell zins-unempfindliche staatliche Investor zinsempfindlichere private Grenzinvestitionen verdrängt, so daß die öffentliche Kreditfinanzierung wesentlich stärker als jede andere Finanzierungsform das Wachstumspotential der Volkswirtschaft schwächen kann. Durch eine Steuerfinanzierung könnte dieser Effekt vermieden oder zumindest wesentlich abgeschwächt werden. Ob die Kredit-finanzierung sinnvoll ist, hängt von der gesamtwirtschaftlichen Kapitalproduktivität der öffentlichen Investition im Vergleich zu den verdrängten privaten Investitionen ab. Ein präzises Urteil ist nur schwer möglich, da die Produktivitätswirkung öffentlicher Investitionen, zumal im Einzelfall, kaum quantifizierbar ist. Immerhin könnte man Kriterien heranziehen, welche die Entscheidung erleichtern: So ist in der wirtschaftlichen Aufbauphase eines Landes mit einem geringen öffentlichen Leistungsangebot der gesamtwirtschaftliche Effekt der öffentlichen Investitionen vermutlich sehr hoch. Ausgaben, die für die Errichtung eines Minimums an öffentlichen Einrichtungen sorgen, haben dabei oft den Charakter von Komplementärinvestitionen mit einem hohen Potentialeffekt; aktuelle Beispiele hierfür liefern insbesondere die Verhältnisse in den neuen Bundesländern. Umgekehrt ist die Situation in reifen, entwickelten Volkswirtschaften mit tendenziell geringerer Zunahme der Kapitalproduktivität und niedrigerem Potentialwachstum. Dort sollte auch der Kreditfinanzierungsanteil der öffentlichen Investitionen tendenziell eher niedriger sein.

Vieles spricht dafür, daß man im Hinblick auf den Verdrängungseffekt für private Investitionen die Grenze für die Kreditfinanzierung öffentlicher Investitionen eher zu niedrig als zu hoch ansetzen sollte. Private Investitionen müssen im Wettbewerb um knappes Kapital und „Rentierlichkeit“ bestehen, so daß sie zumeist einem strengeren Selektionsprozeß unterworfen sind als öffentliche Investitionen. Hinzu kommt, daß private Investitionsvorhaben in aller Regel effizienter realisiert werden, wie die Alltagserfahrung immer wieder bestätigt. Im Zweifelsfall sollten daher aus meiner Sicht private Investitionen „den Vortritt haben“, wobei auch für so-genannte öffentliche Aufgaben privatwirtschaftliche Lösungen oft die effizientere Alternative sind.

2. Die Beachtung der außenwirtschaftlichen Lage

Steigende Haushaltsdefizite saugen verfügbare private Ersparnisse für öffentliche Verwendungszwecke ab. Damit wird nicht nur der Spielraum für eine private Investitionstätigkeit reduziert, auch der Spielraum für den Export von Ersparnissen wird kleiner bzw.der Importbedarf an Kapital größer. Dementsprechend wird -über Wechselkurs-, Preis-und Einkommensanpassungen -der Leistungsbilanzüberschuß tendenziell kleiner oder ein entsprechendes Defizit größer.

Dieser kurzfristige Aspekt wird überlagert von den langfristigen Wachstumswirkungen. Ist der Produktivitätseffekt öffentlicher Investitionen groß genug, um das Wachstumspotential zu stärken, so verbessern die Investitionen auf lange Sicht die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes und sorgen so für eine langfristige Verbesserung der Leistungsbilanz. Ist das nicht der Fall, so ist die daraus entstehende Verschlechterung der Leistungsbilanz nur ein zusätzliches Argument, die wachstumspolitisch schädliche Finanzierung zu unterlassen. Der außenwirtschaftliche Effekt der staatlichen Schuldenpolitik steht somit nicht im Vordergrund.

Diese Relativierung des außenwirtschaftlichen Effektes soll nicht bedeuten, daß er vernachlässigt werden darf. Hohe außenwirtschaftliche Defizite können vielmehr durch ihre negativen Wirkungen (Vertrauensverlust, Anstieg des Zinsgefälles zum Ausland, Rückgang der privaten Investitionstätigkeiten) den Spielraum für eine öffentliche Kreditaufnahme erheblich einengen.

3. Die notwendige Abstimmung von Geld-und Finanzpolitik (Policy-Mix)

Eine wichtige Rahmenbedingung für die Finanz-politik ist auch die geldpolitische Lage. In einer Phase, in der die Notenbank sich gegen eine massive Gefährdung der Preisstabilität wehren muß oder gar um die Rückgewinnung der inneren Preisstabilität kämpft, benötigt die Geldpolitik die Unterstützung der Finanzpolitik. Ohne eine solche Abstimmung kann es leicht zu einer Überforderung der Geldpolitik mit erheblichen Verzerrungsund übermäßigen Bremseffekten kommen. Das Beispiel der USA in der ersten Hälfte der achtziger Jahre etwa hat deutlich gemacht, welche negativen Wirkungen für die Binnenwirtschaft und für die Partnerländer zu erwarten sind, wenn die Finanz-politik in einer geldpolitisch restriktiven Phase einen expansiven Kurs mit steigenden öffentlichen Defiziten verfolgt. 4. Der Grad der Kapitalknappheit

Die Höhe der volkswirtschaftlichen Ersparnis ist ein wichtiger Faktor für die Wachstums-und Fiskalpolitik. Zwar sollten, wie erwähnt, kurzfristige konjunkturelle Schwankungen der Erspamisbildung kein Anlaß für eine diskretionäre Finanzpolitik sein. Dagegen sind m. E. jedoch mittel-und langfristige Änderungen der Knappheitsrelationen bei Festlegung des finanzpolitischen Kurses generell zu berücksichtigen. Eine durch Rückgang der Sparneigung verursachte gravierende Verteuerung von Kapital schwächt das gesamtwirtschaftliche Wachstum durch Verdrängung von privaten Investitionen. Infolge des engen Zusammenhanges der internationalen Kapitalmärkte bleiben derartige Verknappungserscheinungen zudem im allgemeinen nicht lange auf die nationalen Märkte beschränkt. Allerdings wäre von einer isolierten Aktion eines kleineren oder mittelgroßen Landes wenig Wirkung zu erwarten; koordinierte Konsolidierungsmaßnahmen mehrerer Länder mit Haushaltsproblemen können aber zweifellos einen wirksamen Beitrag zur Entlastung der internationalen Kapitalmärkte leisten. Große Industrieländer haben hier sogar eine besondere weltwirtschaftliche Verantwortung, zumal gerade auch die Entwicklungsländer die Benachteiligten von überhöhten Zinsen sein können.

Außer den gesamtwirtschaftlichen Rückwirkungen müssen vor allem aber auch die finanzwirtschaftlichen Grenzen der Staatsverschuldung beachtet werden. Mit zunehmender Schuldenquote in den öffentlichen Haushalten steigt nämlich auch die Zinsquote. Da die Zinsausgaben nicht zusätzlich zu den Investitionen ebenfalls aus Krediten finanziert werden können, ohne daß die Schuldenquote explodiert, ist eine Erhöhung der Abgabensätze oder eine Einschränkung der übrigen Ausgaben erforderlich. Das bedeutet, daß sich der finanzpolitische Handlungsspielraum für die laufenden Ausgaben und für diskretionäre Maßnahmen durch die Staatsverschuldung deutlich verengt, was im Extremfall zur Handlungsunfähigkeit führen kann.

Eine allgemeingültige Grenze für die Staatsverschuldung läßt sich aber auch aus finanzpolitischer Sicht nicht aufstellen. Sie hängt zum einen von der maximalen Zinslast ab, welche ein Land langfristig zu tragen bereit und in der Lage ist. Zum anderen wird sie aber auch von den jeweils gültigen mittelfristigen Wachstums-und Kapitalmarktbedingungen bestimmt. Je niedriger über längere Frist das Zinsniveau und je höher das Wirtschaftswachstum ist, desto höher kann natürlich die haushaltspolitisch tragbare laufende Verschuldung sein. Liegen der durchschnittliche Zinssatz der Staatsschuldtitel und die nominale Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes (BSP) auf etwa gleicher Höhe, so wird der Anteil der Zinsausgaben nach einer Übergangsphase maximal auf den Anteil der laufenden Neuverschuldung steigen. Beläuft sich der Zinssatz dagegen auf das Eineinhalbfache des nominalen BSP-Wachstums, dann werden die Zinsausgaben auf Dauer auf das Eineinhalbfache der Neuverschuldung anwachsen.

Eine solche Situation war in der Bundesrepublik typisch für die achtziger Jahre, und sie ist es auch heute noch. Bei einer Neuverschuldungsquote von z. B. 1, 5 Prozent des BSP, wie sie ab der Konsolidierungsperiode 1983 durchschnittlich erreicht wurde, würde eine Zins-ZWachstumsrelation von eineinhalb auf Dauer eine Zinsquote von fast 2, 5 Prozent des BSP bewirken. Bei einer regelmäßigen laufenden Neuverschuldung von z. B. 4 Prozent ergäbe sich dann eine Zinsbelastung von rund 6 Prozent.

Als sich Ende der achtziger Jahre die Zinsquote in den öffentlichen Haushalten auf „nur“ 2, 5 Prozent des BSP belief, wurde diese Belastung bereits zu Recht als erheblich empfunden. Ein Anstieg auf 6 Prozent müßte dementsprechend ganz erhebliche Eingriffe in die traditionellen Ausgaben-strukturen und/oder Abgabenerhöhungen zur Folge haben. Ohne zu übertreiben, wird man feststellen können, daß unter den jetzigen volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen schon eine Neuverschuldungsquote von 4 Prozent in der Bundesrepublik auf Dauer als finanzpolitisch nicht verkraftbar gelten muß.

Insgesamt zeigt die Erfahrung: Ist die öffentliche Schuldenlast einmal zu hoch, dann ergeben sich erhebliche Probleme: -Wenn die Belastungsgrenzen erreicht sind und die Märkte die Schuldenzunahme nicht oder nur zu unvertretbar hohen Kosten zu finanzieren bereit sind, wird der finanzpolitische Handlungsspielraum eingeengt. Neue Prioritäten können dann nicht oder nicht genügend bei den Ausgabenentscheidungen beachtet werden. -Das Wachstum wird durch die zur Finanzierung der Zinsausgaben notwendigen hohen Ausgaben erheblich geschwächt. Muß dann die Abgabenlast erneut angehoben werden, entsteht ein Teufelskreis, der zur Stagnation führen kann. -Über die Geldpolitik kann dieses Ergebnis noch verstärkt werden; je höher nämlich die Schuldenquote in den staatlichen Haushalten ist, desto größer sind die zinsabhängigen Haushaltsbelastungen einer restriktiven Geldpolitik. Irgendwann wird sich die Notenbank dann dem Druck der Regierung zu einer expansiveren Geldpolitik kaum noch entziehen können.

V. Fazit

Die gegenwärtige Diskussion um die Staatsverschuldung hat sich der entscheidenden Frage zugewandt, wie die bislang unaufhaltsam erscheinende Entwicklung gestoppt werden kann. Die Sorgen werden nicht zuletzt durch die Befürchtung genährt, daß die eigentliche Belastungsprobe noch bevorsteht, zumal sich ein beachtlicher Teil der künftigen Belastungen derzeit noch in Sonderhaushalten außerhalb der Budgets der Gebietskörperschaften verbirgt. 1992 hat sich das Defizit in den öffentlichen Haushalten auf schätzungsweise 120 Mrd. DM erhöht, was knapp 4 Prozent des BSP entspricht. Nicht hierin enthalten ist aber die Neuverschuldung der Treuhandanstalt, der Bundes-und Reichsbahn sowie der Post; sie belief sich insgesamt auf ca. 2 Prozent des BSP. Damit hat das öffentliche Gesamt-defizit 1992 knapp 6 Prozent des BSP erreicht; in der deutschen Nachkriegsgeschichte gab es nur einmal (1975) ein Defizit in dieser Größenordnung. Die Abgabenquote ist in der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, wie sie internationalen Vergleichen zugrunde liegt, im vergangenen Jahr auf 43, 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angestiegen und hat damit den höchsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik erreicht. Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland damit hinter Dänemark und knapp hinter Frankreich an der Spitze der Industrieländer. Die deutsche Politik wird in den nächsten Jahren sehr darauf achten müssen, daß weder die für die Überwindung der Vereinigungsprobleme unentbehrlichen Wachstumskräfte noch die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch eine weitere Anhebung der Abgaben-quote geschwächt werden.

Sicherlich ist die aktuelle Haushaltslage in der Bundesrepublik mit der zu Beginn der achtziger Jahre kaum vergleichbar. Die Ausweitung der Staatsverschuldung hängt heute trotz aller sonstigen Belastungen vor allem mit Mehrausgaben zusammen, die im Zusammenhang mit dem Beitritt der fünf bzw.sechs neuen Bundesländer für den Gesamtstaat entstanden sind. Ein großer Teil dieser Ausgaben sind Komplementärinvestitionen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes, haben also einen erheblichen Potentialeffekt. Insoweit ist ihre Kreditfinanzierung im Rahmen der haushaltspolitischen Möglichkeiten grundsätzlich durchaus gerechtfertigt.

Trotz ihrer teilweisen Berechtigung ist die Netto-neuverschuldung der letzten Jahre keinesfalls unproblematisch. Je länger der Prozeß der wirtschaftlichen Umstrukturierung in den neuen Bundesländern dauert, desto größer ist die Gefahr, daß ein immer größerer Teil der Ausgaben konsumtiven Charakter im Sinne von Erhaltungssubventionen oder Sozialtransfers annimmt. Schon jetzt wird ein erheblicher Teil der Mittel eingesetzt, um überhöhte Lohnsteigerungen und Sozialmaßnahmen zu finanzieren.

Wichtig ist daher, daß die Neuverschuldung bald wieder auf ein Maß zurückgeführt wird, das auch mittel-und längerfristig verkraftbar ist. Auch wachstumsfördemde Ausgaben können nicht immer voll durch Kredite finanziert werden, wenn es die haushaltspolitische Lage nicht erlaubt. Ferner sollte sichergestellt sein, daß die auch künftig notwendigen Finanztransfers in die neuen Bundesländer soweit wie möglich investiv verwendet werden. Im Westen darf die Finanzierung nicht ausschließlich über die Finanzmärkte erfolgen, sondern sollte primär aus den ordentlichen Einnahmen der öffentlichen Hände stammen. Mit dem jetzt erreichten Abschluß eines „Solidarpaktes“ ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan. Weitere Schritte -vor allem im Hinblick auf Kürzungen der öffentlichen Ausgaben -sollten folgen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Lorenz von Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft, Bd. 2, Leipzig 1878", S. 347.

  2. Heinz Haller, Finanzpolitik, Tübingen 1968", S. 151.

Weitere Inhalte

Hans Tietmeyer, Dr. rer. pol., geb. 1931; seit 1990 Direktoriumsmitglied der Deutschen Bundesbank und seit Herbst 1991 Vizepräsident der Deutschen Bundesbank; 1982-1989 Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, davor Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik im Bundesministerium für Wirtschaft. Zahleiche Veröffentlichungen zu Fragen der nationalen und internationalen Finanzwirtschaft sowie zu Problemen einer europäischen Wirtschafts-und Währungsunion.