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Geschichtswissenschaft im SED-Staat. Erfahrungen eines „bürgerlichen“ Historikers in der DDR | APuZ 17-18/1992 | bpb.de

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APuZ 17-18/1992 Neubeginn in der ostdeutschen Geschichtswissenschaft. Bilanz nach dem Zusammenbruch der DDR Geschichtswissenschaft im SED-Staat. Erfahrungen eines „bürgerlichen“ Historikers in der DDR Entwicklungschancen und -barrieren für den geschichtswissenschaftlichen Nachwuchs in der DDR Die Geschichtswissenschaft in der DDR. Kritische Reflexionen

Geschichtswissenschaft im SED-Staat. Erfahrungen eines „bürgerlichen“ Historikers in der DDR

Karlheinz Blaschke

/ 38 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Aus dem persönlichen Erleben eines in der DDR verbliebenen bürgerlichen Historikers wird das System der SED-Geschichtswissenschaft als Teil des Manipulierungs-und Herrschaftsapparates dargestellt und im Blick auf Personen, Institutionen und Funktionen erläutert. Dieses System war nicht in der Lage, die friedliche Revolution des Herbstes 1989 mit zu vollziehen. Im Prozeß seiner Auflösung vollzogen viele seiner bisherigen Träger krasse Kehrtwendungen und versuchten unter Ausnutzung ihrer zu DDR-Zeiten erlangten Stellung, ihre berufliche Position zu retten, während die Erkenntis persönlicher Schuld auf Ausnahmen beschränkt blieb. Dieses typische Verhalten der altetablierten SED-Historiker während der Wende läßt sie weitgehend als ungeeignet für den Neubeginn der Geschichtswissenschaft auf dem Boden der ehemaligen DDR erscheinen. Die Nachwuchskräfte waren infolge einer wenig beweglichen Wissenschafts-und Hochschulpolitik benachteiligt und sind heute nur bedingt konkurrenzfähig. Beim Umbau der Geschichtswissenschaft von den nach sowjetischem Vorbild eingerichteten DDR-Verhältnissen auf das bundesdeutsche System müssen mit Hilfe der Durchmischung neue Kräfte in den neuen Bundesländern eingesetzt und jüngere einheimische Wissenschaftler herangebildet werden, um eine dem demokratischen, liberalen Rechtsstaat adäquate Gestalt geschichtswissenschaftlicher Lehre und Forschung zu schaffen.

I.

Wenn es auch den Gepflogenheiten sachlich-wissenschaftlicher Darstellung nicht entsprechen mag: Ich kann dieses Thema nicht so abhandeln, wie es einem Gegenstand etwa aus der mittelalterlichen oder der Reformationsgeschichte angemessen wäre und wie es dem taciteischen „sine ira et Studio“ entspräche -so, als ob es mich persönlich nichts anginge. Ich muß um Verständnis dafür bitten, daß in diesem Beitrag unweigerlich zwei Faktoren zusammenlaufen: das Bemühen um die sachliche Darstellung erforschter jüngster Geschichte und das eigene Erleben dieser Geschichte, die mit ihren vier Jahrzehnten mein gesamtes berufliches Leben umspannt. Aus diesem Erlebnishorizont ergibt sich notwendigerweise meine Stellung zu dem mir übertragenen Thema.

Wenn mir die Formulierung des Themas meines Vortrages auf der Tagung der Fachgruppe Geschichtswissenschaft der Gesellschaft für Deutschlandforschung selbst überlassen worden wäre, hätte ich das Wort „bürgerlich“ nicht in Anführungszeichen gesetzt; denn inmitten einer marxistisch beherrschten Geschichtswissenschaft habe ich mich niemals anders denn als einen bürgerlichen Historiker verstehen können, der mit diesem Selbstverständnis keinerlei Schwierigkeiten hatte und hat, weil damit eine klare Gegenposition ausgedrückt werden konnte. Irgendeine Verunsicherung in meiner bürgerlichen Standortbestimmung hat es für mich nie gegeben -sie war die Grundlage meiner geistigen Existenz. Das ist auch von den Historikern in der DDR so verstanden worden, von den wenigen Gleichgesinnten, von der Vielzahl der Angepaßten und Mitläufer und von den Funktionären der SED-Geschichtswissenschaft.

Mein Leipziger Studienkollege der späten vierziger Jahre, Gerhard Heitz, mit dem ich bei meinem Lehrer Rudolf Kötzschke im Seminar gesessen hatte, bescheinigte mir 1969, daß in meinen Arbeiten zur sächsischen Agrargeschichte „die traditionellen Vorstellungen der bürgerlichen sächsischen Landesgeschichtsschreibung, wie sie in den Zusammenfassungen von Kötzschke nachzulesen sind“, noch nachwirken, wobei er gleichzeitig bemerkte, daß „eine tiefgehende marxistische Analyse“ noch ausstehe Er hatte recht, denn ich hatte mich nicht so wie er in Richtung auf die „tiefgehende marxistische Analyse“ weiterentwickelt. Als mir im Jahre darauf die Aufnahme in die 32köpfige DDR-Delegation zum Internationalen Kongreß für Wirtschaftsgeschichte in Leningrad verweigert worden war und ich unter Überwindung größter bürokratischer Schwierigkeiten schließlich doch meine Teilnahme als Tourist auf eigene Kosten erreicht hatte, verbreitete er die Meinung, ich hätte „illegal“ am Kongreß teilgenommen. Der Leipziger Historiker Siegfried Hoyer, mit dem ich 1984 an dem in der Schweiz abgehaltenen Kongreß „Zwingli und Europa“ teilgenommen hatte, schrieb in seinem darüber veröffentlichten Bericht, daß ich in meinem Vortrag über „Die Bedeutung der Reformationstheologie für die Ausbildung der Menschen-und Freiheitsrechte“ diese Rechte „inhaltlich auf die bourgeoise Auffassung des ausgehenden 18. Jahrhunderts festlegte“

Was die öffentliche Abstempelung eines in der DDR lebenden Historikers als „bürgerlich“ und „bourgeois“ für diesen zu bedeuten hatte, mußte jeder wissen, der es tat. So wunderte es mich auch nicht, als ich nach der Wende von Berliner Historikerkollegen hörte, daß schon die Nennung meines Namens in den Kreisen der offiziellen DDR-Geschichtswissenschaft wie ein rotes Tuch gewirkt habe.

Historiker westlicher Herkunft mögen sich fragen, was unter einer „offiziellen Geschichtswissenschaft“ zu verstehen sei. In der DDR war das ein System von Institutionen, Personen und Funktionen, das wie ein Netz über die gesamte Geschichtsarbeit geworfen worden war. An einem wichtigen Punkt dieses Netzes saß der SED-Gesellschaftswissenschaftler Manfred Krause und zog die Fäden; er hatte zwar auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft nichts veröffentlicht oder gelehrt, wurde dessen ungeachtet aber als SED-Parteisekretär der Berliner Akademie der Wissenschaften zum Professor ernannt und noch im Februar 1989 offenbar für seine außergewöhnlichen Verdienste um die DDR-Geschichtswissenschaft zum Ehrenmitglied der Historikergesellschaft berufen. In seiner Eigenschaft als Sekretär des Nationalkomitees der Historiker der DDR, der alle Auslandskontakte auf geschichtswissenschaftlicher Ebene zu entscheiden hatte, habe ich ihn um das Jahr 1975 aufgesucht, um nach mehr als zehnjähriger Abschnürung vom westlichen Ausland mit seiner Hilfe die Genehmigung zur Teilnahme an einer Veranstaltung zu erlangen, zu der ich als berufenes Mitglied der Internationalen Kommission für Stadtgeschichte eingeladen worden war. Er entgegnete mir in aller Deutlichkeit, seitdem ich aus dem staatlichen Archivdienst in den Dienst der Kirche übergetreten sei, bestünde kein Interesse daran, mich ins Ausland zu delegieren. Als sich daraufhin der Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Kurt Schwabe, bei seinem Akademie-Kollegen Jürgen Kuczynski, der mich 1956 zur Mitarbeit in seinem Spezialseminar eingeladen hatte, für mich verwandte, bekam er nur zur Antwort: „Kirche -lassen Sie die Finger davon!“ Und besagter Funktionär Krause, bei dem Kurt Schwabe für mich die Ausreisegenehmigung zu erlangen suchte, fertigte den hochverdienten, international anerkannten Physiker mit dem Satz ab: „Herr Blaschke hat sich festgelegt und wir haben uns auch festgelegt.“ So blieb ich fünfzehn Jahre lang nach der Errichtung der Mauer von persönlichen Begegnungen mit der westdeutschen und westeuropäischen Geschichtswissenschaft ausgeschlossen; die zahlreichen Einladungen zu internationalen Veranstaltungen konnte ich nicht wahrnehmen.

Es war mir bewußt, daß ich in deutlicher Distanz zum herrschenden Regime lebte, das mir deshalb mit Boykott und Diskriminierung begegnete. Geographisch befand ich mich in der DDR, gesellschaftlich und wissenschaftlich stand ich am Rande der DDR. Ich pflegte die Geschichtsauffassung weiter, in die ich bei meinem Leipziger Studium 1946-1950 hineingewachsen war, und richtete mich auf die westdeutsche und westeuropäische Entwicklung aus, indem ich jede erdenkliche Begegnung in der DDR und in anderen sozialistischen Staaten und die in gewissen Grenzen mögliche Kenntnis westlicher Fachliteratur nutzte. Als mich in den frühen achtziger Jahren der um die zeitgenössische west-und ostdeutsche Geschichtswissenschaft sehr bemühte Amerikaner Georg Iggers in Leipzig aufsuchte, erklärte er mir, ich sei in seinen Augen der einzige Historiker in der DDR, der sich der sozialgeschichtlichen Methode nach westeuropäischem Zuschnitt geöffnet habe

Es war möglich, seinen eigenen Weg zu gehen, sich dem Einfluß der SED-Geschichtswissenschaft zu entziehen, sich nicht anzupassen und nicht zum „Umdenken“ bereit zu sein. Ich habe mich von jenem zur ideologischen Anpassung führenden „Lernen“ bewußt ferngehalten, andererseits aber bei kritischer Kenntnisnahme der marxistischen Theorie und Praxis mich mit dieser meiner geistigen Umwelt auseinandergesetzt. Das geschah im privaten Bereich ohne eine spektakuläre Gegnerschaft und ohne einen zur Schau gestellten Widerstand, sondern einfach durch das deutliche Anderssein, durch das Widerstehen mit der Bereitschaft, die daraus sich ergebenden Folgen hinzunehmen. Meine Haltung erschien mir als die unbedingt gebotene Alternative zum Uniformismus und zum Konformismus mit einer für mich nicht annehmbaren Ideologie. Der aus der englischen Tradition des 17. Jahrhunderts stammende Nonkonformismus wurde mir zum Vorbild.

Das bedeutete jedoch den Ausschluß von jeglicher Arbeitsmöglichkeit an einer Universität nach meiner 1962 erfolgten Habilitation und weitgehend auch von Einladungen zur Teilnahme an historischen Fachtagungen in der DDR. Als im Jahre 1983 von der Historischen Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, der ich als Mitglied angehöre, eine Tagung aus Anlaß des 250. Todestages des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. stattfand und ich als sächsischer Landeshistoriker mein Interesse an einer Einladung kundtat, wurde ich mit dem Hinweis auf die beschränkte Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze abgewiesen. Als ich am 8. Oktober 1988 der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft einen Artikel zum neunhundertjährigen Jubiläum des Hauses Wettin zur Veröffentlichung anbot, erhielt ich schließlich am l. März 1989 eine ablehnende Antwort. Schon zu Ende der sechziger Jahre waren mir an drei Stellen eingereichte Manuskripte abgelehnt worden, weil sie angeblich nicht zum „Profil“ des betreffenden Organs paßten oder nicht der marxistischen Terminologie entsprachen: seitens der „Archivmitteilungen“, des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte und von einer Sammelschrift zum Reformationsjubiläum von 1967.

Da ich damals bereits in einem Disziplinarverfahren vom Leiter der Staatlichen Archivverwaltung einen Verweis wegen der beabsichtigten, also noch nicht erfolgten Veröffentlichung eines Nachrufs auf meinen akademischen Lehrer und langjährigen Vorgesetzten Hellmut Kretzschmar in den „Blättern für deutsche Landesgeschichte“ erhalten hatte, ergab sich die Situation, daß ich in Westdeutschland nicht publizieren durfte und in der DDR mit meiner Geschichtsauffassung nur noch in sehr eingeschränktem Maße publizieren konnte. Ich stand am Beginn meines fünften Lebensjahrzehnts.

Eine Lösung fand sich durch meinen Übertritt in den kirchlichen Dienst zum 1. Januar 1969, mit dem die Behinderung in bezug auf Veröffentlichungen außerhalb der DDR wegfiel. In der Ausbildung von Gemeindepfarrern konnte ich seitdem meine Geschichtsauffassung weiterführen und dazu beitragen, daß wenigstens auf der schmalen Bahn kirchlicher Unterweisung eine Weitergabe ideologiefreien Wissens um die Geschichte möglich war. Nach einem Gemeindeabend in einer Chemnitzer Kirchengemeinde über die Geschichte der Weimarer Republik sagte mir ein Zuhörer mittleren Alters, dies sei seine schönste Geschichtsstunde gewesen. Neben dem Freiraum, den die Kirche bot, stand der Rückzug in die kleinen Bereiche der Heimatgeschichte offen. Hier konnte ich das Gefühl haben, dankbare Leser zu finden, die an der Sache interessiert waren. Von ihnen erreichten mich mündliche und gelegentlich auch schriftliche Äußerungen der Zustimmung, die mir mehr wert waren als ein Nationalpreis der DDR

Während ich somit von der offiziellen DDR-Geschichtswissenschaft gemieden wurde, ergaben sich doch einige wenige Lichtblicke. Mit Rolf Barthel vom Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften in Berlin verband mich ein jahrelanger, in freundlich-kollegialem Ton geführter Briefwechsel, der bei klarer Vertretung der unterschiedlichen Standpunkte für beide Teile fruchtbar war und mir das Gefühl gab, auch auf der anderen Seite verstanden und anerkannt zu werden. Als mich auf dem Internationalen Kongreß für Wirtschaftsgeschichte 1982 in Budapest -also gewissermaßen auf exterritorialem Boden -Helga Schultz, vom gleichen Institut, im Blick auf eine mögliche Zusammenarbeit bei ihren sozial-und bevölkerungsgeschichtlichen Forschungen ansprach, erschien mir das als ein außergewöhnliches Erlebnis. Sie lud mich auch 1988 zu einer Tagung über Fragen regionaler Geschichte in Eisenach ein, die von der Deutschen Historikergesellschaft veranstaltet wurde, der ich nicht als Mitglied angehören konnte, weil sie in ihrem Statut das Bekenntnis zum historischen Materialismus voraussetzte. Auch dieser „Formfehler“, der mir anhaftete, trug dazu bei, mich zur Unperson zu machen.

Diese Bemerkungen über meine persönliche Haltung schienen mir unerläßlich zu sein, um die Erlebnisebene darzustellen, von der dieser Beitrag ausgeht.

II.

Im Hinblick auf das Thema „Neubeginn in der Geschichtswissenschaft“ muß eingangs die Feststellung stehen, daß die Geschichtswissenschaft der DDR fest in das dortige Herrschaftssystem eingebaut war. Sie war ebenso Immediatsache der SED-Führung wie der Staatssicherheitsdienst. Die innere Sicherheit und die ideologische Manipulation durch „Geschichtspropaganda“ waren für die SED so wichtig, daß sie beide unter ihrer unmittelbaren Kontrolle behielt. Der Rat für Geschichtswissenschaft als das oberste Organ zur Leitung, Koordinierung und Kontrolle aller Aktivitäten auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft unterstand dem Zentralkomitee der SED.

Sein Vorsitzender Ernst Diehl war kein Historiker, sondern stellvertretender Direktor des Instituts für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee und selbst Mitglied des ZK als des obersten Leitungsgremiums der SED. Um ihm das Dekorum eines wissenschaftlichen Ranges zu verschaffen, wurde er zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR gewählt. Als seine umfangreichste eigene wissenschaftliche Veröffentlichung hat er eine 1984 erschienene Schrift „Die Geschichte un-B seres sozialistischen Vaterlandes, Kern und Zielpunkt unseres wissenschaftlichen Geschichtsbildes“ mit 22 Seiten Umfang aufzuweisen. Diese seine Qualifikation wirft ein bezeichnendes Licht auf das Ausmaß der Gleichschaltung, der die einst so hoch angesehene Berliner Akademie ausgesetzt war, auf die Unverfrorenheit der SED-Mitglieder in der Akademie, die diesen ihren Genossen zum Akademiemitglied machten, und auf den Mangel an Zivilcourage der bürgerlichen Akademiemitglieder, die sich der Aufnahme eines solchen Kandidaten nicht widersetzten. Die Verfilzung von Geschichtswissenschaft und Führungskräften der SED durch entsprechende Personalunion wird an der Person von Ernst Diehl auf oberster Ebene deutlich, dem sogar aus Kreisen seiner eigenen Genossen die Eigenschaft eines Historikers abgesprochen wurde. Die Geschichtswissenschaft war zur Magd der Politik geworden.

Das zeigte sich weiterhin in der Aufsicht über alle Aktivitäten auf diesem Gebiet, die über den reinen Lehrbetrieb hinausgingen. In dem weitverzweigten System von Leitungsinstitutionen der SED gab es eine Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee, der die Aufgabe übertragen war, alle Veranstaltungen, Tagungen und Kongresse auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft zu überwachen, was sich bis zur Genehmigung der Programme und der dabei auftretenden Teilnehmer erstreckte. So war es garantiert, daß innerhalb der DDR nur solche Geschichtstagungen stattfanden und dabei nur solche Referenten auftraten, die von der SED genehmigt worden waren.

Alles, was über die Grenzen der DDR hinausging, lag im Zuständigkeitsbereich des Nationalkomitees der Historiker der DDR, dessen langjähriger Sekretär der schon genannte Manfred Krause war.

Im Organisationsgefüge der SED waren nicht die wechselnden Vorsitzenden der verschiedenen Gremien die ausschlaggebenden Leute -die immerhin noch nach fachlicher Kompetenz und auch nach ihrem Ansehen im Ausland ausgewählt wurden -, sondern die für längere Zeit ernannten, hauptamtlich angestellten Sekretäre, die stets der SED angehörten und daher über die Parteidisziplin unbedingt verfügbar waren -eben „funktionierten“.

Das trifft in vollem Umfang auf das Nationalkomitee der Historiker zu. Von Manfred Krause gibt es keine wissenschaftliche Veröffentlichung; seine Dissertation A (Promotion) an dem mit Promotionsrecht ausgestatteten Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und die Dissertation B (Habilitation) sind reine Propaganda-schriften zur Verherrlichung der Unterdrückungspolitik gegenüber den bürgerlichen Parteien

Dieser Mann traf alle Entscheidungen, die das Auftreten der DDR-Geschichtswissenschaft im Ausland angingen, einschließlich der Auswahl von Kongreßteilnehmern und Mitgliedern internationaler Kommissionen, soweit sie nicht von diesen selbst zugewählt wurden. Er nahm an internationalen Historikerkongressen im Ausland als Aufpasser teil, ohne selbst ein Wort zur Sache sagen zu können. Als zum Jahresbeginn 1988 nach langjährigen Bemühungen die Commission Internationale pour l’Histoire Ecclsiastique Comparee unter ganz eindeutig festgelegten Bedingungen in bezug auf Satzung und ungehinderte Teilnahme der Gründung einer DDR-Unterkommission zugestimmt hatte, wurde die Mitgliedschaft so gesteuert, daß -von ganz wenigen Vorzeigekandidaten aus dem kirchlichen Bereich abgesehen -nur linientreue Marxisten in diese Kommission berufen wurden. Die Masse der wirklichen Kirchenhistoriker fand keinen Zugang. Die von der internationalen Kommission gestellten Bedingungen wurden also trotz der übernommenen Verpflichtung überhaupt nicht beachtet. Diese Unehrlichkeit war eine Grundhaltung, von der das ganze kommunistische Machtsystem in der DDR geprägt war.

Neben diesen zentralen Einrichtungen zur Überwachung der gesamten Arbeit auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft sorgte die Deutsche Historikergesellschaft der DDR für die Disziplinierung jedes einzelnen Historikers. Wer in diese Gesellschaft eintrat, bekannte sich damit gemäß der Satzung zum historischen Materialismus als der für ihn allein gültigen Geschichtsauffassung und der ideologischen Grundlage seiner wissenschaftlichen Arbeit. Als Historiker mit einem christlich geprägten Welt-und Menschenbild konnte man daher nicht Mitglied sein und war damit von der organisierten Zunft der Historiker ausgeschlossen. Offenbar wurde nicht mehr damit gerechnet, daß es in der DDR noch nichtmarxistische Historiker gab, die ihre eigene geistige Haltung ernst nahmen. Daß diese Historikergesellschaft vollständig von der SED beherrscht wurde und zu einem wichtigen Faktor der ideologischen Gleichschaltung gemacht worden war, zeigte sich außer in ihrer regelmäßigen Wirksamkeit in den regionalen wie örtlichen Organisationen und Fachkommissionen besonders deutlich auf den großen Historikerkongressen der DDR, die in Abständen von mehreren Jahren durchgeführt wurden. Die dabei abgehandelten Themen ergaben sich aus der marxistisch-leninistischen Geschichtsideologie und den jeweiligen aktuellen Aufgaben der Politik. Über dem Präsidium des Historikerkongresses, der im Oktober 1968 in Leipzig abgehalten wurde, prangte daher ein Spruchband mit der sinngemäß formulierten Feststellung, die Hauptaufgabe der Historiker der DDR sei es, die Richtigkeit der Politik der Regierung zu beweisen. Am Schluß des Kongresses standen die Teilnehmer auf und sangen mit erhobener Faust die „Internationale“. Auf einem Kongreß von Ärzten oder Naturwissenschaftlern wäre so etwas nicht möglich gewesen, aber den Historikern konnte man das zumuten, denn mit unbedingter Folgsamkeit war zu rechnen. Die Absendung einer Ergebenheitsadresse an den obersten Parteichef, sei es Ulbricht, sei es Honecker, gehörte ebenfalls zum Ritual jedes Historikerkongresses.

Was die Historikergesellschaft in der persönlichen Einwirkung auf den einzelnen Historiker leistete, wurde auf dem Wege der periodischen Publikation durch die „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ fortgesetzt. Dieses 1953 begründete offizielle Organ der DDR-Geschichtswissenschaft war das Sprachrohr der SED in Richtung auf die Historiker, um ihnen allmonatlich aufs neue die „einzig wahre“ und „einzig wissenschaftliche“ Sicht der Geschichte zu vermitteln. Was dort veröffentlicht wurde, war garantiert „ideologisch einwandfrei“ im Sinne des Regimes, denn es war zuvor einer Prüfung und Begutachtung unterzogen worden, durch die alle unerwünschten Töne ausgemerzt wurden. Für diese Arbeit war eine Redaktion mit vier hauptamtlichen Mitarbeitern eingesetzt, die als Zensoren darüber wachten, daß die Leser nur dasjenige vorgesetzt bekamen, was ihnen im Sinne der SED bekömmlich war. Die Redaktion hat ihr gesamtes, in fast 40 Jahren entstandenes Archiv nach der Wende aus gutem Grunde vernichtet, denn hier war ein Schriftgut angewachsen, das in seltener Geschlossenheit die Wirksamkeit eines ideologischen Unterdrückungsapparates und die persönliche Schuld vieler Gutachter offengelegt hätte.

Bei diesem Stand der Dinge war es nur folgerichtig, daß der Geschichtsbetrieb in der DDR personell und institutionell auf die ideologische Linie der SED festgelegt war. Die Zahl der Historiker alter Schule auf den Lehrstühlen für Geschichte nahm in der DDR beständig ab. Einige erreichten das Emeritierungsalter, andere wanderten unter dem Eindruck der schärfer werdenden ideologischen Bedrückung nach dem Westen ab; Karl Griewank in Jena, Martin Lintzel in Halle und Johannes Nichtweiß in Rostock schieden „freiwillig“ aus dem Leben. Zu Nachfolgern wurden ausschließlich Leute berufen, die sich als SED-Mitglieder und Marxisten bekannten oder zumindest den überzeugenden Anschein erweckten, als ob sie Marxisten seien. In jedem Falle waren es Menschen, auf die sich das Regime verlassen konnte, weil sie zu geistiger Anpassung und Unterordnung bereit waren. Die Ernennung von Professoren, Institutsdirektoren und Abteilungsleitern im Fach Geschichte war an diese Voraussetzungen gebunden; kein bürgerlicher Historiker kam mehr auf diese berufliche Ebene.

Der gesamte Berufsstand der Universitätshistoriker war gleichgeschaltet, ideologisch auf den Marxismus-Leninismus ausgerichtet, in seiner wissenschaftlichen Arbeit festgelegt und in seinem charakterlichen Verhalten angepaßt. Als SED-Mitglied war auch ein Lehrstuhlinhaber für Geschichte der Parteidisziplin unterworfen und ständiger Kontrolle ausgesetzt. Die Freiheit der Wissenschaft gab es hier nicht mehr. Wer sich einmal in diese geistige Knechtschaft begeben hatte, wurde zum willigen Werkzeug, weil er genau wußte, daß seine Pfründe an die Parteidisziplin gebunden war. Strebsame junge Leute, denen die Karriere mehr bedeutete als ihr Gewissen, stellten sich auf diese Realität ein und kletterten über FDJ-und SED-Mitgliedschaft sowie dazugehörige Leitungsfunktionen auf die Lehrstühle. Wer dazu nicht bereit war, kam höchstens bis zum Oberassistenten, in seltenen Ausnahmefällen einmal bis zum Dozenten. Nicht die fachliche Leistung, sondern das formale Bekenntnis zum Regime war ausschlaggebend für wissenschaftliche Leitungsämter. Eine Elite in wissenschaftlicher und charakterlicher Hinsicht kam auf diese Weise nicht zustande.

Wie erbarmungslos dieses System im gegebenen Falle auf die eigenen Leute niederschlug, die sich einmal zu geistiger Selbständigkeit aufrafften, zeigte das Verfahren gegen Günther Mühlpfordt in Halle, der 1957 dadurch unliebsam auffiel, daß er sich in einem Aufsatz zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution vom parteichinesischen Vokabular freimachte. Wegen dieser und anderer „Sünden“ verlor er in der Folgezeit sein Lehramt, arbeitete aber unter kümmerlichen Bedingungen unentwegt weiter und bereicherte mit seiner auf hohem Niveau stehenden, außerordentlich fruchtbaren Tätigkeit die Geschichtswissenschaft. Ein solches Beispiel aber wirkte als Warnung und wurde verstanden.

III.

Die bisherige Darstellung hat sich vorwiegend auf die Institutionen der von der SED beherrschten Geschichtswissenschaft bezogen. Die darin verstrickt gewesenen Menschen entschuldigen sich heute gerne damit, daß die Schuld für die Verhältnisse am System, am Apparat und an den Strukturen gelegen habe, denen sie ausgesetzt waren. Diese Auffassung muß abgelehnt werden. Kein System und kein Apparat funktioniert ohne Menschen. Die SED bestand nicht nur aus Erich Honecker, Erich Mielke und Günter Mittag, sondern vor ihrem unrühmlichen Ende aus 2, 3 Millionen Mitgliedern, von denen jeder einzelne seinen Beitrag zum Funktionieren des Ganzen geleistet hat -der eine mehr, der andere weniger. Jeder hat seinen Mitgliedsbeitrag gezahlt und damit die materiellen Grundlagen für die Unterhaltung des Parteiapparates unterstützt, der ein gigantischer Unterdrückungsapparat war. Jeder hat das Partei-statut anerkannt, das ihn zur Parteidisziplin und zur Übernahme von Parteiaufträgen verpflichtete, womit er sich selbst zum Werkzeug dieses Apparates machte, und jeder war bereit, sich einer Partei-strafe zu unterziehen, wenn er die Parteidisziplin verletzte.

Aber die Historiker haben noch mehr getan: Sie haben sich zu Propagandisten einer Parteiideologie gemacht, die mit dem von Grund aus wissenschaftsfeindlichen Anspruch auftrat, allein über die Wahrheit zu verfügen und allein wissenschaftlich zu sein. Sie haben vierzig Jahre lang die öden Dogmen des Marxismus-Leninismus über Klassenkampf und Klassenhaß auf eine wehrlose akademische Jugend ausgegossen und sich der geistigen Desorientierung und charakterlichen Verbiegung einer ganzen Generation schuldig gemacht, die diese Dogmen nachbeten mußte und dabei das selbständige kritische Denken verlernte. Viele dieser Historiker waren überzeugte Marxisten, wozu ihnen das Recht niemand bestreitet, aber sie hätten auch so viel Wissenschaftler sein müssen, um auch eine andere Meinung als möglich und vielleicht sogar als richtig anzuerkennen.

Viele andere waren keine überzeugte Marxisten, sondern „nur“ Mitläufer, die über ihr SED-Mitgliedsbuch leicht Karriere machen wollten. Es ist aber besonders verwerflich, wenn Historiker in Lehre und Forschung Auffassungen verbreiteten, hinter denen sie selbst nicht mit voller Überzeugung standen, die sie jedoch mit der Autorität der herrschenden Macht vortrugen und ihren Hörern und Lesern als absolute Wahrheit aufnötigten.

Die einen und die anderen -die Sozialisten aus Überzeugung wie die Opportunisten -müssen sich heute fragen lassen, ob sie den 17. Juni 1953 und den 13. August 1961 verschlafen haben, so daß sie die abgrundtiefe Unmenschlichkeit des von der SED errichteten Terrorsystems nicht bemerkt haben. Spätestens nach diesen beiden Daten mußte es jedem denkenden Menschen klar sein, worum es sich hier handelte -und von Historikern darf man erwarten, daß sie dieses Maß an Intelligenz aufbringen.

Ihr Verbleiben in der SED war die Voraussetzung für das Verbleiben auf ihrem Posten und für ihre weitere Karriere. Sie alle, die so handelten, machten sich zu Nutznießern des Systems. Keiner von ihnen erhob Protest gegen die Benachteiligung von Andersdenkenden und Nichtangepaßten, keiner setzte sich für einen Verfemten ein. Hatten sie wenigstens bei sich selbst ein Gefühl für das Unrecht, das anderen angetan wurde, wenn sie selber unter Ausnutzung ihrer SED-Mitgliedschaft Karriere machten? Sie haben sich als „Geschichtspropagandisten“ eingesetzt und mißbrauchen lassen wie jener unscheinbare Dozent für Vorgeschichte, der seinen Studenten und künftigen Lehrern die „geschichtsideologischen Potenzen mittelalterlicher Wehranlagen“ klarmachte, worauf vor ihm noch niemand gekommen war; er ebnete sich damit den Weg zur Professur. Sie waren bereit, Bekenntnisse jeder geforderten Art abzulegen und auch von ihren Studenten zu erzwingen, wie es ein Kunsthistoriker tat, der im Zuge des Disziplinarverfahrens gegen einen mutigen Professor eine ganze Studentengruppe nicht eher aus dem Hörsaal entließ, bis jeder die gegen den Verfemten verfaßte Resolution unterschrieben hatte. Sie ließen sich zu individuellem Terror gebrauchen, wenn sie Studienbewerbern in einer völlig verfassungswidrigen Weise den Eintritt in die SED als Voraussetzung für die Immatrikulation abverlangten.

Ein weiteres Beispiel: Im Institut für Sorbische Volksforschung Bautzen wurde eine 1979 erschienene vierbändige Geschichte des sorbischen Volkes erarbeitet. Das Manuskript für den vierten Band mußte dem Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften zur Prüfung eingesandt werden. Die dortigen Historiker übten Kritik an den ideologischen Mängeln in der Darstellung der jüngsten sorbischen Geschichte, reisten mit einer ganzen Gruppe nach Bautzen und brachten die sorbischen Historiker „auf Vordermann“. So kam ein Text zustande, der den Berli19 ner Geschichtsideologen genehm war. Den Bautzener Historikern blieb nur übrig, sich im Vorspann zum vierten Band für die „wertvolle Hilfe“ aus Berlin zu bedanken. Klugerweise haben sie auch die Namen der „Helfer“ für die Nachwelt festgehalten: R. Badstübner, A. Behrendt, H. Buttler, H. Heitzer, P. Hübner, Q. Keiderling und H. Kintscher.

Das sind -aufs Ganze gesehen -nur wenige Fälle, in denen die persönliche Verantwortung des einzelnen Historikers für das erkennbar wird, was zu DDR-Zeiten in der SED-Geschichtswissenschaft abgelaufen ist. Es war notwendig, so weit in die Zeit vor der Wende zurückzublicken, um die Vorgänge danach besser verstehen und beurteilen zu können.

IV.

Bei dem dargelegten Sachverhalt ist es kein Wunder, daß die SED-Historiker in der Wende überhaupt nicht hervorgetreten sind und an ihr nicht beteiligt waren. Es gab in den entscheidenden Sommer-und Herbstmonaten des Jahres 1989 einzelne Persönlichkeiten und ganze Gruppen aus verschiedenen Berufen, die sich zu Wort meldeten oder gar als bewegende Kräfte auftraten, wie die Schriftsteller und die Leute aus der evangelischen Kirche, aber auch Theaterschaffende, Künstler, Ärzte und Juristen; und in Leipzig demonstrierten selbst die Polizisten mit, um darzutun, daß sie nicht abseits stehen wollten. Von den Historikern ward dergleichen nicht vernommen. Man kann verstehen, daß es ihnen einfach die Sprache verschlug, als die Wogen der friedlichen Revolution über ihnen zusammenschlugen und sie damit zur Stellungnahme herausgefordert wurden. Man konnte nach der Wende aus Kreisen der etablierten DDR-Historiker mancherlei hören über „oppositionelles Denken“ seit dem Frühjahr 1989 -was an sich schon recht spät liegt -und sogar über Bemühungen, die Politik Gorbatschows seit 1985 geistig zu verarbeiten; aber zu einer offenen Parteinahme gegen das alte Regime und für das Neue hat es nicht gereicht. Die Korrumpierung der Historikerzunft auf ihrer tonangebenden Ebene war vollständig.

Erst nachdem in Leipzig die Montagsdemonstrationen im Laufe des Oktober auf Hunderttausende von Teilnehmern angeschwollen waren, in Dresden am 4. Oktober die aus Prag durchfahrenden Züge mit Botschaftsflüchtlingen eine Massenbewegung ausgelöst hatten, die gigantische Massenkundgebung in Berlin am 4. November ein unübersehbares Zeichen gesetzt hatte, am 9. November die Berliner Mauer geöffnet worden war und am 13. November die Regierung Modrow ihr Amt angetreten hatte -erst nachdem folglich die Wende sich als unumkehrbar erwiesen hatte, wagten sich die SED-Historiker an erste zaghafte Schritte heran.

Am 29. November 1989 beschäftigte sich das Präsidium der Historikergesellschaft „mit der in der Geschichtswissenschaft der DDR entstandenen Situation und der tiefen Krise des Geschichtsbewußtseins in der DDR“, wobei in einer „heftigen Diskussion“ nach den Ursachen für die sichtbar gewordenen Defizite gefragt und „mehr Ehrlichkeit, Nüchternheit und Wahrhaftigkeit“ gefordert wurde. Die darüber erst sehr viel später veröffentlichte Verlautbarung bewegte sich aber noch ganz im Rahmen gewohnter Sprachregelung der SED, die immer von Situationen, Ereignissen, Vorkommnissen oder Maßnahmen sprach, wenn es im Klartext um eine Umwälzung, einen Aufstand, eine Protestbewegung oder eine Unterdrückung ging. Das Eingeständnis der Krise war das Äußerste, zu dem sich der beschönigende Text hatte durchringen können. Tatsächlich war es nicht nur eine Krise, es war das bevorstehende Ende.

Auch die Rede von „mehr“ Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit ist irreführend und selbst unehrlich, weil sie vortäuschen will, es habe diese Tugenden an sich schon gegeben, nur eben noch nicht genug. Auf dem Historikerkongreß der DDR ein halbes Jahr zuvor hatte man diese Defizite jedenfalls noch nicht bemerkt.

Eine Woche später, am 5. Dezember 1989, löste sich der Rat für Geschichtswissenschaft auf, wobei ihm die Mitverantwortung für die tiefe Krise von „Teilen“ der Geschichtswissenschaft angelastet und auf die Rolle „jedes einzelnen“ hingewiesen wurde Auch hier zeigte sich der Versuch, die Wahrheit zu vertuschen und die Schwere der Ereignisse herunterzuspielen, denn es seien ja nur „Teile“ der Geschichtswissenschaft von der Krise betroffen. Über diese beiden grundlegend wichtigen Beratungen der höchsten Historikergremien erhielten die Leser der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft erst fünf Monate später die ersten spärlichen Nachrichten. Das April-Heft 1990 enthielt nur sehr knappe Informationen über die Vor-gänge in der Organisation der DDR-Geschichtswissenschaft, die wahrlich eine tiefergehende Unterrichtung erfordert hätten. Unterdessen hatte sich die Historikergesellschaft im Februar 1990 eine neue Satzung gegeben, die nicht mehr die Festlegung der Mitglieder auf den historischen Materialismus enthielt. Im März wurde ein neues Präsidium mit einer stark verringerten Mitgliederzahl gewählt, Präsident wurde der als Forscher zur Reformationsgeschichte international geachtete Berliner Historiker Günter Vogler. Es gab eine neue Satzung und ein neues Präsidium -aber es waren die alten Leute.

Die Rede von der tiefen Krise der Geschichtswissenschaft klingt abstrakt und anonym: Nicht Menschen haben sie heraufbeschworen, sondern die Struktur, das System, der Apparat; die Partei wohl nicht, denn die hatte ja „immer recht“, wie es den Parteimitgliedern in hymnischen Tönen eingehämmert worden war. Wird es wirklich diesen „jeden einzelnen“ geben, der bereit ist, sich seiner Verantwortung zu stellen, seine Schuld zu bekennen und die Folgen zu tragen?

Einige Fälle dieser Art sind bekanntgeworden. Von dem schon genannten Vorsitzenden des Rates für Geschichtswissenschaft Ernst Diehl hieß es, er habe zunächst eine Stelle als Pförtner in einem Berliner Betrieb angenommen. Der Direktor des Zentralinstituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften in Berlin, Walter Schmidt, trat im Bewußtsein seiner Mitverantwortung für die „entstandene Situation“ von seinem Amt zurück; einige wenige namhafte Historiker bekannten sich zu ihrer Mitschuld, einige standen zu ihrer marxistischen Geschichtsauffassung, was nur anzuerkennen ist. Die meisten aber suchten auf individuelle Art unter Ausnutzung aller sich bietenden Chancen, beruflich zu überleben. Von bekennerhaftem Kampf für eine große Sache oder gar von heldenhaftem Untergang war nirgends die Rede.

Einen bemerkenswerten Versuch, kritisch mit sich selbst ins Gericht zu gehen, bot der um die Darstellung der DDR-Geschichte alten Stils stark engagiert gewesene Heinz Heitzer. Sein Artikel „Für eine radikale Erneuerung der Geschichtsschreibung über die DDR“ ist aus einem am 6. Februar 1990 in Köln gehaltenen Vortrag hervorgegangen Er bekennt sich zu seiner „Mitschuld und Mitverantwortung ... an einem gescheiterten Konzept“ und erhebt die Forderung, die künftige Geschichtsschreibung über die DDR solle „allen jenen Gerechtigkeit widerfahren lassen, die das herrschende System ausgrenzte und verfolgte, denen es Gewalt antat, Leid und Unrecht zufügte“. Es wäre zu wünschen, daß damit in der Historiker-zunft auf dem Boden der ehemaligen DDR zuerst begonnen würde.

Die Spitzenvertreter des Zentralinstituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften, Walter Schmidt und Olaf Groeler, erklärten in einer Vortragsreihe an der Technischen Universität Berlin Anfang Juni 1990 schlicht, „wir Historiker haben versagt“, die Geschichte sei in der DDR eine Magd der Politik gewesen und zu einem Teil des Herrschaftssystems gemacht worden was ja jedem klarsehenden Menschen in diesem Lande schon längst bekannt war. So entsteht natürlich die Frage, was von solchen radikalen Kehrtwendungen zu halten ist, zu denen die betreffenden Leute nicht aus eigener Erkenntnis, sondern erst unter dem Eindruck einer friedlichen Revolution gekommen sind, an der sie nicht beteiligt waren. Wenn die Hunderttausende im Herbst 1989 nicht auf die Straße gegangen wären, um das SED-Regime hinwegzufegen, dann würden diese plötzlichen „Selbstkritiker“ weiterhin im Dienste der Politik ihre Geschichtswissenschaft im alten Stile, das heißt als ideologische Propaganda, betreiben.

Schon zu Beginn des Jahres 1990, als die politische Wende als nicht mehr umkehrbar zu erkennen war, ergaben sich bei einzelnen SED-Historikern groteske Erscheinungen der persönlichen Kehrtwendung: Sie sagten und schrieben jetzt genau das Gegenteil von dem, was sie bisher gesagt und geschrieben hatten, sie verleugneten ihre Vergangenheit und biederten sich bei Instituten und Personen der westdeutschen Geschichtswissenschaft an, die sie vorher verunglimpft und als „bürgerlich“ und „imperialistisch“ beschimpft hatten. Unter Ausnutzung ihrer leitenden Stellungen als Lehrstuhlinhaber, Institutsdirektoren und Abteilungsleiter, die sie mit Hilfe ihres Parteibuches erlangt hatten, entfalteten sie einen regelrechten Tourismus in westlicher Richtung, verschafften sich aufgrund ihrer früher als privilegierte „Reisekader“ geknüpften Beziehungen Einladungen zu Vorträgen an westdeutschen Universitäten und waren begierig, Kooperationsverträge mit westdeutschen Instituten abzuschließen, um damit ihre eigene Stellung in der untergehenden DDR aufzuwerten und zu retten. Alles, was sie bisher an Diffamierungen gegen die westdeutschen Historiker als angebliche Apologeten von Kapitalismus, Imperialismus und NATO an Verleumdungen von sich gegeben hat-ten, war plötzlich vergessen; das Bedürfnis nach Sicherung der eigenen Existenz und die Suche nach einem Unterschlupf standen jetzt im Vordergrund.

All dies wäre nicht möglich gewesen, wenn es nicht auf westlicher Seite viele Historiker gegeben hätte, die nicht wußten -oder nicht wissen wollten mit wem sie es da zu tun hatten. Anscheinend war ihnen jeder, der aus der DDR kam und seine Unschuld beteuerte, so bemitleidenswert, daß sie ihn unbesehen aufnahmen. Viele SED-Wissenschaftler, die vor der Wende als „Reisekader“ nach dem Westen hatten fahren dürfen, hatten sich ja auch dort ganz anders dargestellt, als sie zu Hause auftraten. Hier waren sie die linientreuen Marxisten, draußen gaben sie sich kritisch, um sich eine Tür offenzuhalten. Im September 1990 begegnete ich auf einer Veranstaltung der John Hopkins-Universität in Washington einem Professor der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst, der es damals schon fertiggebracht hatte, sich ein einjähriges Stipendium zum Aufenthalt in den USA zu verschaffen. Nachdem erjahrzehntelang die Führungskader der sozialistischen Wirtschaft im Sinne des SED-Regimes indoktriniert hatte, war ihm sofort der „Dreh“ gelungen. Wahrscheinlich lehrt er heute Marketing und kapitalistisches Management. Selbst der schon mehrfach genannte Manfred Krause, in dessen beiden Dissertationen der Klassenkampf die Leitlinie seiner aus Apologie und Polemik zusammengesetzten Gedankengänge war, ging in die Höhle des Klassenfeindes und bewarb sich beim Bundesministerium für Forschung und Technologie um eine Übernahme in den Dienst der Bundesrepublik, die er jahrzehntelang bekämpft und herabgesetzt hatte.

So entsteht aus vielen Einzelheiten ein Gesamtbild von Würdelosigkeit und Charakterlosigkeit. Diese Menschen, die in einem langen Berufsleben das SED-Regime mitgetragen und seine Ideologie verbreitet hatten, verrieten nun im Wettlauf ihre eigene Vergangenheit, als ob man sie einfach wegwischen könnte. Ein solches Verhalten ist nur eines der Merkmale für die Hohlheit des ganzen Systems, das auf Lug und Trug und Heuchelei beruhte, in dem Karrierismus und Opportunismus tragende Elemente waren und ein echtes politisches Bekenntnis selten zu finden war. In dem Augenblick, als die hinter der Ideologie stehende Macht wegfiel und mit der Propagierung der Ideologie keine materiellen Vorteile mehr verbunden waren, verschwand auch die Bereitschaft, ihr weiterhin zu dienen. Mit solchen Leuten ist ein Neubeginn in der Geschichtswissenschaft auf dem Boden der ehemaligen DDR nicht zu leisten

V.

Neben den Personen, die das SED-Regime und seine Geschichtsideologie getragen haben, ist ein Blick auf die dazugehörigen Institutionen zu werfen. An der traditionellen Struktur der geschichtswissenschaftlichen Lehre an Universitäten und Hochschulen war im Vollzug der Wende zunächst wenig zu ändern, doch mußte der aus ideologischen Gründen stark aufgeblähte Geschichtsbetrieb auf den tatsächlichen Bedarf zurückgeführt werden. Vor allem war es notwendig, die hypertrophe Geschichte der DDR und der Arbeiterbewegung abzubauen. Es ist nun die Aufgabe der einzelnen Landesregierungen, auf dem bereinigten Gefüge ein neues System der historischen Lehre und Forschung an den Universitäten aufzubauen und dabei besonders auf geeignete Fachvertreter zu achten. Mehr als zwei Jahre nach der friedlichen Revolution ist die Lage in dieser Hinsicht noch durchaus unbefriedigend. Die rechtsstaatlichen Rücksichten erweisen sich als hinderlich für eine durchgreifende Erneuerung in personeller Hinsicht; sie werden ausgerechnet jetzt von denjenigen vehement in Anspruch genommen, die bisher nur Hohn und Spott für die „bourgeoise“ Rechtsstaatlichkeit übrig hatten, da sie sich auf ihren Macht-apparat orientieren konnten, der ihnen ihre Privilegien sicherte.

Gesetzliche Grundlagen für den Hochschulbereich sind immerhin geschaffen, Gründungsdekane aus den alten Bundesländern sind um den Neuaufbau der Geschichtswissenschaft bemüht, aber die ehemaligen SED-Historiker sitzen noch vielfach auf ihren Lehrstühlen, die sie allein ihrer Parteizugehörigkeit verdanken. Alte Machtpositionen werden genutzt, um kompromittierte Genossen anderweitig unterzubringen: In Leipzig wurde der von der SED auf den Posten des Direktors der Universitätsbibliothek gesetzte Bernd Rüdiger, der seine Karriere allein seiner ideologischen Linientreue zu verdanken hat, von der Belegschaft der Bibliothek verdientermaßen davongejagt, aber sogleich in der Sektion Geschichte von seinen alten Genossen wieder aufgenommen. Das ist nicht der geeignete Weg zur Hochschulerneuerung!

Im Wissenschaftsbetrieb der DDR hatten die Institute der Akademie der Wissenschaften eine bedeutende Stellung inne. Hier konzentrierte sich die Forschung, sie waren personell außerordentlich stark besetzt, waren ihnen doch Leitfunktionen für ihre jeweilige Wissenschaft zugedacht. Für die Geschichtswissenschaft war das die Aufgabe des Zentralinstituts für Geschichte. Mit diesem hohen Anspruch steht die erstaunliche Ineffektivität des Instituts in einem bemerkenswerten Widerspruch. Der Einblick in die Struktur der zuletzt bestehenden beiden Akademieinstitute für Geschichte und ähnlicher Institute von Nachbarwissenschaften legte eine Zerfahrenheit und Zufälligkeit ihrer Struktur offen, die eine Homogenität oder eine leitende Idee vermissen ließ. Die Gesamtleistung des Zentralinstituts für Geschichte in bezug auf Publikationen und wegweisende wissenschaftliche Konzepte entsprach nicht entfernt dem, was von 240 (!) wissenschaftlichen Mitarbeitern zu erwarten gewesen wäre.

Die Ursachen für diesen Widerspruch zwischen hoher Stellenbesetzung und geringer Leistung sind mannigfacher Art. Dazu gehören u. a. die Starrheit in der personellen Besetzung und der geringe Anreiz zur Mobilität, was zu geistiger Enge führte. Nur ein bestimmter Teil der Mitarbeiter besaß als „Reisekader“ das Privileg, mit der internationalen Forschung in persönliche Berührung zu kommen und dadurch neue Anregungen aufzunehmen. Das waren vornehmlich Etablierte, die auf das System festgelegt waren und in der Sorge um ihre Pfründe kaum zu kritischem Denken und Verhalten bereit waren. Sie waren in das System integriert und dienten seiner Stabilisierung. Daß es in diesen Instituten auch „Nischen“ mit sachlicher Arbeit auf der Grundlage hervorragender Sachkenntnis gab, ist ein beachtenswertes Ergebnis der persönlichen Kenntnis, die ich als Mitglied des vom Wissenschaftsrat eingesetzten Evaluierungsausschusses für die geisteswissenschaftlichen Institute der ehemaligen Akademie der Wissenschaften erlangen konnte.

Für den Neubeginn in diesem Bereich war ein gründlicher Umbau notwendig, der vor allem das als hinderlich und unfruchtbar erkannte Prinzip der Trennung von Forschung und Lehre beseitigen mußte, das in der DDR nach sowjetischem Vorbild und im Widerspruch zur deutschen Wissenschaftstradition eingeführt worden war. Die privilegierte, vom lebendigen Lehrbetrieb losgelöste Forschung konnte in diesem Ausmaß nicht fortgeführt werden. Die in diese Richtung weisenden Empfehlungen des Wissenschaftsrates beruhten auf sorgfältigen, verantwortungsbewußten Überprüfungen der Institute mit hohem Aufwand an Zeit und Personal, wobei auf allen Ebenen der Leitung und der Mitarbeiter bis zu den Nachwuchskräften Gespräche geführt wurden. Dabei herrschte durchgängig das Bemühen, unter Einhaltung-des angestrebten Konzepts der Einheit von Lehre und Forschung Akademieinstitute von vertretbarer Größe mit akademiespezifischen Aufgaben fortzuführen und alle anderen wissenschaftlichen Potenzen an geeignete Institute zu verlagern.

Das durchaus notwendige Geschäft der Evaluierung war für beide Seiten -die Institute und den Ausschuß -keine reine Freude; es wurde von den Mitarbeitern der betroffenen Institute verständlicherweise mit bangen Gefühlen erwartet und durchgestanden, ging es doch für jeden einzelnen um seine berufliche Zukunft. Die gründliche, engagierte und in ihrer Haltung wohlwollende Arbeit des Evaluierungsausschusses ist bedauerlicherweise mit unsachlichen Behauptungen geschmäht und teilweise regelrecht verleumdet worden. Die an dieser Arbeit beteiligten Mitglieder aus der ehemaligen DDR müssen sich entschieden gegen den Vorwurf verwahren, sie seien lediglich als „Feigenblatt“ verwendet worden. Wir haben im Gegenteil unsere Erfahrungen und unsere Kenntnis der DDR-Wirklichkeit in die Empfehlungen eingebracht und das Ergebnis mitbestimmt. Daß die Evaluierung von außen erfolgte, war unvermeidlich, denn eine Erneuerung von innen war bei der Lage der Dinge gar nicht möglich. Ein solches Verfahren hätte nur die alten Führungskader der SED wieder begünstigt, wie es sich leider in sehr vielen Fällen auf allen Gebieten gezeigt hat, wo man diesen Leuten das Feld allein überlassen hat. Es wäre im Jahre 1946 auch keinem Menschen eingefallen, die Entnazifizierung durch ehemalige Mitglieder der NSDAP durchführen zu lassen.

Meine Meinung über die Unfähigkeit des alten Systems der SED-Geschichtswissenschaft, sich aus sich selbst heraus zu erneuern, gründet sich auf die Entwicklung der letzten zweieinhalb Jahre, die ich aufmerksam verfolgt und in der ich mir durch viele Gespräche, Schriftwechsel und unvermeidliche Auseinandersetzungen ein Bild gemacht habe. Als wesentliches Ergebnis aller dieser Beobachtungen stellt sich die Tatsache heraus, daß den meisten betroffenen Menschen ein Gefühl für ihre Mitverantwortung und Mitschuld am Funktionieren eines gigantischen Apparates zur ideologischen Manipulation und Unterdrückung weitgehend fehlt. Die „Rolle jedes einzelnen“ festzustellen, von der man bei der Auflösung des Rates für Geschichtswissenschaft im Dezember 1989 gesprochen hatte, war in der Praxis eben doch nicht gefragt. Man zog sich hinter Kollektiventscheidungen in die Anonymität des Systems zurück, um sich selbst zu entlasten. Der Professor für mittelalterliche Geschichte, der als Rektor der Universität Leipzig im Jahre 1968 die Universitätskirche -eines der letzten mittelalterlichen Bauwerke der Stadt Leipzig -zur Vernichtung freigab, entschuldigt sich heute damit, er habe nur einen Senatsbeschluß ausgeführt. Daß auf ihm als dem Rektor eine besondere Verantwortung lag und daß seine Weigerung gegen diese barbarische Zerstörung eines unersetzlichen Kulturdenkmals etwas bedeutet hätte, will oder kann er offenbar nicht begreifen.

Im Frühjahr 1990 bat mich eine Gruppe von 20 Lehrern für Marxismus-Leninismus an der Technischen Universität Dresden um eine Aussprache über meine bürgerliche Auffassung von Geschichte, da sie nach dem Ende ihrer Ausbildung in Marxismus-Leninismus hofften, als „Regionalhistoriker“ weiterverwendet werden zu können. Sie erwiesen sich durchaus als hör-und gesprächs-bereit, aber sie zeigten keine Einsicht in die persönliche Verantwortung für ihre Lage. Für sie galt weiterhin das marxistische Menschenbild, daß der Mensch das Produkt seiner Umweltverhältnisse, seines sozialen Milieus und seiner Klasse ist. Ein Gefühl für eigene Schuld oder Mitverantwortung kann auf diesem Boden nicht wachsen. Die Wende hatte lediglich neue Verhältnisse gebracht, in denen sie auch wieder einen Anspruch auf angemessene Beschäftigung zu haben meinten. Während der Evaluation in einem der Akademie-Institute erklärte ein Mitarbeiter, der mit der Entlassung in den Vorruhestand rechnen mußte, er sei Professor mit einer ihm zustehenden gehaltlichen Einstufung, auf die er einen Anspruch habe. Wenn es in der Situation nicht unpassend gewesen wäre, hätte ich ihn gerne gefragt, aufgrund welcher Voraussetzungen er in der DDR Professor für Geschichte geworden war. Erstaunlich war die Ungeniertheit, mit der hier ein alter Nutznießer des SED-Regimes auftrat.

Neben den Alten hinterließ die DDR-Geschichtswissenschaft die Nachwuchskräfte, denen bei der Evaluierung besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, um ihre Lage zu erkennen und Förderungsmöglichkeiten anzubieten. Es ist keine Frage, daß dieses Potential aus dem eigenen Lande für den Neubeginn genutzt werden muß. Bei manchen Gesprächen mit jüngeren Mitarbeitern aus Akademie-und Universitätsinstituten der Geschichts-und Nachbarwissenschaften noch lange vor der Wende habe ich die Erfahrung gemacht, daß es sich bei ihnen oft um kritische Leute handelte, die lernbegierig über den engen DDR-Horizont hinausschauten, neue Ideen hatten und diese in die praktische Arbeit und Leistung umsetzen wollten. Sie wurden aber stets gehindert durch die Schwerfälligkeit des Apparates, durch die darin wirksamen Kontrollmechanismen, durch ideologische Begrenztheit und die mangelnde Risiko-B bereitschaft der Alten in den Leitungspositionen, die alles zu Fall brachten, was ihre eigene Stellung hätte gefährden können. Enttäuschung und Niedergeschlagenheit über eine solche kontraproduktive, eines Wissenschaftlers unwürdige Haltung sprachen aus den Worten dieser jungen Leute, die in ihrer Entwicklung behindert wurden und ihre Fähigkeiten brach liegen lassen mußten. Ebenso wie in der Politik zeigte der SED-Staat auch in der Wissenschaft die Tendenz zur Gerontokratie, womit er seinen Anspruch Lügen strafte, ein Staat der Jugend zu sein.

So waren die Nachwuchskräfte in ihrer Entfaltung eingeschränkt, es fehlte ihnen an auswärtiger Fachliteratur, an persönlichen Kontakten mit der internationalen Fachwelt, an Sprachkenntnissen und am aktiven Gebrauch von Fremdsprachen, schließlich an der Möglichkeit, in das westliche Ausland reisen zu können. Dissertationen mit abweichenden Meinungen wurden unterdrückt, die Publikationsmöglichkeiten im eigenen Lande waren beschränkt und jene im Ausland von Genehmigungen abhängig. Darum wurden viele begabte Nachwuchskräfte in der Fachwelt nicht bekannt, was für sie nachteilig ist, wenn sie sich jetzt im wiedervereinigten Deutschland der Konkurrenz stellen müssen. Sie sind ohne ihre Schuld durch das in der DDR entstandene Wissenschaftssystem geschädigt und für ihre weitere Entwicklung benachteiligt. Hinzu kommt noch die Tatsache, daß ein Hochschulstudium in der DDR fast ausschließlich nur an einer Hochschule absolviert wurde. Nicht wenige der jetzt noch amtierenden Universitätshistoriker in den neuen Bundesländern haben nie eine andere Universität kennengelernt als diejenige, an der sie studierten und auf dem von FDJ-und Parteifunktionen begleiteten Weg über den Assistenten, Oberassistenten und Dozenten schließlich auf ihre Lehrstühle gelangt sind. Welche geistige Enge und Sterilität einem solchen System innewohnt, braucht nicht näher erläutert zu werden. Mit Nachwuchshistorikern aus den alten Bundesländern, die an mehr als einer Universität studiert haben, mit Hilfe der zahlreich vorhandenen Stipendien sich im Ausland weiterbilden konnten, über Fremdsprachenerfahrung verfügen und infolge ihrer unbegrenzten Reisemöglichkeiten eine weitläufige Einstellung besitzen, sind die gleichaltrigen Wissenschaftler aus der ehemaligen DDR nicht konkurrenzfähig. Dieser Sachverhalt erfordert besondere Aufmerksamkeit und nachholende Fördermaßnahmen. Der in Frage kommende Personenkreis muß mit Hilfe von Stipendien Ausländserfahrungen erwerben, mehr Beweglichkeit einüben und von der isolationistischen DDR-Mentalität wegkommen.

VI.

Für den Neubeginn der Geschichtswissenschaft in den östlichen Bundesländern ergibt sich eine trübe Bilanz: Die alten regimetreuen Historiker sind nicht brauchbar, die jüngeren noch nicht voll einsatzfähig. Die Zufuhr neuer geistiger Kräfte von außen ist darum unerläßlich. Es werden fähige Leute mit solider Ausbildung, weitem Horizont, internationalen Erfahrungen, anerkannten Leistungen und einer weltoffenen Geschichtsauffassung gebraucht, wie sie in der ehemaligen DDR kaum zu finden sind. Das vom Wissenschaftsrat verfolgte Ziel der Durchmischung hat hier seine volle Bedeutung. Es geht nicht um einen Kahlschlag all dessen, was von der DDR-Geschichtswissenschaft übriggeblieben ist, sondern um eine sinnvolle Synthese miteinander verträglicher Kräfte unterschiedlicher Herkunft. Wir leben auf dem Boden der ehemaligen DDR wieder in einer bürgerlichen Gesellschaft und in einem liberalen Staat mit demokratischer Verfassung. Dazu ist eine kongruente Geschichtswissenschaft vonnöten. Die Lehrstühle und Direktorenstellen im Fach Geschichte müssen neu ausgeschrieben werden, um jetzt das nachzuholen, was bei den Besetzungen vor 1989 nicht möglich war.

Jeder Neubeginn muß auch gewachsene Traditionen berücksichtigen. Die 45 Jahre der SED-Herrschaft umfaßten eine ganze Wissenschaftlergeneration, sie haben eine tiefe Prägung der Gesellschaft und jedes einzelnen hinterlassen. Das betrifft die freiwillige Anpassung, die unbewußte Annahme von Denk-und Verhaltensweisen und selbst den aus der Abneigung gegen das Regime genährten Willen zum Widerstehen. Wir können heute diese 45 Jahre in ihren katastrophalen Auswirkungen als einen Irrweg ansehen. Aber die jahrzehntelang erlebte DDR-Wirlichkeit bleibt ein Stück in der Lebensgeschichte jedes Menschen, der schicksalhaft unter diesen Bedingungen leben mußte. Diese Tatsache läßt sich nicht verdrängen oder vergessen.

Bei aller inneren Distanz gegenüber dem Regime und seiner Ideologie habe ich die Existenz in der DDR bewußt angenommen. Weder vor noch nach der Mauer ist mir jemals der Gedanke gekommen, dieses Land zu verlassen, in dessen Geschichte ich verwurzelt bin, dessen kulturelle Leistung eine jahrhundertealte Tradition besitzt und dem ich mit meiner Arbeit dazu verhelfen wollte, daß es ein Stück Deutschland bleibt. Ich war eher da als die DDR, sie ist über mich gekommen, ohne mich zu fragen, und ich bin geblieben. In diesem Sinne bekenne ich mich zu meiner DDR-Vergangenheit, keinesfalls aber zu einer DDR-Identität, wenn damit die Anerkennung der staatlichen Verhältnisse gemeint sein sollte. Ich war Teilnehmer an einer Not-und Schicksalsgemeinschaft, in der auch Werte entwickelt worden sind, die Bestand haben. Mein historiographisches Werk war vom Willen zur Behauptung gegen die SED-Geschichtswissenschaft beherrscht, so daß eine Lebensleistung zustande gekommen ist, die anders aussieht, als wenn sie unter westlichen Bedingungen geschehen wäre.

Mit diesen persönlichen Bemerkungen soll auf eine empfindliche Seite des Neubeginns hingewiesen werden, die nicht außer acht gelassen werden darf: Man kann beim Neuaufbau der Verwaltung in vielen Dienststellen „Leih-Beamte“ aus den alten Bundesländern einsetzen, die mit ihrer formaljuristischen Ausbildung und ihrer Kenntnis rechtsstaatlicher Normen das Hineinwachsen in die einheitliche Bundesrepublik erleichtern und beschleunigen. Ihre Unkenntnis der jüngstvergangenen DDR-Wirklichkeit wiegt auf dieser Ebene nicht so schwer. Der Einsatz von „Leih-Historikern“ wäre dagegen eine recht fragwürdige Methode. Im Zuge der angestrebten Durchmischung werden durchaus Historiker aus den alten Bundesländern benötigt, die sich in die Wirklichkeit der von einer langen DDR-Vergangenheit geprägten Länder und ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse einfühlen können und in der Lage sind, die Voraussetzungen zu erfassen, unter denen die hier studierenden jungen Leute antreten. Noch viele Jahre lang werden hier Menschen zur Immatrikulation kommen, die eine nach den pädagogischen und ideologischen Grundsätzen der SED ausgerichtete Schulbildung erfahren haben. Unter diesen Bedingungen kann sich leicht eine Abwehrhaltung gegen „Zugereiste“ entwickeln. Die westliche Marktwirtschaft hat bereits erbarmungslos die in 45 Jahren gewachsene DDR-Wirtschaft zerschlagen und dabei sichtbare soziale Schäden verursacht. Auf geistigem Gebiet sollte mehr Rücksicht genommen werden, um die Wiedervereinigung so zu bewältigen, daß keine Wunden geschlagen werden. Über allen bedrängenden Fragen in den engen Zeit-und Raumverhältnissen der Wende auf dem Boden der ehemaligen DDR bleibt dem Historiker die Aufgabe, die Geschichte der DDR in einen weltgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen.

Die christlich-bürgerliche Gesellschaft Europas hat die soziale Frage im 19. Jahrhundert nicht gemeistert, der Liberalismus hat auf dem Gebiet der Wirtschaft einen hemmungslosen Egoismus hervorgebracht, so daß der Sozialismus -ein wie auch immer gearteter Sozialismus -geschichtlich notwendig war. Karl Marx bot dafür ein scharfsinnig entworfenes, wissenschaftlich begründetes Programm, das von den in sozialer Hinsicht benachteiligten, leidenden Volksmassen aufgegriffen und zu politischem Handeln genutzt wurde. Gleichzeitig forderte eine einseitig-idealistische Geschichtsauffassung im dialektischen Prozeß der Wahrheitsfindung Alternativen heraus. Eine davon war das historisch-materialistische Konzept von Marx, eine andere ein Menschenalter später die kulturhistorische Methode von Karl Lamprecht. Auf dem Gebiet der Geschichte ist wie in jeder Wissenschaft eine Weiterentwicklung nur möglich durch das „sic et non“, das Infragestellen alter Wahrheiten und das Erkennen von Alternativen. In Arnold Toynbees Denkmodell von „challenge and response“ wird der aus Widersprüchen sich aufbauende Gang der Weltgeschichte deutlich.

Auf dem Boden Mitteldeutschlands hatte die sowjetische Besatzungsmacht 1945 ein politisches Regime errichtet, das eine von Lenin russifizierte Version des marxschen Sozialismus in stalinistischer Perversion praktizierte. Die dadurch an die Macht gekommenen deutschen Kommunisten bekamen somit die Gelegenheit, den historischen Materialismus mit deutscher Gründlichkeit auf radikale Weise zur dogmatischen Grundlage einer mit unbedingtem Anspruch auf den alleinigen Besitz der Wahrheit und Wissenschaftlichkeit auftretenden Geschichtswissenschaft zu machen und jede alternative Auffassung von Geschichte als „feindlich“ auszuschließen. In diesem Anspruch -in der Unduldsamkeit und in der Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft als ideologischer Faktor einer terroristischen Machtausübung -liegt die Schuld der SED-Historiker. Wenn sich heute mancher von ihnen auf das „Recht zum Irrtum“ beruft, so muß man ihm diese menschliche Schwäche zubilligen, ihm aber auch deutlich machen, daß ein solch schwerer Irrtum Folgen nach sich ziehen muß.

Aufs Ganze gesehen kann nur eine marxistische Geschichtsauffassung, die sich von der unseligen Verquickung mit der politischen Macht gelöst hat, die mit ihrem kritischen Potential zur Wahrheitsfindung beiträgt und als Element fruchtbarer Unruhe mit Dialogbereitschaft -ohne Totalitätsanspruch und ohne Arroganz -auftritt, ihren Beitrag zu einer pluralistischen Geschichtsarbeit leisten. Das bedeutet aber eine völlige Abkehr von der Praxis der SED. Es läßt sich denken, daß auf einer solchen Grundlage auch Entwicklungslinien aus der Geschichtswissenschaft der DDR weitergeführt werden können.

Nachdem die friedliche Revolution des Herbstes 1989 die politische Wende herbeigeführt hatte, läßt sich der darauf notwendigerweise folgende Neubeginn auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft sehr zögerlich an. Er geht zu langsam vor sich und war bis jetzt nicht gründlich, nicht wirklich revolutionär. Die Kommunisten sind im Jahre 1945 und danach anders verfahren. Bei der öffentlichen Diskussion um den Abriß des Berliner Lenin-Denkmals im Herbst 1991 sprach Hans-Ulrich Wehler von der „nachfolgenden Revolution“, die eine solche Beseitigung notwendig mache. Dieser Gedanke läßt sich auch auf die belasteten SED-Historiker anwenden. Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß sich die Vergangenheitsbewältigung heute fast ausschließlich auf die Stasi-Problematik konzentriert, während die ideologischen Verführer und Werkzeuge der geistigen Manipulation unerkannt bleiben. Sie sind an der Desinformation und Deformierung einer ganzen Generation mitschuldig. Sie haben einen Schaden angerichtet, der für lange Zeit nicht wiedergutzumachen ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, (1969) III, S. 106.

  2. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG), (1984) 11, S. 1005.

  3. Vgl. hierzu die Bemerkung von Georg Iggers in seinem Beitrag „Einige Bemerkungen zu neueren historischen Studien aus der DDR“, in: Geschichtswissenschaft in der DDR, Bd. I, hrsg. von Alexander Fischer und Günther Heydemann, Berlin 1988 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, 25/1), S. 159: „Ein nicht-marxistischer Sozialhistoriker von internationaler Reputation wie Karlheinz Blaschke vermochte keinen Lehrstuhl zu erhalten und konnte nach Verlassen seiner Stellung im Sächsischen Landeshauptarchiv an einem kirchlichen -nicht mit der Universitätsfakultät zu verwechselnden -theologischen Seminar in Leipzig Zuflucht finden.“

  4. Nachdem ich im Herbst 1985 in den Sächsischen Heimat-blättern einen Aufsatz aus Anlaß des 500. Jahrestages der Leipziger Teilung der wettinischen Länder von 1485 veröffentlicht hatte, schrieb mir der Leser Adolf Böhm aus Machern bei Leipzig unter dem 24. 1. 1986: „Zuerst möchte ich Ihnen zu Ihrem sehr interessanten Artikel in Heft 31/6 gratulieren, zu dem sicherlich einiger Mut erforderlich war. Ich war erstaunt, daß die Heimatblätter bereit waren, diesen Aufsatz zu drucken, zumal ich noch nie in Publikationen der DDR derartige Analysen zu lesen bekam.“ Adolf Böhm wurde 1990 Abgeordneter des Sächsischen Landtags.

  5. Vgl. Manfred Krause, Die Politik der SED zur Festigung und Weiterentwicklung des Mehrparteiensystems und der Nationalen Front (1961 bis 1964), Diss. A am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, 1966; ders., Zur Geschichte der Blockpolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in den Jahren 1945 bis 1955, Diss. B, Akademie der Wissenschaften der DDR, 1978.

  6. Vgl. ZfG, (1990) 4, S. 342.

  7. Vgl. ebd.

  8. Vgl. ZfG, (1990) 6, S. 498-509.

  9. Vgl. die Meldung in der Tageszeitung „Die Union“, Dresden, vom 6. Juni 1990.

  10. Stellvertretend für viele derartige Fälle soll das folgende Beispiel angeführt werden: Im Jahre 1986 erschien im Verlag Hermann Böhlau Nachf., Weimar, die „Geschichte der Stadt Erfurt“, herausgegeben von Willibald Gutsche. Sie war „auf Initiative der Stadtleitung der SED“ in Angriff genommen worden und sollte „ein marxistisch-leninistisches Bild ... vermitteln und damit zur Entwicklung und Vertiefung des sozialistischen Geschichtsbewußtseins, der sozialistischen Heimat-und Vaterlandsliebe“ beitragen. Der Text ist entsprechend ausgefallen, wofür schon die Person des Herausgebers garantiert. Man brauchte heute darüber nicht mehr zu sprechen, wenn nicht 1989 eine zweite Auflage erschienen wäre, die mit einem vierseitigen Einlegeblatt von Verlag und Herausgeber versehen wurde, das vom 20. Dezember 1989 datiert ist und „Notwendige Bemerkungen zum Erscheinen der zweiten Auflage“ enthält. Darin wird festgestellt, daß die „vom Volk erzwungene demokratische Erneuerung“ einen „durchgreifenden Wandel... auch im Bereich der Geschichtsforschung und -Vermittlung“ erfordere, da nun „die Befreiung der Geschichtswissenschaft von allen reglementierenden Eingriffen die Überwindung ... abgeforderter Hofberichterstattung, einseitiger Erfolgsbilanzierung im Hinblick auf die DDR-Geschichte“ möglich mache. Es bleibt das Geheimnis von Herm Gutsche, mit welchem Recht gerade er sich zum Kritiker an den „reglementierenden Eingriffen“ und der „Hofberichterstattung“ macht, gehörte er doch zu jenen SED-Historikem der oberen Ränge, die in jahrzehntelanger Tätigkeit genau diesen ideologischen Leitungs-und Kontrollmechanismus innerhalb der Geschichtswissenschaft mitbestimmt haben. Dafür gibt es in seinen zahlreichen Veröffentlichungen genügend Belege. Auf einer Tagung der Hanns-Seidel-Stiftung im Kloster Banz über „Regional-und Alltagsgeschichte im politischen Bildungsprozeß. Aufarbeitung und Perspektiven in den neuen Bundesländern“ im Mai 1991 erschien Gutsche als „Experte“ und sprach über „Demokratie -Nationalsozialismus -Antifaschismus 1929-1933 am Beispiel Erfurts“. Mit ihm zusammen trat Karl-Heinz Hajna auf, der im Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften, Arbeitsgruppe Regionalgeschichte, auf die ideologische Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Landes-und Heimatgeschichte in Westdeutschland angesetzt war. Nachdem er zu SED-Zeiten die Abschaffung der Länder 1952 zu legitimieren versucht und die Einrichtung der Bezirke als den großen Fortschritt zur sozialistischen Demokratie herausgestellt hatte, drehte er sich nach der Wende einfach um und befürwortete nun genau das Gegenteil, nämlich die Wiederherstellung der Länder im Sinne des föderativen Prinzips.

Weitere Inhalte

Karlheinz Blaschke, Dr. phil. habil., geb. 1927; seit 1969 Dozent für Geschichte am Theologischen Seminar Leipzig; seit 1991 Referatsleiter für Archivwesen im Sächsischen Staatsministerium des Innern. Veröffentlichungen u. a.: Sachsen im Zeitalter der Reformation, Dresden 1967; Wittenberg, die Luther-stadt, Berlin 1977; Geschichte Sachsens im Mittelalter, Berlin 1990; Politische Geschichte Sachsens und Thüringens, München 1991.