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Umweltschutz, politisches Lernen und ökologieorientierte Bildungsarbeit | APuZ 39-40/1992 | bpb.de

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APuZ 39-40/1992 Umweltpolitische Perspektiven in den neuen Ländern Neue Formen der Konfliktregelung in der Umweltpolitik Mediationsverfahren in der Umweltpolitik. Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland Mediationsverfahren in der Umweltpolitik. Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland Umweltschutz, politisches Lernen und ökologieorientierte Bildungsarbeit

Umweltschutz, politisches Lernen und ökologieorientierte Bildungsarbeit

Bernhard Claußen

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

ökologieorientierte Bildungsarbeit gewinnt ihre Keminhalte aus den politischen Dimensionen des Umweltschutzes. Sie muß sich aber auch der Lernvoraussetzungen ihrer Adressatinnen und Adressaten vergewissern. Für sie gilt die These von einem doppelten Sozialisationsdefizit: umweltvergessene Handlungspragmatik als Ergebnis politischen Lernens und entpolitisierte Gesinnungsethik als Kennzeichen des erworbenen Umweltbewußtseins. Im Interesse eines Ausgleichs dieses Defizits muß ökologieorientierte Bildungsarbeit den Lernenden Zugänge zu den Phänomenen des Umweltschutzes verschaffen, im Kontext von Überlegungen zur Risikogesellschaft die sozioökonomischen und politischen Krisenmomente des ökologischen Konflikts ausloten, mit aufklärerischen Bemühungen zur Erarbeitung einer verantwortungsethischen Perspektive befähigen und auf die Beteiligung an Auseinandersetzungen um die Würdigung der Subjektqualität der Natur vorbereiten. Als Element der politischen Kultur ist ökologieorientierte Bildungsarbeit somit gleichermaßen Instrument des Umweltschutzes und Instanz der Kritik der Umweltpolitik.

I. Problemstellung

Umweltschutz umfaßt alle Maßnahmen, die erforderlich sind, „um den Menschen den für ihre Gesundheit und für ein menschenwürdiges Dasein notwendigen Zustand ihrer Umgebung zu sichern. Die Natur im Sinne von Boden, Luft, Wasser, Pflanzen und Tierwelt soll vor den durch menschliche Eingriffe unerwünschten Wirkungen durch entsprechende Planung geschützt und die Umwelt-qualität verbessert werden.“ Die Gewährleistung einer intakten Umwelt gehört mittlerweile weltweit zu den zentralen existentiell bedeutsamen Herausforderungen der Epoche. Vorsorgender, begleitender und nachsorgender Umweltschutz -insbesondere Naturfürsorge und Landespflege sowie Reinhaltung von Luft, Boden und Wasser oder Abfallbeseitigung und Schutz vor Lärm -ist im Kontext der damit verbundenen fachlich-wissenschaftlichen Belange in mehrfacher Hinsicht ein Politikum

Generell ist er verbunden mit einer Vielzahl von Wunschvorstellungen, Gewohnheiten, Wertüberzeugungen, Machtbeziehungen und Herrschaftsverhältnissen. Daraus erwachsen Konflikte ebenso wie das Erfordernis eines demokratischen, rechts-und sozialstaatlichen Interessenausgleichs. Als herausragender Teil derjenigen öffentlichen Angelegenheiten, in denen private Partikularbedürfnisse und Ansprüche des Allgemeinwohls zu koordinieren sind, bedarf er der politischen Steuerung im Sinne nationaler wie internationaler rechtsverbindlicher Projektierung, Absicherung, Budgetierung, Akzeptanzbeschaffung, Begünstigung, Integration und Durchsetzung geeigneter Vorkehrungen. Alle materiellen und ideellen Konzepte des Umweltschutzes, seien sie nun rationaler, argumentativ begründeter und ethischer oder irrationaler, romantischer und anthropozentrischer Art, drängen als Varianten der Zivilisationskritik auf verbindliche Regelungen. Letztendlich notwendigerweise auf eine Alternative zum vorherrschenden, massive und bedrohliche Umweltprobleme bedingenden Industrialismus hinauslaufende Erwägungen bedürfen zu ihrer Verwirklichung der Instrumente der Politik. Sie steht schließlich sogar selbst teilweise bereits zur Disposition, da sie als Gefüge etablierter Normen, Einrichtungen und Verfahrensweisen die Umwelt bislang nicht ausreichend schützte und darüber hinaus erheblichen Zweifeln an ihrer Problembewältigungskapazität ausgesetzt ist. Ökologieorientierte Bildungsarbeit, die immer an die Menschen als kommunikative Subjekte adressiert ist, muß angesichts dessen eine Doppel-funktion wahmehmen Zum einen ist sie ein Instrument des Umweltschutzes, indem sie z. B. um-weltpolitische Maßnahmen einsichtig macht und die Individuen, soweit sie als Konsumenten oder Touristen Verursacher von Umweltschäden sind, für besseres und bewußtes Handeln qualifiziert. Zum anderen dient sie der Kritik der Umweltpolitik: durch Aufklärung über den herrschaftlichen Zusammenhang von Natur, Ökonomie und Gesellschaft; durch Anregung zum Nachdenken über Ursachen, Erscheinungsweisen, Wesensgesetze und Folgen realen und möglichen Umweltschutzes; durch Erörterung von Alternativen zur Umweltpolitik und zum sozioökonomischen Bezugssystem; durch Aufdeckung etwaiger Tendenzen der Beschneidung von Demokratie sowie von Sozial-und Rechtsstaatlichkeit im Zuge der Realisierung um-weltpolitischer Entscheidungen; durch Thematisierung der Querverbindungen zwischen der Umweltpolitik und den übrigen allgemeinen wie konkreten Aufgaben der Politik. Im einzelnen kann sie ihren Gegenstand und ihre Fragestellungen aus den skizzierten Dimensionen des Politikums Umweltschutz gewinnen und didaktisch aufbereiten. Darüber hinaus muß sie sich aber auch der Voraussetzungen ihrer Adressatinnen und Adressaten vergewissern. So ist nach den immer schon vorhandenen Ergebnissen vorausgegangener und flankierender Sozialisation zu fragen. Insbesondere geht es dabei um die Ermittlung der Strukturen des Alltagsbewußtseins im Hinblick auf die Repräsentanz von Umweltproblemen im Rahmen des politischen Lernens und auf die Würdigung politischer Implikationen in der Wahrnehmung von Notwendigkeiten des Umweltschutzes.

Didaktisch-methodische Maßnahmen lassen sich daraus zwar nicht im Detail ableiten. In Kenntnis allgemein kalkulierbarer Voraussetzungen sind jedoch ihre Absichten und Konturen durchaus genauer zu profilieren. Anzustreben ist nicht eine gehimwäscheartige Bewußtseinsmanipulation, sondern allein die Verbesserung von Hilfestellungen für die Selbstreflexion und Ausdifferenzierung von Erkenntnissen, Deutungsmustem und Zukunftsperspektiven für die staatsbürgerliche Existenz. Die Problematisierung von Sozialisationsphänomenen ist zugleich auch Thema ökologieorientierter Bildungsarbeit. Denn die Vermittlung von Umwelt im politischen Lernen und von Politik im Lernen über Umwelt enthält etliche Aufschlüsse über den Zustand von Umwelt und Politik selbst. Die Durchschaubarkeit entsprechender Vermittlungsvorgänge ist eine wichtige Voraussetzung für ökologisch-politische Kompetenzerweiterungen.

II. Umweltbewußtsein und politisches Lernen im gesellschaftlichen Alltag

Während politisches Lernen theoretisch und empirisch bereits seit längerem gut erschlossen ist liegen verläßliche Informationen über das Zustandekommen und die Beschaffenheit von Umweltbewußtsein nur bruchstückhaft vor Jede Inbeziehungsetzung von Umweltbewußtsein und politi-schem Lernen ist daher nur als Formulierung plausibler Vermutungen möglich. Einige auffällige Befunde liefern dafür allerdings Anlaß und Material Insgesamt gestatten sie die These von einem doppelten Sozialisationsdefizit.

1. Umrisse des geläufigen politischen Bewußtseins: umweltvergessene Handlungspragmatik

Die Problematik der zeitgenössischen Sozialisation besteht vorwiegend in der unzureichenden Qualifizierung der Bevölkerung für eine sachkundige, konfliktfähige und zivilcouragierte Aktivbürgerschaft Die mehrheitlich vorfindlichen Varianten des autoritären Sozialcharakters bleiben sogar noch hinter den Möglichkeiten der formal-repräsentativen Demokratie als Staatsform zurück. Als dominanter Typus der Vergesellschaftung bedeuten sie auf der Ebene von Persönlichkeitsmerkmalen eine massenhafte Reproduktion prinzipieller Wertoptionen, Handlungsmaximen und Funktionsmechanismen der ökonomischen Verwertungslogik. Deren innere Selbstwidersprüchlichkeit wird zugleich gespiegelt. Denn Lernprozesse stehen heutzutage ganz allgemein vor dem Dilemma, „daß das Individuum innerhalb der hoch-komplexen Industriegesellschaft über eine eigenständige Identität verfügen muß, um autonom handlungsfähig zu sein, daß... aber die (spät-) kapitalistische Produktionsweise immer stärker die Basis für identitätsstiftende Lebensumwelten zerstört, auf die die Produktionsweise wieder angewiesen ist“

Die Herstellung von mehr oder minder stillschweigender und zumeist vor-oder unbewußter Akzeptanz eines Lebens nach dem vorherrschenden Zivilisationsmodell erfolgt auf vielfältige Art. Die normative Kraft der faktischen Existenzbedingungen, systemimmanente Erziehungspraktiken, Einflüsterungen der Kultur-und Bewußtseinsindustrie, die Ideologie von der Sachzwanglogik, mancherlei Attraktionen der Wohlstandsgesellschaft und anderes mehr sind daran beteiligt. Es nimmt daher nicht wunder, daß das politische System als Garant der über alle äußeren Modernisierungen hinweg in seinen Strukturen tradierten Lebensweise diffuse Zustimmung erfährt, noch bevor es in explizit politik-orientierten Lernprozessen Gegenstand fragmentierter Betrachtung ist.

Spezifisch politische Sozialisation im engeren Sinne knüpft daran an. Ihrerseits reproduziert sie vermittels einer überwiegenden Fixierung auf den Staat oder allenfalls auf die Demokratie als Staatsform die staatlicherseits begünstigten Modalitäten für den Umgang mit der Umwelt: Beschaffung von Loyalität gegenüber dem demokratischen Staat bedeutet immer auch Rechtfertigung und Einübung der ihm zugrundeliegenden und von ihm geförderten sozioökonomischen Prioritätensetzungen. Dabei werden zwar die Widersprüche des Kapitalismus als Ambivalenzen des ihm dienenden politischen Systems spürbar. Die realen Machtverhältnisse und ihre materielle Basis bleiben indes solange unangetastet, wie das politische System weiterhin die grundlegende Daseinsfürsorge gewährleistet und/oder Verblendungszusammenhänge im öffentlichen und privaten Bewußtsein solche Widersprüche verschleiern und verharmlosen

In den differenzierten Grundtypen des Werte-und Staatsverständnisses, wie sie modernen Industrie-gesellschaften eigen sind finden weitgehend nur Abstufungen letztlich gleichsinniger, weil system-stabilisierender Vorstellungen ihren Ausdruck -Im Konventtonalismus mit seinen vielfältigen Reminiszenzen an das Realitätsprinzip überwiegt ein tiefes Sicherheitsdenken mit obrigkeitsfixiertem Vertrauen auf einen starken Staat. Von ihm wird die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Befriedigung vornehmlich materieller (Konsum-) Bedürfnisse erwartet. Soziale Probleme werden bis hin zu plattem Biologismus aus der Natur der Menschen heraus zu erklären versucht. Natürliche Lebensumwelt gilt einerseits als dem Menschen untertan zu machende Materie und wird andererseits als Reaktion auf erfahrenes Leid an der Zivilisation und im Zuge nationalistischer Zuspitzungen von Einstellungsmustern in heimat-bezogenen Kategorien idealisiert und ideologisch überhöht. Unterstützung finden insbesondere politische Programme, die am herrschenden Zivilisationsmodell des Industrialismus festhalten. -Dem Nonkonventionalismus mit seinen zahlreichen Zuwendungen zum -freilich entfremdeten -Lustprinzip ist zwar ein hohes Maß an Verdrossenheit gegenüber Staat und etabliertem politischen System eigen. Jedoch ist die damit verbundene postmaterialistische Orientierung lediglich Ausdruck einer idealistischen Zivilisationskritik unter Ausschöpfung wohlfahrtsstaatlicher Möglichkeiten. Natur ist schwerpunktmäßig ein Ort des Rückzugs in eine Form alternativer Lebensweise und somit romantisch verklärtes Gegenmodell zur Industriegesellschaft. Politische Aktivität erfolgt in erster Linie abseits des Institutionengefüges. Sie ist oft gleichermaßen partikular und fundamentalistisch: Ökologieorientierte Betätigung folgt persönlichem Interesse und wird zum Selbstzweck; Unterstützung findet allein darauf konzentrierte Politik.

Ein Typus mit der Fähigkeit zur produktiven Synthese zwischen konventionellen und nonkonventionellen Bedürfnissen ist demgegenüber nur schemenhaft und geringfügig vorhanden. In beständig größer werdendem Umfang findet sich jedoch facettenreich ein Typus ohne ausgeprägte Neigungen bei gleichzeitiger politischer Abstinenz und Reduktion auf ein materialistisch geprägtes Privatleben. Im Falle von Irritationen freilich tendiert er in erheblichem Maße mitläuferhaft bis aggressiv zur Sympathie mit oder gar Radikalisierung von konventionalistischen Verhaltensmodi.

Die Gefahr solcher weitreichenden Irritationen erwächst aber gerade aus den zahlreichen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Risiken der Industriezivilisation, denen gegenüber die Politik bislang keine ausreichende Bewältigungskompetenz nachzuweisen vermag. Insbesondere in der Generation der Heranwachsenden schwindet daher das noch zu Zeiten der Fortschrittseuphorie wenigstens potentiell merkliche „optimistische, gewissermaßen , offensive 1 Orientierungsmuster der Selbstverwirklichung als Ausdruck offener Entwicklungschancen, das im politischen Kern »Demokratisierung 1 zum Inhalt hatte“; es wird abgelöst durch das „eher pessimistische, gewisser-maßen »defensive* der Selbstbehauptung... gegenüber bedrängenden Risikolagen, die die Wege zur Realisierung von Lebensplänen einschränken,... das unversehrte (Über-) Leben in Frage stellen und im politischen Kern das Konzept der »Sicherung* enthalten“

Damit ist aber die Gefahr einer Regression auf simple Muster des Konventionalismus bis hin zur Ausbreitung rechtsextremistischer Orientierungen gegeben Zumindest aber bedeutet diese Tendenz eine Zuflucht zu Bedürfnissen, Ansichten und Verhaltensweisen, die auf eine bloße Reproduktion des Lebens hinauslaufen. Im Bereich der politisch-gesellschaftlichen Organisation des Lebens werden damit jene eindimensionalen Existenzmerkmale bekräftigt, die der Ausbeutung der Natur zugrunde hegen: das Primat der Ökonomie und der unbedingte Zweckrationalismus Einmal mehr droht damit eine Hintansetzung produktiver Bedürfnisse, zu denen die Humanisierung der Lebensbedingungen generell und ein ökologischen Erfordernissen angemessener Umgang mit der Natur speziell gehören.

Auch wenn sich die in einem positivistischen Sinne materialistische Daseinsorientierung nicht in Zynismus oder Sozialdarwinismus verfängt, ist sie doch Ausdruck einer simplen Handlungspragmatik. Als solcher bleibt sie partikularem Nützlichkeitsdenken verhaftet, das in der Interessen-konkurrenz auf den Eigennutz individualisierter Menschen bedacht sein muß. Naturvergessen ist es insofern, als dabei weder das Allgemeininteresse an der Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen noch ein Eigenrecht der Natur in nennenswerter Weise akzentuiert wird.

Dazu gehört, daß parallel zu den vielfältigen politischen Informationsdefiziten und Fragmentierungen des politischen Bewußtseins entweder Fragen des Umweltschutzes kaum oder zeitgeistgemäß und oberflächlich als Aspekte staatlicher Umweltpolitik präsent sind Auch darin reproduziert sich der Partikularismus der Politik. Sie nämlich neigt vorwiegend dazu, ökologische Probleme wenn schon nicht zu verleugnen, so doch lediglich unter Wahrung wirtschaftspolitischer Prioritäten als Aufgabenfeld neben anderen ressorthaft und damit bürokratisch zu handhaben.

2. Umrisse des geläufigen Umweltbewußtseins: entpolitisierte Gesinnungsethik

Die auf Sicherheit und Bestandswahrung bedachte Handlungspragmatik aktualisiert in affirmativer Weise das Realitätsprinzip. Produktive Impulse der Vitalität des Lustprinzips werden dadurch vermieden. Ausgedrückt ist darin auch die durchaus „wahrgenommene Diskrepanz zwischen den Werten, die in einer Demokratie herrschen sollen, und den realisierten Werten. Es ist die klassische Diskrepanz zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit. ... Während die Diskrepanz ... bei eher globalen Fragestellungen von einem breiten Spektrum der jungen Generation wahrgenommen wird, bleibt die Wahrnehmung spezifischer Aushöhlung demokratischer Rechte durch den Staat und die Behörden dahinter zurück.“

Die pragmatische Deutung des Wahrgenommenen und anhaltende Bedrohungsängste wiederum behindern eine kritische Verarbeitung und erst recht Aktivitäten, die auf eine Lösung des Widerspruchs hinauslaufen könnten. Das hat eine zweifache Konsequenz: Die damit verbundene Unterentwicklung von Partizipationskompetenzen führt zu Einbußen an Unterstützung und Kreativität auch bei der Vorbereitung und Ausgestaltung von Umweltschutzmaßnahmen. Mangelnde Praxis politischer Partizipation wiederum verringert die Aufmerksamkeit gegenüber Fragen der Umweltpolitik oder führt gar zu einer von politischen Kontexten abstrahierten und lediglich noch punktuellen Wahrnehmung von Umweltproblemen.

Zwar werden die Bedrohung durch Umweltkatastrophen und die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen nicht vollends verleugnet. Wiederkehrende Primärerlebnisse und die massenmediale Berichterstattung, die parallel zur Verbreitung politischer Beschwichtigungen daran mehr ein Sensations-als ein Aufklärungsinteresse hat, lassen das nicht mehr zu. Allerdings greifen bei der Wahrnehmung in der Regel Interpretations-und Einordnungsmuster aus anderen Sozialisationskontexten, die selbst für die dabei maßgeblichen Situationen keinesfalls immer angemessen und keineswegs übertragungsfähig sind

Das Umweltbewußtsein umfaßt im wesentlichen neben einschlägigen Wertoptionen untereinander verknüpfte Meinungen, Ansichten, Vorstellungen, Bilder und Theorien zu Wissenschaft und Technik, zu Rohstoff-und Energieproblemen, zur Kernkraft sowie zu den Möglichkeiten und Grenzen des Wachstums einerseits und zur Zivilisationsgeschichte, zu Lösungsstrategien sowie Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Interventionen andererseits Bemerkenswert ist, daß darin meist eine anthropozentrische Sicht vorherrscht: Umwelt gilt primär als dann bedroht, wenn sie den Menschen schädigt oder wenn die Natur für seine Bedürfnisse nichts mehr hergibt. Darüber hinaus bestehen ohne strikte Abgrenzbarkeit und mit Quantitätsschwankungen wohl nebeneinander folgende Grundtypen: -Relativ selten sind fatalistische und individualistische Deutungen, welche im drohenden ökologischen Kollaps göttlichen Willen oder unausweichliche Naturgesetze walten bzw. menschliche Einzelwesen als alleinige Instanz der Problemverursachung und -lösung sehen. -Auch auf der Ebene des Bewußtseins verlängert sich oftmals die innergesellschaftliche „Kontroverse über die systematischen Gründe für Umweltschädigungen ... in eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Möglichkeiten und Grenzen ihrer politischen Regulation“ Dominant ist dabei die Betrachtung von „Umweltschäden als Ausfluß technischer Gegebenheiten“ mit der Ansicht, es seien „Probleme mit der Natur unter der gleichen Perspektive bewältigbar, nämlich als technische Probleme“ Weniger häufig ist die Überzeugung, es seien „Um-weltprobleme als Folgen bestimmter gesellschaftlicher Strukturen einzuordnen“, so daß man „zum Zwecke eines umfassenden Umweltschutzes an jenen Strukturen ansetzen“ müsse Individuelle Verantwortung wird in beiden Fällen nicht in Abrede gestellt, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung eher sekundär bewertet. -Keineswegs seltene Extreme sind Formen einer apokalyptischen Panik und einer Totalverdrängung. Im Gegensatz zu den anderen Typen liegt ihnen zumeist eine erhebliche psychische Labilität zugrunde. Sie hängen aber auch damit zusammen, daß die Fähigkeit zur Vermeidung von neurotischer oder psychotischer Angst zugunsten von Realangst sowie zur Ambiguitätstoleranz gegenüber Kontroversen und Konflikten gar nicht oder nur unzureichend entwickelt ist

Trotz zahlreicher Zusammenhänge und Übergänge ist bei alledem „nach vorliegenden empirischen Untersuchungen ... davon aus(zu) gehen, daß die beiden Veränderungsbereiche -Umweltbewußtsein als politisches Phänomen und Umweltbewußtsein als private Handlungsbereitschaft -getrennte psychische Funktionen darstellen. Es sind nicht notwendigerweise diejenigen, die sich in ihrem politischen Handeln und Urteilen von Umweltgesichtspunkten besonders leiten lassen, auch gleichzeitig jene, die in ihrem privaten Lebensumfeld durch ihr eigenes Verhalten versuchen, einen Beitrag zur Erhaltung der natürlichen Umwelt zu leisten. Politisches und individuelles Handeln haben offensichtlich eine unterschiedliche kausale Dynamik.“

Umgekehrt ist es keineswegs so, daß private Handlungsbereitschaft auf Einsichten in Erfordernisse politischer Steuerung schließen läßt. Selbst wo diese vorliegt, kann es sich, wie erwähnt, durchaus um allein systemimmanente, also nicht wirklich lösungsrelevante Anschauungen handeln. Daß sie gleichwohl mit einiger Selbstgewißheit auftreten, liegt nicht zuletzt daran, „daß die vorhandenen gesellschaftlichen, genauer: die spezifisch ökonomischen Strukturen sehr wohl ein stückweit (aber eben nicht mehr, B. C.) Umweltschutz selbstregulierend erbringen. Unter dem gleichen Movens, das, über den Markt vermittelt, Natur in die Produktion und Reproduktion vereinnahmt, läßt sich auch Umweltschutz (in gewissen Grenzen, B. C.) marktmäßig realisieren.“

Als typische, wenn auch im Sinne einer Positivabweichung für den Bevölkerungsdurchschnitt keineswegs repräsentative Illustration für all dies mag das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung gelten: -„Sichtbar wurde, daß Studenten/innen den Umbruch im öffentlichen Umweltbewußtsein (An-fang der 70er Jahre) und vorherrschend naturwissenschaftliche Diskussionspunkte (z. B. Smog, Waldsterben etc.) aufmerksam registriert hatten. Weniger mitbedacht wurden dagegen die sozialen Ursachen der Probleme (Konsum, Mobilitätsverhalten etc.). Und am wenigsten wußten die Studenten/innen einzuschätzen, welche Bedeutung den Wahrnehmungsbedingungen, Interpretationsstrukturen und Informationsmechanismen (Medien, wissenschaftlichen Pardigmata, Erziehung etc.) für das Umweltbewußtsein zukommt. -Möglichkeiten, die Umweltbelastungen zu reduzieren, sahen Studenten/innen vor allem in wirtschaftlichen Sanktionen, technischen Lösungen und gesetzlichen Regelungen. Dagegen wurde dem öffentlichen Bewußtsein, der Information und Erziehung weniger Bedeutung beigemessen. Die Folgen derartiger Verbotsregulierungen für eine demokratische Gesellschaft und für ihr eigenes erzieherisches wie politisches Engagement wurden anscheinend wenig mitbedacht. -Dennoch erkannten die Befragten sich ein höheres und zukunftsorientiertes Umweltengagement sowie mehr , Liebe zur Umwelt'zu als der Öffentlichkeit und älteren Erwachsenen.... Ihren eigenen Anteil an den Umweltbelastungen bewerteten Studenten/innen... als relativ gering. Auch wenn man die üblichen Selbstentlastungsmechanismen und ihre große Bereitschaft zum Recycling, zu Energieeinsparungen und zum Kauf von Bio-Produkten in Rechnung stellt, scheinen sie ihre Einbindung in die allgemeinen Sozialstrukturen mit hohem Anspruchsdenken und starker Konsumorientierung nicht realistisch wahrzunehmen.“

Danach finden sich neben klassischen materialistischen Modalitäten des Umweltbewußtseins zumeist positivistischer Provenienz offensichtlich auch postmaterialistische Optionen und Deutungsweisen. Sie sind allerdings mit materialistischen Erfordernissen wenig verzahnt und sehen überdies von den materiellen Basisbedingungen der vorfindlichen Wirklichkeit und den Möglichkeiten ihrer Veränderung ab. Gerade dadurch und durch naiv-konsumentenhafte Ansprüche gegenüber dem Staat sind sie aber trotz mancherlei verbaler Bezugnahmen auf Politik faktisch entpolitisiert.

Zudem entspringen sie idealistischer Gutwilligkeit und Unbekümmertheit mehr als einem den Tatsachen und ihren Hintergründen verpflichteten oder angemessenen Verantwortungsbewußtsein. Zu weiten Teilen sind sie Ausdruck einer Gesinnungsethik, wie sie auch für die Mehrzahl der vorliegenden Konzepte der Umwelterziehung ausgemacht werden kann

III. Ökologieorientierte Bildungsarbeit auf dem Wege zum Naturstaat

Angesichts der Bedeutung von Umweltproblemen als Schlüsselprobleme für menschliches Überleben in Würde und eine dafür verantwortliche Politik wäre es überaus fatal, wollte man daraus nur ein Thema neben anderen für die Bildungsarbeit konstruieren. Tatsächlich handelt es sich um eine übergreifende, wiederkehrende und andere Lemgegenstände strukturierende oder durchdringende pädagogische bzw. andragogische Aufgabe. Gewiß ist auch, daß ökologieorientierte Bildungsarbeit nur vieldimensional und demnach fachgebietsumspannend oder -integrierend verwirklicht werden kann. Daß sie freilich im Zentrum als Politische Bildung zu gestalten ist, ergibt sich aus den Erfordernissen des Umweltschutzes und seiner Verankerung in den nicht anders als politisch beeinflußbaren sozioökonomischen Strukturen der Wirklichkeit.

Konsens findet dabei der Hinweis, daß die Beteiligung von Kompetenzen Politischer Bildung an ökologieorientierter Bildung „nicht davon ab(hängt), daß der neue Politikbereich . Umweltpolitik'zusammenhängend dargestellt wird, sondern daran, daß die Politikaspekte , polity‘ und . politics'in ihrer Relevanz für umweltpolitisch bedeutsame Fragestellungen vermittelt werden“ Strittig ist freilich, ob es auch unter diesen Voraussetzungen mit einer Thematisierung von Umweltschutz als Politikfeld sein Bewenden haben kann bzw. welche Perspektive als Zugang zu den Problemdimensionen und zum Problemkemgehalt angemessen ist.

1. Phänomenologie des Umweltschutzes

Selbstverständlich haben Lernende einen Anspruch auf das Bekanntwerden mit den momentan vordringlichen Aufgaben des Umweltschutzes, den dazu vorliegenden kontroversen Konzepten und ihren eigenen Rechten. Exemplarische Erschließung und Vertiefung verdienen vor allem die Erörterung kurzfristig gebotener Einzelmaßnahmen, die Auseinandersetzung mit dem Verursacherprinzip und Perspektiven für internationale Regelungen insbesondere im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. Hinzu kommen müssen unter anderem Beispiele für die Müllvermeidung, die Entgiftung und die Ressourcenschonung in Privathaushalten.

Im Mittelpunkt sollte dabei die umweltpolitische Grundregel stehen: „Volkswirtschaftliche Schäden, die durch Umweltbelastungen entstehen, sowie die Kosten für eine nachträgliche Beseitigung bzw. Eingrenzung der Schäden sind -nicht erst langfristig, sondern schon mittelfristig -weitaus größer als die Aufwendungen für eine rechtzeitige Vermeidung bzw. Verhütung von Schäden.“ An plausiblen Einzelfällen lassen sich mögliche Erfolge ebenso verdeutlichen wie unübersehbare Grenzen. Motivational hat das den Vorteil einer Immunisierung gegenüber sowohl der Ausbreitung von Resignation als auch voreiliger Beruhigung.

Die Hinwendung zu verbleibenden Aufgaben kann schließlich in der Vermittlung von individuellen und sozioökonomischen Faktoren den Blick auf die eigentlichen politischen Dimensionen lenken. Immer mit zu berücksichtigen ist allerdings die Reflexion der persönlichen Wahrnehmungsleistungen und der öffentlichen Problemthematisierung. Im Vergleich ihrer Mechanismen miteinander und untereinander bestehen Aussichten auf die Relativierung geläufigen Denkens.

2. Umweltpolitik im Szenario der Risikogesellschaft

Ungeachtet aller kurzfristig nötigen Maßnahmen des Umweltschutzes zum Zwecke der Abwendung akuter Schäden, ist eine nicht auf ressortspezifische und systemimmanente Behandlungsmuster reduzierte Problemsicht angezeigt: „Die Verwand-lung der ungesehenen Nebenfolgen industrieller Produktion in globale ökologische Krisenherde ist... gerade kein Umweltproblem, sondern eine eklatante Institutionenkrise der Industriegesellschaft mit beträchtlichem politischen Gehalt: Gefahren werden industriell erzeugt, ökonomisch extemalisiert, juristisch individualisiert, naturwissenschaftlich legitimiert und politisch verharmlost. Die Schlüsselfrage lautet: Wie gewinnt dagegen eine ökologische Politik der Selbstbegrenzung Macht und Durchsetzungsfähigkeit?“

Konsequenterweise müssen diese Kemelemente der Risikogesellschaft den Fokus für ökologieorientierte Bildungsarbeit liefern Daß dabei die Prämissen, hypothetischen und empirisch bestätigten Aussagen sowie die Konsequenzen der sozialwissenschaftlichen und allgemein-öffentlichen Debatte zur Risikozivilisation mit konträren Aussagen zu konfrontieren, auf ihre Plausibilität und methodische Stringenz zu befragen sowie hinsichtlich ihrer Interessenbezüge und Folgerungen kontrovers zu diskutieren sind, versteht sich von selbst.

Insofern es also um die Thematisierung eines Denkmodells geht, das womöglich perspektiven-reich über bloße Tatbestandsaufnahmen und immer schon übliche Interpretationen hinausgeht, ist die Befürchtung völlig absurd, es würde dadurch eine Sichtweise verabsolutiert und „Umwelterziehung Politik-Verkündigung“ werden Wirklich problematisch ist demgegenüber jedwedes Verbleiben im Rahmen der These von der Technikimmanenz oder marktökonomischen Selbstregulierung ebenso wie eine simple Gegenüberstellung von Erklärungs-und Lösungsansätzen nach dem Pro-und-Contra-Verfähren. Demi dadurch wird entweder illusionärem Lösungsdenken Vorschub geleistet oder eine Gleichwertigkeit bzw. Beliebigkeit alternativer Konzepte suggeriert.

3. ökologische Aufklärung und Verantwortungsethik

Der prüfende Umgang mit Theoremen und Programmen ist ein wichtiger Schritt zu einer rationalen Problembehandlung. Er kann zugleich entscheidend dazu beitragen, daß nicht nur Minderheitenpositionen, sondern auch aus dem laufenden öffentlichen Diskurs ausgegrenzte Ansichten von Gegenexperten und instrumentell nicht unmittel­ bar verwertbare gedankliche Experimente Gehör finden. Zudem bietet er eine wenigstens minimale Gewähr dafür, daß die Ebene des bloßen Meinens verlassen werden kann und reine Gesinnungs-Gegnerschaften ebenso vermieden werden wie daraus erwachsende destruktive Polarisierungen.

Aufklärung über ökologische Probleme als Prozeß der Auseinandersetzung zu gestalten, ist auch deshalb nötig, weil es in der pluralistischen, komplexen und interessenheterogenen Gesellschaft keine Instanz gibt, die über hinreichendes Wissen oder gar absolute Wahrheiten verfügt. Tiefen-und breitenanalytische Problemorientierung bietet etliche Aussichten für die Erarbeitung eines verantwortungsethischen Umgangs mit den Sachverhalten und ihrer Bewertung. Die Kriterien dafür sind nirgends verbindlich abrufbar, sondern müssen erst noch im Diskurs erarbeitet werden. Von daher ist verständigungsorientierte Kommunikation in dreifacher Hinsicht unabdingbar: Es geht um das begreifende, nicht blindlings billigende Verstehen der ökologischen Problemgehalte, um den Austausch von sach-und fachbezogenen Informationen und Sichtweisen sowie um eine Einigung über den Herausforderungen angemessene rekonstruktive und konstruktive Zugriffsweisen

4. Umwelt als Rechtsgut

Spätestens mit der Eröffnung verantwortungsethischer Diskurse sind Grund und Anlaß gegeben für eine Infragestellung der bis hinein in die ausgefeiltesten umweltpolitischen Konzepte sich beständig wiederholenden Behandlung von Natur als Objekt. Anzuknüpfen ist dabei an die in der Reflexion der Risikogesellschaft bereits fundierte Problematisierung historisch überkommener Normen, Einrichtungen und Verfahrensweisen der Gesellschaft Beachtenswert wird dann die Frage, ob nicht Umweltpolitik viel zu kurz greift, wenn sie lediglich als Reparaturbetrieb fungiert oder eine Technologiefolgenabschätzung im Hinblick auf ökologische, soziale und ökonomische Verträglichkeit betreibt, ohne die instrumentalistischen, profitorientierten und bedürfnisverachtenden Prinzipien des herrschenden Zivilisationskonzepts zur Disposition zu stellen.

Es ist keineswegs eine Verführung zur Renitenz oder utopistischer Nonsens, wenn die Lernenden Gelegenheit erhalten, sich in grundlegende Fragen der Begründung einer verallgemeinerungsfähigen neuen Ethik einzuarbeiten, und befähigt werden, sich an den dafür nötigen öffentlichen Auseinandersetzungen auf unterschiedliche Weise beteiligen zu können. Vielmehr wird dadurch ein Zugang ermöglicht zu längst schon vorangeschrittenen Erwägungen und Debatten, die jedoch über die politischen Alltagsgeschäfte und ob ihrer Langwierigkeit bislang vom öffentlichen Bewußtsein mehr verdrängt als gepflegt werden. Solche Erwägungen und Debatten kreisen um die materiale und/oder formale Gewährleistung dessen, was als Umwelt-oder Naturstaat bezeichnet wird.

In letzter Konsequenz geht es dabei darum, der Natur eine Subjektqualität mit Anspruch auf Schutz um ihrer selbst willen zuzusprechen und zu garantieren „Angesichts der allenthalben erkennbaren ökonomischen Wachstumsdynamik und des aus ihr erwachsenden technischen Innovationsbedarfs werden die individuellen Umwelt-und Naturschutzbemühungen auch dann immer unzureichender, wenn sie sich ständig verstärken. Überall dort, wo die Schutzfunktion gesellschaftlicher Regelungsmechanismen versagt, ist daher auch der Staat zu einer wirksamen ökologischen Protektionspolitik aufgerufen. Kraft des den zentralen Staatszweck konstituierenden Auftrages, das Leben der Bürger zu schützen und zu fördern, und kraft des ihm zur Erfüllung dieses Auftrags verliehenen Gewaltmonopols hat der Staat das Allgemeininteresse an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen auch gegenüber individuellen Interessen durchzusetzen. Bloße Zugangs-und Nutzungsregelungen zur Verwaltung der immer knapper werdenden Naturgüter reichen jedenfalls ... nicht mehr aus. Der Staat muß seine verfassungsrechtlichen Zielvorgaben vielmehr derart verändern, daß er selbst sich im Hinblick auf sein Verhältnis zu den natürlichen Lebensgrundlagen strukturell verändert.“

Die Befähigung zur verständigungsorientierten Kommunikation in ökologischen Fragen findet darin eine ihrer wichtigsten Bewährungsproben überhaupt. Denn nicht nur sind in dem Anspruch enthaltene Selbstverständlichkeiten wirksam abzusichem und mit Leben zu füllen. Die Einzelheiten angemessener Regelungen und ihre hinreichende Geltendmachung sind außerdem strittig und ohne das Durchstehen von Konflikten nicht zu erwirken. Beispielsweise beginnt das mit der Frage, ob nicht vielleicht nur bereits vorhandene Staatsziele mit Hilfe von Durchführungsbestimmungen zu präzisieren sind, setzt sich fort über die Verschärfung von Rechtsvorschriften zu Staatspflichten und mündet in das Problem, ob womöglich eine Höher-wertung nichtmenschlicher Lebensbereiche selbst um den Preis unvollkommenen Schutzes menschlichen Lebens zu tolerieren ist.

IV. Ökologieorientierte Bildungsarbeit als Beitrag zur umweltbewußten politischen Kultur

Selbstredend kann ökologieorientierte Bildungsarbeit ökologische Probleme nicht lösen. Sie kann aber das Erfordernis und mögliche Alternativen von Lösungen aufzeigen. Als Kontrast zur alltäglichen Sozialisation vermag sie außerdem die Betroffenen zu befähigen, sich am Ringen um bestmögliche Lösungen zu beteiligen. Schon deshalb sind fachlich-wissenschaftliche Aspekte des Umweltschutzes mit Grundsatzfragen der Demokratie zu verknüpfen.

Daß darüber andere Aspekte Politischer Bildung nicht zu vernachlässigen sind, ist offenkundig. Immerhin besteht angesichts der Sozialisationsergebnisse die Gefahr einer Begünstigung latent autoritärer bis offen gewalttätiger (Schein-) Lösungen. Und ebenso zeigen die Notwendigkeit etwa einer Koordination des Naturschutzes als Staatsziel mit anderen Staatszielen, die Legitimation von Eingriffen in Freiheitsrechte im Interesse des neuen Staatszieles sowie die Kontrolle und Kritik aller umweltpolitischen Maßnahmen im Hinblick auf damit eventuell verbundene Rechtsbrüche, Umgehungen der Öffentlichkeit und Beschneidung von Ansprüchen der Bedürftigen auf Fürsorge, daß eine eindimensionale oder gar fundamentalistische ökologische Orientierung geradezu fatal wäre.

Der Umgang mit ökologischen Problemen muß schließlich erreichen, die Entmündigung politischer Einrichtungen durch demokratieunterlaufende Verlagerung von Entscheidungen in außer-öffentliche Machtzirkel zu bremsen und umzukehren Wenn vermittels der ökologischen Krise Ökonomie, Gesellschaft und Politik sich selbst zum Problem geworden sind, so besteht gerade darin eine Chance für die Betroffenen zu Umkehr, Neuanfang und Transformation der Gegenwart in eine bessere Zukunft

Neben Irritation und Orientierungsverlust sind nämlich Krisenerscheinungen im klassischen emanzipatorischen Sinne auch Antriebskraft für die Überwindung von Befangenheiten in Verblendungen, Vorurteilen und Ängsten. Sie allerdings entfaltet sich nicht automatisch, wird aber begünstigt durch Hilfestellungen, wie sie im kommunikativen Geschehen von Bildungsveranstaltungen möglich sind.

Neueste Untersuchungen bestätigen, daß insbesondere Heranwachsende durch entsprechende Angebote für ökologische Probleme interessiert, gefahrenbewußt, besorgt gemacht, handlungswillig und für solide Sacharbeit gewonnen werden können Wenn einerseits als ausgemacht gelten kann, daß gezielte Betätigung beispielsweise in der Ökologiebewegung eine Vielzahl von demokratie-freundlichen politischen Lernprozessen bewirkt so muß es auch darauf ankommen, angeleitete politische Lernprozesse zum Nutzen der Umwelt praktisch folgenreich werden zu lassen.

Dazu bedarf es keineswegs aktionistischer Methodenvarianten. Es genügt bereits, ökologieorientierte Bildung im besonderen und Politische Bildung im allgemeinen so zu verwirklichen, daß darin Begegnungen mit Betroffenen und den Trägerinnen und Trägern von Entscheidungen von diskursivem Rang möglich werden. Bildungsarbeit bleibt dann nicht abstrakt, sondern greift ohne Preisgabe der für sie nötigen Distanz mittelbar in Prozesse der politischen Kultur ein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Otto Ahlhaus/Gerhard Boldt/Klaus Klein, Taschenlexikon Umweltschutz, Düsseldorf 19827, S. 223.

  2. Vgl. Ulrich Beck (Hrsg.), Politik in der Risikogesellschaft. Essays und Analysen, Frankfurt/M. 1991.

  3. Vgl. Bernhard Claußen, Notwendigkeit und aktuelle Aufgaben Politischer Bildung angesichts der ökologischen Krise, in: Hessische Blätter für Volksbildung, 41 (1991) 2, S. 128-133; ders., Risikogesellschaft und Politische Bildung. Didaktische Dimensionen des ökologischen Gesellschaftskonflikts, in: Wilhelm Heitmeyer/Juliane Jacobi (Hrsg.), Politische Sozialisation und Individualisierung. Perspektiven und Chancen politischer Bildung, Weinheim-München 1991, 8. 329-348.

  4. Zum Stand der Forschung vgl. Bernhard Claußen/Rainer Geißler (Hrsg.), Politisierung des Menschen. Instanzen der politischen Sozialisation (i. E. 1992).

  5. Dabei überwiegen zumeist Umfragestudien; vgl. Hans-Joachim Fietkau, Umweltbewußtsein, in: Jörg Calließ/Reinhold E. Lob (Hrsg.), Handbuch der Umwelt-und Friedens-erziehung, Bd. 1: Grundlagen, Düsseldorf 1987, S. 293-299.

  6. Zur Basis vgl. Bernhard Claußen, Politisches Lernen in der Risikogesellschaft: Krisen, Gefährdungen und Katastrophen als Sozialisationsfaktor, in: B. Claußen/R. Geißler (Anm. 4).

  7. Dazu und zu den folgenden Ausführungen siehe Bernhard Claußen, Politische Persönlichkeit und politische Repräsentation. Zur demokratietheoretischen Bedeutung subjektiver Faktoren und ihrer Sozialisationsgeschichte, Frankfurt/M. 1988.

  8. Wilhelm Heitmeyer, Jugend, Staat und Gewalt in der politischen Risikogesellschaft, in: ders. /Kurt Möller/Heinz Sünker (Hrsg.), Jugend -Staat -Gewalt. Politische Sozialisation von Jugendlichen, Jugendpolitik und politische Bildung, Weinheim-München 1989, S. 17.

  9. Dazu sowie zu grundsätzlichen Konsequenzen für die Politische Bildung vgl. Bernhard Claußen, Politisches Lernen angesichts der Veränderungen von System und Lebens-welt, in: Will Cremer/Ansgar Kelin (Hrsg.), Umbrüche in der Industriegesellschaft. Herausforderungen für die politische Bildung, Opladen 1990, S. 235-258.

  10. Vgl. Helmut Klages/Hans-Jürgen Hippler/Willi Herbert (Hrsg.), Werte und Wandel. Ergebnisse und Methoden einer Forschungstradition, Frankfurt/M. -New York 1992.

  11. Ergänzend vgl. Rudolf Günther/Gerhard Winter (Hrsg.), Umweltbewußtsein und persönliches Handeln. Der Bürger im Spannungsfeld zwischen Administration, Expertentum und sozialer Verantwortung, Weinheim-Basel

  12. W. Heitmeyer (Anm. 8), S. 17.

  13. Vgl. Wilhelm Heitmeyer u. a., Die Bielefelder Rechts-extremismus-Studie. Erste Langzeituntersuchung zur politischen Sozialisation männlicher Jugendlicher, Wein-heim-München 1992. Zu den in allen Fällen mehr oder weniger signifikanten Abweichungen der politischen Sozialisation von Mädchen und Frauen vgl. Christine Kulke, Politische Sozialisation und Geschlechterdifferenz, in: Klaus Hurrelmann/Dieter Ulich (Hrsg.), Neues Handbuch der Sozialisationsforschupg, Weinheim-Basel 1991, S. 595-613.

  14. Vgl. Robert Kurz, Der Kollaps der Modernisierung. Vom Zusammenbruch des Kasemensozialismus zur Krise der Weltökonomie, Frankfurt/M. 1991.

  15. Exemplarische Aufschlüsse bieten Achim Hoth/Gerhard de Haan, Umweltbewußtsein bei Schülerinnen und Schülern in Mecklenburg-Vorpommern als Voraussetzungsvariable Politischer Bildung: Ergebnisse einer Pilotstudie, in: Bernhard Claußen/Birgit Wellie (Hrsg.), Bewältigungen. Politik und Politische Bildung im vereinigten Deutschland, Hamburg 1992 (i. E.).

  16. W. Heitmeyer (Anm. 8), S. 19.

  17. Vgl. R. Günther/G. Winter (Anm. 11), S. 37-135.

  18. Vgl. Hans Kessel/Wolfgang Tischler, Umweltbewußtsein. Ökologische Wertvorstellungen in westlichen Industrienationen, Berlin 1984, S. 37-96.

  19. Manfred Glagow, Umweltpolitik: Allgemein, in: Dieter Noblen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn 1991, S. 713.

  20. Ebd.

  21. Ebd.

  22. Zur Erläuterung dieser und anderer Befundkomplexe vgl. verschiedene Beiträge in Helmut Moser/Thomas Leithäuser (Hrsg.), Bedrohung und Beschwichtigung. Die politische und die seelische Gestalt technischer, wirtschaftlicher und gesundheitlicher Gefährdungen, Weinheim 1987.

  23. H. -J. Fietkau (Anm. 5), S. 294.

  24. M. Glagow (Anm. 19), S. 713.

  25. Klaus Schleicher, Umweltvorstellungen und -einstellungen von Studenten -Vor dem Hintergrund öffentlicher Einstellungsänderungen und eines Wandels der Umwelterziehung, in: Zeitschrift für internationale erziehungs-und sozialwissenschaftliche Forschung, 8 (1991) 2, S. 308.

  26. Vgl. Joachim Kahlert, Alltagstheorien in der Umwelt-pädagogik. Eine sozialwissenschaftliche Analyse, Weinheim 1990.

  27. Paul-Ludwig Weinacht, Umwelterziehung im Politischen Unterricht an Schulen, in: ders. (Hrsg.), Umwelterziehung und Politische Bildung. Beiträge zu einer umweltorientierten politischen Bildung, Würzburg 1990, S. 23. Zum Gesamtspektrum ökologieorientierter Bildungsarbeit s. a. Jörg Calließ/Reinhold E. Lob (Hrsg.), Handbuch Praxis der Umwelt-und Friedenserziehung, Bd. 2: Umwelterziehung, Düsseldorf 1987; zur Kritik des häufigen politischen Defizits vgl. Klaus-Peter Hufer, Wie politisch ist die ökologische Bildung?, in: Hessische Blätter für Volksbildung, 41 (1991) 2, S. 115-120.

  28. Wolfgang Billigen, Umweltschutz, in: Hanno Drechsler/Wolfgang Hilligen/Franz Neumann (Hrsg ), Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik, Baden-Baden 19897, S. 684f.

  29. Ulrich Beck, Einleitung, in: ders. (Anm. 2), S. 10f.

  30. In diesem Sinne Bernhard Claußen, Politische Bildung in der Risikogesellschaft. Ein politologischer und fachdidaktischer Problemaufriß, in: U. Beck (Anm. 2), S. 330-356.

  31. So P. -L. Weinacht (Anm. 27), S. 23.

  32. Ergänzend vgl. Joachim Kahlerl, Umwelterziehung zwischen Aufklärung und Simphfizierung. Bedingungen und Grenzen von Rationalität in der Umweltpolitik als Herausforderung der politischen Bildung, in: Gegenwartskunde, 39 (1990) 4, 8. 526ff.

  33. Vgl. Peter Henkenborg, Die Unvermeidlichkeit der Moral. Ethische Herausforderungen für die politische Bildung in der Risikogesellschaft, Schwalbach 1992.

  34. Vgl. Michael Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989.

  35. Peter Cornelius Mayer-Tasch u. a., Politische Theorie des Verfassungsstaates. Eine Einführung, München 1991, S. 143.

  36. Vertiefend vgl. Carl Böhret, Folgen. Entwurf für eine aktive Politik gegen schleichende Katastrophen, Opladen 1990.

  37. Lesenswerte Überlegungen dazu finden sich bei Thomas Jahn, Krise als gesellschaftliche Erfahrungsform. Umrisse eines sozial-ökologischen Gesellschaftskonzepts, Frankfurt/M. 1991.

  38. Vgl. auch zu einigen Konkretisierungen ökologieorientierter Bildungsarbeit Klaus Waldmann (Hrsg.), Umweltbewußtsein und ökologische Bildung. Eine explorative Studie zum Umweltbewußtsein Jugendlicher und Beiträge zur Konzeption und Praxis ökologischer Bildung, Opladen 1992.

  39. Vgl. Wolfgang Beer, Lernen in ökologischen Initiativgruppen, in: Hessische Blätter für Volksbildung, 41 (1991) 2, S. 110-114; ausführlicher ders., ökologische Aktion und ökologisches Lernen. Erfahrungen und Modelle für die politische Bildung, Opladen 1982, insbesondere S. 23-135.

Weitere Inhalte

Bernhard Claußen, Dr. phil. habil., geb. 1948; Professor am Institut für Didaktik der Politik an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Politische Bildung und Kritische Theorie, Opladen 1984; Didaktik und Sozial-wissenschaften, Aachen-Braunschweig 1987; Politische Persönlichkeit und politische Repräsentation, Frankfurt/M. 1988; „Politik“ im Lehramtsstudium, Hamburg 1992.