Wirtschaftliche Probleme und Chancen für Lateinamerika
Barbara A. Fliess
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Zusammenfassung
Nach Jahren der verschuldungsbedingten Wirtschaftskrise kann die Mehrzahl der Länder Lateinamerikas wieder zuversichtlicher in die Zukunft sehen. Ihre Wirtschaften expandieren wieder. Das Wachstum wiederum schafft günstige Bedingungen für eine Fortsetzung der heute stärker marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftspolitik. Im finanzpolitischen Bereich ist die Schuldenlast erträglicher geworden. Der über lange Zeit negative Nettotransfers in die Industrieländer scheint gestoppt. Somit entsteht mehr finanzieller Spielraum, um im Rah-men einer Wachstumspolitik das nachzuholen, was die rezessive Stabilisierungspolitik der Vorjahre vernachlässigte: Investitionen und die soziale Versorgung der unteren Schicht der Bevölkerung. Damit Wachstum und Wirtschaftsentwicklung langfristig gesichert werden können, werden viele Länder zur Finanzierung notwendiger Investitionen auf ausländisches Privatkapital angewiesen sein. Auch eine gute Exportleistung ist notwendig. Um der sich hieraus ableitenden hohen Verwundbarkeit der Wirtschaften durch ungünstige weltwirtschaftliche Veränderungen vorzubeugen, suchen Mexiko und andere Länder engere Wirtschaftsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten, ihrem wichtigsten Handelspartner. Insgesamt ist das Interesse an einer Integration der Märkte der westlichen Hemisphäre gestiegen.
ist.
Während in Argentinien, Brasilien, Cjhile und einigen anderen Ländern die Militärregierungen zurückgetreten sind und demokratische Institutionen aufgebaut werden, hat Lateinamerika auch hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Entwicklung einen wichtigen Wendepunkt erreicht. Nach einem Jahrzehnt des finanzpolitischen Krisenmanagements haben die meisten Wirtschaften wieder Schwung. Interne Wirtschaftsreformen sowie eine weitgehende Verbesserung des Investitionsklimas geben der Region derzeit die besten wirtschaftlichen Aussichten seit Jahren. Auf dem Gebiet der Außenwirtschaftsbeziehungen wächst insbesondere die Rolle der Vereinigten Staaten in einem globalen Wirtschaftssystem, das von einem schärferen Wettbewerb bei der Suche nach Absatzmärkten und Kapitalersparnissen gekennzeichnet
I. Zur Position Lateinamerikas in der Weltwirtschaft
Das Bruttosozialprodukt Lateinamerikas (einschließlich der Karibik) belief sich 1990 auf etwa 940 Mrd. US-Dollar, bei einer Bevölkerung von rund 450 Mio. Obwohl die Region damit vor Osteuropa und Afrika liegt, sind die meisten Länder Lateinamerikas als relativ arm einzustufen. Hinter dieser Durchschnittszahl verbergen sich erhebliche Unterschiede zwischen Ländern wie Bolivien, Guayana, Haiti und Peru, die zu den ärmsten Entwicklungsländern gehören, und Brasilien, Argentinien, Mexiko und Kolumbien als den vier großen Regionalmächten und wirtschaftlichen Schwellenländem der Region mit einem fortgeschrittenen Stand der Industrialisierung sowie vergleichsweise hohen Pro-Kopf-Einkommen.
Bis Ende der siebziger Jahre konnten die Wirtschaften der Region mit einer Durchschnittsrate von 5, 9 Prozent ein hohes Wirtschaftswachstum erzielen (vgl. Tabelle 1). Mit Beginn der achtziger Jahre kam es jedoch zu einer schweren Wirtschaftskrise, von der sich die meisten Länder der Region erst heute zu erholen beginnen. Als Resultat dieser Entwicklung hat sich der Lebensstandard bei wachsender Bevölkerung verschlechtert. Mit einer durchschnittlichen Höhe von 1948 US-Dollar liegt das Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung heute unter dem Niveau vor Beginn der achtziger Jahre.
Vergleicht man Lateinamerika mit anderen Regionen, so fällt vor allem die schwache Außenhandelsintensität auf. Auf die Region entfallen nur 3, 9 Prozent des Weltexports bzw. 15 Prozent der Ausfuhren der Entwicklungsländer. Wie aus Ta-belle 2 ersichtlich ist, konzentrieren sich die Handelsbeziehungen Lateinamerikas auf die Industrieländer; dieser Trend hat sich in den letzten Jahren wieder verstärkt. Die Vereinigten Staaten sind der bei weitem wichtigste Exportmarkt für praktisch alle lateinamerikanischen Länder und haben diese Position in den achtziger Jahren noch ausgebaut. Umgekehrt ist als Absatzmarkt für die Vereinigten Staaten die Region jedoch weniger wichtig. Im Unterschied zum nördlichen Nachbarn hat Lateinamerika seine insgesamt schwächeren Handelsverbindungen mit Westeuropa nicht weiterentwickeln können. Von den EG-Ländem haben Spanien, Frankreich, Italien und vor allem die Bundesrepublik besonders enge Wirtschaftsbeziehungen mit der Region. Brasilien, Argentinien, Mexiko, Kolumbien, Chile und Venezuela sind die wichtigsten Handelspartner der EG. Japan hingegen spielt im Außenhandel Lateinamerikas eine untergeordnete Rolle,
Aber selbst untereinander verbindet die lateinamerikanischen Wirtschaften nur ein schwacher Handelsaustausch. Im Vergleich zum Binnenhandel in der EG, der sich 1989 auf 640 Mrd. US-Dollar belief, erreichte der intraregionale Handel Lateinamerikas trotz dessen größerer Bevölkerung (450 Mio.) nur 294 Mrd. US-Dollar. Die Gründe hierfür liegen teils im Fehlen von komplementären Produktionsstrukturen der einzelnen Länder, teils aber auch in den politischen Konflikten der Länder untereinander. Ideologische Differenzen und Guerillakriege trugen dazu bei, daß sich der Handel, insbesondere unter den zentralamerikanischen Ländern, im Laufe der achtziger Jahre um etwa die Hälfte verringerte.
Stärker noch als im Handel ist die außenwirtschaftliche Verflechtung und Abhängigkeit Lateinamerikas im finanzpolitischen Bereich. Der leichte Zugang zu den internationalen Kreditmärkten führtein den siebziger Jahren dazu, daß sich die Region zunehmend an das Ausland, insbesondere gegenüber Privatbanken in den USA, verschuldete. Mit Beginn der achtziger Jahre kam es zu Zahlungsschwierigkeiten, einer Reduzierung der externen Kapitalversorgung und damit zu einer schweren internen Finanzkrise. Von den 15 größten Schuldnerländern der Welt befinden sich 10 in Lateinamerika. Von den größeren lateinamerikanischen Volkswirtschaften blieb lediglich Kolumbien von der Krise verschont. Während die Region zur Finanzierung ihres Entwicklungsprozesses eigentlich Kapital aus den Industrieländern hätte importieren sollen, gab es aufgrund der Schuldenlast zwischen den Jahren 1983 und 1990 einen massiven Kapitaltransfer in die Industrieländer.
II. Ursachen der Wachstumskrise in den achtziger Jahren
Abbildung 4
Tabelle 2: Bestimmungsraum der Exporte Lateinamerikas (als Prozent des Gesamtexports) Quelle: Eurostat, Extemal Trade Statistical Yearbook, 1958-1990, Series 6A, Brüssel 1991, S. 135.
Tabelle 2: Bestimmungsraum der Exporte Lateinamerikas (als Prozent des Gesamtexports) Quelle: Eurostat, Extemal Trade Statistical Yearbook, 1958-1990, Series 6A, Brüssel 1991, S. 135.
1. Die binnenmarktorientierte Entwicklungsstrategie der Nachkriegszeit
Nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten Regierungen in der Region eine stark binnenmarktorientierte Entwicklungsstrategie. Um die traditionell von der Produktion und dem Export von Rohstoff-und Agrargütern dominierten Wirtschaften (Öl in Venezuela, Ecuador, Mexiko, Kupfer in Chile, Eisenerz in Brasilien, Kaffee in Brasililen und Kolumbien) durch den Aufbau eines eigenen verarbeitenden Gewerbes zu diversifizieren, wurden die einheimischen Märkte gegenüber billigeren ausländischen Industriegütereinfuhren abgeschottet. Diese Entwicklungsstrategie bewirkte eine rasche, durch staatliche Interventionen gelenkte Industrialisierung Dadurch gelang es insbesondere Argentinien, Brasilien, Kolumbien und anderen größeren Ländern, die Exportleistung bei Industriegütern (vor allem Fahrzeuge, Stahl und Produkte des Maschinenbaus) beachtlich zu steigern. Im Unterschied zur Mitte der sechziger Jahre, als Primärprodukte 58 Prozent und Industriewaren nur 12 Prozent der Exporte Lateinamerikas ausmachten, belief sich ihr Anteil Mitte der achtziger Jahre auf 41 bzw. 31 Prozent Brasilien und Mexiko liefern zum Beispiel einen Großteil der Gesamtausfuhren der Entwicklungsländer an Fahrzeugen.
Den Erfolgen dieser Industrialisierungsstrategie sind jedoch Defizite gegenüberzustellen. Der Expansionsschub der sechziger und siebziger Jahre wurde durch eine wachsende externe Verschuldung bzw. inflationäre Geldpolitik finanziert. Auslandskredite wurden für die Beschaffung von Rüstungsgütern verwendet. Mangelhafte Planung führte oft zu ambitiösen, aber unzureichend produktiven Industrieinvestitionen, während der Staat in die ländliche Entwicklung, in die Ausbildung und in die Gesundheitsversorgung für die rapide wachsenden städtischen Ballungszentren zu wenig investierte Im sozialen Bereich kam es zu einer ausgeprägt ungleichen Einkommens-und Vermögensverteilung und einem damit verbundenen Mangel an nationaler Solidarität.
2. Die Verschuldungskrise der achtziger Jahre
Der Rückgang der Rohstoffpreise, steigende Zinsen und nicht zuletzt die Rezession in den Industrieländern lösten zu Beginn der achtziger Jahre in den hochverschuldeten Ländern Lateinamerikas eine akute Finanzkrise aus. Um sich weitere Finanzierungsmittel sichern zu können, sahen sich die einzelnen Regierungen gezwungen, wirtschaftspolitische Stabilisierungsprogramme durchzuführen.
Die achtziger Jahre sind zu Recht als ein „verlorenes Jahrzehnt“ für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Region anzusehen. Einkommen und Beschäftigung gingen zurück. Bereits vorher chronisch hohe Inflationsraten beschleunigten sich weiter und erreichten 1990 für die Region insgesamt eine Rekordhöhe von 700 Prozent, für Brasilien und Argentinien sogar mehr als 3 000 und für Peru und Nicaragua mehr als 7 000 Prozent. Da nationale Ersparnisse dem Schuldendienst dienen mußten, wurde die Investitionspolitik vernachlässigt. Dies traf im Außenbereich mit einer drastischen Einschränkung der Einfuhren und Förderung von Exporten zusammen, mit deren Hilfe die Regierungen Handelsbilanzüberschüsse erwirtschaften wollten.
Die wiederholten Umschuldungsverhandlungen zwischen Banken und Schuldnerländern verzögerten jedoch nur die Lösung dieses Problems. Die Banken wollten keine Neukredite vergeben, während die Schuldnerländer allein mit ihren Exportüberschüssen den Schuldendienst nicht zu gewährleisten vermochten. Ein Durchbruch erfolgte erst mit dem sogenannten „Brady Plan“ von 1989. Mit dieser Initiative akzeptierte die amerikanische Regierung die Notwendigkeit einer effektiven Reduzierung der Schulden als Voraussetzung einer Wirtschaftserholung der Region und begann, auf die Privatbanken im eigenen Land in diese Richtung Druck auszuüben. Seit 1990 haben Mexiko, Costa Rica, Venezuela und Uruguay mit ihren jeweiligen Gläubigerbanken entsprechende Abkommen geschlossen. Wichtige Abkommen zur Reduzierung ausstehender Regierungskredite werden inzwischen auch durch den sogenannten Pariser Klub der wichtigsten Gläubigerländer ausgehandelt.
Bisher ist es jedoch nicht gelungen, den Schuldenberg abzutragen (vgl. Tabelle 3). Mit Auslandsobligationen, die sich für die Region insgesamt auf rund 430 Mrd. US-Dollar belaufen, hat sich die externe Verschuldungsquote zu Beginn der neunziger Jahre gerade zu stabilisieren begonnen. Geändert hat sich vor allem die Schuldenstruktur, denn neue Kredite von öffentlichen Institutionen wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds ha-ben die sich zurückziehenden ausländischen Privatbanken als Gläubiger ersetzt. Zwölf Länder sind mit rund 26 Mrd. US-Dollar bei ihrer Schuldentilgung in Verzug. Diese beläuft sich immer noch auf durchschnittlich 30 Prozent der Exporterlöse und bleibt insbesondere für die ärmeren Volkswirtschaften in Zentralamerika eine schwere Belastung.
III. Zum Stand des internen Anpassungsprozesses
Abbildung 5
Tabelle 3: Ausstehende Verbindlichkeiten 1 an das Ausland (in Mrd. US-Dollar) Quelle: World Bank, World Debt Tables, 1990-92; Schätzungen der Inter-American Development Bank.
Tabelle 3: Ausstehende Verbindlichkeiten 1 an das Ausland (in Mrd. US-Dollar) Quelle: World Bank, World Debt Tables, 1990-92; Schätzungen der Inter-American Development Bank.
Die Unterbrechung der externen Kapitalversorgung erforderte nicht nur finanzpolitische Stabilisierungsmaßnahmen, sondern löste auch ein gene-relles Überdenken der bisherigen Entwicklungsstrategie aus. Es gibt heute einen bemerkenswert breiten Konsensus unter den meisten Regierungen Lateinamerikas hinsichtlich der Notwendigkeit, sich wirtschaftspolitisch am freien Wettbewerb und an der Stärkung des Privatsektors auszurichten.
1. Reduzierung der Rolle des Staates
Eine Konsequenz früherer Entwicklungspolitik war, daß der Staat seine Rolle in der Wirtschaft ausweitete. Dies ist aus den öffentlichen Ausgaben ersichtlich, die zwischen 1970 und 1982 in Mexiko von 22 auf 46 Prozent des Bruttosozialprodukts, in Peru von 24 auf 60 Prozent und in Argentinien und Venezuela noch stärker stiegen Da die Einnahmen des Staates damit nicht Schritt halten konnten, kam es zu steigenden Haushaltsdefiziten, die in den achtziger Jahren schließlich nicht mehr finanziert werden konnten.
Mit der Wende zu einer restriktiven Finanzpolitik haben die Regierungen beachtliche Anstrengungen unternommen, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen, die Einnahmenstruktur zu verbessern und den öffentlichen Sektor zu verkleinern. Eine wachsende Anzahl von Regierungen ist dazu übergegangen, staatliche Betriebe zu privatisieren. Mexiko hat die Hälfte seiner Staatsunternehmen bereits in Privateigentum überführt, einschließlich der Telephongesellschaft, Stahlindustrie, Hotelketten und Versicherungen. Auch die 1982 verstaatlichten Banken werden reprivatisiert. Argentinien hat seine Telephon-und Fluggesellschaften sowie die Rechte zur Erhebung von Nutzungsgebühren für wichtige Straßen veräußert; es will außerdem die staatliche Ölgesellschaft verkleinern. Selbst Brasilien hat nach einigen schweren Anläufen begonnen, öffentliche Unternehmen in der Stahlbranche zu veräußern und den Wettbewerb auf dem Petroleummarkt durch Privatisierung von Teilbereichen wie Transport, Verarbeitung und Import zu stärken. Die Fortschritte sind in den einzelnen Ländern unterschiedlich, zumal die eigenen Kapitalmärkte schwach entwickelt sind und nationalistische Bewegungen immer noch einen starken Einfluß ausüben.
Diese Veräußerungen haben beträchtliche Einsparungen bei den staatlichen Ausgaben bewirkt und zur weitgehenden Sanierung der strukturellen Haushaltsdefizite beigetragen. Damit wird Spielraum geschaffen, um öffentliche Mittel verstärkt zur Verbesserung der sozialen Lebensumstände einzusetzen. Denn aufgrund wachsender Arbeitslosigkeit bzw. Unterbeschäftigung, bei sinkenden Reallöhnen und reduzierten staatlichen Sozialleistungen, ist der Anteil der in extremer Armut lebenden Bevölkerung seit 1980 gestiegen. Lebten 1980 rund 112 Mio. Lateinamerikaner (35 Prozent der Haushalte) unterhalb der Armutsgrenze, stieg diese Zahl bis 1986 auf 164 Mio. (38 Prozent der Haushalte)
Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist davon auszugehen, daß Privatisierung und andere Maßnahmen zur Stärkung des Privatsektors zu einer höheren Produktivität, niedrigeren Kosten und nicht zuletzt zu besseren Dienstleistungen führen und damit zur Wettbewerbsfähigkeit der Region in der Weltwirtschaft beitragen. Dies setzt jedoch eine weitere Verbesserung des Investitionsklimas für in-und ausländisches Privatkapital voraus.
Die Notwendigkeit vergangener Jahre, die Inlandsersparnisse für den Schuldendienst zu verwenden, hat einen enormen Nachholbedarf im Investitionsbereich zur Folge. Die Investitionsdynamik ließ in den achtziger Jahren so stark nach, daß die Investitionsquote (Anteil der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt) für die gesamte Region von 22 auf 14 Prozent sank Während die Bruttoinvestitionen in den siebziger Jahren um jährlich 7, 3 Prozent Zu nahmen, fielen sie im Zeitraum 1981 bis 1989 um 3, 2 Prozent, in einzelnen Ländern wie Argentinien sogar noch stärker (vgl. Tabelle 4). Die wirtschaftliche Lage wurde ferner dadurch erschwert, daß die politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten der achtziger Jahre viele lateinamerikanische Bürger veranlaßte, ihr Vermögen ins Ausland zu transferieren. Diese Kapitalflucht hat die Region um schätzungsweise 100 bis 300 Mrd. US-Dollar ärmer gemacht
2. Öffnung der Märkte für Handel und Investitionen
Die Erwirtschaftung ansehnlicher Handelsbilanzüberschüsse zur externen Devisenbeschaffung ist bisher weitaus mehr durch die Drosselung der Importe erfolgt als durch eine Steigerung der Ex-porte. Wies Lateinamerika 1981 ein Handelsbilanzdefizit von 6 Mrd. US-Dollar auf, so erwirtschaftete die Region in den darauffolgenden Jahren einen beständigen Exportüberschuß, der sich 1990 auf 26 Mrd. US-Dollar belief. Während sich die Exporte von 100 Mrd. US-Dollar im Jahr 1981 zunächst auf 79 Mrd. US-Dollar im Jahr 1986 verringerten und in den folgenden Jahren auf 126 Mrd. US-Dollar im Jahr 1990 wieder anstiegen, fielen die Importe zwischen 1981 und 1986 von 105 Mrd. auf 63 Mrd. US-Dollar und erreichten 1990 gerade den Wert von 1981 Da sich die Einfuhren vorwiegend aus Kapitalgütem und zur Industrieproduktion erforderlichen Rohstoffen und Zwischenprodukten zusammensetzen, ist durch ihre Drosselung jedoch der Industriesektor geschwächt worden.
Die Bemühungen um eine Ankurbelung der Investitionen, die für Wiederaufbau und Modernisierung einer vernachlässigten industriellen Infrastruktur unerläßlich sind, haben in den letzten Jahren das Bewußtsein für Maßnahmen der Liberalisierung von Handel und Investitionen gestärkt. Mexiko hat in den letzten sieben Jahren seine Zölle drastisch reduziert; Argentinien hat seine Zölle in den letzten zwei Jahren von durchschnittlich 40 auf unter Prozent gesenkt und andere Importbeschränkungen abgebaut; Brasilien hat so-gar seinen geschützten Computermarkt für ausländische Anbieter zugänglicher gemacht.
Seitdem ausländische Privatbanken kaum noch langfristige Kredite vergeben, ist die Förderung von ausländischen Direktinvestitionen zu einem wichtigen Bestandteil der langfristigen Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung der Region ge-worden. Hatten politische Instabilitäten und eine intensive, oft von nationalistischen Vorbehalten gegen eine mögliche Gefährdung der politischen Souveränität durch ausländische Interessen geprägte staatliche Lenkung von Produktion und Handel bereits vor den achtziger Jahren das Inve-stitionsrisiko erhöht, wurde Lateinamerika nach Ausbruch der Verschuldungskrise für ausländische Investoren nun vollends uninteressant. Hingegen konnten die Schwellenländer Asiens sowie Portugal und Spanien zwischen 1984 und 1989 jeweils ihre Direktinvestitionen aus dem Ausland verdoppeln In den letzten Jahren haben fast alle Länder ihre Investitionsbeschränkungen bzw. -auflagen (Exportauflagen, Mindestanteil an heimischen Vorprodukten) gelockert, um ausländischen Investoren zusätzliche Anreize zu geben.
Zur Verbesserung der Finanzlage Lateinamerikas bedarf es aber mehr als nur der Liberalisierung der eigenen Märkte. Erforderlich ist ferner ein verbesserter Zugang zu den Märkten der Industrieländer, auf denen Importrestriktionen in Bereichen wie Textil und Bekleidung, Lederwaren, Schuhe, Stahl und bei vielen Agrarprodukten der Ausnutzung der regionalen Wettbewerbsvorteile im Wege ste-hen. Es ist deshalb für diese Länder besonders wichtig, daß im Rahmen der laufenden Uruguay-Runde über Handelsliberalisierungsverhandlungen endlich konkrete Schritte erfolgen.
Der Wirtschaftsaufschwung von 1991 bestätigt, daß die internen Korrekturen sich auszahlen und neue Investitionszuversicht schaffen. Chile und Mexiko haben die weitgehendsten und bislang erfolgreichsten Liberalisierungsmaßnahmen unternommen. Argentinien und Brasilien müssen vor allem bei der Inflationsbekämpfung noch größere Erfolge erzielen. Die Inflationsrate für die gesamte Region sank im vergangenen Jahr bereits auf rund 200 Prozent und könnte in diesem Jahr eine zweistellige Ziffer erreichen. Die Börsenkurse in Argentinien, Chile, Mexiko und Venezuela sind in den letzten drei Jahren stark gestiegen. Die Möglichkeiten ausländischer Unternehmen, sich an der Privatisierung von staatlichen Unternehmen zu beteiligen, und die Öffnung zum Weltmarkt ziehen wieder vermehrt Investitionskapital aus den Industrieländern an. Betrug der Zufluß ausländischer Direktinvestitionen noch 1989 weniger als 5 Mrd. US-Dollar, so belief er sich 1991 bereits auf rund 14 Mrd. 10. Der Gesamtwert der amerikanischen Direktinvestitionen beispielsweise hat sich von 36, 8 Mrd. US-Dollar im Jahr 1986 auf 72, 5 Mrd. im Jahr 1990 verdoppelt, wovon Mexiko am meisten profitieren konnte Die Kapitalflucht der achtziger Jahre scheint sich ebenfalls umzukehren. Nach Jahren des Kapitalabzugs war Lateinamerika im vergangenen Jahr wieder ein Nettokapitalimporteur
Für die Wirtschaftserholung der Region ausschlaggebend sind jedoch die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Industrieländer in der Hand haben. Hier zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre, daß der Spielraum für Wachstumsimpulse von außen nicht sehr groß ist.
IV. Neue Entwicklungen in den Außenwirtschaftsbeziehungen
Abbildung 6
Tabelle 4: Bruttoinvestitionen (durchschnittliche Jahreszunahme in Prozent) Quelle: Inter-American Development Bank (Anm. 2), S. 267.
Tabelle 4: Bruttoinvestitionen (durchschnittliche Jahreszunahme in Prozent) Quelle: Inter-American Development Bank (Anm. 2), S. 267.
1. Probleme auf dem Weltmarkt Das Kreditrisiko bleibt ein Hindernis beim Zugang zu den internationalen Finanzmärkten. Doch hat sich zusätzlich seit Beginn der neunziger Jahre die globale Konkurrenz im Handel und bei der Kapitalversorgung verschärft. So sind die Vereinigten Staaten für die Bewältigung ihrer externen und internen Wirtschaftsungleichgewichte selbst auf die internationalen Handels-und Kapitalmärkte angewiesen und haben für finanzpolitische Hilfeleistungen kaum noch Spielraum. Die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes bindet Ressourcen in Westeuropa, und die Investitionsbedürfnisse in den osteuropäischen Wirtschaften steigern zusätzlich die Nachfrage nach verfügbarem Kapital. Unterdessen steigt in den lateinamerikanischen Ländern zwar der Wille zu Handelsliberalisierungsmaßnahmen, aber die Erschließung von neuen Handelsverbindungen ist schwierig. Die Exportaussichten werden durch das niedrige Wirtschaftswachstum in den Industrieländern, durch niedrige Rohstoffpreise und nicht zuletzt durch den noch offenen Ausgang der Verhandlungen über eine Handelsliberalisierung im GATT (Allgemeines Zoll-und Handelsabkommen) in Frage gestellt. Diese Unsicherheitsfaktoren haben bewirkt, daß das Interesse an einer Vertiefung der Außenwirtschaftsbeziehungen insbesondere zu den Vereinigten Staaten (als dem wichtigsten Wirtschaftspartner) sowie an einer stärkeren regionalen Integration erheblich gestiegen ist und seit 1990 konkrete Schritte in diese Richtung unternommen wurden. 2. Ansätze zur regionalen Handelsintegration Bereits in den sechziger und siebziger Jahren experimentierten lateinamerikanische Regierungen mit wirtschaftlichen Integrationsprogrammen (LAFTA,. Andean Pact, Central American Common Market). Obwohl viele nationale Märkte für effiziente Industrieproduktionen zu klein sind, fehlte bei die-sen Vorhaben der politische Wille, die mit einer Rationalisierung auf regionaler Ebene verbundenen Anpassungen nationaler Produktionsstrukturen durchzusetzen. Insbesondere die größeren Länder befürchteten, daß ihre zukünftige industrielle Entwicklung nicht durch Eigenanstrengungen, sondern durch die politische Notwendigkeit einer Verteilung von Wachstumsgewinnen unter den teilnehmenden Wirtschaftspartnem bestimmt würden. Dies hatte unter anderem zur Folge, daß sich lange Zeit der intraregionale Austausch von Emährungsgütem und Rohstoffen viel stärker entwickeln konnte als der von Fertigungswaren, für die einzelne Länder zum Schutz ihrer heranwachsenden Industrien hohe Zölle und andere Restriktionen beibehielten. Und was erreicht wurde, fiel in den achtziger Jahren der Schuldenkrise zum Opfer. Die Krise führte zu weiteren Importrestriktionen bei gleichzeitiger Steigerung der Exporte auf die Märkte der Industrieländer und bewirkte eine Reduzierung des intraregionalen Handels.
Derzeit gibt es für den Ausbau der regionalen Wirtschaftsbeziehungen wieder günstigere Bedingungen. Zum einen wird in der Schaffung größerer Regionalmärkte eine Möglichkeit gesehen, ein weiteres Zurückbleiben des Produktionsstandorts Lateinamerika zu verhindern, vor allem gegenüber den Schwellenländem im asiatischen Raum. Zum anderen gibt es hierfür neuerdings auch politische Unterstützung durch die amerikanische Regierung, die sich für die langfristige Schaffung einer Freihandelszone der gesamten westlichen Hemisphäre (d. h.des amerikanischen Doppelkontinents) ausgesprochen hat. Die Verhandlungen zwischen Mexiko, den Vereinigten Staaten und Kanada zur Bildung einer trilateralen Freihandelszone bilden den ersten Schritt in diesem Prozeß. 3. Die amerikanisch-mexikanische Freihandelsinitiative Eine pessimistische Einschätzung der Möglichkeiten, seine Außenwirtschaftsbeziehungen mit West-europa ausbauen zu können, und die wachsende Sorge, von den sich bildenden regionalen Handelsblöcken in Nordamerika und Europa ausgeschlossen zu werden, veranlaßte Mexiko, die Bush-Administration 1990 -erfolgreich -um Verhandlungen über ein North American Free Trade Agreement (NAFTA) zu ersuchen Mexiko ist bereits der drittgrößte Handelspartner der USA. Etwa 70 Prozent seiner Gesamtausfuhren entfallen auf die USA, während es umgekehrt die Hälfte aller amerikanischen Ausfuhren nach Lateinamerika aufnimmt. Im Zuge einer verstärkten Exportförderung hat Mexiko seit Mitte der achtziger Jahre seinen bilateralen Handel mit den Vereinigten Staaten besonders stark ausbauen und dadurch eine besonders erfolgreiche Wachstumspolitik betreiben können.
Die Nähe zum eigenen Markt sowie die aus niedrigeren Löhnen resultierenden Kosteneinsparungen haben Mexiko als Produktionsort für amerikanische Hersteller attraktiv gemacht. Dies führte bereits in den sechziger und siebziger Jahren zum Aufbau der sogenannten „Maquiladora-Industrie“, d. h. von Montagefabriken entlang der amerikanisch-mexikanischen Grenze, die zumeist US-Firmen gehören und derzeit rund 500 000 Mexikaner beschäftigen. Fast 75 Prozent des bilateralen Handels bestehen aus Fahrzeugteilen, Elektronikprodukten, Maschinen und anderen Industriegütern im Rahmen des Maquiladora-Programms. Die meisten amerikanischen Großkonzeme, wie General Motors, Ford, Chrysler, General Electric, Lockheed und Honeywell, haben Maquiladoras. Mit insgesamt über 30 Fertigungsanlagen ist General Motors der größte Arbeitgeber in Mexiko, noch vor Pemex, dem staatlichen Ölmonopol Wenngleich sich diese Industrie für Mexiko als Quelle von Arbeitsplätzen und Exporterlösen erwiesen hat, sieht sich doch das Land dadurch auch wachsenden Problemen gegenüber: In den Grenzstädten ist die Infrastruktur überlastet, Luft-und Wasserverschmutzung nehmen zu.
Zwar ist das mexikanische Wirtschaftswachstum bisher vor allem auf die Maquiladora-Niederlassungen zurückzuführen, aber das Land ist heute aufgrund der sich global verändernden Lohnkostenrelationen insgesamt in einer guten Ausgangslage, um als Standort für arbeitsintensive Produktionen mit den südostasiatischen Schwellenländem konkurrieren zu können. Eine überbewertete Währung trieb die mexikanischen Löhne einst weit über das Durchschnittsniveau der Entwicklungsländer hinaus. Nach einem durch Abwertungen und Lohnkontrollen bewirkten drastischen Rückgang im Laufe der achtziger Jahre lie-gen die mexikanischen Lohnkosten im verarbeitenden Gewerbe inzwischen deutlich unter den Lohnkosten in den dynamischen Volkswirtschaften Hongkongs, Singapurs, Taiwans und Südkoreas (vgl. Tabelle 5). Eine ähnliche Entwicklung ist auch für Brasilien und andere Länder der Region auszumachen. Insgesamt gesehen verschaffen überdurchschnittliche Erfolge beim Wirtschaftswachstum sowie die aus einer möglichen Freihandelszone mit den USA abzuleitenden Handelsvorteile Mexiko jedoch einen Vorsprung beim regionalen Wettbewerb um Investitionen.
Mexiko erhofft sich von der NAFTA zusätzliche Gewinne für Handel und Direktinvestitionen, die eine geographisch ausgeglichene Entwicklung seiner Wirtschaft fördern und der starken Migration arbeitssuchender Mexikaner in die Vereinigten Staaten entgegenwirken könnten. Für die US-Wirtschaft, so eine Studie der amerikanischen Handelskommission, würde das NAFTA unmittelbar weder besondere Belastungen noch Vorteile bringen Dennoch stoßen die seit 1991 laufenden Verhandlungen auf große Vorbehalte. Insbesondere die amerikanischen Gewerkschaften befürchten, daß billige mexikanische Einfuhren die Löhne im eigenen Land drücken und zu Entlassungen führen würden. Andere Einwände beziehen sich auf vermeintliche unfaire Vorteile, die Mexiko aufgrund seiner mangelhaften Arbeitsrechtsbestimmungen sowie Sicherheits-und Umweltschutzauflagen als Produktionsstandort amerikanischer Firmen haben könnte. Ein weiterer Streitpunkt ist, inwieweit das NAFTA den Zugang zum amerikanischen Markt auch für die derzeit verstärkt in Mexiko investierenden Drittländer erleichtern würde.Diese Sorge gilt insbesondere Japan. Die Forderung der amerikanischen Textil-und Autoindustrie nach strikten Ursprungsregelungen für die Freihandelsprodukte -um zu verhindern, daß Waren mit billigen asiatischen Produktkomponenten über Mexiko zollfrei nach Amerika gelangen -steht im Gegensatz zu den Bemühungen Mexikos, sich einen möglichst großen Zufluß von Auslandskapital zu verschaffen.
Die Bush-Administration versucht sich die politische Unterstützung für das Abkommen zu sichern, indem sie hohe Anforderungen an eine Liberalisierung des mexikanischen Marktes stellt. Obwohl es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sicher ist, ob der amerikanische Kongreß das möglicherweise noch in diesem Jahr zustande kommende Abkommen bewilligen wird, hat die Verhandlungsinitiative bereits wirtschaftliche Antriebskräfte in Gang gesetzt. Die Direktinvestitionen in Mexiko steigen. Amerikanische Firmen haben damit begonnen, Teilproduktionen aus den asiatischen Schwellenländern nach Mexiko zu verlegen und neben weiteren Maquiladora-Fabriken auch vollständig integrierte Produktionsanlagen aufzubauen.
4. Die „Enterprise-for-the-Americas“ -Initiative
Seitdem die Kennedy-Administration vor 30 Jahren die sogenannte „Alliance for Progress“ verkündete, ist keine politische Initiative der Vereinigten Staaten auf soviel positive Resonanz in der Region gestoßen wie die von Präsident Bush im Juni 1990 verkündete sogenannte „Enterprise-for-the-Americas“ -Initiative (EAI). Nachdem Lateinamerika früher hauptsächlich aus sicherheitspolitischen Gründen von vitaler Bedeutung für die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten war, will Washington nun dessen wirtschaftlichen Problemen mehr Aufmerksamkeit schenken.
Die im Rahmen der EAI angebotene Wirtschaftskooperation umfaßt drei Komponenten. Erstens erklären die USA sich bereit, mit einzelnen Ländern einen Nachlaß ihrer Schulden bei der US-Regierung, die sich für die Region auf insgesamt 12 Mrd. US-Dollar belaufen, auszuhandeln. Dies würde vorwiegend den karibischen und zentralamerikanischen Ländern zugute kommen, deren Schulden sich weitgehend aus öffentlichen Krediten der USA zusammensetzen. Zweitens soll ein neuer Investitionsfonds der Inter-American Development Bank private Investitionsprojekte in Ländern finanzieren helfen, die ihre Investitionspolitiken bereits weitgehend liberalisiert haben. Drittens hat sich die Bush-Regierung bereit erklärt, nach Mexiko auch mit anderen Ländern Freihandelsabkommen auszuhandeln, mit dem langfristigen Ziel, eine Freihandelszone der gesamten westlichen Hemisphäre zu schaffen.
Das amerikanische Eigeninteresse an einer Wirtschaftserholung der Region ist nicht zu übersehen. Nachdem der wirtschaftliche Zusammenbruch der Region das eigene Bankensystem geschwächt und die USA Exporte sowie Arbeitsplätze gekostet hat, werden Lateinamerika und die Karibischen Inseln heute als der regionale Markt mit den besten Chancen für die Verstärkung der eigenen Exportleistung und internationalen Wettbewerbsfähigkeit eingeschätzt. In den exportabhängigen Wirtschaften Asiens wird das stärkere außenwirtschaftspolitische Engagement der USA in Lateinamerika angesichts der schwierigen Handelsliberalisierungsgespräche im GATT mit Sorge verfolgt. Die Europäer haben die US-Initiative hingegen begrüßt. Um zu zeigen, daß sie ihre globalen Verpflichtungen trotz der Entwicklungen in Osteuropa weiterhin wahrnehmen wird, hat die EG in den letzten Jahren bereits ihre Entwicklungshilfeleistungen für die ärmeren lateinamerikanischen Länder erhöht, und sie wird sich in einem begrenzten Rahmen auch an der Finanzierung des US-Plans beteiligen. Unter den Regierungen Lateinamerikas hat die EAI hohe Erwartungen auf eine schnelle Verbesserung der Handels-und Wirtschaftsbeziehungen mit den USA geweckt. Vor al-lem die ärmeren Länder in der Karibik und in Zentralamerika befürchten jedoch zu Recht, daß ein amerikanisch-mexikanisches Freihandelsabkommen sie um ihre derzeitigen Exportvorteile aus verschiedenen Handelspräferenzabkommen mit den USA bringen wird.
Obwohl vor allem die Bildung einer Freihandelszone die Wirtschaftsleistung und Wettbewerbsfähigkeit der Region stärken würde, wird sich diese Vision vor Ende dieses Jahrzehnts kaum umsetzen lassen. Als ersten Schritt haben die Vereinigten Staaten inzwischen mit fast allen Staaten Lateinamerikas bilaterale Rahmenabkommen zur Behandlung von Handels-und Investitionsfragen abgeschlossen. Für die finanzpolitische Komponente des Schuldennachlasses und der Investitionsförderung steht das notwendige Plazet des amerikanischen Kongresses noch aus. Zumindest auf kurzfristige Sicht liegt damit die Bedeutung der EAI hauptsächlich in der Funktion, die lateinamerikanischen Regierungen zur Fortsetzung ihrer eigenen Liberalisierungspolitik anzuhalten.
Die EAI hat mehrere Länder Lateinamerikas dazu motiviert, neue Abkommen zur Stärkung regionaler Handelsbeziehungen zu vereinbaren und die Zeitpläne zur Verwirklichung bereits bestehender Integrationsvorhaben zu beschleunigen. Die Andenstaaten Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela wollen noch in diesem Jahr eine Freihandelszone bilden. Der Plan sieht gemeinsame Außenzölle sowie die Liberalisierung der Investitionspolitiken und die gegenseitige Anerken-nung von Rechten an geistigem Eigentum vor. Im März 1991 vereinbarten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay die Schaffung eines gemeinsamen Marktes (MERCOSUR) bis Ende 1994. Mexiko, Kolumbien und Venezuela wollen bis 1995 ebenfalls alle Beschränkungen im gegenseitigen Handel abbauen. Diese Bemühungen verschiedener Staatengruppen befinden sich zumeist noch in den Anfängen. Sie könnten die Schaffung einer Freihandelszone der gesamten westlichen Hemisphäre jedoch beschleunigen, zumal die bereits erfolgte Stärkung des Privatsektors die Integrationspolitik erleichtert und die Vereinigten Staaten es ihrerseits vorziehen, über eine Liberalisierung des gegenseitigen Handelsaustausches mit Ländergruppen zu verhandeln. Sollte das Freihandelsabkommen mit Mexiko nicht zustande kommen, würde dies wohl auch das Ende der EAI bedeuten.
V. Langfristige Perspektiven
Abbildung 7
Tabelle 5: Stundenlohn im verarbeitenden Gewerbe (Index USA = 100) Quelle: US-Bureau of Labor Statistics, International Comparisons of Hourly Compensation Costs for Production Workers in Manufacturing 1975-1989, US Department of Labor, Washington D. C., September 1990.
Tabelle 5: Stundenlohn im verarbeitenden Gewerbe (Index USA = 100) Quelle: US-Bureau of Labor Statistics, International Comparisons of Hourly Compensation Costs for Production Workers in Manufacturing 1975-1989, US Department of Labor, Washington D. C., September 1990.
Rund zehn Jahre nach Ausbruch der Verschuldungskrise scheint der Anfang einer neuen Wachstumsphase endlich erreicht zu sein. Zwar ist das Schuldenproblem keineswegs gelöst, doch haben eine verstärkte ExportOrientierung, der Abbau von Haushaltsdefiziten und erste Erfolge bei der Mobilisierung von Investitionen den Spielraum für eine Senkung der Schuldenbelastung erweitert.
Derzeit liegt das Wirtschaftswachstum der Region noch weit unter der Leistung, die notwendig ist, um die Schulden abbauen und gleichzeitig den Lebensstandard der Bevölkerung verbessern zu können. Soll die politische und soziale Stabilität bewahrt werden, werden die Regierungen sich jedoch verstärkt um eine Minderung der sozialen Not bemühen müssen. Die Ereignisse in Haiti, der Militärputschversuch in Venezuela und die jüngste Regierungskrise in Peru sind in diesem Sinne als Warnung zu verstehen.
Wenn sich der Wirtschaftsaufschwung in den kommenden Jahren fortsetzen soll, ist eine weitere Verbesserung der Kapitalversorgung von außen erforderlich. Da die derzeitigen Privatisierungsmaßnahmen nur begrenzt als Kapitalquelle dienen können und die meisten Länder ihre Bonität auf den internationalen Kreditmärkten erst wiederherstellen müssen, geht es hierbei vor allem um Sicherung von Direktinvestitionen. Die Bemühungen um regionale Integration sind als ein Zwischenschritt in die Richtung einer besseren Integration der Region in die Weltwirtschaft durchaus zu begrüßen und können zusätzliche Wachstumsimpulse liefern. Sollten die im Rahmen der Uruguay-Runde laufenden Bemühungen um eine Liberalisierung des Welthandels fehlschlagen, könnte Lateinamerika wenig Alternativen haben, um sich weiteren Zugang zu den Märkten der Industrieländer zu verschaffen. Unter diesen Bedingungen wäre es allerdings unwahrscheinlich, daß die Region auf den Pfad des hohen Wirtschaftswachstums der Nachkriegszeit zurückfindet.
Barbara A. Fliess, M. A., geb. 1956; Senior Economist und Spezialistin für Handelsfragen bei der Wirtschaftsberatungsfirma Economists Inc., Washington. Veröffentlichungen u. a.: Die Vereinigten Staaten zwischen Protektionismus und Liberalisierung. Handelsdiplomatie im Vorfeld der Uruguay-Runde, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen 1991; Zur Weltwirtschaftsstellung der USA, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49/90; Beiträge in Fachzeitschriften zu US-amerikanischen und internationalen Wirtschaftsfragen.
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