In den deutschen Medien wird nicht selten der Eindruck vermittelt, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) sei ein an die Stelle der UdSSR getretener staatsähnlicher Verband, mit einer größeren Dichte als etwa die Europäische Gemeinschaft, mit Bewohnern, die man aus einer Mischung von Scherz und Verlegenheit bisweilen als „Güssen“ bezeichnet; sie sei eine Gemeinschaft, von der so mancher vielleicht erwartet, daß sie Grundlage und Rahmen einer erneuerten eurasiatischen Großmacht abgeben werde. Solche Vorstellungen spiegeln die heutige politische Wirklichkeit nur unvollkommen wider. Die GUS ist vielmehr eine Zwischenstufe in einem aus tiefen historischen Wurzeln gespeisten Zerfallsprozeß, dessen innere Dynamik noch nicht erschöpft ist, sondern der längst auch die GUS selbst im Griff hat. Für den Außenstehenden bietet die Gemeinschaft daher ein sehr verworrenes Bild.
Der erfolglose Versuch der reaktionären Verschwörer in der KPdSU, im KGB, im militärisch-industriellem Komplex und in der Armee, durch ihren Staatsstreich vom August 1991 den weiteren Verfassungswandel der UdSSR zu einer Konföderation zu stoppen und das Land gewaltsam auf den Weg einer Rezentralisierung zurückzudrängen, setzte ironischerweise Kräfte frei, die in einer sich überstürzenden Entwicklung innerhalb weniger Monate das Ende der Sowjetunion herbeiführten.
Bereits am 29. August 1991, eine gute Woche nach dem Putsch, waren Rußland und die Ukraine übereingekommen, „provisorische Strukturen unter Beteiligung interessierter Mitgliedstaaten der früheren UdSSR“ zu bilden, um so „ein unkontrolliertes Auseinanderfallen des Bundesstaates zu verhindern“ Zu entsprechenden Schritten kam es jedoch nicht. Vielmehr beschloß der Volkskongreß der UdSSR unter dem Druck Rußlands und der übrigen Republiken eine Übergangsverfassung, durch die die Macht vom Präsidenten (Gorba-tschow) auf einen von den Republiksführern gebildeten Staatsrat verlagert, der Unionsgesetzgeber weitgehend entmachtet und der Bundesstaat in einen Staatenbund umgewandelt wurde Der nächste Schlag gegen die Union war der Abschluß eines Vertrages über die Gründung einer „Wirtschaftsgemeinschaft Unabhängiger Staaten“ vom Oktober 1991 die auch den inzwischen aus der UdSSR ausgeschiedenen baltischen Staaten offen-stehen sollte.
Am 25. November 1991 wurde der Öffentlichkeit der zwischen Gorbatschow, Jelzin und Kasachstans Präsidenten Nasarbajew abgestimmte neue Entwurf eines Unionsvertrages vorgelegt („Vertrag über die Union Souveräner Staaten“) der die Auszehrung der Bundesstaatlichkeit noch weiter vorantrieb. Zwar sollte die Union grundsätzlich ein „Staat“ mit Staatsangehörigkeit, direkter Wahl des Obersten Sowjets (Parlament) und sogar des Präsidenten sowie einem Obersten Gericht sein, aber die Kompetenzen der Union sollten nicht mehr Aufgabengebiete primär des Unionsgesetzgebers sein, sondern vor allem durch multilaterale Abkommen der Vertragsstaaten geregelt werden (Art. 6). So wichtige (und unangenehme) Fragen wie die Steuererhebung, der Haushalt oder das Vermögen der Union waren von vornherein besonderen Vereinbarungen der Mitgliedstaaten Vorbehalten und folglich ausgeklammert worden.
Als am 1. Dezember 1991 zirka 90 Prozent der Bevölkerung in der Ukraine für ihre staatliche Unabhängigkeit votierten, war der Fortbestand der Union unter Einschluß der Ukraine praktisch unmöglich geworden Vergeblich machte Jelzin den Versuch, den ukrainischen Präsidenten zur Erneuerung der UdSSR zu bewegen. Vorübergehend erwog er, die Verabschiedung des Unionsvertrages ohne die Ukraine zu betreiben. Er und der weiß-russische Staatspräsident Schuschkewitsch mußten schließlich bei ihrem Treffen mit Krawtschuk am 7. Dezember 1991 in Minsk erkennen, daß die Ukraine zu keinem staatsrechtlichen Zusammenschluß mehr bereit war, sondern nur noch eine völkerrechtliche Form der Gemeinschaft akzeptieren wollte Früheren interrepublikanischen bi-und multilateralen Ansätzen folgend, schlossen die drei Staatsoberhäupter am 8. Dezember 1991 in Minsk ein Abkommen über die Gründung einer „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“. Es beginnt mit der Feststellung, „daß die Union der SSR als Subjekt des Völkerrechts und geopolitische Realität ihre Existenz beendet (habe)“ Dieser Schritt war im Alleingang, ohne Konsultationen mit den anderen Republiken unternommen worden, und dementsprechend groß war die Überraschung und zum Teil auch Entrüstung in der Öffentlichkeit des Landes. Gleichwohl wurde das Abkommen bis zum 12. Dezember 1991 von den Parlamenten der drei Signatarstaaten ohne ernsten Widerstand ratifiziert. Man vergaß dabei nicht, den Gründungsvertrag der UdSSR vom 30. Dezember 1922 förmlich aufzukündigen.
Nachdrücklich trat der Oberste Sowjet Rußlands der Deutung entgegen, der Zusammenschluß sei eine exklusive „slawische Union“ und in der Tat lud der Vertrag von Minsk andere Staaten ausdrücklich zum Beitritt ein. Er zielte vor allem auf die mittelasiatischen Republiken, die über ihre Zurücksetzung politisch zwar zunächst verärgert waren, sich dann aber auf der erweiterten (zweiten) GUS-Gründungskonferenz von Alma-Ata am 21. Dezember 1991 anschlossen, ohne dabei noch substantielle Änderungen an dem Abkommen erreichen zu können. Mit ihnen gingen auch Aserbajdschan und Armenien. Georgien, das zu dieser Zeit der zu Ende gehenden Herrschaft Präsident Gamsachurdias innenpolitisch zerrissen, außenpolitisch isoliert und als Staat international (noch) nicht anerkannt war, hielt sich abseits. Als Gamsachurdia dann am 24. Dezember 1991 seine Bereitschaft zum Beitritt bekundete, um aus der für seine Herrschaft bedrohlich gewordenen Isolierung auszubrechen, wurde er aufgrund einer von Jelzin koordinierten Umfrage von den Staatsoberhäuptern der GUS-Staaten unter Hinweis auf schwere Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in Süd-Ossetien, abgewiesen Objektiv mochte die Begründung gerechtfertigt gewesen sein, angesichts der bedrückenden Menschenrechtsverhält nisse in einigen GUS-Staaten konnte sie aber nicht völlig überzeugen. Nach der Wahl Eduard Schewardnadses zum Staatsoberhaupt hat Georgien keine neue Initiative zum Beitritt ergriffen, doch entsendet es seither zu den GUS-Gipfeltreffen regelmäßig Beobachter
Den funktionslos gewordenen, noch existierenden Organen der Union blieb nach der Konferenz von Alma-Ata nur noch der Abtritt: Präsident Gorbatschow legte am 25. Dezember 1991 sein Amt nieder, der Oberste Sowjet der UdSSR beendete seine Tätigkeit förmlich am folgenden Tage. Im Kreml wurde die Fahne der Sowjetunion eingeholt.
II. Der Streit um das Profil der „Gemeinschaft“
1. Konzeptionelle Gegensätze Der überstürzte, ungeordnete und improvisierte Übergang von der UdSSR zur GUS belegt einerseits zwar eindrucksvoll die Unwiderstehlichkeit der in diesem historischen Prozeß wirksamen Dynamik, andererseits lag darin aber eine schwere Belastung des Neuanfanges. Er wurde durch starke Meinungsverschiedenheiten, konzeptionelle Gegensätze, juristische Unsicherheiten, machtpolitische Rivalitäten, Mißtrauen und persönliche Animositäten verdunkelt.
In dem Streit um die politische Substanz, die Dichte der „Gemeinschaft“ und ihre rechtliche Qualität gibt es seit Anbeginn zwei Richtungen bzw. Grundpositionen: die Konföderalisten und die Kooperationisten.
Die Konföderalisten wollen in der Gemeinschaft einige wesentliche Aufgaben (Äußeres, Verteidigung, Währung, Wirtschaft, Verkehr) in integrierter Form erfüllen, damit einen Kernbestand von Bundeskompetenzen und einen Kernbereich von Staatlichkeit bewahren. Sie orientierten sich dabei -zumindest anfänglich -an dem Entwurf des Unionsvertrages vom November 1991. Entschiedenster Anhänger dieser Richtung ist Kasachstans Präsident Nasarbajew.
Die Kooperationisten wollen von ihrer teils zäh erkämpften, teils unverhofft erlangten nationalstaatlichen Unabhängigkeit nur das unbedingt Notwendige preisgeben. Zwar sehen auch sie die Nachfolgestaaten der UdSSR in einer gewissen Schicksals-und Interessengemeinschaft. Sie bejahen daher eine freilich nur begrenzte Zusammenarbeit bei der Lösung der allen gemeinsamen Probleme und Schwierigkeiten. Aber sie wollen daraus keinen Dauerzustand machen, sondern halten die GUS lediglich für einen nützlichen, stabilisierenden Kooperationsrahmen während der angebrochenen Übergangsperiode, für eine Liquidationsgemeinschaft auf Zeit. Sprachrohr dieser Richtung ist die Ukraine.
Eine ambivalente, unsichere und schwankende Position nimmt in dieser Konfliktlage Rußland ein. Einerseits betrachtete es sich als alleinigen, exklusiven Rechtsnachfolger der UdSSR, als natürlichen Erben ihrer Weltmachtstellung, und neigt dazu, die GUS als einen hegemonialen Ordnungsrahmen insbesondere zum Schutz der russischsprachigen Minderheiten jenseits der neuen Grenzen, aber auch zur Neutralisierung des antirussischen Separatismus in den eigenen Grenzen der „Föderation“ zu sehen, andererseits schien und scheint Rußland an einem engeren, integrierten Verband mit einem eigenen Machtzentrum neben bzw. über sich desinteressiert zu sein und die unverbindlichen Formen freiwilliger Kooperation zu bevorzugen. Auf militärisch-strategischem Gebiet versteht gerade auch Rußland die GUS als ein Transitorium, da es erklärtermaßen dafür eintritt, die „noch“ auf dem Boden der Ukraine, Kasachstans und Weißrußlands befindlichen nuklearstrategischen Waffensysteme zu übernehmen und die Atommacht UdSSR allein fortzuführen, womit das „Vereinte Kommando der GUS-Streitkräfte“ gegenstandslos würde
Die Unsicherheit Rußlands ist kein Zufall, denn sie ist in gewisser Weise unausweichlich. Sie ergibt sich zum einen aus dem objektiven politischen Mißverhältnis innerhalb der GUS, aus dem gewaltigen, unaufhebbaren Übergewicht der Rußländischen Föderation, zum anderen aus der imperialen Tradition des Landes und ihren psychologisch-programmatischen Fortwirkungen bei der Neuformierung seiner politischen Kräfte (Parteien).
Es ist vor allem diese unaufhebbare politische Hypothek und Strukturschwäche einer jeden mit Rußland eingegangenen Gemeinschaft, welche die Ukraine veranlassen, sich nur halbherzig in die GUS zu integrieren, da sie fürchtet, daß alle mit eigener Macht ausgestatteten Gemeinschaftsinvestitionen kraft des faktischen russischen Übergewichts über kurz oder lang eine neue Hegemo-nialstruktur, eine neue Moskauer Zentralmacht entstehen lassen würden. Von diesem ukrainischen Mißtrauen gegenüber dem „groß(russisch) en Bruder“ ist das bisherige Schicksal der GUS entscheidend geprägt worden. Eine Einigung unter Einschluß der Ükraine ist nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Kooperation möglich. Die Aufgaben der GUS, ihre Organisationsstruktur und die Auseinandersetzungen um ihre Ausgestaltung und Fortentwicklung liefern dafür laufend neues Anschauungsmaterial. Der unüberbrückbare konzeptionelle Gegensatz hat längst zu einer faktischen Spaltung der GUS in zwei Staatengruppen geführt: erstens die Gruppe der zu koordiniertem, gemeinschaftlichem Handeln bereiten Staaten, zu denen Armenien, Kasachstan, Kyrgystan, Rußland, (noch) Tadschikistan und Usbekistan sowie -zumeist -auch Weißrußland gehören; zweitens die Gruppe der an einer nur lockeren Kooperation interessierten „unsicheren Kantonisten“ Aserbajdschan, Moldowa, Turkmenistan und die Ukraine. Wesentlichen Einfluß auf diese Entwicklung hat die Konfrontation zwischen der Ukraine und Rußland auf militärischem Gebiet gehabt
Die Gründungsdokumente der GUS hatten die Integration der Streitkräfte auf die strategischen Verbände und Waffensysteme der früheren Sowjetarmee beschränkt und dementsprechend ein „Vereintes Kommando“ für den „militärisch-strategischen Raum“ vorgesehen. Die Möglichkeit, eigene nationale Streitkräfte aufzustellen, war folglich den Mitgliedstaaten Vorbehalten und ist in dem Abkommen über die Streitkräfte und Grenztruppen ausdrücklich bestätigt worden. Im Unterschied zur Rußländischen Föderation, die (zunächst) auf eigene Streitkräfte verzichtet und die auf ihrem Territorium dislozierten Verbände dem GUS-Kommando überlassen hatte (und ihm auch überlassen konnte, weil es aus dem Moskauer Verteidigungsministerium und dem Generalstab der UdSSR mit naturgemäß starkem russischen Übergewicht hervorgegangen war), ging die Ukraine entsprechend ihren Vorankündigungen schon Mitte Dezember 1991 zielstrebig zum Aufbau einer nationalen Armee über Praktisch geschah dies auf der Grundlage der innerhalb ihrer Grenzen stationierten sowjetischen Truppenverbände. Ähnlich gingen auch andere Republiken vor. Die dabei unausweichlich entstehenden Konflikte lösten insbesondere in dem teilweise stark russifizierten Offizierkorps erhebliche Unruhe aus.
Aus der Erkenntnis, dem Aufbau eigener russischer Streitkräfte nicht mehr ausweichen zu können, zur Sicherung der militärischen Interessen Rußlands und unter dem Druck der in Rußland aufstrebenden konservativen, großrussisch eingestellten Opposition begann Jelzin am 4. März 1992, einseitig, d. h. durch Dekret und ohne Rücksprache mit den GUS-Partnerstaaten, damit, auch und gerade die außerhalb Rußlands befindlichen Truppen und sogar ganze „Wehrbezirke“ der früheren UdSSR „der Jurisdiktion der Rußländischen Föderation zu unterstellen“ (4. März: Deutschland, Polen, Mongolei; 19. März: Transkaukasischer Wehr-bezirk und Kaspische Flotte; 1. April: Moldau).
Als die Ukraine diesem Beispiel folgte und am 5. April 1992 einseitig die Übernahme der Schwarzmeerflotte verfügte, kam es zum offenen Konflikt nicht nur mit dem Vereinten Kommando der GUS, das die Flotte zu den strategischen Verbänden zählte und in der Maßnahme folglich einen vertragswidrigen Übergriff in ihren Kompetenzbereich sah, sondern auch mit Rußland, das neben dem Verlust der (zu 90 Prozent von Russen besiedelten) Halbinsel Krim ein solches Übergewicht der Ukraine im Süden nicht hinzunehmen bereit war. Am 7. April 1992 unterstellte Jelzin die Schwarzmeerflotte russischer Jurisdiktion und übertrug ihre Ausübung -wie schon in den vorausgegangenen Fällen -dem Vereinten Oberkommando der GUS. Der Streit um die Flotte konnte in den folgenden Monaten auf bilateralem Verhandlungswege zwischen beiden Staaten beigelegt werden.
Daß sich Rußland als „geborenen Erben“ aller Sowjetstreitkräfte empfindet, wurde erneut sichtbar, als es am 9. September 1992 die in Tadschikistan stationierten Truppenverbände übernahm, diese nun aber nicht mehr der GUS, sondern dem eigenen Verteidigungsminister unterstellte.
2. Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft
Die Abkommen von Minsk und Alma-Ata stellen völkerrechtliche Verträge zwischen souveränen Staaten dar, die -in Anlehnung an „Korb I“ der Schlußakte von Helsinki -die Prinzipien ihrer Wechselbeziehungen bestimmen (Souveränität, Gleichberechtigung, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, Gewaltverzicht, Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, der Menschenrechte und der Rechte nationaler Minderheiten, friedliche Streitbeilegung usw.). Die politische Substanz der Gemeinschaft, ihre Aufgaben und Organisationsstrukturen werden daneben nur mit teilweise sehr vagen Absichtserklärungen Umrissen. Noch verhältnismäßig konkret werden die Aufgaben der GUS, vor allem auf militärischem Gebiet bestimmt:
-Die Gemeinschaft soll einen „gemeinsamen militärisch-strategischen Raum“ bilden, dabei „die Stationierung, Funktionsweise sowie die materielle und soziale Sicherung der strategischen Streitkräfte“ garantieren, eine „einheitliche Kontrolle über die Kernwaffen“ sicherstellen und ferner bei der internationalen Friedenssicherung, vor allem bei Abrüstungsmaßnahmen, Zusammenarbeiten (Art. 6 Minsk). Hinzu treten (Art. 7 und 8):.
-„die Koordination der außenpolitischen Aktivitäten“;
-„die Zusammenarbeit bei der Bildung und Entwicklung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes, eines gesamteuropäischen (!?) und eurasischen Marktes“ unter Einschluß der Zollpolitik;
-die „Zusammenarbeit“ im Transport-und Fernmeldewesen;
-die „Zusammenarbeit“ im Umweltschutz, (auch) im Hinblick auf ein „allumfassendes internationales System der ökologischen Sicherheit“ sowie -speziell -„bei der Bewältigung der Folgen von Tschernobyl“;
-Fragen der Migrationspolitik und
-die Bekämpfung des organisierten Verbrechertums. Der Katalog umschreibt die „Sphäre der gemeinsamen Tätigkeit“ der GUS-Staaten. Es handelt sich um den Kernbereich jener grenzüberschreitenden Probleme in der aufgelösten UdSSR, in dem die Gemeinsamkeit der Interessen der Nachfolgestaaten den höchsten Grad aufweist. Im wesentlichen stimmt er mit dem Kompetenzkatalog überein, den der letzte Entwurf des Unionsvertrages vorgesehen hatte.
Insgesamt haben die GUS-Staaten die aufgelisteten Sachbereiche inzwischen durch über 80 Abkommen konkretisiert und ausgestaltet, die jedoch nur zu einem begrenzten Teil von beiden Staaten-gruppen gemeinsam getragen werden. Das betrifft insbesondere die zahlreichen auf militärischem Gebiet geschlossenen Vereinbarungen.
Der entsprechend den beschriebenen Staaten-gruppen unterschiedliche Geltungsbereich der GUS-Abkommen könnte dazu verleiten, von einer „Gemeinschaft der zwei Geschwindigkeiten“ zu sprechen, aber der damit nahegelegte Vergleich mit den westeuropäischen Integrationsproblemen wäre eine schwere Irreführung, weil die von der integrationsbereiten Staatengruppe getroffenen Vereinbarungen teilweise nur schwach oder gar nicht realisiert werden. Auch dieser Teil der GUS kommt, um im Bilde zu bleiben, praktisch kaum von der Stelle oder bewegt sich bestenfalls im Schneckentempo vorwärts.
III. Institutionen und Organe der GUS
Das Gründungsabkommen von Minsk bestimmt, daß die Aufgaben von „koordinierenden Instituten der Gemeinschaft“ realisiert werden sollen, die „auf der Grundlage der Gleichberechtigung“ der Teilnehmerstaaten, also paritätisch, strukturiert sein müssen. Eine Sonderregelung gilt allein im militärisch-strategischen Bereich, in dem das bereits erwähnte „Vereinte Kommando“ vorgesehen ist. Diese vagen Aussagen wurden in den darauf-folgenden Wochen präzisiert und mit Leben erfüllt. Keine Chance hatte allerdings der bereits auf dem (ersten) Gipfeltreffen von Minsk und seither wiederholt gemachte Vorschlag, der GUS über Gründungsverträge hinaus durch eine „Charta“ (Statut) eine festere Form zu geben. Er scheiterte an dem hartnäckigen Widerstand der Ukraine. Ein knappes Jahr nach Gründung der GUS ergibt sich so folgendes Bild ihrer Organisationsstrukturen
1. Höchstes Organ der GUS ist der Rat der Staatsoberhäupter. Da Aserbaidschans Staatspräsident Elcibey in der GUS nicht mitarbeitet handelt es sich um zehn Personen, die meist Staatspräsidenten, teilweise auch Parlamentspräsidenten sind. Der Vorsitz wechselt unter ihnen in der Reihenfolge des russischen Alphabets. Der Rat kann im Rahmen des beschriebenen Aufgabenkatalogs Beschlüsse fassen, darüber aber auch einvemehmlich hinausgehen. Entsprechend dem Prinzip der Gleichberechtigung hat jeder Staat eine Stimme. Sachentscheidungen müssen im Konsensverfahren, d. h. einstimmig getroffen werden, doch können die Staatsoberhäupter nach ihrem politischen Ermessen das Desinteresse ihres Staates an einer Frage bekunden. Geschieht dies, kommt die Vereinbarung nur unter den interessierten Staaten zustande (sofern sie einstimmig dafür sind).
Diese Regelung hat zwar die GUS bislang vor völliger Unbeweglichkeit und Handlungsunfähigkeit bewahren können, jedoch um den Preis, daß die auf den Gipfeltreffen gefaßten Beschlüsse im allgemeinen nur für einen Teil der GUS-Staaten Geltung erlangen, der je nach Abkommen im übrigen durchaus unterschiedlich bestimmt sein kann.
Der Rat der Staatsoberhäupter soll mindestens zweimal im Jahr zusammentreten. Daß er sich 1992 zu mehreren Gipfeltreffen traf ist ein Indiz für den hohen Problemdruck, aber auch für die politische Schwierigkeit, Entscheidungen zu delegieren. Entgegen der erklärten Absicht, sich „regelmäßig“ in Minsk, dem offiziellen Sitz der GUS, zu versammeln, finden die Treffen wechselnd in den Hauptstädten der Teilnehmerstaaten statt. Dem Eindruck, die GUS besitze eine „Hauptstadt“, wird so gezielt entgegengewirkt. Die Einberufung der Sitzungen obliegt nicht dem jeweiligen Ratsvorsitzenden, sondern der nächste Sitzungstermin wird zusammen mit der Tagesordnung gemeinsam verbindlich festgelegt.
2. Völlig im Schatten der Staatsoberhäupter steht der Rat der Regierungschefs, der im Prinzip ebenso strukturiert ist und ebenso arbeiten soll wie der Rat der Staatsoberhäupter. Auch seine Sitzungsfrequenz ist häufiger als, wie vorgesehen, vierteljährlich. Staats-und Regierungschefs können auch zu gemeinsamen Sitzungen Zusammentreffen. Eine Kompetenzabgrenzung zwischen den beiden Räten ist im Grundsatz nicht erfolgt; sie ergibt sich jedoch aus der Generalkompetenz der Staatsoberhäupter, über die grundsätzlichen Fragen der Innen-und Außenpolitik zu entscheiden. Die Regierungschefs sind demgegenüber auf die konkreteren, insbesondere ökonomischen Durchführungsentscheidungen verwiesen. Lediglich für den Bereich der Verteidigung sind die Kompetenzen beider Organe genau definiert worden.
3. Aufgrund des Mandats der beiden Räte, ständige (oder auch zeitweilige) „Arbeits-und Hilfsorgane“ ins Leben zu rufen, gibt es Fachministerkonferenzen, und zwar u. a. solche der Außen-, Verteidigungs-, Wirtschafts-oder Verkehrsminister der GUS-Staaten, die zur Vorbereitung der Gipfeltref-fen abgehalten werden In diesem Rahmen kamen die Chefs der Auslandsaufklärungsdienste der elf GUS-Staaten auf einem Treffen am 25. März 1992 überein, auf eine wechselseitige Ausspionierung zu verzichten Schon mit Blick auf die Konfrontation zwischen Rußland und der Ukraine ist höchst zweifelhaft, daß man sich an diese Absichtserklärung auch tatsächlich hält.
4. Aufgrund des Mandats, Hilfsorgane einzurichten, wurde Mitte Februar 1992 am Sitz der GUS eine (ständige) „Arbeitsgruppe für die Vorbereitung und Durchführung des Rates der Staatsoberhäupter und des Rates der Regierungschefs“ eingerichtet. Sie erfüllt die Aufgaben eines technischen Sekretariats. Ihre Größe ist sehr bescheiden, und ihre organisatorischen Schwierigkeiten sind ein Spiegelbild der GUS-Verhältnisse insgesamt. Das „Sekretariat“ leitet der Weißrusse Iwan Komischen als „Koordinator“. Ihm zur Seite sollen zwei von jedem Staat entsandte Vertreter stehen, und zwar jeweils einer vom Parlament und einer von der Regierung. Tasächlich haben viele GUS-Staaten nur einen Vertreter abgeordnet oder ihren Botschafter in Weißrußland zusätzlich mit der Aufgabe betraut.
Die Arbeitsgruppe gliedert sich in vier Abteilungen (Wirtschaftsanalyse, Völkerrecht, Organisation, Presse) mit insgesamt 90 Planstellen, von denen aber nur 65 besetzt sind. Die Gründe liegen nicht zuletzt in der schwachen Finanzausstattung des Sekretariats, für dessen Betrieb jeder Teilnehmerstaat sechs Mio. Rubel pro Jahr entrichtet -angesichts allein der hohen Bürokosten (1, 5 Mio. Rubel pro Monat) und der Inflation insgesamt ein völlig unangemessener Beitragssatz. Die Arbeitsgruppe bereitet die Sitzungen der Staats-und Regierungschefs vor und betreut in diesem Zusammenhang die Expertengruppen, die auf Beschluß eines der Räte die Entwürfe der Vereinbarungen ausarbeiten. Die mit der Durchführung von Gipfeltreffen vor Ort anfallenden organisatorischen Maßnahmen liegen nicht in Händen der Arbeitsgruppe, sondern werden ad hoc von einem Organisationskomitee getroffen.
Anfänglich war das Sekretariat Gegenstand hoher Erwartungen von Bürgern aus den GUS-Staaten. Delegationen aus Transkaukasien oder mit Bussen angereiste Frauen aus Transnistrien tauchten bei ihm auf, und körbeweise gingen in Minsk Beschwerden über von seiten der Behörden widerfahrenes Unrecht ein. Minsk wurde -anstelle von Moskau -vielfach für die (neue) „Hauptstadt unserer Heimat“ gehalten. Die Enttäuschung war unvermeidlich, und seit dem Sommer 1992 ist das Interesse an der Arbeitsgruppe drastisch zurückgegangen. Man hat inzwischen eingesehen, daß die GUS -wie es die Deklaration von Alma-Ata ausdrücklich feststellt -„weder ein Staat noch ein überstaatliches Gebilde“ ist und daß die Notwendigkeit," die herrenlos gewordenen Streitkräfte der untergegangenen UdSSR unter funktionierender politischer sowie militärtechnischer Kontrolle zu halten, die entscheidende Rechtfertigung für ein Mindestmaß an institutionellem Zusammenhalt der UdSSR-Nachfolgestaaten liefert. Die Verhältnisse auf diesem Gebiet offenbaren ein solches Durcheinander, daß dieser Zweck nur sehr unvollkommen oder teilweise gar nicht erfüllt wird. Immerhin scheint aber der Entscheidungsmechanismus für den Nuklearwaffeneinsatz den gebotenen Sicherheitsanforderungen zu genügen. Über die „Schlüsselgewalt“ verfügen der russische Präsident Jelzin und der Chef der GUS-Streitkräfte, Marschall Schaposchnikow, gemeinsam, indes nicht eigentlich aufgrund einer Vereinbarung des Rates der Staatsoberhäupter, sondern aufgrund eines geheimen Dekrets, das Jelzin im Dezember 1991 nach der Übergabe der „roten Knöpfe“ durch Präsident Gorbatschow erließ
5. Die politischen, rechtlichen und organisatorischen Grundlagen der Streitkräfte sind in ungefähr zwei Dutzend Abkommen enthalten, die die zur Integration bereite Staatengruppe der GUS seit dem Gipfeltreffen von Kiew sukzessive verabschieden konnte. Sie betreffen vor allem: die Befugnisse der höchsten Organe der GUS in Verteidigungsfragen, das Statut über das Kommando der Vereinten Streitkräfte der GUS und über den Status des Oberkommandierenden, die Rechtsgrundlagen der Vereinten Streitkräfte, die Prinzipien der personellen Ergänzung der Vereinten Streitkräfte, den Status der „Streitkräfte gemeinsamer Zweck-bestimmung“, die Streitkräfte der GUS in der Übergangsperiode, eine Deklaration über die Nichtanwendung von Gewalt und Gewaltandrohung in den Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten der GUS, die Bildung gemeinsamer Grenztruppen der GUS, die Aufstellung von „peacekeeping forces“ und einen Vertrag über kollektive Sicherheit Herausragende Bedeutung haben das Abkommen über die Kompetenzverteilung in Verteidigungsfragen vom 20. März und der „Vertrag über kollektive Sicherheit“ vom 15. Mai 1992. Das Kompetenzabkommen bestimmte insbesondere die den GUS-Streitkräften zugehörigen Verbände. Sie umfassen „die strategischen Streitkräfte, die Streitkräfte der Teilnehmerstaaten der Gemeinschaft unter der Entscheidungsgewalt dieser Staaten sowie die Streitkräfte gemeinsamer Zweckbestimmung“. Diese Definition wird -zusammen mit dem Abkommen -allerdings nur von sieben GUS-Staaten anerkannt (Armenien, Belarus, Kasachstan, Kyrgystan, Rußland, Tadschikistan und Usbekistan). Das Abkommen besitzt eine wesentliche Schwäche, denn es regelt nicht die Befugnisse des Rates der Verteidigungsminister.
Der Vertrag über die kollektive Sicherheit wurde für fünf Jahre mit halbjähriger Kündigungsfrist und der Möglichkeit der Verlängerung geschlossen. Die Teilnehmerstaaten verpflichteten sich, keinem Bündnis beizutreten, das einen anderen GUS-Staat bedrohen könnte, militärische Unterstützung zu leisten, falls ein Teilnehmerstaat -von welcher Seite auch immer -angegriffen werde, und sich in allen internationalen Sicherheitsfragen regelmäßig zu konsultieren. Es wurde für Gefahrensituationen ein besonderer Konsultationsmechanismus vereinbart. Die Entscheidung über die Leistung militärischer Hilfe wurde den Staatsoberhäuptern der Paktstaaten übertragen (d. h. nicht dem GUS-Rat der Staatsoberhäupter). Der Pakt besitzt den Schönheitsfehler, daß ihn nur noch eine knappe Mehrheit der GUS-Staaten unterschrieb: Rußland, Kasachstan, Usbekistan, Kyrgystan, Tadschikistan und Armenien Nicht nur die Ukraine, sondern selbst Weißrußland hielt sich mit der fragwürdigen Begründung, daß es „neutral“ bleiben wolle, abseits. Wann der Vertrag in Kraft treten wird, ist ungewiß, da sich die (erforderliche) Ratifikation wegen der instabilen politischen Verhältnisse in einzelnen Teilnehmerstaaten hinzieht. Erfolglos mußte daher der Versuch Armeniens bleiben, die Beistandsklausel des Paktes für sich zu nutzen, als im August 1992 aserbaidschanische Truppen armenisches Territorium angriffen
Was die Führung der Streitkräfte anbetrifft, besteht unterhalb der Räte der Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Verteidigungsminister das bereits im Gründungsvertrag von Minsk vorgesehene Vereinte Kommando, dessen Chef, der Marschall Schaposchnikow, sich während des August-Putsches als verfassungsloyaler Soldat erwiesen hatte und darauf zum (letzten) Verteidigungsminister der UdSSR befördert worden war. Die Befehlsgewalt des Vereinten Kommandos erstreckt sich nicht nur auf die strategischen Waffensysteme, sondern auch auf die konventionellen Truppenverbände derjenigen Staaten, die dem Kompetenzabkommen vom März 1992 beigetreten sind. Da deren Verteidigungsministerien bzw. Staatsführungen jedoch mitunter sehr selbstherrlich in die ihrer „Jurisdiktion“ unterstellten Truppenverbände hineinregieren, wie dies am Beispiel Rußlands bereits deutlich geworden ist, liegen die realen Kompetenzverhältnisse ziemlich im Nebel.
Wie schwierig es innerhalb der GUS ist, trotz gefaßter Beschlüsse zu einer wirklichen Übereinstimmung und gemeinsamem Handeln zu gelangen, zeigt exemplarisch die Auseinandersetzung um die Aufstellung einer GUS-Friedenstruppe (peacekeeping forces). Auf dem März-Gipfel in Kiew Unterzeichneten mit Ausnahme von Turkmenistan alle GUS-Staaten ein entsprechendes Grundsatzabkommen. Die Ukraine machte allerdings den Vorbehalt, daß die Entscheidung über ihre Beteiligung in jedem Einzelfall von ihrem Parlament getroffen werde, und Aserbajdschan machte seine endgültige Teilnahme von einer parlamentarischen Zustimmung zu dem Abkommen abhängig
Obwohl die zahlreichen Völker-und Bürgerkriege im GUS-Raum eine rasche Realisierung des Abkommens bzw. die Aufstellung entsprechender Einheiten dringend erfordert hätten, ließ man sich -vielleicht in der Hoffnung, doch noch eine von allen Mitgliedstaaten getragene Lösung zu finden -mit der praktischen Durchführung monatelang Zeit. Unter dem Eindruck des verschärften Bürgerkrieges in Moldowa sprach sich der Moskauer Gipfel für die „möglichst schnelle“ Aufstellung einer Friedenstruppe aus, und schon eine Woche später gelang es auf dem Treffen von Taschkent, die Details durch mehrere „Protokolle“ zu regeln Auf Druck Rußlands bzw. Jelzins gelang es dem Ständigen Vertreter der Vereinten Streitkräfte in der Minsker „Arbeitsgruppe“, Oberst W. Wolkov, bis zum 12. August 1992 die Unterschriften von sieben GUS-Staatsoberhäuptem unter das Protokoll zu erlangen; Aserbajdschan, Belarus, Turkmenistan und Ukraine unterschrieben nicht. Trotz dieses begrenzten Erfolges ist es bis heute zu keinem Einsatz einer der zwischenzeitlich von einigen Staaten aufgestellen Friedenstruppen unter GUS-Regie gekommen. Entweder waren die von den Kämpfen betroffenen GUS-Staaten nicht handlungsfähig, oder aber sie unterließen ein förmliches Ersuchen. Im Falle Tadschikistans ist die Situation besonders kompliziert
Die Vorgänge dürfen auch als Beleg für die Autoritätsschwäche und für das Mißtrauen gewertet werden, das der GUS von einigen Mitgliedstaaten entgegengebracht wird. Denn im Sommer 1992 ist es tatsächlich zu Einsätzen von Friedenstruppen gekommen, jedoch aufgrund bilateraler Absprachen, so im Juli zwischen Rußland und Georgien wegen Süd-Ossetien bzw. zwischen Rußland und Moldowa wegen Transnistrien. Trotz der wenig ermutigenden Erfahrungen scheint man die militärische Zukunftsaufgabe der GUS -den Vereinten Nationen vergleichbar -in der Unterstellung von (regionalen) peacekeeping forces zu sehen
6. Strukturen und Aktivitäten auf ökonomischem Gebiet. Die Gründungsdokumente der GUS gehen zwar von der Bildung und Entwicklung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes, eines „eurasischen Marktes“ aus, aber auch hier hat der Zerfall in zwei Staatengruppen das Ziel schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Bereits am 14. November 1991 beschloß die Ukraine, eine eigene Währung einzuführen und machte damit 1992 ernst. Andere GUS-Staaten sind diesem Beispiel gefolgt. Die gleichwohl erreichten Fortschritte institutioneller Art auf ökonomischem Gebiet sind daher von vornherein fragwürdig. Nach langen Diskussionen und unter dem Druck einer sich allenthalben dramatisch fortsetzenden wirtschaftlichen „Talfahrt“ wurde auf dem Gipfel von Bischkek im Oktober 1992 bei dem Rat der Staatsoberhäupter ein „Konsultatives ökonomisches Arbeitskomitee“ eingerichtet. Ein mit Koordinationsbefugnissen ausgestattetes Organ scheiterte am Einspruch der Ukraine. Ferner einigte sich die integrationsbereite Staatengruppe grundsätzlich auf den Rubel als gemeinsame Währung und über die Einrichtung einer gemeinsamen Zentralbank, ohne hier jedoch die entscheidende Frage zu klären, ob diese auf der Basis der Rußländischen Nationalbank gebildet werden sollte, welchen Rechtsstatus sie ha ben werde und welchen Einfluß die GUS-Staaten auf sie besitzen sollten
Ein anderes, die GUS-Staaten im Finanzbereich verbindendes Element ist die Abzahlung der Altschulden der Sowjetunion. Am 28. Oktober 1991 hatte die Mehrheit von ihnen die UdSSR-Auslandsschulden (Schätzungen schwanken zwischen 65 und 80 Milliarden US-Dollar) in einem Memorandum of Understanding übernommen, dem in der Folgezeit auch die restlichen GUS-Staaten und Georgien beitraten Gemäß einem untereinander geschlossenen Vertrag über die Aufteilung der Aktiva und Passiva entfallen u. a. auf die Rußländische Föderation 61, 34, die Ukraine 16, 37, Weißrußland 4, 13 und Kasachstan 3, 86 Prozent der Schuldenlast. Zahlungen hat vorläufig nahezu ausschließlich Rußland geleistet. Zuständig für die Schuldenverwaltung ist ein Zwischenstaatlicher Rat, dem die einstige Außenwirtschaftsbank der UdSSR als Schuldenverwalter unterstellt wurde. Ob es bei dieser Konstruktion bleiben wird, ist fraglich.
Auf dem Moskauer Gipfeltreffen vom Juli 1992 hat man sich in den Grundzügen auf die Errichtung eines Wirtschaftsgerichtshofes der GUS geeinigt.
Ob diese Institutionen überhaupt und wenn ja, wie sie arbeiten werden, ist höchst ungewiß.
7. Ein weiteres Organ ist die „Interparlamentarische Versammlung der GUS-Staaten“. Die Anregung hierzu hatte der scheidende Oberste Sowjet der UdSSR der GUS noch mit auf den Weg gegeben. Nach mehreren Anläufen wurde sie von den Parlamentspräsidenten am 27. März 1992 in Alma-Ata vereinbart, um auch auf der Ebene der gesetzgebenden Organe die unmittelbare Zusammenarbeit zur Förderung der GUS-Ziele zu entwickeln. Die auf den Gipfelkonferenzen des Rates der Staatsoberhäupter getroffenen Abkommen sollen durch parlamentarische Initiativen ergänzt und in die innerstaatliche Praxis umgesetzt werden. Auch bei dieser Institution verweigerte die integrationsfeindliche Staatengruppe -Aserbajdschän, Moldowa, Turkmenistan und Ukraine -ihre Beteiligung.
Das Abkommen bestimmt nicht das Verfahren, in dem die Parlamentsdelegationen gebildet werden sollen, sondern überläßt dies ebenso wie die Bestimmung ihrer Befugnisse den nationalen Parlamenten. Etwa ein halbes Jahr später (Mitte September 1992) fand die erste „Interparlamentari-sehe Sitzung der GUS-Staaten“ in Bischkek, der Hauptstadt Kyrgystans, statt. Vertreten waren außer dem Gastgeberland nur noch Rußland, Weißrußland, Kasachstan und Tadschikistan; Usbekistan und Turkmenistan blieben fern, Aserbaidschan hatte wie üblich Beobachter entsandt. Zum Vorsitzenden der Versammlung wurde für ein Jahr der russische Parlamentspräsident Ruslan Chasbulatow gewählt. Die Versammlung gab sich eine Verfahrensordnung und bildete ständige Ausschüsse für die Zusammenarbeit in rechtlichen, wirtschaftlichen, humanitären, ökologischen und militärischen Fragen
Die Ergänzung der von der Exekutive beherrschten GUS-Organe um ein Kooperationsgremium im Bereich der Legislative ist im Ansatz zweifellos sinnvoll. Die Versammlung könnte auch einigen Nutzen erzielen, da sie ausschließlich von der Gruppe der kooperationsbereiten Mitgliederstaaten gebildet wird. Das Parlament Rußlands hat sich jedenfalls durch entsprechende Organisationsmaßnahmen auf eine gewisse Koordination der Gesetzgebung eingestellt
IV. Zur Rechtsnatur der GUS
Versucht man, die GUS in die Organisationstypenvielfalt der Staats-und Völkerrechtstheorie einzuordnen, so bieten sich Begriffe und historische Vorbilder wie Staat, Staatenbund, supranationale Gemeinschaft (z. B. die EG), Internationale Organisation (z. B. Vereinte Nationen, Europarat), eine postkoloniale Staatenverbindung wie das britische Commonwealth oder eine lockere, völkerrechtliche Vertragskooperation an. Zwischen diesen Formen der mehr oder weniger engen Kooperation und dichten Integration verlaufen rechtlich nicht immer klar definierbare Grenzen. Vielmehr haben wir es mit einem „Kontinuum“ zu tun, „das von den lockeren Formen internationaler Organisationen über die engeren supranationalen Organisationen und die Staatenbünde bis zu den Bundesstaaten reicht“
Daneben ist es eine Tatsache, daß die in der Wirklichkeit vorhandenen menschlichen Verbände je nach den geschichtlichen Umständen ihrer Entstehung und den Bedürfnissen ihrer Akteure ein sol-cher Reichtum auch und gerade an Mischformen auszeichnet, weshalb ihre fugenlose Einordnung in eine notwendig grob bleibende wissenschaftliche Typologie nicht selten unmöglich ist. Vor dieser unklaren Situation befindet sich der Betrachter ganz offensichtlich auch im Falle der „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“. In einer Hinsicht kann er sich allerdings ganz sicher sein: Die GUS ist kein Staat. Geht man von der klassischen Drei-Elementen-Lehre Georg Jelineks (Staatsvolk, Staatsgewalt, Staatsgebiet) aus, muß angesichts der Unklarheit hinsichtlich der Mitgliedschaft Aserbajdschans bereits die Existenz eines klar umrissenen Gebiets fraglich erscheinen. Unzweifelhaft aber ist, daß die Organe der GUS als solche nicht über eine vom Willen der Mitgliedstaaten unabhängige („souveräne“), jenen gegenüber eigenständige kompakte Hoheitsgewalt bzw. Kompetenzmacht verfügen, kraft deren sie die Verhältnisse in den Mitgliedstaaten unmittelbar gestalten könnten. Ebensowenig kann von einem Staatsvolk „der“ GUS die Rede sein; Staatsangehörigkeiten gibt es nur in den Mitgliedstaaten.
Der GUS fehlt aber auch der für Staatenbünde kennzeichnende Grad sachlich-politischer Integration in den Schlüsselbereichen Verteidigung, Auswärtiges und Wirtschaft. Auf militärischem Gebiet ist mit der Existenz der Vereinten Streitkräfte allerdings die Voraussetzung gegeben. Dabei ist nicht entscheidend, daß an der militärischen Integration nur ein Teil der GUS-Staaten teilnimmt. Von einer Integration im Bereich der auswärtigen Beziehungen kann aber ernstlich keine Rede sein. Die politischen Orientierungen der eurasischen Rußländischen Föderation, die der zentralasiatischen islamisch-türkischen Republiken, der transkaukasischen, miteinander im Krieg liegenden Staaten Armenien und Aserbaidschan sowie der Ukraine, Moldowas und Weißrußlands haben in der verhältnismäßig kurzen Zeit der staatlichen Unabhängigkeit so unterschiedliche Eigenprofile gewonnen, daß ein außenpolitischer Konsens zwischen ihnen selbst auf dem Papier immer schwieriger zu erreichen ist und in der Praxis eine weitere Schwächung erfährt. Dem entspricht, daß die meisten Erfolge bei der Lösung von grenzüberschreitenden Problemen innerhalb der GUS nicht multilateral, sondern bilateral erzielt worden sind. Die Bewältigung der Konflikte um die Schwarzmeerflotte, um Transnistrien und Süd-Ossetien sind dafür herausragende Beispiele.
Die Verhältnisse auf dem Gebiet der Wirtschaft sind durch ein solches Ausmaß von Instabilität, Widersprüchlichkeit und Uneinheitlichkeit gekennzeichnet, daß es Euphemismus und einer Irreführung gleichkäme, hier von „Integration“ zu sprechen. Zwar deckt sich der größte Teil der GUS mit der Rubelzone, und es gibt noch immer gewisse Funktionselemente eines einheitlichen Wirtschaftsraumes -etwa weithin fehlende Zollgrenzen. Hierbei handelt es sich aber nur um Hinterlassenschaften der untergegangenen Union, die währungs-bzw. wirtschaftspolitisch zumindest teilweise problematisch sind und wohl kaum von Dauer sein werden. Das vor allem von Rußland angestrebte, von Kasachstan vorbehaltlos und von Weißrußland weitgehend unterstützte Ziel, diese Hinterlassenschaft zur Grundlage einer funktionierenden wirtschaftlichen Integration in der GUS zu machen, ist vorläufig nicht mehr als eine Hoffnung, deren Verwirklichung höchst unwahrscheinlich ist.
Wenig überzeugend wäre es ferner, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten dem Typus der supranationalen Gemeinschaft zuzuordnen, sie also grundsätzlich auf dieselbe Stufe wie die Europäische Gemeinschaft stellen zu wollen. Supranationale Gemeinschaften weisen zwar eine geringere Integrationsdichte als Staatenbünde auf, indem die Integration sektoral stärker eingegrenzt ist. Sie muten ihren Mitgliedstaaten idealiter einen geringeren Souveränitätsverlust zu als jene. Die für eine Anknüpfung insofern in Betracht kommende Integration der Verteidigung in der GUS dürfte aber für ihre Qualifizierung als supranationale Gemeinschaft kaum ausreichen. Zwar sind Souveränitätsverluste in militärischer Hinsicht für die Staaten naturgemäß besonders einschneidend; gleichwohl betreffen sie einen sektoral allzu eng begrenzten Ausschnitt staatlicher Hoheitsgewalt. Selbst wenn man die Integration im Verteidigungsbereich für eine prinzipiell hinreichende Bedingung von Supranationalität hielte, würde die GUS -jedenfalls in ihrer heutigen Verfassung -nicht die hierfür erforderlichen Voraussetzungen erfüllen.
Die militärische Integration innerhalb der GUS ist nur sehr unvollkommen durchgeführt, das Ausmaß der definitiven Übertragung von Hoheitsrechten im Verteidigungssektor unklar und praktisch nicht gesichert. Anders läßt sich nicht erklären, daß die Rußländische Föderation über die GUS-Partnerstaaten und das Oberkommando der Vereinten Streitkräfte hinweg große Teile der Verbände bzw. ganze Regionen ihrer „Jurisdiktion“ unterstellt und ebenso einseitig und nach ihrem Ermessen die Führung der betreffenden Truppen teils dem Vereinten Oberkommando übertragen, teils sich selbst Vorbehalten hat. Mit dem Bild einer supranationalen Gemeinschaft läßt es sich nicht vereinbaren, daß Mitgliedstaaten die von ihnen übertragenen Hoheitsrechte kraft eines faktischen Souveränitätsvorbehalts je nach den Umständen wieder an sich ziehen. Für die vorliegende Einschätzung spricht schließlich auch die ausdrückliche Feststellung in der Gründungsdeklaration von Alma-Ata, daß die Gemeinschaft „weder ein Staat noch ein überstaatliches Gebilde“ sei.
Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten erfüllt jedoch die allgemeinen Merkmale einer Internationalen Organisation 35. Sie ist nämlich auf Dauer angelegt und von souveränen Staaten auf der Grundlage des Völkerrechts geschaffen worden, wobei die Mitgliedstaaten ihre Souveränität und Gleichheit gewahrt haben; sie haben zur Erreichung des völkerrechtskonformen Zwecks ihrer Gemeinschaft Organe gebildet, die es der GUS ermöglichen, einen eigenen, neben den Mitgliedstaaten selbständigen Willen zu bilden.
Begründete Zweifel bestehen, ob die GUS als sol-che Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten, ob sie also Subjekt des Völkerrechts ist und Verträge etwa mit der NATO oder mit den Europäischen Gemeinschaften abschließen könnte. Die Frage kann und braucht in diesem Rahmen nicht näher untersucht zu werden, denn wie auch immer die Antwort ausfallen würde, an dem Charakter der GUS als einer Internationalen Organisation würde sich nichts ändern, da diese begrifflich keine Völkerrechtssubjektivität voraussetzt.
Als Internationale Organisation hat die GUS gewisse Gemeinsamkeiten mit einer Verteidigungsgemeinschaft (bei unterschiedlichem Integrations-grad der Mitgliedstaaten) und daneben eine entfernte, wenigstens funktionale Ähnlichkeit mit dem britischen Commonwealth, da sie auf den Trümmern des kontinentalen Imperiums der Sowjetunion die Funktion einer Liquidationsgemeinschaft erfüllt und zugleich der politisch-institutionellen Absicherung und Begleitung eines Dekolonisierungsprozesses ganz eigener Art dient.
Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten besitzt damit in ihrer heutigen Form alle Kennzeichen eines Transitoriums. So unvollkommen ihre Gestalt ist und so unzufrieden die einstigen Sowjetbürger mit der GUS sind bzw.sein mögen, die Gemeinschaft bildet trotz ihrer augenfälligen Schwächen einen äußerst wichtigen politisch-diplomatischen und institutioneilen Rahmen für die Nachfolgestaaten der UdSSR auf ihrem unendlich schwierigen, von großen Gefahren gesäumten Weg hin zu lebensfähigen, politisch stabilen Nationalstaaten innerhalb ihrer Region und darüber hinaus in der Weltgemeinschaft.