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Vom KGB zum MBRF: Das Ende des sowjetischen Komitees für Staatssicherheit und der neue russische Sicherheitsdienst | APuZ 21/1992 | bpb.de

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APuZ 21/1992 „Schild und Schwert der Partei“. Das Ministerium für Staatssicherheit -Herrschaftsinstrument der SED Zur Aufarbeitung des Stasiproblems in den Kirchen Das Ostbüro der SPD 1946-1981 Vom KGB zum MBRF: Das Ende des sowjetischen Komitees für Staatssicherheit und der neue russische Sicherheitsdienst

Vom KGB zum MBRF: Das Ende des sowjetischen Komitees für Staatssicherheit und der neue russische Sicherheitsdienst

Astrid von Borcke

/ 16 Minuten zu lesen

I. Das Ende des KGB

Das Ende der Sowjetunion bedeutete auch das Ende der alten zentralen Exekutivgewalten, einschließlich des KGB, des Komitees für Staats-sicherheit. Diese Entwicklung wurde durch den mißglückten Putschversuch vom August 1991 dramatisch beschleunigt. Hatte doch dieser Sicherheitsapparat als konstitutives Element einer totalitären Diktatur unter verschiedenen Namen -Tscheka, GPU, OGPU, NKWD/NKGB, MGB, MWD und seit 1954 KGB -die Entwicklung der Sowjetunion seit 1917 entscheidend geprägt

Auch war er ein Schlüsselinstrument imperialer Politik im sowjetischen Hegemonialbereich in Osteuropa gewesen, wo nach dem Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg analoge Apparate nach seinem Vorbild und unter seiner Kontrolle eingerichtet worden waren Er lieferte schließlich ein Modell für politische Polizeiapparate, an das die totalitären und Dritte-Welt-Diktaturen anknüpfen konnten

II. KGB und Ministerium für Staatssicherheit (MfS)

Die Enthüllungen über die DDR-Stasi haben Struktur, Funktionen und Macht auch des MfS weiter verdeutlicht: Dieser Apparat verfügte über 85 500 hauptamtliche Mitarbeiter, vielleicht eine halbe Million Informanten, ca. 4000 Auslands-agenten und sechs Millionen Akten, in denen sechs Millionen Bürger erfaßt waren

Das MfS, eingerichtet 1950 von der sowjetischen Staatssicherheit (damals MGB) und nach ihrem Modell strukturiert, arbeitete bis zuletzt mit dem KGB zusammen, dessen „Berater“ über alle entscheidenden Entwicklungen informiert wurden. Es gab gemeinsame Arbeitspläne, ja die Hauptverwaltungen des KGB konnten mit den Hauptabteilungen des MfS spezielle Kooperationsabkommen treffen. Das MfS hatte alle wichtigen Meldungen automatisch nach Moskau weiterzuleiten, wie der Überläufer Werner Stiller berichtete.

In Moskau befand sich das Zentrum des elektronischen Datenverbunds SOUD -des „Systems der vereinigten Erfassung von Informationen über den Gegner“ -mit seinem zentralen Datenspeicher, der schätzungsweise 75 000 Personendaten enthalten soll. Dieses System wurde von allen verbündeten Diensten des Warschauer Pakts (außer Rumänien) sowie denen Vietnams und der Mongolei beliefert, zu 80 Prozent jedoch von der DDR-Stasi. Wenn z. B. ca. 90 Prozent der westdeutschen Besucher in der DDR von MfS und Polizei der DDR detailliert erfaßt wurden -mit Namen, Adresse, Arbeitsplatz, Angaben, ob sie Zugang zu Verschlußsachen (VS) -Material hatten usw. -, so gingen wiederum 90 Prozent dieser Materialien automatisch nach Moskau weiter

In der DDR arbeiteten nach deutscher Schätzung ca. 400 KGB-Offiziere. Der Überläufer Aleksej Mjagkow aus der 3. Hauptverwaltung des KGB (militärische Spionageabwehr) berichtete sogar von über 1500 KGB-Offizieren, die sich zum großen Teil der Spionage gegen die Bundesrepublik widmeten Obgleich der KGB das MfS 1989 fallenließ, heißt es, Markus Wolf, der Chef der alten HVA (Hauptverwaltung Aufklärung), , habe bei seinen vier Besuchen in Moskau in der Zeit von 1989 bis 1990 die besten Agenten und Unterlagen dem KGB übergeben. Er hat das dementiert, und Leonid Schebarschin, der Ex-Auslandschef des KGB, bestätigte seine Behauptung in einem Spiegel-Interview Aber das scheint wenig plausibel. Der Ex-Insider Oleg Kalugin meinte, der KGB wäre schlecht beraten gewesen, wenn er die Übernahme nicht vollzogen hätte.

Unsere Dienste kamen jetzt anhand des (unentschlüsselten) Funkverkehrs aus den Kasernen der Westgruppe der (ex) sowjetischen Streitkräfte in den ostdeutschen Bundesländern an Empfänger im deutschsprachigen Raum zu dem Schluß, daß die Agententätigkeit weitergeht. Auch die schwedische Sicherheitspolizei bemerkte nichts von der vom Interims-KGB-Chef Wadim Bakatin (Ende August bis Dezember 1991) versprochenen Reduktion der Auslandsagenten um mindestens die Hälfte

III. Die Macht des alten KGB

Der KGB galt als der größte, mächtigste und aggressivste Sicherheitsdienst der Geschichte. Er beschäftigte insgesamt etwa eine halbe Million Personen (Bakatin bestätigte diese Schätzung des Rockefeller-Reports aus den siebziger Jahren darunter -und das war beispiellos unter modernen Diensten -eine Reihe verschiedener Truppengattungen: nämlich ca. 220000 Mann Grenztruppen, etwa die gleiche Zahl Nachrichten-Truppen (ca. ein Viertel des KGB-Budgets entfiel auf die soge-nannte Regierungskommunikation, die vom KGB besorgten vertraulichen Kommunikationen des Regimes, eingeschlossen die der obersten Militär-führung sowie die Elite-Specnaz-Einheiten, d. h. Sabotage-und Diversionskommandos „zur besonderen Verwendung“ und schließlich auch die Wachmannschaften der Atomraketen. Das offiziehe KGB-Budget betrug zuletzt 6, 45 Milliarden Rubel und 50 Millionen Valuta-Rubel Die vollen Kosten des Sicherheitsapparats wurden im Westen Mitte der achtziger Jahre auf den Gegenwert von ca. 20 Milliarden US-Dollar geschätzt

Nach den Erfahrungen mit Stalins Terror der dreißiger Jahre war der im Anschluß an den Sturz von Geheimdienstchef Lawrentij Berija (Juni 1953) „gesäuberte“ und reformierte Sicherheitsapparat von Nikita S. Chruschtschow in der Innenpolitik betont zurückgesetzt worden. Allerdings spielte der KGB weiterhin auch in diesem Bereich eine größere Rolle, als westliche Beobachter allgemein wahrhaben wollten Zugleich wurden seine Auslands„missionen“ seit Mitte der fünfziger Jahre, im Zuge der „Globalisierung“ der sowjetischen Außenpolitik, systematisch aktiviert. In der Ära Breschnew gewann der KGB in enger Symbiose mit dem Parteiapparat seine führende Stellung im Regime zurück. Dieser Trend gipfelte im bis dahin „Undenkbaren“: der Wahl von KGB-Chef Jurij Andropow zum neuen Generalsekretär 1982.

IV. Gorbatschow und der KGB

Michail S. Gorbatschow, der „Kronprinz“ Andropows, begann seinen Aufstieg zur höchsten Macht mit einer KGB-Verbindung, und der KGB war der Machtapparat, der als einziger von Gorbatschow lange von Radikalreformen verschont blieb. KGB-Einflüsse zeichneten sich auch in den Anfängen seiner Perestrojka ab.

Die Reformpolitik dürfte vor allem in den Reihen der Ersten Hauptverwaltung (Ausland), die allerdings vom KGB-Inlandsapparat sowohl geographisch als auch administrativ getrennt war, Unterstützung gefunden haben. Diese Kreise sahen genauso klar wie die Außenpolitiker den drohenden Niedergang der „Großmacht Sowjetunion“, vor dem Gorbatschow Ende 1984 so eindringlich warnte. In der Tat soll der Perestrojka ein „Hearing“ im KGB vorausgegangen sein, das zu dem Schluß gelangte, die Nation sei in der Krise

Insofern aber die nötigen Reformen eine liberalisierende, die „Freiheit von“ betonende Stoßrichtung haben mußten, war der für die innere Ruhe und Stabilität verantwortliche, konservative Inlandsapparat des KGB von vornherein -wie der Parteiapparat -skeptisch bis ablehnend.

Ab 1987 begannen die Spannungen zwischen Gorbatschow und der KGB-Führung unverkennbar zu werden. KGB-Chef Wiktor Tschebrikow, Andropows Nachfolger im Amt, war vor allem um die Zukunft der Partei besorgt. Gorbatschow entledigte sich seiner, indem er ihn auf den Posten eines ZK-Sekretärs für Rechtsfragen weg-lobte.

Im Oktober 1988 wurde der bisherige Auslandschef Wladimir Krjutschkow neuer KGB-Chef: eine ungewöhnliche Personalentscheidung. Krjutschkow war enger Mitarbeiter Andropows gewesen und seit 1974 Leiter der Ersten Hauptverwaltung des KGB. Gorbatschow berichtete nach dem Putsch, er habe ihn gewählt, da er in ihm einen gebildeten Mann gesehen hatte, der offenbar nicht in blutige Angelegenheiten verwickelt gewesen war.

Der Überläufer Oleg Gordiewskky dagegen nannte Krjutschkow abfällig einen „Tartaren". Er besäße zwar Energie, Entschlossenheit, Selbstvertrauen, verbunden mit administrativem Geschick und politischem Instinkt und sei als exzellenter Kenner der ZK-Politik ein Meister der politischen Intrige gewesen, aber doch ohne größere Welterfahrung

Krjutschkow hatte sich als neuer KGB-Chef zunächst betont aufgeklärt gegeben. Er profilierte sich umgehend mit einer scharfen Kritik an der Außenpolitik der Ära Breschnew, die simplifizierend gewesen sei. Statt dessen forderte er einen „unvoreingenommenen Blick auf die Weltentwicklung“. Er gab sowjetische Fehler zu, wie etwa das anfängliche Verkennen des Potentials der Friedensbewegung und der Grünen. Auch seien Kontakte zu ausländischen Staatsmännern zu wenig gepflegt worden. „Es ist natürlich leichter und einfacher, sich Feinde zu machen, als Partner zu gewinnen.“ Mit dieser Rede unterstützte er die Forderung des neuen Außenministers Eduard Schewardnadse nach einer Reform des Außenministeriums.

Die erste Reihe wirklich großer Umbesetzungen im KGB seit über einem Jahrzehnt fand Anfang 1991 statt. Ihr fiel unter anderen der ominöse Filip Bobkow zum Opfer, ein prominenter Altstalinist und die „graue Eminenz“ des KGB-Apparats. Das schien auf einen neuen Geist auch im KGB hinzudeuten

Doch spätestens seit dem Herbst 1990 waren die Spannungen zwischen Reformern und Konservativen bedrohlich gewachsen. Das zeigte Gorbatschows „Umfallen“ in der Schlüsselfrage der Wirtschaftsreformen (,, 500-Tage“ -Programm).

Der Taktierer Krjutschkow schloß sich den Konservativen an. Im Dezember warnte er Gorbatschow „als Freund“, eine Mitte-Links-Regierung 'würde keine hundert Tage im Amt bleiben Im Januar 1991 spielte der KGB eine Schlüsselrolle bei den Geschehnissen in Litauen -im Grunde bereits die Generalprobe für die von den Konservativen geforderte Verhängung des Ausnahmezustands im ganzen Lande

V. Zunehmende Kritik am KGB

Inzwischen war der KGB selbst zunehmend unter Beschuß geraten. Ein Wendepunkt war die Berchin-Affäre von 1987 gewesen, nämlich der Tod eines kritischen Journalisten in der Ukraine, der sich mit seinen Nachforschungen den Mißmut lokaler Potentaten zugezogen hatte, wegen „Hooliganismus“ verhaftet worden war und den KGB-Verhörmethoden erlag. Daraufhin mußte Tschebrikow Anfang 1988 auf der ersten Seite der Prawda in aufsehenerregender Weise Selbstkritik üben

Nun aber nahmen die Kritiken am KGB zu. So machte sich seit 1988 Wladimir Rubanow, Sektor-leiter im Wissenschaftlichen Forschungsinstitut des KGB, für einen Abbau der übermäßigen Geheimhaltung stark: Diese sei Ausdruck der „Tatsache, daß die Macht über dem Gesetz steht“ Er verlor seine Stellung im KGB und fand Zuflucht im Innenministerium (MWD) Wadim Bakatins.

Im Sommer 1989 erklärte der prominente Jurij P. Wlasow, Weltchampion im Schwergewichtheben, in einem dramatischen Auftritt vor dem Kongreß der Volksdeputierten, der KGB sei kein Dienst, sondern ein echtes „Untergrundimperium“

Im Sommer 1990 wurde Oleg Kalugin durch seine öffentliche Kritik am KGB weltberühmt. Kalugin war der ehemalige Chef der Spionageabwehr in der Ersten Hauptverwaltung (Ausland). Er hatte in den sechziger Jahren nach einjährigem Studium an der Columbia University 1959 (zusammen mit Alexander Jakowlew) unter journalistischem Deckmantel in den USA gearbeitet. Schon 1989 hatte er „vernünftige Suffizienz" auch in Sachen Geheimdienste gefordert

In einem Interview nannte er im Sommer 1990 „das Gerede vom neuen Gesicht“ des KGB Blendwerk. „Der KGB änderte vorläufig seine Grundsätze nicht.“ Seine stalinistischen Strukturen und seine Macht seien so gut wie unangetastet geblieben. Er habe alle staatlichen Institutionen infiltriert und beschatte weiterhin die Gegner des orthodoxen Flügels der Partei. Zwar fehle es auch im KGB nicht an Befürwortern von Reformen, doch die große Mehrheit verfolge die Bemühungen um Glasnost (Öffentlichkeit) und Perestrojka mit tiefstem Mißtrauen. Kalugin forderte, den KGB zu entpolitisieren und sein Personal auf die Hälfte(!)

zu reduzieren Am 3. August 1990 wurde Kalugin degradiert; er verlor seinen Generalsrang, alle Auszeichnungen und die Pensionsansprüche.

Boris Jelzin, der im Juni 1991 zum russischen Präsidenten gewählt wurde, hatte sich seit längerem für die „Entparteilichung“ der Sicherheitsorgane und Streitkräfte stark gemacht und schließlich am 20. Juli 1991 die Parteiorganisation in den staatlichen Institutionen Rußlands verboten. Damit löste er einen vehementen Protest der großen Parteiorganisation des KGB aus.

Diese hatte sich trotz der vermeintlichen „Verstaatlichung“ des KGB im Frühjahr 1991 dank Einbeziehung der Parteiorganisationen der KGB-Truppen von 50000 auf 103 000 Mitglieder verdoppelt und so den Status einer unionsrepublikanischen Organisation erworben. Sie bestimmte seit dem Frühjahr-Sommer 1991 untergründig in entscheidendem Maße die KGB-Politik also genau seit der Zeit, als die Partei offiziell gar keine Weisungsbefugnisse gegenüber dem KGB mehr hatte.

VI. Der Weg in den Putsch

Im Frühjahr 1991 gab es im Zusammenhang mit der Sitzung des Kongresses der Volksdeputierten weitere Militärmanöver, die auf mögliche Putschabsichten hindeuteten. Im Sommer hielten dann die drei Sicherheitschefs -KGB-Chef Krjutschkow, Verteidigungsminister Dimitrij Jasow und Innenminister Boris Pugo, der Ex-KGB-Chef von Lettland -Brandreden in einer geschlossenen Sitzung des Obersten Sowjets. Wieder wurde betont, die Union sei in Gefahr und nur der Ausnahmezustand ein Ausweg.

Krjutschkow erklärte nun -ganz in stalinistischem Geiste -die Perestrojka für das Werk von eingeschleusten CIA-Agenten. Präsident Gorbatschow wurde tatsächlich vorgeworfen, seine Politik decke sich genau mit den Zielen der CIA Gorbatschow und besonders seine Mitstreiter Alexander Jakowlew, der geistige Vater des „neuen Denkens“, sowie Außenminister Schewardnadse waren konservativen KGB-Kreisen verhaßt, die, indem sie diese Männer als CIA-Agenten brandmarkten, faktisch nach Schauprozessen riefen. Doch Gorbatschow nahm das alles scheinbar nicht ernst, zeigte sich kurz darauf mit den drei Sicherheitschefs in der Öffentlichkeit und erklärte: „Der Putsch ist vorüber.“

Der Putschversuch vom August 1991 -der genau einen Tag vor Unterzeichnung des neuen Unionsvertrags begann -kam dann doch überraschend. Bezeichnenderweise waren alle Führer des soge-nannten GKTSchP, des Staatskomitees für den Ausnahmezustand, Mitglieder des Sicherheitsrats. Die KGB-Führung um Krjutschkow spielte eine Schlüsselrolle, wie die folgenden Verhaftungen und die eher zögerlich bekanntgegebenen Ergebnisse des Untersuchungsausschusses bestätigten: Das ganze Kollegium des KGB -eine Art Rat der führenden Männer des Apparats -trat zurück bzw. wurde abgesetzt. Bis Jahresende waren laut Alexander Ruzkoj, Jelzins Vize, 56 hohe KGB-Funktionäre entlassen oder verhaftet worden

Gorbatschow hatte nach dem Putsch in Sachen KGB zunächst offenbar immer noch eher an „business as usual" gedacht, wie seine Ernennung des bisherigen Auslandschefs des KGB, Leonid Schebarschin, zum neuen amtsführenden KGB-Chef andeutete. Der Orientalist Schebarschin genoß zwar unter seinen Kollegen hohes professionelles Ansehen, aber seine Ernennung hätte doch auf weitgehende bürokratische Kontinuität gedeutet. Diese Kontinuität aber, so fanden Jelzin und die Demokraten, galt es nun, im Interesse der Reformen unbedingt zu brechen. Gorbatschow lenkte ein.

VII. Reformen der Staatssicherheit

Jelzin setzte die Ernennung von Wadim Bakatin am 23. August 1991 zum neuen KGB-Chef durch. Bakatin hatte sich an der Spitze des MWD bis Dezem-ber 1990, als die aufgebrachten Konservativen ihn zu Fall brachten, als souveräner Manager und liberal denkender Reformer gezeigt, der die Legalität betonte und von der Grundeinsicht ausging: Mit Gewalt sei die Union nicht zu retten. Bakatin begann nun mit Radikalreformen im KGB, die dem totalitären Tscheka-Erbe ein für allemal ein Ende bereiten sollten.

Bakatin war bestrebt, zunächst einmal das Quasi-monopol des KGB in Sachen Sicherheit zu brechen und dieses Riesenkonglomerat von Organisationen zu „entflechten“. Der Grenzschutz wurde zunächst dem Verteidigungsministerium unterstellt und dann zu einer eigenständigen Streitmacht unter einem Komitee für den Grenzschutz der UdSSR (Komitet po ochrane granic SSSR) gemacht. Die Regierungskommunikation -die KGB-Kontrolle hierüber hatte Gorbatschow in Foros isoliert -wurde dem Präsidenten direkt unterstellt.

Vom Inlands-KGB verblieb der MSB, der Interrepublikanische Sicherheitsdienst (Meschrespublikanskaja sluschba besopasnosti) mit nur noch knapp 40000 Mann. Die „repressiven“ Funktionen des KGB -Bespitzelung, Telefonabhören, Korrespondenzkontrolle -sollten beendet werden, es sei denn in Fällen von Hochverrat und begründetem Verdacht auf Schwerverbrechen, und dann wäre die Zustimmung und Aufsicht der Staatsanwaltschaft nötig.

Der Auslandsdienst wurde vom Inlandssicherheitsdienst abgetrennt und erhielt den neuen Namen CSR (Centrainaja sluschba raswedki, Zentraler Nachrichtendienst). Sein Chef wurde am 30. September 1991 der Wissenschaftler und Gorbatschow-Berater Akademiemitglied Ewgenij Primakow, ein Orientalist und Vorkämpfer des neuen Denkens, aber zugleich ein Mann mit einer deutlichen konservativen Verbindung, der zu Schewardnadses dramatischem Rücktritt vom Amt des Außenministers im Dezember 1990 beigetragen hatte. Er war dann selbst als möglicher neuer Außenminister im Gespräch, hatte sich aber mit seiner Konzilianz Saddam Hussein gegenüber Washingtons Unmut zugezogen.

VIII. Das Ende des KGB und der russische Nachfolgedienst

Der nach dem Putsch eingesetzte Untersuchungsausschuß, der die Hintergründe der August-Ereignisse aufzuklären und zugleich bis zum 26. Oktober Vorschläge zur Reform der Staatssicherheit zu erarbeiten hatte, kam bis zum 25. September zu dem überraschenden Schluß: Das mit soviel Fanfaren verabschiedete KGB-Gesetz vom 6. Mai 1991 -weitgehend die Festschreibung des bürokratischen „Besitzstands“ des Sicherheitsapparats -sei als verfassungswidrig außer Kraft zu setzen und der KGB selbst als Nachfolgeorganisation von NKWD und Tscheka zu liquidieren.

Das war eine Sensation. Denn die Kommission und sogar Bakatin waren zunächst davon ausgegangen, daß es nur um Reformen des KGB ging, der Sicherheitsapparat als solcher aber zu erhalten sei. Anfang Oktober 1991 bestätigte der Staatsrat die Entscheidung. Rechtsnachfolger wurde bald darauf der neue russische Dienst.

Jelzin hatte bis zum Mai 1991 die Gründung eines besonderen russischen KGB durchgesetzt. Bislang hatte die RSFSR ja dem Zentrum direkt unterstanden. Hieraus entstand am 25. November 1991 der AFB (Agentura federal’noj besopasnosti, Agentur für Förderale Sicherheit), der sich dann zum Rechtsnachfolger des KGB erklärte. Es war ein großer Schritt: Hatte dieser Dienst doch bis Sommer 1991 aufgrund der Opposition des KGB-Zentrums ganze 20 Mann Personal gehabt. Im Herbst aber übernahm er ca. 20 000 -ein Drittel -der Offiziere des alten KGB-Zentralapparats.

Im Dezember führte das Ende der Union auch zum Ende der Bakatinschen Reformen, die von der Weiterexistenz einer Form von Staatenverband ausgegangen waren und Dienstleistungsinstitutionen für alle hieran beteiligten Ex-Republiken schaffen sollten. Zurück blieben damit die einzelnen Dienste der 15 Ex-Unionsrepubliken.

Im Dezember 1991 sorgte Jelzin für einen Entrüstungssturm, als er nach einem wenig transparenten Entscheidungsprozeß am 19. Dezember einen Ukas zur Fusion von AFB, MSB und des russischen und Unions-MWD in einem neuen MBWD (Im Ministerstwo besopasnosti i wnutrennich del, Ministerium für Sicherheit und Inneres) unterzeichnete. Für ein solches Supersicherheitsministerium war MWD-Minister Wiktor Barannikow eingetreten, offenbar im Hinblick auf eine mögliche Destabilisierung des Landes infolge der bevorstehenden Liberalisierung der Preise ab dem 1. Januar 1992. Die Demokraten fühlten sich an die Tage Genrich Jagodas und Lawrentij Berijas erinnert. Die „Tschekisten“ (Geheimdienstler) waren empört, daß sie mit den von ihnen so verachteten (und ungleich schlechter ausgestatteten) MWD-Funktionären unter einem Dach Zusammenarbeiten sollten. Fachleute warnten schließlich, daß es sich um zwei ganz heterogene Dienste handele.

Der resolute Einspruch des Parlaments und des Verfassungsgerichts brachten das Projekt zu Fall. Das neue Verfassungsgericht begründete sein Urteil vom 14. Januar 1992 damit, daß dies eine Verletzung der Gewaltenteilung sei. Nach anfänglichen bürokratischen Widerständen beugte sich Jelzin dem Urteil. Statt dessen wurde ein neuer russischer Dienst, MBRF (Ministerstwo besopasnosti Rossijskoj Federacit, Ministerium für [Staats-] Sicherheit der russischen Föderation) gegründet, dessen Chef am 24. Januar 1992 Barannikow wurde. Inzwischen war per Dekret des russischen Präsidenten vom 24. Dezember 1991 auch Primakows Zentraler Nachrichtendienst in den russischen Dienst eingegliedert worden. Er heißt seitdem Dienst für Auslandsaufklärung (Sluschba wneschnej raswedki).

IX. Ungewißheiten und Ausblick

Wie dieser kurze Überblick über die zahlreichen Reorganisationen zeigt, ist die Situation noch im Fluß. Allein die „Schwester“ organisation und Teil-konkurrenz des KGB, der GRU, die Hauptverwaltung Aufklärung des Generalstabs, die u. a. für die elektronische Aufklärung zuständig ist, ist unter ihrem militärischem Oberbefehl ziemlich intakt geblieben 31.

Der neue russische Nachrichtendienst hat in erheblichem Maße die Strukturen und Funktionäre -schließlich 80000 -des alten KGB übernommen, was nicht ohne Risiken ist. Einerseits möchte man auf Professionalismus bauen, zumal diese Männer, setzte man sie auf die Straße, auch zu einer Gefahr für Staat und Gesellschaft werden können; andererseits aber übernimmt man so womöglich zuviel vom Geist des früheren KGB.

Es wurde bereits gemeldet, inzwischen würden die Demokraten aus dem russischen Dienst entfernt. Als neuer Sicherheitschef unternahm Barannikow im Zuge allgemeiner Sparmaßnahmen dann eine radikale Personalkürzung des MBRF auf ein Zwölftel des bisherigen, im Vergleich zum alten KGB bereits reduzierten Apparats.

Präsident Jelzin stattete am 26. Dezember 1991 der Führung des neuen Auslandsnachrichtendienstes einen Besuch ab, womit er die anhaltende Bedeutung der Institution -„im Interesse Rußlands und der Stabilisierung der internationalen Lage“ -symbolträchtig herausstellte. Inzwischen meldeten westliche Dienste, daß die ex-sowjetische Auslands-aufklärung aktiv sei wie eh und je, was aber russischerseits wiederholt und betont dementiert wurde 33.

Es war symptomatisch, daß seit Dezember 1991 konservative Elemente versuchten, den Reformer Bakatin zur Strecke zu bringen. Seine Übergabe der in den Beton des amerikanischen Botschaftsgebäudes in Moskau eingelassenen Abhöranlagen nebst den Plänen an den amerikanischen Botschafter -eine politische Geste Gorbatschows und Jelzins, zumal die Amerikaner Placierung und Technologie dieser Geräte längst kannten -löste Forderungen nach einem Hochverratsverfahren aus.

Zu den neuen russischen Diensten kommen neue Dienste auch der ehemaligen Republiken, die ihre KGBs gleich nach ihrer Souveränitätserklärung mehr oder minder pauschal übernahmen. Radikale Reformen und Personalkürzungen gab es zunächst nur im Baltikum. Die Ukraine, Moldau, Aserbaidschan und Usbekistan haben bereits eigene Auslandsnachrichtendienste eingerichtet.

Der neue ukrainische Dienst für Nationale Sicherheit (SNB) übernahm beispielsweise praktisch den alten republikanischen KGB-Apparat, bis dahin der zweitmächtigste der Sowjetunion: Er beschäftigte im Herbst 1991 angeblich 10000 Offiziere. Die Spannungen mit Rußland dürften dafür sorgen, daß dieser Dienst auch künftig Arbeit hat.

Die Vision des Endes aller Geheimdienste, wie sie nach dem Putsch mancherorts im Westen aufkam, scheint also verfrüht. Doch sofern die Demokratisierung Rußlands gelingt, wird sein Dienst zumindest „zivilisierter“ vorgehen und auf alte Dogmen und Methoden heimlicher Kriegführung verzichten. Jedenfalls strebt man nach neuer Respektabilität. So gibt es bereits seit Gorbatschow Ansätze zur Kooperation mit westlichen Diensten gegen Terrorismus, Drogenhandel und organisierte Kriminalität.

Entscheidend für die Zukunft wird sein, ob Ruß-land der Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft gelingt. Denn sollte ein autoritäres Regime die Macht übernehmen, so würde der Sicherheitsdienst wieder aggressiver agieren, wenn auch schwerlich im Dienste einer neuen Form von „Weltrevolution“. Können aber die Reformen einigermaßen erfolgreich durchgeführt werden, dann bleiben am Ende wohl nur ein mehr oder minder „klassischer“ Nachrichtendienst und eine Art Verfassungsschutz im Innern. In der Tat haben russische Reformer in den Diensten der Bundesrepublik -neben denen der USA -ihr Vorbild gesehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ein knapper Überblick findet sich in Astrid von Borcke, Unsichtbare Weltmacht KGB. Steht sie hinter Gorbatschows Perestroika?, Neuhausen-Stuttgart 1989. Wesentliche Werke über die sowjetische Staatssicherheit sind: John Barron, KGB. Arbeit und Organisation des sowjetischen Geheimdienstes in Ost und West, München-Zürich 1984; ders., KGB heute. Moskaus Spionagezentrale von innen, Bern-München 1984; Peter Deriabin/Frank Gibney, The Secret World, London 1959; ders. /Tennent H. Bagley, KGB: Masters of the Soviet Union, New York 1990; Jeffrey Richelson, Sword and Shield. The Soviet Intelligence and Security Apparatus, Cambridge, Mass. 1986.

  2. Eine nützliche Sammlung über die allzu wenig behandelten osteuropäischen Dienste ist Jonathan R. Adelman, Terror and Communist Politics: The Role of the Secret Police in Communist States, Boulder, Col. 1984.

  3. Vgl. Hidalgo Castro, Spy for Fidel, Miami 1971; Humberto Belli, Breaking Faith. The Sandinista Revolution and Its Impact on Freedom and Christian Faith in Nicaragua, Winchester, 111. 1985.

  4. Diese Ausführungen stützen sich u. a. auf wertvolle Information von Karl Wilhelm Fricke; vgl.ders., Die DDR-Staatssicherheit. Entwicklung, Strukturen, Aktionsfelder, Köln 1989.

  5. Vgl. Der Spiegel vom 13. 1. 1992, S. 27 und vom 9. 9. 1991, S. 34; International Herald Tribune vom 3. 1. 1992.

  6. Vgl. Werner Stiller, Im Zentrum der Spionage. Mit einem Nachwort von Karl Wilhelm Fricke, Mainz 1986.

  7. Vgl. Aleksei Myagkov, Inside the KGB. An Expose by an Officer of the Third Section, Richmond-Surrey 1977, S. 27.

  8. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. 11. 1989; A. Myagkov (Anm. 7), S. 26.

  9. Vgl. Friedrich-Wilhelm Schlomann, Die östliche Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland, in: Politische Studien, 42 (1991) 320, S. 600; Leonid Schebarschin-Interview, in: Der Spiegel vom 16. 3. 1992, S. 128f.

  10. Vgl. Salzburger Nachrichten vom 13. 2. 1992; Izvestija vom 17. 2. 1992.

  11. Bakatin erklärte, daß ihm als Chef des neuen MSB von einer halben Million Personen, die früher für den KGB gearbeitet hätten, voraussichtlich nur noch 39 000 verbleiben würden, vgl. TASS vom 10. 11. 1991.

  12. Vgl. Wadim Bakatin, in: Komsomol’skaja pravda vom 23. 10. 1991.

  13. Näheres über Specnaz in: A. v. Borcke (Anm. 1), S. 109.

  14. Vgl. Argumenty i fakty vom 20. 10. 1991.

  15. Vgl. Walter Laqueur, A World of Secrets. The Uses and Limits of Intelligence, New York 1985, S. 247.

  16. Vgl. Jeremy R. Azrael, The KGB in Soviet Politics. RAND/UCLA, Center for the Study of Soviet Behavior, February 1989.

  17. Vgl. F. Comte in: Nouvel observateur, 22. -28. 8. 1991, S. 48.

  18. Vgl. Christopher Andrew/Oleg Gordiewsky, KGB. Die Geschichte seiner Auslandsoperationen von Lenin bis Gorbatschow, München 1990, S. 691f.

  19. Mezdunarodnaja izn‘, Nr. 10, 1988, S. 34f.

  20. Vgl. A. v. Borcke, Der KGB und die Krise der Perestrojka, in: Sowjetunion 1990/91. Krise -Zerfall -Neuorientierung, München-Wien 1991, S. 72f.

  21. Vgl. Der Spiegel vom 18. 3. 1991, S. 169.

  22. Vgl. Jurij SCekodichin, in: Literaturnaja gazeta vom 10. 7. 1991.

  23. Vgl. Pravda vom 8. 1. 1988; A. v. Borcke (Anm. 1), S. 200f.

  24. Vgl. Wladimir Rubanow, in: Socialistiöeskaja zakonnost’, Nr. 8, 1988. -RFE/RLD (Radio Free Europ Daily/Radio Liberty Daily), 6. 9. 1988.

  25. International Herald Tribune vom 24725. 8. 1991.

  26. Oleg Kalugin, Razvedka i vneänjaja politika, in: Medunarodnaja izn‘, Nr. 5, 1989.

  27. Vgl. Radio Moskau vom 20. 6. 1990; International Herald Tribune vom 24. /25. 8. 1991; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. 8. 1991.

  28. Vgl. Boris Smirnow, in: Nezavisimaja gazeta vom 26. 11.

  29. Vgl. Sovetskaja Rossija vom 27. 6. 1991; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. 6. 1991.

  30. Vgl. Mark Galeotti, in: Jane’s Defense Review, Dezember 1991, S. 530.

  31. Vgl. Radio Liberty, USSR Today vom 26. 12. 1991, 1202.

Weitere Inhalte

Astrid von Borcke, Dr. rer. pol., geb. 1940; Studium der politischen Wissenschaft am Radcliffe College (Harvard University), in Hamburg und am Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales in Genf; seit 1972 wissenschaftliche Referentin am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln. Veröffentlichungen u. a.: KGB. Die Macht im Untergrund, Neuhausen-Stuttgart 1987; Unsichtbare Weltmacht KGB. Steht sie hinter Gorbatschows Perestrojka?, Neuhausen-Stuttgart 1989.