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Die politischen Folgen der Streitkräfte-Reform der NATO | APuZ 15-16/1993 | bpb.de

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APuZ 15-16/1993 Globale Aufgaben und Herausforderungen: Die schwierige Suche nach Weltordnung Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen in einer Welt ethno-nationaler Konflikte Vor den Herausforderungen des Nationalismus: Die KSZE in den neunziger Jahren Die politischen Folgen der Streitkräfte-Reform der NATO Wandel im Wandel: Bundeswehr und europäische Sicherheit

Die politischen Folgen der Streitkräfte-Reform der NATO

Christian Tuschhoff

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Von einer breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, befindet sich die NATO in einem Prozeß der Reform ihrer Streitkräfte-und Kommandostrukturen. Dieser auf den ersten Blick rein militärische Prozeß hat wesentliche politische Folgen: Zum einen verändert sich das politische Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen NATO-Mitgliedern, zum anderen wandelt sich der Zusammenhalt der Allianz. Der Beitrag beschreibt die Tendenzen des Reformprozesses und kommt zu dem Schluß, daß der Einfluß der USA auf die Politik der NATO weiter abnehmen, der Einfluß der Bundesrepublik Deutschland aber längerfristig zunehmen wird. Gleichzeitig wird aber der Zusammenhalt der Allianz vor allem aus drei Gründen schwächer: erstens, weil die unmittelbare Bedrohung durch den Warschauer Pakt entfallen und diffusen Risikoszenarien gewichen ist, die nicht mehr Zentraleuropa, sondern die NATO-Flanken bedrohen; zweitens, weil im Zuge der Reformen Chancen verpaßt wurden, die notwendigen militärischen Verbindungen zwischen den NATO-Partnern einerseits und den NATO-Regionen -vor allem in Norden und Süden -andererseits zu knüpfen; und drittens, weil die NATO-Länder sich entschieden haben, statt einer weitergehenden Militärintegration den Weg einer militärischen Renationalisierung einzuschlagen.

I. Einleitung

Abbildung 2

Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Überzeugung, daß Militärpotentiale im Zeitalter einer zunehmenden internationalen Interdependenz auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet immer bedeutungsloser werden, wird hier die Ansicht vertreten, daß auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts militärische Macht durchaus noch politische Konsequenzen von fundamentaler Bedeutung für das Verhalten von Staaten zeitigt. Für militärische Allianzen waren und sind immer zwei miteinander zusammenhängende Fragen von herausragender Bedeutung: Erstens, welchen relativen Einfluß und welches politische Gewicht haben die einzelnen Mitgliedstaaten auf die Politik der Allianz als Ganzes, und inwieweit spiegeln Militärpotentiale dieses relative Gewicht wider? Und zweitens, auf welchen militärischen Bindemitteln beruht der politische Zusammenhalt der Allianz -zumal nach dem Wegfall bzw.der Verringerung der gemeinsamen Bedrohung und wie stark ist die Allianzkohäsion insbesondere in Krisenzeiten?

Nach der Auflösung des Ost-West-Konfliktes hat die Atlantische Allianz tiefgreifende Reformen ihrer Militärstrategie, ihrer Streitkräfte und ihrer Kommandostrukturen beschlossen. Streitkräfte-und Kommandostrukturen spielen aber nach wie vor eine herausragende Rolle bei der Festlegung von Bündnistreue, Risiko-und Lastenteilung sowie der Verteilung von politischem Einfluß auf die Staaten und bestimmen auf diese Weise den Zusammenhalt der Allianz. Im folgenden wird untersucht, wie sich die Allianzkohäsion und das relative Gewicht der einzelnen NATO-Mitgliedstaaten unter den Bedingungen der neuen Streitkräfte-und Kommandostruktur verändert haben

II. Die Veränderungen in der NATO

Die Bedrohung des NATO-Gebietes ist angesichts des Zusammenbruches des Warschauer Paktes signifikant gesunken. Fortbestehende oder neu heraufziehende Bedrohungen betreffen vor allem die NATO-Flanken im Norden und im Süden. Im Norden Europas ist ungeachtet des Zusammenbruchs der Sowjetunion eine stetige Aufrüstung der Raketen-U-Boote der ehemals sowjetischen Flotte im Nordmeer zu verzeichnen. Hinzu kommen Verbände der Marine, Luftwaffe und des Heeres auf der Kola-Halbinsel, die das militärische Kräfteverhältnis an der norwegischen Nordgrenze erheblich zum Nachteil der NATO verschoben haben. Die aus Mittel-und Osteuropa abziehenden GUS-Streitkräfte werden zumindest zum Teil an die Nordflanke verlegt

Im Süden drohen militärische Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen -wie im früheren Jugoslawien vor allem bewaffnete Konflikte aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und aus der Dritten Welt auf Europa überzuspringen. Diese Konflikte resultieren aus Instabilitäten mangels politischer Institutionen in den neu entstandenen Staaten, aus der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Lage und der Armut, aus der Behandlung von Minderheiten und der Bevölkerungsexplosion sowie schließlich aus den religiösen und ideologischen Fundamentalismen Während die Streitkräfte der NATO in Zentraleuropa erheblich verringert werden konnten, besteht vor allem der Bedarf, ein militärisches Potential bereitzustellen, das auf krisenhafte Zuspitzungen reagieren kann, die aus diesen latenten Konflikten hervorgehen könnten. Streitkräfte in Zentraleuropa werden in Zukunft immer häufiger zur Verstärkung von Bündnistruppen an den NATO-Flanken herangezogen werden. Der Zusammenhalt der Atlantischen Allianz wird deshalb unter anderem daran zu messen sein, wie stark die Bündnissolidarität der Mitteleuropäer gegenüber den Staaten Nord-und Südeuropas ausgeprägt ist. Die NATO hat versucht, in einer ersten Streitkräftereform dieser Solidarität durch die Einrichtung von multinationalen Truppenverbänden Ausdruck zu verleihen. 1. Das Organisationsprinzip multinationaler Korps Während unter der bisherigen Streitkräftestruktur Landstreitkräfte erst auf der Ebene von Heeresgruppen multinational zusammengesetzt waren, sollten gemäß der im Frühjahr 1992 beschlossenen NATO-Streitkräftestruktur nunmehr schon Korps aus Truppen von zwei oder mehr Nationen zusammengesetzt werden. Diese Integrationsform verfolgt vier verschiedene Zwecke Erstens soll damit der Zusammenhalt des Bündnisses bei der Verteidigung bekräftigt werden. Dies war besonders deshalb notwendig geworden, weil die alte Stationierung gemäß dem „Schichttortenmuster“ unter der neuen Streitkräftestruktur weggefallen war. Zweitens soll durch multinational zusammengesetzte Streitkräfte die Abschreckung erhöht werden, weil dadurch einem potentiellen Gegner die Möglichkeit verwehrt wird, Mitgliedsländer zu singularisieren. Ein Angreifer hätte sofort mit dem Widerstand der gesamten Militärallianz zu rechnen Drittens dient die Multinationalität von NATO-Streitkräften auf der Korps-Ebene der Einbindung nationaler Truppenkontingente und damit der Verhinderung nationaler Sonderwege Die Einbindung nationaler Verbände in multinationale Strukturen soll folglich eine nicht zu unterschätzende Beschränkung wenn nicht sogar die Aufgabe nationaler Verfügungsgewalt über diese Streitkräfte bezwecken. Der sicherheitspolitische Status aller NATO-Mitgliedstaaten soll durch multinationale Korps im Sinne verminderter Souveränität modifiziert werden.

Hinter diesem Ziel der Beschränkung nationaler Handlungsoptionen war aber auch durchaus der Versuch der Nachbarstaaten Deutschlands zu sehen, die Bundesrepublik nach vollzogener Wiedervereinigung sicherheitspolitisch beeinflussen, wenn nicht sogar kontrollieren zu wollen. Aus der Sicht der alliierten Mächte war dies notwendig geworden, weil die bisherigen Instrumente zur Eindämmung Deutschlands -die Teilung, die Rechte der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, die Abhängigkeit der Bundeswehr von NATO-Kommandobehörden sowie die Präsenz alliierter Truppen in Deutschland -teils schwächer geworden, teils vollständig fortgefallen waren. Und schließlich -viertens -dient die Umstrukturierung der NATO-Streitkräfte dazu, eine Begründung für die Existenz von Streitkräften zu finden, die andernfalls nationalen Budgetkürzungen und damit der Friedensdividende zum Opfer zu fallen drohten. Die weitere Entwicklung hat jedoch gezeigt, daß dieser letzte Zweck -die Verhinderung von Kürzungen nationaler Verteidigungshaushalte -nicht erreicht werden konnte. 2. Die Reduzierung nationaler Truppen-kontingente Eine weitere wesentliche Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses zwischen den NATO-Partnern entspringt der Tatsache, daß die USA ihre Streitkräfte in Europa stärker reduzieren als ihre europäischen Alliierten Damit wird die Atlantische Allianz stärker europäisiert.Es sollte aber auch nicht verkannt werden, daß nicht nur die USA, sondern auch die europäischen NATO-Mitglieder ihre der NATO assignierten (d. h.der Kommandogewalt eines NATO-Befehlshabers unterstellten) nationalen Truppenkontingente ständig verringern. Schon heute ist abzusehen, daß die im Frühjahr 1992 geplante Streitkräftestruktur der Allianz nicht verwirklicht werden wird, weil sich die Mitgliedstaaten nicht in der Lage sehen, die in diese Planung eingestellten Kontingente zu erfüllen. Diese Entwicklung ist besonders bei den Hauptverteidigungsstreitkräften in Mitteleuropa zu verzeichnen. Damit verlagert sich das Schwergewicht der NATO-Streitkräfteplanung von den Hauptverteidigungsstreitkräften auf die schnellen Reaktionsstreitkräfte. Eine zweite Folge der abzusehenden Kürzungsmaßnahmen wird sein, daß sich der Wunsch der europäischen NATO-Länder, die Streitkräfte der Bundesrepublik in multinationale Truppenverbände einzubinden, immer weniger realisieren lassen wird. Dies zeigt ein genauerer Blick auf die Hauptverteidigungsstreitkräfte der NATO in Mitteleuropa. 3. Hauptverteidigungsstreitkräfte Für den Präsenzgrad der NATO-Landstreitkräfte ist die jeweilige Einordnung in drei verschiedene Kategorien wesentlich: Hauptverteidigungsstreitkräfte (main defense forces), schnelle Reaktionsstreitkräfte (rapid reaction forces) und Verstärkungsstreitkräfte (reconstitution oder augmentation forces). Zusätzlich wird die Allied Mobile Force (AMF) als sogenannte Immediate Rapid Force mit ihren Land-(AMF/L) und Luftkomponenten (AMF/A) beibehalten.

Die Hauptverteidigungsstreitkräfte sind auf Mobilmachungen bzw. auf die Auffüllung durch Reserveeinheiten angewiesen und erst nach etwa drei Monaten kampfbereit. Die Korps werden in Friedenszeiten in der Regel nicht mehr über drei, sondern lediglich über zwei Divisionen verfügen. Bei den Landstreitkräften in Mitteleuropa wird die NATO nach den nationalen Kürzungsmaßnahmen über eine Streitkräftestruktur verfügen, die voraussichtlich zusammengesetzt sein wird aus -dem bereits bestehenden deutsch-dänischen Korps „Landjut“ in Kamp, Dänemark, das im Wechsel von einem deutschen und einem dänischen militärischen Befehlshaber kommandiert wird und das über einen multinational integrierten Stab verfügt; -einem multinationalen Korps mit einer deutschen und einer niederländischen Division unter dem Kommando eines deutschen Offiziers.

Diesem Korps ist darüber hinaus jene britische Division assigniert, die in der Bundesrepublik stationiert bleiben wird und die gleichzeitig dem Rapid Reaction Corps der NATO assigniert ist. Über den belgischen Beitrag zu diesem Korps -eventuell eine Brigade -ist noch nicht entschieden worden;

-einem amerikanisch-deutschen Korps mit zwei amerikanischen und einer deutschen Division.

Das Korps steht unter dem Befehl eines amerikanischen Kommandanten mit amerikanischem Stab. Zur deutschen Division gibt es lediglich einen Verbindungsstab. Jedoch kann auch eine amerikanische Division aus diesem Korps her-ausgelöst und einem deutschen Korps unterstellt werden, wenn dies militärisch zweckmäßig ist;

-schließlich einer französischen und einer deutschen Division, die den Kern eines zukünftigen Eurokorps bildet, das 1996 einsatzbereit sein soll.

In Deutschland bleiben die Kernelemente für acht deutsche, eine britische, eine niederländische und zwei amerikanische Divisionen sowie für eine belgische Brigade stationiert. Die zunächst vorgesehene Stationierung eines entsprechenden Kems für eine kanadische Division in Deutschland wurde mittlerweile durch die Entscheidung Kanadas, angesichts der angespannten Haushaltslage seine Truppen vollständig aus Europa abzuziehen, zunichte gemacht 4. Schnelle Reaktionsstreitkräfte Die nach kurzer Frist verfügbaren Streitkräfte der NATO werden in sofort verfügbare (immediate) und schnell verfügbare (rapid) Reaktionsstreitkräfte eingeteilt Als eine Immediate Reaction Force aus Land-und Luftkomponenten (IRF Land/Air) wird die sogenannte Allied Mobile Force (AMF) fortbestehen. Sie wird die Größe einer Brigade -ca. 5000 Mann -besitzen und innerhalb von 72 Stunden einsatzbereit sein. Der Auftrag der IRF ist defensiv und soll vor allem dazu dienen, einem Gegner die Bündnissolidarität vor Augen zu führen Die Bundesrepublik wird zu dieser Streitkraft vor allem eine Luftlandebrigade und zwei Jagdbomberstaffeln beitragen. Die maritime Komponente der Immediate Reaction Force kann sowohl von SACEUR (Supreme Allied Commander Europe = Oberster Alliierter Befehlshaber Europa) als auch von SACLANT (Supreme Allied Commander Atlantic = Oberster Alliierter Befehlshaber Atlantik) angefordert und eingesetzt werden

Die schnellen Reaktionsstreitkräfte werden aber vor allem aus einem Korps bestehen, das innerhalb von zehn bis vierzehn Tagen einsatzbereit sein könnte. Dieses Korps wird nach dem gegenwärtigen Planungsstand aus nationalen und multinational zusammengesetzten Divisionen bestehen Großbritannien stellt dazu den Kern von zwei Divisionen: einer schweren, in Deutschland stationierten Panzerdivision und einer leichten ungepanzerten in der Nähe von Andover, England, stationierten Infanteriedivision. Zwei weitere Divisionen des Rapid Reaction Corps (RRC) wurden multinational zusammengesetzt aus deutschen, holländischen und belgischen Verbänden für Mitteleuropa einerseits sowie aus griechischen, italienischen und türkischen Verbänden für Südeuropa andererseits. Diese multinational zusammengesetzten Divisionen werden schon in Friedenszeiten der operativen Führung des Korpskommandanten unterstehen, während die nationalen Divisionen lediglich assigniert sind Die Bundesrepublik wird drei Brigaden in dieses Korps entsenden. Die USA tragen eine in Deutschland stationierte Division, einige Angriffshubschrauber sowie Luftunterstützung durch FGA (Fighter Ground Attack) mit präzisionsgelenkten Luft-Boden-Raketen zu diesem Korps bei, das sonst ausschließlich aus europäischen Truppenteilen zusammengesetzt ist. Die für die schnelle Verlegbarkeit dieses Korps unabdingbaren Lufttransportkapazitäten sowie die Aufklärungskapazitäten kommen ebenfalls aus den USA.

Dieses schnelle Reaktionskorps wird von einem britischen Kommandanten befehligt. Auf deutsches Drängen hin wurde dem Kommandeur jedoch ein multinational besetzter Stab zur Seite gestellt, der am 1. Oktober 1992 eingerichtet wurde. Das Problem des RRC besteht jedoch darin, daß acht Divisionen auf der Korps-Ebene operativ nicht geführt werden können. Insofern ist kaum damit zu rechnen, daß das Korps als Ganzes zum Einsatz kommen wird. Denkbar wäre, daß aus diesem einen Korps zwei kleinere (entweder entlang geographischer oder funktionaler Trennlinien) geformt werden. Wahrscheinlicher aber ist, daß für einen bestimmten Verteidigungsauftrag Truppenteile aus diesem Korps nach dem Baukastenprinzip ad hoc zusammengestellt und eingesetzt werden Doch damit verfehlt das Korps seinen politischen Sinn: den Zusammenhalt des gesamten Bündnisses in Krisensituationen zu demonstrieren.

Zu der Luftkomponente der schnellen Reaktionsstreitkräfte werden die USA, Deutschland, Großbritannien, Italien und die Niederlande Streitkräfte entsenden. Diese Luftstreitkräfte werden von einem deutschen General kommandiert Im Gegensatz zur Immediate Reaction Force verfügt die Luftkomponente der Rapid Reaction Force über Gegenschlags-und Angriffsfähigkeiten.

Die sogenannte Verstärkungsstreitkräfte (reconstitution oder augmentation forces) bleiben nach ihrer Größe zunächst unbestimmt. Sie bestehen aus einem Kem von präsenten Verbänden, vor allem aber aus Reservetruppen, die im Krisenfall mobilisiert werden müßten. Dieses Verfahren würde Monate benötigen, bis die Streitkräfte einsatzfähig wären. Nach der gegenwärtigen Planung werden diese Verstärkungsstreitkräfte ausschließlich von den USA gestellt werden. 5. Die neue NATO-Kommandostruktur Die neue Kommandostruktur der NATO ist im Vergleich zur alten dadurch gekennzeichnet, daß durch Umstrukturierung und Zusammenfassung einige Kommandobehörden ganz weggefallen sind und andere erheblich verkleinert werden konnten. Die bisherige Kommandostruktur der NATO sah drei sogenannte Major NATO Commands (MNC) mit den Befehlsbereichen Atlantik, Ärmelkanal und Europa vor. Diese Dreiteilung wurde auf zweiMajor Commands für den Bereich Atlantik und Europa verkleinert. Die weiteren wichtigen Reformen der Kommandostruktur betreffen vor allem den Befehlsbereich des NATO-Oberkommandos Europa.

Der Oberbefehlshaber für Europa (Supreme Allied Commander Europe, SACEUR) war immer ein amerikanischer General, der in Personalunion gleichzeitig der Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in Europa (Allied Commanderin-Chief Europe, CINCEUR) war. In dieser Doppelrolle hat der amerikanische SACEUR die besondere Bindung der USA an Europa verkörpert. Dies galt insbesondere auch für die nukleare Garantie der Vereinigten Staaten zum Schutz von Europa. Ferner verfügte SACEUR über das Recht des direkten Zugangs zu den Regierungen der europäischen NATO-Länder, die in den Militärorganisationen vertreten waren, und in seiner Rolle als US-Oberbefehlshaber zusätzlich über das Recht auf direkten Vortrag beim amerikanischen Präsidenten. Außerdem besitzt ein amerikanischer General vor dem US-Kongreß eine weit höhere Glaubwürdigkeit als jeder Europäer Obwohl es in der Allianz eine Diskussion über die Besetzung von SACEUR gegeben hat ist es im Ergebnis -zumindest vorläufig -dabei geblieben, diesen Posten aus den genannten Gründen auch unter der neuen Kommandostruktur an die USA zu vergeben. Im Gegenzug mußten die USA den Europäern zugestehen, im Zuge der fortschreitenden Bildung einer Politischen Union die Westeuropäische Union (WEU) stufenweise zu einer Verteidigungsallianz auszubauen

Die Kompromißformulierung, die WEU und die NATO seien kompatibel, kann den grundsätzlichen Dissens nur mühsam verdecken Mittlerweile haben sich die USA offenbar mit dieser Entwicklung einer eigenständigen europäischen Verteidigungsidentität abgefunden, weil sie nicht verhindert werden konnte. Washington arbeitet konstruktiv mit Deutschland und Frankreich zusammen, die den militärischen Kern des soge-nannten Euro-Korps stellen werden. Zwischen SACEUR und den Generalstabschefs dieser beiden Länder konnte ein Abkommen ausgehandelt werden, in dem die Zusammenarbeit zwischen dem Euro-Korps und den NATO-assignierten Truppenverbänden geregelt ist. Es sieht z. B. die Möglichkeit von gemeinsamen Manövern und Übungen vor Mit diesem Abkommen wurden wesentlichen Befürchtungen der USA Rechnung getragen. Nachhaltiger Widerstand im Bündnis kommt aber immer noch von Großbritannien, das die Konkurrenz des Euro-Korps zum NATO-RapidReaction Corps kritisiert.

Am deutlichsten sind die Veränderungen der NATO-Kommandostruktur auf der Ebene der Major Subordinate Commands (MSC). Dies gilt zunächst für die Grenzziehung zwischen den Befehlsbereichen Europa-Mitte (AFCENT) und dem neu gebildeten MSC AFNORTHWEST, das aus dem alten MNC CINCHAN (Allied Commanderin-Chief Channel = Oberster Alliierter Befehlshaber Ärmelkanal und südliche Nordsee) und dem MSC AFNORTH (Allied Forces Northern Europe = Alliierte Streitkräfte Europa Nord) gebildet worden ist.

Auf der AFCENT nachgeordneten Ebene der Principle Subordinate Commands (PSC) werden die bisherigen Heeresgruppen NORTHAG (Northern Army Group = Heeresgruppe Nord) und CENTAG (Central Army Group = Heeresgruppe Europa Mitte) zu einem Kommando LANDCENT zusammengefaßt. Dessen Kommando wird turnusmäßig zwischen einem deutschen und einem niederländischen General wechseln. Bei der AFCENT unterstellten Luftwaffe wird das Kommando Allied Air Forces Central Europe in Ramstein in AIRCENT umbenannt. Es steht unter dem Befehl eines amerikanischen Generals, dem ein deutscher Stabschef zur Seite steht. Die beiden Subordinate Area Commands (SAC) für die beiden taktischen Luftflotten (TWOATAF/FOURATAF) werden aufgelöst und die entsprechenden Luftwaffen-Geschwader direkt dem AIRCENT unterstellt.

Für die schnellen Reaktionsstreitkräfte wird bei SACEUR ein besonderer Planungsstab (Allied Reaction Forces Planning Staff, ARFPS) eingerichtet. Zur Führung der Luftkomponente wird ein Reaction Force Air Staff (RASF) unter deutschem Kommando eingerichtet, der über einen beweglichen Mobile Air Operation Center (MAOC) verfügen wird.

III. Die politischen Folgen der Streitkräftereformen für die NATO

In welcher Weise hat nun die Reform der Streitkräfte-und Kommandostrukturen das relative Gewicht und den Einfluß der einzelnen Mitgliedstaaten in der Allianz sowie den Zusammenhalt im Bündnis verändert? Diese beiden Fragen sind politisch besonders bedeutsam, weil gerade von deutscher Seite häufiger Klagen zu hören waren, daß sich das der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung zustehende politische Gewicht in der Allianz noch nicht angemessen widerspiegele. Dagegen seien die USA und Großbritannien trotz des Teilabzugs ihrer Streitkräfte in den Hauptquartieren der NATO immer noch überrepräsentiert Der deutsche Anteil an NATO-Kommandoposten ist von 27 Prozent unter der alten Kommandostruktur auf 33 Prozent unter der neuen angestiegen Mit einer weiteren Verschiebung zugunsten der Bundesrepublik ist zu rechnen, weil dies in der Logik der Entwicklung der Streitkräfte des Bündnisses liegt und weil zu erwarten ist, daß einige den deutschen Anteil beschränkende innenpolitische Restriktionen wegfallen werden. Wie auch immer die anhaltende Diskussion über die Besetzung von NATO-Posten ausgehen mag -es gibt schon heute einige Argumente, die das deutlich gewachsene politische Gewicht der Bundesrepublik in der Allianz begründen. Auf der anderen Seite sind dem Einfluß Deutschlands aber auch durch die NATO-Streitkräfte-und -Kommandostruktur Grenzen auferlegt worden.

1. Die Stärkung des deutschen Einflusses in der NATO

Zunächst wird der militärische Einfluß der Bundesrepublik im Rahmen der NATO-Militärintegration durch einen weitgehend unbeachteten Sachverhalt anwachsen: Die Tatsache, daß es in der NATO angesichts der vielfältigen, diffusen Bedrohungen keine gültigen Verteidigungspläne mehr, sondern lediglich contingency plans geben wird, stellt höhere Anforderungen an die kommandierenden Truppenbefehlshaber und ihre Stäbe. Sie müssen mehr als bisher in operativen Szenarien denken und handeln. Mit diesen höheren Anforderungen an die Truppenführung geht aber auch eine Dezentralisierung von Verantwortung und Einfluß in der NATO-Militärorganisation einher. Die militärischen Oberbefehlshaber verlieren zugunsten der Korpskommandanten an Gewicht. Dies schwächt den Einfluß der USA im Rahmen der NATO-Militärintegration insofern, als zum einen das Gewicht von SACEUR abnimmt und zum anderen die USA nur noch ein Korps in Zentraleuropa statt wie bisher zwei kommandieren.

Angesichts der Tatsache, daß die Bundesrepublik nach wie vor das größte mitteleuropäische Truppenkontingent innerhalb der Allianz stellt und daß die Deutschen in jedem multinationalen Verband vertreten sind, wird sich das politische und militärische Gewicht Deutschlands in der NATO langfristig noch weiter erhöhen. Unter anderem werden die Deutschen in absehbarer Zeit weitere Befehlsstellen für sich beanspruchen Die alliierten Stationierungsstreitkräfte, die ursprünglich als Besatzungsstreitkräfte in der Bundesrepublik stationiert waren, geraten auf diese Weise zunehmend unter den Einfluß der Deutschen. Überdies sind der deutschen Luftwaffe im Zuge der Vereinigung Deutschlands neue Verteidigungsaufgaben zugewachsen, die das politisch-militärische Gewicht der Bundesrepublik im Bündnis erhöhen. So übernimmt die Luftwaffe Verantwortlichkeiten für die Überwachung und Verteidigung des Luftraumes in Mitteleuropa -eine Rolle, die bislang überwiegend Aufgabe amerikanischer und britischer Streitkräfte war. Hinzu kommt, daß gemäß den Bestimmungen des Zwei-plus-Vier-Vertrages ausschließlich die deutsche Luftwaffe zumindest vorübergehend Aufgaben im Rahmen der Luftverteidigung Ostdeutschlands übernimmt

Ein zweiter Grund für den zu erwartenden Anstieg des Einflusses der Bundesrepublik ergibt sich aus der multilateralen Integration von Streitkräften auf der Korpsebene. Diese integrierte Streitkräftestruktur stellt höhere Anforderungen an die Interoperabilität von Großgerät, die Standardisierung von Ausrüstungen und Waffensystemen, die Einsatz-und Führungsgrundsätze bis hin zu den Befehlsverfahren und Meldemustern, die Aufklärungssysteme sowie die Ausbildungspläne der Truppen Die stärkere Integration setzt in allen diesen Bereichen eine größere Vereinheitlichung der nationalen Streitkräfte voraus, wenn die militärische Effektivität erhalten werden soll.

Dieser Sachverhalt hat Folgen für die politischen und militärischen Spielräume der einzelnen Partnerstaaten. Bei der Beschaffung von Ausrüstungen und Material, der Ausbildung und operativen Führung von Streitkräften werden nationale Entscheidungen zunehmend an Kooperationsmechanismen der Allianz gebunden wenn die einzelnen Partnerländer nicht erhebliche Einbußen bei der Effektivität gemeinsamen militärischen Krisenmanagements hinnehmen wollen. Angesichts der Forderungen nach strikter Interoperabilität und Standardisierung wird sich im Konfliktfalle in der NATO in Fragen der Bewaffnung und Ausrüstung vor allem dasjenige Land durchsetzen können, das die größten Truppenkontingente stellt und nationale Streitkräfte in die meisten multinationalen Verbände entsendet. Der neuen NATO-Streitkräftestruktur zufolge wird dies die Bundesrepublik Deutschland sein.

Ein dritter Grund, weshalb das Gewicht Deutschlands in der NATO wachsen wird, hängt mit der Unterstellung von Streitkräften unter NATO-Kommando zusammen. Deutschland besitzt in den neuen Bundesländern das einzige rein nationale Korps in Mitteleuropa, das -zumindest bis 1994 -nicht der NATO unterstellt ist. Damit verfügt Deutschland über eine nationale militärische Option, die ihr unter der bisherigen NATO-Militärintegration nicht offenstand. Als Ausdruck sowohl der historischen Verantwortung Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg als auch der besonderen Bündnissolidarität der Bundesrepublik hatte Deutschland bisher auf eine nationale Führungsfähigkeit seiner Streitkräfte verzichtet. Deshalb muß auch das Nachlassen der politischen Spannung in Europa, die die besondere Bündnis-solidarität der Bundesrepublik verursachte, als Grund dafür gewertet werden, daß Deutschland sich nunmehr -mit völkerrechtlicher Zustimmung der Siegermächte im Zwei-plus-Vier-Vertrag -diese nationale Befehlsgewalt wiederbeschafft. Es bleibt abzuwarten, ob die Bundesrepublik nach dem Abzug der GUS-Streitkräfte freiwillig wieder auf diesen Statusgewinn verzichten und die in denneuen Bundesländern stationierten Streitkräfte assignieren wird.

An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, daß mit der Aufstellung eines nicht der NATO assignierten Korps in den fünf neuen Bundesländern ein Trend in Richtung nationale Führung deutscher Streitkräfte vorgezeichnet ist Dieser Tatbestand wird auch dadurch erhärtet, daß sowohl der Generalinspekteur als auch die Inspekteure von Luftwaffe und Heer gefordert haben, daß die künftige Führungsstruktur der Bundeswehr stärker als bisher die nationale Führungsfähigkeit der deutschen Streitkräfte gewährleisten müsse Gemäß der gegenwärtig gültigen Beschlußlage erhält die Bundeswehr tatsächlich eine zusätzliche nationale Führungsfähigkeit Den Führungsstäben der Teilstreitkräfte von Luftwaffe, Heer und Marine, die in Friedenszeiten dem Bundesverteidigungsminister und im Krieg direkt dem Bundeskanzler unterstehen, werden Führungskommandos für die jeweiligen Teilstreitkräfte nachgeordnet Diese Führungskommandos sollen im Herbst 1994 einsatzbereit sein und erhalten Zuständigkeiten für die operative Führung von Truppen. Der Zeitpunkt der Einsatzbereitschaft fällt etwa mit dem Abzug der ehemals sowjetischen Streitkräfte aus Ostdeutschland zusammen. Selbst wenn nicht alle Vorstellungen der militärischen Führung im Bundesverteidigungsministerium erfüllt wurden so bleibt doch festzuhalten, daß damit der entschei-dende Schritt zur nationalen Führungsfähigkeit der Bundeswehr getan ist.

Diese Entwicklung geht einher mit der vor allem von den NATO-Partnern geäußerten Erwartung, daß die Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung ihrem größeren Gewicht in der Welt Rechnung tragen und mehr Verantwortung für den Weltfrieden übernehmen müsse. Es bestehe die Gefahr, daß die deutsche Sicherheitspolitik in Provinzialismus abgleite. Die moralisch respektable Haltung, Lehren aus der deutschen Schuld für die Tragödien der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts zu ziehen, dürfe nicht zur „Machtvergessenheit“ (Hans-Peter Schwarz) führen Zu diesem Zweck hat Deutschland begonnen, seine Streitkräfte umzustellen, um der wiedergewonnenen Souveränität Ausdruck zu verleihen. Während aber die deklaratorischen Reformbegründungen allesamt auf eine multinationale Einbindung der deutschen Streitkräfte abheben, deuten die Trends der Reorganisation der Streitkräfte eher auf eine Renationalisierung der Verteidigung hin Dieser Trend zur Rückgewinnung außen-und sicherheitspolitischer Souveränität wird ferner dadurch akzentuiert, daß ein Teil der NATO-assignierten deutschen Streitkräfte gleichzeitig einem noch zu schaffenden Kommando für das soge-nannte Euro-Korps unterstellt werden soll. Aus deutscher Sicht bedeutet dies einen Zugewinn einer weiteren Entscheidungsoption für die Bundesrepublik, welche Koalition sie in einer Krise nutzen möchte.

In der reformierten NATO-Kommandostruktur hat sich die gestiegene Bedeutung der Bundesrepublik bisher kaum niedergeschlagen. Der Grund ist zum einen darin zu sehen, daß diese Struktur ohnehin verkleinert worden ist. Zum anderen wurde das Major NATO Command Channel aufgelöst, weshalb der dort dominierende Einfluß Großbritanniens in anderen Befehlsstellen kompensiert werden mußte. London ist es offenbar gelungen, den Verlust verhandlungstaktisch zu nutzen und gegen eine adäquate Repräsentanz in der neuen Kommandostruktur einzutauschen. Dagegen haben die Stellenstreichungen in der NATO-Militärorganisation die Bundesrepublik ohne vergleichbare Kompensationen getroffen. So mußte Deutschland auf den Posten des zweiten Stellvertretenden Oberbefehlshabers für Europa verzichten und sich mit dem des Stabschefs, vormals eine von den USA besetzte Position, begnügen Allerdings unterstehen sowohl AFCENT als auch das Kommando der Luftwaffe bei den schnellen Reaktionsstreitkräften einem deutschen Befehlshaber.

Wenn sich die hier genannten Trends in der erwarteten Weise einstellen, so ist damit zu rechnen, daß dies auch Folgen für die Einstellung der deutschen Öffentlichkeit zur Rolle Deutschlands in der Weltpolitik haben wird. So erwartet z. B. die politische Führung im Bundesverteidigungsministerium, daß eine erweiterte Rolle Deutschlands im Bündnis letztlich dazu führen wird, daß noch vorhandene innenpolitische Widerstände gegen Streitkräfteeinsätze außerhalb des NATO-Gebietes überwunden werden können. Solche Äußerungen sind natürlich auch als Signal an die NATO-Partner zu verstehen, daß die Übernahme von mehr Verantwortung durch Deutschland auf Dauer mehr Mitsprache durch gesteigerten Einfluß bedeuten muß.

Die drei Westmächte haben die veränderte Sachlage nach der im Zuge des Zwei-plus-Vier-Vertrages wiedergewonnenen nationalen Souveränität in der deutschen Außenpolitik bereits zu spüren bekommen, als es darum ging, neue Verträge für die Stationierung ihrer Streitkräfte auf deutschem Territorium auszuhandeln. Die Bundesregierung hat dabei klargemacht, daß sie nunmehr die letzte und höchste Autorität in vielen Einzelfragen der Stationierung alliierter Streitkräfte für sich beansprucht 2. Die Grenzen deutscher Machtausdehnung Die Einschätzung, daß der Einfluß der Bundesrepublik Deutschland in der Atlantischen Allianz gestiegen ist, wird allerdings dadurch relativiert, daß sich diese Machtausdehnung vor allem innerhalb Mitteleuropas abspielt, sich aber kaum auf die strategisch wie geopolitisch wichtigen NATO-Flanken im Norden (AFNORTHWEST) und Süden (AFSOUTH) auswirkt. Zwischen den Befehlshabern Mittel-und Südeuropa gibt es sowohl eine geographisch sichtbare (Alpen) wie militärisch unsichtbare Grenze. Außer den Vereinigten Staaten trägt keiner der in Mitteleuropa präsenten Allianzpartner Streitkräfte außerhalb der beweglichen schnellen Reaktionsstreitkräfte zur Verteidigung der NATO-Südflanke bei. Umgekehrt halten sich die südeuropäischen NATO-Verbündeten von Portugal bis zur Türkei aus der Verteidigungsorganisation für Mitteleuropa heraus. Daran hat sich auch nach der Streitkräfte-und Kommandostrukturreform nichts geändert. Das verpflichtende militärische Band der gemeinsamen Verteidigung ist über die neutralen Länder Österreich und die Schweiz sowie über die Alpen hinweg immer noch sehr lose geknüpft.

Der Fortschritt unter den neuen Verhältnissen besteht allerdings darin, daß die militärische Integration in den schnellen Reaktionsstreitkräften diese Grenzziehung zu überwinden sucht, obwohl die bisher geplante multinationale Zusammensetzung der Divisionen die Alpengrenze erneut bestätigt. Es gibt keinen Streitkräfteverband, der entweder durch Stationierung oder durch Multinationalität die Verbindung zwischen Mittel-und Südeuropa herstellen könnte. Damit wird dieser Brücken-schlag in die Hände politischer Entscheidungsträger gelegt. In welchem Maße die NATO-Mitgliedstaaten aber in einer Krise zur Einhaltung ihrer Bündnisverpflichtungen durch kollektive Entscheidungen zum Einsatz der schnellen Reaktionsstreitkräfte gedrängt werden können, läßt sich anhand öffentlich zugänglicher Informationen nicht beurteilen, da die zur Einschätzung unerläßlichen Alarmpläne für den Einsatz dieser Streitkräfte strikter Geheimhaltung unterliegen.Die Rolle der Bundeswehr bleibt folglich auf absehbare Zeit auf die Verteidigung des Befehlsbereiches Mitteleuropa beschränkt. Sie leistet bisher kaum einen militärischen Beitrag zur Verteidigung der NATO-Flanken. Für eine schnelle Verlegung von Bundeswehrverbänden fehlen die notwendigen Transportkapazitäten. Der deutsche Einfluß in den Major Subordinate Commands AFNORTH-WEST und AFSOUTH ist zu vernachlässigen. Außerdem ist im Vergleich zu Großbritannien der deutsche Beitrag zum und der deutsche Einfluß im Rapid Reaction Corps entsprechend gering. Eine Ausweitung setzt aber erstens voraus, daß ein breiter innenpolitischer Konsens über den Einsatz deutscher Streitkräfte außerhalb des NATO-Gebietes und eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes zustande kommt. Zur Zeit muß schon als wesentlicher Fortschritt auf diesem Weg gewertet werden, daß der Bundesverteidigungsminister am 15. Dezember 1992 vor der Presse erklärte, daß die Bundeswehr nicht nur die deutschen Grenzen, sondern „Deutschland und seine Verbündeten“ verteidigen werde

Zweitens hat die Bundesrepublik bei der Ausdehnung ihres Einflusses in der Allianz mit dem Problem zu kämpfen, daß sie nicht über eine Freiwilligenarmee verfügt, sondern auf die Wehrpflicht angewiesen ist. In der NATO ist argumentiert worden, daß das Kommando des Korps der schnellen Reaktionsstreitkfäfte besser an ein Land vergeben werden sollte, das über eine Freiwilligenarmee verfüge und deshalb in einer Krise unabhängiger vom innenpolitischen Konsens agieren könne.

Ein dritter, die machtpolitische Ausdehnung der Bundesrepublik behindernder, Grund liegt im mangelnden innenpolitischen Konsens über Bundeswehreinsätze außerhalb des NATO-Gebietes, der seinen Ausdruck bislang in der restriktiven Auslegung des Grundgesetzes findet. Bis zu einer Verfassungsänderung ist dies das wichtigste Hindernis gegen einen weiteren Ausbau des militärisch-politischen Gewichtes der Bundesrepublik in der Atlantischen Allianz. Wenn die Alliierten ihre über das Bündnisgebiet hinausreichenden Interessen militärisch gesichert sehen wollen, so können sie sich derzeit nicht zu eng an ein Deutschland binden, das ihnen aller Voraussicht nach in einer außereuropäischen Krise aus innenpolitischer Rücksichtnahme die Bündnistreue verweigern würde. 3. Der Zusammenhalt des Bündnisses nach den Strukturreformen Die Tatsache, daß sich die militärische Bedrohung der NATO-Staaten mit dem Zerfall der Sowjetunion fundamental verringert hat, konnte auf den Zusammenhalt des Bündnisses nicht ohne Wirkung bleiben. Der Schwerpunkt der militärischen Bedrohung liegt nun nicht mehr in Mitteleuropa, daher konnten die Streitkräfte im Zentralbereich ausgedünnt werden. Gleichzeitig ist aber auch der wichtigste Mechanismus der Allianzkohäsion, die an der Grenze zum Warschauer Pakt dislozierten nationalen Truppeneinheiten der NATO-Partner (Schichttortenprinzip), weggefallen. Dieser Schwächung des Zusammenhalts der NATO für den Verteidigungsfall suchte das Bündnis zunächst durch die Aufstellung multinationaler Korps entgegenzuwirken. Die Kürzungen von nationalen Streitkräftebeiträgen zur gemeinsamen Verteidigung der Allianz haben diesen Versuch jedoch erheblich relativiert. Der Zusammenhalt der Allianz hängt in Zukunft sehr viel stärker vom politischen Willen der Alliierten ab, ihr im NATO-Vertrag festgehaltenes Beistandsversprechen einzulösen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Das auf dem Schichttortenprinzip beruhende mitteleuropäische Modell für Allianzzusammenhalt war ein auf die Zeit des Kalten Krieges beschränkter Ausnahmezustand. Die Wahrscheinlichkeit, daß die gesamte Allianz in einer Krise militärisch tätig wird, ist damit geringer, die Wahrscheinlichkeit, daß ad-hoc-Koalitionen aus einzelnen NATO-Mitgliedern gebildet werden, ist größer geworden Dadurch wird aber der Zusammenhalt der Allianz schwächer.

Ferner muß -ohne genaue Kenntnis der Alarm-pläne -offenbleiben, welche Konsequenzen die Trennung der Streitkräfte in schnelle Reaktionsverbände und Hauptverteidigungsstreitkräfte für den Zusammenhalt in einer Krise haben kann. Es ist nicht auszuschließen, daß diese Einteilung in Streitkräftekategorien dazu führt, daß Bündnis-treue nur noch mit den schnell verfügbaren Streitkräften geübt wird, während die Hauptverteidigungsstreitkräfte dann nicht nachgeführt werden. Es erscheint dringend erforderlich, diese Frage der operativen Verbindung zwischen den Streitkräften unterschiedlicher Kategorien zu klären.

Ein weiteres, wichtiges Problem der Allianzkohäsion hängt mit der Verlagerung der Bedrohung von Mitteleuropa auf die Flanken der Atlantischen Allianz zusammen. Der gestiegenen Bedrohung vor allem der Südflanke entsprechen keine adäquaten Maßnahmen, mit denen die Verteidigung der Flanken durch die in Mitteleuropa stationierten Streitkräfte -mit Ausnahme der schnellen Reaktionsverbände -unterstützt werden könnte. Die Grenzen zwischen Europa-Mitte und den beiden Flanken sind zudem für den Norden undurchlässiger geworden, weil Dänemark nach der neuen Kommandostruktur nunmehr zu Mitteleuropa gerechnet wird und daher keine Scharnierfunktion zwischen Nord-und Mitteleuropa mehr ausüben kann. Im Süden Europas sind die Streitkräfte-und Kommandostrukturen trotz gestiegener Bedrohung weitgehend unverändert geblieben. Langfristig könnte es sich als folgenschweres Versäumnis herausstellen, daß die Bundesrepublik als das Land mit einem der höchsten Truppenkontingente im Bündnis kaum Verantwortung für die Verteidigung der Flanken übernommen bzw. erhalten hat. Sie stellt nur wenig Truppen zu dieser Verteidigung, und ihre Rolle auf der für die Koordinierung entscheidenden Ebene des Major NATO Commandist geschwächt, weil die Positionen des Ober-befehlshabers und seines Stellvertreters von den USA bzw. Großbritannien besetzt werden. Der Zusammenhalt der Allianz muß aber darunter leiden, wenn die einzelnen Verteidigungsregionen durch die Streitkräfte-und Kommandostrukturen nur ungenügend miteinander verknüpft sind.

Es kommt hinzu, daß zwischen den klassischen Seemächten USA und Großbritannien offenbar eine Arbeitsteilung bei der Verteidigung von NATO-Flanken stattfindet. Großbritannien ist demzufolge zuständig für die Verteidigung der Nordflanke, während die USA ihr politisch-militärisches Schwergewicht von Mitteleuropa eher an die Südflanke verlagern. Genaueres wird sich erst feststellen lassen, wenn die Reform des Befehlsbereichs AFSOUTH abgeschlossen ist. Eine derartige Arbeitsteilung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, den Zusammenhalt des Bündnisses zu fördern.

Ein weiteres Problem der Allianzkohäsion betrifft die Bindung Nordamerikas an Europa. Bislang beruhte diese Bindung auf drei Säulen: der Präsenz amerikanischer und kanadischer Streitkräfte in Europa, der nuklearen Schutzgarantie durch Stationierung von amerikanischen Kernwaffen in Europa sowie der herausgehobenen Stellung eines amerikanischen Repräsentanten als NATO-Ober-befehlshaber Europa (SACEUR). Die Truppen-präsenz der USA ist erheblich reduziert und die Kanadas aufgegeben worden. In eine kritische Zone würde die amerikanische Truppenpräsenz aber erst geraten, wenn die US-Streitkräfte unter die Stärke eines Korps sinken würden, weil damit die Kampfkraft dieser Truppen unter die Schwelle einer eigenständigen militärischen Verwendbarkeit sinken könnte Der qualitative Sprung liegt folglich zwischen eigenständiger Kampffähigkeit und reiner Unterstützungsfunktion für europäische Streitkräfte. Noch haben die USA diese Schwelle nicht unterschritten und tragen somit wie bisher zu einer dauerhaften transatlantischen Bindung bei. Bedenklich stimmt dagegen die Tatsache, daß der amerikanische Beitrag zu den schnellen Reaktionsstreitkräften, die den militärischen Kern der Allianzkohäsion in Krisenzeiten bilden, möglicherweise nur sehr gering ausfallen wird. Der Zusammenhalt der Allianz über den geographisch trennenden Ozean hinweg ist also durch die neue Streitkräfte-und Kommandostruktur eher schwächer geworden.

Dagegen hält die Stationierung von Kernwaffen in Europa auch weiterhin symbolisch diese transatlantische Bindung aufrecht. Die Funktion der militärisch relevanten Verkopplung des strategischen Kernwaffenarsenals mit den taktischen Kernwaffen in Europa ging jedoch verloren, weil die verbliebenen Trägersysteme über zu geringe Reichweiten verfügen, um Ziele in anderen Kernwaffenstaaten erreichen zu können. So können die taktischen Nuklearstreitkräfte nur mühsam den Eindruck verdecken, daß ihre Stationierung in Europa militärisch überflüssig geworden ist, weil die vorhandenen Trägersysteme die eventuellen Abschreckungs-und Verteidigungsaufträge nicht optimal erfüllen können. Die Kernwaffen der NATO können zu einer politischen Belastung und damit zu einer Schwächung der Allianzkohäsion werden.

Im Hinblick auf die dritte Säule, den Posten des NATO-Oberbefehlshabers für Europa, konnten die USA nur mit großem diplomatischem Einsatz sicherstellen, daß SACEUR in amerikanischer Hand verblieben ist und seine Kompetenzen nicht teilweise auf den Militärausschuß der NATO übertragen wurden. Damit haben sie ein wesentliches Element der europäisch-amerikanischen Bindung vor dem Prozeß einer fortschreitenden Renationalisierung gerettet und dem transatlantischen Zusammenhalt der Allianz einen großen Dienst erwiesen. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Frage der Besetzung von SACEUR nicht wieder auf die Agenda der Allianzdebatte gesetzt wird, sollten die USA sich entscheiden, ihre Truppen-präsenz in Europa weiter zu reduzieren.

Schließlich muß noch auf die Ambivalenz der Beziehungen hingewiesen werden, die die NATO zu den Staaten Osteuropas und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten pflegt. Sie ist einerseits darum bemüht, diesen Ländern über den NATOKooperationsrat den Einstieg in das Bündnis zu ermöglichen. Andererseits scheut sie aber die Lasten und Risiken, die mit einer Vollmitgliedschaft dieser Staaten verbunden wären, zumal die wirtschaftliche, politische und soziale Lage in diesen Staaten instabil ist. So kann der NATO-Kooperationsrat derzeit nur den Zweck erfüllen, den beteiligten Nicht-NATO-Ländern zu versichern, daß vom Atlantischen Bündnis keine militärische Bedrohung ausgeht. Gleichzeitig signalisiert die Trennung in Vollmitglieder mit besonderen Rechten und Pflichten und Kooperationsmitglieder ohne Rechte und Pflichten aber auch eine anhaltende Abschottung des Atlantischen Bündnisses von Osteuropa. In einer Krise können die Nicht-Vollmitglieder kaum mit der Solidarität der Vollmitglieder rechnen. Diese Ambivalenz muß auf Dauer den Zusammenhalt des Bündnisses selbst schwächen, weil von Beispielen eingeschränkter Bündnissolidarität Glaubwürdigkeitsverluste ausgehen. Die NATO wird mittelfristig vor der Wahl stehen, die neuen Mitglieder im NATO-Kooperationsrat entweder schrittweise zu Vollmitgliedern zu erheben, die dann den Schutz militärischen Beistandes genießen und in die integrierte Militärorganisation einbezogen werden Oder aber sie wird das Experiment des Kooperationsrates wieder aufgeben müssen, um zu vermeiden, daß im Bündnis selbst zentrifugale Kräfte an Dynamik gewinnen, die den Zusammenhalt der Allianz aufbrechen.

Aus der NATO-Streitkräftereform läßt sich weiter schließen, daß es der Bundesrepublik im Zuge der Reformen im Bündnis gelungen ist, ihr seit Mitte der fünfziger Jahre verfolgtes Ziel von politischer und militärischer Gleichbehandlung endlich durchzusetzen. Denn erstens unterliegen die alliierten Truppen in Deutschland nunmehr denselben operativen Restriktionen der NATO-Militärintegration wie die Bundeswehr. Zweitens gibt es neben den der NATO unterstellten deutschen Truppen solche, die ausschließlich der nationalen Befehlsgewalt unterstellt sind. Drittens ist die Bundeswehr im Begriff, die institutionellen Voraussetzungen für-eine nationale Führung der Truppen zu schaffen. Und viertens wird die Bundesrepublik in absehbarer Zeit über mehrere Entscheidungsoptionen verfügen, welchem Oberkommando sie ihre Streitkräfte in einer Krise unterstellen möchte. Diese Optionen umfassen die Spannbreite von nationaler Befehlsgewalt, einen bilateralen deutsch-französischen bzw. ein europäisches Kommando bis hin zur Unterstellung unter einen NATO-Oberbefehl oder auch den der Vereinten Nationen

Es wird allgemein angenommen, daß mit dieser letztgenannten Unterstellungsoption ein weiterer Status-und Machtgewinn für die Bundesrepublik einhergehen wird. Deutschland würde einen Sitz als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und damit ein Vetorecht bei allen Entscheidungen dieses Gremiums erhalten Folglich beruht der neue Status der Bundesrepublik als mit den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges gleichberechtigter Staat auf zwei Veränderungen: der weiteren Einbindung der in Deutschland stationierten alliierten Truppen im Rahmen der Bündnisintegration sowie der Aufwertung der deutschen Streitkräfte in Europa, im Bündnis und in der Welt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Joseph Fitchett, NATO Remodels to Fit Reduced Threat, in: International Herald Tribune vom 6. 7. 1992; Henning von Ondarza, Das Heer auf dem Wege zu seiner fünften Struktur. Parameter der Planung für eine neue Situation, in: Europäische Sicherheit, 40 (1991) 2, S. 77; Hans-Henning von Sandrat, Bündnis ohne Sinn? Die Rolle der NATO in veränderter sicherheitspolitischer Lage aus der Sicht . Central Region 1, in: Truppenpraxis, 35 (1991) 4, S. 347.

  2. Vgl. Siegfried Thielbeer, Der leidige Streit um das NATO-Kommando Nordeuropa, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. 10. 1991.

  3. Vgl. Karl Kaiser, Alte Bedrohungen sind gewichen, neue entstanden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. 2. 1992.

  4. Vgl. Kommunique der gemeinsamen Ministertagung des Verteidigungs-Planungsausschusses und der Nuklearen Planungsgruppe der NATO am 28. und 29. Mai 1991 in Brüssel, in: Europa-Archiv, 47 (1992) 2, S. D 34; Kommunique der Ministertagung des Verteidigungs-Planungsausschusses der NATO am 12. und 13. Dezember 1991 in Brüssel (mit Erklärung über die Durchführung des strategischen Konzeptes), ebd., S. D 80f.; Kommunique der Ministertagung des Verteidigungs-Planungsausschusses und der nüklearen Planungsgruppe der NATO am 26. und 27. Mai 1992 in Brüssel, in: Europa-Archiv, 47 (1992) 14, S. D 464f.

  5. Vgl. Rolf Hallerbach, Zauberformel der Zukunft: Multinationale NATO-Truppen, in: Europäische Sicherheit, 40 (1991) 1, S. 21-23.

  6. Bislang waren den jeweiligen nationalen Korps entlang des Frontverlaufs gegenüber dem Warschauer Pakt je eigene Verteidigungsabschnitte zugewiesen worden. Auf diese Weise war es dem Angreifer verwehrt, ein Land aus dem NATO-Beistandsverbund herauslösen zu können, da er beim Angriff immer auf Streitkräfte von mehr als einer Nation getroffen wäre. Der Allianzzusammenhalt in der Krise war mittels dieses Stationierungsmusters „ins Gelände geschrieben“ (Franz-Josef Schulze).

  7. Dieses Prinzip der Abschreckung durch Allianzsolidarität soll auch die Allied Mobile Force (AMF) symbolisieren. Sie kann schnell an militärische Brennpunkte verlegt werden und dadurch einem Angreifer vor Augen führen, daß er mit der Verteidigungsfähigkeit der gesamten NATO zu kalkulieren hat. Vgl. Erich Hauser, Beim Thema Friedensdividende graust es den NATO-Militärs, in: Frankfurter Rundschau vom 23. 5. 1991.

  8. Gerade die Verhinderung nationaler Sonderwege durch multinationale Einbindung von Streitkräften lag auch im Interesse der früheren Sowjetunion. So hat die UdSSR im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der NATO erst zugestimmt, nachdem die Allianz mit ihrer Londoner Erklärung das Prinzip multinationaler Streitkräfte bekräftigt hatte. Vgl. Stephen F. Szabo, The Diplomacy of German Unification, New York 1992, S. 88-105.

  9. Vgl. Christian Tuschhoff, Die Gestaltung des Unvermeidlichen. Die amerikanische Außenpolitik, der Zwei-plus-Vier-Vertrag und die alliierte Truppenpräsenz in Deutschland, in: Gunther Hellmann (Hrsg.), Alliierte Präsenz und deutsche Einheit: die politischen Folgen militärischer Macht (i. E.). Die amerikanische Truppenpräsenz in Europa wird den gegenwärtigen Plänen zufolge auf 150 000 Mann zurückgehen. Davon werden 90000 Mann den Landstreitkräften, 45 000 Mann den Luftstreitkräften und 15 000 der US-Marine angehören. Eine weitere Reduzierung der amerikanischen Truppenpräsenz in Europa auf ungefähr 75 000 Mann ist zu erwarten.

  10. Vgl. Kanadas Verteidigungspolitik unter Beschuß, in: Neue Zürcher Zeitung vom 13. 5. 1992.

  11. Vgl. Dirk Sommer, Das Pferd von hinten aufgezäumt, in: Truppenpraxis, 35 (1991) 4, S. 349.

  12. Vgl. Larry Grossman, NATO’s New Strategy, in: Air Force Magazine, 75 (1992) 3, S. 29.

  13. Vgl. Wolfram von Raven, Die Stufenpyramide der Kommandostruktur. Eine komplizierte Hierarchie der Einflüsse auf die NATO, in: Europäische Sicherheit, 41 (1992) 7, S. 386.

  14. Vgl. The International Institut for Strategie Studies, The Military Balance 1992-1993, London 1992, S. 30; Thomas-Durell Young/William T. Johnson, Reforming NATO’s Command and Operational Control Structures: Progress and Problems, Strategie Studies Institute U. S. Army War College, Carlisle 1992, S. 37-32.

  15. Großbritannien plant, diese Division auf Dauer in Deutschland stationiert zu lassen. Britischen Quellen zufolge hat die Bundesregierung daran ebenfalls ein starkes Interesse.

  16. Vgl. International Institute for Strategie Studies (Anm. 14), S. 31.

  17. Hintergrundinformationen des Verfassers, Washington, 8. und 22. 1. 1993.

  18. Vgl. Wolfgang Schlör, German Security Policy, Adelphi Paper, London (i. E.).

  19. Vgl. Rolf Hallerbach, Reconstitution: Ein problematisches Modewort der NATO, in: Europäische Sicherheit, 40 (1991) 5, S. 266f.

  20. Zur alten NATO-Kommandostruktur vgl. NATO-Information Service (Hrsg.), Das Atlantische Bündnis. Tatsachen und Dokumente, Brüssel 1990, S. 365-378, sowie neuerdings Rolf Hallerbach, Beschwerliche Suche nach neuer NATO-Kommandostruktur, in: Europäische Sicherheit, 40 (1991) 10, S. 571.

  21. Dieser Sachverhalt erweist sich gerade in Zeiten, in denen der Kongreß durch weitere Truppenrückzüge aus Europa die „Friedensdividende“ einfahren will, als nicht zu unterschätzender Vorteil; vgl. John Lancaster, Europe Needs Gis, U. S. General Says, in: International Herald Tribune vom 5. 3. 1992.

  22. Zu dieser Diskussion gehörte auch der Vorschlag, einige der Zuständigkeiten von SACEUR auf das Military Committee, den Ausschuß der Generalstabschefs, zu verlagern. Vgl. [Karl] F[eldme]y[er], „Amerika befürchtet seine Ausgrenzung“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. 4. 1991. Damit wäre nicht nur die Militärintegration geschwächt worden, sondern auch die Bindung Amerikas an Europa hätte einen erheblichen Rückschlag erlitten. Außerdem hätten auf diese Weise die einzelnen Mitgliedstaaten bislang an die NATO abgegebene Rechte zurückerhalten, aber dadurch gleichzeitig den Zusammenhalt des Bündnisses geschwächt.

  23. Vgl. Petersberger Erklärung des Ministerrats der Westeuropäischen Union über seine Tagung am 19. 6. 1992 in Bonn, in: Europa-Archiv, 47 (1992) 14, S. D 482.

  24. Vgl. u. a. Hermann Bohle, Europa bereitet sich auf die eigene Rolle innerhalb des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses vor, in: Das Parlament vom 10. /17. 1. 1992; Martin Kahl, Die Zukunft der NATO, in: Das Parlament vom 15. /22. 11. 1991; Pierre Simonitsch, Angst vor der . Abkopplung“, in: Frankfurter Rundschau vom 24. 7. 1992. Die Sprachregelung des Kommuniques nach der Sitzung des Verteidigungsplanungsausschusses der NATO vom 26. und 27. Mai 1992 ist ausgesprochen ambivalent. Danach bleibt einerseits die NATO das wesentliche Forum für die Sicherheits-und Verteidigungspolitik; die Kernfunktion des Bündnisses bleibt unverändert. Auf der anderen Seite wird der Ausbau der WEU zu einem europäischen Pfeiler begrüßt, deren Stärkung hinsichtlich operativer Fähigkeiten mit der NATO-Verteidigungsplanung vereinbar sei.

  25. Interview des Verfassers mit Oberst i. G. Müller, Militärattachö Deutsche Botschaft Washington, 5. 1. 1993. In dem Abkommen ist außerdem vorgesehen, daß Details der Zusammenarbeit wie z. B. die Zeitpläne für gemeinsame Manöver in weiteren Abkommen geregelt. werden sollen.

  26. Selbst der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Europa, General Galvin, räumte ein, daß es in der NATO mehr amerikanische bzw. britische als deutsche Generäle gäbe, und empfahl deshalb, der Bundesrepublik eine gewichtigere Rolle im Bündnis einzuräumen. Vgl. „Deutschland ist dabei, eine mächtige Nation zu werden“, Interview mit NATO-Oberbefehlshaber General John R. Galvin, in: Welt am Sonntag vom 29. 3. 1992.

  27. Vgl. W. Schlör (Anm. 18), S. 48.

  28. Dieser deutsche Anspruch wurde schon frühzeitig angemeldet und öffentlich angekündigt. Vgl. z. B. Jörg Kuebart, Perspektiven und Parameter der Luftwaffenstruktur. Umbau nicht zum Null-Tarif, in: Europäische Sicherheit, 40 (1991) 9, S. 506; Interview mit NATO-Oberbefehlshaber General John R. Galvin (Anm. 26).

  29. Vgl. Th. -D. Young/W. T. Johnsen (Anm. 14), S. 12.

  30. Vgl. Franz-Joseph Schulze, Multinationalität bedingt Interoperabilität, in: Europäische Sicherheit, 40 (1991) 8, S. 446; H. v. Ondarza (Anm. 1), S. 78.

  31. Vgl. Axel Bürgener/Norbert Stier, Operations 2000. Future Employment of the German Army, in: Military Review, (1991) 7, S. 43f.

  32. „Eine gewisse Renationalisierung nicht nur der Analyse, sondern auch der Entscheidungskompetenz ist einfach strukturell notwendig unter den Bedingungen, wie sie sich für die neunziger Jahre abzeichnen.“ Vgl. Uwe Nerlich, Deutsche Sicherheitspolitik und Konflikte außerhalb des NATO-Gebiets, in: Europa-Archiv, 46 (1991) 10, S. 308; Frank Buch-holz, Das Ende der Abschreckung, in: Europäische Sicherheit, 41 (1992) 9, S. 488.

  33. Vgl. Michael J. Inacker, Neues Führungskommando für die Bundeswehr, in: Welt am Sonntag vom 1. 3. 1992; J. Kuebart (Anm. 28), S. 506; H. v. Ondarza (Anm. 1), S. 78; Zur Kritik dieser militärischen Pläne vgl. „Größenwahn der Generäle“, in: Der Spiegel, (1992) 15, S. 18-21. Zur Kritik am mangelnden Interesse der deutschen Eliten an sicherheitspolitischen Fragen sowie der bescheidenen Institutionalisierung von strategischem Denken vgl. Thomas Enders/Peter Siebenmorgen/Ulrich Weisser, Schlüssel zum Frieden. Sicherheitspolitik in einer neuen Zeit, Bonn 1990, S. 139-146. Zur Forderung nach einer Institutionalisierung strategischen Denkens vgl. U. Nerlich (Anm. 32), S. 309.

  34. Vgl. Thomas-Durell Young, German National C 2 Reorganization: An Interim Report, Strategie Studies Institut U. S. Army War College, Carlisle 1992.

  35. Vgl. Thomas-Durell Young, The „Normalization" of the Federal Republic of Germany’s Defense Structures, Strategie Studies Institute U. S. Army War College, Carlisle 1992, S. 24-27.

  36. Für den Moment sind die weitergehenden Vorstellungen der militärischen Führung im Bundesverteidigungsministerium, ein Streitkräfteführungskommando einzurichten, gescheitert. Statt eines Führungskommandos, das teilstreitkräf. teübergreifende Aufgaben übernimmt, werden -wie erwähnt -die Führungsstäbe für Heer, Luftwaffe und Marine Zuständigkeiten für die operative Führung erhalten. Vgl. Th. -D. Young (Anm. 35); Th. -D. Young/W. T. Johnson (Anm. 14), S. 13-15.

  37. Vgl. Th. Enders/P. Siebenmorgen/U. Weisser (Anm. 33), S. 133-136; Klaus Naumann, Bundeswehr und Verteidigung, in: österreichische Militärische Zeitschrift, (1991) 1, S. 41. Zur These von der deutschen Machtvergessenheit vgl. Hans-Peter Schwarz, Die gezähmten Deutschen. Von der Machtversessenheit zur Machtvergessenheit, Stuttgart 19852.

  38. Dieser Begriff wird vor dem Hintergrund der militärischen Geschichte Deutschlands häufig mißverstanden als Rückkehr deutscher Streitkräfte in die Zeiten der deutschen Wehrmacht und der Reichswehr. Manche Autoren bevorzugen deshalb -um Mißverständnisse zu vermeiden -den Begriff der „Normalisierung“ (vgl. Th. -D. Young, The „Normalization“ [Anm. 35]). Ich halte „Normalisierung“ für eine unpräzisere Beschreibung als „Renationalisierung“. Damit ist allerdings nicht ein Rückgriff auf historische Vorgänger der Bundeswehr gemeint, sondern vielmehr eine partielle Rückübertragung militärischer Kompetenzen von der Allianz auf die Bundesrepublik Deutschland. Der wesentliche Unterschied zwischen der heutigen Bundesrepublik und ihren staatlichen Vorläufern besteht nicht in der nationalen Identität, sondern vielmehr in der Verfaßtheit als demokratischer Rechtsstaat. Dies ist der eigentliche Grund, warum Renationalisierung nicht die Rückkehr zu Modellen der deutschen Wehrmacht oder der Reichswehr bedeuten kann.

  39. „Germany is reshaping its armed forces to express the achievement of sovereignty and..., while the current defense rhetoric emphasizes multinationalism, the tendency is towards renationalization of defence.“ Geoffrey van Orden, The Bundeswehr in Transition, in: Survival, XXXIII (1991) 4, S. 353.

  40. Vgl. W. Schlör (Anm. 18), S. 48. Manche Beobachter gewichten den Einfluß des Stabschefs jedoch höher als die des Stellvertreters von SACEUR, weil der Chef des Stabes über die politische Macht des „Türstehers“ verfügt, der Zugang, Material-und Informationsfluß zum SACEUR kontrolliert. In der täglichen Praxis sei die stärker symbolträchtige Position des Stellvertretenden SACEUR weniger einflußreich.

  41. Vgl. Steve Vogel, Bonn Seeks Controls on Foreign Troops, in: International Herald Tribune vom 6. 7. 1992; Olaf Mager, Auf dem Rückzug? Die Zukunft der alliierten Streitkräfte in Deutschland, in: Europäische Sicherheit, 41 (1992) 9, S. 499-502.

  42. Der Bundesminister der Verteidigung Volker Rühe zu den Ergebnissen der Planungskonferenz am 15. 12. 1992.

  43. Vgl. Interview mit NATO-Oberbefehlshaber General John R. Galvin (Anm. 26).

  44. Vgl. Interview mit Oberst i. G. Bernd Müller (Anm. 25).

  45. Vgl. Richard L. Kugler, The Future U. S. Military Presence in Europe. Forces and Requirements for the Post-Cold War Era, Rand Corporation R-4194-EUCOM/NA, Santa Monica 1992.

  46. Vgl. Rupert Scholz, NATO und WEU nach Auflösung des Warschauer Paktes, in: Europäische Sicherheit, 41 (1992) 8, S. 428.

  47. Zur Vormerkung von deutschen Krisenreaktionsstreitkräften vgl. Der Bundesminister der Verteidigung Volker Rühe zu den Ergebnissen der Planungskonferenz vom 15. 12. 1992.

  48. Die Schaffung der verfassungsmäßigen Voraussetzung für die deutsche Beteiligung an UN-Militäreinsätzen wird als Bedingung für einen ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen betrachtet, den Außenminister Kinkel mittlerweile gefordert hat. Vgl. Rede des Außenministers Klaus Kinkel vor der 47. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York am 23. 9. 1992, in: Europa-Archiv, 47 (1992) 20, S. D 600. Ferner: „Kinkel: Deutschland in den Sicherheitsrat“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. 9. 1992; Paul Lewis, Germany Teils the U. N. It Wants A Permanent Seat on the Council, in: New York Times vom 24. 9. 1992.

Weitere Inhalte

Christian Tuschhoff, Dr. phil., geb. 1955; derzeit Volkswagen-Fellow am American Institute Contemporary German Studies/Deutsches Historisches Institut, Washington, D. C. Veröffentlichungen u. a.: Einstellung und Entscheidung. Perzeptionen im sicherheitspolitischen Entscheidungsprozeß der ersten Reagan-Administraion 1981-1984, Baden-Baden 1990; (Hrsg. zus. mit Helga Haftendorn) America and Europe in Era of Change, Boulder, Col. 1993.