I. Die Maßnahmen der SED für den Ernstfall
Die geplante Errichtung von Gefangenenlagern zur Ausschaltung von Andersdenkenden in der DDR gehört zu den Themen, die nach dem Zusammenbruch der SED-Herrschaft in der DDR die Öffentlichkeit in besonderer Weise erschüttert haben. Hatte die SED tatsächlich vor, Menschen, die als kritisch oder unzuverlässig eingestuft wurden, in Spannungsperioden zu Tausenden in Lagern zu konzentrieren -und dort womöglich sogar umzubringen? Hinweise auf solche Planungen wurden zum erstenmal in den Wochen des Umbruchs in der DDR bekannt; in verschiedenen Orten -so in Worbis und in Grimmen -stieß man in der Folgezeit auf Übersichten mit den Namen von Personen, die für eine Masseninhaftierung vorgesehen waren Insbesondere die Bürgerkomitees zur Auflösung der Staatssicherheit versuchten, die geheimen Planungen aufzudecken, und ein Teil des von ihnen gefundenen Materials ging in die ersten Publikationen über das Ministerium für Staats-sicherheit (MfS) ein
Gleichwohl sind die Planungen zum Aufbau von Isolierungslagern für Oppositionelle bislang nur in Umrissen bekannt, und vor allem -ist niemand von den dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden. Die Ermittlungen, die noch vom Militäroberstaatsanwalt der DDR eingeleitet worden waren, verliefen im Sande, nach der deutschen Vereinigung lehnte der für die Lagerplanungen im ehemaligen Bezirk Erfurt zuständige Oberstaatsanwalt die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab Lediglich im Freistaat Sachsen bemüht sich ein vom Landtag eingesetzter Untersuchungsausschuß für Amts-und Machtmißbrauch um eine Klärung ähnliches strebt ein Ausschuß im Kreis Nordhausen an. Darüber hinaus hat sich eine Reihe von Antragstellern an den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes gewandt und um die Bereitstellung von diesbezüglichem Aktenmaterial aus den Archiven des MfS gebeten. In der Forschungsabteilung des Bundesbeauftragten ist deshalb ein Projekt in Gang gesetzt worden, das die Planungen im Detail rekonstruieren soll.
Die Schwierigkeiten bei der historischen Wahrheitsfindung sind vielfältig: Die mit den Planungen Befaßten verweigern bislang die Auskunft, stellen sich unwissend oder machen irreführende Aussagen; in auffälliger Übereinstimmung erklären sie, daß sie von Lagern für Andersdenkende nichts gewußt hätten. Die geplanten Internierungen seien nichts anderes gewesen als eine in jedem Staat übliche Maßnahme zum Schutz von ausländischen Zivilpersonen in Kriegszeiten, zu der die DDR aufgrund des IV. Genfer Abkommens verpflichtet gewesen sei Ein zweites Handicap ist, daß die Vor-bereitungen auf den Ernstfall in besonders starkem Maße der Geheimhaltung unterlagen -lediglich wenige Mitarbeiter (der Leiter der Diensteinheit, sein Stellvertreter und ein weiterer Mitarbeiter) waren darüber informiert, schriftliche Unterlagen durften nur in den persönlichen Aktenbeständen des Leiters aufbewahrt werden. Die Dokumente zur Mobilmachung sollten auf Anweisung Erich Mielkes „in keinem Fall in die Hände des Feindes fallen“ und tatsächlich konnte bislang nur ein kleiner Teil der Planungsunterlagen gefunden werden -in erster Linie in den ehemaligen Bezirksarchiven des MfS von Neubrandenburg, Frankfurt/Oder, Gera, Halle und Erfurt, die bereits Anfang Dezember 1989 besetzt worden waren. Die Unterlagen aus der „Arbeitsgruppe des Ministers“ (AGM), die die Hauptverantwortung für die Planungen trug, sind, bis auf einige in der Dokumentenstelle des MfS verwahrte Grundsatzbestimmungen, demgegenüber wahrscheinlich zum großen Teil vernichtet worden, ebenso die meisten namentlichen Übersichten der zu Isolierenden, beispielsweise aus dem Bezirk Halle. Auch im ehemaligen Parteiarchiv der SED ist nach Angaben der Mitarbeiter über die geheimen Lagerplanungen kein Material mehr vorhanden
Zusätzlich wird die Quellenlage erschwert durch den ungeordneten Zustand der ehemaligen MfS-Archive, die bislang erst zu etwa fünfzig Prozent erschlossen werden konnten, wobei wegen des großen Handlungsbedarfes im Bereich der Überprüfungen und der Betroffenenakteneinsicht die personenbezogenen Unterlagen Priorität hatten.
Gleichwohl soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, auf der Basis der bisher gefundenen Dokumente die Planungen von SED und MfS für den Ernstfall zu rekonstruieren, ohne freilich den Anspruch auf Vollständigkeit und Beantwortung aller damit in Zusammenhang stehender Fragen zu erheben.
II. Die Vorbereitungen auf den Spannungs-und Verteidigungszustand
Die bei der Auflösung des DDR-Staatssicherheitsdienstes aufgefundenen Planungen zur massenweisen Festnahme von Andersdenkenden und ihrer Isolierung in eigens einzurichtenden Lagern waren Teil der sogenannten Mobilmachungsarbeit im MfS, die in der von Erich Mielke im Juli 1967 erlassenen Direktive Nr. 1/67 grundsätzlich geregelt wurde. Unter Hinweis auf die „illusionäre Absicht“ der Bonner Generalität, -„die Deutsche Demokratische Republik ... unter Ausnutzung bzw. durch die Entwicklung von Bürgerkriegssituationen ... zum Zusammenbruch bringen zu können“, wurden in der Direktive die speziellen Aufgaben des MfS „in Vorbereitung auf Spannungsperioden und den Verteidigungszustand“ festgelegt Ohne den Begriff „Spannungsperiode“ näher zu definieren, enthält die Direktive nebst ihren beiden Anlagen eine detaillierte Beschreibung der Verantwortlichkeiten und der zu ergreifenden Maßnahmen im Falle einer Mobilmachung.
Angeordnet werden konnte die Mobilmachung durch den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR (seit Juni 1971: Erich Honekker), und auf dieser Grundlage für das MfS durch den Minister für Staatssicherheit. Die Mobilmachungsperiode selbst war gegliedert nach Etappen und Zeitnormen, die den Umfang und den Verlauf der einzelnen Maßnahmen genau bestimmten. In jeweils gesonderten Dokumenten waren die vorgesehenen Maßnahmen zu beschreiben sowie in einem Einsatzplan in chronologischer Reihenfolge zusammenzufassen; beides mußte ständig präzisiert werden und hatte „stets dem aktuellsten Stand zu entsprechen“ Verantwortlich für die Vorbereitung und Durchführung der Mobilmachungsaufgaben war für den Gesamtbereich des MfS der Leiter der Arbeitsgruppe des Ministers (zuletzt Generalmajor Erich Rümmler); diese Diensteinheit unterhielt u. a. auch speziell ausgebildete Kampfkräfte für „spezifische tschekistische Maßnahmen in ... bestimmten Bereichen des Operationsgebietes“, d. h. Sonderkommandos für bewaffnete Einsätze während der Mobilmachungs-periode vor allem in der Bundesrepublik Für alle nachgeordneten Diensteinheiten lag die Zuständigkeit bei deren jeweiligen Leitern. Darüber hinaus wurde angeordnet, daß die Hauptverwaltungen, Abteilungen, Hauptabteilungen und Bezirks-verwaltungen spezielle Arbeitsgruppen mit jeweils ein bis vier Mitarbeitern bilden und die Kreis-dienststellen einen ständigen Beauftragten für die Mobilmachungsaufgaben benennen sollten.
Charakteristisch für die Mobilmachungsplanung des MfS war die vollständige Verzahnung von militärischen Aufgaben und politischen Unterdrükkungsmaßnahmen, die das Ausmaß der vorgesehenen Repressalien nicht sofort erkennbar werden läßt; auch begrifflich sind die Planungen an entscheidenden Stellen vage formuliert und erwecken den Eindruck, es handele sich lediglich um Schutzmaßnahmen gegen äußere Angriffe. Tatsächlich bezeichnete der Begriff „Verteidigungszustand“ nicht unbedingt einen Abwehrkrieg, sondern ganz generell den Zustand eines militärischen Konfliktes, der den inzwischen aufgefundenen Operationsplänen der Nationalen Volksarmee (NVA) zufolge in erster Linie als eine Eroberung Westeuropas durch die Truppen des Warschauer Pakts angenommen und in Manövern entsprechend geübt wurde In diesem Zusammenhang steht offensichtlich auch ein in der ehemaligen MfS-Bezirksverwaltung von Berlin gefundenes Papier, das detaillierte Aufgabenbeschreibungen für den Fall der militärischen Besetzung West-Berlins enthält, darunter die „Festnahme, Isolierung bzw. Internierung der feindlichen Kräfte auf der Grundlage der vorhandenen Dokumente“, wobei „Geheimdienstmitarbeiter, Leitungskräfte der bekannten Feind-organisationen, leitende Polizeitkräfte, Spitzenpolitiker“ etc. als „Schwerpunkte“ genannt werden Noch mehr auf die politische Unterdrückungsfunktion der Mobilmachungsplanung verweist der Begriff „Spannungsperiode“, wobei auch die Maßnahmen gegen die eigene Bevölkerung solcherart begrifflich verzerrt werden. Hauptaufgabe des MfS in Spannungsperioden bzw. im Verteidigungszustand waren nämlich der Direktive zufolge „die Bekämpfung feindlicher Spionage-und Diversionszentralen“, „die Bekämpfung subversiver Handlungen des Gegners mit spezifischen Mitteln“ sowie „die Verhinderung und Aufklärung von Staatsverbrechen und anderer Verbrechen, die auf die Lähmung der Verteidigungsfähigkeit ... gerichtet sind“; Ziel der Maßnahmen war dabei „die schlagartige Verhinderung der Entfaltung feindlicher Kräfte“ Im Selbstverständnis von SED und MfS bedeutete diese Aufgabendefinition vor allem die Bekämpfung von inneren Kritikpotentialen, da diese per definitionem als „von feindlichen Zentren, Organisationen und Kräften organisierte Suche, Sammlung und Zusammenführung von feindlich-negativen Kräften“ betrachtet wurden Die Einbettung der innenpolitischen Repressalien in den Rahmen der Mobilmachungsarbeit erleichterte darüber hinaus auch ganz praktisch die Geheimhaltung der Planungen vor der Bevölkerung; so sollte beispielsweise ausdrücklich geprüft werden, inwieweit die notwendige „Unterbringungsversorgung“ der für kritische DDR-Bürger vorbereiteten IsolierungsXager „unter Wahrung der Konspiration“ im Rahmen der Bewirtschaftung der auf der Grundlage des IV. Genfer Abkommens vorbereiteten und für Ausländer vorgesehenen Internierungslager planbar mit gestaltet werden könnte
Die geplante Festnahme und Isolierung von Andersdenkenden gehörte zu den sogenannten „spezifisch operativen Mobilmachungsmaßnahmen“ des MfS, die in einem der Direktive 1/67 als Anlage beigefügten Kennziffernsystem, nach dem die gesamte Mobilmachungsplanung zu erfolgen hatte, detailliert aufgelistet werden. An erster Stelle werden dort, unter der Überschrift „Vorbeugungsmaßnahmen“, die Punkte „Verhaftung“ (Kennziffer 4. 1. 1.), „Internierung“ (Kennziffer 4. 1. 2.), „Isolierung“ (Kennziffer 4. 1. 3.) und „Überwachung“ (Kennziffer 4. 1. 4.) genannt; im hinteren Teil der Anlage wird darüber hinaus die Erstellung von „politisch-operative(n) Übersichten über Konzentrationen und Stützpunkte“ zu folgenden Bereichen verlangt: „Feindliche Kräfte und Gruppen in der Bevölkerung“ (Kennziffer 4. 13. 1.), „negative Kräfte und Gruppen in der Bevölkerung“ (Kennziffer 4. 13. 2.) sowie „vorhandene Vereine, Organisationen und deren Mitglieder“ (Kennziffer 4. 13. 3.)
Näher bestimmt werden die sogenannten Vorbeugungsmaßnahmen in einer von der Arbeitsgruppe des Ministers erlassenen Durchführungsbestimmung zur Direktive 1/67. Ziel der Maßnahmen war es danach, „im Verteidigungszustand und in Spannungsperioden und in kürzester Frist -Personen und Personengruppen festzunehmen, die unter dem begründeten Verdacht stehen, staatsfeindliche Handlungen zu begehen, zu dulden oder davon Kenntnis zu haben -Personen und Personengruppen zu isolieren bzw. unter Kontrolle zu halten, die unter dem begründeten Verdacht stehen, durch ihre Handlungsweise gegen die Interessen der Sicherheit der Deutschen Demokratischen Republik und ihre Verteidigungsbereitschaft zu verstoßen“
17.
Anschließend werden die verschiedenen Maßnahmen im einzelnen beschrieben, wobei zu jeder Kennziffer gesonderte Vorschriften ergehen.
Festzunehmen waren demzufolge neben den bereits unter dem ersten Spiegelstrich genannten Personen „Spione, Agenten, Diversanten, Saboteure u. a. Staatsverbrecher“ sowie „Personen, die als mögliche Führungskräfte feindlicher oder negativer Gruppen in Erscheinung treten können“. Zu internieren waren dagegen „Staatsangehörige der Kriegsgegner, in erster Linie Bürger von NATO-Staaten“, die sich bei Auslösung des Verteidigungszustandes auf dem Gebiet der DDR befinden, wobei das MfS nur für „operativ bearbeitete“ Personen zuständig war, während bei dem übrigen Personenkreis die Deutsche Volkspolizei die Internierung vorzunehmen hatte. In speziellen Lagern zu isolieren waren schließlich „Personen und Personengruppen, deren politische Zuverlässigkeit im Verteidigungszustand nicht gewährleistet ist und bei denen der begründete Verdacht besteht, daß sie auf Grund ihres Gesamtverhaltens und ihrer Möglichkeiten negativen politischen und ideologischen Einfluß auf bestimmte Bevölkerungskreise ausüben“. Eine vierte Gruppe -Personen in wichtigen Schlüsselpositionen, „deren politische Zuverlässigkeit im Verteidigungszustand aufgrund ihres Gesamtverhaltens anzuzweifeln ist“ -war den Bestimmungen zufolge vom MfS politisch-operativ zu überwachen Eine fünfte, in den frühen Dokumenten noch nicht vorhandene Kennziffer betraf solche „Personen mit einer feindlich-negativen Grundeinstellung, die nicht in den spezifisch-operativen Vorbeugungsmaßnahmen der Kennziffern 4. 1. 1. bis 4. 1. 4. erfaßt sind“, aber jährlich auf eine Übernahme geprüft werden sollten
Die Durchführung der vorgesehenen Maßnahmen sollte durch Übermittlung eines Codewortes (z. B. „Leuchtpunkt“ oder „Sandkasten“) initiiert werden, das zur Öffnung der einschlägigen Planungsund Befehlsdokumente berechtigte Die Maßnahmen selbst wurden mittels verschiedener Instruktionen, Befehle, Pläne, Dokumente und Formblätter bis in alle Einzelheiten vorbereitet, wobei insbesondere in den achtziger Jahren eine Fülle zusätzlicher Bestimmungen erlassen wurde, die das Vorgehen immer detaillierter festlegten Auch andere staatliche Institutionen, die für die Internierungsplanungen verantwortlich waren, erließen in diesem Zeitraum eine Reihe grundlegen-der Vorschriften In den Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen wurden diese Bestimmungen dann anhand der örtlichen Situation konkretisiert und in Maßnahmen umgesetzt. Höhepunkt dieser Aktivitäten bildete eine Dienstbesprechung zur Mobilmachungsarbeit im MfS am 26. Februar 1988, die u. a. dazu führte, daß die AGM im Oktober 1989 eine „Studie zur weiteren Vervollkommnung und Effektivierung der spezifisch-operativen Vorbeugungsmaßnahmen“ vorlegte. Darin wird davon ausgegangen, daß die Realisierung der Vorbeugungsmaßnahmen „bereits heute anwendungsbereit zu planen und vorzubereiten ist, zur Bewältigung von Krisensituationen befohlen werden kann und darauf gerichtet ist, schwerpunktorientiert und differenziert die für die staatliche Sicherheit gefährlichsten Personen und Personengruppen vorbeugend und überraschend am Wirksamwerden zu hindern“ Nach Auswertung der Studie in den Diensteinheiten sollte der Leiter der AGM bis zum 30. Juni 1990 eine verbindliche Orientierung zur weiteren Vorbereitung der spezifisch-operativen Vorbeugungsmaßnahmen erlassen -ein Vorhaben, das aufgrund des Umbruchs in der DDR nicht mehr durchgeführt werden konnte. Auf der Grundlage dieser Anweisungen und Instruktionen sowie des in einzelnen Kreisdienststellen und Bezirksverwaltungen des MfS sichergestellten Materials zur Durchführung der Maßnahmen läßt sich inzwischen recht gut rekonstruieren, was MfS und SED im Ernstfall im einzelnen vorhatten -wobei die Kennziffern 4. 1. 4. (Überwachung) und 4. 1. 5. (geplante Kontrollmaßnahmen) an dieser Stelle nicht weiter behandelt werden. 1. Festnahmen (Kennziffer 4. 1. 1.)
Zur Festnahme vorgesehen waren Bürgerrechtler, Friedens-und Umweltaktivisten, in den Kirchen Engagierte, Übersiedlungswillige sowie kritische Marxisten, aber auch solche Personen, die im Zusammenhang mit Straftaten gegen die allgemeine Sicherheit oder die staatliche Ordnung „operativ bearbeitet“ wurden -beispielsweise ehemalige Spione oder zu Alkoholkonsum und Gewalt Neigende. Die Kriterien, die zur Aufnahme in die Kennziffer 4. 1. 1. führten, waren in einer Bestimmung der Arbeitsgruppe des Ministers vom 20. Januar 1986 ausführlich niedergelegt worden. Demzufolge waren u. a. solche Personen auf eine entsprechende Einstufung hin zu prüfen, „die mit feindlicher Zielstellung -den organisatorischen Zusammenschluß von feindlich-negativ gesinnten Personen anstrebten bzw. betreiben, -innerhalb einer sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung in Erscheinung getreten sind, -unter demagogischer Tarnung, wie der Wahrung der Menschenrechte bzw.des Umweltschutzes, massive Aktivitäten entwickelt haben,
-unter dem Schutz reaktionärer klerikaler Kräfte mit relevanten Handlungen aufgetreten sind, -Forderungen nach einer Veränderung der Staats-und Gesellschaftsordnung in der DDR durch die Verbreitung von Auffassungen über einen .demokratischen Sozialismus 1 und neue Sozialismusmodelle aufgestellt haben (, Dissidenten 4).“
Die Festnahmen sollten den Einsatzbefehlen zufolge „schlagartig und konspirativ durchgeführt“ und innerhalb von 16 Stunden abgeschlossen werden. Die Festnahmegruppen waren mit Pistolen, MPis, Führungsketten, Schlagstöcken und Taschenlampen ausgerüstet. Die festgenommenen Personen sollten in die Untersuchungshaftanstalten der MfS-Bezirksverwaltungen eingeliefert werden, wobei alle Vorkehrungen zu treffen waren, „um ein mögliches Ausbrechen oder Flüchtigwerden zu verhindern“ Gegen „bekannte Verdächtige“ sollte die „Durchführung von Prüfungshandlungen bei Ermittlungsverfahren ... mit verringertem strafprozessualem Aufwand“ betrieben werden, wobei gemäß der Lageentwicklung die Möglichkeit zur „Führung von Hauptverhandlungen in den Diensträumen der Abteilungen XIV bzw. IX (des MfS -d. Verf.) geschaffen werden“ sollten -die Gefangenen sollten also von einer Art Schnellgericht abgeurteilt werden
Eine Übersicht über die Gesamtzahl der zu inhaftierenden DDR-Bürger wurde bislang nicht gefunden; insgesamt sollen sich nach den Erkenntnissen der DDR-Generalstaatsanwaltschaft „Ende 1988 fast 11000 Personen auf den Lagerlisten der Stasi“ befunden haben Im Bezirk Halle, das geht aus den Unterlagen hervor, waren 1985 368 Personen in die Kennziffer 4. 1. 1. einklassifiziert, wobei der Großteil der Festnahmen im Verantwortungsbereich der Kreisdienststellen erfolgen sollte Im Bezirk Erfurt waren 150 Personen zur sofortigen Verhaftung vorgesehen. Im überwiegend ländlich strukturierten Bezirk Neubrandenburg waren im Kreis Demmin eine Person, im Kreis Anklam sechs, im Kreis Templin fünf (vier von diesen wurden später in eine andere Kennziffer umregistriert) sowie im Kreis Neustrelitz elf Personen für eine Inhaftierung vorgesehen. Zu jeder Person finden sich in den Ordnern aus Neubrandenburg mit der Beschriftung „Kz 4. 1.“ ein ausgefüllter Personenerfassungsbogen sowie ein Fahndungsblatt (beide mit Paßfoto), in denen neben den Personalien auch Kurzcharakteristiken der Person enthalten sind („durch Ablehnung seines Übersiedlungsersuchens Angriffe auf die Staatsgrenze nicht ausgeschlossen“; „unter Alkohol leicht erregbar, ... wurde 1959 wegen Spionage verurteilt“; “ großtuerisches, aggressives u. brutales Auftreten, bestrebt im Vordergrund zu stehen,... unter Alkohol demonstratives u. provozierendes Auftreten gegenüber Sicherungskräften u. -maßnahmen“; „unterhält auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Sekte ZJ umfangreiche Verbindungen im Kreis Anklam und darüber hinaus“. Darüber hinaus enthalten die Unterlagen Maßnahmepläne zur Realisierung der Kennziffer 4. 1. 1., in denen die Namen der für die Festnahme vorgesehenen Mitglieder der Einsatzgruppen (je drei MfS-Mitarbeiter) fixiert sowie „Streckenführung“ und „Zuführungsort“ -die Untersuchungshaftanstalt der MfS-Bezirksverwaltung Neubrandenburg -angegeben sind. Wiederholt findet dabei das Kürzel „KZ“ in Großbuchstaben Verwendung 2. Internierung (Kennziffer 4. 1. 2.)
Die Maßnahmen zur Internierung von Ausländern, die sich zum Zeitpunkt der Mobilmachung auf dem Gebiet der DDR aufhielten (einschließlich Transit-Reisender), lagen nur zum Teil im Verantwortungsbereich des MfS. Die Planungen liefen auf der Ebene der sogenannten B-Struktur, also unter der Verantwortung des Nationalen Verteidigungsrates (NVR) und der ihm untergeordneten Bezirks-und Kreiseinsatzleitungen (BEL und KEL), in denen die obersten Spitzen von SED, MfS, Volksarmee, Volkspolizei und Verwaltung vertreten waren Laut Anordnung des Ministerratsvorsitzenden vom 11. August 1980 sollten die Maßnahmen nach einem entsprechenden Beschluß des NVR vom Minister des Innern (MdI) und vom Chef der Deutschen Volkspolizei (DVP) ausgelöst und umgesetzt werden. Aufgabe von Innenminister und DVP-Chef war u. a. „die Auswahl und Abstimmung der Objekte, die als Internierungslager vorzubereiten sind“ sowie „die Planung des Einsatzes von Kräften und Mitteln der Deutschen Volkspolizei und anderer Organe des Ministeriums des Innern zur Sicherung und Leitung der Internierungslager“ Die Vorbereitung, Einfriedung und ökonomische Sicherstellung der Lager sowie die zeitweilige behelfsmäßige Unterbringung und Versorgung der in Internierungssammelstellen der Kreise und an den Transitstrecken erfaßten Personen lag in den Händen der Vorsitzenden der Räte der Bezirke. Die Verantwortlichen hatten dabei „zu sichern, daß bei der Vorbereitung im Frieden der geplante Verwendungszweck der Objekte als Internierungslager sowie die vorzubereitenden Maßnahmen nur einem streng begrenzten Personenkreis bekannt werden“
Eine ausdrückliche Zuständigkeit besaß das MfS für die Internierung von sogenannten bevorrechteten Personen aus Feindstaaten, also in erster Linie akkreditierte Journalisten und Botschaftspersonal, die vom Leiter der Hauptabteilung II (zuletzt Generalleutnant Günther Kratsch) vorzubereiten war. Den Vollzug der Internierung dieses Personenkreises regelten umfangreiche „Grundsätze“der Arbeitsgruppe des Ministers vom 30. Dezember 1981, wobei die „Aufrechterhaltung des notwendigen diplomatischen Verkehrs mit den internierten Chefs“ der Missionen gewährleistet bleiben mußte Auf Beschluß des Lagerleiters konnten dem Papier zufolge auch „Zwangsmaßnahmen durch Absonderung“ in gesonderten Räumlichkeiten „bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Ordnung und Sicherheit“ sowie „gegen erkannte Mitarbeiter imperialistischer Geheimdienste“ veranlaßt werden Darüber hinaus war das MfS verantwortlich für die sogenannte „politisch-operative Abwehrarbeit“ in allen Internierungslagern, also die Durchdringung der Lager mit Spitzeln und die Bekämpfung von etwaigen Widerstandshandlungen Die Beteiligung des MfS an den Internierungsplanungen geht auch daraus hervor, daß die Unterlagen aus den Bezirksverwaltungen des MfS im Regelfall genaue Angaben über die vorgesehenen Internierungsmaßnahmen enthalten.
Einzelheiten der Planungen sind unter anderem aus Berlin bekannt geworden, wo ein zentrales Internierungslager in Blankenburg mit einer Gesamtkapazität von 1000 Personen vorgesehen war. Der Aufbau des Lagers und der Vollzug der Internierung wurden durch einen Befehl des Präsidenten der Volkspolizei geregelt, dem Kartenmaterial, Strukturschemata sowie ein handschriftlich mit Namen ausgefüllter Plan für die personelle Besetzung des Lagers als Anlagen beigefügt sind Das Lager sollte in einem als Arbeiterwohnheim genutzten Komplex als dem Präsidium der Volkspolizei Berlin nachgeordnete Dienststelle eingerichtet werden; lediglich die von der Abteilung VII der MfS-Bezirksverwaltung Berlin gebildete „Operativgruppe“ des Lagers agierte autonom. Die zu Internierenden sollten in ihrem jeweiligen Stadtbezirk in speziell dafür vorgesehene Sammelstellen wie das Filmtheater „Kosmos“ im Bezirk Friedrichshain oder das Kreispionierhaus im Bezirk Treptow gebracht und von dort aus in das Lager transportiert werden. Die Leiter der Transporte hatten die Internierten der Lagerleitung zu übergeben, damit sie entsprechend den im Internierungslager zu bildenden Sektionen getrennt eingewiesen und untergebracht werden konnten; nach spätestens vier Tagen sollte die Internierung vollständig vollzogen sein. Zu den Aufgaben des Lagerleiters gehörte u. a. die „Durchsetzung eines maximalen Einsatzes von Internierten zu Sicherstellungs-und anderen Arbeitsleistungen innerhalb des Internierungslagers“ sowie der „Aufbau der Interniertenverwaltungsorganisation“ -eine Art Kapo-System im Lager. In allen die Sicherheit betreffenden Fragen sollte eng „mit den im Objekt handelnden Kräften des Ministeriums für Staatssicherheit“ zusammengearbeitet werden Diese hatten die Aufgabe, jegliche feindlich-negative Aktivitäten durch Internierte, besonders Spionage, staatsfeindliche Gruppenbildung, staatsfeindliche Hetze, Provokationen, Ausbrüche, Geiselnahmen etc. zu verhindern, die Internierten politisch-operativ aufzuklären sowie „operative Möglichkeiten für perspektivvolle Werbungen von IM“, also von Inoffiziellen Mitarbeitern des MfS, zu klären, für deren namentliche Auflistung bereits entsprechende Vordrucke vorhanden waren
Listen mit weiteren Internierungslagern wurden auch in anderen Bezirken gefunden, vor allem in Erfurt In der Außenstelle Frankfurt/Oder des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen sind darüber hinaus detaillierte Planungsunterlagen aufgetaucht zur Einrichtung von Internierungssammelstellen im Kreis Strausberg (im Gebäude des „Franz Mehring“ -Klubs) und in Eisenhüttenstadt (im Gebäude des Bahnhofsrestaurants „Mitropa“) Darunter befindet sich eine „Wach-und Postenanweisung“, in der die Aufgaben, das Verhalten und die Ausrüstung der Wachhabenden genau vorgegeben werden („Bitten und Wünschen Internierter ist nicht zu entsprechen. Die Anliegen sind sofort dem Vorgesetzten zu melden ... Jeder Posten ist mit MPi , K‘ sowie einem Dienstsatz Munition auszurüsten“.) Übersichten über die Zahl der für eine Internierung vorgesehen Personen liegen nur vereinzelt vor. Im Bezirk Erfurt sollten 1500 Personen zur Internierung kommen -vor allem Reisende an den Grenzübergangsstellen. Und in einer „Übersicht der zu internierenden Personen des Kreises Strausberg“ sind insgesamt 16 im Kreis wohnhafte Personen namentlich verzeichnet, deren Herkunftsstaaten mit Frankreich, Groß-Britannien, Indien, Japan, Niederlande, Österreich, Südafrika, Schweiz, Spanien und Iran angegeben werden. Auch Staatenlose waren für die Internierung vorgesehen, wie aus einer weiteren Liste aus Strausberg hervorgeht, in der noch einmal 13 staatenlose Personen namentlich aufgeführt werden, bei denen unter der Rubrik „ehern. Staatsbürgerschaft“ Länder wie Rumänien, CSSR, Jugoslawien oder Ungarn angegeben sind Begründungen für die vorgesehene Internierung sind in diesen Unterlagen aus der Außenstelle Frankfurt/Oder nicht enthalten, ebensowenig personenbezogene Festnahmedokumente. 3. Isolierung (Kennziffer 4. 1. 3.)
Zur Inhaftierung in speziellen Isolierungslagern, die während einer Spannungsperiode oder im Verteidigungsfall kurzfristig eingerichtet werden sollten, war eine deutlich größere Zahl von DDR-Bürgern vorgesehen als zur regulären Festnahme -im Bezirk Halle beispielsweise 502 Personen Auch für diesen Personenkreis hatte die Arbeitsgruppe des Ministers detaillierte Kriterien vorgegeben. Hier ging es vor allem um Personen, von denen aufgrund ihres bisherigen Verhaltens angenommen wurde, daß „mit Wahrscheinlichkeit im Verteidigungszustand eine akute Gefährdung der staatlichen Sicherheit und Ordnung ausgehen kann oder die solche Handlungen dulden oder unterstützen“
Dazu zählten „insbesondere -Personen, die Träger der politisch-ideologischen Diversion sind und bestimmte Bevölkerungskreise massiv beeinflussen und zu Handlungen gegen den Staat aufwiegeln können;
-vorbestrafte Personen, darunter speziell wegen Staatsverbrechen und anderen operativ bedeutaamen Straftaten verurteilte Personen; -vorbestrafte Personen, bei denen auf Grund wiederholt begangener Straftaten, wie Rowdytum, Zusammenrottung, öffentliche Herabwürdigung und andere Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, die Begehung erneuter derartiger Handlungen im Verteidigungszustand zu erwarten ist; -Personen, die Ersuche auf Übersiedlung gestellt haben und mit Einrichtungen und Kräften im Operationsgebiet in Verbindung stehen, derartige Kontaktaufnahmen oder Demonstrativhandlungen angedroht haben bzw. zu spontanen und unkontrollierbaren Reaktionen neigen;
-Personen, die zu reaktionären klerikalen Kräften und anderen inneren Feinden in der DDR bzw. zu feindlich-negativen Einrichtungen und Kräften im Operationsgebiet und dem übrigen Ausland enge, operativ bedeutsame Kontakte unterhalten .. ."
Die praktische Vorbereitung und Durchführung der Isolierung bestimmten sogenannte Grundsätze der Arbeitsgruppe des Ministers, die mit Datum vom 28. Mai 1986 noch einmal ergänzt wurden Die Gefangennahme der Betroffenen sollte nach dem gleichen Verfahren wie bei den Festnahmen erfolgen, nur daß diesmal 24 Stunden für die Realisierung vorgesehen waren. In den „Grundsätzen“ waren der Vollzug der Isolierung, die Rechte und Pflichten der Isolierten, die personelle und materielle Planung und das Sicherungssystem des Lagers sowie die „politisch-operative Abwehrarbeit“ detailliert geregelt. Die zu isolierenden Personen waren demzufolge „erkennungsdienstlich zu behandeln, medizinisch zu befragen, mit den ... Angaben zur Person zu erfassen und mit fortlaufender Nummer zu registrieren“. Die Leiter der Isolierungsobjekte waren ermächtigt, „die Maßnahmen zur Isolierung und Gewährleistung von Disziplin, Ordnung und Sicherheit erforderlichenfalls mit zweckentsprechenden und angemessenen Zwangsmaßnahmen durchzusetzen“.
Zu den Disziplinarmaßnahmen zählten zusätzliche Arbeitseinsätze, Einschränkung oder Entzug von Vergünstigungen sowie Arrest bis 21 Tage. Für Ausbrüche und Entweichungen, versuchte oder erfolgte Geiselnahmen, zur Niederschlagung von Meutereien etc. gab es spezielle Pläne für soge-nannte Sofortmaßnahmen, die bislang jedoch nicht aufgefunden werden konnten. Die Isolierten hatten die Pflicht, die täglich festgesetzten Zählappelle einzuhalten und die für sie festgelegte Kleidung zu tragen. „Beim Aufschluß bzw. Betreten des Verwahrraumes durch Angehörige des Isolierungsobjektes haben die Verwahrraumältesten , Achtung! 4 zu rufen und Meldung zu erstatten.“ Beschwerden waren während des Vollzugs der Isolierung ausdrücklich ausgeschlossen
In der 1. Ergänzung der „Grundsätze“ wird hervorgehoben, daß die Nutzung der als Isolierungslager vorgesehenen Objekte jederzeit, „das heißt auch vor Auslösung einer Einsatzstufe“ gewährleistet sein müsse, „ohne daß öffentlichkeitswirksame Maßnahmen (z. B. Umsiedlung von in diesem Objekt wohnhaften Personen/Familien) realisiert werden müssen“. Die für die Einfriedung des Lagers erforderlichen Bauelemente (Betonpfähle/Maste) seien etappenweise auf Bevorratung zu planen, so daß bis 1990 die notwendige Gesamtmenge erreicht sei. Die Unterbringungsversorgung „erfolgt unter Ausschöpfung aller Bedingungen und Möglichkeiten, die bereits heute das geplante Objekt bietet“. In einer speziellen Übersicht sollten die als vermeintliche Regimegegner ebenfalls festzunehmenden Inoffiziellen Mitarbeiter, „die für einen zeitweiligen Einsatz im Isolierungsobjekt vorgesehen sind“, namentlich aufgeführt werden
Die Ergänzung der „Grundsätze“ enthält auch das Muster eines Merkblattes, das den Festnahme-gruppen neben der Personalkarte der Festzunehmenden auszuhändigen war. Darin wird festgelegt, was die festzunehmenden Personen mitzunehmen hätten. U. a. wird dort aufgelistet:
Oberbekleidung und Schuhwerk entsprechend der gegenwärtigen bzw. bevorstehenden Jahreszeit, -Unterwäsche (mindestens 3 x), -3 Paar Socken/Strümpfe/Strumpfhosen, -nur Frauen: 1 lange Hose, 2 Kittelschürzen, -1 Paar Tunrschuhe/leichtes Schuhwerk, -Trainingsanzug/Arbeitskleidung, -Nachtwäsche, -Gegenstände des persönlichen Bedarfs und der Hygiene, wie Wasch-, Rasier-und Zahnputzzeug, Näh-und Schuhputzzeug, Eßbesteck, Taschentücher, Handtücher, Tampons oder Zellstoffbinden (nur Frauen), -2 Decken, -Medikamente nach ärztlicher Verordnung, -Verpflegung für 1 Tag.“
Den in der Neubrandenburger Außenstelle des Bundesbeauftragten gefundenen Maßnahmeplänen zur Realisierung der Kennziffer 4. 1. 3. zufolge bestanden die Festnahmegruppen aus jeweils drei Personen, die bereits namentlich bestimmt waren. Als Zuführungsort werden das „Isolierobjekt der Kreisdienststelle Templin (Sporthalle der K. -Lieb-knecht-OS )“, das „Isolierobjekt der BV Nbg" oder die Untersuchungshaftanstalt der MfS-Bezirksverwaltung angegeben Auch in anderen Bezirken wie Halle, Erfurt oder Dresden sind Aufstellungen mit Isolierungsobjekten gefunden worden; aus der Kreisdienststelle Grimmen im Bezirk Rostock existieren genaue Pläne und Objektbeschreibungen für einen „zeitweiligen Isolierungsstützpunkt“ im Trainingszentrum Sportschießen der Sportgemeinschaft Dynamo Grimmen In einer „Übersicht Isolierungs-/-Intemierungsobjekte“ der Erfurter Bezirksverwaltung des MfS vom Februar 1987 werden u. a. folgende Isolierungsobjekte genannt: Arnstadt -Ehemalige Untersucfiungshaftanstalt; Eisenach -Bauarbeiterunterkunft; Nordhausen -LPG Völkerfreundschaft, Lagergebäude; Weimar -Jugendtouristhotel „M. Gorki“; Worbis -Stadtwirtschaft Worbis
Den Neubrandenburger Unterlagen ist zu entnehmen, daß im Kreis Demmin 14, im Kreis Anklam sieben (von ursprünglich 29) und im Kreis Templin und im Kreis Neustrelitz jeweils 15 Personen für die Isolierung vorgesehen waren; in einem Fall handelte es sich um einen Inoffiziellen Mitarbeiter der Kreisdienststelle Templin, der für den Einsatz im Lager vorgesehen war. Auch hier sind die Personalkarten bzw. Fahndungsblätter bereits ausgefüllt, so daß nur noch der Vollzug der Maßnahme eingetragen werden mußte. Unter der Überschrift „Ausführliche Begründung“ sind in den Unterlagen zur Personenerfassung Einschätzungen wie die folgenden angegeben: „Die B. ist dem subversiven Potential des Gegners zugeordnet. Sie ist Mitglied des alternativen Arbeitskreises , Ärzte für den Frieden* ... Sie plant den Aufbau einer Frauenfriedensgruppe im Verantwortungsbereich“; „die Z. bezieht eine feindl. Position zu den gesell. Verhältnissen in der DDR und brachte diese wiederholt zum Ausdruck. Aus dieser Haltung resultierte die Antragstellung auf ständige Ausreise in die BRD ...“; „ 1974 u. 1982 stellte er einen Antrag auf Übersiedlung ... Im Vorfeld der Kommunalwahlen trat er als Inspirator u. Organisator der Bildung einer Interessengemeinschaft zur Errichtung von Empfangsanlagen zum SAT Empfang auf u. trat in diesem ZH (Zusammenhang -d. Verf.) ge-genüber den staatl. Organen mit provokatorischen u. ungerechtfertigten Argumenten u. Forderungen auf.. „im Aug. 1971 wurde er gern. §§ 106, 108 StGB straffällig, indem er die Gesellschaftsordnung der DDR schädigte und gegen sie aufwiegelte ..den Faschismus verherrlichte und die Tätigkeit staatl. Organe diskriminierte .. „der B. unterhält enge persönliche Kontakte zu Personen, die dem Vorfeld des politischen Untergrundes zuzuordnen sind. ... Er genießt Vertrauen und wird über Vorhaben dieser Personen informiert ... In der inoffiziellen Arbeit erwies er sich als ehrlich und zuverlässig“
III. Offene Fragen
Die Rekonstruktion der Planungen von SED und MfS für den Ernstfall anhand der bislang gefundenen Unterlagen macht deutlich, daß die Ausschaltung aller inneren Kritik-und Unruhepotentiale in der DDR im Fall einer Spannungsperiode bis in alle Einzelheiten vorbereitet war. Bei Ausrufung der Mobilmachung durch den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates wären innerhalb von Tagen oder Stunden nicht nur alle Andersdenkenden, sondern auch alle sozial Auffälligen sowie alle Ausländer aus nicht-sozialistischen Staaten arrestiert worden. Die reibungslose Durchführung der Maßnahmen wurde regelmäßig geübt, die Einsatzdokumente mußten sich immer auf dem neuesten Stand befinden.
Unklar ist bislang noch, welche konkreten Motive die SED-Führung bei der Vorbereitung dieser Maßnahmen im einzelnen geleitet haben und für welchen Fall deren Umsetzung wirklich vorgesehen war. Die hohe Intensität, mit der in den achtziger Jahren die Internierungs-und Isolierungsplanungen vorangetrieben wurden, legt allerdings den Schluß nahe, daß in diesem Zeitraum verstärkt die Notwendigkeit gesehen wurde, sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Eine der Ursachen dafür könnten die innenpolitischen Entwicklungen im Nachbarland Polen gewesen sein, wo die kommunistische Führung am 13. Dezember 1981 nur noch mit Hilfe der Verhängung des Kriegsrechtes ihre Macht sichern konnte; auch das Inkrafttreten eines neuen Statuts der Bezirkseinsatzleitungen zum 1. Januar 1982 könnte in diesem Zusammenhang stehen. Darüber hinaus mögen die Mobilmachungsplanungen aufgrund der Auseinandersetzungen um den NATO-Doppelbeschluß und, ab Mitte der achtziger Jahre, wegen der inneren Erosion der sozialistischen Staaten im Zusammenhang mit der sowjetischen Reformpolitik forciert worden sein. Erich Mielke selbst forderte eine Präzisierung der Planungen nicht zuletzt mit Blick auf die im Mai 1987 veränderte Militärdoktrin des Warschauer Paktes, die der Beilegung von Konflikten mit politischen statt mit militärischen Mitteln auch in Spannungsperioden den Vorrang einräumte -womit sich der Schwerpunkt der system-erhaltenden Maßnahmen auf die Ebene unterhalb des großen Krieges verlagerte
Das Referat Erich Mielkes während einer Dienst-besprechung zur Mobilmachungsarbeit im MfS am 26. Februar 1988, das den Teilnehmern aus Geheimhaltungsgründen nicht, wie sonst üblich, ausgehändigt wurde, enthält darüber hinaus eine Reihe weiterer Hinweise über die Hintergründe der Mobilmachungsplanungen. Mielke hebt darin hervor, daß „die Entwicklung der internationalen Lage, die neuesten Erkenntnisse in der Militärpolitik und -Strategie ... und nicht zuletzt unsere Erkenntnisse über die strategischen Pläne und Absichten des Gegners und über die Mittel und Methoden seines subversiven Vorgehens“ dazu zwingen würden, „die Bedingungen, Anforderungen und Aufgaben der Mobilmachungsarbeit neu zu durchdenken und zu bestimmen“ Er verweist in diesem Zusammenhang nicht nur auf militärische Aspekte, sondern auch „auf die fortgesetzten und gesteigerten Versuche gegnerischer Zentren, Einrichtungen und Kräfte, besonders der BRD, mittels der politisch-ideologischen Diversion, der Wühl-und Zersetzungstätigkeit und anderer subversiver Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte in der DDR und anderen sozialsitischen Staaten zu antisozialistischen Handlungen zu inspirieren, politische Untergrundtätigkeit zu organisieren und die Lage im Innern unserer Länder möglichst zu destabilisieren und auf diesem Wege ernsthafte Gefahren für den Sozialismus und den Frieden heraufzubeschwören“. Aus allen diesen Gründen bliebe höchste Wachsamkeit, die Ausschaltung jeglicher Überraschungen von außen, besonders auf militärischem Gebiet, wie auch im Innern oberstes Gebot
In seinem Referat gibt Mielke erstmals auch eine genauere Definition des Begriffes „Spannungsperiode“, deren Beginn im wesentlichen charakterisiert werde „durch Handlungen, die zu einer Zuspitzung der internationalen Lage führen und die Gefahr der Verwicklung der Staaten des War-schauer Vertrages in militärische Konflikte in sich bergen oder zu einer möglichen Aggression gegen unsere Länder ausgenutzt werden können als auch durch sich verschärfende innere Lagebedingungen eines sozialistischen Landes, die durch innere wie auch äußere Feinde zur Herbeiführung von die staatliche Sicherheit erheblich gefährdenden Entwicklungen mißbraucht werden können“. Da eine solche Periode einhergehe mit verstärkten Aktivitäten äußerer und innerer Feinde, erlangten „die Bekämpfung der Spionage, Diversion und Sabotage sowie die Bekämpfung der psychologischen Kriegführung und politisch-ideologischen Diversion im umfassendsten Sinne entscheidendes Gewicht“
Genauen Aufschluß über die Motive für die Planungen der nach Innen gerichteten Unterdrükkungsmaßnahmen können wohl nur die Akten des SED-Politbüros und des Nationalen Verteidigungsrates sowie ihrer Entsprechungen auf Bezirks-und Kreisebene geben. Auch die unmittelbare Beteiligung der Parteiinstanzen an der Vorbereitung der gegen die eigene Bevölkerung gerichteten „spezifisch operativen Vorbeugungsmaßnahmen“ läßt sich nur aus diesen Unterlagen belegen. Die Zuständigkeit des Nationalen Verteidigungsrates für die Mobilmachungsplanungen und die Verantwortung der Bezirkseinsatzleitungen für die Einrichtüng der Internierungslager stellt freilich schon jetzt die Verantwortung der SED-Spitzen-funktionäre, die in diesen Gremien den Vorsitz führten, außer jeden Zweifel.
Namentlich die Rolle der Bezirkseinsatzleitungen und ihrer Vorsitzenden, die im Spannungsfall auch gegenüber dem MfS unmittelbar weisungsbefugt waren, bedarf in diesem Zusammenhang einer gründlichen Untersuchung. Schon jetzt gibt es zahlreiche Belege dafür, daß die Bezirkseinsatzleitungen entgegen den Äußerungen der ehemaligen BEL-Vorsitzenden Walde, Lorenz, Modrow oder Schabowski unmittelbar an den Maßnahmen zur inneren Sicherheit beteiligt waren; bestätigt hat bislang jedoch nur der ehemalige Zweite Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin, Helmut Müller, daß es eine Strategie zur Zersetzung der oppositionellen Kräfte und ihrer Inhaftierung in Internierungslagern gegeben habe Auch Hans Modrow hat freilich erklärt, daß Erich Honecker in den Jahren 1988 und 1989 darauf gedrungen hätte, den BEL auch Aufgaben zu übertragen, die mit Spannungen innerhalb der DDR zu tun gehabt hätten. Modrow selbst wird vorgeworfen, Maßnahme-pläne von MfS und Polizei gegen kirchliche und oppositionelle Kräfte als BEL-Chef bestätigt zu haben Nach den Demonstrationen aus Anlaß des 40. Jahrestages der DDR ordnete Erich Honecker in einem Telegramm vom 8. Oktober 1989 ausdrücklich an: „Sofortige Zusammenkunft der Bezirkseinsatzleitungen, in der die Lage im Bezirk eingeschätzt wird und entsprechende Maßnahmen festgelegt werden.“ Und in einem Brief vom selben Tag schrieb der 1. Sekretär der SED-Bezirks-leitung Berlin, Günter Schabowski, an Honecker: „Planmäßig wurden die von der Bezirkseinsatzleitung im Zusammenwirken der örtlichen Partei-, Staats-Schutz-, und Sicherheitsorgane ... eingeleiteten Maßnahmen zur Sicherung der gesellschaftlichen Höhepunkte am Nationalfeiertag fortgesetzt.“ Schabowski war es auch, der am 5. April 1989 durch Unterschrift einen „Plan der Überführung in den Verteidigungszustand“ bestätigte, in dem im Abschnitt „Volle Gefechts-/Einsatzbereitschaft" unter der laufenden Nummer 34 ausdrücklich die „Einrichtung und Herstellung des Internierungslagers Blankenburg“ vorgesehen sind In einer vom 1. Sekretär der SED-Bezirks-leitung Neubrandenburg, Hans Chemnitzer, bestätigten Tagesordnung der Neubrandenburger BEL findet sich unter Punkt fünf schließlich ebenfalls die Eintragung „Einschätzung des Standes der Vorbereitung und Abstimmung der Maßnahmen und Aufgaben zur Internierung“
Offen ist bislang noch, ob es Pläne oder Versuche gab, die fertigen Konzepte für den Ernstfall während des Umbruchs in der DDR im Herbst 1989 zur Anwendung zu bringen. Daß in den ersten Tagen der Wende zumindest die Listen der festzunehmenden bzw. zu isolierenden Personen aktualisiert wurden, belegt ein Fernschreiben, das der Leiter der Rostocker MfS-Bezirksverwaltung, Generalleutnant Mittag, am 9. Oktober 1989 an alle Kreisdienststellen (KD) des MfS sandte. Unter Bezug auf eine nicht zweifelsfrei zu identifizierende Vertrauliche Verschlußsache Erich Mielkes vom Vortag und in Durchsetzung der darin angewiesenen Maßnahmen werden die KD-Leiter aufgefordert, „unverzüglich eine differenzierte Neubewertung der laut Kennziffer 4. 1. sowie der in OV/OPK und anderen operativen Materialien erfaßten bzw. bearbeiteten Personen vorzunehmen“. Bis zum 10. Oktober 1989, 17. 00 Uhr, sei eine namentliche Übersicht an den Leiter der Arbeitsgruppe des Leiters zu übergeben über potentielle Führungskräfte sowie zu Gewalttätigkeiten und brutalem Verhalten neigende Personen, „die unter den gegenwärtigen Lagebedingungen demonstrative Provokationen, insbesondere Demonstrationen/Zusammenrottungen feindlicher, negativer und rowdyhafter Personen, beabsichtigen bzw. durchführen könnten“
Daß die Isolierungs-und Internierungsobjekte in den Tagen des Umbruchs auch ohne Anordnung der Mobilmachung zur Ausschaltung von Anders-denkenden genutzt wurden, ist bisher nicht eindeutig zu belegen. Der ehemalige Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates für Inneres, Hartmut Reitmann, ging in einer Anhörung des sächsischen Untersuchungsausschusses allerdings davon aus, daß zu den vorgesehenen Internierungsobjekten auch ein Pferdestall auf dem agra-Gelände in Markkleeberg bei Leipzig gehörte, in dem im Oktober 1989 rund 150 Oppositionelle eine Nacht lang festgehalten worden waren Auch in anderen DDR-Städten, insbesondere in Berlin, kam es am 7. und 8. Oktober 1989 zu zahlreichen „Zuführungen“ von Demonstranten und Passanten, so daß beispielsweise der Zentrale Zuführungspunkt Rummelsburg in Berlin total überfüllt war und u. a. auf das Gebäude der Bereitschaftspolizei in Blankenburg zurückgegriffen wurde; das eigentliche Intemierungsobjekt nebenan wurde jedoch nicht mit Zugeführten belegt Aus Rostock wurde schließlich eine gemeinsame Festlegung des Chefs der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei und des Leiters der MfS-Bezirksverwaltung vom 9. Oktober 1989 bekannt, in der die Modalitäten und Verfahrensweisen bei der Entfaltung Zentraler Zuführungspunkte festgelegt werden; ob es sich dabei um Objekte aus der Mobilmachungsplanung handelte wie das Ende Oktober 1989 in einem Auskunftsbericht der MfS-Kreisdienststelle Grimmen beschriebene, konnte bisher nicht geklärt werden
Unbeantwortet ist schließlich auch die Frage, ob es Planungen gab für eine Liquidierung der Festgenommenen oder Internierten. Hinweise darauf enthält eine vom ehemaligen Leiter der MfS-Bezirksverwaltung Erfurt, Generalmajor Josef Schwarz, unterzeichnete Geheime Verschlußsache, derzufolge „Feinde erkannt und so unter Kontrolle gebracht werden (sollten), daß ihre Liquidierung/Ausschaltung auf besonderen Befehl erfolgen kann, wenn es die Lage erfordert und wenn es politisch wichtig und notwendig ist“ Ähnliche Formulierungen finden sich auch in Mielkes Referat auf der Dienstbesprechung vom 26. Februar 1988, in dem er „auf das Aufspüren und die Liquidierung von eingeschleusten Diversanten und Saboteuren“ verweist; an einer anderen Stelle spricht er davon, daß die operative Kontrolle des Territoriums so zu organisieren sei, „daß subversive Kräfte des Gegners schnell erkannt, ihre Handlungen unterbunden und die Liquidierung in kürzester Zeit realisiert werden kann“ Ob der Begriff „Liquidierung“ in diesem Zusammenhang wirklich Tötung meint oder, wie ehemalige MfS-Mitarbeiter sagen, lediglich „Unschädlichmachung“ bedeutet (was immer das heißen möge), wird erst durch weitere genauere Forschungen zu ermitteln sein.