I. Einführung
Der Vereinigungsprozeß der beiden deutschen Staaten -kulminierend in den Staatsverträgen vom 18. Mai und 31. August 1990 -hat u. a. die schnelle Realisierung einer deutschen Umweltunion zum Ziel; so soll „spätestens bis zum Jahr 2000 das bestehende Umweltgefälle zwischen beiden Teilen Deutschlands auf hohem Niveau vollständig ausgeglichen werden“. Was ein „hohes Niveau“ ist, wird im Art. 34 des Einigungsvertrages genauer definiert, indem die staatlichen Träger aufgerufen werden, „die Einheitlichkeit der ökologischen Lebensverhältnisse auf hohem, mindestens jedoch dem in der Bundesrepublik Deutschland erreichten Niveau zu fördern“. In Verbindung mit dem Umweltrahmengesetz der ehemaligen DDR vom 29. Juni 1990 wurde damit der gesetzliche Rahmen geschaffen, so daß das Umweltrecht der alten Bundesrepublik nun auch in den neuen Ländern geltendes Recht ist.
Dies -und die Transformation zu einem marktwirtschaftlichen System -ist zunächst einmal gut gemeint für die geschundene Umwelt in den neuen Ländern: Betrachtet man die Defizitliste speziell der Umweltpolitik in den sozialistischen Ländern dann wird man der Aussage wohl zustimmen müssen, daß „kein anderes ökonomisches System einen so schonenden Umgang mit knappen Umweltgütern“ ermöglicht wie die Marktwirtschaft Das ist u. a. dadurch bedingt, daß sie es am effizientesten versteht, mit Ressourcen umzugehen, daher vergleichsweise den höchsten ökonomischen Wohlstand garantiert und dazu mehr als andere Systeme auch Nachfrage nach >, postmaterialistischen“ Gütern wie der Umwelt (zum Nutzen heutiger und zukünftiger Generationen) generiert.
Demzufolge zählt zur Wohlfahrt eines Landes und seiner Bürger auch die Qualität der Umwelt, und hier ist zur Zeit ein großangelegtes Sanierungspro-gramm der sozialistischen Umweltaltlasten in der ehemaligen DDR vonnöten -„bei einem Einsatz öffentlicher Mittel gehören diese vor allem dorthin“ -, denn gerade weil die Umweltsituation dort so desolat sei, wären teilweise schon mit geringem Aufwand große Erträge zu erzielen. Dem ist auf den ersten Blick zuzustimmen: Unter der Annahme höherer zusätzlicher Nutzen (Grenznutzen) und niedrigerer zusätzlicher Kosten (Grenzkosten) für eine zusätzliche Einheit Umweltqualität im Osten, aber niedrigerer Grenznutzen und höherer Kosten im Westen (aufgrund des dort erreichten hohen Umweltqualitätsniveaus) ergäbe sich ein volkswirtschaftlicher Gewinn durch Steuerung eines signifikanten Teils des Umweltbudgets in den Ostteil Deutschlands. Das sieht auch der Bundes-umweltminister so, wenn er meint, „in den auf das Gebiet der bisherigen Bundesrepublik Deutschland ausgerichteten Konzeptionen müssen die Prioritäten angepaßt werden“ Die Finanzmittel der Umweltprogramme in der ehemaligen DDR werden also nicht nur in den potentiellen Zuwächsen, sondern vielleicht auch in der Substanz dem westdeutschen Umweltbudget verloren gehen. Dem unterstellten volkswirtschaftlichen Gewinn steht mit ziemlicher Sicherheit ein Verteilungsproblem gegenüber, das um so gravierender ausfällt, je höher die Umweltziele für Ostdeutschland gesetzt werden und je schneller diese erreicht werden sollen. Dieses Problem würde sich aber dann nicht oder zumindest nicht in diesem Maße stellen, wenn die umweltpolitischen Ziele in den östlichen Ländern entsprechend der Zielabwägungen ihrerBevölkerung -der regionalen Nachfrage nach Umweltgütern -womöglich auf niedrigerem Niveau lägen, vorausgesetzt, die Bevölkerung dort wollte dies so und damit anders als die Bewohner der alten Länder.
Man kommt nämlich bei einem zweiten Blick auf das zuvor skizzierte Kalkül nicht umhin, dieser Argumentation zumindest Voreiligkeit zu bescheinigen: Es besteht a priori keinerlei Veranlassung, von einheitlichen Nutzenvorstellungen (einer identischen Nutzenfunktion) im Osten und Westen allein durch das Faktum der Einheit auszugehen -etwa in dem Sinne, daß die zusätzliche Einheit Umweltqualität im Osten quasi automatisch einen hohen Nutzen impliziert, weil die Umweltqualität so schlecht ist, und einen niedrigeren im Westen, weil sie dort vergleichsweise um vieles besser ist. Der Nutzen ist weiterhin eine subjektive Kategorie, die sich nach der Zahlungsbereitschaft der Individuen bestimmt, und es ist eine wenig plausible Hypothese, daß der Ostdeutsche -bei der Schwere materieller und psychischer Probleme, mit denen er konfrontiert ist, und trotz der desolaten Umweltqualität -eine auch nur vergleichbare Zahlungsbereitschaft für ein zusätzliches Umweltgut aufweisen sollte wie der Westdeutsche. Ist dies aber der Fall, wäre es ohne weiteres denkbar, daß die heutige (objektiv sicherlich höchst unbefriedigende) Situation „optimal“ wäre; das Verhältnis aus niedrigerem Grenznutzen und niedrigerem Preis (Grenzkosten) des Umweltgutes im Osten könnte durchaus dem Verhältnis aus höherem Grenznutzen und höherem Preis im Westen entsprechen, und der versprochene volkswirtschaftliche Gewinn wäre letztlich eine Wunschvorstellung bzw. sogar ein Wohlfahrtsverlust, begleitet von einem vermeidbaren Verteilungskonflikt.
Die Unterstellung eines einheitlichen Nutzenverlaufs qua Beitritt zur alten Bundesrepublik ist mithin a priori unbegründet, das Versprechen eines volkswirtschaftlichen Gewinns ohne empirische Rechtfertigung haltlos, und erst die Rückführung der Argumentation auf individuelle oder auch regionale Zahlungsbereitschaften mit zunächst einmal unbestimmtem Ergebnis der Ressourcenumverteilung könnte auf den Weg zu Optimalität führen. Dies gilt auch, sofern die Umweltsanierung im Osten ausschließlich von den Westdeutschen finanziert wird, denn es ist ja nicht auszuschließen, daß die Ostdeutschen diese Mittel anders verwenden würden. Es ist deshalb verwunderlich, wenn der Bundesminister für Umwelt in den „Eckwerten der ökologischen Sanierung und Entwicklung in den neuen Ländern“ (bei praktizierter zentralistischer anstelle subsidiärer, föderaler Regelung) meint, Umweltschutz sei „auch ein Eckpfeiler bei den Bemühungen der neuen Länder, ihre regionale Identität wiederzuentdecken“
Es ist natürlich selbstverständlich, daß Sofortmaßnahmen „zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung“ auch in einem föderalistischen Konzept von Umweltpolitik unter den spezifischen Bedingungen Ostdeutschlands ge-rechtfertigt sind; anders ist dies aber bei den darüber hinausgehenden Aufgaben der Umweltpolitik in den neuen Ländern: Hier wäre stets nach Zielrichtung und Ausmaß zu fragen; das Ergebnis wäre in einer Abwägung zwischen den anderen Komponenten der Lebensverhältnisse und der Umwelt-qualität zu finden, die rational und effizient nur auf der Ebene der Betroffenen in den neuen Ländern (also subsidiär) vollzogen werden kann, nicht aber von den umweltpolitischen Instanzen Westdeutschlands auf der Grundlage langerfahrener Präferenzen der westdeutschen Bevölkerung. Empirische Forschung hinsichtlich dieses präferenziellen Abwägungsprozesses müßte dabei nicht zwangsläufig (obwohl plausibel) zu abweichenden Ergebnissen zwischen Ost und West führen; die Möglichkeit, daß sie zu anderen führt, sollte aber konzeptuell angelegt und akzeptiert sein, wenn man „Anschlußmentalität“ nicht auch in die Umweltpolitik übertragen will, die ja als Stimulanz des Umweltbewußtseins und bewußten Umwelthandelns gerade auf die Identität des einzelnen mit seiner Umwelt setzt.
II. Bilanz einer Umweltkatastrophe in Deutschland
Die Lage der Umwelt in den Ostgebieten ist im Februar 1990 vom Institut für Umweltschutz in Ost-Berlin auf der Basis der zu dieser Zeit verfügbaren Daten evaluiert worden. Diese Analyse ist offensichtlich eine der Grundlagen des Eckwerte-Programms des Bundesumweltministers vom November 1990 gewesen, das der nachfolgenden Aufstellung zugrunde gelegt wird.
Bereich Wasser: 42 Prozent der Wasserläufe und 24 Prozent der stehenden Gewässer sind aufgrund ihrer Belastungsstärke für Trinkwasseraufbereitung nicht mehr nutzbar und 36 bzw. 54 Prozent nur nach Anwendung aufwendiger und komplizierter Technologien. Nur 3 Prozent der Wasserläufe und stehenden Gewässer sind ökologisch gesund. 9, 6 Mio. Einwohner der neuen Länder erhielten zeitweise oder ständig qualitativ beeinträchtigtes Trinkwasser. Das sowieso geringe Wasserdargebot der ehemaligen DDR -540 m 3 pro Jahr und Einwohner gegenüber Westdeutschland mit 1690 m 3 -wird fast vollständig durch Bevölkerung, Industrie und Landwirtschaft genutzt. Von den Industrieabwässern werden über 95 Prozent nicht oder nicht ausreichend behandelt in die Gewässer geleitet. Die Abwässer der 11, 7 Mio. Einwohner werden in die weitgehend verrottete öffentliche Kanalisation geleitet; von den pro Jahr 1, 4 Mrd. m 3 werden 12 Prozent unbehandelt, 36 Prozent mechanisch und 38 Prozent biologisch gereinigt den Gewässern zugeführt, wobei die Kläranlagen nur teilweise funktionstüchtig sind. Der in 1100 kommunalen Kläranlagen anfallende Klärschlamm wird trotz hoher Schwermetallbelastung zu 65 Prozent in der Landwirtschaft verwendet; eine ordnungsgemäße Deponierung des Rests ist nicht gewährleistet. Die Landwirtschaft der DDR gehörte zu den intensivsten der Welt bezüglich Gülleverwendung, Mineraldünger-und Pflanzenschutzmitteleinsatz -mit der Folge von Überdüngung und Verschlammung von Flüssen und Seen.
Bereich Luft: Im Jahre 1988 fielen in der ehemaligen DDR 5, 2 Mio. t Schwefeldioxyd und 2, 2 Mio. t Staubemissionen an. Etwa 4, 3 Mio. Menschen in den neuen Ländern leben in Gebieten mit Werten des Staubniederschlags oberhalb der westdeutschen Grenzwerte; ca. 6 Mio. Menschen sind von Schwefeldioxydimmissionen oberhalb der Grenzwerte betroffen. Hauptverursacher ist der Braunkohle verwendende Energiesektor (93 Prozent der Schwefel-und 73 Prozent der Staubemissionen), verbunden mit einem enorm hohen Energieverbrauch -die DDR hatte nach Kanada und den USA den höchsten Verbrauch je Einwohner. Im Ergebnis sind die Emissionen je km 2 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR im Vergleich zur alten Bundesrepublik ll, 5mal so hoch bei Schwefeldioxyd und 8mal so hoch bei Staub. Abgasreinigungsanlagen zur Entschwefelung sind nur in wenigen Einzelfällen, Entstaubungsanlagen nicht ausreichend vorhanden (und wenn, dann technisch veraltet). Eine breite Palette weiterer Luftbelastungen (Kohlenwasserstoffe, andere Schwefelverbindungen, Chlor und Chlorwasserstoff, Fluorverbindungen, krebserzeugende Stoffe) mit teilweise extremen lokalen Konzentrationen verdüstert dieses Bild zusätzlich. Das Auftreten von neuartigen Waldschäden aufgrund von Luftverschmutzung ist in Ostdeutschland mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutschland.
Bereich Abfall: In der DDR fielen pro Jahr ca. 3, 6 Mio. t Siedlungsabfälle, davon 80 Prozent Hausmüll an; dabei lag das mittlere Abfallaufkommen pro Kopf und Jahr mit ca. 175 kg knapp auf der Hälfte des Wertes der westdeutschen Bevölkerung -ein Wert, der sich nach der Währungsunion durch die Möglichkeit zur Befriedigung von Konsumwünschen schlagartig „normalisiert“ hat. Die Industrieabfälle hatten im Jahre 1988 91, 3 Mio t betragen; davon wurden 36, 4 Mio. t (29, 8 Prozent) als Sekundärrohstoffe wiederverwertet, dies allein aus Devisenknappheit-und Autarkiegründen und ohne Rücksicht auf ökonomische und ökologische Kriterien. Die Grundform der Abfallbeseitigung ist die Deponie; im Hausmüllbereich existieren ca. 11000 Ablagerungsflächen, im Industriemüllbereich 2000. Von den Hausmülldeponien sind ca. 10000 „wilde“ Müllkippen ohne Beachtung üblicher Standards, die Industriemülldeponien sind überwiegend betriebseigen -600 waren für schadstoffhaltige Abfälle, 200 für Schadstoffe und 4 für Gifte zugelassen; besonders problematische Abfälle wurden teilweise ungeordnet in den Betrieben gelagert. Die Müllverbrennung spielte nur eine geringe Rolle (Hausmüll 2, 6 Prozent, Industriemüll 0, 12 Prozent), von 56 Verbrennungsanlagen (davon 55 betriebsinteme) verfügen nur 3 über Rauchgasreinigung (von unbekannter Effektivität).
Bereich Altlasten: Vollzugsdefizite der Umweltverwaltung, unsachgemäßer, fahrlässiger und schlampiger Umgang mit umweltgefährdenden und toxischen Stoffen haben zu gravierenden Boden-und Grundwasserkontaminationen und zu einer dramatischen Gefährdung von Mensch und Umwelt geführt. Nach vorläufiger Datenlage existieren im ostdeutschen Gebiet 27 877 Verdachtsflächen, von denen bisher 2457 definitiv als Altlast eingestuft und 196 von den neuen Ländern mit hoher Priorität versehen wurden (schätzungsweise sind damit aber erst 60 Prozent erfaßt, es ist also mit einer Größenordnung von ca. 45000 zu rechnen). Hinzu kommen die Altlasten/Rüstungsaltlasten auf den Flächen der sowjetischen Streitkräfte in der ehemaligen DDR.
Bereich Boden: Von der Gesamtfläche der neuen Länder entfallen 57 Prozent auf landwirtschaftlich genutzte Fläche, 27, 6 Prozent auf forstwirtschaftliche Nutzfläche, 9, 9 Prozent sind Siedlungsfläche und 5, 5 Prozent Flächen zur sonstigen Nutzung; 10 Prozent der Fläche wurde bzw. wird von der NVA und von den sowjetischen Streitkräften beansprucht. Für den Bodenschutz bestanden in der DDR keine politischen Konzeptionen und administrativen Regelungen mit der Folge, daß durch Agrarintensivierüng, Fremdstoffeinträge, Braunkohletagebau und Versiegelung mehr als 40 Prozent der Gesamtfläche in ihrer Nutzbarkeit und ihren ökologischen Funktionen beeinträchtigt ist. Hauptverursacher ist aber die Intensivlandwirtschaft zur Kompensation geringeren natürlichen Ertragspotentials und knappem Wasserangebot:Der Einsatz von Mineraldüngern liegt um 10 Prozent höher als in Westdeutschland, der Einsatz von Kalkdünger ist um das 2, 5fache höher, die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln um das 2fache. Die Folge davon sind schadstoffbelastete Lebensmittel, die Überdüngung der Böden mit Nährstoffen und Agrochemikalien, die Verdichtung der oberen Bodenschichten, die Verarmung der Böden etwa durch Erosion und Verschlechterung (Deflation) sowie die Einbringung von Schwermetallen aus Klärschlammen und Kraftwerksasche zur Bodenverbesserung bzw. Düngung (Melioration). Der Braunkohletagebau hat in den 40 Jahren DDR 1280 km 2, also 1, 2 Prozent der Gesamtfläche beansprucht; die Rekultivierungsquote beträgt 52 Prozent. Es existieren mehrere hundert km 2 Brachland auf ehemaligem Abbaugebiet, 260 Restlöcher werden als kommunale Mülldeponien und vor allem zur Ablagerung hochproblematischer Rückstände aus der chemischen Industrie und der Kohlechemie genutzt -mit den entsprechenden Gefährdungen des Grundwassers.
Bereich Naturschutz: Vor allem die industriemäßig betriebene Landwirtschaft führte zu großflächiger Verarmung der Natur; Tier-und Pflanzenarten von Land und Wasser sind stark gefährdet. Von 40 000 heimischen Fauna-Arten sind 15 bis 20 Prozent als gefährdet einzustufen, bei den Wirbeltieren gar 25 Prozent. Die Flora umfaßt ca. 6000 Arten, 27, 5 Prozent der Farn-und Blütenpflanzen und 25 Prozent der Pilze und Flechten gelten als gefährdet. Ein großer Teil des DDR-Gebiets war als Landschaftsschutzgebiet (18, 1 Prozent) und Naturschutzgebiet (1 Prozent) ausgewiesen -eine eher symbolische Politik, da die Interessen des Landschafts-und Naturschutzes gegen andere Interessen nicht durchsetzbar waren.
Bereich Gesundheit: Epidemiologische Studien zeigen in hochbelasteten Gebieten Ostdeutschlands signifikante Korrelationen mit typischen luftbelastungsabhängigen Erkrankungen wie chronische Bronchitis, Asthma und allergischen Hauterkrankungen; die hohe Bodenbelastung bedingt auch eine generell hohe Belastung der Lebensmittel insbesondere mit Schwermetallen. Ebenso ist in Gebieten extremer Belastung von Luft, Wasser und Boden eine abnorm hohe Säuglingssterblichkeit durch Mißbildungen zu beoachten. Alles dies, aber auch andere soziale Faktoren führen zu einer Lebenserwartung, die in Ostdeutschland bei den Männern um 2, 5 Jahre und bei den Frauen um 7 Jahre unter dem Durchschnitt der alten Bundesrepublik liegt.
Zieht man eine Quintessenz aus diesen Daten, so ist es mehr als „faszinierend“, auf welch abenteuerliche Weise das Naturkapital vom SED-Regime als Produktionsfaktor genutzt und aufgezehrt wurde -im wahrsten Sinne ohne Rücksicht auf Verluste und mit bemerkenswerter Menschen-und Naturverachtung. Alles dies straft die Propaganda vom Sozialismus als langfristig überlegener Gesellschaftsform Lügen: So hätte wohl niemand mit seiner Umwelt und den zukünftigen Generationen umgehen können, der auch nur an ein Quentchen Wahrheit in dieser Propaganda geglaubt hätte.
III. Umweltpolitik für die neuen Länder
Das bezüglich der Bestandsanalyse der Umwelt-qualität in Ostdeutschland bereits skizzierte „Eckwerte-Papier“ diskutiert zentral ein mögliches Handlungsprogramm zur „ökologischen Sanierung und Entwicklung in den neuen Ländern“; es soll den „konzeptionellen Gesamtrahmen für eine Vielzahl von Aktivitäten bilden, mit denen der Bundesumweltminister gemeinsam mit den neuen Ländern die ökologische Erneuerung in die Wege leitet“ Es ist ein wesentlicher Politikinput zur Erfüllung der Aufgaben, die Art. 34 des Einigungsvertrags vorschreibt: die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen unter Beachtung des Vorsorge-, Verursacher-und Kooperationsprinzips zu schützen und die Einheitlichkeit der ökologischen Lebensverhältnisse auf hohem, mindestens jedoch dem in der Bundesrepublik Deutschland erreichten Niveau zu fördern.
Die einzelnen Teile des Eckwerte-Papiers folgen einem durchaus stringenten Schema, wobei es in den Punkten drei bis sechs strategische Relevanz gewinnt: -Zunächst wird der rechtliche und organisatorische Rahmen abgesteckt und ausgeführt, welche Regelungen des westdeutschen Umwelt-rechts, das mit dem Umweltrahmengesetz der DDR vom 1. Juli 1990 auch für deren Gebiet galt, mit Übergangsregelungen versehen wurden; es handelt sich dabei im wesentlichen um Fristenänderungen und Freistellungsklauseln. -In einem zweiten Punkt werden die noch 1990 erfolgten Sofortmaßnahmen und ihre voraussichtlichen Wirkungen beschrieben, wobei esvorrangig um die Stillegung besonders exzessiv umweltbelastender Anlagen geht. -Es sollen zum dritten Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung ergriffen werden, die, um sofort wirksam zu werden, mit einem Gefahrenabwehrprogramm zu unterstützen sind. -Zum vierten werden Maßnahmen zu Sanierungsaufgaben beschrieben, die zwar unverzüglich zu beginnen sind, aber erst mittelfristig Auswirkungen zeigen werden. -Zum fünften geht es um umweltpolitische Weichenstellungen in anderen Politikfeldem, die gerade in der Umbauphase von besonderer Wichtigkeit sind. -Zum sechsten werden übergreifende Vorschläge, insbesondere zur Verbesserung des Vollzugs und zu Finanzierungsmöglichkeiten erörtert.
Es würde zu weit führen, hier die einzelnen Maßnahmen und Empfehlungen zu den Punkten 3 bis 6 zu diskutieren; sie gehen zu sehr ins Detail, folgen aber im großen und ganzen dem System der zuvor skizzierten Bestandsaufnahme. Es ist aber summarisch festzuhalten, daß das Eckwerte-Papier seiner Rolle als Politikinput in hervorragender Weise genügt; es könnte quasi ein Handbuch für alle in ähnlicher Weise ökologisch zugrunde gerichteten Staaten vornehmlich Osteuropas sein, und gerade eine solche Hilfestellung wird vom Bundesumweltminister auch als eine wesentliche Aufgabe der Umweltpolitik des vereinten Deutschlands gesehen (Stichwort „Umweltpartnerschaft“
Der Politikinput des Eckwerte-Papiers vom November 1990 fand alsbald eine teilweise Umsetzung in Politikoutput: In Nachfolge der Regierungserklärung, in der Bundeskanzler Kohl die Entschlossenheit seiner Regierung zum Ausdruck brachte, „eine nationale Solidaritätsaktion ins Leben zu rufen“, legte der Bundesumweltminister bereits im Februar 1991 das Aktionsprogramm „ökologischer Aufbau“ vor Es folgt im wesentlichen den zuvor skizzierten Punkten 3 und 4 des Eckwerte-Papiers, verbindet aber den Maßnah menkatalog explizit mit einem Finanzierungsrahmen. Dementsprechend hat das Aktionsprogramm zwei Teile. Im ersten Teil geht es um umweltpolitische Sofortmaßnahmen: -Sofortmaßnahmen für 196 der 12250 bisher festgestellten Altlastflächen; -Untersuchung der 248000 ha Verdachtsflächen (2480 km 2) aus dem militärischen Bereich (NVA und Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte); -Bau bzw. Sanierung von 35 kommunalen und 24 industriellen Kläranlagen im Elbeeinzugsgebiet; - Bau von 27 Kläranlagen an der Ostsee und im Einzugsgebiet von Oder und Neiße; -Neubau von 6200 km und Sanierung von 5000 km Hauptsammler (Zuführungen für Kläranlagen); -Altanlagensanierung für 278 erfaßte Großfeuerungsanlagen bis zum 1. Juli 1996 (10 Braunkohlegroßkraftwerke, 142 Industriekraftwerke, 126 Heizkraftwerke); -Sanierung von 6735 luftverunreinigenden Anlagen entsprechend der Technischen Anleitung Luft bis zum 1. Juli 1996. Im zweiten Teil steht die Schaffung einer Sanierungsinfrastruktur speziell im Altlastenbereich im Vordergrund: -Weltausstellung Sanierungstechnologien im Großraum Halle/Leipzig; innovative Technologien zu allen Sanierungsbereichen, darunter 6 Bodenbehandlungszentren (Investitionsvolumen je ca. 250 Mio. DM); -10 Sonderabfalldeponien (Investitionsvolumen ca. 1, 5 Mrd. DM); -2 bis 3 Untertagedeponien (Investitionsvolumen je ca. 12 bis 18 Mio. DM); -5 thermische Anlagen zur Behandlung kontaminierter Böden (Investitionsvolumen je ca. 200 Mio. DM); -Kampfstoffentsorgungszentrum (Investitionsvolumenca. 200 Mio. DM).
Diese beiden „echten“ Maßnahmenteile werden von der personellen Infrastruktur her ergänzt durch die Qualifizierungsoffensive „ökologischer Aufbau“: durch Umweltberatungsteams (Bundesministerium für Umwelt, Umweltbundesamt, Experten aus anderen Ressorts oder aus dem privaten Bereich) sollen personelle und fachliche Defizite in den neuen Ländern kurzfristig kompensiert werden; sie sollen im einzelnen Sanierungsgesellschaften aufbauen, überlebensfähige Betriebe ökologisch sanieren, den Bau von Kläranlagen initiieren und vorbereiten sowie die Kommunen bei der Stadtplanung, der Ver-und Entsorgung und der Nutzung von ABM-Stellen (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) im Umweltschutz unterstützen.
Zur Finanzierung dieses Programms sollten neben Mitteln aus dem Bundeshaushalt (Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost“) das Kommunalkreditprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank, die ERP-Kredite (Europäisches Wiederaufbauprogramm) für gewerbliche Investitionen, Mittel der Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ herangezogen werden. Ferner sollten die zu erwartenden Einnahmen aus zwei neuen Abgaben zur Finanzierung herangezogen werden: Die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehene Erhebung einer Abfallabgabe sollte ein jährliches Aufkommen von ca. fünf Mrd. DM haben, von denen zwei Mrd. DM für die Altlastensanierung in den neuen Ländern eingesetzt werden sollten; die Schwefeldioxyd-Abgabe sollte ebenfalls ca. fünf Mrd. DM jährlich an Aufkommen erbringen und vollständig für Sanierungsmaßnahmen in den neuen Ländern eingesetzt werden. Beide Finanzierungsinstrumente sind allerdings im ersten Anlauf und bis auf weiteres gescheitert weshalb die öffentliche Finanzierung nun erst recht unzureichend ist Der Bundesum-weltminister setzt deshalb komplementär auf die Mobilisierung privaten Kapitals, wobei er von einer großen Bereitschaft privater Kapitalanleger ausgeht, Umweltschutzanlagen in den neuen Ländern zu errichten und zu betreiben. Zu diesem Zwecke aber wären kommunale Ver-und Entsorgungsleistungen zu privatisieren bzw. zunächst die gesetzlichen Regelungen zu schaffen, wobei als Modelle die Bildung privater Besitz-und Betreibergesellschaften, die Einrichtung kommunaler Immobilienfonds und die Konzessionsvergabe zur Errichtung und zum Betrieb von Wasserwerken und Leitungssystemen in Frage kommen
Die kurzfristigen Erfolge der Umweltpolitik entlang dieser Linien in den neuen Ländern sind zunächst im Bereich der unmittelbaren Gefahren-abwehr zu sehen -ein solch anspruchsvolles Programm kann aus der Natur der Sache erst mittelfristig wirksam werden. Die direkten und spürbaren Verbesserungen der Umweltsituation sind daher primär (kostenlose) Nebeneffekte und eine Folge des Zusammenbruchs der Industriestruktur der ehemaligen DDR aufgrund fehlender Wettbewerbsfähigkeit und Absatzmärkte. Diese Gratiseffekte sind allerdings beträchtlich: So reduzierte sich von 1989 bis Ende 1991 beispielsweise die Luftbelastung im Raum Leipzig/Halle nach Schadstoffen variierend um 10 bis 60 Prozent, und die direkt eingeleiteten Schadstofffrachten in Elbe und Saale gingen um jeweils 70 Prozent zurück
Die Kehrseite dieser radikalen „Modernisierung“ von Industrie-und Infrastruktur ist notwendigerweise Arbeitslosigkeit und soziale Deprivation, die auch deshalb besonders destabilisierend wirken, da dies in der DDR unbekannte und damit auch ungelernte Phänomene waren. Dem Bundesumweltminister ist es daher verständlicherweise besonders wichtig, die arbeitsplatzschaffende Wirkung seiner Umweltmaßnahmen zu betonen; so wies er des öfteren darauf hin, daß allein durch den ersten Teil des Aktionsprogramms -die Sofortmaßnahmen -kurzfristig bis zu 200000 neue Arbeitsplätze in den Ostgebieten garantiert sein sollten, und auch aktuelle Zahlen von Ende 1991 zeigen zumindest 120000 Umweltschutzbeschäftigte im ABM-Bereich. Wenn man von der Re prise des Beschäftigungsarguments einmal absieht -das im westdeutschen Kontext längst überwunden schien, in der Politik für Ostdeutschland aber mit einiger Begründung Wiederauferstehung feiert dann ist dieses ein konzises nationales Programm, das durch eine Reihe trans-und internationaler Aktivitäten unterstützt wird (z. B. die Verabschiedung des Vertragstextes zur Elbeschutz-Kommission) und als nationales Programm auch grenzüberschreitende Wirkung hat. So war die alte DDR als Nettoexporteur von Schwefeldioxyd bekannt, und der Bundesumweltminister sieht in dem Zielbild einer Umweltpartnerschaft mit den osteuropäischen Ländern mit Recht einen wichtigen Ansatzpunkt der Umweltpolitik des vereinten Deutschland.
Es wird aber offensichtlich auch nicht verkannt, daß Umweltpolitik stets in enger Verzahnung zu anderen Bereichen des Lebens -der Wirtschaft und Gesellschaft -gesehen werden muß So sagte Minister Töpfer: „Wir haben die Grundlagen für das nun vorgelegte Konzept im vergangenen Jahr systematisch entwickelt. Dabei waren wir uns von vornherein bewußt, daß Umweltbelastungen nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes ein Problem darstellen. Sie bilden vielmehr auch ein wesentliches Hemmnis für Investitionen und damit für eine zügige Entwicklung der Wirtschaft. Mit dem nun vorgelegten Konzept werden wir eine beschleunigte ökologische Sanierung und damit eine entscheidende Voraussetzung für einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Ländern erreichen.“ Das ist richtig, aber nur die eine Seite der Medaille: Umweltpolitik ist sicherlich auch eine Bedingung für wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Ländern, ist aber selbst nicht autonom, sondern abhängig von spezifischen Einflußfaktoren; sie wird eben in Niveau und Struktur auch von ökonomischen und gesellschaftlichen Sachverhalten beeinflußt und kann nur integrativ erfolgreich sein, wenn die hohen instumentellen und strategischen Ziele des Eckwerte-Papiers wirklich angestrebt werden sollen und nicht rein symbolische Politik darstellen.
IV. Ostdeutsche Wünsche für eine neue Umweltpolitik
Zunächst einmal ist festzustellen, daß der Wille und die Bereitschaft, zur Verbesserung der Umweltqualität beizutragen, von der Lebenslage, den erfüllten und unerfüllten Bedürfnissen eines jeden einzelnen abhängt. Es liegt damit auf der Hand, daß der methodische Ansatz zur Erfassung der Nachfrage nach Umweltqualität nur auf der Ebene des Individuums zu suchen ist. Informationen über eine solche Nachfrage sind politisch in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Zum ersten liefern sie Erkenntnisse über das relative Gewicht möglicher Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltbedingungen, zum zweiten zeigen sie das Ausmaß der Bereitschaft auf, mit der die Bürger zu einer solchen Verbesserung beitragen wollen, und zum dritten führt die Kongruenz oder das Auseinanderklaffen von Nachfrage und staatlichem Angebot auch zu Schlüssen hinsichtlich der zu erwartenden Akzeptanz solcher Aktivitäten.
Ohne hier die methodischen Grundlagen diskutieren zu wollen ist die Information, die für die Nachfrage nach Umweltqualität zentral ist, in dem Wert zu suchen, der einer verbesserten Umweltqualität zugemessen wird. Dieser Wert ergibt sich aus dem Ausmaß der Bereitschaft der Bürger, Verzichte bei anderen Zielen (z. B.der materiellen Bedürfnisbefriedigung) zu leisten. Das Instrument zur Erfassung dieses Wertes ist die Frage nach der (marginalen) Zahlungsbereitschaft: Sie bezieht sich jeweils auf die reale Situation des Befragten und ist daher ein Indikator der von ihm akzeptierten Mittelverwendung für den speziellen Zweck; sie ist gleichzeitig eine Maßgröße des Nutzens einer verbesserten Umweltqualität und des Nutzenverlusts durch Defizite der Bedürfnisbefriedigung.
Es ist ein Glücksfall, daß schon im Jahre 1990 vom Umweltbundesamt an das IST-Institut (Berlin-Heidelberg) zwei Untersuchungen in Auftrag gegben wurden, die die „Umweltsituation Ostdeutschlands in den Augen seiner Bürger“ erforschen soll-ten Diese Untersuchungen fanden zur Leipziger Frühjahrs-und Herbstmesse 1990 statt und erlauben Vergleiche zwischen diesen beiden Zeitpunkten sowie mit den Ergebnissen von Befragungen unter westdeutschen Bürgern
Auf die Frage: „Wenn Sie an Ihr Haushaltsnettoeinkommen denken, wieviel wäre es Ihnen dann wert, wenn die Umweltsituation Ihren Vorstellungen annähernd entspräche“ antworteten die Befragten sowohl im Frühjahr als auch im Herbst 1990 mit erstaunlich ähnlichen DM-Angaben; dies ist deshalb erstaunlich, weil in der Zwischenzeit die katastrophale Situation der Umwelt in Ostdeutschland erst richtig bekannt wurde und andererseits der wirtschaftliche und soziale Trend über-deutlich nach unten wies -im ersten Fall wäre mit höherer Zahlungsbereitschaft zu rechnen gewesen, im zweiten mit geringerer; zumindest als Hypothese kann wohl gelten, daß sich diese Trends tendenziell gegenseitig kompensiert haben. Jedenfalls ergab die Befragung von 1232 Ostdeutschen im Frühjahr und 872 im Herbst, daß ihnen die Verbesserung der Umweltbedingungen durchschnittlich je Person ca. 40 DM im Monat und je Haushalt ca. 98 DM wert wäre; werden diese Daten auf die Gesamtbevölkerung der neuen Länder hochgerechnet, so ergibt sich ein Wert des entgangenen Nutzens einer besseren Umwelt von ca. 8Mrd. DM pro Jahr Eine vergleichbare Stichprobe von knapp 5 000 Westdeutschen -gefragt wurde nach dem Wert „erheblicher“ Verbesserungen der Umweltbedingungen -kam auf eine monatliche Zahlungsbereitschaft von durchschnittlich 65 DM pro Person und 123 DM pro Haushalt; dies entspricht einem Betrag von ca. 40 Mrd. DM jährlich als Wert der entgangenen Nutzen besserer Umweltbedingungen
Dabei ist es keineswegs überraschend, daß die absolute Zahlungsbereitschaft der Ostdeutschen niedriger liegt als die der Westdeutschen -absolute Zahlungsbereitschaftsangaben sind immer eine Funktion der Zahlungsfähigkeit und damit auch der Einkommenhöhe. Absehend von der Diskussion der Aussagegrenzen dieser Studien ist aber eine positive, wenn auch signifikant geringere Zahlungsbereitschaft der Ost-als der Westbürger festzustellen; die Ostdeutschen sind sich offensichtlich sehr wohl bewußt, daß sie „ihr“ Territorium in das vereinigte Deutschland eingebracht haben und stellen sich auch der Verpflichtung, zur Sanierung und Pflege ihrer Umwelt beizutragen -nach ihren Wünschen und nach ihren Kräften. Es macht dann auch keinen Sinn, eine solch manifeste Differenz der Zahlungsbereitschaften (und damit der Umweltwünsche im Vergleich zu anderen) zu ignorieren oder gar zu negieren, indem man trickreich und mehr oder weniger willkürlich solche Daten hochrechnet, um beispielsweise zu zeigen, daß die Ostdeutschen eine mit den Westdeutschen vergleichbare Höhe der Zahlungsbereitschaft offenbaren würden, wenn sie nur ein höheres Einkommen hätten -sie haben es nun einmal nicht, und nur das ist allokativ von Belang.
Dieses Ergebnis kann noch aus einer anderen Sichtweise untermauert werden: Während die Zahlungsbereitschaft für Umwelt nichts anderes als das Abwägungsresultat verschiedener Ausgaben für private und öffentliche Güter aus dem verfügbaren Einkommensanteil darstellt, kann man auch danach fragen, wie die Bürger z. B. (vom Westen finanzierte) 100 Mrd. DM Anschubfinanzierung auf verschiedene, ausschließlich öffentliche Zwecke aufteilen würden das Ergebnis spricht auch hier eindeutig für das spezifische Umweltbewußtsein der Ostbürger: Sie würden 17, 6 Prozent dieser Summe für den Umweltschutz ausgeben, gefolgt von 15, 6 Prozent für die Stadtsanierung; mit Abstand reihen sich dann die Sicherung der Arbeitsplätze (11, 5 Prozent), Verbesserungen des Gesundheitswesens (11, 2 Prozent), Ausgaben für Forschung und Entwicklung (11 Prozent), für Arbeitslose/Sozialversicherung (10, 2 Prozent), Rentensicherung (8 Prozent), Verbesserung des Bildungssystems (7, 9 Prozent) und Straßenbau (7 Prozent). Eine solche Ausgabenstruktur würde von den Ostdeutschen akzeptiert. Es zeigt sich einmal mehr, daß Umweltschutz zwar von höchster Priorität ist, aber eben auch im gemeinsamen Kontext mit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicherheit zu sehen ist; nur diese spezifische Integration sichert die Akzeptanz dieses Bündels staatlicher Ausgabenwünsche und des Umweltschutzes.
V. Westdeutsche Umweltpolitik für die Ostdeutschen?
Eine wissenschaftliche Untersuchung des Investi-. tionsbedarfs für den Umweltschutz in den neuen Ländern bis zum Jahre 2000 kommt zu einer Soll-Größe desselben von ca. 211 Mrd. DM unter der Zielsetzung, daß das bestehende Umweltgefälle bis zu diesem Zeitpunkt auf umweltpolitisch anspruchsvollem Niveau ausgeglichen werden soll. Da die Betriebskosten der Umweltschutzanlagen noch hinzu zu addieren sind, heißt dies, daß die Aufwendungen pro Jahr im Durchschnitt aufjeden Fall höher sein werden als etwa 21 Mrd. DM. Für einen Vergleich mit den Nachfrageäußerungen nach Umweltqualität, also der Zahlungsbereitschaft der Bürger der ehemaligen DDR, reicht diese Zahl jedoch aus.
Mindestens 21 Mrd. DM wären nach den Ifo-Daten jährlich für Umweltzwecke in den neuen Ländern auszugeben; aus den IST-Daten ist bekannt, daß die Gesamtbevölkerung der neuen Länder ca. 8 Mrd. DM jährlich aufwenden würde. Der entgangene Nutzen einer besseren Umwelt beträgt also ca. 8 Mrd. DM pro Jahr, die zu ihrer Verbesserung aufzuwendenden Kosten betragen aber mindestens 21 Mrd. DM -sind etwa die Kosten höher als die entstehenden Nutzen?
Auf den ersten Blick ist die Antwort „ja“: Ohne Zweifel ist das, was die Bürger der neuen Länder aufwenden wollen, geringer als das, was unter der gegebenen Prämisse der Ifo-Studie aufgewendet werden sollte. Die Zahlungsbereitschaftsermittlung geht jedoch davon aus, daß der einzelne aus seinem Budget etwas für einen öffentlichen Zweck, wenn dieser ihm wichtig ist, verwendet; folgerichtig ist die Zahlungsbereitschaft eine Art Opferbereitschaft. Ein Opfer liegt aber bei einer überwiegend westdeutschen Finanzierung des Umweltschutzes in den neuen Ländern absolut nicht vor -relativ möglicherweise, wenn andere Verwendungen der Finanzmittel präferiert würden. Es ist aber etwas völlig anderes, ob jeder einzelne entsprechend seiner Wertschätzung auf den Nutzen eines anderen öffentlichen oder privaten Gutes verzichtet oder ob er das öffentliche Gut geschenkt bekommt.
Aber auch bei weiterem Nachdenken scheint die Antwort „nein“ zu lauten: Mit dem jährlichen 21-Mrd. -Geschenk hätten ja auch andere, ebenso drängende öffentliche Aufgaben finanziert werden können; ausweislich der IST-Daten würden die befragten ostdeutschen Bürger im Durchschnitt 17, 6 Prozent einer westdeutschen Anschubfinanzierung für den Umweltschutz aufwenden. Betrüge also der westdeutsche Transfer nach Ostdeutschland etwa 120 Mrd DM pro Jahr, dann fände sich eine größenordnungsmäßige Entsprechung im Niveau von Nachfrage und Angebot; läge er wesentlich höher, wäre das westdeutsche umweltpolitische Angebot für die Ostdeutschen offensichtlich im Defizit. Genau dies träfe aber zu, wenn die Daten des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft richtig wären, daß allein im Jahre 1992 160 bis 170 Mrd. DM an Transferleistungen für öffentliche und private Haushalte in Ostdeutschland notwendig seien -realiter wird es wohl mehr werden.
Vom Niveau her kann man also selbst bei einiger Vorsicht nicht sagen, daß das umweltpolitische Angebot die Nachfrage wesentlich verfehlen würde. Wie steht es jedoch mit der Struktur des Angebots? Hier Aussagen zu treffen ist schwierig, da die Zahlungsbereitschaftsdaten der IST-Studie nicht nach Umweltproblembereichen differenziert vorliegen und man sich maximal auf die Problem-perzeption, also die Rangfolge der Belastungswirkungen von Umweltfaktoren beziehen kann. Gleichfalls ist weder das Eckwerte-Papier noch das Aktionsprogramm „Ökologischer Aufbau“ monetär genügend aufgeschlüsselt, um begründete Vergleiche zu gestatten. Man könnte aber zu einer etwas gewagten Hilfskonstruktion greifen: nämlich die Einzelaktivitäten des Eckwerte-Papiers als umfassendere Basis als das finanziell restringierte Aktionsprogramm auszählen, in eine Rangordnung bringen und mit der Rangreihe der Stärke der Belastungswirkungen von Umweltfaktoren vergleichen. Dabei zeigt sich, daß die Rangordnung der kurzfristigen Maßnahmen des Eckwerte-Papiers hoch mit der Rangreihe in der Befragung ostdeutscher Bürger korreliert, die Rangordnung der langfristigen Maßnahmen allerdings kaum Aber auch das würde Sinn machen im Hinblick auf die eingangs angesprochene Unterscheidung von Um-weltgütem der Gefahrenabwehr-und der „Luxus“ -Kategorie.
Ist also das Angebot in Niveau und Struktur zur Zeit nachfragegerecht? Mit Einschränkungen kann gesagt werden: Ja, vermutlich. Ist dies eine westdeutsche, also an den Präferenzen westdeutscher Bürger orientierte Umweltpolitik für die ostdeutschen Länder? Mit Einschränkungen: Nein, vermutlich nicht.
Dieses Ergebnis entwertet keineswegs die Überlegungen von zuvor: Umweltpolitik für den Bürger kann nur mit dem Bürger erfolgreich sein, und Umweltpolitik mit dem Bürger impliziert auch Regionalisierung von Zielen und Instrumenten, zumindest aber die Einsicht, daß dies gewollt werden könnte und toleriert werden sollte. Allzu oft wird der Bürger in umweltpolitischen Kontexten nur als (potentieller) Träger eines positiven Umweltbewußtseins angesprochen und instrumentalisiert, er ist aber auch ein ökonomisches, soziales und politisches Wesen und sehr wohl in der Lage abzuwägen, was ihm in seiner spezifischen Lage gut tut. Das vorliegende Ergebnis kann mit den gegebenen Einschränkungen zeigen, daß bei der katastrophalen Umweltsituation in der ehemaligen DDR solche Überlegungen vielleicht kurzfristig irrelevant sind, da beinahe alles auf unmittelbare Gefahren-abwehr ausgerichtet ist; bei steigendem Niveau an umweltpolitischen Inhalten allerdings -wenn Umwelt-„Luxusgüter“ relevant werden -wird man sich ihnen stellen müssen.
VI. Ökonomische und ökologische Perspektiven
Dies gilt um so mehr, je weniger in den neuen Ländern die Träume von blühenden (Industrie-) Landschaften reifen werden -und dafür spricht einiges. Es ist möglicherweise ziemlich gleichgültig, ob man bei der Modernisierung der Wirtschaft in den neuen Ländern der Laissez-faire-Variante („Der Markt wird es schon richten“), die kurzfristige Nachteile und längerfristige Vorteile hat, oder der industriepolitischen Variante mit den umgekehrten Eigenschaften anhängt -alle Daten zeigen, daß man aufhören sollte, sich Illusionen zu machen und vor allem, solche zu verbreiten: Modellrechnungen des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft weisen darauf hin, daß das reale Wachstum in den neuen Ländern zwischen 1991 und 2000 -bei einem unterstellten jährlichen Pro-Kopf-Wachstum. von real 1, 7 Prozent in Westdeutschland -jährlich 9 Prozent betragen muß, wenn ein Jahrzehnt nach der deutschen Vereinigung pro Kopf der Bevölkerung im Osten auch nur 50 Prozent des dann in den alten Bundesländern erzeugten Bruttoinlandsprodukts erreicht werden sollte. Es würde unter diesen Prämissen 20 Jahre dauern, bis Gleichheit des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf hergestellt sein würde, bei mittelfristig sinkender Wachstumsrate im Osten dann um so länger. Es wird also voraussichtlich eine Illusion bleiben müssen, eine Annäherung der Lebensverhältnisse auf vergleichbare Niveaus in absehbarer Zeit erreichen zu können -dies ist definitiv ein Programm für Generationen.
Was bedeutet dies für die Umweltpolitik in den neuen Ländern unter dem speziellen Blickwinkel der Integration ökonomischer, sozialer und ökologischer Prozesse? Empirische Studien zeigen signifikante positive Korrelationen der Zahlungsbereitschaft für Umweltschutz mit dem Einkommen sowie dem Ausbildungsniveau und negative mit dem Alter der Befragten. Unterstellt man diese Zusammenhänge gewissermaßen als allgemeine menschliche Konstanten auch für die Bevölkerung der neuen Länder, dann sollten ein relativ zum Westen persistent niedrigeres Einkommen, ein geringeres Qualifikationsniveau und ein höheres Durchschnittsalter (aufgrund der Abwanderung junger, dynamischer Kräfte in den Westen) eine persistent niedrigere Zahlungsbereitschaft für Umweltschutz in Ostdeutschland zur Folge haben. Umweltökonomisch gesehen hätte dies bei identischen Verläufen der Vermeidungskosten von Umweltbelastungen zur Konsequenz, daß das optimale Vermeidungsniveau (m. a. W.: das optimale Umweltqualitätsniveau) dort persistent niedriger liegen würde als in Westdeutschland. Würden in einer solchen Situation strengere Weststandards im Ostteil Deutschlands durchgesetzt, würde dies zwangsläufig Zusatzkosten, die den Bürgern gegen ihren Willen auferlegt würden, bedeuten. Dies gilt relativ sogar im Fall der Westfinanzierung, soweit diese nicht den „eigentlichen“ Präferenzen der Ostbürger entspricht. Auch aus umweltpolitischer Sicht ist die positive ökonomische und soziale Entwicklung in den neuen Ländern damit die conditio sine qua non ihres Erfolgs vor allem im Sinne des Rückhalts in der Bevölkerung; Nebeneffekte der Stillegung von Anlagen und Schließung von Betrieben sind nur vorübergehende umweltpolitische Erfolge und langfristig politisch ohne wesentlichen Belang. Deshalb scheint es an der Zeit zu sein, Überlegungen anzustellen für den keineswegs unwahrscheinlichen Fall, daß die deutsche Einigung wirtschaftlich, strukturell, sozial und ökologisch in absehbarem Zeitraum nicht ans Ziel gebracht werden kann. Die Vorstellungen des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf -Relativierung der Einheitlichkeitsidee, Akzeptanz der Begrenztheit der Möglichkeiten, Entwicklung eigener Ziele und Modelle, kurz: Regionalisierung durch Annahme der Unterschiede und positive Umsetzung in Politik -weisen genau in die Richtung, die am Beispiel der Umweltpolitik skizziert wurde, mit dem Unterschied vielleicht, daß Regionalisierung als der beste Weg und keineswegs nur als Ausweg aus einem Dilemma gesehen wurde. Wie überhaupt der richtige Weg das Ziel sein sollte, wenn Ziele zu Illusionen entarten -oder es schon immer waren.