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„Ethnische Säuberung“: Ein Mittel zur Lösung von Nationalitätenproblemen? | APuZ 46/1992 | bpb.de

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APuZ 46/1992 Deutschland und die neue Weltordnung. Zwischen innenpolitischer Überforderung und außenpolitischen Krisen Aktuelle Aspekte deutscher Sicherheitspolitik „Ethnische Säuberung“: Ein Mittel zur Lösung von Nationalitätenproblemen? Probleme und Prinzipien internationaler Zusammenarbeit

„Ethnische Säuberung“: Ein Mittel zur Lösung von Nationalitätenproblemen?

Hans Lemberg

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit Beginn der neunziger Jahre gibt es auch in unserem Land wieder eine Erscheinung, die fast schon zu einem historischen Thema geworden war: Flüchtlinge und solche Menschen, die aus ihrer Heimat nur wegen ihrer Nationalität vertrieben worden sind. Ursache dafür ist die Vorstellung, daß Nationalitätenkonflikte am besten dadurch zu beseitigen seien, daß (etwa aufgrund zwischenstaatlicher Verträge) Nationalitäten durch Bevölkerungsaustausch oder Umsiedlungen „entmischt“ und damit Nationalstaaten „gereinigt“, also möglichst frei von nationalen Minderheiten würden. Der Verfasser geht der Geschichte dieser Idee im zwanzigsten Jahrhundert seit dem Ende des Ersten Weltkriegs nach. Aufgrund der historischen Erfahrungen mit Bevölkerungstransfers, die allzuoft in Vertreibungen ausarteten, gehört er nicht zu denen, die die „harte Lösung“ einer nationalen „Entmischung“ für ein taugliches Mittel zur Konfliktbewältigung ansehen; für geeigneter hält er autonomistische und föderative Lösungen sowie einen wirksamen Schutz von Minderheiten. Die nationale Homogenisierung von Nationalstaaten erscheint ihm eher als eine der Wahnideen des 20. Jahrhunderts.

I. Einführung: „Ethnische Säuberung“ heute

Eine der erschreckendsten Erscheinungen des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien ist die Vertreibung von Menschen aus ihren Wohnungen, aus ihren Dörfern und Städten, einzig und allein zu dem Zweck, eine „ethnische Säuberung (etniöko öiSöenje)“ zu erreichen. Dieser im Krisengebiet aufgetauchte, international rasch in Gebrauch gekommene Begriff -wenngleich hier mit eindeutig negativen Kennzeichen verbunden -suggeriert etwas scheinbar Positives: Die nationale Mischsiedlung wird als die Ursache von Konfliktsituationen angesehen; diese scheinen durch „Säuberung“ oder „Reinigung“ sozusagen mit der Wurzel, also dauerhaft beseitigt zu werden. Das Ergebnis einer solchen „Säuberung“ wäre eine national homogene Bevölkerung eines Stadtviertels, eines Ortes, einer Region, ja im Idealfall ganzer Staaten.

Diese Aktionen werden -nicht nur von der serbischen Seite -mit der erklärten oder unerklärten Nebenabsicht verbunden, vollendete Tatsachen zu schaffen und dann, auf dem Umweg über das mißbrauchte Selbstbestimmungsprinzip, das jeweils eigene nationale Gebiet bzw.den Nationalstaat zu festigen und möglichst zu vergrößern. Wenn beispielsweise aus einem Gebiet, in dem Muslime, Kroaten und Serben gemischt siedeln -und das ist in Bosnien und der Herzegowina geradezu die Regel -, die Kroaten und Muslime vertrieben werden, dann wird der serbische Anspruch auf das betreffende Gebiet durch das bloße Faktum der (wenn auch gerade erst erzielten) „reinen“ serbischen Besiedlung hergestellt.

Dieses Beispiel ließe sich natürlich auch mit ausgewechselten Bezeichnungen für die anderen Nationalitäten darlegen. Das Nachsehen haben dabei u. a. diejenigen, die über keinen eigenen konnatio-nalen Staat verfügen, so etwa die Muslime in Bosnien-Herzegowina, das ja kein moslemischer Nationalstaat ist, selbst wenn seit wenigen Jahrzehnten die Muslime -eigentlich eine religiös bestimmte Gruppe -im ehemaligen Jugoslawien als Nationalität anerkannt sind

Diese „ethnischen Säuberungen“ sind in der Turbulenz des gewalttätigen Geschehens in der genannten Region nicht (oder zumindest noch nicht erkennbar) das unmittelbare Ergebnis von theoretischen Konzepten oder gar vertraglichen Vereinbarungen. Solche hat es gleichwohl schon zahlreich gegeben; ja das Prinzip der „ethnischen Säuberung“ durchzieht wie ein roter Faden die Geschichte des mittleren und östlichen Europa im zwanzigsten Jahrhundert. In der folgenden Skizze soll der Ausformung dieses Gedankens und einigen Varianten ihrer Verwirklichung nachgegangen werden

Die Idee, nationale Minderheitenprobleme in Nationalstaaten dadurch zu beseitigen, daß man die jeweiligen Bevölkerungen -wie schon zu Beginn der zwanziger Jahre formuliert worden ist -„entmischt“, also Minoritätengruppen entweder in das sogenannte Mutterland aussiedelt oder einen Austausch von Siedlungen gegenseitiger Minderheiten zwischen mehreren Ländern veranstaltet ist wohl zum ersten Mal ausdrücklich von dem Schweizer Anthropologen und Völkerkundler Georges Montandon im Ersten Weltkrieg formuliert worden. Dieser hat 1915 in einer Broschüre aufgrund der Beobachtung, daß die Nationalität in der gegenwärtigen Epoche das leitende Prinzip sei, gefolgert, eine Wiederholung von Kriegen wie dem da­ mals gegenwärtigen müsse und könne durch folgende Ausgestaltung des Staatensystems verhindert werden „Nach der Festlegung einer (wenn möglich) natürlichen Grenze durch die massive Verpflanzung von Nichtangehörigen der Nation oder von solchen, die dafür erklärt werden, in Gebiete jenseits der Grenze, ferner durch das Verbot des Eigentumsrechts oder selbst des Aufenthalts-rechtes für Ausländer in den Grenzprovinzen.“ Montandon verband dies mit recht konkreten Vorstellungen, wie die Staaten in Europa in ihren neuen Grenzen durch die von ihm so genannte transplantation massive national zu „reinigen“, sozusagen zu homogenisieren seien.

II. Die Vereinbarungen von Lausanne 1923 -ein Muster für Bevölkerungsaustausch?

Im konfessionellen Zeitalter der frühen Neuzeit war es die herrschende Leitideologie der Religion oder Konfession, die zur Umsiedlung und Vertreibung von Andersgläubigen führen konnte, z. B. von Juden oder Protestanten; im nationalen Zeitalter, also seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, übernahm diese Rolle das Nationalitätsprinzip.

So wurden in der Ära der Balkankriege unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg im Südostwinkel Europas zwischen Bulgarien, Griechenland und der Türkei freiwillige gegenseitige Umsiedlungen von ganzen Dörfern jeweils zweiseitig vereinbart; die Austauschbevölkerungen definierte man teils noch religiös (Muslime, Orthodoxe), teils schon national (Bulgaren, Griechen, Türken). Dieser Bevölkerungsaustausch im Grenzbereich der Staaten wurde jedoch durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendet.

Eine neue Qualität gewann die Idee des Bevölkerungsaustausches im Vertrag von Lausanne zwischen Griechenland und der Türkei vom 30. Januar 1923, in dem zum ersten Mal in der Ger schichte ein Zwangsaustausch der gegenseitigen nationalen Minderheiten vertraglich vereinbart worden ist: Möglichst alle Griechen sollten die Türkei, alle Türken Griechenland verlassen

Diese Vereinbarung ist das Ergebnis einer höchst chaotischen Situation gewesen: Der Vertrag von Sävres zwischen der Türkei und den Alliierten war der erste und für die Zwischenkriegszeit einzige des Pakets der Pariser Vorortverträge, der wenige Monate nach Abschluß schon durch einen neuen (griechisch-türkischen) Krieg obsolet wurde. Dabei kam es zu einer gewaltsamen und wilden Vertreibung von Hunderttausenden von Griechen vor allem aus Kleinasien und Thrazien, also aus dem türkischen Nationalstaat, in den das Kemgebiet des zerfallenen übernationalen Osmanischen Reiches gerade sich zu verwandeln im Begriff war. Die vom britischen Außenminister geleiteten Verhandlungen in den Wintermonaten 1922/23 in Lausanne waren gekennzeichnet durch einen außerordentlichen Zeitdruck wegen des wachsenden Vertreibungselends.

Die Vertreter Griechenlands und der Türkei wurden von den Vertretern des Völkerbundes, vor allem vom Vorsitzenden der Konferenz, dem britischen Außenminister Lord Curzon, mit erheblicher Mühe zum Abschluß des Vertrags bewegt. Ihm lag ein Exposä des Flüchtlingskommissars des Völkerbundes, Fridtjof Nansen, zugrunde, in dem sich die klassisch gewordene Formulierung findet: „that to unmix the populations ofthe Near East will tend to secure the true pacification of the Near East... an exchange ofpopulations is the quiekest and most efficacious way of dealing with the grave economic results which must result from the great movement of populations which has already occurred“

Zum ersten Mal begegnen wir hier der Erkenntnis, daß nur eine Zwangsumsiedlung in kurzer Zeit zum erhofften Erfolg der Befriedung einer Region führen könne -Curzon fürchtete, daß ein freiwilliger Austausch Monate dauern und zu weiteren Konflikten und Härten führen könnte. Noch während der Verhandlungen kam es unter den Umgesiedelten zu großer Unruhe, als sie davon erfuhren, sie würden nicht mehr zurückkehren können. Daraufhin versuchten die Konferenzteilnehmer, die Verantwortung für die Idee der Zwangs-umsiedlung jeweils von sich abzuschieben wie später auch Fridtjof Nansen Lord Curzon drückte in dieser Situation sein Bedauern mit den bekannten Worten aus: Ein Zwangsaustausch von Bevölkerungen sei „a thoroughly bad and vicious solution, for which the world pay a heavy penalty for a hundred years to come“ Der Vertrag von Lausanne hat jedoch die Türkei und Griechenland tatsächlich einer nationalen Homogenität erheblich nähergebracht: In Griechisch-Mazedonien war beispielsweise der Anteil der Griechen von 42, 6 Prozent im Jahre 1912 auf 88, 8 Prozent im Jahre 1926 gestiegen Es hat jedoch Jahre gedauert, bis die Flüchtlinge auf beiden Seiten integriert waren; die Aktion hat verheerende finanzielle Folgen gehabt; die dauerhafte Verbesserung der griechisch-türkischen staatlichen Beziehungen ist nicht im erhofften Maße eingetreten. Dennoch galt in der Folgezeit dieser Bevölkerungsaustausch in der europäischen öffentlichen Meinung als Erfolg.

III. Lösungsmöglichkeiten für Minderheitenprobleme in den zwanziger Jahren

Die Aktion des umfassenden griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausches hat sich den europäischen Politikern nachhaltig -sozusagen als mögliches Verhaltensmuster -eingeprägt. Lausanne war gleichzeitig ein später und -so mochte es scheinen -letzter Akt der europäischen Friedensregelung, die 1918/19 begonnen hatte. Die zwanziger Jahre waren von einer deutlichen Konsolidierung geprägt, für die das Vertragswerk von Locarno als einprägsames Signal gelten kann.

Weitere Grenzverschiebungen und damit eventuell ein nationaler Bevölkerungsaustausch schienen nicht mehr notwendig zu sein. Für die verbreiteten Minderheitenprobleme im mittleren und östlichen Europa hatte der Völkerbund den ausgeklügelten Mechanismus des Minderheitenschutzes entwikkelt, der recht und schlecht funktionierte die Unzufriedenheit der Betroffenen beschränkte sich auf verbale Bekundungen und steigerte sich kaum irgendwo zu Ausschreitungen oder zu internationalen Konflikten 1929 hat in England John S. Stephens auf drei Möglichkeiten hingewiesen, wie man mit dem Minderheitenproblem umgehen könne Als Methode der Wahl erschien ihm der Schutz von Minderheiten optimal. Dieser konnte unterschiedliche Formen annehmen und -so lautete die Forderung der gleichzeitigen Minderheitenkongresse -bis zu Autonomielösungen reichen. Stephens stand sichtlich unter dem Eindruck der scharfen Auseinandersetzungen um das komplizierte System des Minderheitenschutzes. Aus der Distanz von mehr als einem halben Jahrhundert seit dem vielgeschmähten „Scheitern“ des Minderheitenschutzsystems im Völkerbund und angesichts der Erfahrungen mit den Alternativen dazu wird man jedoch dieses System so charakterisieren können, wie Winston Churchill die Demokratie definiert haben soll als durch und durch mangelhaftes, aber immer noch das beste der vorhandenen Systeme.

Entgegengesetzt zu dieser die Minderheiten im Prinzip bewahrenden Strategie hatte einige Zeit vorher, im Dezember 1925, kurz nach der Konferenz von Locarno, der Berichterstatter über Minderheitenfragen im Völkerbund, der brasilianische Diplomat Mello-Franco, die aufsehenerregende These vorgetragen, der Minderheitenschutz diene dazu, „nach und nach die notwendigen Bedingungen vorzubereiten, um die complete unite nationale zu schaffen“ Das wurde (wegen der Mehrdeutigkeit des Wortes nation in den europäischen Sprachen) als Forderung nach Assimilation der Minderheiten verstanden; was Mello-Franco meinte, war freilich eher Identifikation der Minderheiten mit dem Staat, in dem sie lebten, „to become loyal citizens of the state“. Gleichwohl: Assimilation im Sinne einer Angleichung auch der kulturell-sprachlichen Identität der Minderheiten an die herrschende Staatsnation spukte in manchen Köpfen als die zweite Möglichkeit, mit dem Minderheitenproblem umzugehen.

Stephens knüpfte an diese zweite Perspektive eine dritte an: „to exchange populations“. Er bezeichnete diese Möglichkeit allerdings als „a remedy so drastic when attempted in the Near East that one shudders at the thought of its application to European peoples so much more firmly rooted“ Der Entmischungsgedanke war also in den zwanziger Jahren noch nicht tot; es gab jedoch erhebliche Zweifel, ob sich die quasi orientalische Lösung des griechisch-türkischen Transfers auf Mitteleuropa werde übertragen lassen.

IV. Grenzveränderungen und Bevölkerungsaustausch am Vorabend des Zweiten Weltkriegs

Eine vierte Alternative, die John S. Stephens allerdings nicht erwähnte und die ihm und vielen Zeitgenossen in der Ära einer scheinbaren Stabilität vielleicht als nicht mehr realistisch erschien, war die Änderung der Staatsgrenzen. Zehn Jahre später war diese Option an der Tagesordnung der mitteleuropäischen Politik. Hitler hatte nach seiner Machtübernahme begonnen, das Versailler Staatensystem zu zerstören und damit vor allem die Grenzen in Mitteleuropa zu korrigieren.

Die erste größere dieser Korrekturen war der Anschluß Österreichs im März 1938. Das Deutsche Reich erhielt nun gemeinsame Grenzen u. a. mit Italien. Jenseits des Brenners aber hatte die faschistische Regierung bisher in geradezu klassischer Weise die deutschsprachigen Südtiroler einem scharfen assimilatorischen Druck unterworfen. Dieses potentielle Hindernis der Achsenfreundschaft zwischen Rom und Berlin sollte nun beseitigt werden. Der Slogan „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ konnte aber hier nicht nach dem Muster des Abkommens von München angewandt werden, wo im Herbst 1938 unter Assistenz Mussolinis und der Westmächte ein Minderheitenproblem durch Lostrennung von erheblichen Teilen der Tschechoslowakei und deren Anschluß an das Deutsche Reich „gelöst“ wurde

So ist statt dessen in Südtirol zum ersten Mal nach Lausanne -also nach einer Pause von 15 Jahren -wieder das Modell des durch internationale Abmachungen in Gang gesetzten Bevölkerungstransfers verwirklicht worden; diese Aktion sollte eine Lawine von Umsiedlungen einleiten, die dann in den vierziger Jahren Millionen von Menschen erfaßte.

Die Verantwortung für diese Umsiedlung ist oft allein der faschistischen Regierung Italiens zugeschoben worden Schon seit 1923 und unter deut-lieber Inspiration durch das Ergebnis von Lausanne waren jedoch im deutschen Auswärtigen Amt Pläne ventiliert worden, das Südtirol-Problem durch Umsiedlung zu lösen. Solche Vorstöße wurden damals aber nicht weiter verfolgt. Auch Adolf Hitler hatte schon 1932 darüber nachgedacht, daß „aus staatspolitischen Gründen“ die Südtiroler entweder italianisiert oder ausgesiedelt werden müßten. Seit dem Herbst 1937 und vor allem nach dem Anschluß Österreichs wurden dann zwischen Berlin und Rom Umsiedlungspläne erörtert und 1939 -nach dem Münchener Abkommen -wieder aufgenommen.

Die Verhandlungen -auf deutscher Seite von der SS geführt -zogen sich von Mitte 1939 bis in die ersten Wochen des Zweiten Weltkrieges hin und kamen erst im Oktober 1939 einigermaßen zum Abschluß Die beginnende Umsiedlung stand im Kreuzfeuer eines ideologisch-propagandistischen Kampfes zwischen „Option“ für das Deutsche Reich oder „Dableiben“ in der Heimat; die interessierten Gruppen versuchten die Südtiroler auf die eine oder andere Seite zu ziehen, aber die zunächst vorgesehene Gesamtumsiedlung wurde im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund gedrängt.

Die Umsiedlung der Südtiroler hat, so wenig eigentlich Dauerhaftes herausgekommen ist (nach dem Krieg kehrten die Südtiroler meist in ihre Heimat zurück), doch eine Signalfunktion als eine Art von Prototyp einer solchen Umsiedlung in Mitteleuropa gehabt. Die Lösung eines nationalen Minderheitenproblems durch Bevölkerungsaustausch war durch das Experiment Südtirol abermals in Erinnerung gerufen worden, und es scheint, als hätten fortan europäische Politiker sich dieses Modells immer wieder in Krisensituationen entsonnen. Der größte mögliche Krisenfall, der drohende Kriegsausbruch zwischen Deutschland und Polen, zeigt das in seinem Vorfeld recht deutlich.

Schon am 18. August 1939 hatte der britische Konsul aus Kattowitz eine Anfrage des Foreign Office, „whether he thought that there was any possibility of a solution by exchange ofpopulation“, unter Hinweis auf die gemischte Siedlungsstruktur in Oberschlesien verneint Als sich die Situation einige Tage später weiter zuspitzte, versuchte der britische Botschafter in Berlin, Henderson, die Idee des Bevölkerungsaustausches dem dortigen polni-sehen Botschafter nahezubringen: Er möge dem deutschen Außenminister vorschlagen „as the sole method of terminating minority disputes an exchange ofpopulations on the same but much easier lines as in South Tyrol“ Henderson drängte jedoch an diesem Tag vergeblich. Am 27. August schließlich, nur fünf Tage vor Kriegsausbruch, berichtete Henderson, er habe, als „Herr Hitler“ von seiner Entschlossenheit gesprochen habe, die „mazedonischen Zustände an seiner (d. h.der deutschen Ost-) Grenze“ zu beseitigen, sofort zugestimmt, „that the nationality idea being so strong today, the exchange ofpopulations was a very useful solution“ Ein solcher Austausch ist jedoch, wie bekannt, vor dem nicht mehr zu verhindernden Kriegsausbruch nicht mehr zustande gekommen.

V. Krieg und Umsiedlungen im Herrschaftsbereich Hitlers

Die Zwangsvorstellung, daß die Nationalstaats-grenzen mit den ethnographischen in Übereinstimmung gebracht werden müßten, war offensichtlich auch im Zweiten Weltkrieg bei beiden gegnerischen Seiten verbreitet. So hielt Hitler einen Monat nach Kriegsbeginn, am 6. Oktober, nach dem „Blitz“ feldzug in Polen und nach dessen neuerlicher Teilung, eine Rede im Deutschen Reichstag, die streckenweise ganz dem geschilderten Denkmodell folgte: Die neue Reichsgrenze müsse „den historischen, ethnographischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten gerecht“ werden. Die „wichtigste Aufgabe aber“ sei es, „eine neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse“ herzustellen, „das heißt eine Umsiedlung der Nationalitäten so, daß sich am Abschluß der Entwicklung bessere Trennungslinien ergeben, als es heute der Fall ist“. „Der ganze Osten und Südosten Europas“, so fuhr Hitler fort, sei „zum Teil mit nicht-haltbaren Splittern des deutschen Volkstums gefüllt. Gerade in ihnen liegt ein Grund und eine Ursache fortgesetzter zwischenstaatlicher Störungen ... Es gehört daher zu den Aufgaben einer weitschauenden Ordnung des europäischen Lebens, hier Umsiedlungen vorzunehmen, um auf diese Weise wenigstens einen Teil der europäischen Konfliktstoffe zu beseitigen.“ Soweit paßt dieser Text genau in das auch in der englischen Politik verbreitete Argumentationsmuster. In der Begründung, die Hitler gab, fanden sich freilich alsbald die bekannten Motive des Rassegedankens, der Höherwertigkeit des deutschen Volkes, der „Ordnung und Regelung des jüdischen Problems“ und des „Lebensraums im Osten“ wieder

Diese Rede Hitlers bildete das propagandistische Vorspiel zu einer neuen Lawine von Umsiedlungen deutscher Bevölkerungsgruppen aus osteuropäischen Nachbarstaaten unter der Devise „Heim ins Reich“. In den folgenden Monaten wurden mit diesem Ziel mit den osteuropäischen Nachbarstaaten 15 Umsiedlungsverträge abgeschlossen, die sämtlich die sogenannte „Heimführung“ deutscher Bevölkerungsgruppen betrafen

Als die Umsiedlung der Südtiroler sich in der ersten Planungsphase befand -der Krieg war damals noch nicht vom Zaun gebrochen -, hatte der SS-Führung ein Zwei-Phaseij-Modell vorgeschwebt: Zunächst sollten die Umsiedler vorläufig im Reich untergebracht werden, und wenn dann neue Gebiete im Osten zur Verfügung stünden, sollten die Südtiroler dort angesiedelt werden. Die Deutsch-balten, die wenige Wochen später aufgrund von Verträgen zwischen dem Reich und den baltischen Staaten umgesiedelt wurden, wurden bereits -statt ins Reich, wie sie bei der Abreise aus dem Baltikum meinten -ohne Umweg in die neueroberten Ostgebiete geleitet

Jetzt wurde erstmalig eine neue Verschärfung des Umsiedlungsmodells praktiziert: Um Platz für die Umsiedler aus dem Baltikum zu schaffen, wurden in überstürzten und exzessiv inhumanen Aktionen Polen massenweise aus dem Warthegau ins Generalgouvernement vertrieben bzw.deportiert. Es wurde damals verwirklicht, was Rauschning in seinen weitgehend fiktiven Gesprächen mit Hitler als die „Technik der Entvölkerung“ bezeichnet hat Diese Umsiedlung wurde dadurch besonders brutalisiert, daß zusätzlich zu dem für die NS-Polykratie ohnehin charakteristischen Wirrwarr von beteiligten Organisationen -so die Volksdeutsche Mittelstelle, die diversen Parteistellen, die Polizei, die Wehrmacht usw. -neue Organisationen eingerichtet wurden, wie die UWZ (Umwandererzentrale), vor allem aber dadurch, daß die Oberleitung des Umsiedlungswesens der SS Heinrich Himmler unterstellt wurde, der sich einen Tag nach der zitierten Hitlerrede zum „Reichskommissar zur Festigung des deutschen Volkstums“ (RKFDV) ernennen ließ. Damit bemächtigte sich der ausgedehnte SS-Apparat des Umsiedlungswesens in einer zwar oft widersprüchlichen und unkoordinierten Weise, aber mit der für die SS charakteristischen zynischen Menschenverachtung.

Man kann die An-, Aus-und Umsiedlungsaktionen im deutschen Machtbereich in drei Phasen periodisieren: -1939-41: die Phase der Neuordnung, in der planlos und improvisiert gehandelt wurde; -1941-43: die Phase der Aktionen nach Planungen; -1943-45: die Rückzugsphase, in der bis zum Kriegsende immer neue Umsiedlungen in Gang gesetzt wurden; z. B. noch 1944 die der Schwarzmeerdeutschen, die ins Wartheland transportiert wurden, wo ihre Umsiedlung sich bald in eine Flucht vor der herannahenden Front verwandelte.

In dieser relativ kurzen Zeit hatte das von den deutschen Organen veranstaltete Herumsiedeln -das Wort sei gestattet -im östlichen Europa eine große Variationsbreite, in der es auch wohlorganisierte Rückführungen, ja Hof-zu-Hof-Umsiedlungen zwischen Deutschen und Polen mit vorgesehenem Wertausgleich gab; häufiger waren freilich die willkürlichen oder von vornherein unmenschlichen Austreibungsaktionen, in denen die planmäßige Deklassierung der Bevölkerungen besetzter Länder, besonders der polnischen, sowie das System der Zwangsarbeit bis hin zum Genozid der „Lösung der Judenfrage“ und der Konzentrationslager reichte

Umsiedlungen fanden übrigens nicht nur in Osteuropa statt. Das Bestreben, die durch Eroberung weit gewordenen Grenzen des Großdeutschen Reichs durch die Ausweisung oder Eindeutschung von nichtdeutschen Bevölkerungsgruppen und durch das Nachziehen von Deutschen von anderswoher aufzufüllen, gab es auch im Westen (in ElsaßLothringen) oder im Süden (in den von Jugoslawien annektierten Gebieten, wo Slowenen ausgesiedelt wurden) ja auch unter den Verbündeten des Deutschen Reichs hat es Bevölkerungsaustausch gegeben: zwischen Bulgarien und Rumänien, zwischen Kroatien und Serbien usw.

In der Phase der Planungen kam es zu grundsätzlichen Zukunftsprojekten wie dem berüchtigten „Generalplan Ost“ in dem die Neuordnung Ost-europas für die Nachkriegszeit ins Auge gefaßt wurde. Der Tenor dieser Planungen wurde von Karl Hermann Frank 1941 knapp im NS-Jargon so zusammengefaßt: „Umvolkung der rassisch Geeigneten, Aussiedlung von rassisch Unverdaulichen, Sonderbehandlung destruktiver Elemente, Neubesiedlung dadurch freigewordenen Raumes mit frischem deutschem Blut.“

Es gab aber auch Planungen, die sofort in die Tat umgesetzt wurden. Das groteskeste Beispiel war wohl die Aktion, in der das Gebiet um Zamo£5 in einer Art von Laboratoriumsversuch durch Aussiedlung von Polen und Ukrainern sowie Neuansiedlung von Deutschen und anderen, aber auch durch die sogenannte Wiedereindeutschung von längst an die polnische Umgebung assimilierten Familien, die von früheren deutschen Einwanderern abstammten, in einen Teil einer vorgesehenen deutschen „Siedlungsbrücke“ verwandelt werden sollte, die vom Baltikum bis Siebenbürgen reichen sollte. Spätestens jetzt merkte man, daß die Umsiedlung der Deutsch-Balten in dieser Hinsicht ein Fehler gewesen war. Die Zamo& S-Aktion war wegen des Widerstandes aller Betroffenen für ihre Organisatoren schon gescheitert, bevor die Rote Armee diese Region erreichte.

Die Entmischungsidee hat in der kurzen Ära der NS-Herrschaft über weite Teile Europas einen qualitativen Sprung erfahren: Sie war jetzt gekennzeichnet durch eine bisher unbekannte Mischung aus Zynismus, „wissenschaftlichem“ Herumexperimentieren mit dem Hin-und Herschieben von Menschengruppen und durch gesetzlose Brutalität. So ist durch Hitler die Hemmschwelle hinsichtlich dessen, was man mit Menschen und Menschen-gruppen meinte tun zu können, gegenüber den Verhältnissen der Zwischenkriegszeit ebenso gesenkt worden, wie das Grenzen-Verschieben durch ihn wieder in Schwung gekommen ist.

VI. Umsiedlungspläne der Alliierten und ihre Verwirklichung

Auch auf der Seite der Alliierten war der Gedanke der Entmischung weiterhin lebendig. Seit dem Einsetzen der Planungen für die Nachkriegszeit, für die die Erzielung von national homogenen Staaten eines der wichtigsten Mittel erschien, Konfliktherde zu beseitigen und eine stabile Friedensordnung aufzurichten, wurden Umsiedlungen von Minderheiten vorgesehen, auch solchen, die erst bei eventuellen Grenzverschiebungen entstehen sollten.

Eine Schlüsselrolle spielte in dieser Entwicklung -die hier nicht im einzelnen verfolgt werden kann -eine Denkschrift, die auf Anforderung des Foreign Office von einer Oxforder Expertengruppe, dem „Foreign Research and Press Service“ (FRPS) im Mai 1942 erarbeitet worden war. Die Fragestellung des Foreign Office lautete: Welche Gesichtspunkte sollen bei der Grenzziehung der beiden nach dem Krieg in Ostmittel-und Südosteuropa zu errichtenden Föderationen (Polen-Tschechoslowakei und Jugoslawien-Rumänien-Bulgarien) beachtet werden? Wenn aufgrund dieser Grenzen ein Bevölkerungsaustausch ratsam erscheine, dann solle ein zweites Papier erstellt werden über „Lessons to be leamt from past exchanges of populations, particularly the Graeco-Turkish exchange and the forced removal of populations undertaken by the Germans in the Baltic States and in territory now occupied by Germany.“

In der Vorstellung dieser offensichtlich bestens informierten Expertengruppe war in der Tat mit den im östlichen Europa vorgesehenen Grenzänderungen nahezu regelmäßig ein Bevölkerungsaustausch verbunden. In einem Anhang „Transfer of German Population“ wurden die Vorstellungen über eine Abtrennung deutscher Ostgebiete und die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Integration von Millionen deutscher Umsiedler ausgebreitet.

Großbritannien scheint in Hinsicht auf seine am meisten exponierte Stellung als kriegführende Macht im Zweiten Weltkrieg die wichtigste Rolle in der alliierten Planung für die Nachkriegszeit gespielt zu haben; erst gegen Kriegsende haben die Vereinigten Staaten die Führung auf westlicher Seite übernommen Die „Erfindung“ des Gedankens der Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg ist gerade von deutschen Vertriebenen vor allem zwei Akteuren angelastet worden: Stalin und dem tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Beneä.

Daß in der Stalinschen Sowjetunion Umsiedlungspläne für das besiegte Deutschland entwickelt worden sind, erscheint als durchaus wahrscheinlich, wenn man den Massenterror im Umgang der sowjetischen Führung mit Nationalitäten im eigenen Lande während des Zweiten Weltkriegs und danach in Betracht zieht Das wenige, was von den sowjetischen Planungen für die Nachkriegszeit bisher sichtbar geworden ist -vor allem im Zusammenhang mit den alliierten Kriegs-und Nachkriegskonferenzen -, weist auf die Forcierung von weit über die westalliierten Pläne hinausreichenden Gebietsabtretungen Deutschlands im Osten hin. Damit war auch die Forderung nach einer Aussiedlung der Deutschen vor allem aus den an Polen oder an die Sowjetunion anzuschließenden Gebieten verbunden. Es ist aber sicher verfehlt, die Urheberschaft des Vertreibungsgedankens allein in der sowjetischen und dahinter in der perspektivisch bis ins Mittelalter zurückreichenden russischen „politischen Kultur“ zu suchen, wie das in der Nachkriegszeit gelegentlich auch von emstzunehmenden deutschen Autoren gesehen wurde Auch die Spur, die zu Bene§ als Urheber des Gedankens einer Aussiedlung der Deutschen nicht nur aus der ÖSR führt, ist gewöhnlich mit zu dikkem Stift gezeichnet worden. Daß und wie sich in der tschechoslowakischen Exilregierung in London im Verlauf des Zweiten Weltkriegs im Zusammenspiel mit den tschechischen Widerstandskräften im Protektorat der Vertreibungsgedanke nach und nach entwickelt hat, ist seit geraumer Zeit bekannt Zunächst entstand der Plan, nach der Aufhebung des Münchener Abkommens das Problem der Minderheiten in der von Lausanne her geläufigen Weise zu regeln: durch Abtretung der fast rein deutsch besiedelten Grenzvorsprünge im Norden der Tschechoslowakei und des Egerlandes an Deutschland und einen darauf folgenden nationalen Bevölkerungsaustausch. Einer solchen Lösung glaubte selbst der Londoner Vertreter der sozialdemokratischen Sudetendeutschen, Wenzel Jaksch, teilweise zustimmen zu können

Erst im weiteren Verlauf des Krieges ist zu dem Aspekt der nationalen Homogenisierung der nach dem Krieg wiederzuerrichtenden tschechoslowakei der Aspekt der Bestrafung der sudetendeutschen Nazis getreten. Die Endstufe der Planung wurde dann nach dem Krieg auch verwirklicht: Wiederherstellung des tschechoslowakischen Staatsgebietes, Austreibung potentiell aller Deutschen und Ungarn.

Die Umsiedlungspläne für Ostmitteleuropa wurden von der britischen Regierung mit den ostmitteleuropäischen Exilregierungen, den Vereinigten Staaten, dem European Advisory Committee (EAC) und anderen abgestimmt. Als -fast in der Endphase der Planungen -im Dezember 1944 Churchill in einer Unterhausrede bekanntgab, Polen werde nach Kriegsende sich nach Westen ausdehnen und die dortige deutsche Bevölkerung werde „total ausgewiesen“ werden {total expulsion), war freilich weder die Ausdehnung dieses Bereichs noch die zeitliche Abfolge der Umsiedlungen bekannt.

Unter dem Eindruck der deutschen Besatzungspolitik in Osteuropa kann man in den britischen Akten jener Zeit zwischen 1942 und 1945 gelegentlich recht drastische Vorschläge finden, so etwa den, die auszusiedelnden Ostpreußen und Oberschlesier am besten in Sibirien „verschwinden zu lassen“: „Such a solution might please the Russians, who in any case will probably be on the spot. . . Moreover the future of these people is much less likely to attract attention and give rise to political agitation if they disappear into Siberia, instead of forming themselves into a compact and indigestible mass in Germany,“

Den Befürwortern der totalen Deutschenaustreibung standen allerdings gewichtige Skeptiker im Regierungsapparat entgegen. Ihr Hauptexponent war wohl der Vorsitzende des „Interdepartmental Committee on the transfer of German Populationsu, John Troutbeck. Er und einige andere nachdenkliche Deutschlandexperten wie Con O’Neill wiesen auf die Schwierigkeiten und Risiken der Ausführung hin: Je größer die Gebietsabtretungen Deutschlands an Polen, desto größer die Gefahr eines deutschen Revanchismus. Andererseits habe es keinen Zweck, deutsche Restbevölkerungen in den Nachbarstaaten zu belassen, die Aussiedlung müsse vollständig sein

Je näher deren Verwirklichung rückte und je klarer die tatsächliche Kriegszerstörung bewußt wurde, desto deutlicher stellte sich das Problem, wie die zu erwartenden und bald auch tatsächlich einströmenden Massen der Flüchtlinge und Vertriebenen untergebracht und ernährt werden sollten, von einer möglichen Integration an den neuen Wohnorten ganz zu schweigen.

So wurde seit Ende 1944 immer dringender die von allen Westalliierten, zum Teil sogar von der Sowjetunion, getragene Forderung laut, die Staaten, die deutsche Bevölkerung aussiedelten, dürften dies nicht einseitig und ohne Absprache mit dem European Advisory Council bzw.den aktuellen Besatzungsverwaltungen in Deutschland tun. Die Vorstellung allerdings, der Transfer müsse sich auf mehrere Jahre erstrecken, wurde dann von der Vertreibungs-Realität des Jahres 1945 überholt.

VII. Höhepunkt und Ende der Umsiedlungen nach dem Zweiten Weltkrieg?

Die praktische Durchsetzung des „Transfers“ der Deutschen, vor allem aus Polen und der Tschechoslowakei, ging dann in ihrer Dramatik, in ihrer Massenhaftigkeit und Brutalität weit über die Ausführung des in London oder in Jalta und Potsdam geschriebenen Drehbuchs hinaus. Der „Transfer“ schloß unmittelbar an die panische Fluchtbewegung des Kriegsendes im wesentlichen in zwei Phasen an: der wilden Vertreibung und den nach der Konferenz von Potsdam eingerichteten Güterzug-Transporten, die nach der dort aufgestellten Vereinbarung „orderly and humane“ sein sollten. Die Forderung nach „ordnungsmäßiger“ Abwicklung der Transporte ging vor allem auf die Unterbringungsschwierigkeiten in den Aufnahmegebieten Deutschlands zurück. Daß die Transporte weiterhin alles andere als „human“ waren, wurde in zunehmendem Maße in der britischen und amerikanischen Öffentlichkeit kritisiert. 1946 und noch im Winter 1946/47 kam es zu empörten Anfragen im britischen Unterhaus und zum Versuch, die Transporte wenigstens in der Winterzeit zu stoppen -mit nicht allzugroßem Erfolg; die Dampfwalze mußte erst zum Stehen kommen.

Wie wenig die Realität manchmal mit der Vorstellung eines geregelten Bevölkerungs-„Transfers“ übereinstimmte, kann eine Episode zeigen, die in die unmittelbare Nachkriegszeit fällt: Um vollendete Tatsachen zu schaffen und ebenso den Rückstrom von Millionen deutscher Flüchtlinge über die Oder-Neiße-Linie nach Ende der Kampfhandlungen zu verhindern wie auch um interalliierten Abmachungen zuvorzukommen, hatte die polnische Armee schon seit Anfang Juni 1945 eine Militär-siedlung entlang dieser Linie begonnen Für die an der Rückkehr gehinderten Flüchtlinge ging hier -wie auch anderswo -Flucht in Vertreibung über.

Die gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen der vierziger Jahre (allein die Zahl der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen überstieg elf Millionen sind von einer intensiven Kontroverse in der Publizistik begleitet worden. Darin finden sich entschiedene Befürworter; so der wohlinformierte Bernard Newman, der schon 1943 -aufbauend auf seinem früheren Buch „Danger Spots in Europe“ -recht vehement die Idee des Bevölkerungsaustausches vertrat. Der Hauptbeweggrund: „The inconvenience of the few cannot be allowed to prejudice the safety of the many.“ Die Härten müßten eben in Kauf genommen werden für den wichtigen Zweck der Befriedung Ex-US-Präsident Herbert Hoover befürwortete den Bevölkerungstransfer als „heroisches Heilmittel“; „die Härte des Wegbewegens“ sei zwar groß, aber sie sei „geringer als das dauernde Leid der Minderheiten und die dauernde Wiederkehr von Kriegen“ Ähnlich äußerte sich der frühere liberale US-Vize-Staatssekretär Sumner Welles, der Minoritäten als „ewige Bedrohung freundlicher Beziehungen zwischen den Völkern“ ansah: „Ist es nicht besser, in Hinsicht auf die entsetzliche Tragödie in Europa, der wir jetzt gegenüberstehen, mit all dem Kummer (heartaches) in dieser Generation fertigzuwerden, wenn er eine unmittelbare Folge der Planung einer friedlichen und glücklicheren Welt ist, und auf diese Weise neuen Kummer in den künftigen Generationen zu vermeiden?“

Es gab auch zahlreiche Kritiker der Bevölkerungstransfers, und es hatte sie schon in den Planungsorganen der Kriegszeit gegeben. So wies Eugene Kulischer, ein Experte für Migrationsgeschichte, in einem längeren Artikel 1946 darauf hin, Massenumsiedlungen könnten in ihrem negativen Charakter nicht rational verklärt werden. Überhaupt: „No artificial ethnic Segregation can be durable“ ’, kein Staat lasse sich rein, d. h. homogen erhalten

Gelegentlich kam es sogar zu unmittelbarer Konfrontation zwischen Befürwortern und Gegnern des nationalen Bevölkerungsaustausches, so in einer denkwürdigen Diskussion im Londoner Oberhaus im März 1944

Daß die vom Bevölkerungsaustausch selbst Betroffenen oder diejenigen, denen ein solcher bevorstand, ihn auch dort, wo er freiwillig war, ablehnten, ja fürchteten, liegt auf der Hand. Es sei nur erinnert an die heftigen Proteste der griechischen Flüchtlinge; zu erinnern wäre ferner an den enormen Propagandaaufwand und den psychologischen Druck durch Drohungen und Verlockungen, die notwendig waren, um die Südtiroler oder die Deutsch-Balten in Bewegung zu setzen. Es gibt eindrucksvolle Berichte darüber, wie sich allein gegen die Aussicht, umgesiedelt zu werden, die Deutschen in Südosteuropa 1939/40 heftig gewehrt haben

Als Beleg dafür, daß die Idee des „unmixing of peoples“ trotz aller negativen Erfahrungen auch nach den Erfahrungen von 1945/46 in der britischen Diplomatie weiterlebte, seien zwei Beispiele erwähnt:

Die Aufregung über die im Spätsommer 1949 aufgekommene Nachricht über die Verschleppung von mehr als hunderttausend „griechischen“ Kindern nach Jugoslawien in der Zeit des griechischen Bürgerkriegs Eine Analyse des Foreign Office ergab, daß es sich wahrscheinlich um „slawischsprechende“ Mazedonier handelte. Der Lösungsvorschlag des Foreign Office: Ein Bevölkerungs-Zwangsaustausch zwischen Griechenland und Jugoslawien. Hier winkte die Britische Botschaft in Athen ab: Die Sache sei viel zu kompliziert und schon der Austausch vor drei Jahrzehnten ein Fehlschlag gewesen.

Ein anderes, vielleicht weniger am Rand gelegenes Beispiel: Im April 1948, als ein Teil Istriens in der Gegend von Triest unter einer gemeinsamen britisch-amerikanischen Militärverwaltung stand, kam es im Vorfeld von Verhandlungen um das Schicksal Triests zu einem internen Schriftwechsel über eine mögliche Minderheitenvertretung der Slowenen. In den Stellungnahmen der britischen Diplomaten wurde mehrfach warnend auf die Erfahrungen mit „the Sudeten Germans“ von 1938 hingewiesen, „it would be disastrous to encourage unassimilated minorities“. Fast reflektorisch tauchte auch hier wieder der Gedanke auf: Wenn es zu einer Teilung des Triester Gebiets käme, sollte man sprechen „about the possibilities of an exchange of populations between Yugoslavia and Italy“. Nur zwei Diplomaten äußerten in diesem umfangreichen, sich über Monate hinziehenden Schriftwechsel gewisse Bedenken gegen einen Bevölkerungsaustausch

VIII. Wiederaufnahme der ethnischen Säuberungen in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts?

Nach dem Abflauen der Vertreibungswelle in Mitteleuropa bis zum Ende der vierziger Jahre schien es, als sei der Höhepunkt des nationalstaatlichen Zeitalters endlich überschritten und als käme die in seinem Zeichen ausgelöste große Welle der Zwangswanderungen zur Ruhe Europa schien sich auf größere, übernationale Einheiten zuzubewegen -und sei es auch nur im Rahmen der auf Dauer angelegten großen Machtblöcke des Ostens und des Westens. Sozio-ökonomisch orientierte Ideologien und Modemisierungsstrategien der einen oder anderen Art schoben sich vor den Gedanken des reinen Nationalstaats.

Nur an der Peripherie der europäischen Staaten-welt gab es noch Überreste des alten nationalen Haders: In Irland, in Mazedonien, in Südtirol, im Nahen Osten, allenfalls in den Entwicklungsländern der Dritten Welt, wohin sich der Nationalismus als angeblich „gesunkenes Kulturgut“ verzogen hatte, wo im Zeichen der Entkolonialisierung neue Nationalstaaten entstanden und verschiedene Begleiterscheinungen dieses Vorgangs, auch Umsiedlungen von Angehörigen „fremder“ Nationalitäten oder Stämme auftraten. Vor allem wäre hier auf den Millionen von Menschen erfassenden, gewaltigen „population exchange“ zwischen Indien und dem nach der Teilung Indiens im Jahre 1947 neuentstandenen Staat Pakistan zu verweisen; ein Bevölkerungsaustausch, der in seiner Dramatik und in der gleichzeitigen Gegenseitigkeit die Vorgänge in Europa wohl noch überstiegen hat

Entsprechend hat es nach dem langsamen Aufhören der Deutschen-Aussiedlungen aus Ostmitteleuropa und anderer zwischenstaatlich vereinbarter Bevölkerungstransfers (so etwa auf der Grundlage der sogenannten Repatriierungsverträge zwischen Polen und den westlichen Unionsrepubliken der UdSSR sowie der Bevölkerungsaustausch zwischen Ungarn und der ÜSR und andere in Südosteuropa) jahrzehntelang kaum mehr Austauschsiedlungen dieser Art gegeben. Sie sind entweder (siehe Mazedonien oder Triest) nicht bis zur Vertragsphase gekommen oder gehörten eher zu einem anderen Typus, wie beispielsweise der bis in die Gegenwart andauernde Zustrom von sogenannten Deutsch-stämmigen aus Osteuropa in die Bundesrepublik Deutschland.

Zwar beruhen diese Umsiedlungen tatsächlich auf zwischenstaatlichen Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen oder anderen Staaten. Diese Vereinbarungen dienten aber keineswegs dem Wunsch der polnischen, sowjetischen oder rumänischen Regierung, ihren jeweiligen Staat ethnisch zu „reinigen“, sondern kamen eher dem Wunsch der Aussiedler nach einer ihnen genehmeren ethnischen oder ökonomischen Umgebung entgegen. Solche Wanderungsbewegungen gehören also nicht zum Typus „population transfer“ in der bei uns verwendeten Definition, auch wenn deutschstämmigen Umsiedlern aus den nach dem Krieg so genannten „Vertreibungsgebieten“ aus juristischen Gründen nach wie vor der Status von Vertriebenen nach dem Gesetz für Flüchtlinge und Vertriebene von 1953/1971 zugebilligt wurde und wird.

Die Wende zu den neunziger Jahren unseres Jahrhunderts sollte freilich erweisen, daß es sich bei der Annahme, die nationalstaatliche Ideologie habe ihre Kraft verloren, um eine Illusion, um ein allzu verständliches Wunschdenken handelte. Gab es Flüchtlinge und Vertriebene in den achtziger Jahren in Mitteleuropa fast nur noch als historische Erinnerung an die Nachkriegszeit oder als lediglich potentielle Gefahr für die Zukunft und hatte sich das reale, massenhafte Flüchtlingsproblem in die Dritte Welt verlagert so hat der Zusammenbruch des Ostblocks offenbart, daß der Nationalismus auf diesem Gebiet nur unterdrückt, nicht aber überwunden worden war. Mit der „Rückkehr nach Europa“ der ehemals sozialistischen Länder Ost-europas und dem Zerbrechen des Eisernen Vorhangs ist das Asylanten-und Flüchtlingsproblem auch in Deutschland wieder alltägliche Realität geworden: Wohncontainer und Asylantenheime gehören neuerlich ins Bild der Städte und Dörfer; die Reaktion darauf bewegt sich in einem breiten Spektrum zwischen organisierter Hilfsbereitschaft und gewalttätigem Ausländerhaß.

Wendet man den Blick von dieser Szenerie der Aufnahmeländer auf die Entstehungsgebiete der erneuerten Massenwanderung und vernachlässigt dabei das häufige Motiv der Wirtschaftswanderung -vor allem aus der Dritten Welt, aber auch aus Osteuropa -, dann stößt man vor allem auf solche Menschen, die aufgrund von Willkürakten verschiedener Seiten mit dem Ziel einer „nationalen Reinigung“ aus ihrer Heimat geflohen oder vertrieben worden sind, insbesondere aus den Bürgerkriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawien.

In kaum einem Fall handelt es sich hier also um Betroffene jenes Vorganges, mit dem wir uns hier beschäftigt haben: mit einem vertraglich zwischen mehreren Staaten vereinbarten Bevölkerungsaustausch oder -transfer. Ohnehin läßt sich eine Abstraktion dieses Modells, seine sozusagen anatomische Trennung von anderen Vorgängen der Massenwanderung und -Zwangswanderung, nicht ganz verwirklichen. Allzuoft ging die eine Form in die andere über: Flucht in Vertreibung, Deportation in Emigration. Auch die Motive waren nicht immer eindeutig: Die Idee der nationalen Entmischung und der Erzielung eines homogenen, also konfliktfreien Nationalstaats war oft mit ökonomischen, machtpolitischen, militärstrategischen oder mit ideologischen Interessen, mit Revanche, Bestrafung oder mit übernationalem Blockdenken verwoben.

So ist das, was heute in den kroatisch-serbischen Mischgebieten Kroatiens oder Serbiens, vor allem aber in Bosnien-Herzegowina geschieht, in seiner Willkür und Gewalttätigkeit eher mit dem Chaos vor der Konferenz von Lausanne zu vergleichen als mit dem „geregelten“, wenn auch zwangsweisen Bevölkerungsaustausch danach. Immerhin aber erinnern die Bemühungen der verschiedenen Beauftragten der UNO oder der Europäischen Gemeinschaft, die sich um eine Konfliktlösung bemühen, oder die Ansätze zu einer Jugoslawien-Konferenz an die Situation von 1923 und ihre Akteure um Curzon und Nansen. Die heutige Lage mutet freilich fast noch schwieriger an: Die Einrichtung geschlossener nationaler Siedlungsgebiete oder wenigstens nationaler Kantone, seien sie auch noch so ausgeklügelt, erscheint angesichts der kleinräumigen Vermischung von meist mehr als zwei Nationalitäten als nahezu unmöglich.

Gegenwärtig wird von den verschiedenen nationalen Bürgerkriegsparteien (Serben, Muslimen und Kroaten) der Versuch unternommen, vollendete Tatsachen durch wilde Vertreibung von jeweils andersnationalen Bevölkerungsgruppen und damit Regionen von „gereinigtem“ nationalem Charak-ter zu schaffen Auf diesem Hintergrund mag Beobachtern der Gedanke einer einvemehmlichen Grenzänderung und des Zusammenschlusses national „relativ kompakter Gemeinschaften... eventuell durch freiwillige und geregelte Umsiedlung von Minderheiten, gewissermaßen im Austausch“ als ebenso verlockend erscheinen wie auch eine „ethnische Entflechtung“ als wohl einzige Lösungsmöglichkeit für andere nationale Konflikte, etwa den armenisch-aserbaidschanischen

Die für frühere Phasen des 20. Jahrhunderts skizzierte Geschichte des „chirurgischen“ Rezepts zur Lösung nationaler Minderheitenprobleme hinterläßt in dieser Hinsicht freilich eine erhebliche Skepsis. Sollten zur dauerhaften Befriedung nationaler Mischgebiete nicht doch eher föderale und autonomistische Konzepte tauglicher sein oder ein ausgebauter Minderheitenschutz? Sind nicht Regelungen des Minderheitenschutzes, etwa wie in der Völkerbund-Ära, besser, als es ihr Ruf war und ist? Hat ihre Fortentwicklung im Rahmen. von UNO und KSZE, wenn sie denn nur konsequent vorangetrieben wird, eher Aussicht auf eine Befriedung? Können nicht tatsächlich Autonomie-modelle in der Art des heutigen Südtirol, ferner regionale Kooperationen oder föderative bzw. konföderative Modelle weit bessere Alternativen bilden als die Wahnvorstellung, von Nationalstaaten, wenn sie denn nur genug homogen, „gereinigt“ sind, sei der allgemeine Friede zu erhoffen?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe die Angaben der Volkszählung von 1981 über die nationale Zusammensetzung jugoslawischer Gemeinden in: Ivan Bertid, Geografski Atlas Jugoslavije za nastavno-obra* programe (Geographischer Atlas Jugoslawiens für Unterrichts-[und] Bildungsprogramme), Zagreb 1988, S. 120-132.

  2. Vgl. Pedro Ramet, Die Muslime Bosniens als Nation, in: Andreas Kappeler/Gerhard Simon/Georg Brunner (Hrsg.), Die Muslime in der Sowjetunion und in Jugoslawien, Köln 1989, S. 107-114.

  3. Und zwar im Sinne der Titelformulierung einer jiddischen Broschüre von Mark Venianovich Vishnyak, Dos transferim bafelkerungen vi a mitl tsu farentfem [beantworten] di problem fun minoritetn, New York 1942.

  4. Vgl. Joseph B. Schechtman, Postwar Population Transfers in Europe. 1945-1955, Philadelphia 1962, Annex: „Pro and Contra Population Transfer“, S. 389-396.

  5. Vgl. eine Vorstudie des Verfassers dazu: Nationale „Entmischung“ und Zwangswanderungen in Mittel-und Osteuropa 1938-1948, in: Westfälische Forschungen, 39 (1989), S. 383-392; eine Monographie zum Thema ist in Vorbereitung.

  6. Vgl. Georges Montandon, Frontiäres nationales: Determination objective de la condition primordiale näcessaire ä l’obtention d’une paix durable, Lausanne 1915.

  7. Im Original hervorgehoben.

  8. Ebd., S. 9.

  9. Vgl. Stephen P. Ladas, The Exchange of Minorities. Bulgarin, Greece and Turkey, New York 1932.

  10. Ebd., S. 338.

  11. Vgl. ebd., S. 339ff.

  12. Vgl. Public Record Office, London, Politische Korrespondenz des Foreign Office (künftig abgekürzt als „FO“): FO 371/9092 -E 1131/4/44: Report Nansens vom 5. Februar 1923.

  13. Zit. bei S. P. Ladas (Anm. 9), S. 341.

  14. Vgl. ebd., S. 700.

  15. Aus der umfangreichen Literatur zum Minderheitenschutz vgl. Erwin Viefhaus, Die Minderheitenfrage und die Entstehung der Minderheitenschutzverträge auf der Pariser Friedenskonferenz 1919, Würzburg 1960; Bastiaan Schot, Nation oder Staat? Deutschland und der Minderheitenschutz. Zjir Völkerbundspolitik der Stresemann-Ära (= Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien, 4), Marburg 1988.

  16. Diese Haltung kann man als „quietistisch“ bezeichnen; vgl. Rudolf Jaworski, Vorposten oder Minderheit? Der Sudetendeutsche Volkstumskampf in den Beziehungen zwischen der Weimarer Republik und der ÖSR, Stuttgart 1977, S. 182.

  17. Vgl. John S. Stephens, Danger Zones of Europe. A study of National Minorities (= Merttens Lecture on War and Peace, 3), London 1929.

  18. „Democracy is the worst form of govemment except all those other forms that have been tried front time to time.“ Rede im Unterhaus am 11. 11. 1947, zit. in: J. M. and M. J. Cohen, The Penguin History ofmodern Quotations, London 19802, S. 74.

  19. Zit. in: B. Schot (Anm. 15), S. 16

  20. J. S. Stephens (Anm. 17), S. 31 f.

  21. Auch im Münchener Abkommen sind freilich Regelungen für einen „Austausch der Bevölkerungen“ vereinbart worden. Vgl. Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1915-1938 (ADAP), Serie D, Band 2, Baden-Baden 1950, Dokument Nr. 675.

  22. Zur Kritik an dieser Meinung vgl. Leopold Steurer, Süd-tirol zwischen Rom und Berlin 1919-1939, Wien-München­ Zürich 1980; vgl. ferner Option -Heimat -Opziöni. Eine Geschichte Südtirols. Una storia dell* Alto Adige. Katalog zur Ausstellung des Tiroler Geschichtsvereins, Bozen 1989.

  23. Insgesamt gab es zwischen Sommer 1939 und 1942 über 20 deutsch-italienische Verträge über die Umsiedlung der Südtiroler.

  24. FO 371/23026 -CI 1649/54/18.

  25. FO 371/3207 -€12058/54/18.

  26. Ebd. Vgl. ADAP, Serie D, Bd. 7, Baden-Baden 1956, Nr. 265, S. 234.

  27. Der großdeutsche Freiheitskampf. Reden Adolf Hitlers vom 1. September 1939 bis 10. März 1940, München 1942, S. 67-100, hier S. 82f.

  28. Vgl. Hellmuth Hecker, Die Umsiedlungsverträge des Deutschen Reiches während des Zweiten Weltkrieges (= Werkhefte der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg, 17), Hamburg 1971.

  29. Vgl. Dietrich A. Loeber (Hrsg.), Diktierte Option. Die Umsiedlung der Deutsch-Balten aus Estland und Lettland 1939-1941. Dokumentation, Neumünster 1972; Jürgen von Hehn, Die Umsiedlung der baltischen Deutschen -das letzte Kapitel baltisch-deutscher Geschichte (= Marburger Ostforschungen, 40), Marburg 1982.

  30. Vgl. Hans Lemberg, Flucht und Vertreibung in der Zeit des Zweiten Weltkriegs, in: Geflohen und vertrieben. Augenzeugen berichten. Nach der Femseh-Dokumentation „Flucht und Vertreibung“ von Eva Berthold und Jost v. Morr, hrsg. von Rolf Mühlfenzl, Königstein/Ts. 1981, S. 126-139. Zur NS-Polenpolitik s. das schon klassische Werk: Martin Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1945 (= Schriftenreihe der Viertel) ahrshefte für Zeit-geschichte, 2), Stuttgart 1961.

  31. Vgl. R. L. Koehl, RKFDV. German Resettlement and Population Policy 1939-1945. A history of the Reich Commission for the Strengthening of Germandom, Cambridge 1957.

  32. Für diese Mitteilung danke ich Herrn Alexander Dolezalek, Vlotho.

  33. Vgl. dazu u. a. Janusz Sobczak, Hitlerowskie przesiedlenia ludnoäci niemieckiej w dobie II wojny Swiatowej (Die Hitlerschen Umsiedlungen deutscher Bevölkerung während des 2. Weltkriegs), Poznad 1966; Czeslaw Luczak (Hrsg.), Wysiedlenia ludnoSci polskiej na tzw. ziemiach wcielonych do rzeszy 1939-1945. Wybor Zrödel (Aussiedlung polnischer Bevölkerung in den sogenannten eingegliederten Reichsgebieten 1939-1945. Quellenauswahl), Poznari 1969.

  34. Vgl. Alfred Wahl, Les Expulsions en Alsace et en Lorraine (1940-1944), in: Studia Historiae Oeconomicae (Poznari), 8 (1973), S. 107-116; (im selben Heft auch weitere Aufsätze zum Themenbereich).

  35. Vgl. Tone Ferenc, Die Massenvertreibung der Bevölkerung Jugoslawiens während des Zweiten Weltkrieges und der mißglückte Plan einer Ansiedlung von Slowenen in Polen, in: ebd., S. 51-76.

  36. Vgl. Rolf-Dieter Müller, Hitlers Ostkrieg und die deutsche Siedlungspolitik. Die Zusammenarbeit von Wehrmacht, Wirtschaft und SS, Frankfurt 1991, S. 83ff.

  37. Zit. in: Karl Drechsler/Gerhard Hass/Wolfgang Schumann, Zwangsaussiedlung und Germanisierung in den Kriegszielplanungen der faschistischen deutschen Monopolbourgeoisie, in: Studia Historiae Oeconomicae (Poznaü), 8 (1973), S. 35-49, hier: S. 41.

  38. Vgl. Czeslaw Madajczyk (Hrsg.), Zamojszczyzna -Sonderlaboratorium SS. Zbiör dokumentöw polskich i niemieckich z okresu okupacji hitlerowskiej (Die Region ZamoSd -Sonderlaboratorium der SS. Sammlung polnischer und deutscher Dokumente aus der Zeit der Hitlerschen Okkupation), 2 Bde., Warszawa 1977.

  39. Fo 371/30930 -c 2167/241/18.

  40. Die Entwicklung der Umsiedlungspläne für Nachkriegseuropa in den USA hat vor allem -mit anklägerischer Absicht -dargestellt: Alfred M.de Zayas, Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen. Vorgeschichte, Verlauf, Folgen, München 19783.

  41. Vgl. dazu Robert Conquest, The Nation Killers. The Soviel Deportation of Nationalities, London 1970. Dieses Thema wird in der neuesten russischen Geschichtsschreibung im Unterschied zur früheren Tabuisierung intensiv behandelt.

  42. Vgl. z. B. Gotthold Rhode, Zwangsumsiedlungen in Osteuropa vor der Oktoberrevolution, in: Geschichtliche Landeskunde und Universalgeschichte. Festschrift für Hermann Aubin, Hamburg 1950, S. 163-182.

  43. Vgl. neuerdings dazu Jan Kfcn/Väclav Kural/Detlef Brandes, Integration oder Ausgrenzung. Deutsche und Tschechen 1890-1945, Bremen 1986; TomäS Stanök, Odsun Nömcü z Ceskoslovenska (Die Ausweisung der Deutschen aus der Tschechoslowakei) 1945-1947, Praha 1991 (dort Hinweise auf weitere Literatur).

  44. Vgl. Detlef Brandes, Großbritannien und seine osteuropäischen Alliierten 1939-1943. Die Regierungen Polens, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens im Londoner Exil vom Kriegsausbruch bis zur Konferenz von Teheran (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 59) München 1988, S. 111. Ein anderer sudetendeutscher Sozialdemokrat hat schon 1939 sich grundsätzlich gegen Umsiedlungen ausgesprochen: Walter Brunner (= Johann Wolfgang Brtigel), Umsiedlung?, in: Der Sozialistische Kampf (Paris) vom 2. 12. 1939.

  45. Sir Orme Sargent, 28. 10. 1943. FO 371/34460 -C 11913/279/18.

  46. Vgl. Lothar Kettenacker, Krieg zur Friedenssicherung. Die Deutschlandplanung der britischen Regierung während des Zweiten Weltkriegs, Göttingen 1989, S. 454ff.

  47. Vgl. Heinrich Mrowka, Bodenreform und Kollektivierung als Instrumente der Integration nationaler Minderheiten in Polen, in: Hans Lemberg u. a. (Hrsg.), Sowjetisches Modell und nationale Prägung. Kontinuität und Wandel in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg (= Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien, 7), Marburg 1991, S. 244ff., Karte S. 252f.

  48. Vgl. Eugen Lemberg/Friedrich Edding (Hrsg.), Die Vertriebenen in Westdeutschland, 3 Bde., Kiel 1959; Theodor Schieder (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, 5 Bde. und 3 Beihefte, Bonn 1956ff.; Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen, hrsg. von Wolfgang Benz, Frankfurt 1985.

  49. Bemard Newman, The New Europe, London 1943; ders., Danger spots of Europe, London 1938, new ed. 1939. Einige der Informationen und Vorschläge Newmans stimmen übrigens erstaunlich mit denen des FRPS von 1942 überein.

  50. Zit. bei J. B. Schechtman (Anm. 4), S. 390.

  51. Zit. ebenda.

  52. Eugene Michel Kulischer, Population Transfer, in: South Atlantic Quarterly, 45 (1946) 4, S. 403-414.

  53. Vgl. J. B. Schechtman (Anm. 4), S. 394f.

  54. Vgl. FO 371/25035 -R 505/505/92; FO 371/24429 -C 4668/1967/21.

  55. Die Zahl 140000 wurde genannt; eine Kinderpetition enthielt 5748 Unterschriften. Vgl. Telegramm der Belgrader Botschaft vom 19. 8. 1949: FO 371/78363 -R 8020/10111/19; der ganze File 10111, paper Nr. 6647 bis Ende geht um diese Kinderangelegenheit. Der Brief der Athener Botschaft vom 22. 9. 1949 (Sir C. Norton) reagiert auf das Belgrader Telegramm: Confidential 245/49/49.

  56. Vgl. FO 371/72493 -R 7051/44/70.

  57. Vgl. J. B. Schechtman (Anm. 4).

  58. Vgl. Joseph B. Schechtman, Population Transfers in Asia, New York 1949.

  59. Dieser Eindruck tritt uns aus Übersichtsdarstellungen der achtziger Jahre entgegen, z. B. Peter J. Opitz, Das Welt-flüchtlingsproblem im 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26/87, S. 25-39; ders., Menschen auf der Flucht. Aspekte und Dimensionen des Flüchtlingsproblems im 20. Jahrhundert, in: Peter J. Opitz (Hrsg.), Weltprobleme, München 1982, S. 341-387.

  60. Vgl. u. a. Adolf Karger, Die serbischen Siedlungsräume in Kroatien, in: Osteuropa, 42 (1992) 2, S. 141-146; Wolfgang Höpken, Die jugoslawischen Kommunisten und die bosnischen Muslime, in: Andreas Kappeier u. a. (Anm. 2), S. 181-210. Zur aktuellen Situation s. auch Mojmir Krizan, Nationalismen in Jugoslawien. Von postkommunistischer nationaler Emanzipation zum Krieg, ebd., S. 121-140.

  61. Vgl. Emst Lev, „Helsinki Watch“ macht die serbische Regierung und die Armee für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Februar 1992; Neuerliche Vertreibung, in: ebd. vom 18. März 1992; Alois Deubler, Jetzt flüchten die Menschen aus Bosnien-Herzegowina, in: ebd. vom 24. April 1992.

  62. So Immanuel Geiss, Hegemonie und Genozid: Das Serbien-Syndrom 1991/92, in: Europa-Archiv, 47 (1992), S. 421-432, hier S. 431 f.

  63. So Uwe Haibach am 15. Januar 1990 in den „Tagesthemen“ (ARD).

  64. Joseph B. Schechtman, Postwar Population Transfer in Europe: A Survey, in: The Review of Politics, 15 (1953) 2, S. 151-178, hier: S. 178.

  65. Vgl. Rainer Hofmann, Minderheitenschutz in Europa. Überblick über die Völker-und staatsrechtliche Lage, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völker-recht, 52 (1992) 1, S. 1-65.

Weitere Inhalte

Hans Lemberg, Dr. phil., geb. 1933; Professor für osteuropäische Geschichte an der Philipps-Universität Marburg; Präsident des J. G. Herder-Forschungsrates; stellvertr. Vorsitzender des Collegium Carolinum (München). Veröffentlichungen zur osteuropäischen Geschichte der Neuzeit, vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts; besondere Schwerpunkte: Geschichte Rußlands, der böhmischen Länder und der Tschechoslowakei, Verhältnis der Deutschen zum östlichen Europa. Mitherausgeber der „Bohemia“ -Zeitschrift seit 1985.