I. Notwendigkeit einer Neuorientierung*
Eine ökologische Wende in der Verkehrspolitik ist notwendig, weil es trotz einer seit zwei Jahrzehnten intensiv geführten öffentlichen Diskussion über die Autogesellschaft nicht gelungen ist, die Gleichsetzung von „Mobilität“ und „Motorisierung“ zu überwinden. Welch groteske Auswüchse die verkehrte Verkehrspolitik im Jahr 107 nach der Erfindung des Auto-Mobils und im Jahr 88 nach dem ersten Motorflug zuläßt und sogar fördert, zeigen die nachfolgenden Beispiele: Wer Flüge sät, erntet Verkehr Die Lufthansa enthüllte im vergangenen November in einer ganzseitigen Anzeige in den Frankfurter Tageszeitungen, was „Mobilität“ für den modernen Menschen offenbar bedeutet: „Szenegänger bringen wir auch nach 19. 30 Uhr noch schnell dorthin, wo was los ist“, hieß es dort. „Spätentschlossene fliegen Expreß, z. B. Frankfurt-Hamburg für 277, -“, also zum 55 Prozent verbilligten „Abend-Expreß-Tarif“.
Aber nicht nur Nachtschwärmer, die ganze Gesellschaft von acht Jahren bis achtundachtzig soll für billiges Geld in den Jet-Set überwechseln, um dem wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen durch Fluggastzuwachs aufzuhelfen: „Liebe Omis“, „Teens und Twens“, „Partygäste“, „Lieblingsenkel“, „Musicalfreunde“, „Trauzeugen“, „Treue Fans“ und „Nachtschwärmer“, sie alle sind mehr oder minder unfreiwillige Akteure im fortschreitenden Prozeß der Entwertung der Nähe und der Aufwertung -nicht, wie man erwarten könnte, der Ferne, sondern -des puren Kilometerkonsums. Der „Szenegänger“ erscheint dabei gerade als Prototyp für den modernen Menschen: Wenn dem Frankfurter Szenegänger nichts mehr einfällt, womit er die zur Not zu Fuß erreichbare Frankfurter Szene erlebenswert machen könnte, ersetzt er die eigene Kreativität durch die Flucht in die Flug-kabine. 2. Wer Straßen sät, erntet Verkehr...
So könnte der Titel des neuen Bundesverkehrswegeplans lauten, in dem die großen Bauvorhaben des Staates für Straße, Schiene und Schiffahrt bis Mitte des nächsten Jahrzehnts festgelegt werden. Daß dieser Plan mit großer Wahrscheinlichkeit als verkehrspolitisches Unglück in die Geschichte der zusammenwachsenden Bundesrepublik eingehen wird, liegt an einem kardinalen Fehler: Bei seiner Konzipierung gingen die Planer im Bundesverkehrsministerium ausdrücklich davon aus, daß die Politik „auf gezielte Maßnahmen zur Reduktion von Straßen-und Luftverkehr verzichtet“ 1.
Entsprechend hoch fielen die Prognosen über den Verkehrszuwachs aus, die -nach Art der sich selbst erfüllenden Prophezeiung -wiederum den Neu-und Ausbau des Fernstraßennetzes um zusammen rund 1100 Kilometer legitimieren. Die Zahl der deutschen PKWs soll sich von derzeit 36, 5 auf 45, 5 Mio. im Jahr 2010 erhöhen, die Verkehrsleistung dabei um rund 30 Prozent zunehmen. Für den Güterverkehr auf der Straße errechneten die Gutachter in diesem „Trend-Szenario“ sogar fast eine Verdoppelung, nämlich einen Zuwachs von 95 Prozent. Als Gründe hierfür gelten erstens die Lage Deutschlands als das Transitland in Europa, zweitens die Einrichtung des EG-Binnenmarktes, der den Warenaustausch innerhalb der Zwölfergemeinschaft kräftig fördern soll, drittens das allgemeine Wirtschaftswachstum (Erhöhung des Bruttosozialproduktes um 90 Prozent bis zum Jahr 2010).
Niemand kann behaupten, die ökologischen Folgen dieser „Angebotsplanung“ seien bei der Erstellung des Bundesverkehrswegeplans nicht bekannt gewesen. Die Gutachter des Verkehrsministeriums wiesen in ihren Szenarien deutlich darauf hin, daß die umweltpolitischen Ziele der Bundesregierung unter den vorgegebenen Bedingungen keinesfalls erreicht werden können. Kein Wunder, daß die vom Verkehrsminister beschworene „Trendwende zum Schienenverkehr“ nicht durchschlagen kann: Zu den Chancen der Schiene schrieben die Gutachter Minister Günther Krause ins Stammbuch, daß sie auf den Ost-West-Achsen zwar Zugewinne bei Fahrgästen und Gütern erzielen könne, was jedoch „überlagert wird durch die gleichzeitig erfolgenden (Bau-) Maßnahmen im Straßenverkehr“ Letztere hätten „insbesondere verkehrssteigernde Wirkungen im kürzeren Entfernungsbereich (50 bis 100 km) zur Folge“. Besonders stark wachse so der Privatverkehr, dessen Großteil -Tagesausflüge und Bekanntenbesuche -per Auto erledigt und „durch Infrastrukturmaßnahmen erfahrungsgemäß besonders stimuliert wird“. Auf gut deutsch: Wer Straßen sät, erntet Verkehr.
Wie wenig diese fundamentale Erkenntnis der Verkehrswissenschaft Allgemeingut bei den Politikern ist, belegt in diesem Zusammenhang eine Begebenheit aus dem vergangenen Herbst. Als eine Studie des Umweltbundesamtes bekannt wurde, der zufolge die Bonner Verkehrspolitik einen Bankrott der weltweit gelobten Klimaschutzpolitik der Bundesregierung mit sich bringt, schreckte dies das Bundeskanzleramt auf. Das Umweltministerium mußte unverzüglich eine Stellungnahme zur Seriosität des Gutachtens abgeben. Sie fiel positiv aus. Es ist also amtlich: Der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO 2) steigt im Verkehrsbereich ohne eine drastische Korrektur in der Verkehrspolitik bis zum Jahr 2005 um 50 Prozent (Basisjahr 1987) an. Die Selbstverpflichtung der Bundesregierung, den CO 2-Ausstoß bis zu diesem Zeitpunkt um 30 Prozent zu senken, ist damit außer Reichweite. Die anderen CO 2-produzierenden Sektoren -Industrie, Raumwärme, Kraftwerke -werden den aus dem Ruder gelaufenen (besser: gefahrenen) Verkehrsbereich nicht durch überproportionale Energiesparerfolge herausreißen können. Denn auch hier ist es schwer genug, die 30-Prozent-Senkung zu realisieren. 3. Wer Joghurt ißt, erzeugt Verkehr Erstmals hat 1992 eine Untersuchung detailreich aufgezeigt, mit welch abstrusem Transportaufwand selbst Produkte des täglichen Verbrauchs hergestellt werden, weil der „Verkehr“ -verglichen mit seinen tatsächlich anfallenden Wege-kosten sowie den sozialen und ökologischen Folgelasten -zu billig angeboten wird. Die Wissenschaftlerin Stefanie Böge vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie analysierte die „Transportkette“ eines in Stuttgart abgepackten 150-Gramm-Erdbeerjoghurts und entlarvte das „gesunde Produkt“ als Verkehrserzeuger und damit als Umweltverschmutzer erster Ordnung:
Polnische Erdbeeren werden in Aachen verarbeitet, von wo man sie ins Stuttgarter Milchwerk fährt. Papier aus Elmshorn (Schleswig-Holstein) wird in Kulmbach (Bayern) zum Ettikett, Quarz-sand aus Frechen (Nordrhein-Westfalen) in Neu-burg (Bayern) zu Glas. Die Joghurtkulturen reisen 920 km von Niebüll an, das Aluminium für den Deckel legt 864 km zwischen der Hütte in Nordrhein-Westfalen, dem Prägewerk in Bayern und der Verarbeitung in Stuttgart zurück. Die Steige, in der die Joghurt-Gläschen ausgeliefert werden, hat 402 km hinter sich, die alles zusammenhaltende Stretchfolie 406. Nur die beiden Zutaten Milch (36 km) und Zucker (107) stammen aus der Region. Unter dem Strich ergeben sich für das Joghurt-Glas 7695 km Transportwege -fast alle im „Brummi“ auf der Autobahn zurückgelegt.
Böge errechnet daraus, daß 24 Mio. Liter Diesel-kraftstoff notwendig sind, um den (west-) deutschen Bürgern ihren Fruchtjoghurtkonsum von 900000 Tonnen pro Jahr zu ermöglichen. Dabei sei der Joghurt keineswegs ein transporttechnischer Extremfall. Das Beispiel stehe vielmehr „für übliche Transportvorgänge, die bei x-beliebigen anderen Firmen auch vorzufinden sind“. Sie schlägt vor, daß Firmen ihre Produkte zukünftig „regionalspezifisch“ kennenzeichnen. Eine Art „Umweltengel“ des Transportwesens könnte Produkten verliehen werden, wenn seine Bestandteile zum Beispiel zu 80 Prozent „aus der Region“ bezogen werden. „Mit Hilfe einer solchen Kennzeichnung kann der Verbraucher entscheiden, ob er ein transportarmes oder transportintensives Produkt wählt.“
II. Gründe für eine Wende
Daß eine Wende im Verkehrswesen kommen muß, ist Allgemeingut. Jeder Bürger spürt es am eigenen Leib: Die vielen Automobile nehmen sich gegenseitig und den anderen Verkehrsteilnehmern den Platz weg, der zum Ausleben der Vorteile der jeweiligen Fortbewegungsart notwendig ist. Die Zulassungszahlen wuchsen sehr viel schneller als die Straßeninfrastruktur ausgebaut werden konnte. Die Folgen der Platzknappheit -in einer Großstadt wie Köln bleiben heute pro Fahrzeug, Pendler nicht mitgerechnet, gerade noch vier Meter Fahrbahn -werden „Verkehrschaos“ genannt. Es trifft den Automobilisten selbst; er verbringt pro Jahr 65 Stunden beim Warten vor roten Ampeln und in Verkehrsstaus und verbraucht dabei (zusammen mit den anderen Wagenlenkem) 2, 4 Mrd. Liter Kraftstoff. Besonders aber spüren die anderen Verkehrsteilnehmer die Folgen des alltäglichen Kampfes um die Fläche: die ungeschützten, deswegen besonders gefährdeten Fußgänger und Radfahrer sowie die Nutzer der Busse und (Straßen-) Bahnen, die wegen der Überlastung der Straßen nicht schnell genug vorankommen.
Schon ohne den erhobenen Zeigefinger, der auf Unfallgefahren (500000 Verkehrstote in der alten Bundesrepublik seit 1945), Waldsterben (Anteil des Verkehrs am Ausstoß des Waldkillers Nummer eins, der Stickoxide: 55 Prozent) und Klimagefahr (Anteil am CO 2-Ausstoß: 20 Prozent) weist, führt sich das Transportsystem selbst ad absurdum. Zwischen 1970 und 1990 hat der Verkehr auf den Landstraßen um 50 Prozent zugenommen, auf den Autobahnen hat er sich sogar verdoppelt. „In ein paar Jahren wird das Straßensystem einfach nicht mehr funktionieren“, stellte der SPD-Verkehrsexperte Klaus Daubertshäuser lapidar fest. Und die Bonner Tageszeitung „Die Welt“ brachte es auf die einleuchtende Formel: „Auf den Landstraßen und in den Städten ist nicht der Öko-Freak, sondern das Auto selbst der ärgste Feind des Autos.“
Die ökologische Wende läßt sich -im Jahr 1 nach dem Erdgipfel von Rio de Janeiro -auch noch anders begründen. Den reichen Industrieländern obliegt es, „Schritt für Schritt ein Modell des menschlichen Wohlstandes zu entwickeln, das unsere Natur ohne bleibende Zerstörung der Welt auch dann erträgt, wenn es für die ganze Erdbevölkerung von fünf bis zehn Milliarden oder noch mehr Menschen zugänglich werden sollte“ Daß das derzeitige Verkehrssystem keinesfalls Modellcharakter für die 80 Prozent der Weltbevölkerung haben kann, die in Entwicklungs-und Schwellenländern leben, ist evident. Würde der Motorisierungsgrad etwa der USA oder Westdeutschlands -ein Pkw auf zwei Personen -auf die gesamte Welt übertragen, hätte der Planet es nicht mehr „nur“ mit 500 Mio. Autos zu tun, sondern schon heute mit 2, 5 Mrd. Die ökologischen Konsequenzen, etwa für das Weltklima durch den dramatisch ansteigenden Kohlendioxid-Ausstoß der zwei Mrd. zusätzlichen Motoren, wären erschreckend.
Das „Eine-Welt“ -Bewußtsein läßt sich besonders bei der Betrachtung des Verkehrswesens schärfen: Die westlichen Industrieländer vereinen 80 Prozent der PKWs auf sich in Nordrhein-Westfalen gibt es genauso viele Autos wie auf dem gesamten afrikanischen Kontinent; in China und Indien leben zusammen 38 Prozent der Weltbevölkerung, aber sie teilen sich nur knapp ein halbes Prozent des Autobestandes. Solange die Industrieländer kein ökologisch verträgliches Verkehrswesen aufbauen, können sie den nach wirtschaftlicher Entwicklung strebenden südlichen Ländern das Kopieren der verheerenden Strukturen nicht verwehren. Welche unverantwortbaren Folgen das Nacheifern des Westens schon heute in den Metropolen der Dritten Welt hat, ist unübersehbar. Sie -man denke nur an Mexiko-City oder Bombay -und nicht die Großstädte des industrialisierten Nordens haben die stärkste Luftverschmutzung und die miserabelsten Lebensbedingungen. Selbst das lange abgeschottete und auf traditionellen (Fahrrad-) Spuren organisierte China scheint sich gegen „Daimlers Fluch“ nicht mehr wehren zu können.
III. Ökologische Wende-zuerst beim Geld?
Ob über die Ursachen der verkehrten Entwicklung des Verkehrs diskutiert wird oder über Maßnahmen zur Verkehrswende, immer geht es alsbald um Geld. Der Verkehr ist zu billig, deswegen gibt es eine zu hohe Verkehrsnachfrage, lautet das Argument. Der baden-württembergische Verkehrsminister Schäfer rechnete zum Beispiel jüngst vor, daß der Treibstoff, verglichen mit anderen Gütern, zu absoluten Dumpingpreisen auf den Markt geworfen wird: Der Liter Benzin müßte, wäre sein Preis seit den fünfziger Jahren genauso wie der Preis von Brot gestiegen, heute vier Mark kosten Oder Bundespräsident von Weizsäcker: Er erinnerte daran, daß der „Benzinpreis -real betrachtet -niedriger (ist) als vor der ersten Ölkrise“, und daß deswegen der technische Fortschritt im Automobilbau benutzt werde, um noch stärkere Motoren zu konstruieren, statt sparsame. Kein Wunder, daß in der Verteuerung des Transports der zentrale Hebel für die Wende in der Verkehrspolitik gesehen wird.
In der Rangfolge der umwelt-verkehrspolitischen Argumente folgt dann der Verweis auf die mangelhafte Qualität der Alternativen zum Auto-und LKW-Transport, die das Umsteigen unmöglich mache. Dies wird verbunden mit der Forderung nach der Verbesserung des öffentlichen Verkehrs, der dann -attraktiv, mit Tür-zu-Tür-Reisezeiten fast wie im motorisierten Individualverkehr -schon von den Bürgern angenommen werde. Danach ist meist das Problemfeld Raumplanung dran: Sie habe in den vergangenen Jahrzehnten eine völlig falsche, durch Trennung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Einkäufen, Ausbildung und Freizeit bewußt verkehrserzeugende Raumstruktur entstehen lassen. Erst ihr „Rückbau“ zu verkehrs-sparenden Raumbeziehungen mache die grundsätzliche Wende in der Verkehrspolitik möglich.
Wer wollte diese Argumentationslinien ernsthaft in Frage stellen? Trotzdem besteht die Gefahr, daß eine ökologische Verkehrsreform scheitert, die „nur“ auf die hier angesprochenen Problemlösungen zielt und damit -ob gewollt oder ungewollt -eine Verlagerung aus dem Verantwortungsbereich des einzelnen bewirkt. Gelänge es, die Verantwortung „zurückzuholen“, wäre schon viel gewonnen: Schließlich zeigen die -gar nicht mehr so wenigen -Beispiele von Bürgern, die als Einzelperson oder mit der ganzen Familie die ökologische Verkehrswende unter den gegebenen (nicht erst herzustellenden) Bedingungen ausprobiert haben, daß dies oftmals viel einfacher ist als erwartet. Eine Reihe von Beispielen wurde ausführlich im Buch „Leben ohne Auto“ dargestellt. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen die meisten Teilnehmer von entsprechenden Test-Wochen und -Monaten, die in den vergangenen Jahren von Rundfunksendern (zum Beispiel dem Hessischen Rundfunk) oder Printmedien (etwa die große Aktion der Illustrierten „Stern“) durchgeführt wurden. Komplette „Rückfälle“ nach den Tests hat es nur selten gegeben.
Stellvertretend sei auf den Erfahrungsbericht „Wieder ohne Auto“ hingewiesen. Christiansen, ein Datenverarbeitungskaufmann aus der Nähe Kiels, seine Frau und die beiden Kinder (fünf und acht Jahre alt) nabelten sich vom Auto ab, nachdem sie ihren Wohnort in die Nähe der Arbeitsstelle verlegt hatten. Wie in anderen „Modellfamilien“ fällt die hohe umweltschützerische Motivation auf: „Da waren die alarmierenden Nachrichten über die Luftverschmutzung, über das Chaos auf unseren Straßen. Es gelang uns immer weniger, die Auswirkungen unseres Lebensstils auf die Umwelt, wie Waldsterben, Ozonloch, Überdüngung der Gewässer mit daraus folgenden Badeverboten, Ausverkauf der Landschaft durch lärmende Verkehrswege usw. zu verdrängen.“ Ansonsten aber handelt es sich bei den „Umsteigern“ offenbar um ganz normale Leute. Christiansen beschreibt die „Ausgangssituation“ seiner Familie als eine, die sich „sicher nicht sehr von den Lebens-umständen vieler Mitbürger unterscheidet“.
Die Umorientierung auf die Benutzung des Fahrrades im Alltag und die öffentlichen Verkehrsmittel -die in der Nähe von Großstädten und in den Ballungsräumen meistens bedeutend besser sind als ihr Ruf -gelang („Wo ein Wille ist, ist auch ein Bus“) fast problemlos: „Wir gewöhnten uns an, mit dem Bus in die Stadt zu fahren, was allen, trotz der Befürchtungen, ganz prima gefiel, hatten wir doch keinen Ärger mit der Parkplatzsuche und konnten direkt am Ziel aussteigen.“ Als echter Lernprozeß für den gelernten Autofahrer stellte sich das Verreisen mit der Bahn dar: „Eine Reise mit dem Zug verlangt mehr gedankliche Auseinandersetzung als eine Autofahrt... Mit dem Verlassen der Wohnung ist man gezwungen, sich den unterschiedlichsten Gegebenheiten zu stellen, sich mit der Umgebung auseinanderzusetzen: Man muß sich seiner Umwelt öffnen, mit ihr aktiv kommunizieren... Eine Fahrkarte muß gekauft, ein Sitzplatz organisiert werden, Gespräche mit anderen Reisenden entwickeln sich.“
Aufschlußreich ist, daß aufgrund der hohen Motivation die „neue“ Art der Fortbewegung als überaus positiv und bereichernd erfahren wird: „Mit der Bahn reist man im Sinne des Wortes! So wie man früher gereist sein muß: mit Muße, mit Zeit für einen langen Blick auf die vorbeihuschende Landschaft; mit Augen und Ohren für die Mitreisenden, mit Freiraum für die Kinder, deren Lust an solchem Reisen bis heute ungebrochen ist.“ Es läßt sich leicht nachvollziehen, daß bei einem solchen Erleben der Auto-Alternativen und nach korrekter Errechnung aller Aufwendungen für den motorisierten Untersatz der Schritt zur „Trennung vom Auto“ (Christiansen) nicht mehr schwerfiel. Ein Blick in die Verkehrswegestatistik zeigt, daß auch in der heutigen, „verfahrenen“ Situation eine deutlich umweltorientiertere Verkehrsmittelwahl für fast jeden Bürger möglich ist: Die typische Fußgänger-Entfernung von zwei Kilometern wird in 40 Prozent (!) der Fälle per PKW zurückgelegt. Bei den Wegen zwischen drei und sechs Kilometern -theoretisch eine Fahrrad-Domäne, da dies Fahrzeiten noch deutlich unter einer halben Stunde ergibt -ist das Auto mit über 60 Prozent schon das meistbenutzte Verkehrsmittel. Es zeigt sich, wie groß das schon ohne die -trotzdem natürlich zwingend notwendige -verkehrspolitische Kehrtwendung erreichbare Verlagerungspotential ist: Immerhin die Hälfte aller zurückgelegten Wegstrekken ist kürzer als besagte sechs Kilometer. Kurzum: Die Verkehrswende erscheint wirklich machbar.
Ein einfacher „Gesinnungswandel“ würde in vielen Fällen gerade beim stark wachsenden Freizeit-und Urlaubsverkehr helfen, der heute schon für mehr gefahrene Auto-Personenkilometer (54 Prozent sorgt als der Berufsverkehr. Mittlerweile kommt in vier von fünf Fällen das Auto zum Einsatz, wenn es zur Disco, in die Oper, zum Sportplatz, an den Baggersee, die Adria oder einfach ins Blaue geht. Wenn sich nur die Erkenntnis durchsetzen würde, daß viele der Auto-Fluchten aus dem grauen Alltag nur mäßig erfolgreich sind und die aufgewandte Energie nutzbringender bei der Veränderung dieses Alltags eingesetzt würde... Das Problem des verkehrten Verkehrs ist -viel stärker als allgemein anerkannt -ein Problem des richtigen oder falschen Bewußtseins. Tiefsitzende Verdrängungsmechanismen blenden bei den meisten Bürgern die doch eigentlich unübersehbaren negativen Folgen der Übermotorisierung aus und lassen heute schon bestehende Verkehrsalternativen gar nicht erkennen. Da das Automobil außerdem viel mehr darstellt als nur ein Fortbewegungsmittel, da es Sinn-Geber, Beschäftigungstherapeut, Triebabfuhrgerät, Statussymbol und Sicherheitsvermittler ist, muß die „ökologische Wende“ auch hierauf Antworten finden.
IV. Der Umweltverbund
Das Automobil ist eine geniale Erfindung. Es ermöglicht als moderner Sieben-Meilen-Stiefel eine märchenhafte Erweiterung des Aktionsradius des Menschen; es macht unabhängig von starren Fahrplänen, schützt vor Wetterunbill und anderen Fährnissen -kurz, es ermöglicht den vielen Zeitgenossen, die eben das wünschen, die Welt zu erfahren, ohne sie zu erleben. Aber das Auto ist gleichzeitig extrem uneffizient. So, wie es heute genutzt wird, handelt es sich eher um ein Steh-Zeug als um ein Fahr-Zeug: Sein Besitzer muß es zu 100 Prozent bezahlen, doch er nutzt es nur in drei bis fünf Prozent der Zeit. In jedem normalen Wirtschafts-Unternehmen würde eine Maschine mit solch hohen Anschaffungskosten und solch geringer Nutzungsdauer möglichst schnell aus dem Verkehr gezogen. Die Folge davon, daß das Automobil eben nicht rationell eingesetzt wird, ist in unseren Städten zu besichtigen: Blech, soweit das Auge reicht; üppiger, aber doch immer gerade nicht ausreichender Fahr-und Parkraum. Auch beim einzelnen Transportvorgang ist die Ökonomie gering: Um durchschnittlich 1, 3 Personen zu befördern, müssen ein bis zwei Tonnen Stahl, Blech und Plastik in Bewegung gesetzt werden -mit entsprechendem Energieverbrauch und Schadstoffausstoß.
Eine durchgreifende ökologische Wende im Verkehr ist nur dann vorstellbar, wenn zumindest in den dichter besiedelten Gebieten der Bundesrepublik -55 Prozent der Bundesbürger leben in Großstädten oder . Ballungsgebieten, Tendenz steigend -die notwendigen Wege der Menschen auch ohne den Zwang zur Nutzung eines eigenen Autos möglich sind und die Gesamtreisezeiten (von Haus zu Haus) in einem erträglichen Rahmen bleiben. Die dann mögliche spürbare Steigerung des Anteils der umweltfreundlichen Verkehrsarten (Zufußgehen und Fahrradfahren) oder umwelt-freundlicheren Verkehrsmittel (Busse und Bahnen) bringt diesen Umweltverbund aus seiner derzeitigen Lückenbüßer-und Nischenfunktion heraus, in die er in den Autoboomjahrzehnten gedrängt wurde. Der Bonner Verkehrsplaner Heiner Monheim schreibt: „Die Potentiale für eine Abnahme des Autoverkehrs sind viel größer als gemeinhin angenommen. In Holland glauben 60 Prozent aller Autofahrer, eigentlich auf das Auto verzichten zu können, in der Schweiz sind es 50 Prozent. 50 Prozent Reduzierung des Autoverkehrs wäre auch in etwa die Menge, die nötig wäre, um neuzeitliche Umwelt-und Gesundheitsstandards in den Städten einhalten zu können. Es ist außerdem genau die Menge, die von der Verkehrsforschung als der sogenannte nicht notwendige Autoverkehr bezeichnet wird, der ohne ein-schneidende Veränderungen im Standort-und Mobilitätsverhalten allein aufgrund einer anderen Verkehrsmittelwahl einsparbar wäre.“
Monheim hat für den Verkehrsverbund die Schlagworte „Go & Ride“, „Bike & Ride“ und „Ride & Ride“ geprägt. Er weist darauf hin, daß die bei Politikern und Verkehrsfachleuten am besten bekannte Variante der Kombination von Verkehrsmitteln, das „Park & Ride“, als angeblich „ideale Arbeitsteilung zwischen Auto und Öffentlichem Personennahverkehr“ nicht nur sehr kostenträchtig ist, sondern auch trotz großzügiger öffentlicher Förderung nur einen geringen Anteil am Verkehrsaufkommen der Busse und Bahnen erschließen konnte -nämlich nur fünf Prozent (einschließlich Taxi und „Kiss & Ride“). In der Verkehrsforschung gilt als erwiesen, daß Park-und-Ride-Systeme sogar kontraproduktiv für den öffentlichen Verkehr sein können, weil sie einen großen Teil der bisherigen Nutzer von Buszubringersystemen auf das eigene Auto umlenken, das durch den garantierten „Park-& -Ride“ -Platz nur wieder attraktiver wurde
Der Umweltverbund bedeutet daher eine bewußte Abkehr vom „Park-& -Ride“ -Konzept, das in jüngster Zeit ausgerechnet von den Autokonzernen in gemeinsam mit Großstädten betriebenen integrierten Verkehrslösungen als „Rettungsanker“ und „Überlaufventil“ für ihr Produkt propagiert wird -BMW in München, Daimler-Benz in Stuttgart, VW in Hannover. Monheim schreibt: „Go & Ride, Bike & Ride sowie Ride & Ride sollen innerhalb der Verkehrsmittel des Umweltverbundes -so nennt man das optimale Zusammenwirken von Fußgänger-, Fahrrad-und öffentlichem Verkehr -eine gute Arbeitsteilung sichern, mit vielen Schnittstellen, um den Autoverkehr wirksam zu verringern. Denn keine der Verkehrsarten des Umweltverbundes schafft diese Aufgabe allein.“ Der Bonner Verkehrsplaner zieht so die Lehren aus den Erfahrungen der „Pionierstädte“ der ökologischen Verkehrswende, die trotz ihres großen Engagements zu sektoral vorgegangen sind: So biete Münster als Fahrradstadt im öffentlichen Verkehr zu wenig; Zürich als Stadt des öffentlichen Nahverkehrs zeige große Mängel im Fahrrad-und Fußgängerbereich; Göttingen wiederum, das Fußgänger und Fahrradfahrer besonders fördert, vernachlässige die Busse und Bahnen.
GO & RIDE bedeutet nach Monheims Konzept eine optimale Integration des Fußgänger-und des öffentlichen Verkehrs. Die wichtigste Veränderung gegenüber der heutigen Praxis ist eine Verdichtung des Linien-und Haltestellennetzes, also die Umkehrung des Trends, der den öffentlichen Nahverkehr in den westdeutschen Großstädten in den vergangenen Jahrzehnten beherrschte; hier favorisierte man teure U-und Schnellbahnlinien mit großen Haltestellenabständen und dünnte das sonstige Verkehrsnetz aus. Die viel höhere Attraktion der Busse und Bahnen in vielen Schweizer Städten rührt gerade von dem dort vier-bis sechsmal dichteren Haltestellen-und Liniennetz her. Attraktive und flexible Ergänzungen zu einem solchen System sind das Anruf-Sammeltaxi und der Rufbus. Weitere Stichworte zur Attraktivitätssteigerung sind: Erleichterung des Ein-, Aus-und Umsteigens durch moderne Busse und Bahnen in Niederflurtechnik (niedrigliegender Fahrgastraum, daher geringer Höhenunterschied zur Straße) sowie bessere „Aufenthaltsqualität“ durch attraktive Gestaltung der Haltestellen.
BIKE & RIDE kombiniert Busse und Bahnen mit dem Fahrrad als Zubringer, „die nicht länger als potentielle Konkurrenten, sondern als natürliche Verbündete geplant werden“. Monheim fordert als Voraussetzung bequeme und sichere Fahrradabstellanlagen sowie gute Radverkehrsverbindungen zu Bahnhöfen und Haltestellen; größere Bahnhöfe brauchen darüber hinaus Fahrradstationen mit Bewachung, Fahrradverleih und Reparaturservice. Als Vorbilder in diesem Bereich gelten Japan und die Niederlande. In Japan wurden seit 1980 fast zwei Mio. Abstellplätze in 8000 neuen Bike-& -Ride-Anlagen geschaffen. Gemeinsam vom „Umweltverbund“ genutzte, gegenüber dem Normal-maß breiter angelegte Bus-und Fahrradspuren auf den Straßen oder eigene „Umwelt-Straßen“ bringen nach den bisherigen Erfahrungen in Berlin, Erlangen und Münster Zeitvorteile und mehr Sicherheit, außerdem symbolisieren sie das Zusammengehören der PKW-Alternativen.
RIDE & RIDE bedeutet, daß die einzelnen Teilsysteme des öffentlichen Verkehrs optimal aufeinander abgestimmt und verknüpft sind. Monheim fordert in Analogie zum Straßenverkehr, bei dem die Verknüpfung von der Gemeindestraße bis zur Autobahn selbstverständlich ist, eine Integration der Netze, Takte und Tarife vom „Flaggschiff ICE bis zur letzten Buslinie im ländlichen Raum“. Das heißt: Busse und Bahnen fahren in kurzen Takten, es werden „Zeitknoten“ gebildet, an denen sich verschiedene Linien an Bahnhöfen oder Knotenpunkthaltestellen treffen, die Anschlüsse werden gesichert, Wartezeiten kurz gehalten. Die Tarife sind durch Zusammenarbeit der Verkehrsträger integriert, ein Fahrschein gilt in allen Verkehrsmitteln, möglichst auch in Anschlußtaxen. Die Netze müssen nach Monheims Konzept „maximale Flächendeckung bieten, so daß es keine , Löcherim System gibt.“ Denn: „Im Prinzip muß man darauf vertrauen können, daß jeder Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist.“
V.
Warum eigentlich nicht? Nicht mal in Freiburg?
Das hier vorgestellte Konzept des „Umweltverbundes“ hat den Vorteil der Reinheit und Klarheit. Sein Nachteil ist, daß es noch nirgends in seiner Gesamtheit ausprobiert wurde und deshalb seine Leistungsfähigkeit gegenüber der Lenkrad-konkurrenz nicht beweisen konnte. Einzelne Städte und Verkehrsbetriebe führen in den genannten Teilbereichen Lösungen als praktikabel vor, nirgends jedoch sind die zu vermutenden „synergistischen“ Effekte Realität.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, aber es fällt natürlich auf, daß ausgerechnet diejenigen europäischen Länder noch am ehesten dem Idealbild des „Umweltverbundes“ nahekommen, in denen es keine große Automobilindustrie gibt: die Schweiz, die Niederlande und Dänemark. Besonders das Schweizer Modell des öffentlichen Verkehrs mit dem nationalen Konzept „Bahn 2000“ (Integration aller maßgeblichen Verkehrsbetriebe von der Bundesbahn über Privatbahnen und Bus-gesellschaften bis zu den Schiffahrtsgesellschaften, Kapazitätsausbau statt Streckenstillegungen, Konzentration auf die Region und Bedienung in der Fläche statt auf einzelne Hochgeschwindigkeitstrassen, attraktive Preisgestaltung) und dem vorbildlichen und öffentlichen Nahverkehr in den Städten hat es den bundesdeutschen Advokaten der Verkehrswende angetan.
Zu wenig beachtet wird hierbei zumeist, daß trotz der hohen gesellschaftlichen Wertigkeit der Busse und Bahnen -in Zürich gilt es, welch Gegensatz zur anderen Geldstadt Frankfurt, selbst in Banker-kreisen als „chic“, mit der Tram zu fahren -ein gleich hohes Maß an Konfliktbereitschaft notwendig war, um dem öffentlichen Verkehr Vorrang zu geben. Die weit überdurchschnittlichen Verkehrs-anteile in Zürich waren alleine durch ein gutes, dichtes Angebot nicht zu erzielen. Auf der anderen Seite mußte der motorisierte Individualverkehr spürbar eingeschränkt werden: Man mußte ihm Platz wegnehmen -in Form von Parkplätzen und Fahrspuren.
In welche Konflikte deutsche Verkehrspolitiker sich begeben, wenn sie sich dem „Umweltverbund“ nähern wollen, zeigt das aktuelle Beispiel der „Öko-Hauptstadt“ (Titel verliehen von der Deutschen Umwelthilfe) Freiburg. Hier, wo man die Chancen für die Verkehrswende noch am ehesten als gegeben ansehen würde, weil in der Breisgaustadt das erste Umwelt-Abo der Republik eingeführt wurde, der öffentliche Nahverkehr auf einem Netz von 2500 Kilometern konkurrenzlos preiswert ist, der Radwegebau floriert, Tempo-30-Regelungen in allen Wohngebieten gelten, Parkplätze bewußt knapp gehalten werden -ausgerechnet hier brach jüngst die verkehrspolitische Grundsatzdebatte neu auf. Der Grund: Bei den Plänen der Stadtverwaltung für eine weitgehende (Auto-) Verkehrsberuhigung der gesamten Innenstadt -eigentlich die logische Folge der vorherigen Maßnahmen -geht es nun wirklich ans Eingemachte.
Tatsächlich relativieren sich die unbestreitbaren Erfolge der Öko-Hauptstadt in der Verkehrspolitik, wenn man genau hinschaut: Zwar sank der Autoanteil an den Verkehrsbewegungen von 60 Prozent (1976) auf heute 47 Prozent, während der Fahrrad-Anteil von 18 auf 27 und der Straßenbahn-Bus-Anteil von 22 auf 26 anstieg, doch führte das nicht zu einer entsprechenden Umweltentlastung. Die steigenden PKW-Zulassungszahlen machten den Umsteigeeffekt zunichte; erst 1991 kam es zu einer Stagnation der Autozahlen auf hohem Niveau. Daß nun der politische Streit über die bisher auch von konservativer Seite mitgetragene Verkehrspolitik neu aufbricht, erklärt der Journalist Karl-Otto Sattler, der die Freiburger Szene lange beobachtet hat, so: „All die bislang so viel gelobten Schritte hin zur umweltfreundlicheren Verkehrspolitik taten dem Autoverkehr an der Dreisam nicht wirklich weh. Jetzt soll es erstmals schmerzhafte Eingriffe geben, und da ist das Aufheulen groß.“ Viele Einzelhändler fürchten Umsatzverluste wegen fembleibender Kunden, sie sprechen von der „Wirtschaftsfeindlichkeit" der kommunalen Verkehrspolitik, sogar eine Gefährdung des wirtschaftlichen Oberzentrums von Süd-baden wird beschworen. Manch ein CDU-Stadtrat quittiert die Verkehrspläne kurz mit dem Kommentar: „Irrsinn“. * Der erwähnte Journalist sieht freilich einen Silber-streif am Freiburger Horizont. Er beschreibt, wie lernfähig man an der Dreisam ist: „Vor 20 Jahren lief der Freiburger Einzelhandel aus Furcht vor wirtschaftlichem Niedergang Sturm gegen die Einrichtung einer Fußgängerzone im historischen Altstadtkern. Die Kritiker verstummten jedoch rasch: Die Geschäfte liefen bald besser als zuvor -unbehelligt von lärmenden und stinkenden Blechkisten konnten die Passanten das Jahren lief der Freiburger Einzelhandel aus Furcht vor wirtschaftlichem Niedergang Sturm gegen die Einrichtung einer Fußgängerzone im historischen Altstadtkern. Die Kritiker verstummten jedoch rasch: Die Geschäfte liefen bald besser als zuvor -unbehelligt von lärmenden und stinkenden Blechkisten konnten die Passanten das Stadterlebnis besser genießen, und damit wurden die Kunden offenbar auch einkaufsfreudiger.“
VI. Aber ohne Geld...
... geht die Chose natürlich wirklich nicht. Der Auf-und Ausbau eines ökologisch verträglichen Verkehrssystems kostet Geld; Monheim rechnet mit einem Volumen von 30 Mrd. DM, die jährlich über einen Zeitraum von zehn Jahren aufgebracht werden müßten 17. Solche Summen, insgesamt 300Mrd. DM, klingen beeindruckend, doch gelten sie bei anderen Verkehrsinvestitionen keineswegs als vermessen: Die Kosten alleine des jetzt diskutierten Bundesverkehrswegeplans werden, summiert über die nächsten 20 Jahre, auf 500 Mrd. DM geschätzt. Die Erhaltungsinvestitionen für das Straßen-und Schienennetz belaufen sich nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im gleichen Zeitraum auf 508 Mrd. DM. 18 Auch die kaum noch aufschiebbare finanzielle Sanierung der Bundesbahn, deren Verschuldung durch jahrzehntelange Untätigkeit aller bisherigen Bundesregierungen horrende Ausmaße angenommen hat, schlägt mit einigen zig, womöglich aber gar 200 Mrd. DM zu Buche.
Was diese Summen erkennen lassen, ist freilich, daß beide Strategien -sowohl der forcierte Ausbau des Straßennetzes als auch der Aufbau eines flächendeckenden umweltverträglichen Verkehrs-systems -nicht gleichzeitig möglich sind. Schon die Finanzierung des Bonner Verkehrswegeplanes und die der Erhaltungsinvestitionen, ist, darauf hat der Kasseler Verkehrswissenschaftler Professor Holz-apfel jüngst hingewiesen 19, zum großen Teil nicht gedeckt. Es steht also in der Politik wirklich eine epochemachende Entscheidung an -für oder endgültig gegen die ökologische Verkehrswende.
Ein Teil der Mittel für den Umbau des Verkehrs ist mit durchgreifenden Umschichtungen in den Verkehrsetats vom Bund bis zur Kommune frei zu machen. Es wäre aber blauäugig, ohne zusätzliche Gelder auskommen zu wollen. Die Maxime „Verkehr finanziert Verkehr“ gibt dabei die praktikable Richtung an. Eine stärkere Belastung des motorisierten Individualverkehrs ist auch bei konservativen Politikern längst kein Tabu mehr, da die immens negativen Folgekosten des Autosystems zumindest wahrgenommen werden. Umweltminister Klaus Töpfer hält eine Erhöhung des Benzin-preises um eine Mark in zehn Jahren für realistisch 20, Verkehrsminister Günther Krause sieht es als zentrale Aufgabe der europäischen Verkehrspolitik an, endlich die „Kostenwahrheit im Verkehr“ herzustellen.
Zwei Entwicklungen unterstützen den Trend: Erstens ist eine „Internalisierung“ der nicht gedeckten Folgekosten des gesamten Energieverbrauchs in den Industriegesellschaften zwingend, soll nicht auf Dauer der gesamte marktwirtschaftliche Wirtschaftsprozeß durch falsche Preissignale fehlgesteuert werden. Was das Basler Prognos-Institut in einer grundlegenden Studie für das Bonner Wirtschaftsministerium über die „externen Kosten“ des Energieverbrauchs formulierte, gilt besonders für den expandierenden Verkehrssektor: „Die notorische Ausblendung von Umweltschäden stellt unmittelbar einen zentralen Lenkungsmechanismus der Volkswirtschaft... in Frage. Da die sich im Marktgeschehen bildenden Energiepreise die wahren Kosten der Energieerzeugung und -nutzung verfälscht abbilden, kann es zu massiven volkswirtschaftlichen Fehlallokationen kommen. Dies trifft den Kern des Effizienzanspruchs einer Marktwirtschaft.“
Zweitens entspräche die „Preiswahrheit“ im Verkehr dem Ziel einer ökologischen Steuerreform, die in der öffentlichen Diskussion über die Umorientierung der Volkswirtschaften in Richtung auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise immer mehr Anhänger, so auch die Spitze des Bundeswirtschaftsministeriums findet. Das von Emst-Ulrich von Weizsäcker und vom Umwelt-Prognose-Institut (Heidelberg) seit 1987/88 ins Gespräch gebrachte Konzept sieht vor, die Besteuerung der heute verschwendeten, da zu billigen Energie zur Basis des Staatseinkommens zu machen und dafür im Gegenzug die Besteuerung der menschlichen Arbeitskraft zu senken. Ausdrückliches Ziel hierbei ist es, die heute viel zu geringe „Energieproduktivität“ zu steigern und so die dadurch ausgelösten Umweltschäden zu minimieren
Eine Größenordnung für die Verteuerung der Energie im Verkehrsbereich liefern verschiedene Untersuchungen der einschlägigen externen Kosten: Eher am unteren Rand liegt die Untersuchung der Essener „Planco Consulting“ die 1991 einen Umweltaufschlag von mindestens 80 Pfennigen pro Liter Benzin/Diesel errechnete. Andere Expertisen kommen zu wesentlich höheren Werten, so daß auch ein Literpreis von 5 DM, wie er in der politischen Diskussion des öfteren genannt wurde, zu rechtfertigen wäre. Die Unterschiede erklären sich in der Regel durch kaum auf einen Nenner zu bringende Ansätze für die nur schwer monetarisierbaren Schadwirkungen. In der Tat: Mit wieviel Geld sollen Gesundheitsschäden, Naturzerstörung, die Gefährdung der ökologischen Stabilität umgerechnet werden? Ökonomisch und sozial am verträglichsten erscheint das Konzept, demzufolge die Energie-/Benzinpreise nur in kleinen Schritten (zum Beispiel nach dem Weizsäcker-Modell jeweils um fünf Prozent), aber dafür Jahr für Jahr, angehoben werden. Die Schockwirkung, die eine plötzliche Erhöhung der Energiekosten um eine DM oder mehr mit sich brächte, würde vermieden. Trotzdem entfaltete das System eine große Dynamik: In 14 Jahren hätten sich die Preise verdoppelt, in 42 vervierfacht.
Eine Energiepreisreform erweist sich also im Verkehrsbereich als komplementär zur Wende im Bewußtsein: Die Umstellung auf das ökologisch verträgliche Verkehrssystem würde sich immer stärker in der Wirtschaft und im Privatsektor auch in Mark und Pfennig lohnen. Es entstünden in der Industrie Anreize, all die technischen Lösungen zur Verminderung der Umweltbelastung in allen Fahrzeugen Zug um Zug einzusetzen, die heute mangels Rentabilität unterbleiben. Vor allem aber könnte sich das -folgt man den einschlägigen Umfragen -„latent“ bei praktisch allen Bürgern vorhandene Umwelt-und Verkehrsbewußtsein unter diesen Bedingungen richtig entfalten.