I. Das EG-Programm „Armut 3“: Vorgeschichte, Zielsetzung und Inhalte
Unter dem Titel „Armut 3“ wird seit März 1990 das „Gemeinschaftsprogramm zur wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung der benachteiligten Bevölkerungsgruppen“ in den zwölf Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft umgesetzt. Dieses Förderprogramm -mit einer Laufzeit von gut vier Jahren (bis Juni 1994) -basiert auf einem Ratsbeschluß aus dem Jahr 1989 der die EG-Kommission ermächtigte, die unter dem Kurztitel „Armut 2“ im Zeitraum 1984 bis 1989 durchgeführten Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut fortzusetzen und zu erweitern.
Zentrale Ziele des Programms „Armut 3“ sind der Abbau struktureller Ursachen des wirtschaftlichen und sozialen Ausschlusses Benachteiligter sowie die Vermeidung bzw. Abfederung kurzfristig negativer Auswirkungen des EG-Binnenmarktes Eine Operationalisierung dieser Globalziele wird in Artikel 2 des o. a. Beschlusses mit der Bestimmung folgender Detailziele vorgenommen a) Abstimmung der unterschiedlichen Maßnahmen der Gemeinschaft, die sich auf wirtschaftlich und sozial benachteiligte Personengruppen beziehen, b) Unterstützung von Armutsprävention und Bekämpfung „der großen Armut“, c) „multidimensionale Entwicklung innovativer Organisationsmodelle“ zur Eingliederung benachteiligter Personengruppen und zur Vernetzung der in diesem Arbeitsfeld tätigen Akteure, d) Information, Bewertung und Erfahrungsaustausch über die durchgeführten Maßnahmen sowie e) Fortsetzung von Aktivitäten im Bereich der Armutsforschung.
Als förderungsfähige Maßnahmen gelten nach Artikel 3 des Ratsbeschlusses a) lokal verankerte Modellmaßnahmen, die auf die Eingliederung der Zielgruppen des Programms -auf dem Weg einer Einbindung dieses Handelns in die nationale und regionale Politik -ausgerichtet sind, b) innovatorische Initiativen, insbesondere nicht-staatlicher Organisationen, zur Eingliederung von Personengruppen mit spezifischen Ausgrenzungserfahrungen, c) die Auswertung der Ergebnisse von Modell-maßnahmen und innovatorischen Initiativen sowie der Erfahrungsaustausch innerhalb eines Verbundes von Forschungs-und Entwicklungsstellen, deren Mitglieder von der EG-Kommission in Absprache mit den Mitgliedsstaaten ernannt werden, und nicht zuletzt d) die Systematisierung und Erweiterung des Wissens über Armut.
Innerhalb dieses konzeptionellen Rahmens konnten interessierte Gruppen und Personen aus den zwölf EG-Mitgliedsstaaten Förderanträge stellen. Der o. a. Beschluß sah insgesamt 55 Millionen ECU vor, die durch Komplementärmittel in derselben Höhe von nationalen Kooperationspartnern ergänzt werden sollten Eine erste Bewertung und Auswahl von Förderanträgen erfolgte innerhalb der Regierungsinstitutionen, die mit der EG-Kommission in der Umsetzung des Programms „Armut 3“ kooperieren (in der Bundesrepublik ist dies das Bundesministerium für Familie und Senioren). Auf nationaler Ebene als förderungswürdig erachtete Maßnahmen wurden der EG-Kommission zur Entscheidung vorgelegt.
Im Herbst 1989 hatte sich die EG-Kommission für die Förderung von insgesamt 39 lokalen Projekten -davon 27 Modellvorhaben und 12 innovatorische Initiativen -entschieden, die sich in etwa gleichmäßig auf die EG-Mitgliedstaaten verteilen Diese lokalen Projekte konnten jedoch erst im Frühjahr 1990 und nicht -wie geplant -im Herbst 1989 ihre Arbeit aufnehmen. Verantwortlich für die Verzögerung der Programmumsetzung ist u. a. die deutsche Bundesregierung, die für Armutsbekämpfung auf ihrem Territorium keinen Bedarf sah. Angesichts der schon zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden empirischen Befunde über Armut in der Bundesrepublik läßt sich diese Position eher als Versuch interpretieren, mit der Begrenzung von Aktivitäten zur Armutsbekämpfung auch den öffentlichen Diskurs über diese nach wie vor tabuisierte Thematik zu blockieren.
II. „Armut 3“ -Aktivitäten in der Bundesrepublik
Am l. März 1990 nahmen in der Bundesrepublik drei Modellprojekte und eine innovatorische Initiative ihre Arbeit auf Mit der nationalen Evaluation und Koordination der Projektarbeit wurde das Europäische Forschungsinstitut in Königswinter beauftragt. Aufgabe der nationalen Evaluation ist es -auf der Grundlage regelmäßiger Projektbesuche -, die Umsetzung der Programmziele in den jeweils unterschiedlichen lokalen Kontexten auszuwerten und Möglichkeiten der Übertragung positiver Projekterfahrungen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene zu unterstützen. Die innerhalb des Programms „Armut 3“ geförderten Projekte kooperieren untereinander auf nationaler und internationaler Ebene und stehen darüber hinaus in Kontakt mit -der Vertretung der jeweiligen nationalen Regierung, -den für das Programm „Armut 3“ zuständigen Mitgliedern der EG-Kommission sowie -der sogenannten Zentralstelle die von der EG-Kommission mit der Programmabwicklung beauftragt ist und in der Sachverständige für Koordination und Finanzierung, Animation, Forschung, Evaluation und das von der EG-Kommission eingerichtete sozialpolitische Observatorium zusammengeschlossen sind.
Die bundesdeutschen Modellprojekte -EG-EIMS-BÜTTEL in Hamburg, WOHNFORUM in München und EUREG in Stuttgart -unterscheiden sich in ihrer Entstehungsgeschichte und entsprechend auch in ihren Arbeitsgebieten, Handlungsansätzen und Organisationsstrukturen voneinander.
1. Das Hamburger EG-Projekt
Das Hamburger EG-Projekt entwickelte sich auf der Grundlage von Erkenntnissen und Erfahrungen in der Jugendhilfeplanung im Bezirksamt Eimsbüttel zwischen den Jahren 1986 und 1989. Da die hier amtierende Jugend-und Sozialdezernentin über Vorerfahrungen mit EG-geförderten Modellmaßnahmen in Duisburg/Essen und Düsseldorf verfügte, sah sie in der Einrichtung eines EG-Modellprojekts innerhalb des EG-Programms „Armut 3“ eine Chance zur Finanzierung eines innovativen, gemeinwesen-und stadtteilorientierten Handlungsansatzes in ihrem Arbeitsfeld. An der Hamburger Modellmaßnahme sind fünf Partnerträger beteiligt, die auf der Grundlage einer Vereinbarung im sogenannten Lenkungsausschuß die Umsetzung der Projektziele nach ihren jeweiligen Möglichkeiten unterstützen.
Die Durchführung des Modellprojekts, dessen Komplementärförderung aus staatlichen Mitteln erfolgt, obliegt dem Jugend-und Sozialdezemat des Bezirksamtes Eimsbüttel. Auf insgesamt 12, 5 Stellen mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen wird hier versucht, die soziale Arbeit in zwei ausgewählten Projektregionen (Eimsbüttel-Nord/Lenzsiedlung und Eidelstedt-Nord/Spanische Furt) durch neue Angebote und Impulse für die Praxis dem Bedarf benachteiligter Personengruppen anzupassen und dabei ihrer Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Leben entgegenzuwirken.
Die Tätigkeitsschwerpunkte des Projekts liegen im Bereich der stadtteilorientierten Gemeinwesenarbeit. Sie umfassen zum einen die beiden Arbeitsschwerpunkte „Wohnen und Wohnumfeld“ sowie „Integration von Frauen in den Arbeitsprozeß“. Zum anderen erstrecken sie sich von Einzelmaßnahmen auf der Mikroebene (wie z. B. Bewohner-zeitung, Mütter-Cafö, Deutsch-und Alphabetisierungskurse für Migrantinnen, muttersprachlicher Unterricht für ausländische Kinder, Mini-Bücherei, Schuldner-, Sozial-und Arbeitsberatung, Freizeitangebote für unterschiedliche Zielgruppen, Hausaufgabenhilfe und Unterstützung bei der Gründung von Selbsthilfegruppen zur Mitgestaltung der eigenen Lebensverhältnisse) über Handlungsansätze in den beiden Projektregionen (z. B. Stadtteilkonferenzen und fachspezifische Arbeitsgruppen zu den Themen Sozialhilfe, Arbeitsförderung, Zusammenarbeit mit Politikerinnen und Frauenpolitik) auf der Mezzoebene bis hin zu Projektregionen übergreifenden Aktivitäten innerhalb des Themenspektrums „Armut“ auf der Makro-ebene
2. Das Münchner Projekt
Das Münchner Projekt WOHNFORUM -dessen innovativer Handlungsansatz exemplarisch im folgenden Kapitel vorgestellt wird -ist aus unterschiedlichen anwendungsorientierten Forschungsprojekten im Bereich der lokalen Sozialpolitik hervorgegangen. Über Kontakte zu einem bereits im EG-Programm „Armut 2“ geförderten Projekt entstand die Idee, die Förderung eines Modellvorhabens im Programm „Armut 3“ zu beantragen, dessen Ziel die Umsetzung neuen sozialpolitischen Wissens in die lokale und überregionale soziale Arbeit und Wohnungspolitik sein sollte. Die Konzentration der Projektarbeit auf Möglichkeiten der wohnungspolitischen Armutsbekämpfung resultierte aus dem empirisch mehrfach belegten Tatbestand, daß in München -wie in anderen deutschen und europäischen Wachstumsregionen -die Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt einen Kernpunkt der Armutsproblematik darstellt.
Das Münchner Projekt ist als gemeinnützige GmbH organisiert, innerhalb derer die Arbeiterwohlfahrt (Kreisverband München), der Paritätische Wohlfahrtsverband (Landesverband Bayern) und der Münchner Kommunikationsverein die Rolle der Gesellschafter und gleichzeitig einen Teil der notwendigen Komplementärförderung übernommen haben. Komplementärmittel erhält das WOHNFORUM darüber hinaus von der Landes-hauptstadt München, der Forschungsgesellschaft ANstiftung, anderen Institutionen, mit denen sachbezogene Kooperationen bestehen sowie aus Spenden. Als weitere Unterstützung steht dem WOHNFORUM auf konzeptioneller Ebene ein wissenschaftlicher Beirat und auf stadtpolitischadministrativer Ebene ein kommunalpolitischer Beirat zur Verfügung.
Die Aktivitäten des Münchner Projekts mit insgesamt 6, 5 Stellen konzentrieren sich auf die Umsetzung von fünf bis sieben modellhaften Wohnprojekten für unterschiedliche benachteiligte Personengruppen, auf Angebote zur wohnungspolitischen Bildung sowie Forschung und Öffentlichkeitsarbeit im Bereich der wohnungspolitischen Armutsbekämpfung. Im Unterschied zum Ham burger Projekt konzentriert sich die Arbeit des WOHNFORUM nicht auf spezifische Projektregionen. Die Wohnprojekte werden in denjenigen Teilen des Stadtgebietes verwirklicht, in denen das WOHNFORUM Zugang zu geeigneten Immobilien erhält. Jedes Wohnprojekt wird jedoch in den jeweiligen Stadtteilkontext eingebunden, indem an seiner Gestaltung -neben den möglicherweise noch in dem Anwesen wohnenden Menschen -auch vor Ort tätige Einrichtungen, Institutionen und Initiativen beteiligt werden.
3. Das Stuttgarter Modellprojekt
Das Modellprojekt EUREG in Stuttgart ist aus einer im Jahr 1988 begonnenen Zusammenarbeit privater Initiativen, gemeinnütziger Gruppen und Vertreterinnen lokaler Behörden hervorgegangen. Als Farmerorganisationen wirkten hier zunächst der „Bürgerverein Obertürkheim“ und die „Herzogsägmühle“ mit. Später kamen der „Verein Intertürkheim“, die „Grundschule Obertürkheim“ und die Vereinigung „Ambulante Hilfe“ als Partnerorganisationen hinzu. Die inhaltliche Arbeit konzentrierte sich auf die Projektregionen Stuttgart-West und Stuttgart-Obertürkheim. Hier sollten in den Arbeitsbereichen soziale Netzwerke, Bildung und Kultur sowie materielle Armut und Arbeitslosigkeit Unterstützungsmaßnahmen zum Abbau von Benachteiligung und Marginalisierung verwirklicht werden.
4. Das West-Berliner Projekt
Als innovatorische Initiative wird in der Bundesrepublik im Rahmen des EG-Programms „Armut 3“ das Projekt XENION in West-Berlin gefördert. Die alltäglich erfahrbare Not politisch Verfolgter bewog deutsche und ausländische Fachleute der psychosozialen Arbeit im Jahr 1987 zur Gründung des Vereins XENION, der für diese spezielle Zielgruppe ein professionelles Hilfeangebot konzipieren und bereitstellen wollte. Mit Hilfe der EG-Förderung konnten im Jahr 1990 2, 5 Stellen in dieser Beratungsstelle eingerichtet werden, die sich zwei Psychologinnen, eine Sozialarbeiterin und eine Verwaltungskraft teilen. Unabhängig von formellen Partnerschaftsbeziehungen kooperiert das XENION-Team mit all denjenigen Einrichtungen, Initiativen, Behör-den oder Politikern, mit denen es in seiner praktischen Arbeit konfrontiert wird.
Die Projektaktivitäten erstrecken sich auf das gesamte Stadtgebiet von West-Berlin und umfassen neben individuellen therapeutischen und sozialen Hilfen (z. B. Beratungsgespräche, Krisenintervention, Kurz-und Langzeittherapie, Familientherapie, Gutachtenerstellung oder Sozialberatung im Asylverfahren) auch die Mitarbeit in Arbeitskreisen zur Flüchtlingspolitik, die Vernetzung hierbei engagierter Akteure, Forschung zum Thema „Interkulturelle psychosoziale Flüchtlingsarbeit“, regelmäßige Fortbildung des XENION-Teams sowie Öffentlichkeitsarbeit für Betroffene und unwissende, aber um so selbstgewissere Meinungsträger in Politik, Massenmedien und Gesellschaft.
In der Zwischenzeit ist es dem Projekt XENION -in Zusammenarbeit mit einer anderen Träger-organisation -gelungen, seine Angebote durch ein weiteres, im EG-Programm HORIZON gefördertes Projekt zu ergänzen, in dem die Arbeitsförderung für Ausländerinnen im Vordergrund steht. In Kooperation mit einem etablierten Berliner Wohnprojekt für benachteiligte Personengruppen plant XENION eine Ausdehnung seiner Aktivitäten in den Bereich der Wohnungsförderung für die Klientel der Beratungsstelle.
III. Innovatives Handeln zur Armutsbekämpfung -Das Beispiel München
1. Zielsetzung
München war in den achtziger Jahren durch ein stetiges wirtschaftliches Wachstum bei gleichzeitiger Verfestigung von Armut und Marginalisierung gekennzeichnet
Der im Herbst 1991 veröffentlichte kommunale Armutsbericht belegt u. a., daß in den Gemeindegrenzen dieser Stadt im Jahr 1989 122026 Personen oder rund 10 Prozent der Stadtbevölkerung von Armut betroffen waren. Im Vergleich zum Jahr 1986 hat sich das Armutspotential in München -diesem Bericht zufolge -um 46 Prozent er höht. Unter den Armutsursachen kommt dem Faktor Wohnen eine besondere Bedeutung zu. Diese manifestiert sich nicht nur in steigenden Wohngeldausgaben und einem immer krasser werdenden Mangel an mietpreisgünstigem Wohnraum, sondern auch in den bereits im Jahr 1989 registrierten 16000 obdachlosen Personen in dieser Stadt
Neben dem Ausmaß sozialer Notlagen in einer Kommune, die mit ihrer Schuldenlast pro Einwohner zu den Schlußlichtern unter bundesdeutschen Großstädten zählt, fordert die Vielzahl nicht wahrgenommener Handlungsoptionen Innovationen in der Sozial-und Wohnungspolitik heraus. Beispiele hierfür sind die schleppende Umsetzung langfristig kostengünstiger und bedarfsgerechter Maßnahmen in den Bereichen ambulante Altenhilfe, präventive Obdachlosenpolitik und Arbeitsförderung sowie die unökonomische Bewirtschaftung und unzureichende Nutzung kommunaler Wohnungsbestände für die Versorgung bedürftiger Bevölkerungsgruppen. An den Handlungsoptionen zugunsten einer sozialverträglichen Wohnungspolitik setzte das Konzept des WOHNFORUM an. Mit Hilfe der EG-Förderung sollten in fünf bis sieben Wohnprojekten innovative wohnungspolitische Strategien der Armutsbekämpfung entwickelt, erprobt und -soweit möglich -auf andere lokale, regionale, nationale und europäische Handlungsebenen im Wohnbereich übertragen werden. Das WOHN-FORUM arbeitet in seinen Wohnprojekten -für und mit unterschiedlichen von Armut betroffenen Nutzergruppen, -in öffentlichen und privaten Wohnungsbeständen sowie -falls erforderlich -auch im Neubau, -mit unterschiedlichen Finanzierungskonzepten kostensparenden, umweltverträglichen und bedarfsorientierten Bauens, -mit sozialverträglichen Belegungsstrategien und Beteiligungsverfahren der Nutzerinnen an Planungs-, Bau-und späteren Hausverwaltungsprozessen und versucht nicht zuletzt -lokale und überregionale Akteure im Bereich der Wohnungspolitik für dieses innovative Handeln zu motivieren und zu qualifizieren sowie strukturelle Barrieren für die Umsetzung einer sozialverträglichen Wohnungspolitik im Interesse benachteiligter Bevölkerungsgruppen abzubauen.
Der innovative Charakter der Armutsbekämpfung in den Wohnprojekten des WOHNFORUM bemißt sich zum einen am Status quo des politischen, administrativen und privaten Handelns im Wohnbereich und zum anderen an alternativen Handlungsstrategien, die im In-und Ausland bereits erfolgreich erprobt worden sind. Um festzulegen, was an diesen Handlungsansätzen innovativ ist, war zunächst eine Analyse traditioneller Versorgungsstrategien benachteiligter Bevölkerungsgruppen mit Wohnraum vor Ort sowie Wissen über mögliche Alternativen erforderlich. Zu beiden Themenbereichen lagen Informationen aus den dem WOHNFORUM vorausgegangenen sozialpolitischen Forschungsprojekten in München sowie aus anderen Arbeitskontexten der Antragstellerinnen vor. Diese Informationen galt es in einem ersten Schritt zu systematisieren und -soweit möglich -zu ergänzen. Mit dem Abschluß der ersten Vertrags-periode hielt das Projekt-Team Innovationen in folgenden Bereichen der lokalen und nationalen Wohnungsversorgung für erforderlich: -soziale Mischung von Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlich strukturierten Benachteiligungen in einer Hausgemeinschaft zur Mobilisierung und Förderung ihrer Selbsthilfekräfte anstelle monostrukturierter Wohngettos für junge, alte, obdachlose, ausländische oder alleinerziehende Menschen; -möglichst kostengünstige Sanierung von Wohnungsbeständen anstelle des Abrisses und teuren Neubaus von Wohnraum bzw. neubau-adäquater Sanierungsstandards analog dem Sozialen Wohnungsbau; -Wahl von Finanzierungswegen für Sanierungsund Neubaumaßnahmen sowie für die spätere Bewirtschaftung des Wohnungsbestandes, die keinen oder einen möglichst geringen Preissteigerungsmechanismus beinhalten, um für diese Zielgruppe auch langfristig niedrige Wohnkosten sicherzustellen; -Beteiligung der Bewohnerschaft an Planungs-, Bau-und späteren Hausverwaltungsprozessen, sowohl zum Zweck der Minderung späterer Wohnkosten als auch der Sozialintegration, der-Qualifikation für Selbsthilfe und selbstbestimmte Alltagsgestaltung sowie zur Förderung der Identifikation mit dem Wohn-und Wohnumfeld, wodurch späterem Vandalismus und sozialen Konflikten im Wohnbereich (z. B. zwischen deutschen und ausländischen oder jüngeren und älteren Bewohnerinnen) vorgebeugt werden könnte, und nicht zuletzt
Förderung gemeinschaftlicher Wohnformen unterschiedlicher benachteiligter Personengruppen auf Wohnungs-oder Hausebene zur Unterstützung von Kommunikation und Nachbarschaftshilfe sowie zur Vermeidung einer frühzeitigen Abschiebung und Isolation alter und alleinstehender Menschen.
2. Die fünf Wohnprojekte: Konzeptionelle Überlegungen
Innerhalb von zwei Jahren wurden im WOHN-FORUM fünf Wohnprojekte konzipiert, von denen sich zwei bereits in der Phase der Durchführung befinden. Jedes der Wohnprojekte wird in vier Arbeitsschritten verwirklicht:
In der Phase der Projektkonzeption werden „Vorbereitende Untersuchungen“ gemäß dem Baugesetzbuch erstellt, in denen die bautechnische und soziale Bestandsaufnahme des sanierungsbedürftigen Anwesens sowie die Entwicklung einer architektonischen und sozialen Sanierungskonzeption im Vordergrund stehen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden in Konzeptpapieren oder Broschüren zusammengefaßt und dienen als Grundlage für die sich anschließende Projektplanung. Sie umfaßt die Entwurfplanung und Kostenberechnung, sozialplanerische Maßnahmen, die politisch-administrative Projektgenehmigung, die Ausschreibung und Vergabe von Aufträgen sowie die Unterzeichnung der notwendigen Verträge. In der dritten Phase der Wohnprojekte steht die Ausführung der Sanierungsarbeiten -unter Beteiligung von Fachfirmen, baulicher Selbsthilfe der Bewohner und von Arbeitsförderungsprojekten -, die Lösung individueller sozialer Probleme der künftigen Bewohnerinnen (in Zusammenarbeit mit anderen sozialen Einrichtungen, Gesundheitsdiensten, Juristen und Fachinsti tutionen der Schuldnerberatung) sowie die vertragliche Regulierung der Überlassung von Wohnraum an die künftigen Mietparteien im Vordergrund. In der vierten Arbeitsphase konzentrieren sich die Aktivitäten auf die soziale Baunachbetreuung. Darunter fallen die gemeinsame Gestaltung des Wohnumfeldes, die Förderung des sozialen Zusammenlebens in der Hausgemeinschaft sowie die Konzeption und Umsetzung von Selbstverwaltungsstrategien des Anwesens.
Bei den fünf in Bearbeitung befindlichen Wohnprojekten des WOHNFORUM handelt es sich um vier sanierungsbedürftige städtische Anwesen (drei davon mit jeweils einem Vorder-und einem Rückgebäude) sowie um ein ehemaliges städtisches Anwesen, das einem sozialpsychiatrischen Dienst auf Erbpachtbasis zur Nutzung überlassen wurde. Insgesamt werden in diesen fünf Anwesen bestenfalls 4705 m 2 Wohnfläche und 327 m 2 Nutzfläche kostengünstig saniert bzw. neu gebaut. Von der angegebenen Gesamtwohnfläche entstehen 23 Prozent (= 1102 m 2) als zusätzliche Wohnfläche infolge des Ausbaus von Dachgeschossen oder der Rückumwandlung von Gewerbe-in Wohnraum. Während zwei der in Bearbeitung befindlichen Anwesen -trotz der großen Wohnungsnot in München -zum Teil schon mehrere Jahre leerstanden, handelt es sich bei den verbleibenden drei Anwesen um teilbewohnte Objekte.
In allen Anwesen erfolgt die Belegung nach dem Prinzip der sozialen Mischung von Personengruppen mit unterschiedlichen Benachteiligungen, wobei die ansässige Bewohnerschaft, die kein Umzugsinteresse äußert, in die Belegungsplanung jeweils einbezogen wird. Da es sich um städtischen Wohnraum handelt, findet die Belegungsplanung in -teilweise durch Interessenkonflikte erschwerten -Absprachen mit dem örtlichen Wohnungsamt statt. Hier müssen innovative Belegungskonzepte erst plausibel gemacht, begründet und mit den für die Belegung städtischen Wohnraums geltenden Stadtratsbeschlüssen abgestimmt werden. Diese schwierigen Aushandlungsprozesse wirken sich -zumal wenn sie amtlicherseits erst in der Phase der Sanierungspraxis verbindlich werden -negativ auf die Motivation der Bewohnerschaft für die Mitwirkung an Planungs-und Bauprozessen aus, weil keine Klarheit darüber besteht, wer als künftiger Bewohnerhaushalt amtlich akzeptiert wird. Neben diesen zeitlichen Restriktionen setzen die geltenden Belegungskriterien auch der Armutsprävention sehr enge Grenzen, die im Rahmen eines innovativen Modellprojekts -nach den bisherigen Erfahrungen -nur bedingt aufgeweicht werden konnten.Die Auswahl interessierter Bewohnergruppen nach dem Prinzip der sozialen Mischung (sei es aus der ansässigen Bewohnerschaft, sei es aus neuen Interessentinnen), Belegungsverhandlungen mit dem Wohnungsamt, die Qualifizierung für die Beteiligung an Planungs-, Bau-und späteren Hausverwaltungsprozessen, die Einleitung notwendiger individueller Hilfen sowie die Konzeption und Organisation der Bewohner-Selbsthilfe gehören in den Wohnprojekten des WOHNFORUM zum Aufgabenfeld von zwei Sozialpädagoginnen. Während die eine -in Zusammenarbeit mit den Betroffenen und den Architektinnen -die soziale Konzeption der Wohnprojekte erstellt, übernimmt die andere die soziale Bau-und Baunachbetreuung. Im Vergleich zu herkömmlichen Sanierungs-und Neubauverfahren handelt es sich hierbei um Novitäten. Soziale Überlegungen haben in der Wohnungsversorgung nur einen begrenzten Stellenwert. Sie fließen in den seltensten Fällen in Entscheidungsprozesse über Wohnungsgrundrisse und Finanzierungswege ein, wobei Bewohnerinteressen meist unberücksichtigt bleiben. Soziale Arbeit im engeren Sinne beginnt in der Regel erst bei der Belegung schlüsselfertigen Wohnraums und setzt sich fort als Krisenintervention im Prozeß der Regulierung von sozialen Konflikten, die u. a. aus nicht stattgefundenen sozialen Vorüberlegungen und Begleitmaßnahmen resultieren.
3. Das Wohnprojekt Orleansstraße: Ergebnisse
Nimmt man das im Herbst 1990 begonnene und in einem Teilbereich (Sanierung) nun kurz vor seinem Abschluß stehende erste Wohnprojekt des WOHNFORUM in der Orleansstraße 65 a genauer ins Blickfeld, so zeichnen sich hinsichtlich der angestrebten Innovationen die folgenden Ergebnisse ab: a) Soziale Mischung und neue Wohnformen Die Bewohnerschaft des sanierten Wohnraums (insgesamt 18 Wohneinheiten auf ca. 1300 m 2) setzt sich zusammen aus 47 Personen, die unterschiedlichen sozialen und Altersgruppen angehören. Die insgesamt 18 Haushalte, die hinsichtlich ihres Einkommens sozialwohnungsberechtigt und damit nach EG-Definition „einkommensarm“ sind, setzen sich zusammen aus: sieben Haushalten von Alleinerziehenden (sieben weibliche Erwachsene und zehn Kinder), drei ausländischen Familien (sechs Erwachsene und acht Kinder), einem Pflegehaushalt (eine Schwerbehinderte mit ihrer Pflegerin), zwei alleinstehenden ausländischen Beninerinnen, einer alleinstehenden deutschen Frau und einem alleinstehenden ehemaligen Alt-mieter sowie aus drei, nach dem neuen Kinder-und Jugendhilfe-Gesetz (KJHG) betreuten Wohngemeinschaften für insgesamt zehn benachteiligte Jugendliche, die sich in Maßnahmen zur Arbeitsförderung befinden. Zwei künftige Bewohnerhaushalte lebten vor ihrer Mitwirkung am Wohnprojekt Orleansstraße als Obdachlose in von der Kommune finanzierten Pensionen. Den in die Wohngemeinschaften einziehenden Jugendlichen attestiert das Jugendamt im Einzelfall den Bedarf an Wohnhilfen nach dem KJHG. Die verbleibenden elf Haushalte sind von Obdachlosigkeit bedroht oder leben in Wohnungen, die entweder zu klein oder gesundheitlich belastend oder in einem diskriminierenden sozialen Umfeld angesiedelt sind.
Aufgrund der Belegungskriterien konnten geplante Wohngemeinschaften nicht verwirklicht werden. Dies waren zum einen Wohngemeinschaften älterer Frauen, die auf diese Weise der Isolation im Alter Vorbeugen wollten, und zum anderen Wohngemeinschaften von Jugendlichen. In beiden Fällen erfüllten einzelne Mitglieder die Belegungskriterien nicht. Ein Austausch gegen andere Personen war nicht möglich, weil -im Ergebnis eines längeren sozialen Prozesses -bestimmte Personen zusammen wohnen wollten. Die betreuten Wohngemeinschaften für Jugendliche stellen eine notwendige Kompromißlösung dar, um diese Altersgruppe -die die Belegungskriterien aufgrund ihrer Lebensweise und sozialen Situation in den seltensten Fällen erfüllt -überhaupt an dem Wohnprojekt beteiligen zu können. b) Beteiligung der Anwohner an Planungs-und Bauprozessen Seit Beginn des Wohnprojekts Orleansstraße haben insgesamt mehr als 40 Bewohnerlnnen-Sitzungen und zusätzliche Gespräche mit den Vertreterinnen von Projekten und Initiativen stattgefunden, über die sich die Interessentinnen an das WOHNFORUM gewandt hatten. Da es im Verlauf des Wohnprojekts -aufgrund politisch-administrativer Eingriffe in die Belegung -eine erhebliche Fluktuation in der interessierten Bewohner-Schaft gegeben hat mußten viele Dinge mehrfach erklärt und Enttäuschungen der von der Teilnahme ausgeschlossenen Bewohnerinnen verarbeitet werden. Aus diesen Erfahrungen zog das WOHNFORUM-Team die Schlußfolgerung, in weiteren Wohnprojekten Belegungsverhandlungen möglichst schon zu Beginn des Planungsprozesses einzuleiten und zügig verbindlich abzuschließen, damit diejenigen Bewohnerinnen, die sich an der Planung beteiligen, auch die Gewißheit haben, später in das Anwesen einziehen zu können. An der baulichen Selbsthilfe im Innenausbau haben sich die künftigen Bewohnerhaushalte in sehr unterschiedlichem Umfang beteiligt. 10 Prozent der Kosten des Innenausbaus waren als Eigenleistung kalkuliert. Hiervon wurden etwa 10 Prozent abgeleistet. Der genaue Umfang, die Motive und die -wirtschaftlichen bzw. sozialen -Effekte der Selbsthilfe werden in einem Abschlußbericht über das Wohnprojekt Orleansstraße einer genaueren Analyse unterzogen, um die weiteren Wohnprojekte in bezug auf Selbsthilfe realistisch planen zu können. c) Niedrige Sanierungskosten Gemäß der vorliegenden vorläufigen Abrechnung der durchgeführten Sanierungsmaßnahmen lagen die Kosten bei 1602, 37 DM pro Quadratmeter. Hiervon wurden 85 Prozent von der Stadt München als Eigentümerin und 15 Prozent aus den Projektmantelkosten des WOHNFORUM aufgebracht. Die bisher billigste Sanierung eines vergleichbaren städtischen Anwesens verursachte Quadratmeterkosten von 2 900, -DM, was immer noch deutlich billiger ist, als die bei etwa 3 700, -DM pro Quadratmeter liegenden Neubaukosten für ein vergleichbares Objekt oder die Orientierung an den Standards des Sozialen Wohnungsbaus, die mit etwa 4000, -zu Buche schlagen würden Die erhebliche Kostendämpfung im Wohnprojekt Orleansstraße ist im wesentlichen bedingt durch den weitgehenden Verzicht auf Grundrißveränderungen sowie den Erhalt aller gebrauchsfähigen Teile des Hauses, die u. a. auch die attraktive Altbauqualität solcher Wohnobjekte ausmachen (z. B. Treppenhaus, Tür-und Fenster-stöcke oder Parkettböden). Im Bereich der Grund-instandsetzung des Anwesens (Wasser, Abwasser, Elektroinstallation, Heizung, Dachsanierung oder Trockenlegung des Kellers) sowie im sanitären Ausbaustandard wurden ökologische Maßnahmen -soweit möglich -durchgeführt und auf jegliche qualitätsmindernde Sparmaßnahmen verzichtet. d) Vernetzung von Wohnungsund Arbeitsförderung Neben der Beteiligung von Arbeitsförderungsprojekten im Innenausbau des Anwesens Orleans-straße konnte das WOHNFORUM im Sommer 1991 zwei eigene Maßnahmen der Arbeitsförderung durchführen: Hierbei handelt es sich zum einen um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für einen künftigen Bewohner, der handwerkliche und Koordinationstätigkeiten auf der Baustelle erledigt, sowie um einen Lohnkostenzuschuß für eine ältere Arbeitnehmerin, die im Projekt schwerpunktmäßig mit der Buchhaltung betraut ist. Nicht verwirklichen ließ sich -aufgrund der zeitlich sehr schwer kalkulierbaren Planungsprozesse -die Einrichtung eines eigenen Beschäftigungsprojekts zur Qualifizierung bzw. Wiedereingliederung von Arbeitslosen in Bauberufe. e) Niedrige Mietkosten und Chancen für eine gemeinschaftliche Hausverwaltung Die Mieten im sanierten Anwesen Orleansstraße betragen 8, 38 DM pro Quadratmeter Wohnraum zuzüglich der Betriebs-und Heizkosten. Diese Mieten wurden von der Landeshauptstadt München nach dem geltenden Mietspiegel festgelegt, um die Teilnehmerinnen an diesem Wohnprojekt gegenüber anderen Bewohnerinnen städtischen Wohnraums nicht zu bevorzugen. Wäre der Mietpreis auf der Grundlage der Sanierungskosten errechnet worden, hätten die Bewohnerinnen nur 7, 29 DM sowie die anteiligen Betriebs-und Heizkosten pro Quadratmeter bezahlen müssen. Geleistete Selbsthilfe im Innenausbau sollte sich -dem Konzept nach -mietpreismindernd auswirken.
Da die Abrechnung der Selbsthilfeaktivitäten noch nicht abgeschlossen ist, läßt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen, wie viele Haushalte ihre Mietkosten durch welchen Umfang an Selbsthilfe in welcher Größenordnung gemindert haben. Die Voraussetzungen für die Förderung späterer Selbstverwaltungsprozesse des Wohnraums sind insofern geschaffen worden, als dem WOHN-FORUM das Anwesen von der Stadt München für zehn Jahre als Generalmieter überlassen wurde. Nach welcher Konzeption und in welchem Umfang sich die Bewohnerschaft an der Verwaltung des Anwesens beteiligen wird, bleibt nach Abschluß des Dachgeschoßausbaus und der damit beendeten Belegung im Rahmen der sozialen Bau(nach) betreuung zu klären. f) Multidimensionalität der Armutsbekämpfung Parallel zur kostengünstigen Sanierung städtischer Wohnbausubstanz unter Beteiligung der künftigen Bewohnerinnen sind unterschiedliche Ebenen der Armutsbekämpfung innerhalb des Wohnprojekts Orleansstraße hervorzuheben. Zum einen fand bei den beteiligten Bewohnerinnen -je nach Bedarf und gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit anderen sozialen Einrichtungen und Fachleuten -Schuldenabbau, Beantragung von Sozialleistungen, Klärung sozialer Konfliktsituationen, Qualifizierungsschritte für die selbständige Gestaltung von Wohnraum und Wohnumfeld, Arbeitsförderung und unterschiedliche sozialintegrative Aktivitäten innerhalb der künftigen Hausgemeinschaft statt. Zum anderen wurde auf der Ebene der lokal und überregional für Sozial-und Wohnungspolitik verantwortlichen Politikerinnen und Verwaltungsfachleute mittels wohnungspolitischer Fachgespräche, Vorträgen, Publikationen und Rundfunkbeiträgen sowie im Rahmen von Forschungsprozessen und Kooperationsbeziehungen auf die innovativen Gehalte des EG-Modellprojekts aufmerksam gemacht. Unter anderem diesen Aktivitäten ist es zu verdanken, daß sich in anderen deutschen Städten -z. B. in Offenbach, Hamm, Dortmund, Dessau, Wuppertal oder Weimar -sowie im Ausland (z. B. in Kopenhagen und Aalborg) Überlegungen und Initiativen zur Umsetzung vergleichbarer Handlungsansätze entwickelten. In Weimar ist es gelungen, auf dem Weg fachlicher Beratung die Förderung eines weiteren EG-Projekts im Bereich der wohnungspolitischen Armutsbekämpfung zu unterstützen.
Die genannten Aktivitäten dienen der sukzessiven Verbreitung positiver Erfahrungen aus den Wohnprojekten des WOHNFORUM, weil deren Innovationsgehalt beschränkt bleibt, wenn er sich lediglich in den Maßnahmen dieses Modellprojekts dokumentiert. Gleichzeitig versuchen Mitarbeiterinnen des WOHNFORUM durch Publikationen, Forschungsprozesse und die Teilnahme an Tagungen auch zum Abbau struktureller Barrieren für die Verwirklichung solcher Handlungsansätze beizutragen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Systematisierung und empirische Fundierung der Kritik am System des Sozialen Wohnungsbaus sowie die Verdeutlichung der kostentreibenden Effekte einer bloßen Verwaltung sozialer Notlagen anstatt ihrer ursachenorientierten und präventiven Bekämpfung.
IV. „Arniut 3“: Chancen und Verbesserungsmöglichkeiten
Stellt man die eingangs erläuterten Programmziele den ersten Erfahrungen in einem ausgewählten Modellprojekt gegenüber, so werden einige veränderungswürdige Aspekte deutlich: -Die Vernetzung unterschiedlicher EG-Maßnahmen für benachteiligte Haushalte ist sowohl auf der Ebene der Information als auch auf der der Abwicklung noch sehr kompliziert und läßt sich deshalb im Rahmen eines laufenden Projekts, das unter hohem sachlichem Erfolgs-druck steht, nur schwer verwirklichen. -Praktische Armutsprävention stößt an eine Vielzahl struktureller Grenzen, sei es im System der sozialen Sicherung und der Wohnungsbauförderung oder sei es in der uneingeschränkt geltenden kapitalistischen Verwertungslogik von Boden Um in der Umsetzung armutspräventiver Maßnahmen voranzukommen, wäre eine engere Zusammenarbeit zwischen europäischen Institutionen und nationalen Fachministerien bzw. Regierungen erforderlich. So könnte verdeutlicht werden, daß Nachlässigkeit im Bereich der strukturellen Armutsprävention langfristig sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene gefährliche soziale und systemische Desintegrationsprozesse auslösen kann. -Die Multidimensionalität der Armutsbekämpfung wird in den geförderten Projekten weitgehend als Vielfalt von Aktionen für und mit einem breiten Zielgruppenspektrum verwirklicht. Darin ist -wie dies auch im letzten Tätigkeitsbericht der Zentralstelle angemerktwurde -die Gefahr der Zersplitterung von Aktivitäten angelegt. Ihr wäre u. a. durch eine stärkere Annäherung systemischen und lebens-weltlichen Handelns oder von Theorie und Praxis innerhalb von „Armut 3“ vorzubeugen. Eine intensivere und sachbezogene Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlicher Armutsforschung und praktischer Projektarbeit böte zudem eine Chance, wenigstens die Konturen des noch in so weiter Ferne liegenden „Sozialstaates Europa“ kenntlich zu machen.
Aus der lokalen Perspektive des Münchner Modellprojekts bleibt abschließend festzustellen, daß es ohne EG-Förderung mit Sicherheit noch lange Zeit gedauert hätte, den in anderen bundesdeutschen Großstädten schon erfolgreich praktizierten Handlungsansatz behutsamer Stadterneuerung für benachteiligte Bevölkerungsgruppen umzusetzen und -trotz der restriktiven politischen Bedingungen -durch neue praktische Erfahrungen und konzeptionelle Elemente zu erweitern. Außerdem hat die durch moderne Kommunikationstechnik und Erfahrungsaustausch ermöglichte internationale Einbettung des Projekts zu einem besseren Verständnis unterschiedlicher sozialpolitischer Problemlagen in Europa sowie zu einem Abbau von Barrieren für die Entwicklung kollektiver und gleichermaßen bedarfsgerechter Lösungsversuche beigetragen.