I. Frauen und Politik
Das 20. Jahrhundert wird gern das „Jahrhundert der Frauen“ genannt. Und tatsächlich können wir -zumindest in den westlichen Industrienationen -eine weitgehend rechtlich fixierte und politisch gestützte Anerkennung der Frauen als gleichwertige Staatsbürgerinnen als einen historischen Fortschritt gegenüber früher verzeichnen.
Auch die politische Präsenz von Frauen in der Öffentlichkeit ist bei uns mittlerweile unübersehbar geworden -sei es durch ihre zunehmende Erwerbstätigkeit, ihre hohe Wahlbeteiligung oder durch die öffentlich geführten Debatten um Forderungen der Frauenbewegung. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ist heute der Anteil der Parlamentarierinnen im 12. Deutschen Bundestag auf über 20 Prozent geklettert, und zu keinem Zeitpunkt standen Frauen so im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit.
Daher fällt die Diskrepanz zwischen der zunehmenden politischen Bedeutung von Frauen und deren minimaler wissenschaftlicher Reflexion besonders, ins Auge. Die bundesdeutsche Politikwissenschaft z. B. pflegt immer noch eine vornehme Zurückhaltung gegenüber Frauenthemen und geschlechtsbezogenen Fragestellungen Dabei existieren bereits bei oberflächlichem Hinsehen auffällige Unterschiede im politischen Verhalten zwischen Männern und Frauen sowohl in der poli-tischen Partizipation als auch bei der Thematisierung dessen, was als „politisch“ anzusehen ist -Unterschiede, die eine Fülle von Fragen aufwerfen: Sind Frauen weniger an Politik interessiert als Männer? Haben Frauen einen anderen Bezug zur Politik? Werfen sie andere Themen auf? Was verstehen Frauen, was verstehen Männer unter Politik? Welche Assoziationen haben sie, wenn sie nach ihrem politischen Interesse, nach ihrem politischen Engagement, ihrem Wahlverhalten befragt werden? Und was halten wir von einer 16jährigen, die sagt, sie kümmere sich nicht um Politik, die aber gleichzeitig Unterschriften für Greenpeace sammelt?
Auch die Frauenforschung tut sich schwer, diese Fragen zu beantworten. Erst in jüngerer Zeit finden sich vereinzelt Studien zur politischen Partizipation von Frauen Diese richten ihr Augenmerk nunmehr speziell auf die Mitwirkung und Teilnahme von Frauen an den herkömmlichen politischen Institutionen und Spielregeln und leisten damit Überfälliges. Darüber hinaus fällt in der Bundesrepublik eine wachsende politische Beteiligung von Frauen auch außerhalb von etablierten politi-sehen Institutionen und Parteien ins Auge: In außerparlamentarischen Zusammenschlüssen der autonomen Frauenbewegung, aber auch in anderen neuen sozialen Bewegungen wie Friedens-, Ökologie-oder Bürgeriniativbewegung, sind oder waren Frauen überproportional vertreten, und Beobachterinnen konstatieren, sie brächten ein „anderes“ Verständnis von Politik und Macht in die öffentliche Diskussion
Was denn dieses „andere“ ausmachen könnte, darüber gibt es mittlerweile die heftigsten Auseinandersetzungen, die weit über feministische Selbsterfahrungsgruppen hinausgehen. Eine Welle von Seminaren zum Thema „Frauen und Politik“ oder zu einem „weiblichen Machtverständnis“ flutete in den vergangenen fünf Jahren in Universitäts-und Volkshochschulhörsäle, in Arbeitskreise von Gewerkschaften und Verbänden. Und es gibt keine Partei, die nicht mindestens eine Jahrestagung zur „Frauenpolitik“ unter Aufbietung allerhöchster Mandatsträger abgehalten hätte. Selbst die katholische Kirche erlaubte ihren Frauenverbänden, die Frage nach der Macht zu stellen und in Evangelischen Akademien entdeckten Mitarbeiterinnen „die unentdeckte Kraft von Mädchen und Frauen“
Dennoch existiert in den Köpfen namhafter und einflußreicher Wissenschaftler nach wie vor das alte Bild von der „unpolitischen“ Frau und der „schlechteren Demokratin“. Speziell die Politikwissenschaft und die politische Soziologie arbeiten überwiegend noch mit diesem Stereotyp. Erst allmählich zeichnen sich Korrekturen ab. „Das Private ist politisch“ skandierte die Frauen-bewegung vor 20 Jahren und meinte damit die überfällige öffentliche Thematisierung von Abhängigkeitsverhältnissen im privaten Bereich, deren Folgen zu Lasten von Frauen und Kindern gingen. Themen wie Hausarbeit, Gewalt in der Partnerschaft, Sexualität, Körperlichkeit wurden von Frauenbewegung und Frauenforschung in die Diskussion geworfen. Es ging um die Anerkennung der Geschlechterdifferenz und der traditionell der Privatsphäre zugeordneten und gern übersehenen „Reproduktionsleistungen“ von Frauen. Feministinnen skandalisierten damit die Unterdrückungsund Gewaltverhältnisse in der Familie als politische sowie die Grenzziehung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit.
Der Schwerpunkt zahlreicher Dokumentationen, Autobiographien und oral-history-Studien von Frauenforscherinnen lag auf dem Nachweis, daß nicht nur die tägliche Politik, sondern auch der traditionelle Politikbegriff die Arbeit und das Leben von Frauen nur unzureichend erfaßt. Herkömmlich werde unter Politik bloß das verstanden, was in der Öffentlichkeit seinen ihm zugewiesenen Platz habe. Ein solches Verständnis setze -so die Kritik -die Trennung und die unterschiedliche Bewertung der Bereiche Öffentlichkeit und Privatheit weiter fort.
Frauenforscherinnen reklamierten demgegenüber ein umfassenderes Politikverständnis, in dem die angeblich nur private Reproduktionsarbeit nicht von der Politik abgekoppelt wird, sondern das -im Gegenteil -auf die Bedeutung der Interdependenz von Reproduktion und gesamtgesellschaftlicher Produktion hinweist.
Mich interessiert im folgenden, inwiefern die Politikwissenschaft die genannten Themen aufgenommen hat und ob sie dabei zu neuen Konzeptionalisierungen gekommen ist. Als erste befrage ich die Partizipationsforschung, ob und wie sie die politische Partizipation von Frauen und ihr politisches Interesse berücksichtigt. Anschließend stelle ich das Politikverständnis der Neuen Frauenbewegung vor und skizziere die Hauptlinien der Diskussion in der sozialwissenschaftlichen Frauenforschung, die an die Thesen der amerikanischen Psychologin Carol Gilligan anknüpft im Hinblick auf eine andere Moralauffassung von Frauen.
II. Partizipationsforschung
Frauen in der Politik, ihr politisches Engagement, ihre Motivation zu politischer Arbeit, ihre Bedeutung und ihr Einfluß innerhalb von politischen Institutionen wie Parteien, Parlament oder Regierung, ihre geringe numerische Repräsentanz, die möglichen Ursachen und Bedingungen für ihre politische Randstellung sowie die Auswirkungen auf das gesamte politische System gehören immer noch zu den Fragestellungen, die selten systematisch theoretisch oder empirisch untersucht werden. Zunächst ist auffällig, daß es zu der Thematik „Frauen und Politik“ im bundesdeutschen Kontext überhaupt nur wenige relevante Studien gibt. Daher werden die frühen Arbeiten aus den fünfziger und sechziger Jahren von Gabriele Bremme (1956), Mechthild Fülles (1969), Margarethe Heinz (1971) oder Hannelore Mabry (1971) auch in neueren Arbeiten (z. B. Hoecker 1987) immer wieder herangezogen (s. Auswahlbibliographie im Anhang), obgleich sie sowohl vom theoretischen Ansatz, von den Erhebungsmethoden als auch natürlich von den Daten her veraltet sind. Bemerkenswert für die Bundesrepublik ist ebenso, daß die Arbeiten, die sich überhaupt des Themas annehmen, dies unter der Fragestellung tun, welche Probleme als Ursachen für die niedrige Repräsentanz von Frauen in politischen Gremien anzuführen seien. Dieser Ansatz wird allgemein mit dem Nachweis verbunden, welche Defizite im politischen Engagement Frauen aufweisen
Von der älteren Partizipationsforschung, die vor allem durch US-amerikanische Studien aus der politischen Soziologie beeinflußt worden ist (Almond/Verba 1963, Verba/Nie 1972), wurde politische Beteiligung an Kriterien gemessen wie: -politisches Interesse, politische Informiertheit; -Häufigkeit der Teilnahme an politischen Diskussionen; -Teilnahme an politischen Versammlungen;
-Wahlbeteiligung;
-Bereitschaft, einer Partei beizutreten;
-Mitgliedschaft in einer politischen Partei u. ä., bei denen stets bei Frauen ein Defizit festgestellt wurde (Verba/Nie/Kim 1978, Heinz 1971, Bernadoni/Wemer 1983). Undiskutiert blieb die Frage, ob für Frauen die herkömmliche Politik und ihr Bild in der Öffentlichkeit dazu beigetragen haben, daß sie sich weniger beteiligen.
Heute wird -im Zuge der neuen sozialen Bewegungen -politische Partizipation als Beteiligung in einem weiteren Sinne über den „Versuch der Einflußnahme auf einen politischen Willensbildungsund Entscheidungsprozeß“ hinaus (Buse u. a. 1978) als umfassendes Engagement der Bürgerinnen an sozialen Prozessen -wie Meinungsbildungs-und Entscheidungsprozesse sowie gesellschaftliche und politische Aktivitäten in nicht-staatlichen Organisationen -verstanden. Diese Ausweitung des Partizipationsverständnisses zielt u. a. darauf ab, die politische Mitwirkung der Bürger als den normativen Schlüsselbegriff und den entscheidenden Maßstab für westliche Demokratien herauszuarbeiten. Politische Beteiligung wird nunmehr normativ bestimmt (und erhöht) sowie an Werte wie Selbstbestimmung und politische Mündigkeit geknüpft.
Zunächst wurde am herkömmlichen Partizipationsbegriff die Nichtberücksichtigung z. B.der Interessen von sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen kritisiert, sowohl was ihre Artikulationsfähigkeit anbelangt als auch die ihrer Organisations-und Konfliktfähigkeit. Daneben machte die frühe Pluralismuskritik die strukturelle Unterschiedlichkeit in der Berücksichtigung von gesellschaftlichen Interessen geltend (Marcuse 1964, Agnoli/Brückner 1968). Heute fällt bei beiden Ansätzen die Vernachlässigung der Thematisierung des Geschlechts als sozialer Kategorie für die Artikulation, Organisation und Konfliktfähigkeit von Interessen auf. Für die Bundesrepublik gilt noch heute, was Githens/Prestage vor 15 Jahren für die USA festgestellt hatten: „Until about a decade ago, the political behaviour of women was largely an unexplored area in literature of political science ... Indeed most studies either ignored women’s political participation or mentioned it only in passing.“
Im folgenden habe ich aus verschiedensten Studien-auch neueren, der Frauenforschung zuzuordnenden -Erklärungen zur Spezifik weiblicher politischer Partizipation gesammelt. Ich stelle hier die Defizit-Beschreibungen von Frauen selbst in den Mittelpunkt, die dort benannt werden. Diese greife ich heraus, weil mich interessiert, ob hinter diesen „Defiziten“ andere Inhalte und Forderungen an die Politik verborgen sind
Für die unterschiedliche politische Partizipation von Männern und Frauen werden exemplarisch folgende Erklärungen angeführt: -Frauen seien zu spät in den Bereich der Politik eingedrungen, die Strukturen seien bereits zu verfestigt gewesen (Bremme 1956);
-Frauen kämen zu spät nach Abschluß der Familienphase und nur über eine qualifizierte Berufstätigkeit in die Politik (Bremme 1956);
-Frauen lebten eher isoliert und hätten als Ehefrauen und Mütter keine Zeit, keine finanziellen Mittel und organisatorische Unterstützung, um in die Politik zu gehen (Almond/Verba 1965);
-Frauen marginalisierten sich weiterhin selbst durch spezielle Frauengruppierungen in den Parteien (Fülles 1969);
-Frauen besäßen kaum Lobbyistinnen im Vorfeld der Macht (Fülles 1969);
-Frauen seien durch das traditionelle Leitbild für Mädchen auf die unpolitische Hausfrau-und-Mutter-Rolle sozialisiert (Mabry 1971);
-Frauen hätten eine gleichgültige Einstellung gegenüber der demokratischen Ordnung (Heinz 1971);
-Frauen hindere ihr niedriges Bildungs-und Ausbildungsniveau, ihre berufliche Einseitigkeit aber auch die eigene Haltung der Passivität, Bequemlichkeit und Lethargie (Gast 1973); -Frauen hätten zu wenig Selbstbewußtsein und kaum Durchsetzungskompetenzen (Hagemann-White 1985);
-Frauen seien nicht verankert in politisch relevanten Vorfeldorganisationen (Hoecker 1987); -Frauen seien „fremd“ in der Politik und reflektierten und zementierten diese Fremdheit ungebrochen (Schöler-Macher 1991).
Eine gewisse Ähnlichkeit der Erklärungsmuster fällt ins Auge: Sie alle sprechen hauptsächlich die Negativ-Anteile der Frauen selbst an. Diese auffällige Eindimensionalität der Erklärungen lassen Forschungsbemühungen als notwendig erscheinen, die die potentielle Eigenwertigkeit und positive Besonderheit des politischen Engagements von Frauen berücksichtigen. Das Verhalten von Frauen in der Politik sollte nicht vor der Folie männlicher Präsenz und Aktivität relativiert werden, sondern ohne die Einengung einer es vorweg negativ bestimmenden Norm aus sich selbst heraus qualitativ und quantitativ bestimmt werden.
Diese Forderung richtet sich besonders an die Wahlforschung. An ihr möchte ich exemplarisch verdeutlichen, welche Normierungen von Weiblichkeit in Theorie und Methodologie der Politikwissenschaft noch immer vorhanden sind. In der Wahlforschung scheinen unveränderte Stereotype in den Erklärungen weiblichen Wahlverhaltens auf. Diese Behauptung möchte ich im folgenden anhand des Stichwortes „politisches Interesse“ belegen.
Das Interesse von Frauen an Politik Da der Politikwissenschaftler Klaus v. Beyme Recht hat mit seiner Feststellung: „bei der Untersuchung des Wahlverhaltens der Frauen haben Männer noch immer eine unangefochtene hegemoniale Stellung“ möchte ich deren immanente Weiblichkeitsvorstellungen und Kategorien in den Blick nehmen. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit Rechtsorientierungen oder Wahlenthaltungen von Mädchen und Frauen wird von der klassischen Umfrageforschung das sogenannte „weibliche Defizit an politischem Interesse“ in letzter Zeit wieder häufig angeführt. Forscher machen für die auffällig geringere Wahlunterstützung der Parteien der Neuen Rechten durch Frauen deren angeblich „stark unterschiedliches Interesse an Politik“ verantwortlich
Hier wird durchweg recht unkritisch ein wenig präziser und unanalytisch eingeführter, meist auf Um-fragebögen kursierender Begriff von politischem Interesse bzw. Desinteresse übernommen So nennt z. B.der Gewaltforscher Kurt Möller bei seiner Suche nach den Ursachen für die relativ geringe „geschlechtsspezifische Anfälligkeit für Rechtsextremismus“ bei Mädchen und Frauen ihre „hohe Wahlabstinenz und ihr verbreitetes politisches Desinteresse“, ohne dieses kategorial aufzuschlüsseln oder in der jeweiligen Logik zu hinterfragen Apokalyptische Visionen von „Beutezügen“ rechter Gruppen im Nichtwählerinnenbereich runden dann die vorschnellen Interpretationen weiblichen Wahlverhaltens ab.
In der Wahlforschung wird darüber hinaus den Frauen aus dem eigentlich erfreulichen Tatbestand ihrer größeren Distanz zu undemokratischen Parteien der Neuen Rechten ein interpretatorischer Strick gedreht: Frauen interessierten sich eben zu wenig für Politik. Im Umkehrschluß hieße dies, daß sie -wäre ihr politisches Interesse größer-auch verstärkt rechts wählen würden. Ein wenig überzeugender Gedanke!
Auch die Allensbach-Untersuchung zu den „Motiven junger Nichtwählerinnen“ bei der Bundestagswahl 1987 bezieht sich vor allem auf das mangelhafte politische Interesse als den entscheidenden Indikator, um das „Defizit an politischer Partizipation“ (hier i. S. von Wahlbeteiligung gemeint) bei jungen Frauen zu erklären Bei der auffälligen Skepsis von Frauen gegenüber dem, was landläufig mit Politik assoziiert und bei den Umfragen als politisches Interesse (miß) verstanden wird, müßte es eigentlich überraschen, daß es in den Altersgruppen 25 bis 60 Jahre eine fast identische Wahlbeteiligung von Männern und Frauen gibt Also kann das politische Interesse nicht der ausschlaggebende Faktor für die Wahlbeteiligung sein.
Die Shell-Studie von 1985 erwähnt ebenso wie die jüngst veröffentlichte erste gesamtdeutsche Umfrage zum Thema „Die Deutschen und die Gleichberechtigung“, daß „das Interesse an Politik die bekannte Abhängigkeit vom Geschlecht der Befragten“ zeige Leider werden aber auf die eigentlich interessante Frage nach den Gründen dieser Abhängigkeit die Daten noch nicht einmal geschlechtsspezifisch erhoben. So erstaunt es denn auch wenig, daß es in der Repräsentativumfrage aus dem Ministerium für Frauen und Jugend heißt, neben den Frauen besäßen „die Anhänger der GRÜNEN im Westen am wenigsten Interesse an Politik, während umgekehrt CDU/CSU-und FDP-Anhänger sich am häufigsten für Politik interessierten“ Hier stellt sich doch die Frage, ob es sich nicht um ein Interesse ausschließlich an den herkömmlichen Formen und Institutionen der Politik handeln könnte.
Mußten früher die „weibliche Emotionalität“ und die „weibliche Natur“ des Bewahrens als anthropologische Konstanten das Wahlverhalten belegen, so wird dies heute vom angeblich fehlenden politischen Interesse als Erklärungsmuster weiblicher politischer Partizipation abgelöst. Es wird bei Frauen ein Weniger festgestellt, anstatt zu erwägen, ob und warum Frauen möglicherweise ein Interesse an anderen politischen Institutionen, anderen Stilen und Inhalten besitzen
Der traditionelle Politikbegriff Mir ist wichtig, an dieser Stelle der Frage nachzugehen, inwiefern das geäußerte politische Interesse oder Desinteresse von Frauen mit einem bestimmten Verständnis von Politik zu tun haben mag. Ich vermute, daß allen Fragen nach dem politischen Interesse ein traditioneller, enger Politikbegriff zugrunde liegt, der sich primär an institutionalisierter Partei-oder Regierungspolitik -mit ihren getrennten Zuständigkeiten nach Ressorts -orientiert oder an dem, was die Redaktionen unserer Medien darunter verstehen.
Die größere Distanz zu den alltäglichen politischen Ritualen von zunehmenden Teilen der Bevölkerung darf nicht mit politischer Apathie verwechselt werden Die wachsende Zahl der Nichtwählerinnen verstehen ihre Wahlenthaltung durchaus als bewußten Akt, für den sie eine Fülle unterschiedlicher Gründe besitzen. In der neuesten Tübinger Untersuchung zur Wahlenthaltung wird denn auch „die selbstbewußte Abkehr von Frauen von einer männlich dominierten politischen Arena“ genannt
Dem angeblich politischen Desinteresse widerspricht auch, daß Frauen in außerparlamentarischen Bewegungen der achtziger Jahre die Mehrheit ausmachten. Zudem weisen Frauen in Umfragen mehrheitlich kritischere Haltungen als Männer zu gesellschaftlichen Problemlagen auf. Sie äußern sich beispielsweise skeptischer zu Abrüstungserfol-gen, Friedenssicherung und vor allem zur Wirtschaftsentwicklung. So folgert auch Juliane Jacobi aus Befunden der Jugendforschung: „Junge Frauen interessieren sich wesentlich mehr und engagieren sich wesentlich mehr für neue Politik und wesentlich weniger im Rahmen von konventioneller Pohtik.“
Andere Untersuchungen zum sozialen und politischen Engagement von Frauen zeigen, daß diese ein großes gesellschaftspolitisches Aktivitätspotential in Bereichen ausagieren, die sie selber nicht als politisch bezeichnen würden, die aber sehr wohl politische sind im Sinne von gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen Insofern kann man die 16jährige, die Unterschriften für Greenpeace sammelt, sehr wohl als politisch interessiert und handelnd einstufen -obwohl sie selbst die schlichte Frage nach dem politischen Interesse wahrscheinlich verneinen würde. Manche Frauen -die Vermutung liegt nahe -wollen sich eventuell auch abgrenzen gegenüber der „schmutzigen“ offiziellen Politik, die „Männersache“ sei
Die „Fremdheit von Frauen in der Politik“ (Schöler-Macher) und die Erfahrung von Verlusten, die Frauen auch in der Erwerbssphäre machen als so-genannte Grenzgängerinnen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, münden in eine Kritik an einer institutioneilen Politik, die die Lebenspraxis von Frauen strukturell, d. h. wie sie organisiert ist, und inhaltlich, d. h. was sich in ihr abspielt, übergeht
Der traditionelle Politikbegriff kann mit seiner klaren Trennung in Ressortzuständigkeiten die zunehmende Komplexität moderner Gesellschaften kaum noch erfassen. Aktuelle Themen wie Ökologie, Familie, Gewalt, Demokratie liegen quer zu diesen. Man muß heute von unterschiedlichen Politikverständnissen ausgehen: von einem weiteren, institutionell-übergreifenden Politikbegriff innerhalb der Frauenbewegung, der potentiell alles (Private) auch als politisch wahrnimmt, und einem engeren, „männlich“ geprägten, traditionellen, auf Institutionen bezogenen Politikbegriff. Diesen benutzen Frauen teilweise selbst, wenn sie sich als politisch eher desinteressiert bezeichnen, ohne ihr soziales Engagement miteinzubeziehen 24, und er liegt auch der Umfrageforschung zugrunde.
Um das politische Interesse von Frauen angemessener beurteilen zu können, müßten also ihr soziales Engagement und Interesse mitberücksichtigt und der traditionelle Politikbegriff, der den Bereich des Nichtöffentlichen übersieht, verabschiedet werden. Aus diesem Grunde stelle ich im folgenden das Politikverständnis der Neuen Frauen-bewegung vor. Vielleicht liegen hier Ansätze, die auch für die traditionelle Partizipations-und Wahl-forschung nutzbar gemacht werden können.
III. Das Politikverständnis der Neuen Frauenbewegung
Wie keine andere soziale Bewegung hat die Frauenbewegung in den USA und in Westeuropa Probleme der persönlichen Beziehungen ins Zentrum ihrer politischen Auseinandersetzung gerückt und als Basis von Kritik und Widerstand genommen. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Verfügung über den weiblichen Körper sind seit Beginn der siebziger Jahre zentrale Themen in Theorie und Praxis der Frauenbewegung.
Neben die Kritik an der Fremdbestimmung weiblicher Sexualität und der alltäglichen Gewalt gegen Frauen trat die Auseinandersetzung mit sozialistischen Positionen sowie die Herausarbeitung einer Kritik an den herrschenden Macht-und Eigentumsverhältnissen des Patriarchats. Der Anfang der Frauenbewegung war antistaatlich. Bestimmend war die Einsicht, daß Frauenunterdrückung jenseits kapitalistischer Eigentumsverhältnisse an ein ältere und tiefsitzende Tradition anknüpft. In keiner existierenden Gesellschaftskritik -so der Vorwurf -wurde der private Reproduktionsbereich auf die darin enthaltenen Dominanz-und Abhängigkeitsstrukturen hin radikal genug hinterfragt.
Mit dem Slogan: „Das Private ist politisch!“ erweiterten Feministinnen die öffentliche Diskussion um bislang von der Privatsphäre verdeckt gehaltene Probleme, die aber auch politisch-gesellschaftlich durchaus relevant sind: Themen wie Liebe, Sexualität, Hausarbeit, Beziehungsmuster u. ä. galten bislang als naturhaft-fixiert oder privat-unberechenbar. Erst die Frauenbewegung hat sie zum politischen Thema gemacht. Feministinnen attackierten damit das herrschende politische Gedankengebäude, das -nach dualistischen Prinzipien strukturiert -die Sphäre der Privatheit, der Frauen, als unpolitisch aus dem öffentlichen Diskurs ausblendet.
Es ging der Frauenbewegung vorrangig um die Selbst-und Neubestimmung all dessen, was als politisch relevant anzusehen sei. Da es hierbei in den vergangenen 20 Jahren höchst kontroverse Positionen und Definitionen gegeben hat, sollen im folgenden die einschlägigen Studien aus der sozialwissenschaftlichen Frauenforschung herangezogen werden, die für die Frage nach einer anderen Orientierung in der Politik und nach einer möglichen Spezifik der politischen Tätigkeit von Frauen wichtig sind.
Zunächst werde ich einige Diskussionen -sowohl aus Zusammenhängen der Arbeitssoziologie als auch der Moralphilosophie -nachzeichnen, um Licht in das Gestrüpp von Thesen und Normierungen zu werfen. Mein Eindruck ist, daß viele Studien ein „weibliches“ Politikverständnis schlicht unterstellen, aber nicht andeuten, wie sie dieses inhaltlich bestimmen. Es wird vielfach davon ausgegangen, daß Frauen „anders“ politisch seien, die Konkretisierung dessen ist allerdings noch ungenügend. Daher versuche ich im zweiten Schritt eine inhaltliche Bestimmung dieses Frauen zugeschriebenen und von Männern unterscheidbaren „Anderen“, das implizit oder explizit aus den Studien hervorgeht. Zum Schluß möchte ich auf die Gefahr hinweisen, in der feministischen Diskussion um ein „Anderssein“ von Frauen quasi „natürliche“, an die Biologie gebundene Vorstellungen von Geschlechterdifferenzen zu unterstützen. Aus diesem Grunde ende ich mit dem Hinweis auf die prinzipiell historisch und kulturell variable soziale Determiniertheit von Geschlechtertypiken.
Feministische Kritik an der „maskulinen Ethik“ der Politik In der Frauenforschung war der Versuch verbreitet, den Beitrag von Frauen zur Politik zunächst kategorial über die Negation des Bestehenden zu erfassen. Die feministische Kritik richtet sich übereinstimmend gegen die bestehenden Hierarchie-und Konkurrenzsysteme der Berufswelt (Elisabeth Beck-Gernsheim) und insbesondere gegen Politik als „Geschäft“ oder „rücksichtslosen Machtkampf“ (Barbara Sichtermann). Als Bedingungen für das Funktionieren des politischen Systems wur-den der Mythos der Machbarkeit, die Ideologie von Sachzwängen und die Vorstellung von zweck-rational handelnden Menschen angesehen. All dies verweise normativ auf Eigenschaften, die in westlichen Gesellschaften überwiegend den Männern zugeschrieben werden. Die „maskuline Ethik“ in der Politik habe als perfekter Abwehrimpuls und rigides Ausschlußprinzip des weiblichen Geschlechts funktioniert. Darüber hinaus verweise aber auch die Distanz von Frauen zur parlamentarischen Politik zunehmend auf die Krise und Veränderungsbedürftigkeit der Institutionen selbst (Rossana Rossanda).
Die Soziologin Eva Brumlop zitiert amerikanische Studien, die für den erfolgreichen Manager -und dieser steht mit seinen Qualifikationen vergleichbar auch für den Politiker -besondere Eigenschaften voraussetzen wie Aggressivität, Behauptungs-und Durchsetzungswillen sowie Machtorientierung, die nach unseren Geschlechtsrollenstereotypen männliche Eigenschaften sind und die polar dem gegenüberstehen, was wir unter weiblichen Eigenschaften zu verstehen gewohnt sind
Galt es früher als konsensfähig, daß Frauen erst dann auf der politischen Karriereleiter nach oben klettern könnten, wenn sie in der Lage wären, die männlichen Spielregeln der „corporate culture" erfolgreich anzuwenden, so steht heute eine scharfe Kritik ebendieser Spielregeln im Vordergrund Eine „Feminisierung der Politik“ (Beate Hoecker) sei notwendig, um Politik zu betreiben, ohne „über andere Menschen herrschen zu wollen oder die Natur auszubeuten“
Weiblichkeit und Politik In der theoretischen Konzeptionalisierung eines „weiblichen“ und „männlichen“ Umgangs mit Politik fanden die Thesen der historisch entstandenen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und einer damit zusammengehenden „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ (Karin Hausen) sowie die amerikanischen sozialpsychologischen Forschungen zur Reproduktion von Geschlechteridentitäten große Beachtung
In Anlehnung an Jean Blums Definition der „homosozialen Welten“ formulierte Helga Bilden die Annahme von „geschlechtsspezifischen homosozialen Welten“ derzufolge sich je nach Geschlecht unterschiedlich strukturierte Lebens-und Erfahrungswelten herausgebildet hätten, die moralische Werthaltungen, psychische Dispositionen sowie Denken und Handeln von Frauen und Männern unterschiedlich determinierten Demnach seien die Zuweisungen auf ein Geschlecht eine je spezifisch kulturell vorgenommene Leistung, ebenso wie das Annehmen dieser Zuweisung von Seiten des Subjektes, die sogenannte Selbstsozialisation eines Individuums in die vorgegebene Gemeinschaft hinein
Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in modernen Gesellschaften, die den Frauen traditionell den weniger beachteten und alimentierten Bereich der Familie, des Hauses, des Haushaltes zuweist und den Männern die öffentlich wirkungsvolle und honorierte, nach hierarchischen Prinzipien organisierte Berufswelt, wurde bereits früh von der Frauenforschung verantwortlich gemacht für die gesellschaftliche Produktion eines „weiblichen Arbeitsvermögens“ (Elisabeth Beck-Gernsheim/Ilona Ostner). Dieser Begriff besaß zunächst eine eindeutig normativ-kritische Funktion: Er wies auf die bislang ausgeblendeten und ausgebeuteten (zumindest potential ausbeutbaren) Ressourcen hin, die Frauen aufgrund ihrer Zuständigkeit im Binnensystem Familie ansammeln können wie Empathie, Fürsorglichkeit und Verantwortlichkeit für andere Der Begriff „weibliches Arbeitsvermögen“ kritisierte die Berufswelt, die bürokratisch, arbeitsteilig und konkurrenzhaft organisiert, einseitig auf männliche Normen und Karrieremuster hin zugeschnitten schien
So wurde lange Zeit das „weibliche Arbeitsvermögen“ für bestimmte Spitzenpositionen im Management oder in der Politik eher als inkompatibel bzw. kontraproduktiv angesehen oder als bloß instrumentalisierbare Größe. Heute hat sich diese Sicht geradezu verkehrt: Immer deutlicher werden „weibliche Führungskompetenzen“ in Entscheidungspositionen gefordert In diesem Zusammenhang knüpfen viele Beiträge der Frauenforschung an die in den USA geführte Moral-Debatte an.
Diefeministische Moral-Debatte Bei der Kontroverse um eine Geschlechterspezifik von moralischen Urteilen und Einstellungen der amerikanischen Psychologinnen Nancy Chodorow, Dorothy Dinnerstein und vor allem Carol Gilligan ging es u. a. um die Frage, ob Frauen qua Geschlecht andere moralische Kategorien ihrem Handeln zugrunde legen würden und wenn ja, inwiefern Gilligans These von der unterschiedlichen Entwicklung und Struktur einer „weiblichen“ und einer „männlichen“ Moralauffassung basiert auf grundlegend verschiedenen Erfahrungswelten von Männern und Frauen. Kennzeichen der „weiblichen Erfahrungswelt“ sei das „Primat der Verbundenheit“, während die „männliche Erfahrungsweit“ vom „Primat der Getrenntheit“ bestimmt werde. Der entscheidende Impuls, der von dieser psychoanalytisch orientierten Theorie einer „weiblichen“ Identitätsbildung und Moralentwicklung ausging, war, Frauen nicht als „Mängelwesen“, sondern als grundsätzlich „anders“ sozialisiert und gleichwertig wahrzunehmen.
Nicht wenige, die sich auf Gilligan beriefen, hegten -gegen deren Intentionen -die Hoffnung, Frauen könnten als moralisch integre Kulturträgerinnen für die qualitative Verbesserung der politisch-gesellschaftlichen Sphäre angesehen werden. Galten früher sogenannte „weibliche“ Perspektiven als defizitär im öffentlichen Bereich, so beanspruchten sie im Anschluß an Gilligan kulturerhaltene, produktive, schöpferische Potentiale. Werte wie Einfühlungsvermögen, Fürsorglichkeit, Intuition, Kontextbewußtsein, Fähigkeit zur Anerkennung anderer und Aufeinanderbezogensein wurden nun eher Frauen zugeordnet und für das Miteinander-umgehen auch im Öffentlichen gefordert. Statt wie bisher die den Frauen einseitig abverlangte Anpassung an männliche Führungsstile zu propagieren oder zu beklagen, wurden nun Kompetenzen und Sichtweisen von Frauen als unumgänglich für eine verbesserte politische Kultur angesehen.
Unter Berufung auf die psychoanalytischen Thesen zur Geschlechterdifferenz wird argumentiert, daß Frauen aufgrund ihrer familienbezogenen Lebens-situation schon per se trainiert und fähig seien in kommunikativen Verhaltensweisen, die für die zukünftige Politik meinungsbildend und handlungsanleitend sein sollten. Frauen seien geübter in zwischenmenschlichen Beziehungen, in kommunikativen Auseinandersetzungen, seien skeptischer gegenüber formaler Macht und Autorität. Diese Fähigkeiten gelte es zu stärken, gesamtgesellschaftlich wie beim anderen Geschlecht
Die jüngsten Erfahrungsberichte von Politikerinnen thematisieren in überwältigender Deutlichkeit ein gewachsenes frauenpolitisches Problembewußtsein quer durch alle Parteien. Sie liefern zahlreiche Hinweise auf eine von Männern unterschie-dene Sicht-und Herangehensweise in der Politik Ebenso weisen qualitative Studien auf ein soziales Engagement im Bereich öffentlicher Partizipation hin, das für Frauen motivierend und handlungsleitend sei.
Mir erscheint es angesichts der zunehmenden Forderungen nach Erhöhung der Präsenz von Frauen in der Politik vonnöten, die Annahmen und Hypothesen eines differenten „weiblichen“ Politikverständnisses sowie eines anderen politischen Stils erst einmal deutlich zu konturieren bzw. herauszuarbeiten. Dann erst kann (und sollte) man die Empirie daraufhin befragen. Das Problem besteht nämlich darin, daß die meisten Beiträge ein „weibliches“ Politikverständnis gleichzeitig unterstellen und suchen. Das heißt, bevor noch kategorial deutlich wird, worin das spezifisch „Weibliche“ besteht, wird dieses schlicht behauptet
Aus diesem Grund versuche ich -auf vorläufige und spekulative Weise -aus den einschlägigen Arbeiten inhaltliche Aussagen aufzugreifen, die dem Interesse eines Blicks auf geschlechtsbezogene Besonderheiten geschuldet sind. Angeregt durch Carol Gilligan versuche ich, die Selbstbeschreibungen von Politikerinnen und die Ergebnisse der qualitativen Studien systematisch zu rekonstruieren. Dabei gewinne ich polare Gegenüberstellungen, die exemplarisch in unterschiedliche Politikverständnisse münden:
Auf der einen Seite verbindet sich die Vorstellung eines anderen Umgangs mit Macht mit einem weiten, über Institutionen hinausgehenden Politikverständnis, das einem institutionell-verengten Verständnis etwa durch folgende Kontrastpaare gegenüberzustellen wäre:
-eher egalitäre versus hierarchische Orientierung; -Flexibilität versus Rigidität in der Artikulation der politischen Position; -kommunikatives versus strategisches Machtverständnis;
-prozeßorientiertes versus zielorientiertes Denken;
-Personenbezogenheit versus Sachbezogenheit; -kooperatives versus konkurrentes Verhalten;
-Laien-und Alltagswissen versus Expertentum; -Betroffenheit versus Abstraktheit;
-Kontextberücksichtigung versus Prinzipien-orientierung;
-Kompetenzorientierung versus Karriereplanung;
-Querdenken und Vernetzen versus Ressortdenken.
Nun wäre es ein fatales Mißverständnis, wenn man die Charakterisierung der einen Seite des Polaritätenprofils ausschließlich an die Groß-gruppe Frauen zwingend gebunden sähe. Es geht nicht darum, die Merkmale, die eine Kritik am traditionellen Politikverständnis implizieren, als Merkmale zu kennzeichnen, die nur Frauen als Frauen entwickelt und Männer gar nicht entwikkelt hätten. Es sind auch keine Merkmale, die in Frauenzusammenhängen stets und „automatisch“, in Männerkontexten dagegen nicht anzutreffen wären Meine These ist aber, daß Frauen und Männer durch die Geschlechterpolarisierung moderner Gesellschaften und durch die Notwendigkeit und Unentrinnbarkeit der sozialen und kulturellen Konstruktion von Geschlechtlichkeit unterschiedliche Stile und Orientierungen im Politischen herausgebildet haben. Diese sind weder biologisch determiniert noch essentialistisch normiert etwa durch Bezüge auf ein „weibliches Wesen“, sondern sie sind historisch-kulturell kontingentes Ergebnis patriarchalischer Vergesellschaftung
Vor allem durch die kulturellen Folgen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und die Trennung der sozialen Erfahrungswelten Öffentlichkeit und Privatheit im 18. und 19. Jahrhundert sind Unterschiede im Politikverständnis von Frauen und Männern entstanden. Die durch die Geschlechterpolarisierung erzwungene unterschiedliche Ausprägung und Unterstützung allgemein menschlicher Fähigkeiten und Deutungsmuster sind also Resultate sozialer Konstruktion und als solche auch als veränderbar anzusehen.
Das Verständnis, das Frauen in unserem Kulturkreis von Politik mehrheitlich äußern, ist geprägt durch ihre spezifischen Interessen und Lebenslagen sowie durch ihre doppelte Orientierung auf die beiden Zuständigkeitsbereiche Produktion und Reproduktion. Frauen machen die Erfahrung, als „Grenzgängerinnen“ zwischen gesellschaftlich getrennten Lebensbereichen der Dynamik der wechselseitigen Abhängigkeiten besonders ausgesetzt zu sein. Frauen bewegen sich im politischen Raum ohne Netz und auf doppeltem Boden, da tendenziell private Abhängigkeiten geleugnet werden müssen. Auch Männer zahlen die Kosten dieser einseitigen Orientierung. Eine Gesellschaft, die ihnen „Männlichkeit als Prinzip“ abverlangt, und als „weiblich“ titulierte Werte wie Nachgiebigkeit, Flexibilität, Gefühlshaftigkeit bei ihnen sanktioniert, fordert einen hohen Preis an tatsächlich lebbaren menschlichen Fähigkeiten.
Meine zweite These ist, daß die Merkmale, die im Polaritätenprofil einander gegenüber gestellt sind, keine Wertungen darüber enthalten, welcher Modus im Politischen für die Lösung gesellschaftlicher Probleme prinzipiell besser geeignet zu sein scheint Sicher scheint mir allerdings, daß komplexe Probleme auch komplexe, nicht verengte Sichtweisen erfordern, die eher bei einem überinstitutionellen Politikverständnis zu finden sind. Aber: sich sach-und zielorientiert, konkurrent oder prinzipienorientiert zu verhalten, ist nicht grundsätzlich schlecht. Und auf der anderen Seite ist ein Verhalten, das stets personen-und situationsorientiert ist, nicht grundsätzlich gut. Es gibt politische Probleme und Situationen, in denen beide Orientierungen ihre Angemessenheit besitzen. So kann z. B. ein (eher bei Frauen vermutetes) Beharren auf Alltagswissen und Betroffenheit naiv moralisierend sein. Es kommt jeweils auf die Fähigkeit der Reflexivität an, welche Orientierung in welcher Situation besonders angemessen zu sein scheint.
IV. Fazit
Carol Gilligans entwicklungspsychologisch gewonnene These von geschlechtsbezogenen moralischen Urteilsfindungen impliziert, daß es bei Frauen und Männern unterschiedliche, aber gleichwertige Ethiken gibt. Diese These scheint mir auch für den Bereich der Politik und der Politikwissenschaft relevant. Auch hier haben wir eine Ineinssetzung eines männlichen Politikverständnisses mit Politik überhaupt festgestellt.
Ein „anderes“ Politikverständnis von Frauen, dem empirisch in seinen Ursachen, Hintergründen und Folgewirkungen weiter nachgegangen werden muß, läßt sich lesen als Kritik gegenüber „männerbündischen“ Strukturen und Ritualen (Eva Kreisky), Institutionen und Logiken in der Politik. Deren Einseitigkeit und Zentrierung auf männliche (Lebens) Bereiche, Umgangsformen und Erfahrungen, die tendenziell das Private ausklammern oder entwerten, wird erst durch die Perspektive auf das „Andere“ dechiffrierbar und korrigierbar Insofern müßte Politik auf der Anerkennung verschiedener, aber gleichwertiger Orientierungen von Männern und Frauen basieren.
Der Blick auf die politische Partizipation von Frauen und auf ihr anderes Verständnis von Politik hat -paradoxerweise -gezeigt, daß beide Geschlechter sich in beiden Bereichen (Privatheit und Öffentlichkeit) bewegen (können), aber daß sie mit unterschiedlichen Grenzen und Bewertungen zu rechnen haben. Die „Fremdheit von Frauen in der Politik“ ist gespeist durch die kritische Distanz derjenigen, deren Interessen bisher aus dem öffentlichen Diskurs eher ausgeblendet worden sind. Das können historisch und kulturell variable Gruppen und Klassen, Völker oder ein ganzes Geschlecht sein. Ihnen fällt die Aufgabe zu, die Konstruktion und das Interesse an der Aufrechterhaltung der Trennung zwischen „Fremden“ und „Einheimischen“, zwischen Beherrschten und Herrschern, zwischen Außenseitern und Etablierten und den ihnen zugewiesenen Bereichen ständig wieder neu zu thematisieren und zu kritisieren.
Die Frauenbewegung im 19. Jahrhundert konnte anknüpfen an die Versprechungen freiheitlicher Demokratien, Menschenrechte auch für Frauen zu garantieren. Die Neue Frauenbewegung kann heute im öffentlichen Raum konstitutionell abgesicherter Freiheits-und Kommunikationsrechte agieren. Und doch scheint der Kampf um den Erhalt errungener Rechte sowie um die Anerkennung neuer Ansprüche und Rechte erst anzufangen. Sicher ist es an der Zeit, daß sich die Frauen-bewegung Bündnispartner sucht z. B. im Kreise derjenigen, die ebenso für die Ausweitung und institutioneile Absicherung politischer Partizipation und demokratischer Freiheiten streiten.
Auf der Ebene politischer Theorie ist es an der Zeit, das Geschlecht als soziale Strukturkategorie ernst zu nehmen. Die Politikwissenschaft sollte versuchen, das „andere“ Politikverständnis von Frauen stärker herauszukristallisieren und empirisch dingfest zu machen (u. U. auch bei Männern), weil dieses „andere“ Politikverständnis -wie Rossana Rossanda so schön formulierte -„womöglich den Keim sowohl einer Krise der traditionellen Politik als auch einer Kritik, die eine andere Politik einleiten könnte“, in sich trägt. Darum würde es sich lohnen! Auswahlbibliographie Alemann, Ulrich von, Partizipation -Demokratie -Mitbestimmung, Opladen 1975 Almond, Gabriel A., Sidney Verba, The Civic Culture.
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