I. Der Parlamentarische Rat und die Gleichberechtigung verfahren in Gang zu setzen. Daraufhin brachte am 1. Dezember 1949 die SPD-Fraktion einen Initiativantrag im Bundestag ein, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten, um die Gleichberechtigung der Frau zu verwirklichen In der Antragsbegründung forderte die SPD, daß die Gleichberechtigung der Frau auf allen Gebieten des zivilen, des Privatrechts und des gesamten wirtschaftlichen und sozialen Lebens zu vollziehen sei. Im Vordergrund stand für sie die Umgestaltung des Familien-, Ehe-und Güterrechts sowie des Beamtenrechts
Dieser Ansicht schloß sich in der Aussprache, die einen Tag später stattfand, der CDU-Abgeordnete Robert Lehr an, dem es allerdings sehr darauf ankam, festzuhalten, daß die Gleichstellung von Mann und Frau nicht schematisch ausgelegt werden dürfe, denn die „Eigenart und die Würde der Frau“ müsse auf alle Fälle gesichert werden. Und an die Adresse der katholischen Kirche gewandt, die er zur Mitarbeit aufforderte, erklärte er, daß bei der Reform des Familienrechts nicht beabsich-l tigt sei, den Gleichheitsgrundsatz uneingeschränkt auszudehnen
II. Juristen und Kirchen zur Gleichberechtigung
Mit diesen Vorgaben, die deutlich die angestrebte Gleichberechtigung der Frau einschränkten, machten sich die für die Anpassung der bestehenden Gesetze an den Gleichheitsgrundsatz zuständigen Ministerien -das waren in erster Linie die Ministerien des Innern und der Justiz -an die Arbeit. Zur Eile fühlte sich kein Ministerium gedrängt; es wurde vielmehr die Vermutung geäußert, daß die vorgegebene Anpassungsfrist juristisch nicht haltbar sei. Während die Ministerien prüften, welche Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches einer Anpassung bedürften, und sich dabei viel Zeit ließen, setzte eine Diskussion über die Gleichberechtigung der Frau ein, an der zunächst fast nur Wissenschaftler und Frauenverbände beteiligt waren. Ihren ersten Höhepunkt erlebte diese Diskussion auf dem 38. Deutschen Juristentag in Frankfurt im September 1950 Die versammelten Juristen waren sich einig, daß eine bevorzugte Rechtsstellung des Ehemannes und Vaters in der Form, wie sie in den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) von 1899 ihren Niederschlag gefunden hatte, mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar war, da diese Bestimmungen die Ehefrau und Mutter in ungerechtfertigter Weise zurückstellten. So sprach das Bürgerliche Gesetzbuch, das dem patriarchalischen Ordnungsprinzip folgte und nicht von den Ehegatten als Einzelpersonen, sondern von der ehelichen Lebensgemeinschaft ausging, dem Mann das alleinige Entscheidungsrecht „in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu“ (§ 13541) und verpflichtete die Frau, „der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten“ (§ 1354II).
Das bedeutete, daß der Mann Wohnort und Wohnung bestimmte (§ 13541), daß die Frau den Familiennamen des Mannes erhielt (§ 1355), daß auch bei der Haushaltsführung der Mann die oberste Entscheidungsgewalt hatte (§ 13561), daß er der Frau die Schlüsselgewalt entziehen konnte (§ 1357II), daß er berechtigt war, Dienst-und Arbeitsverhältnisse der Frau zu kündigen (§ 13581), und daß ihm die Entscheidung -der sogenannte Stichentscheid -zustand, wenn keine Einigung über die Erziehung der Kinder erfolgen konnte (§ 1628).
Auseinander gingen die Meinungen der Juristen über die Neuregelung des Entscheidungsrechts in den gemeinsamen ehelichen Angelegenheiten und in-Fragen der elterlichen Gewalt. Die einen wollten die Gleichberechtigung konsequent durchführen, das Entscheidungsrecht des Ehemannes und Vaters völlig wegfallen lassen, so daß entweder die §§ 1354 und 1628 ersatzlos zu streichen gewesen wären oder die gemeinsame Entscheidungsbefugnis der Ehegatten und Eltern ausdrücklich hätte in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen werden müssen Die anderen anerkannten grundsätzlich die persönliche Gleichwertigkeit der Frau -auch in Ehe und Familie doch wollten sie in irgendeiner, wenn auch modifizierten und abgeschwächten Form dem Ehemann und Vater bei Konfliktfällen ein Recht zum „Stichentscheid“ belassen, da dies im Interesse der Erhaltung der Ehe-und Familien-ordnung erforderlich sei Daneben gab es noch eine mittlere Meinung, deren Vertreter zumeist das Entscheidungsrecht des Ehemannes wegfallen lassen (§ 1354), das des Vaters aber beibehalten wollten (§ 1628) 12.
Was sich da als ein Rechtsproblem darstellte, war zugleich aber auch ein religiöses Problem. Denn die drei Richtungen vertraten ziemlich genau die Positionen, die von den beiden Kirchen zu Ehe und Familie eingenommen wurden: Auf der einen Seite stand somit das katholische Lager, das die Familienhierarchie verteidigte, und auf der anderen Seite das protestantische Lager, das aber in sich gespalten war in eine konservativ-protestantische Richtung, die dem patriarchalischen Ordnungsprinzip verbunden war, und eine liberal-protestantische Richtung, die sich für die Partnerschaftsehe aussprach.
Die Verfechter des hierarchischen Familienaufbaus, die sich die Familienrechtsauffassung der katholischen Kirche zu eigen machten, stellten sich auf den Standpunkt, daß die Ehegemeinschaft der Integration durch eine Autorität bedürfe Im Gegensatz zur Staatsordnung könne es in der Ehe und Familie keine „Demokratie“ geben, denn eine stabile Dyarchie sei undenkbar. Wenn überhaupt eine Ordnung unter den beiden Ehegatten bestehen solle, komme nur eine Monokratie in Betracht, die sich als Über-und Unterordnungsverhältnis (Hierarchie) auswirke. Die Alternative, so der Bonner Rechtswissenschaftler Friedrich Wilhelm Bosch in einem von ihm kreierten Slogan, könne nur lauten: „Hierarchie oder Anarchie!“
Abgeleitet wurde die hierarchische Eheordnung aus der Schöpfungsgeschichte. Da Gott den Mann zuerst erschaffen habe, ergäbe sich sein Vorrang vor der Frau. Die Frau sei hingegen „um des Mannes willen“, als seine „Gehilfin“ erschaffen worden. Diese Ursprungsordnung sei aber zugleich eine bleibende Rangordnung, denn die Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes mit ihrer hierarchischen Zuordnung werde bestätigt durch zahlreiche Bibelstellen, die zugleich auch eine Vorrangstellung des Vaters vor der Mutter bezeugten
Ein Teil der evangelischen Theologen, und zwar die konservativ-protestantische Richtung, stand der katholischen Auffassung sehr nahe, nur leitete sie die Unterordnung der Frau unter den Mann nicht aus dem Alten Testament ab, sondern aus dem Neuen Testament, und dort vor allem vom Paulus-Satz „Der Mann ist des Weibes Haupt“ Die Vertreter der liberal-protestantischen Richtung stellten hingegen in Abrede, daß aus den biblischen Weisungen Rechtspflichten abgeleitet werden könnten, die im Sinne der staatlichen Gesetzgebung rechtsverbindlich seien. Auch lasse sich weder aus dem Alten noch aus dem Neuen Testament der Nachweis erbringen, daß Mann und Frau seit der Schöpfung in einem Über-und Unterordnungsverhältnis zueinander ständen Mann und Frau seien -einmal abgesehen von den biologischen Unterschieden -gleichwertig und damit gleichberechtigt; die Ehe, so der evangelische Theologe Emst Wolf, sei „eine Aufgabe sittlichen Existierens, keine Naturgegebenheit“, ihre rechtliche Ordnung könne daher nicht „naturrechtlich“ auf eine Schöpfungsordnung und deren natürliche Struktur zurückgeführt werden Wesentlich für das „Institut“ Ehe war denn auch für Wolfs Kollegen Karl Barth „das echte Gegenüber zur Verwirklichung des Menschseins, des Aufeinanderangewiesenseins zweier in verschiedener Weise gleichrangig verantwortlicher Partner“
III. Die Denkschrift des Bundesjustizministeriums
Anfang März 1951, zwei Jahre vor Ablauf der Anpassungsfrist, veröffentlichte das Bundesjustizministerium den ersten Teil einer (dreiteiligen) Denkschrift, die im Auftrag des Ministeriums von Oberlandesgerichtsrätin Maria Hagemeyer verfaßt worden war und an Kirchen, Frauenverbände, Gewerkschaften und weitere Institutionen, aber auch an einzelne Politiker und Rechtswissenschaftler ging, verbunden mit der Aufforderung, eine Stellungnahme abzugeben Mit der Denkschrift sollte einerseits in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden, das Bundesjustizministerium beschäftige sich intensiv mit der Familienrechtsreform. In Wirklichkeit waren die Vorarbeiten über das Sichten der Bestimmungen, die einer Anpassung an den Gleichheitsgrundsatz bedurften, nicht hinausgelangt. Andererseits erhoffte sich das Ministerium aus der Diskussion über die Denkschrift verwertbare Anregungen für seine Arbeit.
Die Oberlandesgerichtsrätin sprach sich gegen die Entscheidungsgewalt des Ehemannes und Vaters aus und plädierte dafür, daß in der Ehe jedem Ehepartner die gleichen Rechte zugestanden wer den sollten; auch sollten Mann und Frau ihre Probleme gemeinsam lösen. Sollte es jedoch unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten geben, dann -so ihr Vorschlag -sollten sogenannte Ehe-hilfen bei Eheproblemen und sogenannte Eltern-hilfen bei Differenzen in der Kindererziehung eine Lösung herbeiführen
Die Berufsausübung erklärte Frau Hagemeyer zu einer persönlichen Angelegenheit jedes Ehegatten, der jeweils selbst darüber zu bestimmen habe, „auch wenn, zum Beispiel durch die Wahl der Arbeitszeit, das eheliche Zusammenleben beeinflußt“ werde, denn dieser Einfluß, so die Juristin weiter, sei nicht so bedeutend, daß das Recht der Persönlichkeit auf Gestaltung der Berufsausübung nach ihrem Ermessen und ihrer Berufsauffassung zurücktreten müßte
Anfang 1952 trafen die offiziellen Stellungnahmen der beiden Kirchen zur Denkschrift ein. Am 12. Januar 1952 antwortete der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings, der nicht im einzelnen auf die Vorschläge einging, sondern in einer Tour d’horizon gegen die Grundhaltung der Denkschrift seine Vorbehalte anmeldete, die seiner Meinung nach geprägt war von einer „allzu individualistischen Sozialauffassung“
Der Erzbischof machte den Bundesjustizminister darauf aufmerksam, daß der Staat nach Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verpflichtet sei, Ehe und Familie zu schützen. Das könne er aber nicht, wenn die Gleichberechtigung, wie in der Denkschrift geschehen, „schematisch“ ausgelegt werde. Nur wenn die Gleichberechtigung Gleiches gleich und Ungleiches verschieden bewerte, könne der Zerstörung der Familie Einhalt geboten werden. Er warnte davor, durch eine falsche Auslegung des Gleichberechtigungsbegriffs die Ordnung von Ehe und Familie umzustoßen, denn nach kirchlichem Ehe-und Familienrecht sei der Mann und Vater der „naturgemäße Träger“ der familiären Autorität. Der Stellungnahme der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), die ihr Ratsvorsitzender Bischof Otto Dibelius am 22. März 1952 abgab, war anzumerken, daß hier der Versuch vorlag, die Gleichberechtigungsbefürworter und die Patriarchatsverfechter in einem Kompromiß, der kaum einem evangelischen Geistlichen gefallen haben dürfte, zu vereinen. So stimmte Dibelius der Streichung des § 1354 zu, aber nur unter der Bedingung, daß „der Letztentscheid des Familienvaters in bezug auf die Erziehung der Kinder gemäß § 1628 auch im neuen Recht erhalten bliebe“, damit nicht „der letzte Rest der Struktur von Ehe und Familie“ verschwände.
Bundesjustizminister Thomas Dehler (FDP) beteuerte dem Erzbischof in seiner Antwort, daß auch er die Auffassung vertrete, daß „die Durchführung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht zu einer schematischen Gleichstellung der Geschlechter führen“ dürfe, sondern „daß der natürlichen Ordnung Rechnung getragen werden“ müsse; er teilte ihm mit, daß er beabsichtige, den Gesetzentwurf mit den Vertretern der beiden Kirchen zu erörtern
IV. Thomas Dehler und die Familienrechtsreform
Daß die Fertigstellung des Regierungsentwurfs auf sich warten ließ, hing im wesentlichen damit zusammen, daß sich das Ministerium erst seit Oktober 1951 intensiver mit der Materie beschäftigte Hinzu kam, daß der Entwurf als große Lösung konzipiert war. So war angestrebt, nicht nur das geltende bürgerliche Recht an den Grundsatz des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes anzupassen, sondern zugleich auch die Rechtseinheit auf dem Gebiet des Familienrechts wiederherzustellen. Das bedeutete, daß neben dem vom Alliierten Kontrollrat erlassenen Ehegesetz, bei dem es sich um eine überarbeitete Fassung des nationalsozialistischen Ehegesetzes von 1938 handelte, auch die sonstigen seit 1933 entstandenen Gesetze und Verordnungen familienrechtlichen Inhalts ins Bürgerliche Gesetzbuch aufzunehmen waren.
Das Reformwerk bestand aus Dutzenden von Bestimmungen, aber kontrovers, auch im Ministerium, wurden nur die §§ 1354, 1356 und 1628 bewertet. Die Einstellung des Bundesjustizministers war lange Zeit von Desinteresse geprägt. Für die Gleichberechtigung der Frau konnte er sich nicht begeistern. Da auch die CDU/CSU nicht auf Eile drängte, gab es für ihn keinen Grund, der Fami lienrechtsreform Priorität einzuräumen. Für den Bundesjustizminister wurde die Familienrechtsreform erst in dem Moment interessant, als die katholische Kirche versuchte, an der Gestaltung des Entwurfs mitzuwirken. Um diese Einflußnahme abzuwehren, war er, ein Vertreter der konservativ-protestantischen Richtung, sogar bereit, sich teilweise die Forderungen der Frauenverbände zu eigen zu machen.
So kam es, daß der 130 Seiten starke „Entwurf eines Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet des Familienrechts (Familienrechtsgesetz)“, der am 17. März 1952 dem Bundeskanzleramt vorgelegt wurde, die Forderungen der katholischen Kirche (soweit sie sich nicht mit denen der evangelischen Kirche deckten) überhaupt nicht, hingegen die Vorstellungen der evangelischen Kirche und der Frauenverbände weitestgehend berücksichtigte. Das hieß: Zugestanden wurde der Ehefrau die außerhäusliche Berufsaufnahme; außerdem wurde die Entscheidungsgewalt des Ehemannes gestrichen und im § 1354 die Bestimmung des Art. 3 Abs. 2 („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“) wörtlich übernommen; es blieb aber bei der Entscheidungsgewalt des Vaters (§ 1628).
Dies beinhaltete eine unlogische Entscheidung, auf die auch die Vertreter der katholischen Kirche bei ihrem Gespräch mit dem Bundesjustizminister am 4. April 1952 hinwiesen Aus Gründen der inneren Stabilität der Familie, so erklärten sie, sei die Beibehaltung des ehemännlichen Entscheidungsrechtes ebenso zwingend wie notwendig. Es genüge nicht, nur dem Vater das Entscheidungsrecht in Erziehungsangelegenheiten zu belassen. Auch forderten sie, im § 1356 die Bestimmung beizubehalten, daß es primär Aufgabe und Pflicht der Frau sei, das Hauswesen zu leiten. Denn, so der Rechtswissenschaftler Friedrich Wilhelm Bosch, es müßte sichergestellt werden, „daß Haushalt und Erziehung der Kinder der Berufstätigkeit vorgingen“.
Es war offensichtlich: Der katholischen Kirche ging es jetzt nicht nur um den Erhalt der hierarchischen Familienstruktur, sondern auch darum, die Frauen -und hier insbesondere die verheirateten Mütter -an der Berufsaufnahme zu hindern, was gesetzlich mit der von Bosch vorgeschlagenen Bestimmung bis zu einem gewissen Grad möglich gewesen wäre. Diese Doppelstrategie wurde nicht in dieser Sitzung im Bundesjustizministerium aus der Taufe gehoben, aber sie wurde in der Folgezeit von der katholischen Kirche in ihrer Öffentlichkeitsarbeit konsequent verfolgt.
Die Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) brachten keine neuen Gesichtspunkte in die Diskussion ein. Die von der EKD festgelegte Linie stand fest: Streichung des § 1354 nur, wenn § 1628 beibehalten wurde. Als sich der Bundesjustizminister dem evangelischen Vorschlag anschloß und sich für die Streichung des § 1354 aussprach, quittierten dies die katholischen Vertreter mit Protest: „Mit der Streichung des § 1354 werde man der Auffassung der katholischen Kirche nicht gerecht; diese vertrete das Entscheidungsrecht des Mannes.“
Diesen Protest nahm Kardinal Frings auf, als er sich am 15. April 1952 an den Bundesjustizminister wandte und ihn in eindringlichen Worten bat, seine Entscheidung zu überdenken Die Korrektur der beanstandeten §§ 1354 und 1356 war aber nur ein Punkt in seinem Schreiben und nicht einmal der wichtigste, da immer noch begründete Aussicht bestand, bei einer negativen Entscheidung des Ministers über die engen Beziehungen zum Bundeskanzler und zu den christdemokratischen Abgeordneten Abänderungen im Sinne der Kirche herbeizuführen. Weitaus wichtiger schien im Moment das Anliegen zu sein, den Minister daran zu hindern, das Ehegesetz des Alliierten Kontrollrats ohne Einwilligung des Episkopats in das neue Ehe-und Familienrecht aufzunehmen.
Die Aufnahme des Ehegesetzes, so ließ der Erzbischof den Minister wissen, bereite ihm „ernste Sorgen“. Er verstünde zwar, daß es nicht angebracht sei, das Ehegesetz „aus dem Gesetz fremder Mächte“ herzuleiten, aber ein Gesetz, „gegen das sich schwerste Bedenken vom sittlichen und rechtlichen Standpunkt“ erhöben, unverändert in das Familienrecht aufzunehmen, dagegen müsse er „schärfsten Protest“ einlegen.
Wenn es sich nur um eine unveränderte Übernahme des Ehegesetzes gehandelt hätte, hätte die Kirche gegen Dehlers Absicht kaum etwas ausrichten können. Das Bundesjustizministerium hatte aber den § 48, der die Scheidung regelte, abgeän-dert. Nach § 48 des Ehegesetzes des Alliierten Kontrollrats war es jedem Ehegatten möglich, nach dreijähriger Trennung die Scheidung der Ehe herbeizuführen, wenn eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten war. Auch der Ehegatte, durch dessen alleiniges oder überwiegendes Verschulden die Ehe zerrüttet worden war, konnte trotz des Widerspruchs des schuldlosen Teils unter Umständen die Scheidung der Ehe erreichen.
Das Bundesjustizministerium war nun der Ansicht, daß nicht derjenige Ehegatte, durch dessen alleiniges oder überwiegendes Verschulden die Ehe zerstört worden war, noch das Recht erhalten durfte, gegen den Willen des schuldlosen Ehegatten die Ehescheidung herbeizuführen. Deshalb sah der § 1571 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfs vor, daß der Widerspruch des beklagten Ehegatten nur dann nicht zu beachten war, wenn auch ihn ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe traf und „wenn die Aufrechterhaltung der Ehe bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe und des gesamten Verhaltens beider Ehegatten sittlich nicht gerechtfertigt“ war
Mit dieser Abänderung bot sich der Kirche die Chance, Einfluß auf das Ehescheidungsgesetz zu nehmen, das schon seit langem ihren Unwillen erregte. Was der Erzbischof letztlich mit seinem Pro-test wollte, war dies: Er wollte ein Mitspracherecht bei der Reform des Scheidungsrechts, oder alles sollte so bleiben wie bisher.
Dehlers Verärgerung über die Einmischung der katholischen Kirche fand in dem Entwurf des Familienrechtsgesetzes, den er am 27. Juni 1952 dem Kabinett zur Entscheidung vorlegte, ihren Niederschlag. Die §§ 1354 und 1356 waren ersatzlos gestrichen. Dehler stellte seinen Kabinettskollegen den Entwurf als „sorgfältig durchdacht und ausgereift“ vor. Sein Ministerium „sei bestrebt gewesen, bis an die äußerste Grenze verbindlicher praktischer Lösungen zu gehen“. Der Entwurf habe die Zustimmung sowohl der katholischen als auch der evangelischen Kirche gefunden
Dehler konnte dem Bundeskanzler mit diesen Ausführungen nicht imponieren. Adenauer wußte sehr genau, was die katholische Kirche wollte, und (ihm war auch bekannt, daß in diesem Entwurf die katholischen Wünsche überhaupt nicht berücksichtigt worden waren. Massiv ging Adenauer daher gegen den Entwurf vor, der seiner Meinung nach den ehefeindlichen Tendenzen der Zeit entgegenkam. Er übernahm fast wörtlich das Vokabular der katholischen Kirche. Das Kabinett beschloß, die ungelösten Probleme weiter zu diskutieren.
Als zwei Monate später, am 3. September 1952, das Kabinett dem Entwurf des Familienrechtsgesetzes zustimmte, war Dehler der Geschlagene: Die katholische Kirche hatte fast alle ihre Forderungen durchgesetzt Es war ihr nur nicht gelungen, das Ehegesetz aus dem Entwurf zu entfernen. Aber das war wohl die „Gegenleistung“, das Zugeständnis, das sie Adenauer erbringen mußte, damit in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entstand, die Bundesregierung sei ein „Erfüllungsgehilfe“ des Episkopats.
Begründet wurde die Beibehaltung des Entscheidungsrechts des Ehemannes (§ 1354) damit, daß auf die Entscheidungsbefugnis des Mannes im Konfliktfalle nicht verzichtet werden könne, weil sonst der Bestand der Ehe, die nach Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehe, gefährdet sei. Der § 1356 bestimmte, daß die Ehefrau berechtigt sei, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar sei. Er sprach damit den Vorrang der häuslichen Tätigkeit vor der Erwerbstätigkeit der Ehefrau ausdrücklich aus.
Beibehalten wurde die väterliche Entscheidungsgewalt (§ 1628), jedoch mit der Einschränkung, daß die Mutter die Hilfe des Vormundschaftsgerichts anrufen konnte, wenn die vom Vater getroffene Entscheidung in einer besonders bedeutsamen Angelegenheit nach ihrer Meinung dem Wohle des Kindes zuwiderlief oder wenn der Vater sich beharrlich weigerte, den Versuch einer Einigung zu machen oder ihre Auffassung zu berücksichtigen.
Dehler versuchte bis zuletzt, seine Ministerkollegen davon abzuhalten, die §§ 1354 und 1356 wieder in den Entwurf und in § 1628 die Regelung mit dem Vormundschaftsgericht aufzunehmen, indem er ihnen mündlich und schriftlich die Gründe auflistete, die dagegen sprachen. Sein Widerstand erlahmte auch nach einem Gespräch mit dem Bundeskanzler nicht, dem er einen Tag nach dem Treffen in einem Schreiben standhaft erklärte: „Die gestrige Aussprache (hat) keinen Gesichtspunkt erbracht, der meinen im Entwurf und in meinem Schreiben (an die Kabinettsmitglieder) niedergelegten Standpunkt beeinflussen könnte.“
Auf Dauer konnte er sich Adenauers Wünschen allerdings nicht widersetzen, doch gelang es ihm im letzten Augenblick, an den Schluß des § 1354 einen Satz anzuhängen, der teilweise das Entscheidungsrecht des Ehemannes einschränkte, da „eine Entscheidung, die dem wohlverstandenen Interesse der Ehegatten nicht (entsprach), für die Frau nicht verbindlich“ war. Gegen Adenauers Versuch, diese Fassung abzuschwächen, votierte in der Schlußabstimmung die Kabinettsmehrheit.
V. Widerstand gegen den Regierungsentwurf
In der Öffentlichkeit stieß der Entwurf auf breite Ablehnung. Die Frauenverbände und die Frauen-abteilungen der Gewerkschaften meldeten Protest an, der, wie zu erwarten, sich gegen die §§ 1354, 1356 und 1628 richtete. Protest kam auch von den katholischen Frauenverbänden; ihnen ging die Liberalisierung des Familienrechts entschieden zu weit. Die Medien griffen den Protest auf und berichteten ausführlich über die unterschiedlichen Positionen und Meinungen. Kritik und Protest blieben nicht ohne Wirkung auf die Politiker, als diese am 27. November 1952 in der ersten Lesung den Entwurf im Bundestag behandelten. Denn kein Redner sprach sich vorbehaltlos für den Entwurf aus
Die Freidemokraten mit ihrem Bundesjustizminister, der die Vorlage als „die Frucht einer langen, ich darf sagen, hingebungsvollen Arbeit“ vorstellte, plädierten für die Streichung des § 1354 und die Aufnahme des Ehescheidungsrechts in das Bürgerliche Gesetzbuch. Die Sozialdemokraten forderten sowohl die Streichung des ehemännlichen als auch d 6s väterlichen Stichentscheids. Die Redner der CDU/CSU-Fraktion meldeten, wie der Abgeordnete Weber, „starke Bedenken“ gegen die Aufnahme des Kontrollrats-Ehescheidungsrechts in das Bürgerliche Gesetzbuch an. Warnend fügte Weber hinzu: „Ich glaube nicht, daß wir diesen Schritt mittun werden.“ Das letzte Wort, bevor sich die Abgeordneten im Rechtsausschuß mit der Vorlage beschäftigten, hatten die Kirchen, von denen vor allem die katholische Kirche bemüht war, auf die weitere parlamentarische Beratung Einfluß zu nehmen. Die katholische Kirche -für die wiederum der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz Kardinal Frings sprach und die sich am 30. Januar 1953 in einem offenen Brief direkt an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wandte -faßte ihre wiederholt vorgetragenen Vorstellungen und Wünsche zusammen, um dann aber in scharfer Form gegen einzelne Bestimmungen Einspruch zu erheben. Dazu gehörte einmal der von Bundesjustizminister Dehler eingefügte Schlußsatz im § 1354, der gestrichen werden sollte, da er „die vorher behandelte Entscheidungsgewalt des Mannes nahezu wieder aufhebt“, und dann vor allem die Übernahme der Eherechtsbestimmungen. Nach Ansicht der Kirche war es keinem christlichen Abgeordneten zuzumuten, den vorgeschlagenen Regelungen zuzustimmen; außerdem müßten bei einer gesetzlichen Regelung des Eheschließungs-und Ehescheidungsrechts Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl aufgenommen werden
Dem moralischen Druck der katholischen Kirche konnten sich die CDU/CSU-Abgeordneten, soweit sie der römisch-katholischen Konfession angehörten, kaum entziehen; sie bemühten sich denn auch, im Unterausschuß „Familienrecht“ des Rechtsausschusses, der am 5. Februar 1953 -nicht einmal drei Monate vor Ende der Anpassungsfrist -die Beratungen aufnahm, den Entwurf im Sinne der katholischen Kirche abzuändem. Als ihnen das nicht gelang, da sich der Koalitionspartner FDP dagegen ebenso sträubte wie die oppositionelle SPD, verzögerten sie die Beratungen. Dann, einen Monat vor Ablauf der Frist, erklärten sie, daß die Zeit zu knapp bemessen sei, den Entwurf gründlich zu beraten, und sie schlugen eine Fristverlängerung bis zum 31. März 1955 vor, die durch eine Verfassungsänderung herbeigeführt werden sollte
Da die SPD diesen Vorschlag ablehnte, entstand ein nahezu rechtsfreier Raum. Denn ab dem 1. April 1953 war es den Richtern freigestellt, ob sie nach dem alten Recht oder nach dem Entwurf des neuen Familienrechts, welches das Bundesjustizministerium sämtlichen Gerichten zugesandt hatte, verfahren wollten. Für den Ausschußvorsitzenden, den Christdemokraten Weber, war dies ein unhaltbarer Zustand; er vertrat die Ansicht, „daß den Gerichten eine Aufgabe aufgebürdet worden sei, der sie nicht gewachsen seien“
Die Christdemokraten wiesen jeden Verdacht, die Beratungen bewußt hinausgezögert zu haben, von sich. Sie beharrten darauf, den Gesetzentwurf einer sorgfältigen Prüfung, die auch die Hinzuziehung von Sachverständigen einschloß, zu unterziehen; sie forderten die Sozialdemokraten auf, der Verfassungsänderung, für die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig war, zuzustimmen, bevor sich das Chaos, das sich abzuzeichnen begänne, ausweite. Die SPD blieb jedoch bei ihrem ablehnenden Votum. Als in der Koalition -vor allem in der FDP -schließlich Stimmen laut wurden, die aus rechtspolitischen Gründen eine Verfassungsänderung ablehnten, war das Schicksal des Regierungsentwurfes eines Familienrechtsgesetzes besiegelt. Aus Zeitgründen war der 1. Bundestag nicht mehr in der Lage, den Gesetzesentwurf zu beraten und zu verabschieden. Da gleichzeitig die für eine Fristverlängerung benötigte Bundestagsmehrheit nicht zustande kam, blieb auch die seit dem 1. April 1953 währende rechtsunsichere Situation vorerst bestehen.
VI. Der zweite Regierungsentwurf
Nach der 2. Bundestagswahl am 6. September 1953 war Thomas Dehler in der neuen Koalitionsregierung nicht mehr vertreten. An seine Stelle als Bundesjustizminister rückte der bisherige Wohnungsbauminister Fritz Neumayer, ebenfalls ein Freidemokrat. Der fast Siebzigjährige sollte in den folgenden Auseinandersetzungen um die Reform des Familienrechts nicht besonders in Erscheinung treten. Während sich Bundesjustizministerium, Bundesregierung und Koalition in der 1. Legislaturperiode bei der Ausarbeitung des Entwurfs und mit seiner parlamentarischen Beratung viel Zeit gelassen hatten, legten sie nach Zusammentritt des neuen Bundestages plötzlich große Geschäftigkeit an den Tag.
Die große Eile, die schließlich in Nervosität ausartete, rührte daher, daß beim Bundesverfassungsgericht ein Normenkontrollverfahren lief, dessen Ur-teil -und das befürchteten die Christdemokraten -dein Gesetzgeber bei der weiteren Gestaltung des Ehe-und Familienrechts Fesseln anlegen könnte. Das Normenkontrollverfahren war vom Frankfurter Oberlandesgericht beantragt worden. Die dortigen Richter wollten wissen, ob die in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes festgeschriebene Gleichberechtigung gültige Rechtsnorm sei, was sie bezweifelten. Um sich ihren Handlungsspielraum nicht einengen zu lassen, tat die Regierung etwas, was sie eigentlich nicht tun durfte: Sie forderte das Bundesverfassungsgericht auf, das Normenkontrollverfahren auszusetzen.
Während sich die Karlsruher Richter mit dem Ersuchen der Bundesregierung beschäftigten, übersandte der Bundesjustizminister am 26. November 1953 dem Bundeskanzleramt den Referentenentwurf eines „Gesetzes über die Gleichstellung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“. Gegenüber dem ersten Entwurf verzichtete er darauf, die Rechtsgleichheit auf dem Gebiet des Familienrechts wiederherzustellen und unterließ es außerdem, die sonstigen, seit 1933 erlassenen Gesetze und Verordnungen familienrechtlichen Inhalts zu vereinheitlichen.
Der Bundesjustizminister unterließ es auch, das Ehegesetz des Kontrollrats zu reformieren. Begründet wurde dieses Vorgehen damit, daß das Ehegesetz des Alliierten Kontrollrats „erst eingehend überprüft und erörtert werden (müsse), bevor das Recht der Eheschließung und der Ehescheidung wieder in das bürgerliche Recht zurückgeführt werden kann“ Mit dieser Entscheidung kam das Bundesjustizministerium einem wesentlichen Kritikpunkt der katholischen Kirche am Entwurf I entgegen. Diese konnte auch damit zufrieden sein, daß ihren sonstigen Einwänden in der Frage des ehemännlichen und väterlichen Entscheidungsrechts (§ 1354 und § 1628) stattgegeben worden war. Der Bundesfamilienminister, der um Stellungnahme gebeten wurde, fand dann auch keinen Anlaß, dem Entwurf sein Plazet zu verweigern. Es dürfte sich um einen puren Zufall gehandelt haben, daß am selben Tag, nämlich am 18. Dezember 1953, das Bundeskabinett den Entwurf beriet und das Bundesverfassungsgericht sein Urteil im Normenkontrollverfahren bekannt gab. Das Kabinett stimmte dem Entwurf ohne Widerspruch zu, was nicht weiter überraschend war Auch der Karlsruher Spruch enthielt keine sensationellen Überraschungen Er bestätigte im Grunde nur, was die meisten Gerichte schon praktizierten: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau war seit I. April 1953 rechtens, auch im Bereich des Ehe-und Familienrechts.
Die Befürchtung der Christdemokraten, das Gericht könnte in der Frage der Entscheidungsbefugnis des Ehemannes und Vaters dem Gesetzgeber Leitlinien vorgeben, erwies sich jedoch als unbegründet. Weiterhin konnten die Bundestagsabgeordneten das Ehe-und Familienrecht in der Form verabschieden, die von der Mehrheit des Parlamentes befürwortet wurde. Nicht mehr möglich war nach dem Urteil eine Fristaufschiebung.
Im Vorfeld der Bundestagsdebatte über die Regierungsvorlage gab es wieder Proteste der Frauenorganisationen; auch in der Presse und im Rundfunk wurde ausführlich über die strittigen Punkte berichtet. Die Parlamentsdebatte selbst fand in einer emotionsgeladenen Atmosphäre statt Die Redner wurden wiederholt durch Zwischenrufe an ihren Ausführungen gehindert. Eine Polarisierung zwischen der Regierungskoalition auf der einen und der SPD auf der anderen Seite fand auch dieses Mal nicht statt, da Befürworter und Gegner einer Familienrechtsreform in allen Parteien vertreten waren; auch eine Trennlinie zwischen weiblichen und männlichen Abgeordneten war nicht auszumachen, weil bei den Männern wie bei den Frauen geteilte Ansichten über das Reformwerk bestanden.
Die Rednerinnen, die gegen den von der Bundesregierung eingebrachten. Gesetzentwurf Stellung bezogen, traten sehr couragiert auf Zu nennen wären insbesondere die Oberkirchenrätin Elisabeth Schwarzhaupt (CDU), Mitglied der evangelischen Eherechtskommission, die sich gegen das männliche Entscheidungsrecht wandte und von einem protestantisch-biblischen Standpunkt aus für die Partnerschaft von Mann und Frau plädierte („Es gibt keine theologischen Gründe, die zur Aufrechterhaltung eines überwiegenden Entscheidungsrechts des Mannes in § 1354 zwingen“). Ihre sachlich vorgetragenen Argumente stießen nicht nur bei ihren politischen Freunden auf Nachdenklichkeit; selbst die katholische Herder-Korrespondenz kommentierte Frau Schwarzkopfs Vorstellungen mit den Worten: „Das Anliegen der Frauen muß durchaus ernst genommen werden.“ Ihr zur Seite stand die Freidemokratin Marie-Elisabeth Lüders, die seit Jahrzehnten für die Frauenbewegung stritt. In ihrer Rede attackierte sie zunächst scharf den Bundesjustizminister und den Bundes-familienminister, die vor ihr am Rednerpult gestanden hatten, und hielt dann eine bonmotreiche Philippika gegen das Patriarchat („Wir wünschen keine Generalvollmacht für den Mann!“).
Den Gegenpol zu diesen beiden Frauen bildete Bundesfamilienminster Franz-Josef Wuermeling, der sich -ganz im Sinne der katholischen Kirche -für eine Stärkung der männlichen Autorität in der Familie aussprach. Wuermeling griff den Individualismus an („Das Kind lehnt er vielfach ab“), warnte vor einer Gleichberechtigung wie in der DDR („In der letzten Konsequenz enden diese Dinge dann [für Frauen] im Kohlen-und Uran-bergwerk“) und forderte eine Familienordnung, die das Wesen und die Würde der Frau achte und schütze, aber auch Rücksicht „auf das Wohl der Kinder als das höchste Gut unserer Familien“ nehme. Für den Bundesfamilienminister war diese Ordnung weitestgehend gewährt, wenn der Ehemann und Vater die Autorität in der Familie trage, denn „der Sinn der Autorität ist Sorge und Verantwortung für das Familienwohl, und sicher mehr eine Pflicht als ein Recht“.
Wuermelings Plädoyer für die männliche Autorität war realitätsfem. Das Emnid-Institut stellte bei einer Repräsentativ-Umfrage kurz vor der Bundestagsdebatte fest, daß in etwa zwei Dritteln der westdeutschen Familien eine Gleichrangigkeit der Partner bestehe; nur bei einem Drittel sei der Mann „Patriarch“ Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte der Soziologe Gerhard Wurzbacher. Dieser konnte auch belegen, daß die Bauemfamilien noch am stärksten patriarchalisch strukturiert waren. Mit großem Abstand folgten die Familien der mittleren Beamten und Angestellten sowie die der selbständigen Gewerbetreibenden. Am wenigsten auf die männliche Autorität fixiert waren einerseits die Familien der Akademiker und freien Berufe, andererseits die der Arbeiter und unteren Ange stellten
Männliche Autorität oder Gleichrangigkeit der Partner in der Ehe? -das war ein Thema, über das in der Öffentlichkeit in den folgenden Monaten nach der Bundestagsdebatte erregt diskutiert wurde; ein anderes war das uneingeschränkte Recht der Frau auf Erwerbstätigkeit. In Ermangelung neuer Argumente schlief die Diskusssion darüber jedoch bald wieder ein. Ein „Dauerbrenner“ in der Presseberichterstattung und in den Fachzeitschriften blieben hingegen die Beratungen im Rechtsausschuß, die sich zu einem wahren Beratungsmarathon entwickelten. Der Unterausschuß „Familienrechtsgesetz“ des Rechtsausschusses brauchte fast zwei Jahre, um nach siebenundsiebzig Sitzungen zu dem Ergebnis zu gelangen, daß die Ausschußmitglieder sich in den wesentlichen Punkten nicht einigen konnten
Der Beratungsmarathon begann damit, daß der Rechtsausschuß am 1. April 1954 die Einsetzung des Unterausschusses „Familienrechtsgesetz“ in Stärke von 17 Mitgliedern beschloß. Elf Männern standen dabei nur sechs Frauen gegenüber, unter ihnen die Veteraninnen aus dem Parlamentarischen Rat: Frieda Nadig (SPD) und Helene Weber (CDU) sowie die beiden Parlamentsneulinge Marie-Elisabeth Lüders (FDP) und Elisabeth Schwarzhaupt (CDU), die mit Engagement, Durchsetzungsvermögen und einer Portion Unkonventionalität ein ständiger „Unruheherd“ waren.
VII. Kampfabstimmungen im Parlament
Die Beratungen des Unterausschusses begannen am 18. April 1955 und erstreckten sich zunächst auf die Reform des Güterrechts. Dabei handelte es sich überwiegend um die juristisch-technische Frage, wie ein Güterstand auszusehen habe, welcher der Ehefrau einen gerechten Anteil an dem während der Ehe Erworbenen sichert. Erwartungsgemäß konnten sich die Ausschußmitglieder hier ohne große Schwierigkeiten einigen; fast alle Entscheidungen wurden einstimmig getroffen. Mit der Eintracht war es aber vorbei, als der Ausschuß seine Beratungen über das Verhältnis der Ehegatten zueinander und über das Verhältnis der Eltern zu den Kindern aufnahm.
Nach quälenden Diskussionen, in denen die männlichen Ausschußmitglieder der CDU/CSU ihre Position hartnäckig verteidigten, rang sich der Unterausschuß am 15. November 1956 unter tätiger Mithilfe von Elisabeth Schwarzhaupt mit nur einer Stimme Mehrheit (8 zu 7 Stimmen) zur ersatzlosen Streichung des § 1354 durch Über die §§ 1628 (Stichentscheid des Vaters) und 1629 (Vertretungsrecht des Vaters) kam es jedoch zum Stimmenpatt (8 zu 8), so daß im Rechtsausschuß abgestimmt werden mußte, und der sprach sich jeweils mit Stimmenmehrheit für die Beibehaltung der §§ 1628 und 1629 in der Fassung der Regierungsvorlage aus, was zu Protesteingaben der Frauenverbände an den Bundestag führte
Die endgültige Entscheidung lag nun beim Bundestag. Bevor dieser zusammentrat, stellte das Meinungsforschungsinstitut DIVO Bundesbürgern die Frage, ob Frauen die gleichen gesetzlichen und politischen Rechte haben sollten wie Männer. 67 Prozent der Befragten bejahten diese Frage, 30 Prozent verneinten sie, acht Prozent hatten keine Meinung. Die höchste Ja-Quote (78 Prozent) wies die Gruppe der 35 bis 44 Jahre alten Männer auf; die stärkste Ablehnung (37 Prozent) kam'von seiten der bis 25jährigen Frauen -ein soziologisch interessanter Sachverhalt für die bundesrepublikanische Gesellschaft der fünfziger Jahre!
Am 3. Mai 1957 fand die 2. und 3. Lesung des Ehe-und Familienrechts statt, die in die Parlamentsgeschichte eingehen sollte Mit allen Verfahrens-tricks, die gerade noch erlaubt waren, versuchten sich die Gegner und Befürworter der Reform gegenseitig die Mehrheiten zu nehmen. Ein Antrag von Abgeordneten der CDU, den § 1354 in der Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen, wurde mit 186 gegen 172 Stimmen bei sechs Enthaltungen in namentlicher Abstimmung abgelehnt. Die §§ 1628 und 1629 wurden gegen die gleichlautenden Änderungsanträge der Fraktionen der FDP, der SPD und von Abgeordneten der CDU mit 185 gegen 166 Stimmen bei einer Stimmenthaltung beibehalten.
Am 8. Mai 1957 beriet der Unterausschuß des Rechtsausschusses des Bundesrates das Gesetz, das jetzt unter dem Titel „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“, kurz „Gleichberechtigungsgesetz“, geführt wurde. Der von Nordrhein-Westfalen gestellte und von Hessen und Niedersachsen unterstützte Antrag, § 1628 zu streichen, wurde abgelehnt. Am 24. Mai 1957 stimmte der Bundesrat dem Gesetz zu, das aber erst ein Jahr später, am 1. Juli 1958, in Kraft trat
Was brachte nun der jahrelange Streit in der Öffentlichkeit und im Parlament? Zunächst einmal aufgewühlte Emotionen; weiterhin Enttäuschung auf beiden Seiten, bei den Gegnern wie den Befürwortern der Gleichberechtigung; vor allem aber nicht die volle Gleichberechtigung der Frau. Zur Genugtuung der Gleichberechtigungsbefürworter war zwar der § 1354 mit dem Stichentscheid des Ehemannes auf der Strecke geblieben, aber damit konnten katholische Kirche und Konservative leben, da dies auch schon alles war, was der Gesetzgeber der Frau zugestand
Das Gleichberechtigungsgesetz war, wie ein Kommentator schrieb, „vom Geist der vorsichtigen Anpassung an den Gleichberechtigungsgrundsatz erfüllt“ Im Klartext hieß das: Es war fast alles -nur leicht modifiziert -beim alten geblieben. So behielt in der Frage der elterlichen Gewalt (§ 1628) der-Vater das Entscheidungsrecht; in der Frage der außerhäuslichen Berufstätigkeit (§ 1356) besaß die Ehefrau nur ein eingeschränktes Recht, da sie nur berufstätig sein durfte, wenn dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war (sogenannte Hausfrauenehe); und selbst in der Frage des Ehe-und Familiennamens (§ 1355) hatte es das Parlament nicht einmal für erforderlich gehalten, eine grundsätzliche Änderung vorzunehmen. Ganz zu schweigen davon, daß die Frau in das Kollisionsrecht und in das Staatsangehörigkeitsrecht überhaupt nicht mit einbezogen wurde.
Die Mehrheit der Parlamentarier wollte der Frau nicht die volle Gleichberechtigung zugestehen. So blieb nur der Weg nach Karlsruhe, um über eine Verfassungsbeschwerde die Gleichberechtigung einzuklagen. Nicht einmal einen Monat nach Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes entsprach der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts der von einer Gruppe von Frauen angestrengten Verfassungsklage und entzog in einem am 29. Juli 1959 verkündeten Urteil dem Mann das letzte Wort in Fragen der Erziehung der Kinder und aberkannte ihm zugleich das gesetzliche Alleinvertretungsrecht Dementsprechend wurden die §§ 1628 und 1629, Abs. 1 in der Fassung des Gleichberechtigungsgesetzes für nichtig erklärt. Bei ernster Uneinigkeit der Eltern mußte künftig von beiden Ehepartnern der Vormundschaftsrichter zur Entscheidung angerufen werden.
Den vorläufigen Schlußpunkt der gesetzgeberischen Bemühungen zur Verwirklichung des Gleichberechtigungssatzes des Grundgesetzes bildete das Familienrechtsänderungsgesetz vom 11. August 1961, in dem der Scheidungsparagraph 48, Abs. 2, gegen den die katholische Kirche sich so vehement zur Wehr gesetzt hatte, in einer modifizierten Form Aufnahme fand Die Fassung, die schließlich durch Mehrheitsentscheid Gesetz wurde, entsprach weitgehend einem SPD-Vorschlag. Mit dem Scheidungsgesetz wurde jedoch nicht erreicht, was Bundesfamilienminister Franz-Josef Wuermeling bereits Anfang 1954 gefordert hatte. „Das Scheidungsrecht darf (keinen) Anreiz bilden, bei Schwierigkeiten gleich zum Scheidungsrichter zu laufen und alle Aussicht auf Erfolg zu haben.“ Das neue Gesetz brachte nicht die Wende. Im Gegenteil: nach 1962 schnellten die Ehescheidungsziffem in die Höhe