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Vom kooperativen Föderalismus zum „Europa der Regionen“ | APuZ 42/1992 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 42/1992 Artikel 1 Wir brauchen eine neue Europapolitik. Zu einer notwendigen Debatte über Struktur und Ziele der Europäischen Gemeinschaft Das Europa der Eurokraten. Zentralismus, Partikularismus und die Rolle des Nationalstaates Deutschland und Frankreich zwischen Maastricht und dem Binnenmarkt Vom kooperativen Föderalismus zum „Europa der Regionen“

Vom kooperativen Föderalismus zum „Europa der Regionen“

Franz H. U. Borkenhagen

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Föderalismus gewinnt in Europa an Boden. In den Ländern, Regionen, Autonomen Gemeinschaften und Provinzen regt sich eigenständiges Denken und Handeln. Sichtbarer Ausdruck dafür ist der Raum, den ihre Wünsche und Anhegen bei den Regierungskonferenzen zur Politischen Union und zur Wirtschafts-und Währungsunion gehabt haben. Dazu haben die deutschen Länder ganz wesentlich beigetragen. Schon frühzeitig hatten sie auf ihre Mitsprache und ihre Mitwirkung gepocht. Ausgangspunkt war die von allen Ländern geteilte Überzeugung, daß sich ein immer stärker zusammenwachsendes Europa nur nach den Prinzipien des Föderalismus und der Subsidiarität gestalten läßt. Länder, Regionen und Autonome Gemeinschaften sind unverzichtbare Bauteile des neuen Europäischen Hauses. Die Länder sind Motoren des europäischen Integrationsprozesses. Es geht ihnen nicht um die Durchsetzung oder Bewahrung von Partikularinteressen; für sie ist Regionalisierung vielmehr ein notwendiges Mittel gegen Zentralismus, Bürokratismus und Neonationalismus. In Europa muß die Zusammenarbeit zwischen den Regionen, Ländern und Autonomen Gemeinschaften ausgebaut werden. Vor allem die Regionen in Mittel-, Ost-und Südosteuropa müssen dazu eingeladen werden. Am Ende dieses Prozesses könnte ein „Europa der Regionen“ stehen.

I. Die deutschen Länder haben ihre Bedeutung in Europa entdeckt

Eine Politik des kooperativen Föderalismus gewinnt in Europa an Bedeutung und Gestalt. Die Gründe dafür fallen im Osten und im Westen Europas unterschiedlich aus: In Mittel-, Ost-und Südosteuropa folgt der Umbruchphase in vielen Staaten eine Wiederbelebung des Strebens nach Eigenständigkeit von sogenannten Teilrepubliken. Sie hat oft ethnische, religiöse und nicht selten auch nationalistische Ursachen, die sich über viele Jahrzehnte -zum Teil über Jahrhunderte -zurückverfolgen lassen. Auch der Zusammenhang mit ehemaliger regionaler Eigenständigkeit ist erkennbar. Dieses Bemühen um regionale Identität ist nicht zu verwechseln mit den Kriegen, die um regionalistische Vorherrschaft ausgetragen werden.

In Westeuropa ist eine Renaissance des regionalen Denkens und Handelns im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zu beobachten. Die Stärkung der Regionen als Bestandteil der europäischen Einigung fand ihren jüngsten Ausdruck darin, daß im Rahmen der Regierungskonferenzen zur Politischen Union sowie zur Wirtschafts-und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft seit 1991 Regionalpolitik einen breiteren als bisher gekannten Raum eingenommen hat. Dazu haben die Länder in der Bundesrepublik Deutschland ganz wesentlich beigetragen.

Die Vertiefung der Beziehungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (EG) stand im vergangenen Jahr im Mittelpunkt der europäischen Aktivitäten der zwölf Mitgliedstaaten. Bei den Vorbereitungen zur Schaffung des Binnenmarktes hatte sich erneut die Frage nach einer -bereits Anfang der siebziger Jahre diskutierten, aber nicht realisierten -Wirtschafts-und Währungsunion gestellt. Im Dezember 1989 berief der Europäische Rat eine Regierungskonferenz zur Vorbereitung der notwendigen Vertragsänderungen für Ende 1990 ein. Gleichzeitig wurde die Diskussion über die Ausgestaltung der zukünftigen Europäischen Union, die als Ziel des Integrationsprozesses bereits in der Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte eingeführt ist, verstärkt. Auf gemeinsame Initiative des französischen Präsidenten Mitterrand und von Bundeskanzler Kohl beschloß der Europäische Rat im Juni 1990 in Dublin eine Regierungskonferenz zur Politischen Union im Dezember 1990. Seitdem verhandelten die Mitgliedstaaten über Abänderungen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag). Am 11. Dezember 1991 haben die Staats-und Regierungschefs in Maastricht den Vertrag über die Europäische Union beschlossen, der die Ergebnisse beider Konferenzen in einem Vertragswerk zusammenführte und der am 7. Februar 1992 von den Außen-und Finanzministem, ebenfalls in Maastricht, unterzeichnet wurde. Nach Absicht aller Beteiligten sollte der Vertrag am 1. Januar 1993 zeitgleich mit der Vollendung des Binnenmarktes in Kraft treten. Inzwischen ist zweifelhaft, ob dieses Vorhaben gelingt, denn die Dänen haben in ihrem Referendum im Juni 1992 Europa in dieser Form eine Absage erteilt. Auch das knappe positive Abstimmungsergebnis des Referendums in Frankreich vom 20. September 1992 bringt nur wenig Entlastung, zumal die Zustimmung des Parlaments in Großbritannien noch aussteht.

Als die Außen-und Finanzminister der zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft den Vertrag Unterzeichneten, hätte es möglicherweise bei den anderen Delegationen niemanden allzu-sehr verwundert, wenn auf deutscher Seite und in der belgischen Delegation auch noch die Europa-minister oder gar die Regierungschefs der Länder oder Regionen ihre Paraphen hinzugesetzt hätten. Die bisher weitreichendste Änderung des EWG-Vertrages seit seiner Unterzeichnung am 25. März 1957 hat nämlich Kompetenzzuwächse für die Länder ergeben und deren Rolle in der Gemeinschaft erheblich gestärkt.

Die Revision des EWG-Vertrages hat auf deutscher Seite frühzeitig die Länder auf den Plan gerufen. Nicht von ungefähr haben diese schon vor dem Beginn der Verhandlungen auf die Notwendigkeit ihrer Mitsprache und ihrer Mitwirkung gepocht. Ausgangspunkt war die von allen Ländern vertretene Auffassung, daß durch die zunehmende Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaft die Gestaltungsspielräume der Länder eingeschränkt werden und deshalb ein immer stärker zusammenwachsendes Europa auf föderative Strukturen nicht verzichten kann. Länder, Regionen und Autonome Gemeinschaften seien die Bausteine eines lebensfähigen Europas. Die Länder verstehen sich deshalb als Motoren des europäischen Integrationsprozesses. Es geht ihnen nicht um Partikularinteressen oder um das Bewahren von Provinzen.

Deshalb haben die Regierungschefs der alten Bundesländer bereits im Oktober 1987 in den sogenannten Zehn Münchener Thesen gefordert, Europa nach föderalen Strukturprinzipien aufzubauen. Sie haben dies im Juni 1990 durch vier Kemforderungen für die Politische Union konkretisiert: ----Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in deh Gemeinschaftsverträgen; Öffnung des Ministerrats für Vertreter von Ländern und Regionen; Schaffung eines besonderen Regionalrates und Einräumung eines eigenständigen Klagerechts für Länder und Regionen.

Im Bundesrat wurden diese Forderungen am 24. Oktober 1990 beschlossen. Die Regierungschefs der alten und der neuen Bundesländer haben auf ihrer ersten Konferenz nach Herstellung der Einheit der Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1990 in München diesen Beschluß noch einmal bekräftigt und ergänzt.

Für die Regierungskonferenzen haben sich dann zwischen der Bundesregierung und den Ländern bisher einmalige Regeln der Zusammenarbeit ergeben. Nach einigem Zögern war die Bundesregierung bereit, die deutschen Verhandlungspositionen gemeinsam mit den Ländern zu erarbeiten und jeweils zwei Länder an den Verhandlungen zur Politischen Union (dies waren Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen) sowie zur Wirtschafts-und Währungsunion (Bayern und Hamburg) zu beteiligen. Um in Sachen Europa stets aktions-und reaktionsfähig zu sein, richteten die Länder überdies eine Europa-Kommission ein, in der auf Beamten-ebene alle sechzehn Länder mitarbeiteten. Vertreter der Bundesregierung nahmen daran im vergangenen Jahr bis zum Abschluß der Verhandlungen regelmäßig teil. Den Kommissionsvorsitz hatte bis zum Jahresende 1991 Nordrhein-Westfalen inne. Mit Beginn des Jahres 1992 wurde die Leitung von Baden-Württemberg übernommen.

Bis zum Abschluß in Maastricht wurden mehrere Vertragsentwürfe von den jeweiligen Ratspräsidentschaften (1991 waren es Luxemburg und die Niederlande) vorgelegt. Die Länder haben die Arbeit in Brüssel nicht nur begleitet; sie haben vor allem versucht, Einfluß auf die deutschen Vorschläge und deren Diskussion in der Regierungskonferenz zu nehmen.

II. Die Länder und ihre Forderungen nach gestärkten regionalen Kompetenzen

Wie erfolgreich waren nun die Länder, und was werden sie unternehmen nach Maastricht?

Auf den ersten Blick scheinen die Ergebnisse für die Länder und Regionen sich sehen lassen zu können. Das Subsidiaritätsprinzip wurde in einem Vertragsartikel und in der Präambel verankert. Ebenso ist der Ministerrat für die Regionalminister geöffnet worden. Außerdem ist ein Ausschuß der Regionen geschaffen worden. Nicht berücksichtigt wurde die Forderung nach einem eigenständigen Klagerecht von Ländern und Regionen.

Nach einer näheren Analyse des Vertragstextes wird allerdings deutlich, daß die föderalen Elemente durchaus auch Schwächen aufweisen:

Der Formulierungsvorschlag der Länder zum Subsidiaritätsprinzip ist einer Kompromißformel zum Opfer gefallen. Der Artikel 3 b in Titel II des Maastrichter Vertrages lautet: „Die Gemeinschaft wird innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig. In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfanges und ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Die Maßnahmen der Gemeinschaft gehen nicht über das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrags erforderliche Maß hinaus.“

Diese Formulierung ist ein typisch europäischer Kompromiß. Sie verbindet zwei gegenläufige Elemente miteinander, nämlich die gegen den Zentralismus gerichtete Anschauung mit dem die Kompetenz der Gemeinschaft stärkenden Effizienzprinzip. Letztlich hat die klassische, Mitgliedstaaten und Regionen schützende Funktion des Subsidiaritätsprinzips Eingang in den Vertragstext gefunden; die Länder hätten sich aber eine klarere und eindeutigere Formulierung gewünscht.

Auch wenn die gefundene Formel noch hinnehmbar scheint, wird das Subsidiaritätsprinzip tatsächlich erst in der Praxis geprüft werden können. Bund und Länder sind dann wieder gemeinsam gefordert, um Reglementierungsversuche der Gemeinschaft unter Hinweis auf die Subsidiarität gemeinschaftlichen Handelns von vornherein zu unterbinden. Die Verhandlungen in der EG über die Finanzplanung der Gemeinschaft, das sogenannte Delors-Paket-II, ist dafür eine erste Bewährungsprobe, der sich vor allem der Bund stellen muß.

In Artikel 146 ist die Zusammensetzung des Ministerrates durch die Mitwirkungsmöglichkeit von Länder-und Regionalministern erweitert worden. Bisher mußte jedes Ratsmitglied der Zentralregierung des jeweiligen Mitgliedstaates angehören; nunmehr ist der Status „Minister“ ausschlaggebend -gleichgültig, ob es sich um Vertreter der Zentralregierung oder einer Länder-oder Regionalregierung handelt. Dadurch können in der Gemeinschaft stärker und wirksamer als bisher regionale Interessen zur Geltung gebracht werden. Zweifellos ist den Regionen mit dieser Regelung ein wichtiger Fortschritt in Richtung auf eine föderale Ausrichtung der Europäischen Union gelungen. Es blieb im übrigen der belgischen Delegation in der Regierungskonferenz überlassen, die Teilnahme von Regionalministern im Ministerrat zu fordern und durchzusetzen.

Notwendig ist aber noch die innerstaatliche Umsetzung, damit Bund und Länder die Vertretung im Ministerrat abstimmen und in seine Beratung föderale Grundsätze Einlaß finden. Der Entwurf für den neuen Artikel 23 Grundgesetz berücksichtigt dieses Vorhaben.

Der Vertrag zur Europäischen Union sieht auch die Einrichtung eines Ausschusses der Regionen vor (Artikel 198 a-c). Es soll ein beratender Ausschuß mit 189 Mitgliedern aus regionalen und lokalen Gebietskörperschaften gebildet werden. Nach dem Vertrag ist der Ausschuß in folgenden Fällen zwingend anzuhören: ---Festlegung der Aufgaben, Ziele und allgemeinen Regeln der Strukturfonds (Artikel 130d); Beschluß über spezifische Aktionen außerhalb der Fonds (Artikel 130b Absatz 2); Errichtung des Kohäsionsfonds (Artikel 130d Absatz 2); ---Durchführungsbeschlüsse des Regionalfonds (Artikel 130e); Festlegung der Leitlinien und Erlaß der übrigen Aktionen beim Aufbau/Ausbau der transeuropäischen Netze (Artikel 129d Absatz 1); Erlaß von Fördermaßnahmen im Bereich der allgemeinen Bildung (Artikel 126 Absatz 4), im Kulturbereich (Artikel 128 Absatz 5) sowie im Gesundheitswesen (Artikel 129 Absatz 4).

Aber auch in den Bereichen, zu denen der Wirtschafts-und Sozialausschuß gehört wird, sind Stellungnahmen des Regionalausschusses gefordert und möglich. Darüber hinaus kann der Regionalausschuß nach dem Selbstbefassungsrecht von sich aus Stellungnahmen zu allen europäischen Themen abgeben.

Die Bundesrepublik Deutschland hat 24 Sitze im Regionalausschuß erhalten. Die Mitglieder werden vom Rat auf Vorschlag der jeweiligen Mitgliedstaaten ernannt. Da der Vertrag weitgehend auf Vorgaben für die Besetzung verzichtet, dürfte in der Auswahl der Vertreter -nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland -noch erheblicher innerstaatlicher Entscheidungsbedarf liegen.

Ungeklärt ist sowohl das Verhältnis der regionalen zu den kommunalen Vertretern als auch das Verhältnis von Exekutivvertretern zu Mandatsträgern. Dazu werden in und zwischen den Ländern Beratungen geführt, um rechtzeitig zur Einrichtung des Ausschusses mit einer ländereinheitlichen Position aufzutreten.

Die Einrichtung des Regionalausschusses bedeutet aus der Sicht der Länder nur einen ersten Schritt zu einer Regionalkammer, der über die Beratung hinaus Mitsprache eingeräumt werden müßte. Spätestens dann sollte es auch zu einer Trennung von dem Organisationsunterbau des Wirtschaftsund Sozialausschusses kommen, auf den der Ausschuß der Regionen zunächst noch angewiesen sein wird.

Leider hat die Bundesregierung die Forderung nach einem eigenständigen Klagerecht der Länder gar nicht erst in die Verhandlungen zur Politischen Union eingebracht. Deshalb müssen nun während des Ratifizierungsverfahrens im Rahmen der Verbesserung des innerstaatlichen Beteiligungsverfahrens Regelungen gefunden werden, die den Ländern einen entsprechenden Ausgleich zugestehen.

Die Länder haben insgesamt gewisse zusätzliche Mitwirkungsmöglichkeiten erhalten. Sie dürfen allerdings nicht isoliert bewertet werden. Die Regierungschefs der Länder haben darüber hinaus immer auch gefordert: -Erweiterung der demokratischen Rechte des Europäischen Parlaments; -Erhöhung der Zahl der deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament; -gleichwertige Fortschritte bei der Wirtschaftsund Währungsunion und bei der Politischen Union; -gleichwertige Fortentwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Dimension der europäischen Einigung.

III. Die innerstaatliche Mitwirkung

Die Länder werden also das Ratifizierungsverfahren des Unionsvertrages zum Anlaß nehmen, eine deutlichere ’Verantwortungs-und Rechtszuweisung bei der innerstaatlichen Willensbildung in EG-Angelegenheiten zu fordern. Bereits im Zustimmungsgesetz zu den Römischen Verträgen von 1957 war ein „Zuleitungsverfahren“ vorgesehen, das die Mitwirkung der Länder regelt. In der Folgezeit wurde die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern verschiedentlich den veränderten Erfordernissen angepaßt, zuletzt durch Artikel 2 des Zustimmungsgesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte. Auch das seitdem praktizierte „Bundesratsverfahren“ erscheint den Ländern im Hinblick auf die Änderungen, die in Maastricht beschlossen wurden, nicht mehr ausreichend. Sie haben für den Ausbau der Länderbeteiligung ganz konkrete Vorstellungen entwickelt. Im Vordergrund dieser Vorschläge stehen die Regelungen, die einer innerstaatlichen Umsetzung von Artikel 146 des Unionsvertrages (Öffnung des Ministerrats für Regionalminister) dienen. Nach der einhelligen Auffassung aller Länder soll zukünftig die Festlegung der Haltung der Bundesrepublik Deutschland durch den Bundesrat erfolgen, sofern im Schwerpunkt Zuständigkeiten der Länder betroffen sind. Außerdem soll sich die Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte (insbesondere der Sprecherrolle in der deutschen Delegation auf Ministerebene) durch Ländervertreter vollziehen, sofern im Schwerpunkt Zuständigkeiten der Länder berührt sind.

Darüber hinaus sollen die Ländervertreter die Möglichkeit der Teilnahme an allen Beratungsund Entscheidungsgremien der Kommission und des Rates (einschließlich des Ausschusses der ständigen Vertreter und des Sonderausschusses Landwirtschaft) erhalten, wenn Vorhaben behandelt werden, die für die Länder von Interesse sein könnten. Da die Stellung des Bundesrates durch die Übertragung von Bundeskompetenzen auf die EG geschwächt wird, fordern die Länder das „Letztentscheidungsrecht“ des Bundesrates mit der Haltung der Bundesregierung, sofern innerstaatlich die Zustimmung des Bundesrates erforderlich wäre.

Die Verpflichtung der Bundesregierung, von Rechtsschutzmöglichkeiten vor dem Europäischen Gerichtshof Gebrauch zu machen, soweit Länder nach Auffassung des Bundesrates in eigenen Zuständigkeiten oder wesentlichen Interessen berührt sind, ist als innerstaatlicher Ausgleich für ein eigenständiges Klagerecht der Länder gedacht. Die Absichten und Vorhaben der Länder sind für die Verhandlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission gebündelt worden; sie haben zu dem Ergebnis geführt, daß im neu zu schaffenden Artikel 23 des Grundgesetzes die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und die Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder durch den Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union zu gewährleisten sind. Sie soll im wesentlichen in vier Bereichen möglich sein: -Mitwirkung des Bundesrates bei Hoheitsübertragungen auf zwischenstaatliche Einrichtungen; -Mitwirkung der Länder bei der Willensbildung des Bundes und bei der Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat zustehen, wenn es um Angelegenheiten zwischenstaatlicher Einrichtungen --geht; Befugnis der Länder, zu zwischenstaatlichen Einrichtungen Beziehungen zu unterhalten; Möglichkeit der Länder, mit Zustimmung der Bundesregierung durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche oder interregionale Einrichtungen zu übertragen. Überdies soll der Artikel 28 Grundgesetz ergänzt werden, damit Bürgerinnen und Bürger aus EG-Staaten das kommunale Wahlrecht erhalten.

IV. Aufgaben für die Länder und Regionen in Europa

Unabhängig von administrativen Erfolgen und politischen Bewegungen hin zu den Positionen der Länder müssen regionale Positionen unverändert und nachhaltig hervorgehoben sowie Vorschläge vorgebracht werden, die zu einem „Europa der Regionen führen“. Im Mai 1991 haben die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landes-parlamente und ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Republik Österreich mit dem Beschluß zur „Europäischen Integration und Landesparlamente“ auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Regionen an der erweiterten „Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft“ zu beteiligen, und „die Mitwirkung der Länder und Regionen an den Entscheidungen der Gemeinschaft durch demokratisch legitimierte gemeinschaftliche Institutionen“ gefordert. Der Außenminister Italiens, Gianni de Michelis, skizziert das zukünftige Verhältnis von Regionen zur Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten wie folgt: „Die europäische Integration wird in den nächsten Jahren parallel zu einer Entwicklung verlaufen, die auf mehr Autonomie und auf mehr Macht für die Regionen abzielt. Sie werden aufgewertet. Es geht ja nicht nur auf europäischer Ebene um das Ausbalancieren von Zentralismus und Föderalismus. Auch die nationalen Einheiten müssen die regionalen Identitäten respektieren.“

Die Regionen und ihre Politik sind für Europa Mittel gegen Zentralismus, Neonationalismus und Bürokratismus. Umgekehrt sind sie Instrumente zur Stärkung eines bürgernahen Föderalismus. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, hat diese Ansätze der Politik der Regionen herausgestellt: „Ohne die Brückenfunktion der Regionen werden die beiden Aufgaben nicht zu bewältigen sein.“

Ein Europa mit föderativen Strukturen sollte vor allem die kulturellen Eigenarten und die gesellschaftliche Vielfalt der Regionen erhalten. Es sollte zugleich den Regionen Mitsprache in Europa einräumen. Daraus würde sich eine Stärkung des Europas der Regionen ergeben, in dem die Belange der Regionen eingebracht, bestimmt und umgesetzt werden könnten.

Die Länder in der Bundesrepublik Deutschland haben hinsichtlich Status und Kompetenzen gegenüber den Regionen bzw. Autonomen Gemeinschaften der übrigen Mitgliedstaaten einen gewissen Vorsprung. Von daher scheinen sie stärker prädestiniert für eine Politik des kooperativen Föderalismus. Daraus könnten auch die Fähigkeit und die Aufforderung abgeleitet werden, diesen Föderalismus zu exportieren. Dabei würde keine Vorherrschaft eines deutschen Modells angestrebt. Vielmehr wäre kooperativer Föderalismus gemeint als Angebot für eine Erweiterung der Regionen, ihrer Wirkungsmöglichkeiten sowie zu ihrer Festigung.

Zur verbindenden Ausweitung eines regionalen Selbstverständnisses böte die grenzüberschreitende Zusammenarbeit den beteiligten Regionen Möglichkeiten zur Kompetenzerweiterung und Mitgestaltung in den Mitgliedstaaten und in der Gemeinschaft.

Die Regionen, Provinzen und Länder erhielten in ihren Bereichen vor allem die Aufgabe, Politik wirklich bürgernah zu gestalten, über Ländergrenzen hinweg zu wirken sowie Identität zu stiften durch Mitwirkung und Beteiligung. Nachbarschaft würde weiterentwickelt zu gemeinsamem politischem, wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Handeln. Ansätze dafür gibt es, wie an der Einrichtung von „Grenzregios“, der „NEUEN HANSE INTERREGIO“, „ARGE alp“, „SAARLOR-LUX“ und anderen grenzüberschreitenden Aktivitäten von Regionen und verschiedenen Nationalstaaten zu erkennen ist.

Regionalisierung bedeutet demnach bereits heute Politik nach drei Handlungsmustern: ---„Wesentlich ist, daß die Regionen -in der Bundesrepublik Deutschland die Länder -als die Einheiten identifiziert werden, in denen sich die legitimen Bestrebungen nach eigenverantwortlicher politischer Zielsetzung und als Selbstverwaltung verwirklichen“, hat der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen die derzeitigen Aufgaben der Regionen beschrieben. Dieses kann und muß aufvielfache Weise geschehen. Die Regionen können, so Johannes Rau weiter: ---Stärkung und Ausbau der interregionalen Zusammenarbeit in der EG; Zunahme an Eigenständigkeit in Verbindung mit Übernahme von Verantwortung der Regionen im europäischen Rahmen und Verbindung zu Regionen außerhalb der Gemeinschaft. „historisches Erbe und kulturelle Vielfalt in besonderer Weise bewahren und weiterentwikkeln; in einem »Europa der Bürger 6 durch Sach-und Bürgernähe, durch nachvollziehbare Entscheidung in einem überschaubaren Rahmen dazu beitragen, daß die Menschen sich mit der Gemeinschaft identifizieren können und ihnen die Regionen als demokratisch legitimierte Gebietskörperschaft unmittelbar wahrnehmbare Einwirkungsmöglichkeiten eröffnen; zu einer ausgewogenen Wirtschaftsentwicklung in Europa beitragen, weil sie durch Problem-nähe differenzierter und damit besser auf die vielfältigen Anforderungen der wirtschaftlichen Entwicklung und der damit verbundenen sozial-und umweltpolitischen Erfordernisse reagieren können; -die gesellschaftliche Vielfalt in Europa erhalten helfen, weil sie im Sinne der . vertikalen Gewaltenteilung 6 als Gegengewicht zur nationalen und europäischen Ebene eine ausbalancierende Rolle spielen können“.

In diesem Zusammhang ist es wichtig nochmals festzustellen, daß die deutschen Länderchefs in ihren Vorstellungen über die Aufgaben und Perspektiven der Regionen in Europa weitgehend übereinstimmen. Die gemeinsame Europapolitik der Länder hat während der Verhandlungen zur Politischen Union und zur Wirtschafts-und Währungsunion ihre Bewährung erfahren. Sie ist fortgesetzt worden bei der Einbringung der Länderinteressen zur Neu-fassung des Art. 23 GG und wird derzeit bei der Erarbeitung des Ausführungsgesetzes dazu sowie des Ratifizierungsgesetzes zum Maastrichter Vertrag weiter gefestigt. Um eine ähnliche Gemeinsamkeit bemühen sich die Länder ebenfalls bei den Verhandlungen über die Finanzplanung der EG, dem sogenannten Delors-Paket-II.

Besonders deutlich wird der Gleichklang der Länder aber auch, wenn es um die Zielvorgaben für die Regionen in Europa geht. Genauso wie der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat auch sein Kollege, der Regierungschef des Freistaates Bayern, Max Streibl, sich unmißverständlich zur Rolle der Länder in Europa bekannt. In seiner Regierungserklärung zur Europapolitik hat er am 9. April 1992 das „Europa der Regionen, das die Einheit Europas herstellt, ohne seine historisch gewachsenen Vielfalt zu zerstören“ in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt.

Max Streibl führt erläuternd dazu aus: „Dieses Engagement ist nicht Ausdruck von Provinzialismus oder Regionalismus. Vielmehr dient es dazu, die Schöpfungskraft Europas zu erhalten. Die Gesetze der Marktwirtschaft gelten auch in der Politik: Nur der Wettstreit zahlreicher Kräfte bewirkt Leistungen und Erfolge auf höchstem Niveau. Angesichts der Größe des künftigen Europas kann es aber auch nur in einem . Europa der Regionen 6 gelingen, dem Bürger einen überschaubaren Lebenskreis und seine identitätsstiftende Heimat zu erhalten. Nur in einem , Europa der Regionen 6 wird künftig das Höchstmaß an Teilhabemöglichkeit des Bürgers an den politischen Entscheidungen gewährleistet sein. Nur eine föderalistische Struktur schützt die Freiheit des einzelnen. Europa braucht starke Ebenen oberhalb und unterhalb der Mitgliederstaaten. Es gibt eine Vielzahl staatlicher Aufgaben, für die... die bestehenden Nationalstaaten entweder zu groß oder zu klein sind. Mein Ziel ist daher, das künftige gemeinsame europäische Haus nach den Architekturprinzipien des Föderalismus und der Subsidiarität mit drei Stockwerken zu bauen: Die Länder und Regionen, die Mitgliedstaaten und die Europäische Gemeinschaften müssen gleichberechtigt ihren Platz darin finden.“

V. Perspektiven für die Länder und Regionen in Europa

Das Ergebnis der Referendums in Dänemark vom 2. Juni 1992 brachte ein knappes Votum gegen den Maastrichter Vertrag. Das nicht minder enge Abstimmungsresultat in Frankreich am 20. September 1992, das eine Zustimmung von rund 51 % für die Europäische Union brachte, hat die Zweifel der Bürgerinnen und Bürger in allen Teilen Westeuropas und darüber hinaus an dem eingeschlagenen europäischen Einigungskurs nicht aufgehoben. Neben den „politischen Suppen“, die von den Gegnern und Befürwortern vor dem Tag des Referendums in Frankreich „gekocht“ wurden, ist vor allem deutlich geworden: Die angestrebte Europäische Union wirkt für die Menschen und für viele Institutionen, Betriebe und Verbände in Europa überdimensional, erdrückend, nicht beherrschbar und bürgerfem. Wahrgenommen wird eine zentralistische Bevormundung, die nationale, regionale und individuelle Mitbestimmung und Mitgestaltung nur schwer oder gar nicht zuläßt.

In dieser Situation kommen den Regionen, den Ländern oder den Autonomen Gemeinschaften Aufgaben mit europäischem Ausmaß zu.

Die Versammlung der Regionen Europas (VRE) hat 1991 eine Europakarte veröffentlicht, auf der nicht die Staatsgrenzen, sondern vielmehr die Regionen Europas markiert sind. Demnach reicht Europa von der Region FINNMARK im Norden bis zur Region KRITI im Süden und von der Region LISBOA E VALE DO TEJO im Westen bis zur Region TULCEA im Osten. Die Übersicht kann im übrigen nur einer groben Definition folgen, da die Regierungs-und Verwaltungsformen der einzelnen Regionen, Provinzen, Autonomen Gemeinschaften, Verwaltungsbezirke, Distrikte, Grafschaften und Länder doch zu unterschiedlich sind. Deshalb heißt es in der Legende auch lapidar, daß die Regionen als Ebene unter der Zentralregierung verstanden werden. Nach der Neuartigkeit der Darstellungen und der Definition von Regionen fällt auf: Die Vielzahl der Regionen läßt Europa als einen Flickenteppich erscheinen. So zerfällt Frankreich in 26 Regionen; Dänemark hat 14 Verwaltungsbezirke, Irland gar 26 Grafschaften. Selbst Luxemburg leistet sich noch 3 Distrikte. Polen -mit 49 Woiwodschaften -führt die Liste der Regionenvielfalt an, wenn man die Türkei außer acht läßt. Diese Buntheit der Regionalkarte Europas erinnert an eine Karte aus dem Geschichtsatlas, die die Territorien des Deutschen Reiches 1789 zeigt. Entsprechend ruft diese scheinbare Zergliederung Europas Auseinandersetzungen über das Für und Wider von Regionalisierung in Europa in Wissenschaft, Journalistik, Öffentlichkeit und Politik hervor. Die Positionen reichen von der „Furcht vor Separatismus“ bis zu „Keine Angst vor der Provinz“. Während Ralf Dahrendorf in einem Essay gegen die Regionen gar Karl R. Popper ins Feld führt: „Je mehr wir versuchen, zum historischen Zeitalter der Stammesgemeinschaft zurückzukehren, desto sicherer landen wir bei Inquisition, Geheimpolizei und einem romantisierten Gangstertum“, votierte Wolf Hanke nachdrücklich für die Regionen: „Der überall aufblühende Regionalismus ist nicht nur eine provinzielle Attitüde in einem ansonsten keimfreien, übernationalen, einheitlich gestylten Europa, sondern eine Überlebens-Notwendigkeit, die nicht weniger nachdrücklich propagiert werden sollte als die Vorzüge eines europäischen Binnenmarktes.“ Nüchtern dagegen die Stellungnahme von Val 6ry Giscard d’Estaing: „Europa wird auf drei Stufen funktionieren. Neben der Ebene der Gemeinschaft wird es jene der Nationalstaaten und jene der Regionen geben.“

Dennoch sind Dahrendorfs Zweifel zu beachten. Er nennt „das Europa der Regionen einen doppelt schlechten Rat... Es gibt keinen Anlaß für den Glauben, daß Europa jegliche Aufsplitterung in Regionen aufzufangen vermag.“

An dieser Stelle wird auch die Schwierigkeit eines Transfers der Regionen-Idee sichtbar. Nicht wenige wollen in einer forcierten Regionalpolitik nur Partikularismus erkennen. Manche entdecken gar einen Rückfall in Zeiten des genannten Flicken-teppichs der Kleinstaaten. Und die Nationalen wittern Unregierbarkeit und den Ausverkauf nationaler Eigenständigkeit. Sie verwechseln das Bemühen der Regionen um mehr Kompetenzzuwachs mit dem Terror, der dem Separatismus herbeibomben soll oder aber dem Bürgerkrieg in Provinzen, die ethnische und religiöse Konflikte mit Gewalt austragen. Die seriösen Gegner des Regionalprogramms argumentieren: Die Probleme Umwelt, Wirtschaft und Sicherheit könnten nur von der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten bewältigt werden.

Gewiß gibt es Auswüchse im Streben nach Regionalisierung. Regionalisierung darf nicht in Regionalismus abgleiten. In diesem Sinne verschärfen sich auch die Anforderungen an die Regionen und an ihre Politik zum eigenen Nutzen und für ein Europa der Regionen. Standort-und Infrastrukturfragen können nicht länger mit Kirchturmpolitik angegangen werden. Regionalisierung darf nicht gleichgesetzt werden mit Verengung der Politik auf Grafschafts-, Distrikts-, Provinz-oder Ländergrenzen. Die Anforderungen an die Regionen sind auch nicht gleichzusetzen mit Kompetenzerhaltung, die Aufgaben einschließen, die Mitgliedstaaten oder gar der Gemeinschaft richtigerweise Vorbehalten bleiben sollten. Gefordert sind Bürgemähe und Transparenz der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen. Verlangt wird Denken und Handeln im Rahmen europäischer Bedingungen -deshalb müssen regionale Eigenheiten nicht unberücksichtigt bleiben. Die Handlungsbreite der Regionen wird bestimmt durch Subsidiarität, die gleichzeitig europäisch dimensioniertes Vorgehen in Verbindung mit regionalen Ansprüchen verlangt. Regionale Aktivitäten haben daher ergänzenden Charakter. Gefragt ist demnach eine Politik der Regionen, der Mitgliedstaaten und der EG, die das Prinzip Subsidiarität richtig anwendet, d. h., Probleme, Aufgaben und Herausforderungen der Regionen mit regionalen Mitteln löst und alles, was regional nicht mehr zu bewältigen ist, auf die nächst höhere Ebene gibt. Entsprechend sind auch Stellenwert und Perspektiven der Regionen, Autonomen Gemeinschaften und Länder zu beurteilen. „Dem Nationalismus darf man keine Konzessionen machen,“ sagt Peter Glotz, „man muß ihm ein Konzept entgegensetzen, und zwar ein praktisches -nicht eine Idee, sondern ein Interesse.“ Eine richtig praktizierte Politik der Regionalisierung könnte dieses Konzept sein, denn es gibt neben dem natürlichen Interesse an einem Europa der Regionen auch eine Verantwortung der Regionen für Politik in und für Europa.

Eine Definition von Regionen bietet einen Einstieg, um regionale Wirkungsmöglichkeiten, aber auch die Grenzen von Regionalisierung heräuszuheben. Roland Sturms Erläuterung des Regionen-Begriffes in Dieter Nohlens „Wörterbuch Staat und Politik“ ist dafür hilfreich, zumal auch hier zum Schluß die Kategorien „Interesse“ und „Verantwortung“ sichtbar werden: „Eine Region ist weder durch die Dimension Raum noch durch die Identitätsbezüge einer größeren Gruppe von Menschen deutlich abgegrenzt. Aus administrativer Notwendigkeit werden Regionen unter anderem als Netzpunkte für Infrastrukturverdichtungen... gebildet, wobei die gewählten funktionalen Regioneneinteilungen sich durchaus überschneiden können und fortwährendem Wandel unterworfen sind. Politisch relevant werden Regionen aber erst dann, wenn sie einerseits als lebensweltliche Kategorie von einer Mehrheit der Bewohner anerkannt werden und andererseits diese Anerkennung gesellschaftlich folgenreich wird.“

In diesem Sinne muß auch die Hilfe für die Staaten Mittel-, Ost-und Südosteuropas durch die Regionen vorangebracht werden. Regionen, Autonome Gemeinschaften, Provinzen und Länder sind zur Mithilfe aufgefordert, um die Not lindem, den Aufbau fördern und die Probleme lösen zu helfen. Sie können dazu beitragen durch humanitäre Hilfe, Weitergabe von Know-how und „Export“ der Regionalisierung. Daneben sind wirtschaftliche, finanzielle und personelle Unterstützung nötig. Regionale, nationale und europäische Identität müssen in diesen Staaten soweit wie möglich dekkungsgleich werden. „Die Lösung der Probleme Osteuropas ist die wichtigste Voraussetzung europäischer Sicherheit, die unteilbar ist“, stellt Anna Wolff-Powgska, Leiterin des polnischen West-Institutes in Posen, zu Recht fest. Widrigenfalls weiten sich dort die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen aus und führen zu Destabilität in Europa.

Regionalisierung und die Verbindung zu den westeuropäischen Regionen können in diesen Staaten neben den übrigen Maßnahmen mit dazu beitragen, Konflikte und Krisen zu überwinden oder gar zu vermeiden. Die Ziele müssen sein: ------Minderheitenkonflikte zu verringern oder wenigstens zu regeln; Wohlstand aufzubauen; Armutswanderungen zu begrenzen oder ganz zu vermeiden; Infrastrukturen zu verbessern; Demokratie als Lebensform zu stärken und Identitätsgewinne herzustellen.

Die Länder und Regionen können in diesem Bereich ihre bereits gegenüber den fünf neuen Bundesländern praktizierten Programme ausweiten. Außerdem können die Erfahrungen aus der Zusammenarbeit der regionalen Kooperation im Westen übertragen werden. Nordrhein-Westfalen und andere Länder praktizieren diese Politik schon seit längerem mit Erfolg.

VI. „Europa der Regionen“

Die Aussichten scheinen vielversprechend. Dennoch soll Karl R. Poppers erwähnte Warnung nicht übersehen bleiben: Wirkt in einem Zeitalter, das möglicherweise einer Weltinnenpolitik vorangeht, die Forderung nach Regionalisierung nicht eher provinziell? Bernhard von Plate stellt die Gegenfrage: Darf das Verlangen, über sich selbst bestimmen zu können, „nur vor der Alternative politischer Selbständigkeit oder sezessionistischer Abtrünnigkeit gestellt werden“? Vielleicht gibt ein etwas langfristiger angelegter Ansatz Antwort auf die Frage nach den Perspektiven der Regionen in Europa.

Deshalb sei die Feststellung, die bisher in den Aufgabenbeschreibungen für die Regionen zu finden war, wiederholt: „Das neue Europa wird von seinen Bürgern nur akzeptiert werden, wenn es sich nicht zu einem bürokratischen, zentralistischen Gebilde entwickelt, sondern historisch gewachsene Wurzelgeflechte der Menschen durch Berücksichtigung der regionalen, unterhalb der nationalstaatlichen Ebene existierenden Gegebenheiten aufgreift und fördert“, schreibt Hermann-Josef Blanke in „Föderalismus und Integrationsgewalt“.

Regionen wären in diesem Sinne ä la longue vor allem so zu verstehen, daß sie nicht gleichzusetzen sind mit den Gebilden, die wir heute als Grafschaften, Gemeinschaften, Provinzen oder Distrikte benennen. Regionen würden dann bedeuten: Gemeinschaften mit ähnlichen Strukturen, die über die bisherigen Grenzen und über die Grenzen der jetzigen Mitgliedstaaten hinaus zusammenwachsen. Vor allem müßten sich mehrere kleinere Regionen einer oder zwei größeren anschließen oder sich zusammenschließen. So könnten die Regionen über Flächen, Strukturen und Kapazitäten verfügen, die Partikularismus vermeiden würden und vielfältige Gestaltungsfähigkeit zuließen. Überdies könnten Partnerschaften zu gegenseitiger Entwicklung geschlossen werden zwischen gleichartigen Regionen, die aber geographisch getrennt sind. Die Steuerungsmechanismen dafür blieben bei den Regionen, Vermittlungsdienste könnte die Gemeinschaft übernehmen. Die Partizipation der Regionen in Mittel-, Ost-und Südosteuropa an der Gemeinschaft gelänge dann vielleicht schneller und umfangreicher. Die neuen Staaten der GUS westlich Rußlands könnten ebenfalls zur Assoziation eingeladen werden.

Diese Vorstellungen mögen heute noch etwas realitätsfremd wirken. Aber in dieser Zeit der Umwälzung würde das Beharren auf alten Grenzen und Kompetenzen weitaus unrealistischer, ja überholt wirken. Vor allem heute, nachdem wie nie zuvor deutlich geworden ist, daß die jetzigen Entwicklungen-geradezu nach neuen Formen des politischen Miteinander in Ost-und Westeuropa rufen. Die herkömmlichen Muster und Reaktionsmechanismen in Politik und Wirtschaft scheinen zur Problemlösung nicht mehr auszureichen.

Das „Europa der Regionen“ steht erst am Anfang seiner Handlungs-und Wirkungsmöglichkeiten. Die Chancen sind nicht schlecht; die Widerstände sind gleichwohl beträchtlich. Die Regionen können für sich am besten dadurch werben, indem sie pragmatische, bürgemahe Politik machen, die für die Regionen, für die Politik zwischen den Regionen und für die Gemeinschaft Früchte trägt. Am augenfälligsten könnte dieses durch eine Partnerschaft mit den Regionen in Mittel-, Ost-und Süd-osteuropa gelingen.

Vision, Absichten, Herausforderungen und Aufgaben verlangen politisches Handeln der Regionen und Länder. Es reicht nicht aus, daß sie sich mit dem Ergebnis von Maastricht zufriedengeben. Subsidiarität in der erreichten Form, Regionalausschuß und Mitsprache im Ministerrat können lediglich als Einstieg in eine Politik für ein „Europa der Regionen“ angesehen werden. Außerdem würden sie in der vorliegenden Fassung ganz sicher nicht ausreichen, um auch nur annähernd den skizzierten Forderungskatalog zu erfüllen. Die vorhandenen Instrumente wären einfach zu schwach. Zudem ist zu berücksichtigen, daß längst nicht alle Regionen über die Rechte zur Mitsprache und Mitbestimmung in ihren Staaten verfügen, wie sie unseren Bundesländern zustehen.

Folglich sollten die Rechte und Handlungsmöglichkeiten der Regionen ergänzend erweitert werden: -Die jeweiligen innerstaatlichen Beteiligungsverfahren müßten zugunsten der Länder, Autonomen Gemeinschaften und Provinzen verbessert werden. In einem zweiten Schritt sollten sie einander angeglichen werden, um eine gemeinsame und möglichst gleichzeitige Umsetzung von Regionalpolitik und -Interessen zu ermöglichen. -Der Regionalausschuß müßte zu einer Regionalkammer gewandelt werden. Aus der gelegentlichen Beratung sollte Mitbestimmung werden. Die Regionalkammer könnte dadurch zu der offiziellen Interessenvertretung der Regionen Europas werden. Die Regionen verlören den Status als Lobbyisten; sie würden formell und mit gesicherten Rechten mitwirken. -Die Vertreter der Länder, Regionen und Provinzen könnten einen ständigen Sitz und ein allgemeines Mitspracherecht im Ministerrat erhalten. Sie könnten dadurch grundsätzlich die Politik in der Gemeinschaft mitbestimmen und somit frühzeitig regionale Interessen vertreten. Auch der Europäische Rat sollte durch einen oder mehrere Vertreter der Regionen mit Sitz und Stimme erweitert werden.

Vor diesen Forderungen steht die Aufgabe, die demokratische Mitbestimmung in Europa auszudehnen. Die Rechte des Europäischen Parlaments müssen erweitert werden, um parlamentarische Mitwirkung, Initiativrecht und Kontrolle zu ermöglichen. Dadurch erhalten seine Mitglieder wirkliche politische Gestaltungsmöglichkeiten für die Menschen, die sie in der Gemeinschaft vertreten. Infolgedessen können auch regionale Interessen direkter umgesetzt werden.

Diese Ziele müssen von den Regionen gemeinsam mit allen anderen Institutionen verfolgt werden. Ein schnelles Umsetzen ist bei der Unbeweglichkeit der Gemeinschaft und bei Berücksichtigung der nationalen Eigenarten in Europa nicht wahrscheinlich. Die Hindernisse dürfen aber nicht dazu führen, das „Europa der Regionen“ auf die lange Bank zu schieben. Die Herausforderungen, wie sie zuvor geschildert wurden, dulden keinen Aufschub. Vor allem deshalb nicht, weil die Lasten und die Folgen einer Destabilität in Europa nicht teilbar sind. Aber nicht nur die Risiken fordern alle Regionen, auch die Chancen und Perspektiven zwingen sie geradezu zum gemeinsamen und abgestimmten Vorgehen.

Fussnoten

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Franz H. U. Borkenhagen, geb. 1945; Referatsleiter in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Veröffentlichungen u. a.: Abkehr von der „Logik“ der Bündnisse -hinzu einem Sicherheitssystem in und für Europa, in: Martin Gorholt/Norbert W. Kunz (Hrsg.), Deutsche Einheit -Deutsche Linke, Köln 1991; Kooperativer Föderalismus in Europa, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, (1991) 10; (Hrsg. zus. mit Christian Bruns-Klöss/Gerd Memminger/Otto Stein) Die deutschen Länder in Europa, Baden-Baden 1992.