Das Ostbüro der SPD, über Jahrzehnte hinweg ein Mauerblümchen der Zeitgeschichte, war in den vierziger und fünfziger Jahren eine geheimnisumwitterte Organisation im Kalten Krieg. Geschaffen als Reaktion auf die Vereinigungsbestrebungen der KPD in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ), sollte diese Organisation des SPD-Parteivorstandes über Jahrzehnte hinweg auf östlicher Seite hysterische Reaktionen auslösen.
Kurt Schumacher, der erste Parteivorsitzende der SPD in den Westzonen Nachkriegsdeutschlands, sah im Vereinigungsdrang der KPD schon früh deren Versuch, zumindest im Osten Deutschlands die Macht zu erringen. Er fühlte sich durch die Berichte über Zwangsmaßnahmen der Sowjets gegen Sozialdemokraten in seiner Anschauung bestärkt. Geprägt hatten ihn seine Erfahrungen in der Weimarer Zeit: Das Paktieren der Kommunisten mit den Nationalsozialisten gegen die ungeliebte Republik, etwa im Streik der Berliner Verkehrsbetriebe, aber auch die feindselige Haltung, die die KPD in dieser Zeit der SPD gegenüber einnahm, waren ihm noch in frischer Erinnerung. Zum anderen sah Schumacher in dem Stillhalte-oder Legalitätskurs eines Großteils der Sozialdemokraten nach dem Staatsstreich in Preußen eine Kapitulation vor den Nationalsozialisten Schumacher war nicht bereit, demokratisches Terrain kampflos antidemokratischen Kräften zu überlassen. Insofern scheint es nur konsequent, daß er sich auch mit den Entwicklungen in der SBZ, mit dem „Parteistreich“ gegen die SPD im Sinne von Stalins Deutschlandpolitik, nicht einfach abfinden wollte. Die SPD hielt ihren Anspruch aufrecht, eine gesamtdeutsche Partei zu sein. Da im Osten Deutschlands eine legale Tätigkeit ausgeschlossen war, wollte sie in der SBZ aus der Illegalität heraus wirken 2. Diesem Zweck sollte von nun an das Ost-büro dienen. In Anknüpfung an alte sozialdemokratische Traditionen, die sich im Kaiserreich und in der NS-Zeit bewährt hatten, plante Schumacher schon im Februar 1946 die Einrichtung einer „Untergrundorganisation“ in der sowjetischen Zone. Entsprechend äußerte er sich gegenüber dem politischen Berater des britischen Oberbefehlshabers in Berlin, William Strang. Dieser telegrafierte am 23. Februar 1946 nach London: „His plan seems to be to maintain contact Underground Organization inside the United Party, for which he is already making arrangement.“ 3
Als „Betreuungsstelle Ost“ unterstützte man in Hannover seit Anfang 1946 Sozialdemokraten, die sich der politischen Verfolgung in der SBZ durch Flucht in d
Als „Betreuungsstelle Ost“ unterstützte man in Hannover seit Anfang 1946 Sozialdemokraten, die sich der politischen Verfolgung in der SBZ durch Flucht in den Westen entzogen. Zu ihnen zählte auch der erste Leiter dieser Flüchtlingsbetreuungsstelle, Rudi Dux, ein sozialdemokratischer Journalist, der als NS-Widerstandskämpfer zwei Jahre inhaftiert war, und nach Kriegsende in Magdeburg die SPD mitaufgebaut hatte. Er mußte im Februar 1946 nach Konflikten mit der Sowjetischen Militäradministration fliehen. Zwei Aufgaben bestimmten den Beginn der Arbeit des Ostbüros: die Flüchtlingsbetreuung und die Flugschriften-Propaganda. „Bei der Flüchtlingsbetreuungsstelle Ost in Hannover findet eine Registrierung und eine Vorprüfung der ankommenden Flüchtlinge statt“, berichtete der sozialdemokratische Vorwärts. „Hat es sich in Hannover herausgestellt, daß es sich um einen echten politischen Flüchtling handelt, dann gewährt ihm die SPD jeden nur möglichen Schutz und jede nur mögliche Hilfe und Unterstützung.“ Rudi Dux schickte Kuriere in die SBZ, wo versucht werden sollte, alte Verbindungen zu Genossen aufzunehmen bzw. zu vertiefen, um so herauszufinden, ob es sich bei den eingetroffenen Flüchtlingen tatsächlich um verfolgte Sozialdemokraten handelte.
Die Mitarbeiter des Ostbüros betreuten nicht nur die verdeckt agierende Parteiorganisation in der SBZ, sondern befragten auch die in Hannover eintreffenden Flüchtlinge. Nur wer über die grundlegenden Veränderungen im Bilde war, die sich in Ostdeutschland vollzogen, konnte glaubwürdig den Anspruch aufrechterhalten, gesamtdeutsch tätig zu sein. Ausgewertet wurden auch Zeitungen und andere Schriften, die das Ostbüro aus der SBZ erhielt. Dabei erscheint die Arbeit der ersten Informanten rückblickend als noch wenig professionell, fast spielerisch: „Habe Dir die letzten Freiheiten (gemeint ist die Freiheit, Halle) geschickt. Bekommst sie von jetzt ab alle lückenlos“, schrieb ein Parteimitglied aus der SBZ dem Ostbüro-Chef Dux im August 1946. „Habe noch ein 2. Exemplar bestellt, damit mir sie Mutti nicht zum Einwickeln nimmt. Verordnungsblätter bekommst Du weiterhin.“
Mit der Einstellung des früheren stellvertretenden Leipziger Polizeipräsidenten Günther Weber am 27. April 1947 änderte sich die Arbeitsweise des Ostbüros. Nachrichtendienstähnliche Methoden sollten nun dazu beitragen, die Aufgaben effektiver zu erfüllen. Schon wenige Tage, nachdem ihn der Parteivorstand angestellt hatte, erarbeitete Weber einen Plan zum Aufbau des „Nachrichtenund Propagandawesen(s) Ostzone“ Rudi Dux konnte sich mit diesen weitreichenden Plänen nicht anfreunden. Er wechselte in die Presseabteilung des Parteivorstandes. Im Rahmen der „Reorganisation des Ostzonenbüros“ übernahm am 1. Juli 1947 Siegmund (Sigi) Neumann dessen Leitung. Der Ex-Kommunist Neumann war im Frühjahr 1946 freier Mitarbeiter der SPD geworden. Der Parteivorstand stellte ihm den langjährigen Sozialdemokraten Stephan Thomas, mit bürgerlichem Namen Grzeskowiak, zur Seite. Thomas, Jahrgang 1910, konnte nach einer Lehre das Arbeiterabitur auf der Berliner Karl-Marx-Schule ablegen und in Berlin, London und Warschau studieren. 1933 war er als „Peter the Pole“ und „Thomas“ in die Illegalität gegangen. Bevor der Partei-vorstand Thomas zum stellvertretenden Leiter des Ostbüros berief, war er im Auftrag Schumachers im Polizeipräsidium von Hannover tätig.
I. Professionalisierung der Arbeit
Mit der Einstellung von Neumann und Thomas entwickelte sich das SPD-Ostbüro „zu einer politischen Potenz“ Die beiden begannen ihre Arbeit mit der Zusammenstellung von Listen vertrauenswürdiger Genossen in der SBZ Die Parteifreunde in der SBZ und späteren DDR erhielten von nun an öfter Besuch aus dem Westen. Die Gäste wollten nicht nur etwas mehr über die bereits illegal tätigen anderen Genossen erfahren, sondern hofften gleichzeitig auf neue Namen Oft meldeten sich alte Parteimitglieder aus dem Osten Deutschlands auch selbst bei der Westzonen-SPD. So erhoben die Sozialdemokraten aus Gera förmlich Anspruch auf zwei Delegiertenmandate beim Nürnberger Parteitag von 1947 Mit der Ausweitung der Tätigkeit nahm jedoch nicht nur das Wissen um die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Ostzone zu, sondern zugleich auch das organisatorische Chaos im Ostbüro. Neumann und Thomas ließen nun ein eigenes Archiv einrichten, das jahrzehntelang die Arbeit unterstützen sollte.
Die SPD sammelte nicht nur Wissenswertes, sondern gab es auch an die Genossen in der SBZ weiter. Denn, so der V-Mann Dieter Rieke aus Gardelegen: „Unser Bedürfnis war (es), Informationen zu bekommen“, nicht jedoch „nachrichtendienstliche Arbeiten zu verrichten“. Und so kamen die „Kuriere..., brachten Zeitungen, brachten Sopade-Blätter, die für Mitteldeutschland gedacht waren, ... und meinte(n), es wäre gut, wenn wir für Hannover auch (Berichte; d. Verf.) schreiben würden, über Demontagen, über den Vollzug der Bodenreform, über die Organisation der Parteien“ Alles galt dem Hauptzweck, so lange auszuhalten und Vorbereitungen für den Tag zu treffen, an dem sich die SPD auch in der SBZ wieder legal betätigen konnte. Hierzu brauchten die Ost-zonen-Genossen freilich mehr als nur Propagandamaterial. „In jedem Kurierbericht kann man nachlesen, welche abseitigen Wünsche von unseren Freunden in der Ostzone an uns herangetragen werden“, schilderte Neumann dem Parteivorstand im April 1948. „Der eine Genosse möchte Lebensrnittel für einen lungenkranken Genossen haben, der andere Fahrradreifen, der 3. Autoreifen, der 4. Farbbänder, der 5. Medizin, der 6. Benzin.“ Die vorgetragenen Wünsche seien jedoch „nicht etwa nur privater Natur, sondern nach den glaubhaften Berichten unserer Kuriere hängen sie direkt oder indirekt mit der politischen Tätigkeit für uns zusammen“
Eine interne Anweisung für die illegale Arbeit in der SBZ von 1948 sieht es als die Hauptaufgabe der konspirativen Tätigkeit sozialdemokratischer Gruppen an, daß bei allen Aktionen die Sicherheit der Sozialdemokraten in der SBZ gewährleistet bleiben müsse, damit „unsere Genossen das zur Zeit in der Ostzone herrschende Regime überleben“ Rückgrat der illegalen Arbeit des Ostbüros waren die Kuriere. Neben der Weitergabe und der Entgegennahme von Informationen sollten sie gefährdete Sozialdemokraten in der sowjetischen Zone warnen und zur Flucht veranlassen. Doch die Zahl der Kuriere nahm stetig ab, und zugleich wuchs der Kreis der Vertrauensleute in der SBZ, an die sie sich wenden sollten. Der erste Kurier, der verhaftet wurde, war Wilhelm Lohrenz, ein Mitarbeiter des Berliner SPD-Landesvorstandes Am 27. Juni 1948, mehr als anderthalb Jahre nach der Festnahme, verlas Walter Ulbricht dessen erzwungenes „Geständnis“ vor dem Zentralsekretariat der SED Auch Richard Lehners, ein Kurier des Ostbüros in Hannover, wurde schon recht bald enttarnt, aber nicht verhaftet. Wilfried Busch wurde Anfang 1948 festgenommen, als er während einer Kurierfahrt in Mühlhausen/Thüringen seine Eltern besuchte; sein Freund Bargmann quittierte nach dessen Verhaftung seinen Dienst. Als der Kurier Ernst Knüppel Anfang 1948 versuchte, in die SBZ zu gelangen, nahm ihm die ostdeutsche Polizei den verfälschten Ausweis ab. Knüppel konnte fliehen Nach diesen ersten Rückschlägen hatte Ostbürochef Sigi Neu-mann erhebliche Probleme, den Kurierdienst aufrechtzuerhalten. Schon im Februar bezeichnete er den Kurierdienst als „schwächste(n) Punkt in unserem Büro, und all meine Bemühungen konzentrieren sich darauf, geeignete Kuriere zu finden“
II. Massenverhaftungen
Nach der Inhaftierung der Kuriere kam es in der SBZ zu ersten Massenverhaftungen von Sozialdemokraten, die mit dem Ostbüro in Verbindung standen. In einem Schreiben an Heine schlug Neu-mann deshalb vor, die Westzonen-SPD müsse sich so revanchieren, „daß der Gegenseite Hören und Sehen vergeht. Es ist einfach unerträglich, mit gebundenen Händen zusehen zu müssen, wie unsere Genossen Freiwild sind, die wir registrieren, und bestenfalls hinterher die Dinge propagandistisch verwerten und für die Opfer sammeln. Ich ... bin der Ansicht, daß wir ... zu Repressalien greifen. Wir müssen für jeden verhafteten SPD-Funktionär zwei bis drei bekannte KP-Funktionäre im Westen unschädlich machen.“ Der Vorschlag wurde jedoch nicht weiterverfolgt. Zumeist lagen die Erfolge des sowjetischen Sicherheitsdienstes wohl an der mangelnden Konspiration Mit dem Kurier Karl-Heinz Schmiedel, der wie Karl Gundlach im August 1948 in der SBZ verhaftet wurde, könnte es den ostdeutschen Behörden gelungen sein, einen Agenten ins Ostbüro zu schleusen.
Die SED zwang ihre eigenen Mitglieder immer stärker auf eine orthodox-kommunistische Linie. So forderte das Zentralsekretariat der SED am 3. Juli 1948, die Partei müsse „kompromißlos auf dem Boden des Marxismus-Leninismus“ stehen Am 29. Juli 1948 beschloß der Parteivorstand dann Maßnahmen zur „organisatorische(n) Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen“ Den nun einsetzenden Massenverhaftungen fielen -nachdem die meisten SPD-Kuriere enttarnt und so die illegalen Verbindungen bekannt geworden waren -natürlich in erster Linie die Vertrauensleute des Ost-büros zum Opfer. Um den Hauptvorwurf der „Spionage“ zu untermauern, warf man den Inhaftierten vor, sie hätten in Hannover oder Berlin den Gedankenaustausch mit Sozialdemokraten gepflegt oder mit Kurieren Kontakte unterhalten. Daß es sich bei diesem Spionagevorwurf nur um einen Vorwand der politisch motivierten Justiz handelte, muß an dieser Stelle nicht besonders betont werden. Auf diesem Wege verlor die illegale Ost-SPD nach einer Schätzung Hermann Kreutzers, der gemeinsam mit Vater und Ehefrau verhaftet wurde, etwa 70 Prozent ihrer Mitglieder Politisch motivierte Prozesse wurden zwischen 1948 und 1950 fast ausschließlich vor Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) verhandelt, die der SED damit die „politische Schmutzarbeit“ abnahmen Der Parteivorstand der SPD versuchte über das Ostbüro, die sozialdemokratischen Häftlinge auf zwei Wegen zu unterstützen. Zum einen versorgte er die Inhaftierten oder ihre Angehörigen mit Paketsendungen, zum anderen brachte er ihr Schicksal an die Öffentlichkeit, um so Druck auf die Machthaber im Osten Deutschlands auszuüben.
Im Sommer 1948 gab Sigi Neumann die Leitung des Ostbüros ab. Seit April dieses Jahres hatte er sich mit Rücktrittsabsichten getragen, denn es hatte größere Auseinandersetzungen um Personal und Sachmittel gegeben Doch nicht diese zwei-fellos vorhandenen Probleme führten zum Rücktritt Neumanns, es war der schwelende Konflikt um den Stellenwert der beiden Hauptarbeitsgebiete des Ostbüros, Flüchtlingsbetreuung und Nachrichtensammlung, der im Juli 1948 zu einer „Palastrevolution“ gegen Neumann geführt hatte Als Stephan Thomas am 1. November 1948 offiziell die Leitung des Ostbüros übernahm, stand er, bildlich gesprochen, vor einem Trümmerhaufen. Die meisten Kuriere waren verhaftet worden oder hatten den Dienst quittiert, und Hunderte von Vertrauensleuten der SPD saßen in ostdeutschen Gefängnissen.
Um das Kurierwesen neu aufzubauen und endlich einen funktionierenden Stützpunkt in Berlin einzurichten, schickte das Ostbüro Heinz Kühne in die Sektorenstadt. Mit zwei neuen Kurieren sollte dieser den Versuch unternehmen, die Verbindungen in die SBZ wiederherzustellen. Doch dies war auch dem sowjetischen Geheimdienst nicht verborgen geblieben. Mitarbeiter der Polizeisektion K 5 im sowjetischen Sektor Berlins -einer Einheit, aus der 1950 der Staatssicherheitsdienst der DDR entstand -verschleppten Kühne am 8. Februar 1949. Seine Verhaftung warf die Ostzonenarbeit der SPD erneut zurück, wie der zuvor verhaftete SPD-Vertrauensmann Hermann Kreutzer berichtet: „Unter dem Druck der NKWD-Verhehmungsmethoden gab Kühn(e) eine Reihe von Namen mitteldeutscher Sozialdemokraten preis ... In allen Teilen der Zone wurden Sozialdemokraten verhaftet. U. a. wurden Verhaftungen in größerer Zahl vor allem in Stralsund, Rostock, Wismar, Schwerin, Cottbus, Guben, Fürstenwalde, Brandenburg, Potsdam, Ost-Berlin, Jüterbog, Haldensleben, Mansfeld, Eisfeld, Halle, Weißenfels, Merseburg, Leipzig, Bautzen, Görlitz, Zittau, Chemnitz, Zwickau, Werdau, Crimitschau, Altenburg, Gera, Ronneburg, Sonneberg, Saalfeld, Rudolstadt, Jena, Weimar, Erfurt, Mühlhausen, Nordhausen, Gotha, Eisenach, Arnstadt und Meiningen.“
Erneut mußte die Arbeit des Ostbüros völlig umorganisiert werden Statt neue geheime Verbindungen aufzubauen, legte man nun in Hannover eine nach Orten und Straßen geordnete Kartei der SBZ an, in der zuverlässige sozialdemokratische Flüchtlinge mit ihren ehemaligen Wohnorten im Osten verzeichnet wurden. Kamen nun Flüchtlinge in Hannover an, so wurden Sozialdemokraten, die früher im gleichen Ort oder sogar in der gleichen Straße gewohnt hatten, im Westen angeschrieben und um Auskunft ersucht. Gelegentlich halfen alliierte Geheimdienste dem Ostbüro, wenngleich die Zusammenarbeit bei weitem nicht so problemlos verlief, wie das von östlicher Seite möglicherweise angenommen, zumindest aber behauptet wurde. Mit Beginn der Berlin-Blockade durch die sowjetische Besatzungsmacht wurden die Kontakte des Ostbüros zu den britischen Militärbehörden und Geheimdiensten enger. Um „besonders wichtige Kuriere und prominente Persönlichkeiten aus der russischen Zone“ in den Westen bringen zu können, war man auf die alliierten Flugverbindungen von und nach Berlin angewiesen. Britische Militär-züge und später Flugzeuge transportierten auch die Päckchen nach Berlin, mit denen die SPD ihre in der SBZ inhaftierten Parteifreunde und deren Familien unterstützte Mit den britischen Spionage-aktivitäten aber wollte man im SPD-Ostbüro nichts zu tun haben. Das belegt ein Briefwechsel des Ostbüros mit dem britischen Geheimdienst vom September 1949: Die Briten hatten einen ihrer Agenten nach seiner Flucht aus der SBZ ins Ostbüro geschickt, damit er dort als Flüchtling betreut werden könne. Stephan Thomas schrieb empört an den britischen Geheimdienst, man solle dafür „sorgen, daß in Zukunft derartige Anweisungen unterbleiben“ Zu den Amerikanern hatte Neumann bereits Mitte 1948 Kontakte aufgenommen. Auch hier betonte die SPD, daß „unser Kampf gegen die Russen nur auf unsere eigene Weise und mit unseren eigenen Methoden“ geführt werden könne; „etwaige Versuche, unsere Freunde in der Ostzone für spezifisch alliierte Interessen (militärische Spionage etc.) einzusetzen“, würden „von uns aus unter allen Umständen zurückgewiesen“ werden
Dies bedeutete nicht, daß man eine Zusammenarbeit mit den alliierten Geheimdiensten prinzipiell ablehnte. Während die Briten in Hannover Räume für das Ostbüro beschafften und in der Zeit der Berlin-Blockade Transportmöglichkeiten zur Verfügung stellten, halfen die Amerikaner mit Personenauskünften. Ihr Geheimdienst CIC überprüfte auf Wunsch des Ostbüros Sozialdemokraten, die unter dem Verdacht standen, Verbindungen zu den Machthabern in der SBZ und späteren DDR zu unterhalten. Die Ergebnisse dieser Überprüfungen führten dazu, daß das Ostbüro wiederholt Parteiausschlußverfahren gegen unzuverlässige Genossen einleiten ließ Auch leitete das Ostbüro Personen an die Alliierten weiter, an deren Mitarbeit es selbst nicht interessiert war; meist, weil es sich bei den Betreffenden nicht um Sozialdemokraten handelte. So meldeten sich im März 1949 im Ostbüro „zwei Personen, die glaubwürdig vorgaben, im Panzerwerk Kirchmöser ... tätig zu sein. (Eine) überbrachte das anliegende Material ... Da es sich bei den beiden Personen um Typen handelt, an denen wir als Partei nicht interessiert sind, und wir auch kein Interesse haben, einen weiteren Kontakt mit ihnen zu pflegen, stelle ich anheim, ggf. mit ...den Kontakt selbst aufzunehmen.“ Um erneute Massenverhaftungen zu verhindern, arbeitete man ab 1949 mit verbesserten konspirativen Mitteln. Das Ostbüro kapselte sich von den anderen Bereichen des Parteivorstandes weitgehend ab und versuchte, mit verschiedenen Maßnahmen zu verhindern, daß seine Mitarbeiter bei etwaigen zukünftigen Festnahmen erneut Interna preisgeben konnten. Indem die einzelnen Tätigkeitsbereiche viel stärker als bisher voneinander abgegrenzt wurden, sorgte man dafür, daß nur noch derjenige Einblick in ein bestimmtes Arbeitsgebiet erhielt, der auch dafür zuständig war. Unter Stephan Thomas und dessen Sekretär Helmut Bär-wald begann mit der Einführung dieser Sicherheitsvorkehrungen eine neue Phase in der Arbeit des Ostbüros. Das Konzept, überall in der SBZ sozialdemokratische Widerstandsgruppen als Keimzellen einer künftigen SPD zu bilden, ließ man fallen. Statt dessen sollten sich die Genossen in der SBZ nur noch individuell an das Ostbüro wenden und seine Zweigstellen oder verabredete Treffpunkte aufsuchen, um Informationen weiterzugeben oder Material in Empfang zu nehmen. Der Kurierverkehr in der bisherigen Form wurde eingestellt. Vieles spricht dafür, daß man die Genossen auch im Umgang mit Geheimtinte und Spezial-kameras unterwies
Problemkind des Ostbüros war und blieb die Zweigstelle in Berlin. Sie beschäftigte einen Mitarbeiter, der nebenbei für den US-Geheimdienst zu arbeiten schien, und sie setzte sich immer wieder sträflich über die Grundregeln konspirativer Arbeit hinweg Willy Brandt, damals Beauftragter des Parteivorstandes in Berlin, stellte die Denkschriften des Ostbüros der internationalen Presse vor und verlieh gelegentlich seinen Dienstwagen samt Fahrer -so übrigens auch an den Kurier Heinz Kühne am Abend seiner Entführung. Die ostdeutsche Presse bezeichnete ihn daher immer wieder fälschlicherweise als führenden Mitarbeiter des Büros Im Januar 1949 richtete das Ostbüro in der Charlottenburger Langobardenallee 14 eine „offene“ Betreuungsstelle ein, deren Bürozeiten der RIAS bekanntgab Nach Angaben Heines sprachen in der Langobardenallee monatlich zweihundert bis dreihundert Besucher vor, die anschließend wieder zurück in die DDR gingen Neben dieser offenen Kontaktstelle installierte das Berliner Ostbüro einen geheimen Stützpunkt, das sogenannte „oberhaus“. Hier hatte man den illegalen Apparat untergebracht Unter dem Tarnnamen „Aktionsgemeinschaft FDJ“ unterhielt das Ostbüro eine weitere Zweigstelle in Berlin. Ihr Name sollte den Eindruck vermitteln, es handele sich um eine Organisation abgespaltener FDJler, tatsächlich war es jedoch eine reine SPD-Organisation. Die „Aktionsgemeinschaft FDJ“ gab seit 1952 zwei Jugendzeitschriften heraus: die Monatsschrift Freie Junge Welt und eine Tarnausgabe der Jungen Welt, die ihrem DDR-Vorbild in Format und Papierqualität vollkommen glich. Die Tarnausgabe übernahm auf der Titelseite Fotos und Schlagzeilen des DDR-Originals, um den Transport über die Sektorengrenze zu erleichtern. Im Fließtext und auf den Innenseiten schilderte sie dann aber die politischen Vorgänge unverblümt aus sozialdemokratischer Sicht.
Papiermangel und finanzielle Probleme verhinderten bis 1950, daß das Ostbüro politische Schriften im gewünschten Umfang produzierte und in den anderen Teil Deutschlands transportierte. So konnten Ostbüro-Mitarbeiter im Jahre 1950 insgesamt nicht mehr als 670000 Broschüren, Flugblätter und Klebezettel in die DDR bringen Als um die Jahreswende 1951/52 die Papierrationierung aufgehoben wurde, konnte das Ostbüro Propagandamaterial in wesentlich höheren Auflagen herstellen. Wie schon in der NS-Zeit waren die Flugblätter das wichtigste Agitationsmittel der Sozialdemokraten in der Illegalität. Möglich wurde diese erste größere Ausweitung der Propaganda-mittel auch durch Finanzzuweisungen des Bundesministeriums für Gesamtdeutsche Fragen.
III. Umstrukturierungen 1951
Am l. Juni 1951 verlegte das Ostbüro seinen Hauptsitz von Hannover nach Bonn. Hiermit veränderten sich auch die Aufgaben: Die Mitarbeiter mußten nun in ihrer Arbeit die nationale und internationale Presse stärker berücksichtigen, die Denkschriften einem breiten Publikum vorstellen und neben den bisherigen auch Arbeiten partei-bzw. innenpolitischer Art erledigen. Häufig berieten sie Bundestagsabgeordnete, wenn es um Fragen ging, die Ostdeutschland betrafen, und sie bereiteten auch Gesetzentwürfe mit vor; Reden und Rundfunkansprachen zu diesem Themenkreis kamen fast ausschließlich von Thomas und seinen Mitarbeitern. Die inzwischen nahezu 100 Mitarbeiter zählende Berliner Zweigstelle konnte nicht mehr zentral von Bonn aus geleitet werden. Die Ostbüro-Spitze suchte einen Leiter und fand ihn in dem ehemaligen Kommunisten Alfred Weber alias „Peter Wandel“. „Wandel“ war 1933 ins dänische Exil gegangen und hatte sich dort dem Widerstand angeschlossen. Nach Kriegsende arbeitete er für den dänischen Geheimdienst, der ihn dem Ostbüro empfohlen hatte.
Hatten sich die Mitarbeiter des Ostbüros in den ersten Jahren noch darauf beschränkt, einzelne Personen zu überprüfen, so beobachteten sie im Rahmen ihrer Inlandsaufklärung schon bald ein ganzes Spektrum verschiedener Gruppen und Parteien in Westdeutschland. An erster Stelle interessierten sie sich für die KPD der Westzonen. Galt diese einerseits als lästiger Konkurrent um die Stimmen der Arbeiterschaft, so sah die SPD in ihr doch andererseits auch einen direkten Ableger und Befehlsempfänger der verhaßten SED-Kommunisten. Zudem behielt man auch pazifistische und konservative Gruppierungen und Zirkel im Auge
IV. Spionageaktivitäten des Staatssicherheitsdienstes
Ende der vierziger Jahre hatte es der sowjetische Geheimdienst vermocht, die Tätigkeit des Ostbüros fast völlig lahmzulegen. Doch dann blieb es ruhig um das Ostbüro. Erst Mitte der fünfziger Jahre wurde das Ostbüro wieder verstärkt Zielscheibe östlicher Geheimdienste. Als Ausgangspunkt können hier Äußerungen Ulbrichts gesehen werden, der nach dem 17. Juni 1953 feststellte, daß der „Sozialdemokratismus" nicht ausgerottet sei und daß vom Ostbüro der SPD eine größere Gefahr ausgehe als von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit oder den Freiheitlichen Juristen.
Aufgrund der Tatsache, daß in Berlin bis zu hundert Personen für die verschiedenen Zweigstellen des Ostbüros arbeiteten, war es für die östliche Seite hier leichter als in Bonn, Agenten einzuschleusen. Zunächst geriet der Student Wolfgang Zaehle, der zwischen 1954 und 1957 als Sachbearbeiter dort tätig war, in Spionageverdacht, wurde aber schnell wieder mangels Beweisen entlassen. Zaehle war -wie auch andere Mitarbeiter des Ost-büros -dem Staatssicherheitsdienst namentlich bekannt und deshalb Psychoterror ausgesetzt. Er bekam 1955 einen Brief aus der DDR, in dem ihm Konsequenzen für sein Tun angedroht wurden: „Ihnen, Herr Zaehle, wird bekannt sein, auf welche Art Menschen, die eine derart verbrecherische Tätigkeit ausüben, geendet haben, enden und enden werden... Für Ihre Person gibt es gegenwärtig nur zwei Wege. Der eine Weg führt ... ins Zuchthaus. Der andere Weg führt über den Bruch mit Ihrer jetzigen Tätigkeit zu dem Weg, den jeder anständige und nationalbewußte Arbeiter geht... Wir geben Ihnen hiermit die Möglichkeit, ebenfalls diesen Weg einzuschlagen und vorerst mit Vertretern unseres Organs in mittelbaren, d. h. über Ihren Vater oder Bruder oder unmittelbaren Kontakt zu kommen... Dies ist eine einmalige Chance, die wir Ihnen bieten. Schließlich werden Ihre amerikanischen Auftraggeber kaum gewillt sein, bei ihrem Abzug aus Deutschland ihrer Person und Familie in London oder New York eine gesicherte Existenz zu bieten.“
Solche Vorgänge waren im Berlin der Nachkriegszeit keine Seltenheit. So wurde für „Dr. Reinhard“ (Pritzel) ein Grabkranz bei seiner Frau abgegeben. Auch Entführungsversuche gehörten nach wie vor zum Repertoire des Staatssicherheitsdienstes: Der spätere Leiter der Berliner Zweigstelle, Eberhard Zachmann, sollte im September 1953 in der Nähe der Friedrichstraße entführt werden, was jedoch mißlang. Bei den Ostbüro-Mitarbeiterinnen Käthe Fraedrich und Charlotte Heyden startete der SSD gleich zwei Attentatsversuche. Nachdem ein nächtlicher Einbruch in die gemeinsame Wohnung der beiden Frauen fehlgeschlagen war, scheiterte ein Entführungsversuch, und der Berliner Staats-schutz verhaftete drei Männer, die eine Gaspistole, Gift und Betäubungsmittel bei sich trugen. Der SPD-Pressedienst verbreitete daraufhin die Meldung, der Staatssicherheitsdienst sei angesichts der „propagandistischen Erfolge“ des Ostbüros zu individuellem Terror gegenüber den Mitarbeitern des Ostbüros übergegangen
Tatsächlich aber hatte das Ostbüro in den Monaten zuvor schwere Rückschläge hinnehmen müssen. Am 20. Juli 1956 wurde in Berlin der Postangestellte Alfred Geißler verhaftet, der seit Juli 1955 alle Telefonate im Büro in der Langobardenallee mitgeschnitten und die Bänder dem SSD übermittelt hatte. Am 7. August 1956 nahm die politische Polizei in West-Berlin das Hausmeisterehepaar Albrecht fest, das im Gebäude des Ost-büros in der Langobardenallee wohnte Die beiden Verhafteten „waren die einzigen, die von 24 Stunden volle 14 Stunden ungestört alle Räume des Ostbüros betreten konnten“, wie ein anonymer Informant dem SPD-Bundestagsabgeordneten Herbert Wehner mitteilte Die West-Berliner BZ griff das Ostbüro nach diesem Vorfall wochenlang an. Am 8. August 1956 forderte sie: „Bestraft den Leichtsinn ... Mit Bestürzung mußten die Beamten bei den gestrigen Vernehmungen feststellen, mit welchem Leichtsinn diese Dienststelle, auf die Hunderttausende von Sowjetzonenbewohnem all ihre Hoffnungen gesetzt haben, arbeitet.“ Als der Westberliner Staatsschutz nur einen Monat später den Eigentümer eines Lieferwagens verhaftete, der für die Stasi spioniert hatte, indem er mit einer im Wagen eingebauten Kamera Besucher des Büros in der Langobardenallee fotografierte, lautete die Schlagzeile in der BZ „Macht endlich die Bude zu!“
Die Auswirkungen dieser Spionageaktionen auf die Arbeit des Ostbüros sind nicht abschätzbar. Sicherlich war der Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit mindestens so groß wie der Schaden durch die Enttarnung der V-Leute mittels abgehörter Telefonate und geheimer Aufnahmen.
V. Sabotagevorwürfe
Neben den Problemen mit der gegnerischen Spionage tauchten vermehrt ab Mitte der fünfziger Jahre Berichte in den bundesdeutschen Medien auf, die dem SPD-Ostbüro Sabotageaktionen in Ostdeutschland vorwarfen. 1955 wurden diese Anschuldigungen so massiv, daß Fritz Heine vor dem Parteivorstand dazu Stellung nehmen mußte Ostdeutsche Medien warfen dem Ostbüro in unterschiedlichen Abständen immer wieder vor, „Arbeiterfunktionäre mit Säure überschütten oder gar „Überschwemmungen herbeiführen“ zu wollen Wie absurd viele Beschuldigungen waren, zeigt sich exemplarisch an dem gegenüber dem Ostbüro-Vertrauensmann Bernhard Behnisch aus Kolkwitz erhobenen Vorwurf, dieser habe ein Attentat auf den polnischen Staatspräsidenten Bierut und auf „fortschrittliche Personen geplant“ und zu diesem Zweck „Waffen sowie Sprengstoff verborgen“ Verurteilt wurde Behnisch dann jedoch nicht wegen Mordversuchs oder ähnlicher Kapitalverbrechen, sondern weil er und seine Gruppe „bei besonderen Anlässen“ Fahnenstangen zerstörten und die angebrachten Fahnen entwendeten.
Auch Sabotageaktionen, die direkt zu einer Verschlechterung der Lebensverhältnisse der ostdeutschen Bevölkerung führen sollten, wurden dem Ostbüro vorgeworfen. Auch der Spiegel beteiligte sich in den sechziger Jahren an dieser Kampagne Manche Sabotageakte wurden gleichermaßen der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) vorgeworfen
All diese Sabotagevorwürfe wurden vom Ostbüro konsequent zurückgewiesen. So schrieb Stephan Thomas an den Spiegel-Herausgeber Rudolf Aug-stein, diese Behauptungen seien verleumderisch und führte weiter aus: „In den 19 Jahren meiner Arbeit in dem Ostbüro gab es niemals vom Ost-büro zu verantwortende Sabotageakte in der Sowjetzone, auch keine von der Art, wie sie dem Ost-büro und seinen Mitarbeitern vom Verfasser des Artikels unterstellt werden.“ Es scheint sich bei den Sabotagevorwürfen tatsächlich eher um eine Alibierklärung der DDR-Staatsführung für Probleme in der Lebensmittelversorgung gehandelt zu haben. Der „Marsch ins (wirtschaftliche) Chaos bedingt durch die unvorhergesehenen Einfuhren von Rüstungsmaterial, den beschleunigten Aufbau der Kasernierten Volkspolizei und die nicht erfüllten Wirtschaftspläne, führte zu einer „Spionen-und Agentenhysterie, die vor allem zur Entschuldigung eigener Fehler und Probleme diente“
VI. Wehners Wahl zum stellvertretenden Parteivorsitzenden
Die sich häufende erfolgreiche Spionage der Staatssicherheit, verbunden mit unzutreffenden aber störenden Sabotagevorwürfen, führten zu einer beträchtlichen Beeinflussung der Arbeit des Ostbüros. Nach der Wahl Herbert Wehners zum stellvertretenden Parteivorsitzenden 1958 war Ste-phan Thomas klar, daß auf das Ostbüro schwierige Zeiten zukommen würden. „Noch während des Parteitages... diskutierte er mit einigen Freunden darüber, die Arbeit des Ostbüros auf anderer , Grundlage, dem Einfluß Wehners entzogen, fortzusetzen.“ So wurde angeblich auch darüber nachgedacht, das Ostbüro aufzulösen und als Nachrichtenhändler für die USA zu fungieren.
Dies hätte bedeutet, mit Hilfe der vorhandenen Kontakte in der DDR eine Spionageorganisation aufzubauen Bärwald spricht von Überlegungen der Leitung des Ostbüros, diese Institution 1965/66 in ein von der SPD unabhängiges „DDRund Osteuropa-Forschungsinstitut umzuwandeln und die Arbeit des Ostbüros ein wenig modifiziert in diesem Institut fortzuführen ... Über finanzielle und personelle Probleme wurde im Kreis von Freunden und Sympathisanten beraten.“ Schon 1964 war dies in Zeitungsberichten gemeldet worden. Hauptgrund seien nicht die jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen Thomas und Wehner, sondern, daß „seit der Errichtung der Mauer die eigentliche Aufgabe des Büros, Kontakt zu den unterdrückten und verfolgten Sozialdemokraten in der DDR (zu halten), immer schwieriger geworden“ sei
Der eigentliche Grund der Auseinandersetzungen mit Wehner lag lange zurück: Kurz nach seinem Amtsantritt war Stephan Thomas vom Parteivorsitzenden Kurt Schumacher nach Skandinavien geschickt worden, um Informationen über Wehners Verhalten in der NS-Zeit zu ermitteln. In Zusammenarbeit auch mit dortigen Geheimdiensten kamen insgesamt sieben Aktenordner mit Material zusammen, das Schumacher 1948/49 dazu veranlaßte, ein Jahr lang jeglichen Kontakt mit Wehner zu vermeiden. Diese Bände wurden bis 1958 im Ostbüro aufbewahrt und nach dem Stuttgarter Parteitag von Thomas entfernt. Als Wehner nach Schumachers Tod von den über ihn angelegten Ordnern erfuhr, steigerten sich seine Vorbehalte gegen Thomas zu offener Gegnerschaft.
Hinzu kamen große Auseinandersetzungen zwischen dem konspirativen Teil des Ostbüros und der Flüchtlingsbetreuungsstelle. So beschwerte sich Arno Stahl, Flüchtlingsbetreuer in Berlin, sowohl bei Wehner selbst als auch bei dessen Bekannter Annelene von Caprivi über die „Unterschiedlichkeit der Gehälter sowie die ständige Bevorzugung des konspirativen Apparates“
Herbert Wehner sollte diese Differenzen instrumentalisieren. Er übernahm 1958 nach dem Stuttgarter SPD-Parteitag die zuvor von Fritz Heine betreute Presseabteilung des Parteivorstands, mit der das Ostbüro auch über viele Aufgabenstellungen verknüpft war. Max Kukil übernahm die Verantwortung für das Ostbüro. Zuständig für das Ost-büro wurde Wehner dann endgültig im Dezember 1959, ein knappes Jahr nach dem überraschenden Tod Kukils; Erich Ollenhauer wurde Wehner gleichberechtigt zur Seite gestellt Wehner setzte eine Teilung des Ostbüros durch: Die Flüchtlings-betreuung wurden aus der Arbeit des Ostbüros ausgeklammert. Nach dieser Teilung setzte Wehner am schwächsten Teil des Ostbüros an, bei der in Verruf geratenen Zweigstelle in Berlin. Wehner hatte, wie schon gezeigt, durchaus informelle Kontakte dorthin und erfuhr auf diese Weise auch Interna. „Peter Wandel“ lag mit seiner Arbeit ständig in Wehners Schußlinie und quittierte 1961 entnervt den Dienst. Wehner betrieb seine Arbeit gegen Thomas nach 1958 systematisch, und dies unterschied ihn von „Linksabweichlern“ in den vierziger und fünfziger Jahren, die auch damals die Arbeit des Ostbüros kritisiert hatten. Hinzu kam, daß die Arbeit des Büros innerhalb der Partei zunehmend als nicht mehr unverzichtbar angesehen wurde.
VII. Bau der Berliner Mauer
Neben den innerparteilichen Problemen waren die ursprünglichen Aufgaben, gerade auch die Informationsbeschaffung aus dem Osten, immer schwieriger zu bewältigen. Trotzdem gelangen dem Ostbüro hier noch vereinzelte Erfolge, so im Zusammenhang mit dem Bau der Berliner Mauer. Schon im November 1957 hatte Stephan Thomas an einen ehemaligen amerikanischen Botschaftsangehörigen geschrieben, es sei von östlicher Seite beabsichtigt, „den Westsektor (Berlins) vom Ostsektor effektiv durch eine umfassende Kontrolle (zu) trennen“ Mehr als eine Woche vor der endgültigen Abschnürung West-Berlins vom Ostteil der Stadt und dem Umland meldeten gleich mehrere Quellen Maßnahmen, die auf eine bevorstehende „Isolierung“ West-Berlins hindeuteten. So waren diverse Kinderferienlager in der Umgebung Berlins geräumt und medizinisches Personal in Alarmbereitschaft versetzt worden. Daneben kündigte Maßnahmen der „Vertrauensmann 610“ gegen West-Berlin an.; eine Abriegelung sei sehr nahe Ob dieser Bericht jedoch je Bonner Regierungskreise erreichte, scheint zumindest zweifelhaft
VIII. Stephan Thomas verläßt das Ostbüro
Trotz dieser Erfolge, die das Ostbüro vereinzelt immer noch vorweisen konnte, wurde die Lage für diese Institution und ihren Leiter immer schwieriger. Stephan Thomas sah sich Anfang 1966 dem -unbegründeten -Vorwurf ausgesetzt, einer der „Heckenschützen“ gewesen zu sein, die mit großem Insiderwissen, unter anderem aus dem Ost-büro, Herbert Wehners Führungsstil kritisierten und an seine kommunistische Vergangenheit erinnerten. Und schon vier Jahre zuvor waren innerhalb des Parteivorstandes Gerüchte kursiert, Stephan Thomas habe aufgrund seiner Gespräche mit dem früheren Ostbüroleiter Sigi Neumann starke Vorbehalte gegen den Berliner Bürgermeister Willy Brandt. Thomas konterte, Neumann habe ihm im Frühjahr 1948 zwar gewisse Ratschläge gegeben. Er sei dann jedoch „aufgrund der guten Zusammenarbeit“ zu einer „eigenen positiven Beurteilung“ Brandts gekommen
Mitte 1966 verließ Stephan Thomas „verbittert“ das Ostbüro, „dessen große Zeit... allerdings längst vorbei“ war und wechselte als Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen zur Friedrich-Ebert-Stiftung. Um jeden Zusammenhang mit der „Heckenschützenaffäre“ zu vermeiden, betonte die SPD in einer Pressemitteilung -fünf Tage, nachdem die Meldung in vielen Zeitungen stand -, Thomas sei „auf eigenen Wunsch und im besten Einvernehmen“ ausgeschieden, der Wechsel zur Stiftung bereits im Januar beschlossen worden Hier leitete Thomas vor allem eine Ausdehnung der Tätigkeit der Stiftung nach Lateinamerika und Ostasien ein, bevor er am 15. Mai 1968 zum Chefredakteur des Deutschlandfunks berufen wurde.
Zunächst kommissarisch, dann als Referatsleiter übernahm Helmut Bärwald 1967 das Büro, das fortan „Referat für gesamtdeutsche Fragen“ hieß. Bärwalds Aufgaben wurden Zug um Zug beschnitten, sein Handlungsspielraum war jedoch schon durch den Bau der Berliner Mauer stark eingeschränkt worden. Deshalb verlegte er sich fast ausschließlich auf die Inlandsaufklärung, so gegen die aufkeimende Studentenbewegung und die Wiedergründungsversuche kommunistischer Parteien. Noch 1966 war das Ostbüro erneut in die Schlagzeilen geraten: Ein Teil des eigenen Archivs verbrannte im Dezember des Jahres; und drei ehemalige Vertrauensleute des Ostbüros strengten Schadensersatzprozesse gegen die SPD an, um von ihrer Partei eine Entschädigung für die Haftzeit in der DDR zu erhalten.
Große Auseinandersetzungen gab es nach 1966 wieder um die vom Ostbüro gestarteten Ballons mit Flugblättern, in der DDR kurz „Hetzballons" genannt Letztendlich führten die ständigen Angriffe auf diese Ostbüroaktionen im Oktober 1967 zur Einstellung des Flugblattversandes per Ballon. Der Parteivorstand betrachtete diese Arbeit nicht mehr als zeitgemäß; das Ostbüro verlegte sich fortan darauf, Propagandamaterial per Post an ausgesuchte Adressen in Ostdeutschland zu verschicken. Dies führte dazu, daß die Auflage der Informationsschriften stark zurückgefahren wurde. Für die Zeitung Sozialdemokrat bedeutete dies beispielsweise eine Verringerung von 600000 Stück auf 15000 bis 30000 Exemplare ab 1968 Schon zuvor war das Erscheinen des Ostspiegel -angeblich aus finanziellen Gründen -eingestellt worden
IX. Auch Helmut Bärwald geht
Nach internen Auseinandersetzungen quittierte Helmut Bärwald im Januar 1971 den Dienst. Die SPD behauptete, er sei vor allem deswegen „gegangen worden“, weil er ein NPD-Mitglied mit der Nachtwache im Ostbüro beauftragt habe. Bärwald begründete seine Kündigung nach 22 Dienstjahren mit dem Unbehagen über die Deutschland-und Ostpolitik der Regierung Brandt Weitere Probleme, die möglicherweise mit zur Lösung des Arbeitsverhältnisses von Bärwald führten, kamen im November 1974 an die Öffentlichkeit. Danach soll Bärwald über Jahre hinweg als „Sonderverbindung 55207“ des BND diesem vertrauliche Informationen über Gespräche in der Baracke mitgeteilt haben Helmut Bärwald trat im September 1971 aus der SPD aus und arbeitete als freier Mitarbeiter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beispielsweise im Guillaume-Untersuchungsausschuß mit. Hier war er vor allem beim CDU-Bundestagsabgeordneten Werner Marx tätig, dessen politische Karriere Ende 1979 durch die Stasimitarbeiterin Inge Goliath vorzeitig beendet wurde 76. Bärwald schrieb Bücher über die Infiltration und Spionage östlicher Geheimdienste und geriet als allzu vertrauensseliger Antikommunist 1984 in die Spionageaffäre um den Fregattenkapitän Reichen-burg 77. Das Bonner Ostbüro wurde nach Bärwalds Abgang 1971 aufgelöst. In Berlin arbeitete das SPD-Ostbüro als „Büro für innerdeutsche Beziehungen“ ohne Anleitung aus Bonn weiter, bis es 1981 ebenfalls aufgelöst und das Archiv vernichtet wurde. Das Bonner Ostbüro-Archiv kam teilweise zur Friedrich-Ebert-Stiftung und diente gelegentlich zur Verfolgung von Rentenansprüchen für Zeiten der Inhaftierung in der SBZ/DDR und in der UdSSR.