Am Anfang dieses neuen Jahres geht es mehr denn je um die Sicherung der Zukunft der Europäischen Gemeinschaft. Wir dürfen uns nicht in eine Krise „hineinreden“ lassen. Die Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Gemeinschaft und darüber hinaus müssen wieder Vertrauen bekommen. Sie erwarten konkrete Taten.
Vor allem unsere junge Generation in Europa wünscht eine klare und lebenswerte Zukunftsperspektive. Sie erwartet sichere Arbeitsmöglichkeiten und eine gesunde Umwelt. Die Jugend will an der Gestaltung des neuen Europa aktiv beteiligt werden. Sie will sicheren Frieden und Wohlstand. Wir sind es unserer Jugend schuldig, diese Vision zu verwirklichen.
Der 1. Januar 1993 markiert einen neuen Meilenstein in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft; fünfunddreißig Jahre nach dem Beginn der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) haben wir ein neues Kapitel aufgeschlagen. Das von Präsident Delors und der EG-Kommission Mitte 1985 proklamierte Zieldatum 1992/93 wurde eingehalten. Die Wirtschaft, die Verbraucher, die Touristen werden die Wohltaten des einheitlichen, offenen Binnenmarktes genießen, auch wenn vor allem im Personenverkehr noch einige Hindernisse zu überwinden sind, ehe es zu einem wirklich vollständigen „grenzenlosen“ Europa kommt. Der zuständige Ministerrat sollte umgehend die notwendigen Entscheidungen treffen. Das Europäische Parlament (EP) hat klar die Richtung vorgegeben und sich eindeutig für den totalen Wegfall aller Personenkontrollen ab 1. Januar 1993 ausgesprochen. Es gibt keinen Grund mehr, an den Binnengrenzen zu kontrollieren, weder Waren noch Personen: Ich erwarte, daß das Schengener Abkommen in absehbarer Zeit auf alle EG-Länder ausgedehnt und von ihnen voll angewandt wird.
Die Absicht, zeitgleich mit der Vollendung des einheitlichen Binnenmarktes den noch größeren Europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen, läßt sich nach dem „Nein“ im Referendum der Schweiz leider nicht verwirklichen. Ich gehe jedoch davon aus, daß die anderen EFTA-Länder zusammen mit allen EG-Staaten an dem EWR-Abkommen festhalten. Die Schweiz läuft dabei Gefahr, sich selbst auf Dauer zu isolieren.
Die Europäische Gemeinschaft bleibt nach außen hin in unverändertem Maße attraktiv: Der Vorlage des Beitrittsgesuchs durch Österreich (im Juli 1989) sind Mitte 1991 Schweden und in der ersten Hälfte 1992 die Anträge Finnlands sowie der Schweiz gefolgt. Ende November hat auch die norwegische Regierung das Aufnahmegesuch vorgelegt. Zudem liegen die Beitrittsanträge von Malta und Zypern sowie der Türkei vor. Im Fall der beiden letztgenannten Länder ist vorerst nicht an die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zu denken; es bestehen politische bzw. wirtschaftliche Einwände. Dagegen sind die genannten EFTA-Staaten als potentielle Beitrittskandidaten zu betrachten. Das Europäische Parlament hat gemäß der Gipfelerklärung von Lissabon als Vorbedingung die Ratifizierung des Vertrags von Maastricht und die Annahme des Delors-II-Pakets genannt. Die EFTA-Länder waren sich bei ihrer Antragstellung bewußt, daß die Übernahme des „acquis communautaire“ (gemeinsamer Besitzstand) sowie die Annahme der Vertragsbestimmungen von Maastricht einschließlich der politischen Zielsetzungen oberste Bedingungen für eine EG-Mitgliedschaft sind.
Hinsichtlich Dänemarks hat das Europäische Parlament seine Position seit dem knapp negativen Referendum Anfang Juni 1992 mehrfach bekräftigt: Das Parlament schließt Änderungen des Maastricht-Vertrags, einen Sonderstatus oder ratifizierungsbedürftige Sondervereinbarungen sowie die Schaffung eines „Europa ä la carte“ aus. Es besteht darauf, den Ratifizierungsprozeß endgültig bis zum 30. Juni 1993 abzuschließen. Wir erwarten, daß es zu einer Vereinbarung kommt, die es Dänemark ermöglicht, den Weg zur politischen Union mitzugehen. Das Europäische Parlament unterstützt alle Forderungen nach mehr Demokratie, Transparenz und Bürgernähe.
Das Parlament nimmt die Besorgnisse der Bürger im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht ernst und ist bereit, darauf zu reagieren. Wir setzen uns dafür ein, ohne Veränderungen am Vertrag das demokratische Funktionieren sowie die Transparenz der Entscheidungsprozesse zu verbessern. Hierzu haben wir (in der interinstitutionellen Konferenz) Verhandlungen der drei Institutionen Parlament, Kommissionund Rat eingeleitet, um Regeln und Verfahren für eine offenere, verständlichere, demokratischere und bürgernahe Gemeinschaft aufzustellen. Hierzu gehört auch eine engere Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten. Wir begrüßen die Vorschläge des Rates für mehr Transparenz; für das Parlament sind sie jedoch keine hinreichende Bedingung für mehr Bürger-nähe. Auch die demokratische Qualität der Gemeinschaft muß sich verbessern. Wir haben auf der interinstitutionellen Konferenz entsprechende Ideen für eine feierliche Erklärung der drei Institutionen unterbreitet. Wir erwarten, daß die Monate bis zum Abschluß der Ratifizierung des Maastricht-Vertrages genutzt werden, um die im Vertrag bereits enthaltenen positiven Ansätze konstruktiv umzusetzen und anzuwenden. Es geht darum, den Vertrag als wichtigen Schritt hin zu mehr Demokratie zu nutzen und ihn nicht zurückzuinterpretieren in das vermeintlich sichere jeweilige nationale Fahrwasser. Inzwischen liegen konkrete Orientierungen zur Anwendung des Prinzips der Subsidiarität vor. Der vom Europäischen Parlament initiierte interinstitutionelle Dialog, der dankenswerterweise von der britischen Präsidentschaft aufgegriffen wurde, sollte es ermöglichen, zu einem gemeinsamen Abkommen zwischen allen drei Institutionen zu gelangen. Das Parlament hat einen Entwurf für ein interinstitutionelles Abkommen zur Subsidiarität vorgelegt. Es besteht darauf, daß ein Abkommen zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zeitlich mit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages verbunden ist und hiervon nicht losgelöst werden kann.
Die Berufung auf die Subsidiarität darf allerdings kein Vorwand zur Renationalisierung von Gemeinschaftspolitiken sein. Eine ohne Mitwirkung des Europäischen Parlaments durchgeführte hemmende oder einseitige Subsidiaritätsprüfung der existierenden und vom Parlament bereits beratenen Gemeinschaftsgesetzgebung -sei es durch den Rat oder durch die Kommission -kann auf keinen Fall unsere Zustimmung finden. Umlaufende Listen von aufzuhebenden Gesetzen tragen nicht zur Vertrauensbildung zwischen den Institutionen und im Verhältnis zu den Bürgern bei.
Für das Parlament darf die Prüfung des Subsidiaritätsgrundsatzes keine Vorabprüfung sein, sondern sie muß innerhalb der drei Organe fortlaufend im Rahmen der Beratungen eines Gesetzgebungsvorschlags geschehen, und sie darf nicht von dessen Inhalt getrennt werden.
Die Einheitlichkeit des Entscheidungsprozesses muß entsprechend den vertraglich festgelegter Abstimmungsmodalitäten garantiert sein, ebenso wie der gemeinschaftliche Besitzstand, die Erhaltung des institutioneilen Gleichgewichts und des Initiativrechts der Institutionen.
Nach dem Vorschlag des Europäischen Parlaments soll die Kommission alljährlich einen umfassenden Bericht über die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips nach den gemeinsam festgelegten Bestimmungen ausarbeiten und dem Parlament vorlegen, das darüber eine öffentliche Debatte führen wird.
Zur künftigen Finanzierung der EG
Das Europäische Parlament hat bereits im Juni 1992 seine politische Position zur künftigen Finanzierung dargelegt und dabei die im Vertrag von Maastricht definierten Ziele berücksichtigt. Unser Grundsatz lautet unverändert: Neue Aufgaben erfordern auch neue Mittel. Die Gemeinschaft muß über die Finanzmittel verfügen, um konkret auf diese Ziele antworten zu können. Sie muß insbesondere mit den erforderlichen Eigeneinnahmen und der daraus resultierenden Finanzautonomie ausgestattet sein. Die wirtschaftliche und soziale Kohäsion, grundlegendes Element des Vertrags von Maastricht, muß -wie es der Europäische Rat (Rat der Staats-und Regierungschefs der Mitgliedstaaten) selbst in Lissabon akzeptiert hat -zur Schaffung des Kohäsionsfonds im Jahr 1993 führen. Die Strukturfonds als weiteres Instrument dieser Kohäsion müssen gemäß der bereits festgelegten Prioritäten aufgestockt werden.
Die neuen Herausforderungen der Außenpolitik -einschließlich der Folgen des Rio-Umwelt-gipfels -müssen in den finanziellen und budgetären Elementen Berücksichtigung finden, über die unsere Institutionen gegenwärtig verhandeln und zu denen sie sich bald äußern müssen. Gleiches gilt für die sogenannten internen Politiken, wozu so wichtige Bereiche wie die Forschung, die industrielle Wettbewerbsfähigkeit oder die trans-europäischen Netze gehören, d. h. Aufgaben, an denen die Gemeinschaft nicht Vorbeigehen kann, weil unsere Verantwortung und politische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stehen. Aus diesem Grund bestehe ich -wie ich es schon im Juli 1992 anläßlich der Budgetkonzertation vor der ersten Lesung des Haushalts im Rat getan habe — auf einen politischen Ansatz. Ich meine damit einen Ansatz, der den künftigen Zielen, Aufgaben undVerpflichtungen der Gemeinschaft entspricht und dabei gleichzeitig der wirtschaftlichen und budgetären Situation der Mitgliedstaaten Rechnung trägt. Das Parlament kennt die budgetären und finanziellen Zwänge der Mitgliedstaaten. Diese Zwänge dürfen jedoch nicht zu einem ausschließlich restriktiven Ansatz führen, der den Sinn des auf dem Edinburgher EG-Gipfeltreffen beschlossenen Delors-II-Pakets entstellen würde.
Kompetenzen und Forderungen des Europäischen Parlaments
Das Europäische Parlament hat in seiner in der Plenarsitzung im April 1992 mit großer Mehrheit abgegebenen positiven Stellungnahme zum Vertrag von Maastricht Klartext gesprochen: Um den Beitritt neuer Länder zu ermöglichen, ist eine wesentliche Verbesserung des Entscheidungsverfahrens, besonders hinsichtlich des Mitentscheidungsrechts des Europäischen Parlaments, erforderlich. Außerdem muß das demokratische Defizit abgebaut werden, heißt es in dieser Stellungnahme, mit der das Europäische Parlament eine Vorreiterrolle in bezug auf die Ratifizierungsverfahren des Vertrags von Maastricht in den Mitgliedstaaten übernommen und klare Signale gegeben hatte. In seiner Beratung über das umfangreiche Vertragswerk von Maastricht hat das Europäische Parlament eine genaue Analyse der Mängel, Unzulänglichkeiten und Unklarheiten vorgenommen. Sie sind in der Stellungnahme aufgelistet und mit dem Verlangen an die Regierungen der Mitgliedstaaten versehen, diese Fehler baldmöglichst zu beseitigen. Als gravierendsten Mangel betrachte ich es, daß dem Europäischen Parlament das Recht der Zustimmung zu Vertragsänderungen, also deren Ratifizierung wie durch die Parlamente der Mitgliedstaaten, verwehrt bleibt. Das gleiche gilt für Änderungen der Vorschriften über die Eigeneinnahmen. Die Kompetenzen des Parlaments müssen über die Finanzausgaben hinaus auf die Einnahmenseite ausgedehnt werden. Unzureichend ist das Zugeständnis von Maastricht an das Europäische Parlament im Mitentscheidungsverfahren. In vollem Umfang gleichberechtigt sind wir lediglich im Binnenmarktbereich und in einigen sogenannten Rahmensektoren, wozu beispielsweise die Forschungspolitik gehört. Wir fordern die gleichberechtigte Mitentscheidung des Parlaments mit dem Ministerrat bei Rechtsakten in sämtlichen Bereichen der EG-Politik. Die in Maastricht beschlossene Evolutivklausel bietet die Handhabe dazu.
Wir müssen sie nutzen. Den Abgeordneten des Europäischen Parlaments wird auch in Zukunft nichts geschenkt werden. Sie müssen sich unermüdlich für ihre Rechte einsetzen. Es geht darum, daß die Souveränitätsrechte, die die nationalen Parlamente abgeben, wirklich dorthin gelangen, wo sie hingehören: nämlich zum Europäischen Parlament. Wir müssen in der Lage sein, die Bürokratie der Kommission und vor allem auch des Rates demokratisch in vollem Umfang zu kontrollieren. Das Europäische Parlament ist im übrigen das einzige EG-Organ, das öffentlich berät und beschließt, während Kommission und Rat hinter verschlossenen Türen tagen. Die Begriffe „Europa der Bürger“ und „Bürgemähe“ dürfen keine leeren Schlagworte bleiben.
Beim Gipfeltreffen in Edinburgh wurde unter dem Kapitel „Transparenz“ eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, mit denen künftig die Arbeiten des Ministerrats teilweise für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dazu gehören in erster Linie öffentliche Aussprachen über das gesamte Arbeitsprogramm der jeweiligen Ratspräsidentschaft sowie der EG-Kommission. Des weiteren können künftig auf Vorschlag des Rates, der Kommission oder der Regierungvertreter der Mitgliedstaaten öffentliche Aussprachen angesetzt werden über „bedeutende Fragen, die für die Gemeinschaft von Interesse sind“. Öffentlichkeit soll laut Gipfelbeschluß von Edinburgh u. a. auch dadurch erzielt werden, daß bestimmte Aussprachen der Minister im Pressebereich des Ratsgebäudes auf Fernsehbildschirmen übertragen werden. Zudem können die Protokolle über förmliche Abstimmungen des Rates einschließlich der Erklärungen zur Stimmabgabe veröffentlicht werden, sofern dies von nationalen Delegationen beantragt wird. Außer diesen und anderen Maßnahmen für mehr Transparenz bei den Beschlüssen des Ministerrats soll die allgemeine Information über die Rolle und die Tätigkeit des Rates verbessert, die Öffentlichkeitsarbeit insgesamt durch den Ausbau der Mediendienste der EG-Institutionen verstärkt werden.
Dieser Gipfelbeschluß für mehr Transparenz, für eine überschaubare und verständliche Darstellung der Arbeiten der EG-Institutionen entspricht den Forderungen des Europäischen Parlaments. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die Parteien und Parteizusammenschlüsse auf EG-Ebene müssen auch unter diesem Gesichtspunktgroße Anstrengungen unternehmen, damit die nächste Europadirektwahl Mitte 1994 ein Erfolg wird. In mehreren Bereichen bietet der Maastricht-Vertrag zur Schaffung der Europäischen Union aus der Sicht des Europäischen Parlaments durchaus positive Ansätze und Elemente. Als Beispiele möchte ich die Einrichtung von Untersuchungsausschüssen und eines Bürgerbeauftragten oder Ombudsmanns nennen. Allerdings muß auch in diesen beiden Punkten erst dafür gesorgt werden, daß sie konkret und im Detail so ausgestaltet werden, wie es das Europäische Parlament für notwendig erachtet. Diese beiden Einrichtungen dürfen nicht auf eine Feigenblattfunktion beschränkt bleiben.
Zur Problematik des Subsidiaritätsprinzips
Seit Maastricht ist auch viel die Rede vom soge-nannten „Subsidiaritätsprinzip“. EG-Kommissionspräsident Jacques Delors hat vor dem Europäischen Parlament betont, die Anwendung dieses Prinzips habe zur Folge, daß Befugnisse ganz klar abgegrenzt werden, d. h., daß „Grauzonen“ zwischen den Zuständigkeitsbereichen der Gemeinschaft, der Mitgliedstaaten, der Regional-und Lokalbehörden verschwinden. Das Subsidiaritätsprinzip soll Garant dafür sein, daß es nicht zu einer allmächtigen Zentralgewalt in Brüssel kommt, sondern daß ein dezentralisiertes Europa entsteht, in dem die Entscheidungen auf der jeweils adäquaten Stufe getroffen werden. Das Europäische Parlament hat am 18. November 1992 in seiner Entschließung zur Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips seine Position festgelegt, mit der die EP-Delegation in die nächsten Verhandlungsrunden der interinstitutionellen Beratung ging. Präsident Delors hatte in der Debatte angedeutet, daß die Kommission bereit sei, sich mit dem Europäischen Parlament auf die großen Linien zu einigen. Seine Ausführungen vor dem Plenum ließen erwarten, daß die Kommission der Parlamentslinie folgen könnte. Komplizierter scheint die Lage im Rat, wo noch keine Gemeinsamkeiten zu erkennen waren. Zunächst sollten daher in einem Abkommen drei allgemeine Festlegungen getroffen werden: 1. Die Verfahren zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips sollen den Gemeinschaftsinstitutionen erlauben, ihre Zuständigkeiten so zu regeln, daß die in den Verträgen festgesetzten Ziele erreicht werden. D. h., auch bei Anwendung des Subsidiaritätsprinzips muß man sich an den allgemeinen Vertragszielen orientieren. 2. Die Verfahren zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips müssen dreierlei respektieren: -den gemeinschaftlichen Besitzstand, also den , acquis communautaire 6; -das institutioneile Gleichgewicht (was aus Sicht des Europäischen Parlaments natürlich an sich noch ein „schiefes“ Gleichgewicht ist); -das Initiativrecht der Institutionen, vornehmlich das der Kommission. 3. Als dritter Grundsatz ist zu vereinbaren, daß die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips sich im Rahmen des normalen Entscheidungsprozesses der Gemeinschaft vollzieht und den vertraglichen Abstimmungsmechanismen entspricht. In einem zweiten Teil des Abkommens muß es darum gehen, die Verfahren im einzelnen festzulegen: 1. Das Subsidiaritätsprinzip zu berücksichtigen gilt es erstmals, wenn EP, Kommission und Rat das jährliche Gesetzgebungsprogramm festlegen. Hier ist zweierlei wichtig: einmal, daß das Legislativprogramm vom Rat mitverabschiedet werden muß, und zweitens, daß über das Instrument dieses Jahresprogramms das Parlament sein indirektes Initiativrecht ausüben kann (das es im Maastricht-Vertrag erhalten hat). Das Europäische Parlament würde dann dafür sorgen, daß dieses von den drei EG-Institutionen ausgehandelte Jahresgesetzgebungsprogramm den nationalen Parlamenten übermittelt wird und dann Arbeitsgrundlage für eine weitere Zusammenarbeit wäre. Der Hinweis in dieser Form auf das Legislativprogramm ist wichtig, weil im Textentwurf der Kommission ein für das EP nicht akzeptabler Vorschlag enthalten war, nämlich Vorabkonsultation der nationalen Parlamente durch die Kommission. 2. Alle drei Institutionen verpflichten sich, das Subsidiaritätsprinzip innerhalb ihrer jeweiligen Zuständigkeiten zu beachten und zu rechtfertigen. 3. Wichtig ist, daß diese Überprüfung des Subsidiaritätsprinzips nicht von der inhaltlichen Prüfung eines Vorschlags zu trennen ist. 4. Jeder Kommissionsvorschlag muß in seinem Begründungsteil eine Rechtfertigung unter dem Aspekt der Subsidiarität enthalten. 5. Auch Änderungsanträge zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag -seien sie vom EP odervom Rat -müssen eine Begründung bezüglich der Subsidiarität enthalten, so sie den Interventionsbereich der Gemeinschaft nach sich ziehen. 6. Zur Kontrolle, daß das Subsidiaritätsprinzip beachtet wird, soll die Kommission einen jährlichen Bericht über die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips erstellen. Das EP würde hierüber eine öffentliche Debatte führen und auch die nationalen Parlamente über diesen Bericht informieren. 7. In Konfliktsituationen zwischen den drei Institutionen über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips sollte der Präsident einer jeden Institution das Recht haben, eine interinstitutionelle Konferenz einzuberufen, um aufgetretene Schwierigkeiten zu überwinden.
Dies ist im wesentlichen die Umsetzung der Parlamentsentschließung. Dieser Abkommensentwurf hat den Vorteil, daß er kurz und klar ist und sich auf die wesentlichsten Grundsätze konzentriert.
Die Staats-und Regierungschefs haben bei dem Gipfeltreffen in Edinburgh die Leitlinien für die interinstitutionelle Vereinbarung über den Gesamtkomplex „Subsidiaritätsprinzip“ festgelegt und dabei die beschriebenen Vorschläge des Europäischen Parlaments ausdrücklich begrüßt. Dieser Aspekt wurde auch bei meiner Unterredung in Edinburgh mit den Gipfelteilnehmern erörtert. In meiner Ansprache zum Beginn dieses Europäischen Rates habe ich ausführlich auf die Bedeutung der Subsidiaritätsfrage hingewiesen.
Die EG-Kommission hat inzwischen bereits informell wissen lassen, daß sie als Folge der Aufträge der Gipfeltreffen in Lissabon, Birmingham und Edinburgh beabsichtigt, eine Reihe von Gesetzesvorschlägen zurückzuziehen, die einer Subsidiaritätsprüfung nicht standhalten. Darunter befänden sich auch Vorschläge, zu denen das Europäische Parlament schon Stellung genommen hat. Die Kommission legt indessen Wert darauf, das Europäische Parlament hierüber rechtzeitig zu informieren. Sie versichert darüber hinaus, daß Vorschläge zur Änderung bestehender Rechtsvorschriften nur im normalen Gesetzgebungsverfahren behandelt würden. Es bleibt nun abzuwarten, wie die Orientierungen von Edinburgh zu den Komplexen „Transparenz“ und „Subsidiarität“ abschließend behandelt und dann praktisch umgesetzt werden.
Zahl und Neuaufteilung der EP-Abgeordneten
Mit der Stellungnahme zur Erhöhung der Zahl und zur Neuverteilung der Abgeordnetenmandate hatte das Europäische Parlament im Juni 1992 eine weitere Entscheidungsgrundlage für die Beratungen der Staats-und Regierungschefs geschaffen. Nachdem es bei den Gipfeltreffen in Lissabon und Birmingham noch nicht zu einem Beschluß kam, gelangen die Entscheidungen in Edinburgh. Dort folgten die EG-Spitzenpolitiker uneingeschränkt dem Vorschlag des De-Gucht-Berichts. In den Schlußfolgerungen heißt es: „In Anbetracht der deutschen Vereinigung und im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft hat der Europäische Rat die Zahl der Mitglieder ab 1994 wie folgt festgelegt:
Belgien 25 Dänemark 16 Deutschland 99 Griechenland 25 Spanien 64 Frankreich 87 Irland 15 Italien 87 Luxemburg 6 Niederlande 31 Portugal 25 Vereinigtes Königreich 87 Insgesamt 567“
Diese Gipfelentscheidung bedeutet die volle Anerkennung der Arbeiten des Europäischen Parlaments und ist somit als großer Erfolg zu werten. Mit den in Edinburgh getroffenen Orientierungen und den dort gefaßten Beschlüssen, zu denen auch eine neue Finanzordnung bis zum Ende dieses Jahrhunderts gehört, wurde das „Krisengespenst“ gebannt. Der Weg zur Europäischen Union ist damit wieder frei. Allerdings bleibt er mit der Hypothek belegt, daß die Zielsetzung der Europäischen Union von den Mitgliedstaaten weiterhin in unterschiedlicher Weise interpretiert wird. Dies bezieht sich insbesondere auf die föderale Ausrichtung wie auch auf die konkrete Gestaltung der Wirtschaftsund Währungsunion sowie der Außen-und Sicherheitspolitik.