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Zum Kompetenzverlust der öffentlichen Meinung im Industriestaat Bundesrepublik. Akzeptanz-und Transferprobleme im Hinblick auf Forschung, Technologie und Wirtschaft | APuZ 10-11/1992 | bpb.de

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APuZ 10-11/1992 Die japanisch-amerikanische Herausforderung. Europas Hochtechnologieindustrien kämpfen ums Überleben Europäische Technologie-und Industriepolitik nach Maastricht Regionalisierung der Industriepolitik? Die Suche der Bundesländer nach einer flexiblen Antwort auf den neuen europäischen Wirtschaftsraum Zum Kompetenzverlust der öffentlichen Meinung im Industriestaat Bundesrepublik. Akzeptanz-und Transferprobleme im Hinblick auf Forschung, Technologie und Wirtschaft

Zum Kompetenzverlust der öffentlichen Meinung im Industriestaat Bundesrepublik. Akzeptanz-und Transferprobleme im Hinblick auf Forschung, Technologie und Wirtschaft

Hugo Rüchardt

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Zusammenfassung

Auf den meisten von moderner Hochtechnologie beeinflußten Wachstumsgebieten der Wirtschäft zeigt die deutsche Industrie mittlerweile immer deutlichere Positionsverluste, vor allem gegenüber der Konkurrenz in Ostasien und in den USA. Diese Entwicklung gefährdet auf längere Sicht unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit als Ganzes, damit auch unseren Wohlstand und unsere politische Handlungsfähigkeit zur Gestaltung einer besseren Zukunft. Die Kemthese der vorliegenden Betrachtungen ist, daß in unserer „Öffentlichkeit“ während 40 Jahren behüteten Wohlstands im Blick auf moderne Technik und Industrie ein bis heute lähmendes Maß von Unbildung, Gleichgültigkeit und sogar Gegnerschaft entstanden ist. Dieses Defizit an Interesse und Verantwortlichkeit steht in krassem Gegensatz zur Situation in anderen Industrienationen. Nicht zuletzt als Folge einer gegenüber den Notwendigkeiten von Wirtschaft und Technik im besten Falle indifferenten, zumeist aber skeptisch bis ablehnend sich verhaltenden Öffentlichkeit schlägt solcher Kompetenzverlust der öffentlichen Meinung besonders heftig auf die Leistungen der Verantwortlichen in Staat und Wirtschaft durch und beeinträchtigt deren Entschlossenheit zu realistischen Zukunftsentscheidungen. Die Prüfung dieses Befundes anhand des Verhaltens einzelner gesellschaftlicher Gruppen führt zu exemplarischen Einblicken mit unterschiedlichem Prognosewert. Eine hinreichend tragfähige „Therapie“ zur sicheren Rückkehr in die Hochtechnologie-Spitze wird dagegen leider nicht sichtbar.

Umfeld und Thema

Die Lebensqualität im westlichen Europa ist heute unübertroffen in der Fülle des Konsumgüterangebots; unser kultureller und zivilisatorischer Reichtum steht als Teil unserer demokratisch verfaßten Lebensform allen Bürgern zur Verfügung. Wir beanspruchen und genießen quasi selbstverständlich die Früchte eines großen geistigen und zivilisatorischen Erbes, ohne uns viel um dessen Herkunft und seine Bedingungen zu kümmern. Solide Ordnungsstrukturen und eine insgesamt beeindrukkende Wirtschaftskraft geben uns darüber hinaus politisches Gewicht in der Welt und sichern so auch unsere Freiheit. So leben wir besonders in den westlichen Bundesländern Deutschlands dank eines stetigen Wohlstands und Friedens seit über 40 Jahren in vergleichsweise sehr guten Verhältnissen -ohne ernsthafte Rückschläge oder zwingende Herausforderungen.

Ein solches Umfeld hat jedoch Folgen und fordert seinen Preis, wenn es den Blick verstellt für die Realitäten einer Welt im Wandel. Die Industrie im Hochtechnologiestaat Deutschland verliert seit mehr als einem Jahrzehnt technische Spitzenpositionen an vorwiegend außereuropäische Konkurrenten, ohne entsprechendes Aufsehen in der Öffentlichkeit und ohne entschieden wirkungsvolle Gegenmaßnahmen von Seiten der Politik und der Wirtschaft.

Der vorliegende Beitrag beabsichtigt, diese besorgniserregende „Immunschwäche“ des einstigen Wirtschaftswunderlandes zurückzuführen auf einen bisher zu wenig beachteten Kompetenzverlust unserer öffentlichen Meinungen in diesen für unsere Zukunft außerordentlich wichtigen Themenfeldern. Er beansprucht dabei allerdings nicht, über die Feststellung von Zusammenhängen hinaus fertige „Therapien“ anzubieten.

Hierzu meine erste Feststellung: Ein allzu großer Teil unserer Bevölkerung erweist sich nicht nur als geradezu erschütternd unwissend in Fragen der modernen Wissenschaft -zumal von Industrie und Technik -, sondern demonstriert neben seiner Interesselosigkeit nicht selten sogar eine erstaunlich irreale Haltung und Ablehnung. Medien, Lehrer, Kirchen, Abgeordnete oder Verbände interpretieren ihre Verantwortung für die Zukunft allzuoft nur in der Form von pauschalen Ängsten und Bedenken gegenüber neuen, unbekannten Gefahren. Konstruktive Visionen mit progressiven Zielen und Vorgaben, im Diskurs mit dem Wissen der Fachleute, finden in der politischen Öffentlichkeit dagegen kaum statt. BDI-Präsident Heinrich Weiss meinte dazu vor kurzem in der Süddeutschen Zeitung: „Die Mentalität der Menschen macht mir Sorgen -wir sind ein Volk geworden, das erntet, aber nicht mehr sät.“ In der Tat haben wir während der letzten zwanzig Jahre kaum etwas anderes so zielstrebig fortentwickelt wie unsere Fähigkeit zum Konsum in jeder denkbaren Weise.

Eine zweite Sorge entspringt ebenfalls diesem veränderten öffentlichen Klima. Sie betrifft die zunehmend schwächere Gestaltungskraft unserer Spitzenmanager aus der öffentlichen Verwaltung und auch aus weiten Bereichen der Wirtschaft, verglichen mit der Aufbruchsituation in den Nachkriegsjahrzehnten. Immer mehr stehen heute kaufmännisch-juristisches Formalmanagement oder defensive Behauptungsstrategien im Vordergrund an Stelle von kreativem Unternehmertum. Eine wachsende Last zehrender Ansprüche der Sozial-partner und anderer Gruppen läßt die Formulierung inhaltlicher Perspektiven oder gar Visionen allzuoft unter dem Druck der Tagesprobleme verkümmern. So werden entscheidende Mittel-und Langfristaspekte vor allem im Feld moderner Hochtechnologien selbst von großen Unternehmen oft nicht mehr rechtzeitig erfaßt, begriffen und verstanden. Besonders kraß sind dabei strategische Defizite in der Entwicklung neuer Systeme und Märkte. Man findet sich zu leicht damit ab, auf „Nischen“ auszuweichen oder auf Zukunftsgebieten allenfalls Zweiter oder Dritter zu sein. Selbst aus direkt verB antwortlichen Kreisen ist zu hören, das sei doch nicht so schlimm, es ginge uns doch so gut -wer wolle denn leben wie die Japaner!

Meinungen und Programme

Es klingt leider überzeugend, wenn beispielsweise der eingeladene Sprecher für die japanische Mishubishi Corporation, Sumio Takeichi, auf dem 21. Internationalen Management Symposium 1991 in St. Gallen vorschlägt, sich in Europa künftig auf die in unserem Kulturkreis noch immer imponierende Grundlagenforschung zu konzentrieren und diese als unseren Beitrag in die Weltwirtschaft einzubringen, in welcher dann Japan die Fertigungstechnik sowie die Entwicklung und Markterschließung für daraus hervorgehende Produkte überlassen bliebe.

Besorglich stimmt auch die jüngste McKinsey-Studie zum deutlichen Terrainverlust der Europäer im Technologiewettstreit während der letzten Jahrzehnte, vor allem gegenüber Japan und den USA. Als Ursache wird zunächst eine Vielzahl massiver Produktivitäts-, Innovations-und inzwischen auch Standortnachteile aufgeführt. Letztlich sind diese zurückzuführen auf mangelnden Konsens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über den nötigen Vorrang von High-Tech als Voraussetzung für internationale Konkurrenzfähigkeit und zur Festigung unseres globalen Einflusses. Folge all dessen ist, daß es im weltweiten Unternehmensvergleich nach Branchen auf den ersten Plätzen kaum mehr Europäer gibt. Aufschlußreich und zugleich bedenkenswert ist in dieser Studie die Warnung, durch eine zu sehr bevorzugte Erschließung der neuen Märkte in Osteuropa an internationaler Wettbewerbsfähigkeit in technischer Kompetenz, Produktions-und Kostenstruktur weiter zu verlieren. Im Zeitalter globaler Strategien und Märkte ist es schwer, einmal Versäumtes wieder aufzuholen. Entscheidendes Technologie-Know-how für innovative Produkte findet sich zunehmend in festen Händen bei wenigen Großkonzernen. Um auch als Konkurrent auf solche Ergebnisse sicher zugreifen zu können, müssen eigene Stärken verfügbar sein, die für einen Interessenausgleich mit einsetzbar sind. Beispielhaft für hervorragende Zukunftspositionen sind heute Japan in der Halbleitertechnik und die USA in der Informations-und Datentechnik. Dagegen ist Deutschland inzwischen in kei37 nem der fünf wichtigsten industriellen Wachstums-gebiete im Export führend (Datenverarbeitung, Geräte der Nachrichtentechnik, Elektrische Maschinen, Straßenfahrzeuge, Meß-und Prüfgeräte). Unsere Erstpositionen beschränken sich auf Felder mit durchschnittlichem (Chemie) oder noch darunter liegendem (Maschinenbau) Wachstum.

Herausragende europäische Programme in Energietechnik, Flugzeugindustrie oder Raumfahrt liegen lange zurück und waren schon damals so gewählt, daß sie sich relativ unabhängig vom Aufgeschlossenheitsgrad des „normalen Bürgers“ und einem von ihm geprägten „Meinungsmarkt“ entwickeln konnten. Weit höher ist etwa die Bedeutung eines jetzt durch Alan Bromley, „National Science Advisor“ von George Bush, ausgelösten US-Programmes zu werten: Die Entwicklung von Höchstleistungsrechnern oder „Supercomputern" für eine Billion Rechenoperationen pro Sekunde wird hier forciert mit 1, 1 Mrd. Dollar öffentlicher Fördermittel für zwei Jahre. Damit entstehen die Grundlagen für Systeme, die im Verein mit fortschreitender Mikroelektronik ganz neue Produkte für einen riesigen Markt mit Millionen von Kunden erschließen werden.

Auch der einstige „Macher“ Helmut Schmidt reagierte typisch deutsch, als er in einer Fernsehdiskussion der ARD zur „Geschichte der Deutschen“ kürzlich die Ansicht kundtat, Fortschritt sei kein Zeichen von vermehrtem Glück. Es dominiert hier wieder das abstrakte Bedürfnis nach Glück vor der konkreteren Verantwortung. Wie beides miteinander zu verbinden wäre, das zeigte beispielsweise Hermann Lübbe in seiner kürzlich erschienenen Studie „Der Lebenssinn der Industriegesellschaft“ auf. Seine klare Analyse des Wandels der Einstellung der Bevölkerung zu ihren eigenen industriellen Lebensgrundlagen läßt ihn als abschließende Orientierung nichts Geringeres raten als „nüchterne Stetigkeit in der politischen, ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Steuerungskunst unter den moralischen und kulturellen Zielvorgaben des Gemeinsinnes“.

Spannungsfeld Forschung -Industrie

Freilich bleibt es leichter, aus der sicheren Schutz-zone akademischer Lehre und Wissenschaftspflege abstrakt Rat zu geben, als in der Wirtschaft tatsächlich zu bestehen. Nicht nur, daß die Forschung als öffentliche Aufgabe sogar im Grundgesetz verB ankert ist -auch unsere breit gestreuten Forschungseinrichtungen in Bund und Ländern sind beeindruckend für jedermann. Problematisch ist allerdings, daß in der Forschung oft zu denselben Themen viele Wissenschaftler-Teams allerorten nebeneinander „erfolgreich“ leben können, während in der entsprechenden Industrie auf Grund der rasanten Globalisierung von Technik und Märkten zunehmend nur mehr der Erste floriert, der Zweite noch zurechtkommt und der Rest Verlust macht oder ganz scheitert.

Hinzu kommt, daß kritische Vorbehalte in unserer Öffentlichkeit gegenüber neuen Techniken oft gerade dann voll zum Tragen kommen, wenn der Übergang von der Forschung zur praktischen Anwendung ansteht. Als Folge sehen wir auf immer mehr Gebieten unsere internationale Position um so weniger „mit an der Spitze“, je mehr es um die industrielle Verwertung geht. Unsere Defizite werden dabei allenfalls von „Glücksfällen“ unterbrochen, die entweder auf einen besonders starken Unternehmer (z. B. Siemens in der Kraftwerktechnik) zurückzuführen sind oder sich nicht „auffallend“ beim Verbraucher auswirken (z. B. beim Airbus oder in der Umwelttechnik).

Dabei ist es zur Sicherung unserer künftigen Welt-stellung -und damit auch der Arbeitsplätze -äußerst dringend, Innovationen strategisch intensiver voranzutreiben und wenigstens zum Teil rascher als andere auf den Markt zu bringen. Als anschauliche Beispiele seien hier genannt: neue Nachrichtensysteme wie Mobilfunk, Sprachverarbeitung, digitaler Rundfunk, hochauflösendes Fernsehen, aber auch Fertigungsautomatisierung, Sicherheitstechniken für Großsysteme oder neue Energie-und Umwelttechniken. Alle diese Bereiche sind angewiesen auf die Verfügbarkeit von heute bei uns deutlich zurückhängenden Spitzentechnologien wie Mikroelektronik, Softwaretechnik, Materialtechnik und Gentechnik. Ohne diese Kompetenz und Verfügbarkeit wird es künftig unmöglich sein, hierzu europäische Beiträge ebenbürtig im Markt durchzusetzen.

Parlamente und Parteiprogramme im Blick auf High-Tech

Wo formieren sich Kompetenzen und Visionen für die öffentliche Meinung? Eine wichtige Bündelung der Erwartungen und der Maßstäbe zum Handeln für unsere Politiker finden wir in den Programmen der politischen Parteien. Basis war für sie dabei immer auch unser Grundgesetz. Freilich müssen wir feststellen, daß das Grundgesetz weder zur Industriepolitik etwas aussagt, noch zu irgendwelchen anderen zukunftsbezogenen Gemeinschaftszielen und Aufgaben der Gesellschaft.

Hinsichtlich der aktuellen Programme der Parteien ist zunächst nur offensichtlich, daß sich keines für eine staatlich gelenkte Wirtschaft oder gar für eine Planwirtschaft ausspricht. Aber dann zeigen sich schon deutliche Unterschiede: Am auffallendsten ist wohl, daß weder die FDP noch die SPD oder die Grünen auch nur einen einzigen Blick über die Grenzen werfen, auf die anderen Staaten, mit deren Wirtschaft und industrieller Potenz wir uns täglich und zunehmend härter auseinandersetzen müssen!

Die Liberalen beschränken sich auf die schon im Grundgesetz verankerte Forschungs-und Wissenschaftsförderung und enthalten sich darüber hinaus jeglicher Visionen für die Zukunft. Damit erklärt sich zugleich der auch im europäischen Vergleich eher schwache und defensive Eindruck des seit langem als FDP-Domäne geführten Wirtschaftsministeriums. Kein Wunder, daß Konrad Seitz seine eindrucksvollen Erkenntnisse zur „japanisch-amerikahischen Herausforderung“ nicht etwa in den Denkstuben des Wirtschaftsministeriums, sondern als langjähriger Berater von Außenminister Genscher und als Planungschef des Auswärtigen Amtes gewonnen hat; von dort aus sind die globalen wirtschaftlichen Realitäten tatsächlich unübersehbar.

Die SPD verläßt sich auf die bestehende Wirtschaftskraft der Bundesrepublik als „Grundlage für politische Handlungsspielräume“. Sie befürwortet eine von der Öffentlichkeit kontrollierte Entwicklung der Technik mit dem Ziel der weiteren Erhöhung der Lebensqualität für die Bürger, während „Forschung zu ausschließlich wirtschaftlichen Zwecken“ abgelehnt wird. Die Herausforderungen des internationalen Wettbewerbs -und damit die Frage einer langfristigen Sicherung von Arbeitsplätzen -finden wir auch hier als Handlungsmotiv ausgeklammert.

Die Grünen fordern eine Ablösung des „kapitalistischen Weltwirtschaftsgipfels“ durch die Vereinten Nationen, ergänzt von radikal ökologischen „Nicht-Regierungs-Organisationen“. Sie wollen durch ein „Rätesystem zur gesellschaftlichen Kontrolle techno-ökonomischer Entwicklungen“ unser sozialpartnerschaftliches Mitbestimmungsmodell ersetzen. Außerdem lehnen sie die Kernenergie -und eigentlich auch die Kohleverbrennung -ab und fordern zur Gentechnologie ein fünfjähriges Moratorium für Forschung, Produktion und Anwendung sowie manches mehr in diesem Sinne.

Anders die Unionsparteien CDU und CSU. Die CDU nennt als ihre fünf wirtschaftspolitischen Ziele: Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität und stetiges Wachstum bei außenwirtschaftlichem Gleichgewicht, ergänzt um die Sicherung der ökologischen Zukunft unseres Gemeinwesens. Im Hinblick auf den internationalen Wettbewerb beschränkt sie sich dagegen auf die strukturpolitische Feststellung, daß zu hohe Produktionskosten im Vergleich zu anderen Ländern „einschneidende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft erfordern.“ Auch im CSU-Programm haben Wirtschaft, Wachstum und Wohlstand einen hohen Rang, zu dessen Sicherung ein anhaltender Dialog über rationale Ziele und praktische Erfordernisse zwischen Staat, Unternehmen und Öffentlichkeit dienen soll. Nur von den Bayern wird überdies die Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Triadenmächten USA, Japan und Europa direkt angesprochen als Folge einer wachsenden Globalisierung des Wirtschaftsgeschehens, auf das wir die notwendigen strategischen und operativen Antworten finden müssen. „Dies impliziert eine Modernisierung der Struktur der deutschen Volkswirtschaft, insbesondere eine ordnungspolitisch verträgliche Gesamtstrategie zur Förderung von Spitzentechnologie.“

Hinweise auf die technisch-industrielle Kompetenz unserer Politiker können darüber hinaus einfache statistische Daten geben, etwa indem sich aus den beruflichen Hintergründen der Parlamentarier auf deren beanspruchbaren Erfahrungsbereich schließen läßt. Wir finden dabei, daß sowohl im Bundestag als auch im deutschen Kontingent der Europa-parlamentarier der Anteil von Naturwissenschaftlern, Mathematikern und Ingenieuren mit Industrieerfahrung (also ohne die Lehrer) bei weniger als vier Prozent liegt!

Damit sind aber Sensibilität und Urteilsfähigkeit zu High-Tech-Fragen in diesen entscheidenden Gremien völlig unzureichend etabliert. Dies ist nicht zu verantworten und wahrscheinlich beispiellos im Vergleich zu anderen Themen ähnlich großer Bedeutung. Eine Vergleichsbetrachtung mit den entsprechenden Relationen in Frankreich oder gar Japan wäre hier aufschlußreich. Interessant ist zudem, daß durch die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern mehr Naturwissenschaftler und Ingenieure im Parlament hinzukamen, als ursprünglich aus dem Westen darin vertreten waren; es bleibt abzuwarten, was deren so ganz andere Vorerfahrung für die politische Willensbildung bewirkt.

Beitrag der Verbände

Ein wichtiger Part im Konzert der öffentlichen Meinung zu Technik und Industrie liegt des weiteren bei den hier zuständigen Verbänden. Zum einen als Repräsentanten der Tarifpartner, zum andern aber auch als Plattform der Fachleute haben sie erheblichen Einfluß auf Politik und Wirtschaft. Dabei ist grundsätzlich festzustellen, daß weder Gewerkschaften noch Unternehmerverbände noch die technisch-wissenschaftlichen Fachverbände sich im Blick auf unsere zunehmend gefährdete Position im Wettstreit der Industrienationen als ausreichend vorausschauend und verantwortlich zeigen: Weltweit höchste Löhne und Lohnnebenleistungen, vereint mit einem Übermaß produktivitätshemmender Auflagen, werfen unsere Inlands-Fertigungen zunehmend aus dem Wettbewerb; Investitionen ausländischer Unternehmer in der alten Bundesrepublik sind am Tief-punkt und erfolgen selbst in den neuen Bundesländern nur schleppend -beides zusammen bewirkt eine zunehmende Gefährdung von Arbeitsplätzen. Trotzdem geht die Konfliktstrategie der Gewerkschaftsfunktionäre eher noch verschärft weiter, mit der absehbaren Folge neuer Positionsverluste sowohl auf dem Weltmarkt wie auch innerhalb Europas. Unsere Industrieverbände spiegeln in allzu spätem Erwachen heute die Ratlosigkeit vieler Firmen gegenüber den neuen Maßstäben vor allem des ostasiatischen Unternehmertums und Erfolgswillens auf allen Ebenen des Wirtschaftens. Dabei wird immer noch zu wenig erkannt, daß die Entwicklung und verantwortungsvolle Gestaltung einer langfristig tragfähigen Industriepolitik in Deutschland und in Europa bisher sträflich versäumt wurden. Es scheint an der Zeit, unserem lange propagierten Markenartikel „soziale Marktwirtschaft“ noch das Wort „strategisch“ als weiteres Adjektiv hinzuzufügen! Während wir Deutsche in blindem Vertrauen auf unsere Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft immer neue Sozialforderungen aufbürden, lancieren die Japaner ihr eigenes Marktmodell mit immer besserer Strategie systematisch zum „Olympiasieger“.

Es ist bezeichnend für den Stellenwert von Technik und Fortschritt auf der Interessenskala unserer Bürger, aber auch für das Engagement der Ingenieurverbände, daß praktisch kein noch so attraktiver Fachkongreß, an welchem Ort auch immer, bei uns heute mehr als 500 bis 1000 Teilnehmer anziehen kann -im Gegensatz zu den USA, wo ohne weiteres auch 10000 Besucher zu einem Kongreß -z. B. über „Entwurfsautomatisierung“ -nach Las Vegas kommen und daran auch wirklich teilnehmen! Auch die öffentliche Resonanz im veranstaltenden Gemeinwesen und in den Medien bleibt hierzulande meist enttäuschend. Zugegeben: Mitteleuropa bietet im Vergleich zu Nevada fast überall und zu jeder Zeit ein Vielfaches interessanter Angebote; aber gerade darin liegt wohl eine der Ursachen für unsere wachsenden Schwierigkeiten im modernen industriellen Wettbewerb, der, um erfolgreich zu sein, immer stärker die völlige Konzentration der Experten auf kollektive Dauerleistung erfordert und überdies auf unterstützende öffentliche Resonanz angewiesen ist.

Noch viel zu wenig stellen sich die Ingenieurverbände auch dem bevorstehenden Zusammenschluß Europas, obgleich doch die Technik schon heute nahezu keine Grenzen kennt und Visionen für die Ziele von morgen nur gemeinsam zum Erfolg führen können. Doch leider stehen regionale Strukturen, nationale Traditionen, eherne Satzungen sowie freilich auch Sprachprobleme vorerst der dringend gebotenen Entwicklung zu größeren europäischen Mitgliedergesellschaften im Wege.

Ein gewisser Lichtblick ist hier das ursprünglich rein amerikanische „Institute of Electrical and Electronics Engineers“ (IEEE), das seit über einem Vierteljahrhundert als globaler Ingenieur-verband ein gut organisiertes Netz nationaler Sektionen auch in ganz Europa unterhält. Die „Europäische Region des IEEE“ veranstaltet beispielsweise im kommenden Mai, zusammen mit dem Schweizerischen Elektrotechnikverband (SEV), einen internationalen Kongreß mit Regierungsund Europavertretern, Unternehmern und Fachleuten über die Position unserer Europäischen Elektro-und Informationstechnik am Vorabend des Gemeinsamen Marktes: Bewertungen, Konsequenzen und Visionen im globalen Wettbewerb der Industrienationen und ihrer Hochtechnologie-Unternehmen. Befremdlich bleibt nur, daß die Fachverbände aus den EG-Staaten ein derartiges Schlüsselthema bisher nicht selbst aufgegriffen haben. Ein wertvoller Beitrag unserer deutschen Ingenieurverbände (VDI und VDE) während der letzten Jahre war immerhin deren intensive Öffentlichkeitsarbeit zur Bedeutung der Mikroelektronik für unsere Zukunft. Zunächst als „Frühwarnungen“ bezeichnete kritische Analysen und Prognosen wurden dabei in konkrete Vorschläge umgesetzt, die unserer schwindenden Wettbewerbsfähigkeit aufhelfen sollen. Trotz allen Bemühens konnte freilich auch dieses Programm einer relativ kleinen Zahl engagierter Experten keine genügende Stärkung unserer internationalen Position bewirken.

Wertordnung in der Gesellschaft

Erfolge hängen mit Geisteshaltungen zusammen. Daß dies nicht nur für den einzelnen, sondern auch im Wettstreit der Völker gilt, lehrt uns die Geschichte. Die „globale“ Überlegenheit des Abendlandes über viele Jahrhunderte hinweg war vor allem eine Glaubensleistung und Geisteshaltung, begründet im Christentum -von Karl dem Großen über Christoph Kolumbus bis zum Kommunismus. Hier hat der Westen heute der übrigen Welt nichts mehr zu bieten. Die im 19. Jahrhundert kulminierende „protestantische Unternehmer-Ethik“ (Max Weber) erscheint heute abgelöst durch die faszinierende Innovationsdynamik der Ostasiaten: Die optimale Erfüllung aller denkbaren Wünsche des Marktes wurde in sehr kurzer Zeit für ganze Nationen zum weltbeherrschenden Handlungsmotiv und Erfolgsmoment.

Die scheinbar spielerische Dynamik Japans ist allumfassend im Streben nach globaler Führungsposition und Spitzenstellung für Produkte und Märkte von morgen: Kommunikationssysteme, Auto-und Flugzeugbau, Weltraumfahrt, flacher Bildschirm, Gentechnik -bis hin zu erstklassigen Orchestern oder Kunstsammlungen. Kein Wachstumsgebiet, das nicht mit systematischem Eifer aufgegriffen, durchgeplant, produziert und „an den Mann gebracht“ wird. Auch bei seinen pazifischen Nachbarn ist inzwischen die Orientierung eindeutig auf das japanische Vorbild ausgerichtet, nachdem vor wenigen Jahren die USA und Europa dort noch mit als Leitbilder konkurrierten. Wir erleben hier eine konsequente Neuauflage globaler Strategien, wie sie früher allein im Abendland zu Hause waren. Ist das letztlich die Folge von 250 Jahren innerer „Fermentierung“ in insularer Isolation? Eine besondere Qualität der Herrschaftskompetenz verlagert sich: Der Osten erntet, wo der Westen gesät hat.

Inzwischen besteht unsere eigene neuzeitliche „Ethik“ vorwiegend aus der „Optimierung des persönlichen Wohlergehens“ bei Beschränkung der gemeinschaftsbezogenen Ziele und Ansprüche auf „Frieden, Freiheit und Umweltschutz“ -ohne intensiv darüber nachzudenken, auf welcher ökonomisch gesicherten Basis denn dies in Zukunft geschehen soll.

Industriepolitik als Europa-Thema

Die neue Situation im wiedervereinigten Deutschland beinhaltet veränderte, größere Verantwortung für unsere Regierung auch im Setzen industrieller und wirtschaftlicher Ziele. Dies gilt doppelt am Vorabend des Gemeinsamen Marktes -mit Partnern, die sehr viel direkter zu operieren pflegen, als wir dies gewohnt sind oder gar gutheißen. Jedenfalls werden wir dafür mehr als bisher auch technisch erstklassige Spitzenleute brauchen, die auf allen politischen Ebenen -von den einzelnen Unternehmen über nationale Kammern und Ministerien bis zu den Brüsseler Planungsinstanzen -unsere Erwartungen kompetent vertreten und mitverwirklichen. Ein Vertrauen auf die hierfür schon heute herausragenden Eliten Frankreichs und der Benelux-Länder würde für uns sicherlich nicht genügen.

Wichtig im Hinblick auf eine auch langfristig realistische Industriepolitik ist eine klare Strategie für die richtigen Unternehmensstrukturen im zunehmend globalen Marktgeschehen. Man unterscheidet dabei gewöhnlich zwischen Großkonzernen, Mittelstandsfirmen und Kleinunternehmen. Konzentrieren wir uns wieder auf High-Tech und Innovation, so finden wir fast nur bei den Großen die Kraft für nachhaltige industrielle Durchbrüche; selbst hier werden Kooperationen im Weltmaßstab und über Konzerngrenzen hinweg immer häufiger. Als ein Beispiel für die industriepolitische Versiertheit unserer westlichen Nachbarn mag gelten, daß die beiden gesamteuropäisch geplanten und finanzierten Zukunftsstandorte für Chips der „ 64 Megabit“ -Generation jetzt voraussichtlich Frankreich stellen wird (IBM/Siemens in Essone, Philips/ST in Grenoble).

Mittelstandsfirmen sind -zumindest in Europa -dagegen technisch zwangsläufig eher konservativ. Dies gilt auch für Deutschland, wo ein hervorragender und international hoch angesehener Mittelstand eine beachtliche Wirtschaftsleistung erbringt, unter Einsatz seiner klassischen Stärken: Qualität der Facharbeiter, gewachsene Marktnähe, hohe Flexibilität und in vielen Fällen individuelle Schutzrechte. Möglichkeiten zur eigenen Erarbeitung neuer Hochtechnologien sind hingegen kaum gegeben. Trotz erheblicher öffentlicher Förderprogramme und Transferinstitutionen geht selbst die Übernahme neuer Techniken nur zu deren Anwendung meist nur langsam und ohne große Bereitschaft zu Vorleistungen vonstatten. Echte Entrepreneurs sind hier relativ selten und sie bringen ihr High-Tech-Know-how in der Regel selbst ein.

Im Zug der Globalisierung der Märkte wird es wichtig, besonders diese Mittelstandssituation künftig schon vom Ansatz her noch progressiver zu beeinflussen. Hierzu könnten zum Beispiel unsere heute überwiegend für Technologie-Support und -Transfer eingesetzten „Fraunhofer-Institute“ mit beitragen, etwa durch das Anbieten von Kompetenzen für moderne Marketing-und Management-methoden bis hin zur Vermittlung von Partnerschaften.

Wie immer Politik und Wirtschaft ihre Zusammenarbeit auch gestalten -für einen nachhaltigen Erfolg entscheidend bleibt die Bereitschaft, Rahmenbedingungen für gemeinsame Visionen zu schaffen und diese in soliden Langfristprogrammen umzusetzen.

Phantasie für neue Ziele

Der griechische Philosoph Plato schrieb vor mehr als 2000 Jahren, daß der Mensch Gott dann am nächsten ist, wenn er spielt. Es scheint, daß wir „Abendländer“ in jüngster Zeit die Fähigkeit, mit phantasievollem Einsatz unserer geistigen Kräfte zu spielen, mehr und mehr einbüßen. Schon in der Forschung und erst recht in der Wirtschaft werden zu oft nur mehr risikoarme Projekte finanziert. Könnte hier vielleicht etwas mehr an jugendlichem Mut noch helfen?

Das IEEE-Magazin „SPECTRUM“ veranstaltete im letzten Herbst eine weltweite Suche nach „innovativen Genies“. Entsprechende Vorschläge sollten Personen nennen, die über längere Zeit und noch bis heute als Ingenieure und Erfinder im Feld der Elektrotechnik, Elektronik und Computertechnik herausragende Erfolge erzielt haben. Die Endauswahl führte schließlich zu acht Nominierungen, deren außergewöhnliche Lebensläufe im letzten Dezember-Heft eindrucksvoll vorgestellt wurden: Es waren sechs Amerikaner und zwei Japaner! Hier ist nicht der Ort, dieses für uns Europäer betrübliche Ergebnis zu analysieren oder zu bewerten. Dagegen wollen wir die Suche nach dem Verbleib unserer eigenen Innovationskraft anhand dreier eindrucksvoller Beispiele aus unserer industriellen Wirklichkeit illustrieren, wovon eines positiv und zwei negativ sind:

Die Schweizer Uhrenindustrie hat, nach dem ersten Schock durch die japanischen Digitaluhren, in den letzten zehn Jahren mit einem eigenen, hinsichtlich Technologie, Fertigung und Vermarktung optimalen „SWATCH“ -Konzept ihren Markt voll zurückerobert und ist damit bis heute international konkurrenzlos; dies ungeachtet nur minimaler Förderung durch staatliche Mittel und trotz höchster Löhne. Die bewußte Einbeziehung kultureller Design-Qualitäten in ein Industrieprodukt für den Endverbraucher ist hier als ungewöhnlicher Innovationsbeitrag mit hervorzuheben. Der Schweizer Ingenieur Ernst Thomke, Erfinder der „SWATCH“, könnte also sehr wohl in die oben angesprochene Liste „Innovativer Genies“ mit aufgenommen werden! Praktisch alle europäischen und amerikanischen „Business Schools“ benutzen die „SWATCH“ -Story bis heute als Paradebeispiel für unternehmerisches Handeln.

Im PHILIPS-Forschungslaboratorium in Eindhoven wurde während der siebziger Jahre über einen Zeitraum von zehn Jahren das heute als „Compact-Disk“ oder CD bekannte technisch revolutionäre System zur optischen Informationsspeicherung erforscht und entwickelt. Voll fixiert auf die eigene, damals beherrschende Position bei HiFi-Schallplatten hat man dann bei PHILIPS versäumt, die bis heute weitaus bedeutendste Anwendung der neuen Technik für die digitale Tonaufzeichnung selbst einzuführen. Die japanische SONY Corporation, mit der man zur Durchsetzung globaler Normen Verträge geschlossen hatte, wußte dagegen sehr zielstrebig das Audio-CD-Geschäft in ihrem Sinne durchzusetzen und ist bis heute absoluter Marktführer vor allem in der Hardware, aber auch in weiten Bereichen der Software. Ähnlich ging es der SIEMENS AG mit den FAX-Geräten. Der technisch eng verwandte Vorläufer dieser seriellen Bildübertragungssysteme für das Telephonnetz war seit vielen Jahren als „HellSchreiber“ ein renommiertes Exklusivprodukt der Siemens-eigenen Tochter „Rudolf Hell GmbH“. Die stürmischen Fortschritte der Mikroelektronik legten es nahe, aus dem vorhandenen Systemwissen ein neues, rationelles Massenprodukt mit riesigem, problemlos erschließbarem Markt zu schaffen. Leider blieb auch diese Entwicklung den Japanern überlassen, die schon wegen ihrer komplizierten Kanji-Schriftzeichen weit früher auf direkte Bildübertragung setzten. Statt dessen blieb das Stammhaus bei SIEMENS voll fixiert auf die eigene „Fernschreiber“ -Tradition, die noch auf Werner von Siemens zurückging und erst in den siebziger Jahren auf moderne Mikrotechnologie mit neuem Fertigungsstandort umgestellt worden war. Heute ist der Fernschreibermarkt stark rückläufig und der immer noch wachsende FAX-Markt weiter ausnahmslos in ostasiatischen Händen.

Wo steht unsere akademische Jugend?

Unsere Überlegungen zur Technikbewertung sollen nicht schließen, ohne dazu auch den Beitrag unserer Jugend zu prüfen. Es geht dabei allein darum, Tendenzen zu beleuchten. „Die Jugend altert heute schnell“ sagte kürzlich der 29jährige Bühnenautor F. F. Weyh in einer ZDF-TalkShow. Als Grund nannte er die immer noch belastende deutsche Geschichte und die zermürbende Dauerflut der Fakten, Probleme und Katastrophen, die heute jeden Versuch eines eigenen Lebensentwurfes zudecke -quasi als ungewollte Mitgift des Medienzeitalters, meist nur als „Information“ und nicht verarbeitet durch eigene Erfahrung. Diese Aussage eines sensiblen jungen Künstlers steht ziemlich genau zwischen zwei besonders dominanten Erscheinungsbildern der Studenten vom Anfang der achtziger Jahre und derer von heute: Damals galten noch Protest, „Aussteigen“, „No Future“ -Parolen als „politische“ Mittel zur Veränderung der öffentlichen Meinung. Heute dagegen finden wir die Jungen innerlich weitgehend abgeschottet gegen Politik, den eigenen Erfolgs-weg in der Gesellschaft von morgen voll im Blick.

Besonders Naturwissenschaftler und Ingenieure zielen dabei vor allem auf eine interessante, aussichtsreiche Tätigkeit: schnell viel verdienen, sich selbst „optimieren“ im „input/output“ -Verhältnis, gut leben! Dank guter Sprachkenntnisse und Erfahrungen aus Auslandsaufenthalten werden inzwischen die EG und der Gemeinsame Markt für einen wachsenden Prozentsatz der Studenten bereits zur Berufsplattform, auf der sie gerade auch gegenüber den Älteren gute Chancen erkennen. Es scheint, daß mit diesen jungen Leuten das „neue Europa“ Realität zu werden beginnt. Es steigt auch die Zahl derer, die im oder nach dem Studium erst einmal in die USA gehen, um an dieser auch für uns weiterhin einzigartigen Innovationsumgebung aktiv zu partizipieren.

Diese zumindest scheinbare „Normalisierung“ der Jugend ist von den hiesigen Medien bisher kaum zur Kenntnis genommen worden. Anders von den Amerikanern, wo etwa vor kurzem in einem längeren Artikel des „Wall Street Journal“ der deutsche Jungunternehmer Julian Riedelbauer (17 Jahre) als Gründer und Betreiber einer eigenen erfolgreichen Computervertriebsgesellschaft begeistert vorgestellt wurde.

Freilich fehlt unserem Ingenieurnachwuchs weiterhin der offene Blick auf die Entwicklung Ostasiens und besonders Japans zur künftig wohl dominierenden Hochtechnologie-Weltmacht. Für uns selbst ist dieses offensichtliche Informationsdefizit unserer Hochschulen sehr bedauerlich. Andererseits bilden bisher die geographische Entfernung, die fremde Sprache und noch mehr die Fremdheit der Kultur für junge Europäer kaum überwindbare Hindernisse, um in Universitäten und Spitzenunternehmen Japans sowie seiner pazifischen Nachbarn Zugang zu finden. Dank seiner englischen Landessprache könnte hier Singapur in Zukunft eine Schlüsselposition zufallen.

Beitrag der Universitäten

Um die für unsere Industriegesellschaft lebenswichtigen Faktoren „Technik“ und „Wirtschaft“ in unserem kulturellen Selbstverständnis besser zu verankern, ist es notwendig, daß sich auch unsere Universitäten entsprechend erneuern und aufgeschlossen auf Forderungen von morgen einstellen. Zwei Beispiele aus Deutschland und aus Amerika mögen dies verdeutlichen:

An der „klassischen“, stark geisteswissenschaftlich orientierten Universität Freiburg entsteht zur Zeit eine neue Fakultät für „angewandte Wissenschaften“ mit einem gut ausgebauten Informatikzweig und einem zweiten für zukunftsbezogene Mikrosystemtechnik. Ziel dieser Gründung ist dabei nicht nur die moderne Ausbildung von jährlich 200 Absolventen mit ausgezeichneten Berufschancen, mindestens gleich wichtig ist die systematische Befruchtung vieler klassischer Universitätsfächer durch neue Methoden und Denkkulturen. Man sucht hier bewußt Brücken zu bauen für „den längst fälligen Dialog zwischen Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften und Technik“. Nur wenn es gelingt, vermehrt interdisziplinär ausgewogene Bereiche zu schaffen, können die großen Probleme unserer Zeit einer Lösung nähergebracht werden. Dies gilt für Themen wie Ethik und Wissenschaft, Technologiefolgenabschätzung, übergreifende Ökologieprobleme und manch andere mehr sowie in gleicher Weise für die Ausbildung eines „Ingenieurs neuen Typs“, die die zunehmende Verantwortung der Ingenieure für das Wohl ihrer Unternehmen und der Gesellschaft anerkennt.

Von der amerikanischen Stanford University wurde direkt „vor Ort“ in Kyoto ein eigenes Japan Center gegründet, das unter anderem als Brückenkopf und Koordinator für bilaterale Forschungsprojekte zwischen amerikanischen und japanischen Wissenschaftlern dienen soll. Die gemeinsam mit einer Reihe weiterer Elite-Universitäten finanzierte Einrichtung soll wesentlich dazu beitragen, der kommenden Generation amerikanischer Führungskräfte in Politik und Wirtschaft ein besseres Verständnis für Japan zu vermitteln. Binnen zehn Jahren will man hierfür nahezu 1000 Studenten vorbereiten. Eine Reihe von Mitarbeitern wird Studien zu Forschung und Technologie in Japan durchführen, außerdem Fragen zur Handels-und Wirtschaftspolitik, Industriepolitik und zum internationalen Wettbewerb in Hochtechnologien bearbeiten. Auch die regionale Entwicklung im gesamten ostasiatischen Raum soll verfolgt werden. Vermittlung internationaler Stipendien und entsprechende Vorbereitungsseminare gehören zum Angebot einer speziellen Servicestruktur. Die renommierte Stanford University, die an der US-Westküste liegt mit ihrer großen Zahl amerikanischer Staatsbürger asiatischer Herkunft und vielen dort ansässigen High-Tech-Unternehmen, ist sicher ideal als Initiator und Träger für eine derartige Einrichtung. Trotzdem stünde es uns sehr gut an, für Europa möglichst bald ein entsprechendes „Japan-Zentrum“ aufzubauen.

Ausblick

Wie steht es mit unserer Chance in der Bundesrepublik, den anhaltenden Positionsverlust im Wettbewerb moderner Industrienationen zu stoppen und in die Hochtechnologie-Spitze zurückzufinden? Noch vor zwei Jahren schien hier großer Optimismus am Platz angesichts des bevorstehenden Gemeinsamen Marktes in der Europäischen Gemeinschaft mit mehr als 300 Millionen Menschen. Es war da auch für unsere Bürger klar, daß das gebündelte Gewicht europäischer Welterfahrenheit, Wirtschaftskraft, Kreativität und Infrastruktur einen großen Schritt nach vorn bringen würde.

Dies galt so bis zum dramatischen Zusammenbruch des kommunistischen Machtsystems in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Durch ein ganzes Bündel außerordentlicher Probleme sind seither besonders unsere deutschen Politiker von der internationalen Wettbewerbsfrage wieder entscheidend abgelenkt, denn jetzt gerät die gesamte öffentliche Meinung in unserem Land wieder verschärft in einen Orientierungskonflikt zwischen „Herrschaft“ und „Dienst“ -in diesem Falle: „Wahrung unserer Führungsrolle unter den Industrienationen“ oder „Konzentration auf Hilfe und Sanierung im Osten“. Bleibt zu hoffen, daß von Seiten unserer Regierenden „die nüchterne Stetigkeit in der politischen, ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Steuerungskunst“ -so Hermann Lübbe in seiner Studie über die Industriegesellschaft -stark genug ausgeprägt sein wird, um beide Ziele erfolgreich miteinander zu verbinden.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hugo Rüchardt, Dr. rer. nat., geb. 1927; wissenschaftlicher Berater und Abteilungsdirektor bei Siemens i. R.; Mitglied des Herausgebergremiums der Fachzeitschrift „mikroelektronik"; Kuratoriumsmitglied in der Fraunhofer Gesellschaft; langjährige Mitarbeit im Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE), dem weltgrößten Ingenieurverband. Zahlreiche Fachpublikationen.