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Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen in einer Welt ethno-nationaler Konflikte | APuZ 15-16/1993 | bpb.de

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APuZ 15-16/1993 Globale Aufgaben und Herausforderungen: Die schwierige Suche nach Weltordnung Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen in einer Welt ethno-nationaler Konflikte Vor den Herausforderungen des Nationalismus: Die KSZE in den neunziger Jahren Die politischen Folgen der Streitkräfte-Reform der NATO Wandel im Wandel: Bundeswehr und europäische Sicherheit

Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen in einer Welt ethno-nationaler Konflikte

Winrich Kühne

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In verschiedenen Teilen der Welt breiten sich ethno-nationale und religiöse Konflikte wie ein Flächenbrand aus. Zahlreiche Staaten, ja ganze Regionen sind in Gefahr, sich politisch aufzulösen. Über hundert potentiell gewaltsame Konflikte dieser Art gibt es gegenwärtig weltweit. In der Ära nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wird von den Vereinten Nationen (VN) erwartet, daß sie diesen Ansturm von „Kriegen kleinerer und mittlerer Größe“ bändigen. Dementsprechend sprunghaft ist die Zahl ihrer Peace-keeping-Operationen (Blauhelme) in den letzten Jahren angestiegen. Die Gesamtzahl des eingesetzten militärischen und zivilen Personals kann 1993 die 100000-Marke übersteigen. Die friedens-sichernden Anforderungen an die VN haben sich auch qualitativ geändert. Denn zum einen sind die VN und das Völkerrecht auf diesen Konflikttypus wenig vorbereitet. Bei der Mehrzahl der ethno-nationalen Konflikte handelt es sich weder eindeutig um „innerstaatliche“ noch „zwischenstaatliche“. Nur letztere jedoch sind nach traditionellem Verständnis Gegenstand der VN-Charta und des Völkerrechts. Zum anderen sind diese Konflikte mit dem traditionellen Konzept des Peace-keeping nicht zu bewältigen. Die Schwierigkeiten der VN-Einsätze in Somalia, Bosnien, Kambodscha und Angola zeigen das mit brutaler Deutlichkeit. Die systematische Entwicklung eines robusten Peace-keeping, bei dem die traditionellen Blauhelmeinsätze gezielt um militärische Elemente bei der Durchsetzung des vom Sicherheitsrat der VN beschlossenen Mandats ergänzt werden, ist daher notwendig. Ziel dieses Mandats muß die Gewährleistung eines stabilen Verhandlungsrahmens für die Konfliktlösung und die Absicherung humanitärer Hilfe sein. Die Entwicklung eines robusten Peace-keeping wird schwierig sein. Einige der Schwierigkeiten sind Gegenstand dieses Beitrages. In diesem Zusammenhang äußert sich der Autor kritisch über die in der deutschen Diskussion noch vielfach anzutreffende Tendenz, militärische und nicht-militärische Elemente der Friedenssicherung gegeneinander auszuspielen. Der Beitrag schließt mit der Feststellung, daß ohne eine nachhaltige Beteiligung Japans und Deutschlands kaum erwartet werden kann, daß die VN diese Fortentwicklung ihres friedenssichernden Instrumentariums bewältigen.

I. Einleitung

Das neue Jahr hatte kaum begonnen, da verständigte sich die Regierungskoalition in Bonn in einer Blitzaktion auf eine Verfassungsänderung über den internationalen Einsatz der Bundeswehr Anlaß war unter anderem der Besuch des Generalsekretärs (GS) der Vereinten Nationen (VN), Boutros Boutros-Ghali. Bereits im Vorfeld seines Besuchs hatte er keinen Zweifel daran gelassen, daß es höchste Zeit sei für eine Beteiligung der Deutschen an den Einsätzen der VN. Haben doch bereits zwei deutsche Außenminister, Genscher und Kinkel, der Generalversammlung (GV) der VN versprochen, daß sie für die entsprechenden verfassungsrechtlichen Voraussetzungen sorgen würden

Der nun schon mehrjährige Streit über internationale Einsätze der Bundeswehr ist mit dem Vorschlag der Regierungskoalition jedoch keineswegs beigelegt. Eine Änderung des Grundgesetzes kann nur mit zwei Dritteln der Stimmen, also auch mit denen der Opposition, erfolgen. Die SPD hat den Regierungsvorschlag jedoch scharf abgelehnt. Er laufe auf einen „Blankoscheck“ für den Einsatz der Bundeswehr hinaus. Denn er bedeute nicht nur eine Beteiligung an Blauhelm-und Kampfeinsätzen unter der Flagge der VN, sondern auch außerhalb der VN gemeinsam mit anderen Staaten im Rahmen von Bündnissen Die SPD dagegen will gemäß ihren Parteitagsbeschlüssen den Einsatz der Bundeswehr auf Blauhelm-Operationen beschränken, gegebenenfalls ausgestattet mit einer Selbstschutz-komponente. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Klose sprach vage von „Blauhelmen plus“

Die Unfähigkeit von Regierungsparteien und Opposition, sich in dieser wichtigen Frage nach einer mehrjährigen Diskussion zu verständigen, steht in ärgerlichem Gegensatz zu den Anstrengungen, die unverzüglich auf dem Gebiet der Friedenssicherung gemacht werden müßten -innerhalb Europas ebenso wie außerhalb. Denn spätestens seit Anfang 1991 ist zweierlei klar: Erstens, dem Ende des Ost-West-Konflikts ist keine „Ära des Friedens“ gefolgt, sondern eine Phase größter Instabilität und weltweiter Turbulenzen Im bewußten Gegensatz zu George Bush hat Präsident Mitterrand die Formel von der „neuen Weltunordnung“ geprägt. Befreit von der eisernen Klammer der militärischen und ideologischen Blockkonfrontation brechen ethnische, soziale und religiöse Konflikte allerorten auf. Die Welle der Gewalt und des Chaos rückt nun auch an die Inseln des Wohlstandes heran. Und zweitens sind die VN -alleine oder im Zusammengehen mit regionalen Organisationen wie der KSZE, OAS, OAE etc. -gegenwärtig das einzige Instrument, das die Völker der Welt zur Eindämmung dieser Konflikte haben, jedenfalls was ihren gewaltsamen Teil betrifft. Die Probleme und Perspektiven der quantitativ ebenso wie qualitativ überwältigenden Ausweitung der Aufgaben der VN, nicht jedoch die demgegenüber oft unangemessene deutsche verfassungsrechtliche Diskussion, sind Gegenstand dieses Beitrags. Er wird mit einer klaren Aussage enden, die dem einen oder anderen provokativ erscheinen mag: Die VN sind in akuter Gefahr, an den weltweiten Instabilitäten zu zerbrechen. Bei verschiedenen Engagements (im ehemaligen Jugoslawien, Kambodscha, Angola, Westsahara etc.) kann ein Scheitern nicht mehr ausgeschlossen werden. Das würde dem Ansehen der VN beträchtlich schaden. Die Beschimpfungen als „Verbrecher, Mörder, Faschist“, die sich GS Boutros Boutros-Ghali bei seinen Besuchen Anfang Januar in Mogadischu und Sarajevo hat gefallen lassen müssen, waren ein deutliches Warnsignal. Regierungen und Weltöffentlichkeit bürden den VN zwar eine Vielzahl neuer Aufgaben auf, sind aber nicht bereit, ihr die für die Durchführung dieser Aufgaben notwendigen Ressourcen und Instrumente zur Verfügung zu stellen. Dem „neuen Denken“ bei den Aufgaben ist bisher kein neues Denken hinsichtlich der Kosten -auch im weiteren Sinne -gefolgt. Die Mehrheit der Staaten und Regierungen wollen die „Neue Weltordnung“ zum Null-Tarif, wie Außenminister Kinkel in seiner Rede vor der Generalversammlung der VN im September 1992 kritisiert hat Genau dieser Vorwurf trifft nun allerdings auch die deutsche Politik. Sie „zahlt“ zwar, schafft es aber nicht, bei der gewiß viel empfindlicheren Frage der militärischen Beteiligung klare Verhältnisse zu schaffen. Darauf wird am Schluß dieses Beitrags zurückzukommen sein.

II. Der Sprung der Vereinten Nationen ins Rampenlicht der internationalen Sicherheitspolitik

Die Nachfrage nach einer Beteiligung der VN bei der Lösung regionaler Konflikte ist dramatisch angestiegen. Von 1945, dem Gründungsjahr der VN, bis Anfang 1988 gab es lediglich 13 Peace-keeping-Einsätze In den nur vier Jahren danach wurden 14 weitere beschlossen Den Eintritt in eine nach Größenordnung und Aufgabenstellung neue Ära markieren insbesondere UNTAC in Kambodscha, UNPROFOR im ehemaligen Jugoslawien und die im Dezember 1992 angelaufene „Operation Recover Hope“ in Somalia, im Abkürzungsjargon der VN als UNITAF/UNOSOM bezeichnet Mehr als 80000 Soldaten und Zivilisten sind allein an diesen drei Operationen beteiligt. Das übersteigt um ein Mehrfaches den Personalbestand aller Blauhelme und Blaumützen der VN von Anfang Januar 1992. Zu diesem Zeitpunkt lag er bei ca. 11500 Mann. Gegenwärtig unterhalten die VN insgesamt 16 Blauhelm-und Beobachtermissionen.

Im Laufe des Jahres 1993 wird die Zahl des bei VN-Friedenseinsätzen tätigen Personals möglicherweise die 100000-Marke überschreiten, denn weitere Einsätze stehen bevor. Der Einsatz von 5500 Soldaten und 2000 Zivilisten Mitte Dezember 1992 in Mosambik ist vom SR der VN bereits beschlossen worden. Die Durchsetzung des Vance-Owen-Friedensplans für Bosnien hat nur eine Verwirklichungschance, wenn das dort stationierte Personal um weitere 20 000-40 000 Mann oder sogar mehr aufgestockt wird. Eine ähnliche Anhebung des Personalbestandes könnte auch bei UN-TAC in Kambodscha notwendig sein, um den für dieses Land ausgearbeiteten Friedensplan zu retten. Die Roten Khmer verweigern die Zusammenarbeit bei seiner Verwirklichung. Dennoch sollen im Mai 1993 international überwachte Wahlen durchgeführt werden. Überwachen werden die VN auch das im April geplante Referendum in Eritrea. In ihm wird über die endgültige Loslösung des Landes von Äthiopien entschieden. In Liberia ist ein verstärktes Engagement der VN bereits beschlossene Sache Die militärische Intervention der westafrikanischen ECOMOG hat nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Im Sudan steht das Leiden unter Krieg und Hunger dem der somalischen Bevölkerung kaum nach. Die internationale Gemeinschaft hätte hier schon längst eingreifen müssen. Und der Bürgerkrieg in Angola ist trotz der Präsenz der zeitweilig 700 Personen starken UNAVEM II weit davon entfernt, beendet zu sein. Jonas Savimbi, Führer der Oppositionsbewegung UNITA, hat sich geweigert, seine Niederlage bei den international überwachten Wahlen anzuerken-nen. Nun tobt in diesem Land erneut der Bürgerkrieg. Die VN hat ihre Präsenz reduziert. In Südafrika wäre es zweifellos dringlich, mehr als 50 VN-Beobachter einzusetzen, damit das Land den Sprung in eine friedliche Post-Apartheid-Demokratie schafft und nicht in die von vielen befürchtete „Libanisierung“ abstürzt. Betrachtet man darüber hinaus die Lage in Zaire, Togo, Kamerun und weiteren afrikanischen Ländern, dann wird klar, daß die so hoffnungsvoll begonnene Demokratisierung in verschiedenen Ländern Gefahr läuft, in unkontrollierbare ethnische Auseinandersetzungen umzuschlagen. Ähnlich ist die Lage in verschiedenen Regionen im Machtbereich der ehemaligen Sowjetunion. Im Krieg zwischen Armeniern und Azeris um Nagomj-Karabach versucht ein Vertreter der VN zusammen mit einem Beauftragten der KSZE schon seit einiger Zeit zu vermitteln, bisher ohne Erfolg. Außerdem wurden UN-Missionen „des guten Willens“ nach Usbekistan, Georgien und in andere Gebiete der ehemaligen Sowjetunion entsandt. Der georgische Präsident Schewardnaze forderte kürzlich den Einsatz von VN-Blauhelmen im Konflikt mit den Osseten. Lettland hat um die Teilnahme von Beobachtern der VN bei den künftigen Verhandlungen über den Abzug der russischen Truppen gebeten. Insgesamt wird die Zahl der potentiell gewaltsamen Konflikte in der früheren Sowjetunion auf über 20 geschätzt. Unter Führung Rußlands hat die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zwar ihr eigenes Peace-keeping entwickelt, um der Lage Herr zu werden. Ihm begegnen die meisten Konfliktparteien der Region jedoch mit größtem Mißtrauen. Es steht zu sehr im Verdacht, ein Instrument hegemonialer Bestrebungen Rußlands, insbesondere seiner Militärs, zu sein

III. Die Vereinten Nationen in einer turbulenten Welt von Globalisierungs-und Fragmentierungstendenzen

Die Aufzählung der gegenwärtigen potentiellen „Kriege kleinerer und mittlerer Größe“ stellt nur eine Bestandsaufnahme an der Oberfläche dar. Für die gegenwärtige Lage der VN und den Versuch, ihr Instrumentarium der Friedenssicherung, insbesondere das Peace-keeping, fortzuentwickeln, ist eine Analyse der tieferen Tendenzen und Widersprüche notwendig, durch die diese Kriege ausgelöst werden. Das ist kein einfaches Unterfangen. Üblicherweise wird das Ende des Ost-West-Konflikts für das Aufbrechen der Vielzahl von „Kriegen kleinerer und mittlerer Größe“ verantwortlich gemacht. (Die Bezeichnung „kleiner und mittlerer Größe“ ist allerdings verharmlosend. Sie stimmt nur bezüglich der globalstrategischen Relevanz dieser Konflikte, nicht aber hinsichtlich ihrer Destruktivität. Die Zahl der Toten, Verletzten und Vertriebenen in diesen Auseinandersetzungen geht in einigen Fällen in die Hunderttausende, ja sogar in die Millionen.) Das reicht als Erklärung für deren tiefere Dynamik jedoch nicht aus; denn unter der Decke der starren, bipolaren Strukturen des Ost-West-Konflikts hat sich vieles aufgestaut, das mit ihm selbst wenig zu tun hatte; Veränderungen auf der Ebene des Individuums und seiner unmittelbaren sozialen Einbettung, also auf der Mikroebene, sind mindestens ebensowichtig wie die Veränderungen auf der Makroebene, also die der Hierarchie und Struktur der machtpolitischen Beziehungen zwischen Staaten und Bündnissen. Der amerikanische Sozialwissenschaftler James N. Rosenau hat auf diese Tatsache besonders nachdrücklich hingewiesen Das führt in weiten Teilen der Welt zu Verwerfungen, Spannungen und Beben von gewaltigem Ausmaß.

Auf der Mikroebene vollzieht sich eine nachhaltige Neudefinition der Autoritätsbeziehungen. Insbesondere die staatliche Macht ist Gegenstand einer spannungsreichen und widersprüchlichen Dynamik von Zentralisierungs-und Dezentralisierungstendenzen. Diese Dynamik muß sich zwangsläufig auf die Arbeit der VN und anderer internationaler Organisationen auswirken, denn Staaten bestimmen ihre Aktivitäten, sind die für ihre Arbeit konstitutiven Bausteine. Es findet ein Prozeß der Umverteilung von ursprünglich dem Staat zugeordneter Autorität und Loyalität statt, und zwar entweder nach unten, zu ethnischen, religiösen oder anderen sozialen Einheiten, oder nach oben zu internationalen oder transnationalen Organisationen wie der VN, der EG, der KSZE, der Weltbank, dem IWF oder Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International, Greenpeace etc.

Ein ganzes Bündel von Faktoren ist für diese „Unruhe“ auf der Mikroebene verantwortlich: Die „Bildungs-und Ausbildungsrevolution“, die in den letzten Jahrzehnten in fast allen Gesellschaften stattfand, hat das Verhältnis zur staatlichen Autorität verändert. Staatliche Leistungen werden kritischer beurteilt. Dort, wo diese Beurteilung ganzoffensichtlich negativ ausfällt -wie vor allem in den Staaten des ehemaligen Ostblocks und vielen Entwicklungsländern schlägt diese kritische Haltung in eine radikale Ablehnung aller bestehenden staatlichen Strukturen um.

Dieser Trend zur Infragestellung staatlicher Autorität wird von einer ganz anderen Seite -nämlich den qualitativen Sprüngen bei der globalen wirtschaftlichen Interaktion und Kooperation sowie dem atemberaubenden kommunikativen Zusammenrücken der Welt durch die moderne Elektronik, Medien und Verkehrsmittel -verstärkt. Die Welt erscheint als Dorf. Die Ereignisse im Süden lassen die Menschen im Norden in ihrem geistig-emotionalen Zustand nicht unberührt, die Ereignisse im Norden nicht die Menschen im Süden. Der Ruf nach Angleichung, nach ähnlich guten Lebenschancen, nach Friedenssicherung und humanitärer Hilfe in Somalia ebenso wie in Bosnien, nach mehr internationaler Zusammenarbeit und besser funktionierenden internationalen Organisationen ist allerorten zu hören. Die ökologische Interdependenz treibt dieses Verlangen nach globaler Verantwortung und Organisation in dem Maße voran, in dem sie ins Bewußtsein der Menschen rückt. Verschiedene Bereiche des menschlichen Zusammenlebens -so auch die zunehmenden Wanderungsbewegungen -lassen sich überhaupt nur noch international sinnvoll regeln. Der Ruf nach einer Umwandlung der „internationalen Politik“ in eine „Weltinnenpolitik“ ist deswegen populär. Schaut man sich die zur Globalisierung gegenläufigen Tendenzen jedoch genauer an, dann ist er mit mehreren Fragezeichen zu versehen.

Denn mindestens ebenso machtvoll sind die dezentralisierenden Tendenzen, die im Extremfall ganze Staaten und Regionen in einen Prozeß gewaltsamer Fragmentierung stürzen. Individuen und lokale Gemeinschaften befürchten, daß sie in der Konturlosigkeit globaler Zentralisierung und Organisation ihre emotional-kulturelle Identität verlieren. Die Aversion, die plötzlich gegen den Maastricht-Vertrag um sich greift, zeigt, daß diese Befürchtung auch in Europa ein Faktor ist, den die Politik unterschätzt hat. Der mexikanische Schriftsteller und Diplomat Carlos Fuentes spricht von einer „Verbundenheit zur kulturellen Identität gegen die Geschwindigkeit weltweiter Integration, die uns ohne Gesicht zurücklassen könnte“

Außerdem hat das ungeheure Angebot an minutenschneller weltumspannender Kommunikation und Information nicht den „mündigen“, globale Zusammenhänge rational abwägenden Weltbürger hervorgebracht. Ganz im Gegenteil -der Ansturm von Bildern und Informationen überfordert die kognitiven und affektiven Kapazitäten der meisten Menschen ganz besonders natürlich derer, die in noch relativ traditionell orientierten Gesellschaften leben. Sie reagieren mit Abwehr und Rückzug auf die unmittelbar wahrnehmbare und gemäß den traditionellen Mustern erfahrbare Umgebung. Eine verstärkte Hinwendung zu lokalen oder regionalen Identifikationsmöglichkeiten ist die Folge. Ethnische und religiöse Gemeinschaftsbindungen, die im Zuge der „Modernisierung“ bereits als überwunden galten, erleben eine Renaissance. Im „post-ideologischen“ Zeitalter werden Ethnizität und Religion zu den wichtigsten Auffangbecken sozialer, wirtschaftlicher und politischer Frustrationen Das „reiche“ Westeuropa ist (bisher?) von solchen Tendenzen im wesentlichen verschont geblieben. In Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten, dem Balkan sowie in weiten Gebieten der früheren Sowjetunion und Asiens ist der Befund jedoch eindeutig. Ungebändigtes Bevölkerungswachstum, die global zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich (in einigen Ländern Afrikas liegt das Jahreseinkommen pro Kopf heute unter 100 Dollar, während es in den OECD-Staaten durchschnittlich ca. 14000 Dollar beträgt), Migrationsbewegungen, Konflikte um Wasser und schließlich der Überfluß an leichten und mittelschweren Waffen (am Horn von Afrika und in Teilen des südlichen Afrika liegt der Preis für eine Kalaschnikow unter 30 US-Dollar) als ein Erbe des Ost-West-Konflikts machen diese Spannungsverhältnisse zwischen Globalisierung und Fragmentierung, zwischen Regression und Modernisierung zu einer explosiven Mischung.

IV. Die Fortentwicklung des Völkerrechts als ein wichtiges Element internationaler Friedenssicherung

Die Ausweitung ethno-nationaler und ähnlicher Konflikte trifft das Völkerrecht und die VN-Charta, und damit die rechtlichen Grundlagen der internationalen Friedenssicherung, weitgehend unvorbereitet. Weniger zwischenstaatliche, sondern innerstaatliche beziehungsweise eine Mischform

von inner-und zwischenstaatlichen Konflikten gefährden den Frieden. Die Unterscheidung zwischen der als interne Angelegenheit zu betrachtenden Suche nach Demokratie und Autonomie einzelner Bevölkerungsgruppen und der in den internationalen Bereich weisenden Inanspruchnahme des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts, dessen grundlegende Bedeutung in Art. 1 Ziff. 2 der Charta der VN ausdrücklich bestätigt wird, wird bei diesen Konflikten hauchdünn, wenn nicht gar unmöglich. Das ist zumindest dann so, wenn das Selbstbestimmungsrecht im Sinne von Sezession und Eigenstaatlichkeit verstanden und mit den entsprechenden kriegerischen Mitteln vertreten wird. Was eben noch als interne Minderheitenproblematik galt, verwandelt sich in wenigen Tagen oder Wochen in einen internationalen Konflikt. Dieser Prozeß lief am Beispiel des ehemaligen Jugoslawien geradezu exemplarisch ab.

Die Grenze von innerstaatlich und international verwischt sich aus einem weiteren Grund. Die internationale Gemeinschaft ist nicht mehr bereit, diese Konflikte hinsichtlich ihrer friedensgefährdenden Folgen und ihrer desaströsen Auswirkungen auf den Umgang mit den Menschenrechten einfach hinzunehmen. Respektierung der strikten Trennung zwischen innerstaatlich und international wird angesichts des Ausmaßes von Gewaltanwendung, Vertreibung und Flüchtlingsströmen sowie verzweifelter Rufe der notleidenden Bevölkerung nach internationaler Hilfe zur Farce. Konventionen zum Schutz der Menschenrechte, Verbote von Völkermord und Rassismus etc., die die überwältigende Mehrheit der Staaten unterschrieben hat, nehmen die Weltgemeinschaft in die Pflicht, auf diese Rufe zu reagieren, so unzulänglich sie das im Einzelfall auch immer tun mag 19.

Die Schwierigkeit liegt also darin, daß Politik und Völkerrecht plötzlich in großer Häufigkeit mit einem Konflikttypus konfrontiert sind, den zu regeln in der Vergangenheit weder ein Anliegen des traditionellen Völkerrechts noch der VN-Charta war. Das erklärt zu einem beträchtlichen Teil die gegenwärtigen Unsicherheiten der VN bei der Fortentwicklung ihres Instrumentariums der Friedenssicherung. Das bisher wichtigste Modell zur Beendigung von gewaltsamen Konflikten -die Entsendung von Blauhelmen -war strikt an die Zustimmung aller beteiligten Konfliktparteien gebunden. Das entsprach dem in der Vergangenheit herrschenden Verständnis von Souveränität und Nichteinmischungsgebot.

Zweifellos kann es keine Zukunftsperspektive sein, Diktatoren, fanatischen Ethno-Nationalisten oder lokalen Warlords ein derart absolutes VetoRecht gegen die Durchführung von humanitären Hilfstransporten etc. einzuräumen, nur um einem reichlich abgehobenen Verständnis von Souveränität und Nichteinmischung zu genügen. Denn nicht von der Souveränität und Selbstbestimmung der „Regierenden, Herrschenden oder Warlords“ ist in Art. 1 und 2 der VN-Charta die Rede, sondern von der der „Völker“. Das ist in den vergangenen Jahrzehnten zu sehr in Vergessenheit geraten. Abdul Mohamed, verantwortlich für die humanitäre Hilfe am Hom von Afrika, hat daher die VN und die in ihr vertretenen Staaten leidenschaftlich zu einer Revision ihrer Haltung aufgefordert: „It is absolutely immoral for the UN and the world to listen to warlords who talk of sovereignty while they fail to feed their people or provide basic law and Order.“ 20 Auch GS Boutros-Ghali, der in der „Agenda für den Frieden“ noch von der Befriedung zwischenstaatlicher Konflikte als dem eigentlichen Aufgabengebiet der VN ausgegangen war (und in der Agenda ein entsprechend konventionelles Verständnis von Souveränität und Nichteinmischung vertrat), hat sich diesem Tenor inzwischen angeschlossen. Auf einer Konferenz in New York sagte er kürzlich: „Es ist eine sich herausbildende Tatsache, daß sich die Nationen heute mehr mit sich selbst im Kriegszustand befinden als mit anderen Regionen. Die Tatsache, daß sich derartige Verwüstungen innerhalb nationaler Grenzen ereignen, ist keine Entschuldigung für Nichthandein.“ 21

I Die Entwicklung eines durchlässigeren Verständnisses von Souveränität und Nicht-Einmischung ist also eine wichtige Voraussetzung, um die Friedenssicherung der VN und regionaler Einrichtungen in einer Welt ethno-nationaler und ähnlicher Konflikte effektiver zu gestalten. Die Diskussion um ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft zur Durchführung und Absicherung von Hilfsmaßnahmen für die in diesen Kriegen notleidende Bevölkerung sowie zur Absicherung menschenrechtlicher und demokratische

I Die Entwicklung eines durchlässigeren Verständnisses von Souveränität und Nicht-Einmischung ist also eine wichtige Voraussetzung, um die Friedenssicherung der VN und regionaler Einrichtungen in einer Welt ethno-nationaler und ähnlicher Konflikte effektiver zu gestalten. Die Diskussion um ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft zur Durchführung und Absicherung von Hilfsmaßnahmen für die in diesen Kriegen notleidende Bevölkerung sowie zur Absicherung menschenrechtlicher und demokratischer Mindeststandards hat sich um das Schlagwort „humanitäre Intervention“ verdichtet. Der Begriff der Intervention ist jedoch, so sehr man in der Sache zustimmen mag, schlecht gewählt. Er stammt aus dem Repertoire der Großmachtpolitik des 19. Jahrhunderts. Der amerikanische Völkerrechtler Tom J. Farer weist zu Recht darauf hin, daß es keinen Fall in der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg gab, in dem ein Staat wirklich in erster Linie aus humanitären Gründen in einem anderen Lande interveniert hat Am Mißbrauch dieses Begriffs hat sich also nicht viel geändert.

Auch die Charta der VN kennt den Begriff der humanitären Intervention nicht. Sie aber sollte der Ausgangspunkt aller künftigen Überlegungen sein. In der Völkerrechtslehre besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, daß der Begriff der „Friedensbedrohung“ in Art. 39 vom SR weit ausgelegt werden kann Völkermord, Vertreibung und andere massive Menschenrechtsverletzungen stellen zweifellos eine Bedrohung des Friedens dar Stellt der SR eine Friedensbedrohung dieser Art fest, wie er das sowohl im Falle Somalias als auch Bosniens getan hat, dann kann er die in Kap. VII der Charta vorgesehenen Zwangsmaßnahmen, auch militärische, verhängen. Eine zumindest generelle Zustimmung der Konfliktparteien mag dann aus pragmatischen Erwägungen immer noch wünschenswert sein. Völkerrechtlich ist sie nicht notwendig.

Wichtig ist bei dem Vorgehen nach Kap. VII der folgende Punkt: Allein ein multilateralisiertes und satzungsmäßig festgelegtes Verfahren bietet einen gewissen Schutz gegen den in der Vergangenheit so vielfach zu beobachtenden Mißbrauch der „humanitären Intervention“ durch einzelne Mächte.

Relativierung des Souveränitätsprinzips und Nichteinmischungsgebotes ist aber nur ein Aspekt des Völkerrechts. Gleichzeitig ist das in Art. 1 Ziff. 4 der VN-Charta festgelegte Recht der Völker auf Selbstbestimmung, das eigentlich den „freundschaftlichen Beziehungen“ zwischen den Völkern und der „Festigung des Weltfriedens“ dienen soll, in Gefahr, sich in sein Gegenteil zu verkehren und zu einem „Recht“ auf Unterdrückung, Vertreibung oder sogar Vernichtung anderer Völker zu werden. Es muß deswegen, so GS Boutros-Ghali, „eine vernünftige Eingrenzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker geben“ Wie aber soll diese „vernünftige Eingrenzung“ aussehen? Das ist ein völkerrechtlich und politisch kompliziertes Thema, dem an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden kann.

V. Boutros-Ghalis Start in eine neue Ära: Die Agenda für den Frieden

Auf dem ersten Gipfeltreffen, das die Mitglieder des SR in der Geschichte dieses Gremiums am 31. Januar 1992 in New York abhielten, wurde der gerade neu in das Amt des Generalsekretärs berufene Ägypter Boutros Boutros-Ghali beauftragt, eine -wie es in der umständlichen Sprache der VN heißt -„Analyse sowie Empfehlungen zu der Frage auszuarbeiten, wie die Kapazität der VN zur vorbeugenden Diplomatie, zur Friedensschaffung und zur Friedenssicherung im Rahmen der Charta und ihrer Bestimmungen gestärkt und effizienter gestaltet werden kann“. Im Juni 1992 legte er ein entsprechendes Dokument mit dem Titel „Agenda für den Frieden“ vor Sie ist der gegenwärtig wohl wichtigste Diskussionsbeitrag für die Fortentwicklung des Peace-keeping und anderer Instrumente der VN. Noch vor der Abgabe seines Amtes regte Präsident Bush an, daß dieses Dokument -auch wenn er nicht allen Vorschlägen zustimme -Gegenstand eines weiteren Gipfeltreffens der VN sein solle.

Der GS unterscheidet in der „Agenda für den Frieden“ vier grundlegende Aufgabenbereiche der Friedenssicherung: Vorbeugende Diplomatie (preventive diplomacy), Friedensschaffung (peacemaking), also der Prozeß bis zum Abschluß eines Waffenstillstandes oder sogar eines Friedensvertrages, Friedenssicherung (peace-keeping), also der Einsatz von Blauhelmen, Wahlbeobachtern, Polizisten etc. zur Durchführung einer Waffenstillstands-und Friedensvereinbarung, und schließlich Friedenskonsolidierung (post-conflict peace-building), nachdem ein Konflikt erfolgreich beendet worden ist. Schließlich ist eine fünfte Kategorie, die Friedenserzwingung (enforcement) aufgrund von Beschlüssen des SR gemäß Kap. VII der VN-Charta zu nennen, obwohl sie im Bericht des GS eine geringe Rolle spielt.

Im weiteren schlägt konkrete der GS Maßnahmen zur Verbesserung der Friedenssicherung vor: Das Frühwarnsystem der VN soll ausgebaut und die Möglichkeiten zur Entsendung von Fact-finding-Missionen verbessert werden. Sogar eine vorbeugende Entsendung von Truppen bei innerstaatlichen Konflikten oder bei der Gefahr grenzüberschreitender Angriffe soll möglich sein, allerdings immer nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierungen und Konfliktparteien. Die Einrichtung von entmilitarisierten Zonen und ihre Absicherung durch VN-Truppen wäre eine weitere Möglichkeit, Kriege zu verhindern.

Im Kern steckt in diesen Vorschlägen eine grundsätzliche Forderung, nämlich die Fortentwicklung beziehungsweise Ergänzung des traditionellen Peace-keeping zu einem robusten Peace-keeping. Der GS hat das in der Agenda für den Frieden zwar nicht so deutlich angesprochen, seine Haltung im Falle Somalias bestätigt diese Feststellung aber. Denn es war vor allem Boutros-Ghali, der die USA und den SR zu einem qualitativen Sprung, nämlich der militärischen Präsenz in Somalia, gedrängt hat. Die amerikanischen Militärs standen einem solchen Einsatz eher ablehnend gegenüber Sein Ausgang schien ihnep zu ungewiß.

Die Gründe für die Notwendigkeit der Entwicklung eines robusten Peace-keeping liegen auf der Hand: In Bosnien, Somalia, Angola, Kambodscha und der Westsahara sind die traditionellen Blau-helm-Einsätze in massive Schwierigkeiten geraten. Sogenannte Regierungen, Konfliktparteien, regionale und lokale Warlords, ja sogar marodierende Banden spielen mit der VN Katz und Maus. Waffenstillstände, gerade vereinbart, werden reihenweise gebrochen, ja die Vereinbarung von Waffenstillständen wird zum Vorspiel für mehr Kämpfe, für mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung. Die VN-Präsenz selbst wird zum Problem. Humanitäre Transporte, ebenfalls vereinbart, werden nach Belieben beschossen und zur Umkehr gezwungen. Der Leiter einer internationalen Hilfsaktion in Somalia wurde kürzlich sogar von genau den „Wächtern“ erschossen, die er zur Durchführung der Transporte angeheuert hatte. Sie fanden ihre Bezahlung unzureichend.

Anstatt ein kraftvolles Instrument der Friedenssicherung zu sein, sind die VN angesichts der Welle turbulenter Konflikte in Gefahr, Komplize in einem zynischen Spiel mit doppeltem Boden zu werden. Die Konfliktparteien können sich mit ihrer Hilfe das Mäntelchen der Verhandlungsbereitschaft und der Humanität umhängen, während sie gleichzeitig ihre Ziele ohne Rücksicht auf Verluste 'weiterverfolgen. Am Ende befinden sich die VN in der absurden Lage, daß sie -wie in Bosnien -gedrängt werden, Transporte im Rahmen der Politik der „ethnischen Säuberung“ zu begleiten (und so quasi zu legitimieren), damit diese wenigstens friedlich verlaufen, oder -wie in Somalia -daß sie den Führern Tribut zahlen müssen, deren Bevölkerung sie mit Nahrungsmitteln und Arzneien versorgen wollen. Der Vorwurf der kroatischen Journalistin Dunja Melcic an die VN, daß der Waffenstillstand vom Dezember 1991 zwischen der kroatischen Nationalgarde und der jugoslawischen Bundesarmee und die Errichtung von „UN-protected areas“ nicht so sehr dem Frieden als dem Status quo der Usurpation und Okkupation gedient haben, sondern -schlimmer noch -die Offensive der Serben in Bosnien erleichtert hätten, mag einseitig, aber gewiß nicht völlig unberechtigt sein

Die Stimmen derer, die diesem absurden Spiel ein Ende setzen wollen, werden schon seit einiger Zeit lauter. Eine der ersten war die von Sir Brian Urquhart, einem der Väter des traditionellen Peacekeeping. Im Dezember 1991 forderte er eine neue Kategorie von VN-Streikräften. Ihre wichtigste Aufgabe wäre, Waffenstillstände, humanitäre Hilfe und den Verhandlungsprozeß insgesamt gegen unkontrollierte Gewaltausübung abzusichem Diesem Katalog von Aufgaben ließen sich weitere hinzufügen, wie zum Beispiel die Absicherung von Flugplätzen und Häfen für humanitäre Transporte, von lebenswichtigen Versorgungseinrichtungen, von Staudämmen und Atomkraftwerken, deren Zerstörung weitflächigen Schaden anrichten würde, sowie die Verhinderung von massenweiser „ethnischer“ Vertreibung, Vergewaltigung und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Es ist also notwendig, einen zusätzlichen, robusten Typus von Peace-keeping zu entwickeln, der den spezifischen Anforderungen ethno-nationaler und ähnlicher Konflikte gerecht wird. Der militärisch abgesicherte Einsatz in Somalia ist deswegen ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn er viele schwierige Einzelprobleme aufwirft. Dieser Typus ist von Kampfeinsätzen nach dem Muster des Golf-krieges, die der Abwehr einer zwischenstaatlichen Aggression dienen, klar zu unterscheiden. Denn die Vorstellung, daß sich ethnische und religiöse Konflikte durch einen militärischen Großeinsatz ersticken lassen, ist illusorisch. Das mag vielleicht kurzfristig, gewiß aber nicht längerfristig gelingen.Das robuste Peace-keeping unterscheidet sich vom traditionellen durch die Ergänzung um bestimmte, auf die Bedingungen des Einzelfalls bezogene Elemente der militärischen Erzwingung. Sie müssen in einem Mandat des SR gemäß Art. 39ff. VN-Charta im voraus festgelegt werden. Ziel dieses robusten Peace-keeping ist es, die Konfliktparteien schrittweise aus ihrer blindwütigen Konfrontation durch die Absicherung (1) eines stabilen, „therapeutischen“ Verhandlungsrahmens, (2) humanitärer Mindeststandards, humanitärer Hilfsmaßnahmen, (3) lebenswichtiger Einrichtungen etc. herauszuführen.

Das militärisch robuste Peace-keeping ist deswegen auch kein Ersatz für nichtmilitärische Mittel des Konfliktmanagements und Peace-building. Vielmehr geht es gerade darum, durch den Einsatz militärischer Elemente deren Wirksamkeit überhaupt zu ermöglichen. Es wird eine der schwierigsten Aufgaben dieser Einsatzform sein, eine intelligente, auf die Bedingungen des Einzelfalls bezogene Koordination militärischer und nichtmilitärischer Elemente zu entwickeln. In Somalia steht man insoweit ganz am Anfang. Keiner weiß gegenwärtig, wie das Experiment ausgehen wird.

In der deutschen Diskussion -nicht zuletzt in der einiger Friedensforscher -tut man sich zum Teil immer noch schwer mit der Notwendigkeit, militärische und nichtmilitärische Mittel bei der Friedenssicherung in einen Zusammenhang zu bringen Man hat sich in diesen Fragen ein allzu einseitiges Schwarz-Weiß-Denken angewöhnt. Leider ist es eine -zugegebenermaßen bittere -Einsicht, daß wirtschaftliche Sanktionen und andere Embargomaßnahmen sich als ein kurz-und mittelfristig wenig erfolgversprechendes Instrument erwiesen haben. Selbst wenn sie energisch in der Frühphase von Konflikten eingesetzt werden, was häufig nicht der Fall ist, wirken sie meistens nur längerfristig. So lange jedoch können die Menschen, deren Leben unmittelbar in Gefahr ist oder die durch Vergewaltigung, Vertreibung und andere Brutalitäten bedroht sind, nicht warten. Sie würden den Zeitpunkt der Wirksamkeit von Sanktionen nicht mehr erleben. Rationale Kosten-Nutzen-Erwägungen, die die Konfliktparteien auch kurzfristig reagieren ließen, haben in der emotional aufgeladenen Atmosphäre von ethnischen und religiösen Konflikten nur wenig Raum, vor allem dann nicht, wenn bereits Blut geflossen ist. Warum sollen die Führer von Konfliktparteien (oder menschenverachtende Diktatoren), die -wie in Bosnien oder Somalia -’ bereit sind, für ihre Ziele notfalls ein ganzes Land und seine Bevölkerung mit in den Abgrund zu reißen, sich durch wirtschaftliche Sanktionen beeindrucken lassen?

VI. Schnelle Einsatztruppen für die VN?

Die Fortentwicklung des traditionellen Peace-keeping wirft eine Vielzahl von neuen Problemen auf. Zwei von ihnen sind bereits Gegenstand einer lebhaften Diskussion: Erstens, wie kommen die VN an die für die steigende Zahl von traditionellen und robusten Peace-keeping-Einsätzen notwendigen Truppen? Das gegenwärtige System, daß für jeden Blauhelm-Einsatz die notwendigen Einheiten erst in einem mehr oder weniger langwierigen Verfahren mit den Staaten ausgehandelt werden müssen, ist zu unbeweglich und zu langsam. Zweitens, unter wessen politischer und militärischer Kontrolle sollen diese Truppen stehen?

Die VN brauchen nach Auffassung des GS kein stehendes Heer, wohl aber Truppen, die schnell abrufbar sind, also eine sogenannte „rapid deployment capacity“ haben Eigentlich sind gemäß Art. 43 der Charta alle Mitglieder der VN schon seit 1945 aufgefordert, Sonderabkommen abzuschließen, in denen die genauen Bedingungen für die Bereitstellung von Truppen zum Einsatz unter der Flagge der VN geregelt sind. Dieser Artikel wurde jedoch ein Opfer des Kalten Krieges. Keine einzige derartige Vereinbarung gibt es. Das sollte nach Auffassung des GS nun, da der Kalte Krieg vorbei ist, anders werden. Denn die Tatsache, daß auf Abruf bereitstehende Streitkräfte jederzeit verfügbar sind, könnte für sich allein bereits als Abschreckungsmittel für Friedens-brüche dienen Diese von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Truppen würden sich aus Freiwilligen zusammensetzen. Sie müßten schwerer bewaffnet sein als die bisherigen Blauhelme und sich im Rahmen der Streitkräfte ihres Landes einer umfassenden vorbereitenden Ausbildung unterziehen. Die Entsendung dieser Truppen würde aufgrund einer Ermächtigung des SR erfolgen. Sie würden aber, obwohl es sich nicht mehr um die traditionellen Blauhelme handelt, dem GS unterstellt Der französische Präsident Mitterrand hatte schon vor diesen Vorschlägen Boutros-Ghalis einen ähnlichen Vorstoß unternommen. Auf dem Gipfeltreffen der SR-Mitglieder teilte er mit, daß Frankreich bereit wäre, für VN-Einsätze Truppen bereitzuhalten, von denen 1000 innerhalb von 48 Stunden und weitere 1000 innerhalb einer Woche abrufbar sein würden. Andere Staaten sollten diesem Beispiel folgen. Im Namen der Russischen Föderation plädierte auch Boris Jelzin dafür, kurzfristig abrufbare Truppen zum Einsatz unter dem Kommando der VN aufzustellen. Die Bush-Regierung in den USA und die britische Führung wiederum machten keinen Hehl aus ihrer Skepsis gegenüber der Vorstellung, diese Truppen dem Oberkommando des GS zu unterstellen.

Besondere Aufmerksamkeit erregten zu diesem Zeitpunkt auch die recht detaillierten Vorschläge von Richard N. Gardener, Professor an der Columbia University und einer der außenpolitischen Berater Bill Clintons. Im Sommer 1992 veröffentlichte er einen Aufsatz, in dem er entschieden für die Aufstellung von UN-stand-by forces eintritt.

Alle ständigen Mitglieder des SR sollten sich gemäß Art. 43 der Charta verpflichten, jeweils eine Brigade (ca. 2000 Soldaten) zum schnellen Einsatz bereitzuhalten. Eine Zahl von ungefähr 30 weiteren VN-Mitgliedern, die dazu in der Lage sind, sollten jeweils ein Batailion (600-700 Soldaten) zusagen. Das würde eine Streitmacht von bis zu 30000 Soldaten ergeben. Sie würden durch gemeinsame Ausbildung, entsprechend angeglichene Ausrüstung und gemeinsame Manöver auf ihre Einsätze vorbereitet. Die ständigen Mitglieder des SR wären aufgefordert, die notwendigen Luft-und Seetransportkapazitäten zur Verfügung zu stellen

Inzwischen ist Bill Clinton Präsident der USA. Eine endgültige Position hat seine Regierung in Sachen VN-Truppen noch nicht bezogen. Verteidigungsminister Lee Aspin erklärte anläßlich seines ersten, bewußt zu einem frühen Zeitpunkt angesetzten Treffens mit GS Boutros-Ghali jedoch vor der Presse, daß die amerikanische Regierung gegenwärtig drei Optionen prüfe (1) eine ständige VN-Streitmacht, (2) die Bereitstellung nationaler Streitkräfte für die VN durch verschiedene Länder, (3) eine internationale Freiwilligen-Armee nach dem Vorbild der französischen Fremdenlegion. Es läßt sich schon jetzt mit einiger Gewißheit voraussagen, daß nur Option 2 Verwirklichungschancen hat. Den Optionen 1 und 3 wird die Zustimmung von zu vielen Staaten, auch ständigen Mitgliedern des SR, versagt bleiben.

VII. Das Problem der politisch-militärischen Kontrolle von VN-Einsätzen

Über die politisch-militärische Kontrolle von VN-Einsätzen gibt es seit dem Golfkrieg eine heftige Diskussion. Bei diesem Einsatz hatten die USA und ihre Verbündeten den VN jegliche politische und militärische Kontrolle oder Mitsprache verweigert. Maßgeblich waren allein die allgemeinen Vorgaben der Resolutionen des SR. Die Truppen kämpften deswegen auch nicht unter der Flagge der VN. Ganz anders ist es bei den traditionellen Blauhelm-Einsätzen. Die Zusammensetzung der Truppen ist möglichst multinational. Das Oberkommando haben nicht nationale Stäbe, sondern der GS beziehungsweise der von ihm eingesetzte politische Sonderbeauftragte oder „force Commander“. Beides ist für die Legitimität und Autorität der VN gegenüber den Konfliktparteien ein großes Plus. Der Vorwurf, daß die VN Handlanger einer Macht oder nur einer kleinen Gruppe von Staaten seien, hat wenig Basis.

Beide Prinzipien lassen sich jedoch bei Einsätzen, bei denen mit bewaffneten Auseinandersetzungen zur Durchsetzung des Mandats zu rechnen ist, nicht oder nur bedingt durchhalten. Derartige Einsätze verlangen wegen ihres Gefährlichkeitgrades ein eingeübtes Zusammenspiel der Truppen und eine straffe Führung, die nicht durch politische Rangeleien gestört wird. Beides ist bisher nur auf nationaler Ebene und, mit Einschränkungen, bei der NATO gegeben (in den VN gibt es deswegen Stimmen für eine enge Zusammenarbeit mit der NATO).

Beim robusten Peace-keeping müssen also im Hinblick auf Truppenzusammensetzung und Befehls-gewalt zwei sich widersprechende Anforderungen ausbalanciert werden, nämlich die nach militärischer Effektivität einerseits und die nach multilateraler Legitimität und Autorität entsprechend der Charta der VN andererseits. In der Resolution S/794 des SR vom 3. Dezember 1992, die den Einsatz in Somalia regelt, ist insoweit ein Anfang gemacht worden. In Ziff. 13 der Resolution werden der GS und die truppenstellenden Staaten aufgefordert, „to establish appropriate mechanisms for coordination between the United Nations and their military forces“. Außerdem wird eine „ad hoc commis sion“ des SR zur Überwachung der Implementierung der Resolution eingerichtet sowie ein kleiner „UNOSOM liaison staff“ in das „unified command“, das die militärische Kommandogewalt von UNITAF innehat, entsandt (Ziff. 14 und 15). GS Boutros-Ghali hat die Frage, ob er in dieser Resolution einen Präzedenzfall für ein Modell im Umgang mit Konflikten nach dem Ende des Kalten Krieges sieht, bejaht

Es wird also um eine pragmatische Fortentwicklung dieser Mischform bei weiteren Einsätzen gehen. Seit Ende Januar 1993 sind die VN und die USA damit beschäftigt, die Details eines weitgehenden Abzugs der amerikanischen Truppen und der Auflösung UNITAFs auszuhandeln. Die Verantwortung wird dann auf die mindestens 20000 Soldaten umfassende UNOSOM II unter VN-Kommando übergehen. Auch UNOSOM II wird gegebenenfalls militärische Gewalt zur Durchsetzung seines Mandats anwenden können. Ismat Kittani, der Sonderbeauftragte des GS für Somalia, ließ bereits durchblicken, daß die Resolution des SR „establishing the new force would have to be extensively detailed, since it will probably be in Somalia not for , months but years"

Die für UNOSOM II ausgearbeiteten Strukturen der politischen und militärischen Kontrolle werden zweifellos wichtige Weichen für die künftige Gestaltung des robusten Peace-keeping stellen ebenso wie die Einsatz-und Kommandostrukturen, die gegenwärtig zwischen der NATO und den VN für den Einsatz in Bosnien ausgehandelt werden.

VIII. Ausblick

Dieser Beitrag hat das Fenster zum weiten Aufgabenfeld einer Fortentwicklung der VN-Friedenssicherung nur einen Spalt weit geöffnet. Eines dürfte jedoch deutlich geworden sein: Die VN ist in Gefahr, unter der Last der Befriedung ethnonationaler und ähnlicher Konflikte zusammenzubrechen. Grund dafür ist nicht ein Versagen der Organisation als solcher -bei aller Kritik an organisatorischen Defiziten im Detail -, sondern die Halbherzigkeit, mit der sich die Mehrheit der Staaten hinter die Aufgaben der Organisation stellt.

Japan und Deutschland -obwohl zwei der wirtschaftlich, politisch und auch militärisch potentesten Staaten dieser Welt -gehören zum Kreis dieser Halbherzigen. Denn das Argument, die Lehren der Vergangenheit würden eine Beteiligung mit Truppen ihrer Streitkräfte an militärischen Aufgaben der Friedenssicherung verbieten, hat keine Überzeugungskraft mehr. Eine Zeitlang war es im Sinne einer gründlichen Prüfung und öffentlichen Diskussion dieser Frage aufgrund der historischen Belastung beider Länder in Sachen Militarismus berechtigt. Jetzt geht es jedoch gar nicht mehr um diese Vergangenheit; es wird lediglich parteipolitisch taktiert. Die Beteiligung an dem Versuch, die VN und regionale Abmachungen wie die KSZE etc. zu tragenden Pfeilern einer regionalen und globalen kollektiven Sicherheit zu machen, in denen multilaterales Peace-keeping und seine Fortentwicklungen einen zentralen Stellenwert haben, stellt keine Fortsetzung der Vergangenheit dar, sondern bricht im Gegenteil mit deren Irrwegen klarer als eine Politik des Beiseitestehens und Freikaufens mit Jen und DM.

Denn ohne ein tatkräftiges Mitanfassen Japans und Deutschlands werden die VN der anrollenden Welle gewaltsamer Konflikte nicht gewachsen sein (oder -wie GS Boutros-Ghali bei seinem Besuch in Japan kürzlich gewarnt hat -zu einem einseitig von den USA dominierten Instrument degenerieren). Scheitern die VN aber, dann steht, wie in Ansätzen bereits zu beobachten ist, die Renationalisierung nationaler Interessen-und Sicherheitspolitik ins Haus. Eine solche Entwicklung kann die deutsche Friedens-und Sicherheitspolitik nicht wollen, ebensowenig wie die japanische. Denn das würde in der Tat die Lehren der Vergangenheit in den Wind schlagen.

Eine verfassungsrechtliche Klarstellung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr duldet also keinen weiteren Aufschub. Die Linie des Kompromisses liegt auf der Hand: Die SPD muß einen Schritt nach vom machen in Richtung auf eine Beteiligung der Bundeswehr an allen Einsätzen unter der Flagge der VN, die Regierungskoalition einen zurück. Denn über den Rahmen der VN hinauszugehen besteht gegenwärtig keine zwingende Notwendigkeit. Es könnte sogar ein Schritt in die falsche Richtung sein. Außerdem werden die deutsche Politik und die Bundeswehr ohnehin Mühe haben, den Anforderungen von Einsätzen innerhalb des VN-Rahmens quantitativ und qualitativ nachzukommen. Denn sollte die Bundeswehr tatsächlich in diesem Jahr zwei Bataillone nach Somalia entsenden, wie dem GS bei seinem Besuch in Bonn versprochen wurde, dann ist ihr Vorrat an Truppen und Kapazitäten, die für derartige Einsätze geeignet sind, schon fast aufgebraucht. Vorstellungen von einer „Bundeswehr weltweit“ gehören also in das Reich der Fabel bzw.der böswilligen Denunziation.Deutsche Politik und Öffentlichkeit werden sich also, anstatt von einem weiten Spektrum an Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr innerhalb und außerhalb der VN zu träumen, sehr bald mit der Realität äußerst begrenzter Einsatzmöglichkeiten und der daraus folgenden Problematik der Selektivität befassen müssen. Selbst wenn Japan und Deutschland sich nachhaltig am Peace-keeping beteiligen, werden die VN nur in ausgewählten Fällen effektiv tätig werden können. In den USA gibt es über dieses Problem seit dem Einsatz in Somalia bereits eine bewegte Diskussion Nach welchen Kriterien ist eigentlich zu unterscheiden, in welchen Konflikten und wie massiv sich die VN engagieren? Warum gerade oder nur Somalia, so wird gefragt, warum nicht Liberia, Bosnien, Aserbeidschan oder der Sudan?

Diese Selektivität wird für die VN und die an den Einsätzen beteiligten Mächte ein innen-wie außenpolitisch schwierig zu handhabendes Problem sein. Klare, die Öffentlichkeit ausreichend überzeugende Kriterien sind nicht so einfach zu entwickeln. Der Vorwurf, unter dem Vorwand der „doability“ (Machbarkeit) doppelte Standards anzulegen, wird nicht lange auf sich warten lassen. Die islamische Welt hat diesen Vorwurf im Hinblick auf das vorsichtige Eintreten der westlichen Welt für die Muslime in Bosnien und die 400 von Israel ausgewiesenen Palästinenser bereits erhoben. Zumindest die USA können ihn angesichts ihres Hilfseinsatzes im muslimischen Somalia allerdings mit einiger Berechtigung zurückweisen.

In Deutschland wird diese Diskussion mit einer zusätzlichen Schwierigkeit zu kämpfen haben. Denn eine Grunderfahrung des Peace-keeping ist, die für seine robuste Variante ähnlich gilt, keine Truppen einzusetzen, die gegenüber der einen oder anderen Konfliktpartei historisch vorbelastet sind (oder unter dem Verdacht stehen, unter dem Deckmantel des Peace-keeping einseitig nationale Interessen zu verfolgen). Ersteres dürfte einen Einsatz der Bundeswehr bei Konflikten in der näheren Umgebung noch für einige Zeit schwierig machen. Die Bundesregierung steht mit Recht einer Beteiligung deutscher Truppen im ehemaligen Jugoslawien kritisch gegenüber, jedenfalls was einen Einsatz direkt vor Ort mit der Möglichkeit bewaffneter Auseinandersetzungen betrifft. Deutsche Öffentlichkeit und Politik sind andererseits auf Einsätze außerhalb Europas, wo die genannten Empfindlichkeiten in der Regel nicht bestehen, psychologisch wenig vorbereitet. Der Vorwurf von Großmachtbestrebungen mit militärischen Mitteln wird nicht ausbleiben, auch wenn er in diesem Zusammenhang unsinnig ist.

Schließlich ist zu hoffen, das eine schnelle Klärung der verfassungsrechtlichen Lage endlich die einseitige Fixierung auf die Rolle der Bundeswehr hinsichtlich eines deutschen Beitrags bei der VN-Friedenssicherung beendet. Die Diskussion nicht-militärischer Mittel ist durch diese Fixierung weitgehend aus dem Blickfeld geraten (außer in einigen Experten-und Diplomatenzirkeln). Auf diesem Feld ist von der deutschen Politik zwar einiges geleistet worden. Beträchtlich mehr wäre jedoch zu tun. So haben zum Beispiel die VN bei ihren Einsätzen einen chronischen Mangel an Polizei-kräften. Denn Polizisten sind -anders als Militär -schwer abkömmlich, obwohl sie für verschiedene Aufgaben besser als diese geeignet sind. Der GS hat mehrfach angedeutet, daß er es begrüßen würde, wenn Japan und Deutschland eine für internationale Einsätze kurzfristig abrufbare Polizei-reserve von einigen Hundert Polizisten bereithalten würden -ähnlich den skandinavischen Ländern. Eines verstärkten Engagements bedürfte auch die internationale Wahlbeobachtung. Demokratisierung ist längerfristig ein wichtiger Beitrag zu Frieden und Stabilität. Die deutsche Außen-und Entwicklungspolitik hat sich in diesem Sinne besonders stark gemacht, nicht zuletzt was die Frage der Konditionalisierung der Entwicklungshilfe betrifft. Im Verhältnis dazu hinken Kohärenz und Engagement der deutschen Politik bei der Organisation der Wahlbeobachtung hinterher.

Alles in allem: Die Diskussion über die deutsche Rolle bei der internationalen Friedenssicherung sollte sich keineswegs in der Frage über die verfassungsrechtlichen Grundlagen einer Beteiligung der Bundeswehr erschöpfen; es sind vielmehr die unterschiedlichen Möglichkeiten militärischer wie nichtmilitärischer Hilfe herauszuarbeiten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der umstrittene Art. 24 des Grundgesetzes soll nach Beschlüssen der Koalition vom Januar und März d. J. um vier Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr erweitert werden: 1) bei „friedenserhaltenden“ Maßnahmen (Blauhelme) gemäß einem Beschluß des Sicherheitsrats oder im Rahmen von regionalen Abmachungen im Sinne der Charta der Vereinten Nationen, soweit ihnen die Bundesrepublik angehört; 2) bei „friedensherstellenden“ Maßnahmen (Kampfeinsätzen) aufgrund der Kap. VII und VIII der Charta der Vereinten Nationen gemäß einem Beschluß des Sicherheitsrates; 3) zur Hilfeleistung für mit der Bundesrepublik Deutschland verbündete Staaten gemäß Bündnisverträgen; 4) in Ausübung des Rechts zur kollektiven Selbstverteidigung gemäß Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen gemeinsam mit Partnern im Rahmen von Bündnissen und anderen regionalen Abmachungen, denen die Bundesrepublik Deutschland angehört. Diese Einsätze bedürfen in den Fällen der Ziff. 1 und 2 der Zustimmung der Mehrheit, im Falle der Ziff. 4 der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags; vgl. Frankfurter Rundschau vom 14. 1. 1993 und Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. 3. 1993.

  2. Außenminister Kinkel sagte in seiner Rede vor der GV am 23. September 1992: „Wir müssen aber auch die verfassungsmäßigen Voraussetzungen dafür schaffen, daß unsere Streitkräfte, nach Zustimmung des Bundestages, den Vereinten Nationen für friedensbewahrende und friedensschaffende Einsätze zur Vergügung gestellt werden können.“ Vgl. Presse-und Informationsdienst der Bundesregierung, Bulletin, Nr. 101 vom 25. September 1992, S. 949ff.

  3. Vgl. Anm. 1.

  4. Vgl. das Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 5. Februar 1993.

  5. Vgl. Winrich Kühne, Deutsche Blauhelme und Neue Aufgaben der Internationalen Friedenssicherung, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, September 1991; ders., Deutschland vor neuen Herausforderungen in den Nord-Süd-Beziehungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46/91, S. 3-14.

  6. KSZE -Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; OAS -Organisation Amerikanischer Staaten; OAE -Organisation für Afrikanische Einheit.

  7. Vgl. Anm. 2.

  8. Dieser Beitrag verwendet bewußt die im Sprachgebrauch der VN üblichen englischen Bezeichnungen. Ihre Übersetzungen ins Deutsche sind noch sehr uneinheitlich. So werden allein für peace-keeping drei verschiedene benutzt: friedenserhaltend, friedenssichernd, friedensbewahrend.

  9. Die Zahl schließt den Einsatz von 50 Beobachtern in Südafrika (UN Observer Mission in South Africa -UNOMSA) sowie die UN Mission to Verify the Elections in Haiti (ONUVEH) im Jahr 1990 ein, obwohl diese Aktion als reiner Wahlbeobachtungseinsatz ohne Blauhelme in gewisser Weise atypisch war. Ihre Basis bildete, anders als üblich, ein Beschluß der GV, nicht des Sicherheitsrates (SR).

  10. UNTAC -UN Transitional Authority in Cambodia; UNPROFOR -UN Protection Forces; UNITAF -Unified Task Force; UNOSOM -UN Operation in Somalia.

  11. Vgl. Resolution 764 des SR vom 3. Dezember 1992.

  12. ECOWAS Monitoring Group.

  13. UNAVEM -UN Angola Verification Mission.

  14. Vgl. Suzanne Crow, The thepry and practice of peacekeeping in the former U. S. S. R., in: RFE/Rl Research Report, 1 (1992) 37, S. 31-40.

  15. James N. Rosenau, The United Nations in a Turbulent World, International Peace Academy, Boulder-London 1992.

  16. Carlos Fuentes, Das europäische Gesicht kann Spuren des Zweifels nicht verdecken, in: Frankfurter Rundschau vom 25. Juni 1992.

  17. Vgl. hierzu Robert A. Dahl, The Problem of Civic Competence, in: The Journal of Democracy, 3 (1992) 4, S. 45-59.

  18. Vgl. zu einer sehr differenzierten Betrachtung der Problematik von Ethnizität Georg Eiwert, Über die Bildung von Wir-Gruppen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, (1989) 3, S. 440-464.

  19. Zitiert nach UNO-Woche, 8 (1992) 37/38, S. 4.

  20. Vgl. Tom J. Farer, An Inquiry into the Legitimacy of Humanitarian Intervention, in: Lori Damrosch/David J. Scheffer (Hrsg.), Law and Force in the Kew International Order, Boulder 1991, S. 185-199.

  21. Vgl. genauer Knut Ipsen, Auf dem Weg zur Relativierung der inneren Souveränität bei Friedensbedrohungen, in: Vereinte Nationen, (1992) 2, S. 41-45.

  22. Vgl. Jost Delbrück, Die internationale Gemeinschaft vor neuen Herausforderungen: Zur Neubestimmung der Reichweite des Interventionsverbotes der Charta der Vereinten Nationen, in: Wolfgang Heydrich u. a. (Hrsg.), Sicherheitspolitik Deutschlands: Neue Konstellationen, Risiken, Instrumente, Baden-Baden 1992 (Stiftung Wissenschaft und Politik, Reihe Internationale Politik und Sicherheit).

  23. Frankfurter Rundschau vom 12. Januar 1993.

  24. Boutros Boutros-Ghali, An Agenda for Peace, Report of the Secretary General, United Nations, New York 1992 (deutsche Übersetzung herausgegeben in der Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Nr. 43, Bonn 1992).

  25. Der Vorsitzende der amerikanischen Joint Chiefs of Staff, General Colin Powell, hat sich besonders kritisch mit dem Verlangen nach begrenzter militärischer Intervention im Rahmen des VN-Peace-keeping auseinandergesetzt. Vgl. International Herald Tribune vom 29. September 1992.

  26. Dunja Melcic, Krieg, Blauhelme und europäische Politik, in: die tageszeitung vom 10. Dezember 1992.

  27. Vgl. Brian Urquhart, How the United Nations Could Break Up Civil Wars, in: International Herald Tribune vom 31. Dezember 1991.

  28. Einem Sprachforscher wie Jürgen Link, zugleich ein engagiertes Mitglied der sogenannten Friedensbewegung, mag man dieses fehlende Differenzierungsvermögen verzeihen. Vgl. Jürgen Link, Machen wir Schluß mit den Friedensmissionen; nennen wir sie Krieg, in: Frankfurter Rundschau vom 16. November 1992, S. 13.

  29. B. Boutros-Ghali, An Agenda for Peace (Anm. 26), Ziff. 42ff.

  30. Vgl. ebd.

  31. Vgl. ebd., Ziff. 43ff.

  32. Vgl. Richard N. Gardener, Practical Internationalism: The United States and Collective Security, in: SAIS Review, 12(1992) 2, S. 35ff.

  33. Vgl. International Herald Tribune vom 8. Februar 1993.

  34. Vgl. Africa Research Bulletin, 1. -13. Dezember 1992, S. 10831.

  35. Vgl. International Herald Tribune vom 28. Januar 1993.

  36. Vgl. Charles Krauthammer, Drawing the Line at Genocide. Two Principles of Humanitarian Intervention, in: The Washington Post vom 11. Dezember 1992; David J. Scheffer, Drawing the Line short of Genocide, in: The Washington Post vom 29. Dezember 1992.

Weitere Inhalte

Winrich Kühne, Dr. jur., geb. 1944; wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsinstituts für Internationale Politik und Sicherheit (Stiftung Wissenschaft und Politik), Ebenhausen bei München. Forschungsgebiete: Afrika, allgemeine Fragen des Nord-Süd-Konflikts, VN-Friedenssicherung. Veröffentlichungen u. a: Demokratisierung in Vielvölkerstaaten unter schlechten wirtschaftlichen Bedingungen. Ein Diskussionsbeitrag am Beispiel Afrikas, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, Februar 1992; Der Einsatz der Bundeswehr außerhalb Europas -ein Beitrag zur Diskussion über deutsche Blauhelme, in: Europa-Archiv, 46 (1992) 22.